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[Story] Der Aufstieg

dedelizzy

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28 November 2006
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Liebe Gemeinde,
Hier ist eine Geschichte, die ich gerne mit euch teilen würde. Es entstand vor Kurzem, als mir einfach danach war, etwas zu schreiben und ich hoffe es gefällt euch. Ein kleiner Teil aus dem Diablo-Universum und ich freue mich über jegliche Kritik und Anmerkung :)




Der Aufstieg

Übersicht

Blatt 1 ~ Die Erweckung
Blatt 2 ~ Das dunkle Mal
Blatt 3 ~ Blutmond
Blatt 4 ~ Visionen



Zwischenkapitel

Blatt 0 ~ Fragmente der Vergangenheit

***


Blatt 5 ~ Das harmonische Dorf an der Küste
Blatt 6 ~ Die Jagd
Blatt 7 ~ Die Vorahnung

Charaktere in den einzelnen Kapiteln WARNUNG! Spoilergefahr! Um euch zu schützen gibt es sozusagen ein "Spoiler im Spoiler" Das bedeutet, dass im "Spoiler" es jeweils weitere Spoilers zu den einzelnen Kapiteln gibt. Um sich den Spaß nicht zu verderben, nur den "Spoiler anschauen, wenn ihr mit dem Lesen auch bei dem Kapitel seid :) (Verständlich zusammengefasst: Das erste Mal könnt ihr bedenkenlos auf den "Spoiler"-Button klicken, ohne euch zu "spoilern" :))
Blatt 1
Piedro - Abendteurer
Albertus - Trinker, Begleiter
Rodrik - Söldner, Begleiter
Flynn - Säugling

Blatt 2
Piedro
Cecilia - Seine Frau
Flynn - Sein Sohn
Fremder

Blatt 3
Piedro
Cecilia
Fremder

Blatt 4
Flynn

Blatt 0
Imperius - Erzengel des Heldenmuts
Itherael - Erzengel des Schicksals

Blatt 5
Gerald - Jäger
Maria - Seine Frau
Darik - Sein Sohn
Flynn

Blatt 6
Flynn
Darik
Orphelia

Blatt 7
Flynn
Darik
Aspekt der Furcht

Blatt 1 ~ Die Erweckung

Der Tempel schien sehr alt zu sein. Niemand wusste, wann die Erschaffer dieses heiligen Schreins gelebt haben. Vielleicht vor hunderten – möglichweise aber auch vor tausenden von Jahren. Den Verzierungen am verwendeten Gestein zufolge wurde der Tempel zu Ehren jener erbaut, die lange vor den Nephalem gelebt haben. Doch wer jener war wird wohl für immer verborgen bleiben. Wind und Regen hatten gute Arbeit geleistet und trugen das Wichtigste, nämlich die eingravierten Schriften, ab. Auch die Pflanzen, die den Schrein überwucherten und für sich beanspruchten, machten das Herausfinden der Zugehörigkeit dieser wundervollen Architektur höchst…schwierig. Die Gruppe hockte neben einer umgekippten Statue und betrachtete das zerfallene Gesicht. Es schien merkwürdig, denn obwohl fast das komplette Antlitz vom Wetter abgetragen wurde, befanden sich winzige, aber auch Krater von beachtlicher Größe auf der Oberfläche. Fast so, als hätte jemand versucht, den Kopf dieser Statue mit einem Hammer zu zerstören, um an dessen Inhalt zu gelangen. Was befand sich darin? Vielleicht ein Schatz? Könnte möglich sein… Piedro, ein junger Abenteurer, erhob sich und betrachtete die andere Skulptur aus gräulichem Gestein. Anders, als die Liegende neben ihm war das andere Standbild einer Person nicht umgeschmissen worden. Sie war zwar stark von Efeu, die ihren Schatz nicht hergeben wollten, befallen und auch an ihr konnte man die deutlichen Anzeichen von Abbau durch Wetterbedingungen erkennen, aber Risse oder Einschläge besaß sie nicht. Zumindest keine Sichtbaren. Was immer hier vor Jahren geschah, es war höchst interessant…

Piedro war gerade fünfundzwanzig geworden, als er auf die Idee kam, eine Expedition durch den tiefen Dschungel zu machen. Von Gerüchten hatte dieser Narr gehört, dass es vor geraumer Zeit an manchen Stellen des Urwalds Brände gegeben haben soll. Er war jung, mutig, und besaß ein markantes Gesicht mit saphirblauen Augen. Doch das Einzigartige an ihm waren seine hellen Haare gewesen. Kurz, blond und leicht lockig an einigen Enden, war er etwas Besonderes gewesen in seinem Dorf. Nicht viele genießten dieses Privileg eines aussterbenden Merkmals und um genau zu sein, hat auch kein bekannter Vorfahr von Priedro je eine solche Haarfarbe gehabt. Nun, der junge Mann war nie stolz drauf gewesen, konnte sich aber auch nicht über die ganzen Komplimente, die er bekam, beklagen.

