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[ShortStory] Viele, viele Künste

TomGrenn

Kolumnenkönig 2010
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12 September 2006
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Viele, viele Künste

Zwei Uhr hatte die Kirchturmglocke schon geschlagen. Man merkte in diesen herbstlichen Nächten, dass der November das neblige und kühle Ende einer ansonsten farbenfrohen Jahreszeit markierte. Vor allem, wenn man allein draußen am Tor Wache schob und selber eher dem Herbst als dem Sommer des Lebens zuzurechnen war.
Der alte Wächter seufzte und trat von einem Bein auf das andere, um die Müdigkeit und auch ein wenig die Kälte zu vertreiben. Tagsüber stand das Stadttor offen und zwei kräftige Wachen mittleren Alters kontrollierten den Zustrom der fahrenden Händler, der geschäftigen Kaufleute und der Bauern aus dem Umland, die ihre Ware auf dem Markt feilbieten wollten. Aber nachts war das Tor verschlossen und Reisende, die zu solch nächtlicher Zeit in die Stadt wollten, mussten zuerst ihn überzeugen, bevor er den Burschen drinnen in der Wachstube weckte, mit dem er sich die Nachtwache teilte. Gemeinsam konnten sie dann den schweren Riegel von den metallbeschlagenen Torflügeln heben und den oder die Besucher hereinlassen.
Ja, für diejenigen, welche nach Einbruch der Dunkelheit das Städtchen erreichten und die Nacht nicht auf freiem Feld oder in der Nähe (oder gar im Magen) der im Wald lebenden Wölfe zubringen wollten, für die war er die letzte Hoffnung auf eine sichere Nachtruhe. Die Zeiten waren zu unsicher, als dass man jedes Gesindel in die Stadt lassen wollte und so kam dem Stadtrat ein alter, entbehrlicher Kämpe gerade recht, um die Gastfreundschaft der Stadt zu wahren und gleichzeitig die Vaganten und Strauchdiebe dieser Welt von sich fern zu halten. Dass in letzter Zeit noch Ärgeres durch die Lande streifte, hatte die Stadtoberen nicht weiter beunruhigt: das Tor war ja solide und wenn es irgendjemandem oder irgendetwas gelingen sollte, den Torhüter durch die kleine Sprechluke, die in das stabile Eichentor eingelassen war, zu töten, blieb das Tor allemal noch zu.
Er hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, die Luke offen zu lassen, um ab und zu einen Blick nach draußen werfen zu können. Außerdem wurde man dann nicht von einem plötzlichen Pochen an das Holztor aufgeschreckt, sondern konnte sich durch die entsprechenden Geräusche aufmerksam gemacht frühzeitig ein Bild von etwaigen Neuankömmlingen machen.
Und so sah er den Fremden, der schemenhaft aus dem nächtlichen Dunkel auftauchte, bevor er dessen Gesicht erkennen konnte. Es war ein Mann mittleren Alters, recht ordentlich gekleidet, mit einem einfachen Beutel an der Seite und bis auf ein unscheinbares Hinken nicht weiter ungewöhnlich. Der erste Eindruck sprach jedenfalls nicht dagegen, den Fremdling einzulassen.
Als der Fremde das Gesicht des Wächters im Widerschein der Fackeln durch die Sprechluke lugen sah, hob er im Kommen die Hand zum Gruß. Sein Umhang öffnete sich dabei ein wenig und der Wächter konnte zu seiner Befriedigung weder eine Waffe noch lumpige Kleidung erkennen. Schon oft hatte ein Bettler mit einem leidlich ordentlichen Überwurf seinen Stand zu verbergen gesucht und ebenso war es schon vorgekommen, dass ein Raufbold seinen Knüppel oder gar sein Kurzschwert unfreiwillig auf diese Weise enthüllt hatte.
„Sei gegrüßt, Gevatter! Ich komme von Duncraig und wurde unterwegs aufgehalten. Jetzt bin ich ordentlich müde und würde gerne in Deiner schönen Stadt nächtigen. Lässt Du mich bitte herein?“