Das komplette Gegenteil war Albertus, der launische Trinker. Ungepflegt und stinkend besaß der ältere Kerl, der sich knapp vierzig Winter schätzen durfte, stets eine schlechte Stimmung. Wenn es nach ihm ginge brauchte das Sanktuario nur Wein und Weib um alle Menschen glücklich zu machen. Sein Gesicht war faltig und seine Haut unrasiert. Seine Kleidung war zerrissen, an manchen Stellen sogar zerfetzt und wies Flecken fragwürdiger Herkunft auf. Doch das Schlimmste war der Gestank gewesen, denn dieser Mann ständig mit sich trug. Es war ein Duftgemisch aus Alkohol und gewissen Fäkalien gewesen. Ähnlich dem Atem, den Albertus ausstieß. Nur das dieser noch eine leichte Note von Verwesung mit sich trug, die möglicherweise von dem fauligen Zahnfleisch stammte. Alles in allem war der Kerl kein wünschenswerter Geselle gewesen, und doch besaß er einen klaren Verstand.

Der letzte der Truppe, Rodrik, war ein Mann der Tat gewesen. Furchtlos, wie er sicher war, hatte er angeblich schon viele Schlachten überlebt. Er war ein Söldner gewesen und sein von Narben übersäter Körper bestätigte dies. Arme, Beine und selbst sein Gesicht waren Zeugnis grausamer Kriege gewesen. Ein Auge hatte er verloren und… seine Zunge. Ja, er war ein stummer Riese gewesen, aber dennoch ein Lieber und Hilfsbereiter. Er hatte von dem Vorhaben des jungen Piedros in einer Taverne gehört und hatte sich sofort auf seine Art und Weise bereiterklärt, an der Expedition teilzunehmen.

„Ich glaube hier ist der Eingang.“, rief der neugierige Piedro seinen Begleitern zu, ohne seinen Blick von der Finsternis abzuwenden, die sich als „Eingang“ in den Tempel herausstellte. Ein kurzes Brummen kam aus der Richtung von Rodrik, seine Art des Einverständnisses. Dann trat er näher und überreichte dem blonden Abenteuer seine Fackel. Das Feuer brannte lichterloh und versorgte die Gruppe mit noch mehr Hitze, obwohl es ohnehin schon warm genug in diesem verfluchten Dschungel war. „Nun, hier in der Nähe soll es gebrannt haben.“

„Ich hoffe nur, dass das Feuer nicht von irgendwelchen närrischen Jugendlichen wie dir angezündet wurde. Du weiß schon, um sich einen Spaß zu erlauben.“ Mürrisch blickte Albertus Piedro hinterher und schnatterte mit der Zunge. „Außerdem…angesichts des Zustands von diesem…Tempel würde ich sagen, er ist schon längst entweiht worden. Darin gibt es nichts Interessantes mehr. Vielleicht einen versteckten Weinkeller, aber Wein kann ich auch im Dorf bekommen.“

„Nein. Ich will dort rein. Dafür sind wir doch hier, nicht wahr?“ Piedro wirkte angespannt. „Zwar kann ich nicht versprechen, dass es du am Ende zu deinem Gold kommst, Albertus, aber ich kann spüren, dass sich in diesem Tempel etwas befindet… ich kann es hören…

„Nun, wenn Gold wirklich der Grund wäre, dann wäre ich erst gar nicht mitgekommen. Du alleine mit diesem stummen Nichtsnutz? Ihr überlebt doch keine zwei Tage…“ Langsam setzte sich auch Albertus in Bewegung, trat an dem zähneknirschenden Hünen vorbei und nährte sich als Erste den dunklen Eingang. „Was ist? Wollt ihr Wurzeln schlagen?“

***​

Im inneren des Tempels war die Luft kühl und trocken gewesen, der Gang karg und verformt. Nichts war zu hören, nur das Knistern der Glut der Fackel. Piedro ging voraus, gefolgt von Albertus und zu guter Letzt dem stummen Riesen. Schweigend folgten sie dem Vordermann. Das Feuer war das einzige Licht in der Finsternis, welches die Reisenden davor bewahrte, sich der Angst hinzugeben. Irgendwann hörte der Gang einfach auf und endete vor einer steinerden Wand. Vorsichtig ging Piedro mit der Fackel über das Gestein, in der Hoffnung er würde etwas finden, das möglicherweise auf dem ersten Blick unscheinbar erschien, aber den dreien dazu veranlassen könnte, ihre Forschung fortsetzen zu können. Doch er fand…nichts.

„Es ist…eine Sackgasse.“, seufzte der blonde junge Mann und trat bedauernd einen Schritt zurück. „Es tut mir leid, Leute, aber scheinbar hattest du Recht, Albertus. Es ist doch nur eine Ruine…“

Gerade, als sich Piedro umdrehte, ertönte ein leises Knacken. Die Steinwand ging knirschend auf und gab eine kleine Öffnung frei, die soeben Platz für eine Person bot. Die Höhle, die dahinter zum Vorschein kam, war komplett in Dunkelheit gehüllt. Erst, als der stumme Riese hineintrat und die erste Fackel an der Wand anzündete, wagte auch Piedro den ersten Schritt.

Die Luft in dem Raum war äußerst kalt gewesen. Fast schon eisig und ein Mann wie Piedro, der in warmen Klimagebieten aufwuchs, konnte sich noch nie mit Frost anfreunden. Sicher, die Abkühlung war für einige Momente angenehm gewesen, doch der junge Abenteurer mochte es dennoch mehr, wenn der Schweiß wie ein nasses Hemd an ihm klebte.

Vorsichtig tasteten sich Albertus und Piedro voran, folgten dem Hünen, der nach und nach sämtliche Fackeln in der kreisrunden Halle entfachte. Zunächst wandte Piedro seine volle Aufmerksamkeit auf den Weg vor ihm, um nicht zu stürzen, doch dann, als sich der Saal mit immer mehr Licht füllte, erkannte er schließlich, in was für einem Tempel er sich befand. Nein. Es war kein Tempel gewesen, die für Reisende bereitgestellt wurde, um Wind und Regen zu entkommen. Es war auch keine dieser anderen finsteren Gemäuer gewesen, wo sich am Enden eine Truhe befand – mit so viel Gold und anderen Schätzen, das ein Sterblicher wohl selbst beim Anblick den Verstand verloren hätte. Nein. Es war Grab.

Die Knochen jener Gefallenden lagen überall verstreut in der kalten Gruft und bedeckten den kompletten Boden. Piedro wusste nicht mehr, wann er das letzte Mal solch einen Ort betrete hatte, wo ihn seine Neugier doch des Öfteren an ähnliche Areale solcher Art lockte. Schlimmer als die Katakomben jener Kathedrale schien dieser tote, verlassene Ort unsichtbare Augen zu besitzen, die einem aus den finsteren Ecken anstarrten. Zitternd näherte sich der junge Kerl den Knochen, trat vorsichtig durchs Gebein und nährte sich der Mitte des Raumes.

Dort befand sich ein achteckiges Plateau, eine Art Tribüne, welches mit tiefschwarzen Obsidianplatten besetzt war. Das feingeschliffene Vulkangestein war das Ergebnis von perfekter und nahezu makelloser Handarbeit, welches für die Bewunderung sprach, die sich in den Augen der drei Reisenden wiederspiegelte. Jede Platte lag dem Anschein nach exakt synchron zu den benachbarten Platten und spiegelten den Raum wieder, jedoch – je nach Stand der Person, der auf die dunklen Obsidiansteinen blickte - als ein ganzes, komplettes Abbild oder als hunderte, leicht verschobene Portraits. Aber egal, aus welcher Sicht man sah, ein runenartiges Symbol bildete stets das Zentrum des Ganzen.

„Bei den hohen Himmel…“, flüsterte Albertus, der hinter Piedro trat und zitternd seine Finger auf die schwarzen Platten legte. „So etwas, …habe ich noch nie –“

Er verstummte, als ein seltsames Geräusch zu vernehmen war. Es war ein Schrei gewesen. Kein Gewöhnlicher, mehr das Kreischen eines…Säuglings. Sofort wandte sich Piedros Aufmerksamkeit auf eine kleine Halle, die er eben noch für eine Art Abstellkammer hielt. Von dort kam das Geräusch.
Stille.

Sein Atem wurde schneller und sein Herz schlug ihm bis zum Hals. Sein Puls begann zu rasen und Piedro fürchtete, dass seine Adern jeden Moment vor Anspannung reißen könnten. Langsam näherte er sich der winzigen, in seltsamer Finsternis eingehüllten Nische, aus der jedoch ein seltsames Licht kurz aufflackerte.

„Warte!“, rief Albertus, doch verstummte dieser, als Piedro ihm ein Handzeichen gab.

Es war ein Kind gewesen, nackt und eingehüllt in einer Art Decke. Sanft lutschte es an einem Finger und strich sich dann kurz mit seinen kleinen Händchen durchs Gesicht. Seine Augen waren geschlossen, aber dennoch fuchtelte es mit seinen Gliedern, als könnte es bereits die Welt sehen. Vorsichtig kniete sich Piedro hin und nahm das Kind an sich, das einige Male ein helles Geschrei von sich gab.

„Eine kräftige Lunge!“, lachte der junge Mann. „Seht! Es ist ein Junge!“

„Bei allen Heiligen… lass uns von verschwinden!“, befahl der alte Trinker.

„Und das Kind? Wir können es doch nicht einfach hier lassen!“ Piedro hob den Säugling in die Luft um es genauer betrachten zu können. Ein Amulett hing an seinem Hals, geziert mit einer Art Schwert oder Lanze, die nach oben zeigte. Sonst war nichts Auffälliges zu erkennen, bis auf eine winzige Narbe in der Nähe der Brust. Das Kind schrie, als würde es Angst bekommen und sofort umwickelte Piedro es wieder mit der warmen Decke.

„Woher weiß du, dass es ein Mensch ist? Bei den Göttern! Ich hoffe, das ist nur ein Alptraum!“

„Egal, was es ist. Es ist hilflos und ein hilfloses Kind werde ich nicht zurücklassen.“ Plötzlich öffnete es seine Augen - wenn auch nur leicht. Zwei smaragdfarbene Juwelen sahen zu Piedro auf. „Ich weiß nicht, woher du kommst, kleiner Mann, vielleicht ist es aber auch nicht wichtig, doch dieses kalte Grab soll nicht dein zu Hause werden. Ich nenne dich Flynn, und du wirst bei mir wohnen.“
 
Zuletzt bearbeitet:
Spannender Anfang.

Hier werd ich auf jedenfall wieder reinschauen xD
 
Danke :) Das freut mich. Ich stellen dann mal den nächsten Teil rein. Hoffe, es liest sich einigermaßen gut^^



Blatt 2 ~ Das dunkle Mal

7 Jahre später…

„Ich will es aber noch einmal hören!“ Zynisch klopfte Flynn mit dem einen Ende seines Brotmessers auf den Holztisch und wunderte sich, warum der Klang immer tiefer wurde, obwohl er das Silberstück doch härter gegen den Tisch stieß.