Derart artig war der Wächter schon lange nicht mehr angesprochen worden. Nur durch schöne Worte kam man aber nicht in die Stadt.
„Auch Euch einen schönen Gruß! Nennt mir bitte zuerst Euren Namen, was Ihr da bei Euch tragt und was ihr in unserer Stadt begehrt.“
„Oh, ich vergaß, mich vorzustellen. Mein Name lautet Leif Urz. Ich bin Brautwerber und habe hier in meiner Tasche“ – der Fremde kramte kurz darin und zog eine Schriftrolle halb hervor – „diverse Bildnisse edler Maiden und sonstigen Papierkram, was eben so bei solchen Eheschließungen von Nöten ist. So lange noch verhandelt wird, kann ich Dir natürlich noch nicht verraten, welcher stattliche Mann mit welchem holden Mägdelein...“
Der Fremde tippte sich vielsagend an die Nase.
„Diskretion, Du verstehst? Die Leute zerreißen sich doch sonst nur ihre Mäuler.
Aber ich kann Dir immerhin sagen, dass ich beim Herrn Magister Vasla hochwillkommen bin und eigentlich erwartet werde. Hat sein Sohn Dir nicht mein Kommen, oder, hmpf, sagen wir, dass er noch jemanden erwartet, angekündigt?“
„Nein, davon wurde mir nichts gesagt. Und weshalb seid Ihr dann erst so spät hier angekommen? So hochwohlgeborene Herren reagieren meist recht ungehalten, wenn sie warten müssen.“
„Nenn mich doch Leif, Gevatter. Ich bin eigentlich schon rechtzeitig aufgebrochen. Aber unterwegs habe ich noch ein altes Mütterchen getroffen, dem ich unbedingt unter die Arme greifen musste. Es war vom rechten Weg abgekommen und da konnte ich doch nicht tatenlos zusehen, auch wenn es etwas länger gedauert hat. Und wie ich so helfe, habe ich mir auch noch den Fuß verstaucht, weswegen ich den halben Weg durch die Nacht humpeln musste. Das alles zusammen hat dazu geführt, dass ich erst jetzt hier bei dir auftauche und draußen vor dem Tor friere. Willst du mich denn nicht endlich einlassen?“
„Langsam, langsam. Wenn Ihr, wie Ihr sagt, Euch als Brautwerber verdingt, so habt Ihr sicher auch schon einige Hochzeitsfeierlichkeiten miterlebt. Singt mir doch eines dieser Hochzeitsliedchen vor, bevor ich Euch hereinlasse.“
Der Fremde mit dem Namen Leif Urz machte ein verblüfftes Gesicht.
„Ich soll Dir ein Lied vorsingen? Damit ich hereingelassen werde?“
„Nun, ich bin ein alter Mann, der in einer kalten Novembernacht noch ein paar Stunden ohne Kurzweil und fröhliche Unterhaltung bis Sonnenaufgang zubringen muss. Da kann ein lustiges Liedchen nur recht und billig sein.“
„Da magst Du recht haben, Gevatter, aber – um ehrlich zu sein – ich habe bisher noch an keiner Hochzeitsfeier selber teilgenommen. Das mag zwar seltsam anmuten, doch ist die Arbeit eines Brautwerbers lange beendet, ehe der Pfaffe zwei Menschenkinder aneinander kettet. Ich bin normalerweise schon längst weitergezogen, bevor die Glöcklein läuten. Nicht, dass ich vor irgendwelchen Klagen Angst hätte, hehe, nein. Aber mit einem Lied, das bei einer Hochzeit vorgetragen wird, kann ich Dir leider nicht dienen.“
„Na, dann singt doch einfach ein anderes Stück. In den Wirtshäusern dieser Welt werdet Ihr sicher das ein oder andere vernommen haben. Vielleicht kenne ich es sogar und wir können eine Strophe gemeinsam singen.“
„Du erstaunst mich wirklich. Ist es denn hier üblich, für den Einlass einem fahrenden Bänkelsänger gleich ein Ständchen zu entrichten?“
„Oh nein. Letzte Woche hat eine Wache verlangt, dass derjenige, welcher Einlass begehrt, zuerst eine Weile auf einem Bein stehen muss. Das war eine recht lustige Angelegenheit. Vor allem, als der angesäuselte Müllermeister Keldin es auch beim vierten Anlauf nicht vollbrachte.