„Jetzt hör aber auf, Flynn!“, rief Cecilia leicht entnervt. Sie war eine außerordentliche Frau gewesen. Zwar hätte sie am liebsten das Besteck aus den Händen ihres Sohnes gerissen, doch konnte sie es nicht. Egal wie leidenschaftlich – aber auch störend – die Neugier des kleinen Flynns war, Cecilia konnte ihm nie böse sein. Dafür liebte sie ihn zu sehr.

„Dann erzähl mir die Geschichte!“, protestierte der kleine Junge.

„Nun gut.“ Kurz verdrehte Cecilia die Augen und seufzte, um sich etwas Zeit zu lassen. „Schau, da war dein Papa, und der alte Stinkfuß -“

„Der alte Stinkfuß?“, wiederholte Flynn sichtlich interessiert.

„Ja, der alte Stinkfuß. Du weißt schon. Albertus.“ Kurz legte sie eine Pause ein, um sicher zu stellen, dass ihr Junge auch mitkam. „Jedenfalls waren da dein Vater, der stinkende Albertus und Rodrik.“

„Rodrik?“

„Jetzt hör aber auf mit den Fragen, Flynn! Du hast doch heute Morgen noch mit ihm herumgeturnt.“ Cecilia furchte die Stirn. Abermals gab sie ein Seufzer von sich. Manchmal war die Neugier ihres Sohnes eine Geste der Niedlichkeit gewesen, aber es gab auch Momente wo diese unbändige Wissensbegierde ihr tierisch auf den Geist ging. „Schau, die waren in einer Art Ruine gewesen – also einige eingestürzte Häuser, wo früher einmal Menschen gewohnt haben…“

„Gab es dort auch Fledermäuse?“

„Bestimmt. Und eklige Spinnen auch. Aber sie machten deinem Vater keine Angst. Bewaffnet mit seinem Schwert kämpfte er sich durch diese Biester und fand schließlich diesen Anhänger.“

„Papa ist ein Held!“, rief der kleine Flynn und hob das Amulett um seinen Hals hoch, um es abermals grinsend zu betrachten. Seine kindlichen Backen strahlten vor Freude.

„Was erzählst du da schon wieder, meine Liebe? So toll bin ich nun auch wieder nicht.“ Piedro trat sanft an seine Frau heran, umklammerte ihren Bauch von hinten und gab ihr dann einen liebevollen Kuss. Dieser wurde sogleich erwidert, was dazu führte, dass sich der kleine Flynn widerwillig die Augen zu hielt. „Flynn, geh draußen spielen.“

„Okay.“

„Was ist los?“, fragte Cecilia und fuhr ihrem Mann durchs blonde Haar. Die vergangenen Jahre zeigten Wirkung, sowohl an Piedros Haaren, als auch seiner Haut. Die Haare waren nicht mehr strahlend, sondern leicht verdunkelt und die Haut wies erste Falten auf, besonders im Bereich der Stirn. Auch seine Augen wirkten müde und erschöpft, als hätte der ehemalige Schönling seit Tagen nicht geschlafen. „Du wirkst sehr angespannt.“

„Es geht um Flynn. Jeden Tag mache ich mir Gedanken darüber, dass er es herausfinden könnte. Ich liebe ihn, wie mein eigener Sohn, doch irgendwann müssen wir es ihm doch sagen.“

„Piedro, er ist unser Sohn und nichts wird das ändern. Vielleicht hast du Recht und wir müssen es ihm eines Tages sagen, aber noch ist der Zeitpunkt nicht da. Er ist noch zu klein, um das zu verstehen. Er ist noch nicht…bereit.“

„Ist er oder sind wir noch nicht bereit?“, hakte Piedro nach.
Darauf gab gab seine Frau keine Antwort, sondern drückte ihm lediglich einen weiteren Kuss auf die Lippen. Dann löste sie sich von seinem Griff.

***​

Draußen auf dem kleinen Hof von Piedro war es nicht sonderlich spannend gewesen, zumal der kleine Flynn sich dort bereits bestens auskannte. Die vereinzelten Hühner, die dort herumliefen und die Familie mit Eiern versorgten, die eine Kuh und die zwei Ziegen, die sich im Schein der prallen Sonnen müde ins Gras gelegt hatten, konnten schon längst nicht mehr das Interesse des neugierigen Jungen aufs Neue erwecken. Fast hatte Flynn bereits daran gedacht einen kleinen Ausflug zum Markt des Dorfes zu machen, denn dort gab es sicherlich doch Dingen, die er nicht kannte, aber Piedro hatte es ihm verboten ohne Begleitung sich vom Hof zu entfernen. Manchmal kam der alte Albertus mit. Auch wenn sich dieser zusammenreißen musste, dem Jungen keinen Alkohol anzubieten, und ihm eigentlich die lästigen Fragen des kleinen Jungen nervten, mochte der Säufer den kleinen Blondschopf. Nun…zumindest etwas.

Gelangweilt hatte sich Flynn ins Heu gelegt und sah verträumt in den Himmel. Die Wolken schien nun die volle Aufmerksamkeit zu bekommen. Es gab Große und Kleine, Runde und Ovale. Manche sahen auch aus wie Blumen, oder Tiere oder wie das Huhn Bianca, die nun leicht an Flynns nackten Füßen piekte.

„Mhm…“, murmelte er, als dieser darüber nachdachte, wie es wohl darüber hinaus aussehen könnte. Instinktiv griff er nach seinem Amulett und besah sich die Seite mit dem eingravierten Schwert. Es zeigte hochhinaus. In den Himmel.

Komm her…, flüsterte eine seltsame Stimme. Flynn richtete sich auf und musterte verwirrt seine Umgebung. Bis auf Bianca, das Huhn, war niemand zu sehen. Gelassen legte er sich wieder hin und schloss die Augen, um weiter vom Himmel und seine Wolken zu träumen.

Hörst du mich! Komm her… Nun klang es mehr wie ein Befehl, als eine Bitte. Doch Flynn reagierte nicht, sondern kniff genervt seine Augen nur noch fester zusammen.

Du kleiner Dämon!, hämmerte es in seinem Kopf, und als sich plötzlich etwas über Sonne schob, öffnete Flynn schließlich seine Augen. Dort stand eine verhüllte Gestalt in einer schwarzen Kutte und eine dunkle Kapuze zierte sich über den Kopf. Mehr als das halbe Antlitz des Mannes blieb in der Dunkelheit verborgen und versteckte das möglicherweise entstellte Gesicht des Fremden. Langsam streckte er seine Hand aus und strich über die weiche Haut von Flynn. Seine Finger waren kalt, knochig und die überspannte Haut so trocken wie Pergament.

„Wer bist du?“, fragte Flynn mit einem leichten Wimmern. Er zitterte, machte aber nicht den Anschein, als würde er nach seinen Eltern rufen.

Der Fremde gab ihm auf die Frage keine Antwort, sondern lediglich ein finsteres Lächeln. „Hier bist du also… Ich habe gewusst, dass du hier bist. Unter uns.“ Langsam wanderten seine Finger zu einem Messer, das an seinem Gürtel hing. Schließlich hielt dieser die runenverzierte Klinge leicht an die Kehle des kleinen Jungen. „Du wirst uns nicht mehr täuschen.“

„Wo- wovon redest…du? Ich kenne dich nicht. Lass…mich… in RUHE!“

Ein Schrei ertönte.

„Was war das?“ rief Cecilia ihrem Mann zu. „Kam es vom Hof? Oh nein, Flynn!“ Wahnsinnig vor Sorgen stürzte die junge Mutter aus dem Haus und lief zum Hinterhof. Widerwillig ergab sie sich beim Anblick des Geschehens.

Überall war Blut, stinkendes Blut. Neben dem karmesinrot gefärbten Heuhaufen lag ein lebloser Körper, dessen Kopf sauber vom Rumpf abgetrennt wurde. Auch sämtliche Glieder fehlten dem glücklosen Mann, dessen Eingeweide wie Würmer aus dem Bauch herausströmten. Erneut übergab sich Cecilia, nun jedoch, als sie den blicklosen Kopf des Mannes vor ihren Füßen fand. Der Schädel war gebrochen, die Augen herausgerissen und sämtlicher Inhalt floss aus ihrer zersprengten Schale.

„Bei den Himmeln…was ist hier geschehen?“ Piedro umklammerte seine Frau und zog sie fest an sich. „Flynn…wo ist er?“

Neben dem Entweihten und in Blut getauft lag der kleine Flynn. Seine Augen waren verschlossen, jedoch mit Blut getränkt. Cecilia stürzte sich auf ihren Sohn und hielt ihn weinend in ihren Armen. Auch Piedro kniete sich neben seiner Familie und umschloss diese. Keiner sprach.

Langsam öffnete Flynn seine Augen. „Ma…Mama...? Darf ich jetzt bitte aufwachen?“

Weinend sah Cecilia ihrem Sohn in die Augen. „Ja! Ja, du darfst!“
 
Zuletzt bearbeitet:
Und die hier ist jetzt auch in unserer Storyliste zu finden...
 
Danke :) Hier ist mal eine kleine Fortsetzung:



Blatt 3 ~ Blutmond

3 Wochen später…

Nachdem Piedro und seine Frau zu Bett gegangen waren, redeten sie noch bis tief in die Nacht hinein. Sie schmiedeten Pläne, wohin sie gehen könnten und wie sie ihr neues Leben meistern würden. Seit dem Ereignis vor knapp einem Monat ist nichts mehr so, wie es einmal war. Zwar gab Flynn stets Wohlbefinden an, doch jeder Mensch konnte das Trauma in seinen Augen sehen. Der blonde Familienvater, der längst nicht mehr jener abenteuerlustige Narr war, hielt seine Geliebte in den Armen und gab vor, mit neu erwachter Begeisterung in die Zukunft zu blicken, doch sein Inneres war wie ein einziger Klumpen aus Blei. Ein Gefühl der Ausweglosigkeit hielt ihn gefangen, und mit dieser Empfindung schlief er am Ende auch ein.