Heute habe ich aber beschlossen, dass zuerst ein Lied erklingen muss, bevor ich das Stadttor öffne.“
„Du siehst mich in Verlegenheit, mein lieber Freund. Es mag schon sein, dass meine Ohren in einer Schänke einen dieser weinseligen Gesänge vernommen haben, aber gemerkt habe ich mir weder Text noch Melodie. Mir fällt gerade einfach kein passendes Liedchen ein.“
„Der Lindenbaum? Wohlauf, die Luft geht frisch? Oder zum Beispiel das Mühlenrad? Wenn Ihr nur die erste Zeile anstimmt, so werde ich sicher gleich mit einfallen.“
„Damit tust Du Dir keinen Gefallen, Gevatter. Meine Stimme ist nicht zum Singen geschaffen und meiner Musikalität wäre geschmeichelt, wenn man sie mit der einer läufigen Katze im Mondenschein vergliche. Glaub mir, es klänge fürchterlich. Gibt es denn nichts anderes, womit ich Dein Herz bewegen könnte, das Tor für mich zu öffnen?“
„Im Moment wünsche ich mir tatsächlich nichts Anderes. Nun?“
„So langsam wird mir hier draußen kalt und ich muss zugeben, dass ich anfange, ein klein wenig verärgert zu sein. Ich weiß, jeder guten Tat folgt ihre Bestrafung in Bälde. Aber hätte ich denn die arme Frau in Ruhe ihrem Schicksal überlassen sollen, nur um rechtzeitig unbehelligt durch das Tor gehen zu dürfen? Nun mach schon auf und wir lachen gemeinsam darüber auf Deiner Seite des Tores.“
„Seht diese bescheidene Bitte nicht als Willkür eines niedrigen Wächters, nein. Aber ich kenne Euch nicht wirklich und bin für das Wohl der Stadt verantwortlich, zumindest für diese Nacht. Singt mir ein klein wenig vor und ich kann getrosten Herzens behaupten, dass ich keinen Arg in Euch erkennen konnte.“
„Du willst mich also wie einen Narren hier draußen stehen und ein dummes Liedchen trällern lassen?“
Der Fremde streckte sich ein wenig und nun erschien er nicht mehr wie ein simpler Reisender, der sich als schmeichlerischer Schreiber durchs Leben schlagen musste, sondern wie ein stattlicher Adliger, der es gewohnt war, dass man seinen Anordnungen Folge leistete.
„Dann will ich Dir verraten, dass ich in Wahrheit ein Graf bin. Ich bin inkognito unterwegs, was heißen soll, dass ich so einem – wie hast du es genannt? – niedrigen Wächter keine Rechenschaft schuldig bin oder ihm gar meinen wahren Namen, geschweige denn meine Absichten auf die Nase binden werde, bloß damit er am frühen Morgen zum Gewäsch der Waschweiber seinen Beitrag leisten kann. Öffne nun das Tor!“
„Seht Ihr, werter Herr, da stecken wir beide nun in einer Zwickmühle: ich kann nicht auf das bloße Wort eines Fremden darauf vertrauen, dass er derjenige ist, als welcher er sich ausgibt. Das soll beileibe keinen Zweifel an Euren Worten darstellen, jedoch brauche ich einen Beweis, einen Beleg für Eure edle Abstammung. Und Ihr könnt Eure Anonymität nicht wahren, ohne Euren wahren Namen preiszugeben.
Singt doch einfach ein paar Töne und ich lasse Leif Urz, den Brautwerber herein.“
„Selbst wenn ich Dir meinen wahren Namen verriete, wirst Du wohl auf einen handfesten Beweis pochen, anstatt mir sofort zu öffnen. Von Deinem törichten Ansinnen mich zum Singen zu bewegen mal abgesehen.
Aber wenn wir gerade von handfesten Beweisen sprechen... Würde eine Handvoll Goldmünzen Dich davon überzeugen, dass ich die Wahrheit spreche? Nur ein Adliger könnte derart verschwenderisch mit seinem Gut umgehen. Und Du dürftest die Münzen natürlich zur näheren Begutachtung behalten.“