Ein leichtes Wimmern weckte Piedro aus seinem Schlaf. Es war wie ein hilfloses Flüstern gewesen, fast wie das Weinen eines Kindes. Müde rieb er sich den Schlaf aus den Augen und merkte, dass es noch Nacht war. Von draußen drang kein Licht hinein und auch im Zimmer war es stockfinster gewesen. Neben ihm, wo eigentlich seine Frau Cecilia liegen sollte, befand sich lediglich ihre Decke. Verwirrt ging er mit seinen Fingern drüber und bemerkte, dass der Stoff kalt war. Scheinbar war sie schon länger weg…

Plötzlich ertönte aus einem anderen Zimmer ein sonderbares Geräusch. Ein kurzes …Stöhnen…Es kam aus der Küche. Rasch erhob sich Piedro aus dem Bett, schritt aber dennoch langsam durch die Dunkelheit, um nicht über irgendein herumliegendes Objekt zu stolpern. Während sich seine Augen langsam an die Schwärze gewöhnten, machte er eine schockierende Entdeckung. Auf dem kalten Boden lag Cecilia und das Einzige, was sie von sich gab, war ein qualvolles Gurgeln.

„Cecilia?!“ Voller Panik kniete sich Piedro neben seine Frau hin.

Sie antwortete nicht, doch ihre Hand krallte sich für einen Moment in seinen Arm, dann fiel sie schlaff wieder herab.
Piedro sprang auf, zog die Gardine beiseite und lies fahles Mondlicht hinein. Als er sich wieder dem Boden zuwandte, sah er seine Frau, die ihn mit weit aufgerissenen Augen anstarrte. Blut sprudelte aus ihrer aufgeschlitzten Kehle. Sie röchelte noch ein weiteres Mal, dann siegte der pumpende Blutfluss.

Wie erstarrt blickte Piedro in die eisige Stille, als könnte er das grausige Ereignis vertreiben, das sich vor seinen Augen abspielte. Doch der Anblick blieb derselbe. Seine Frau, die aufgeschlitzt in ihrem eigenen Blut lag.

Die Luft roch metallisch und der Hauch des Todes füllte seine Lungen. Bevor er sich bewegen konnte, spürte er eine kalte Klinge an seiner Kehle. „Sag uns, wo der Junge ist oder du endest wie sie.“ Piedro blickte durch den Raum und bemerkte vier kuttentragende Silhouetten. Abgesehen von einer Gestalt waren alle Gesichter durch eine finstere Kapuze verdeckt worden und boten in keinem Fall auch nur einen Anblick auf das, was sich darunter befand. Jener, der sich scheinbar nicht scherte entdeckt zu werden, war ein älterer, kahlköpfiger Mann gewesen. Lächelnd trat er auf Piedro zu.

„Hör gut zu, junger Mann. Du weißt nicht, worauf du dich eingelassen hast. Widersetze dich nicht. Gib mir das Kind und ich verspreche dir, dass du deine Frau wiedersehen wirst.“ Seine Stimme klang kalt, aber dennoch…vertrauenswürdig…

Moment! Wenn sie sagen, dass sie nach Flynn suchten, musste es zwangsläufig bedeuten, dass sie ihn noch nicht befunden haben. Piedro erinnerte sich an das Wimmern aus dem Schlafzimmer. Irgendwo dort musste sich der kleine Junge also versteckt haben. Das war der Moment, als etwas in ihm zerriss. Er packte die Hand, die das Messer gegen seinen Hals drückte, und drehte brutal das Gelenk um, bis er Knochen knacken hörte. Der Mann hinter ihm stieß einen schmerzerfüllten Schrei aus, während Piedro herumfuhr und ihn mit einem Fausthieb überwältigte.

Viel Zeit sich über den winzigen Sieg zu erfreuen blieb dem Familienvater nicht, denn ein silberner Dolch zischte durch die Luft, fraß sich leicht durch Piedros Fleisch und hinterließ an der linken Gesichtshälfte eine blutige Wunde. Doch nun musste sich dieser zusammenreißen. Wütend packte er den Arm des Angreifers, führte seinen nächsten Angriff ins Leere und rammte ihm das Knie in den Bauch. Jammernd ging auch dieser zu Boden.

Plötzlich erstarrte Piedro. „Ich habe doch gesagt, dass du dich nicht widersetzen sollst…“ Die Stimme des Kahlköpfigen wurde eisig und vom Grinsen auf dem Gesicht war nichts mehr zu sehen. Er hielt eine Handfläche offen an Piedro gerichtet und murmelte etwas auf einer Sprache, die lange nicht mehr gesprochen wurde. Scheinbar von der Magie besessen fingen Piedros Beine an, sich von selbst fort zu bewegen. Gegen den Willen des blonden Familienvaters bewegten sie sich Richtung Schlafzimmer. Kurz vor dem Bett blieb er schließlich stehen. Noch immer konnte sich Piedro nicht bewegen und auch das Atmen fiel ihm langsam immer schwerer.

„Nun frage ich dich noch einmal, wo ist das Kind?“

„Von mir … wirst du es niemals erfahren!“

„Nun… Ich muss gestehen…“, sprach der Fremde, hob dabei die andere Hand und richtete auch diese gegen Piedro. „ich bin gerührt von deiner Liebe zu diesem Kind, aber scheinbar bist du doch nichts weiter als ein Narr, der seine Grenzen nicht erkennen will.“ Seine Lippen bewegten sich, doch konnte Piedro nicht hören, wovon er flüsterte. Hunderte, kleine, leuchtende Sphären materialisierten sich über ihm und formten mit der Zeit dolchartige Geschosse, die sich schließlich lautlos in sein Fleisch bohrten.

Sein Blick trübte sich bereits, die Umrisse des Fremden verschwammen zusehends vor seinen Augen. Nachdem schließlich auch die letzte durch Magie geformte Klinge sich in seinen Körper gefressen hatte, fiel er leblos wieder auf sein Bett. Dunkelheit brandete von allen Seiten auf ihn ein, dennoch zwang er sich, die Augen zu öffnen.
Ein leises Wimmern ertönte – unter ihm.

Piedros Augen wurden starr wie die einer Puppe und sein Gesicht bleich wie der Mond, aber dennoch zierte ein winziges Lächeln seinen Gesichtsausdruck. Er erinnerte sich an den Tag, wo er Flynn fand, an den ersten kraftvollen Schrei, den sein Sohn von sich gab, an die ersten Schritte, die er ging und an das erste Mal „Papa“, das er rief. Piedro hätte gerne sich bei seinem Sohn bedankt. Für all die Zeit und die Liebe, die er ihm schenkte. Er verwandelte den abenteuerlichen Draufgänger in einen ruhigen Familienmensch, der lernte, für seine Taten Verantwortung zu übernehmen. Am Ende jedoch, starb er zumindest mit dem reinen Gewissen, dass diese Fremden, wer immer sie auch waren, seinen Sohn niemals finden würden.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich muss sagen, die Story gefällt mir sehr gut. Hat mich heut im Unterricht zu einigen peinlichen Situationen gebracht, wo ich nicht wusste was ich antworten sollte, weil ich in deine Geschichte vertieft war :D
 
Ich muss sagen, die Story gefällt mir sehr gut. Hat mich heut im Unterricht zu einigen peinlichen Situationen gebracht, wo ich nicht wusste was ich antworten sollte, weil ich in deine Geschichte vertieft war :D

Haha, dann kommt hier der nächste Unterrichtskiller :D :flame:



Blatt 4 ~ Visionen

Tropf…Tropf…Tropf…

Flynn kniff seine Augen zusammen, um zu hoffen, dass das, was sich eben vor seinen Augen abspielte lediglich ein Schauspiel seiner Fantasie war. Doch egal wie sehr er sich anstrengte, und trotz der völligen Finsternis, die ihn umhüllte, konnte er die Bilder vor seinen Augen sehen. Die eiskalte Klinge zischte durch die Luft, schnitt sich mühelos durch die Kehle seiner Mutter und beendete für immer ihr Leben. Flynns Kopf dröhnte vor Schmerzen, ausgelöst von der Wut über sich selbst, dass er nicht tapfer genug war, um seine Mutter zu beschützen. Zähne knirschend grub er seine kleinen Finger in die Stirn, in der Hoffnung, sie würden seine Qualen lindern, doch vergeblich. Es schien, als läge sein Kopf auf einem Amboss auf dem ein Hammer ständig niedersauste. Er wollte schreien, doch keine Stimme entwickelte sich. Er wollte weinen, doch keine Träne bildete sich. Er wollte wüten, vor Zorn, doch auch dieser verblasste langsam und wurde zu einem Mantel aus tiefster Trauer.

Tropf…Tropf…Tropf…

Langsam öffnete er seine Augen. Noch immer war es still gewesen. Die Männer waren fort. Sie hatten ihn nicht gefunden. Er hatte sich unters Elternbett versteckt, kurz, nachdem man seine Mutter aufgeschlitzt hatte. Nun war auch sein Vater tot – direkt über ihm. Flynn erkannte trotz der Schwärze, dass sich die Matratze, auf dem sein Vater lag, sich immer dunkler färbte. Etwas lief der Wange des kleinen Jungen hinunter. Es war keine Träne, nein, es war Blut. Es war das Blut seines Vaters.

„Papa…“, wimmerte er, schloss seine Augen und schlief ein.

Im Traum sah er auf niemanden, nein, es schien, als würde er aus den Augen von „jemandem“ blicken. Unter ihm war ein Schlachtfeld, getränkt mit dunklem Blut. Überall lagen abgetrennte Schädel, zerfetzte Gliedmaßen und durch spießte Kadaver von grotesken Kreaturen, die Flynn noch nie gesehen hatte. Aber auch sonderbare, menschenähnliche Gestalten befanden sich unter den Leblosen. Sie trugen Rüstungen, leuchtende Rüstungen. Jedem von ihnen umgab eine strahlende Aura und mitsamt ihrer Körper wurden sie ein Teil vom Licht, sobald die funkelnde Sonne sie mit ihrem Licht und ihrer Wärme einschloss.

“Wo bin ich…“ Ertönte es aus dem Kopf. Aus seinem Kopf…

Plötzlich begann die Erde zu beben, und dann…spaltete sie sich. Vier monströse Klauen streckten sich aus dem finsteren Riss, gefolgt von zwei spitzen Hörner, die sich auf dem Kopf einer bestialischen Kreatur befanden, dessen Antlitz dem kleinen Flynn innerlich zutiefst erschütterte. Der Dämon erhob sich nicht gänzlich aus der Erde, sondern blieb mit dem Unterleib im Verbogenen. Dennoch, das Wesen besaß mindestens die Größe eines zweistöckigen Landhauses und übertrumpfte alles, was Flynn bis jetzt je gesehen hatte.

Langsam erhob es sein Haupt, sah in den glorreichen Himmel, wo Flynn sich befand und setzte zu einem markerschütternden Schrei. Dann herrschte wieder die gewohnte Stille. Ohne es kontrollieren zu können streckte Flynn seine in Rüstung verkleidete Hand aus und deutete auf die Bestie, worauf hunderte, menschenähnliche Krieger vom Himmel hinabstürzten. Sie waren majestätische Kreaturen gewesen, zogen beim Flug einen goldenen Schweif mit sich und funkelten wie herabstürzende Kometen.