Die Hand des Fremden glitt in seine Geldbörse am Gürtel – erst jetzt bemerkte der Wächter die kunstvolle, mit Perlen bestickte Börse – und kam mit einem halben Dutzend Goldmünzen wieder zum Vorschein. Das Gold glänzte und gleißte verführerisch im Fackelschein.
Der Wächter musste schlucken. Ein derartiges Vermögen verdiente er in zwei Jahren nicht.
„Das ist wohl ein hübsches Sümmchen. Aber... ich kann Euch dafür nicht hereinlassen. Wenn der Hauptmann der Wache davon erfährt – und wenn ich soviel Gold besäße, erführe er davon – droht mir der Galgen und mehr. Abgesehen davon, dass Ihr mich nicht zu Unrecht im Nachhinein der Bestechlichkeit oder gar Erpressung zeihen könntet. Ein Liedchen, das ist harmlos. Und seid ihr wirklich ein Graf, so kann ich vergnügt in meiner Erinnerung behalten, dass ein Adliger für mich gesungen hat. Seid Ihr’s nicht, nun... so habe ich an dem Lied nicht weniger meine Freude gehabt.“
Die Münzen schimmerten noch eine kleine Weile auf der Hand, bevor der Fremde das Gold mit einem abschätzenden Blick auf den Wächter wieder in seine Börse gleiten ließ. Dann trat der Fremde ganz dicht an die Sprechluke. Das ehemals freundliche Gesicht verzerrte sich und seine Augen schienen zu glühen. Die angenehme Stimme verschwand und eine andere, furchtbare Stimme war in den Ohren und im Herzen des Wächters zu hören.
„Ich könnte Dich zerquetschen wie ein lästiges Geziefer. Du würdest unvorstellbare Schmerzen erleiden und darum betteln, mir das Tor aufmachen zu dürfen, nur damit die Pein endet. Du weißt das, ich fühle, wie Dein armseliges Herz in deinem schwächlichen, alten Körper vor Angst rast. Ich gebe Dir eine letzte Chance: öffne das Tor, oder ich verbrenne Dich und Deinesgleichen bei lebendigem Leibe und erzwinge mir den Weg in die Stadt ohne Deine Zustimmung mit Gewalt.“
Der alte Mann auf der Innenseite des Tores schlotterte am ganzen Körper. Aber seine Stimme klang fest.
„Nein. Wenn das in Eurer Macht stünde, hättet Ihr das schon längst tun können. Aber Ihr braucht jemanden, der Euch freiwillig das Tor öffnet. Selbst wenn Ihr mich tötet, wird Euch niemand ohne Weiteres einlassen. Ich bin der Torwächter, und ich lasse Euch nicht herein, wenn Ihr nicht gesungen habt.“
Der Fremde trat von der Pforte zurück und er erschien wieder ganz normal, bis auf die hasserfüllten Augen, welche immer noch ein leichtes Glühen zu beherbergen schienen.
Dann wandte er sich abrupt ab und verschwand mit schnellen Schritten im Dunkel.
Der Wächter starrte noch lange in die Dunkelheit und wandte sich dann wieder um. Er konnte sich täuschen, aber die Fußspuren Leif Urz’ hatten fast so ausgesehen, als wäre der eine Fuß menschlich und der andere der eines Pferdes. Aber bei den vielen Trittspuren im Staub war es einfach, sich zu irren.
Nach einer Weile fing er an zu summen, schließlich brach sich ein Lied seine Bahn:
„Viele, viele, viele, viele Künste, viele Künste kann der Teufel.
Aber singen, aber singen, aber singen kann er nicht.“
 
Wie immer super, Tomgrenn :top:
Vor allem, wie du die Spannung bis zum Ende aufrecht hälst, obwohl man sich die Identität des Reisenden schon nach dem 1. Drittel zusammenreimen kann.
Du hättest ihn Kreide fressen lassen sollen, das wäre der einzige Weg, die Story noch besser zu machen. :clown:
 
Wo man singt, da lass dich nieder;
denn böse Menschen haben keine Lieder!


Zwischendurch knickte der Spannungsbogen ein und ich fragte mich womit du den Leser denn noch voll seuseln wolltest, aber zum Ende hin wurde es wieder interessanter.
 
Zuletzt bearbeitet:
Mmmm ... interessant, lest sich etwas anstrengend, aber gut :top:

lg
faxi
 
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