***​

Das Feuer weckte den kleinen Flynn. Die Männer hatten das Haus angezündet, wahrscheinlich um Spuren zu beseitigen. Möglicherweise hatten sie vor, das ganze Ereignis wie ein Unfall aussehen zu lassen. Niemand würde bei den verkohlten Leichen – sollte überhaupt etwas von ihnen gefunden werden – den Verdacht entwickeln, dass die Familie von Piedro, ermordet wurde.

Flynn schluchzte und dachte noch kurz daran, wie er lieb er seine Mutter und seinen Vater hatte. Sie hatten für ihn ihr Leben geopfert. Der kleine Junge wusste, wie sehr sein Vater das Reisen liebte, welches er jedoch für ihn aufgab. Auch war ihm bewusst, wie sehr seine Mutter Lesen und Schreiben lernen wollte, es aber dennoch in den Hintergrund stellte, um mehr Zeit mit ihm verbringen zu können. Und nun waren sie tot, ebenfalls…seinetwegen.

„Du musst jetzt stark sein…“, sprach er zu sich.

Langsam kroch er aus seinem Versteck heraus, erschrak zunächst beim Anblick des leblosen Körpers, der einst sein Vater war. Der Leib war hundertfach durchbohrt worden, jedoch steckten keine Waffen oder Klingen mehr im Fleisch. Flynn wusste, dass er nicht hier bleiben konnte, denn sonst würde er entweder dem Feuer erliegen, oder seine innere Trauer würde ihn übermannen, was letztendlich auch dazu führen würde, dass er das brennende Haus nicht mehr rechtzeitig verlassen könnte. Nein. Er musste sich zusammenreißen und aus dieser Hölle verschwinden. Getrieben von Mut und Tapferkeit stürmte Flynn aus dem Schlafzimmer seiner Eltern hinaus und lief zur Eingangstür, doch diese war durch einen brennenden Balken versperrt. Seine letzte Hoffnung – ein offenes Fenster in der Küche, erwies sich schließlich als Fluchtmöglichkeit. Mit Mühe und Not kletterte der kleine Flynn auf die Fensterbank und sprang hinaus ins Freie.

Er rannte und rannte und rannte. Er sah nicht zurück, blickte auch kein einziges Mal zur Seite, sondern lief einfach – ohne Pause, ohne Rast. Der Dschungel war selbst in der Nacht voller Leben gewesen. Seltene Insekten summten fröhlich ihre Version vom Todeslied, als würden sie den kleinen Flynn auslachen. Doch ihm störte es nicht, er wollte nur weg – weg von dieser Hölle.

Als er am Fluss ankam, sackte er keuchend zu Boden. Seine Lunge rang nach Luft und sein Herz pochte so laut, dass Flynn befürchtete, es könnte jeden Moment explodieren. Seine kleinen Finger griffen zitternd ins kalte Wasser, schaufelten mühevoll einige Tropfen Wasser, die seine trockenen Lippen befeuchteten. Welch wunderbares Gefühl - erfrischend und erholsam zugleich. Für einen Moment schloss er seine Augen und genoss den wohltuenden Gesang der Geschöpfe der Nacht. Doch er wusste, er konnte hier nicht bleiben. Er war hier nicht sicher…das spürte er…

Voller Tatendrang erhob sich Flynn, wischte sich mit einer Hand rasch über seinen Mund und stieg dann vorsichtig ins Wasser. Wie tausend Nadeln bohrte die frostige Temperatur des Flusses sich in sein Fleisch und gab dem Jungen das Gefühl, er könnte jeden Moment zu einem Eisblock erfrieren. Auch die Strömung, die wie eine nicht zu bändigende Bestie an ihm riss, machte ihm das Überqueren nicht einfacher. Doch all das störte Flynn nicht. Er wollte einfach nur weg.

Plötzlich traten seine Füße ins Leere und die starke Strömung zog ihn mit sich. Er schrie und fuchtelte wie ein Wilder um sich, aber egal wie sehr er auch versuchte, er bekam keinen erneuten Halt. Seine Lunge fühlte sich mit Wasser und er konnte nichts dagegen tun. Langsam erschöpften auch seine Glieder und die müden Augen blickten starr ins Leere. Wie ein Leichentuch überzog ihn ein Schleier der Finsternis und dann wurde alles schwarz.
 
Bevor die Hauptgeschichte weitererzählt wird, kommt hier ein Zwischenkapitel, um euch den Hintergrund meiner Geschichte etwas näher zu bringen. Dieser ist relativ kurz und manchen wird es vielleicht bekannt vorkommen :D. Viel Spaß.


Blatt 0 ~ Fragmente der Vergangenheit

Über einen langen Flur gelangt man von den mysteriösen Gärten der Hoffnung in die Bibliothek des Schicksals – ein wahrhaftiges Meisterwerk der göttlichen Architektur. Sie bestand aus einer einzigen, gigantischen Halle, in der Mitte sich ein schwebendes, viereckiges Plateau befand, dessen Ränder abgerundet waren und sich zum Zentrum wölbten. Ausgelegt wurde die quadratische Tribüne mit weißem, feingeschliffenem Mosaikgestein. In der Mitte jedoch bestand der Boden aus durchsichtigem Glas, sodass man hinunter auf den Grund blicken konnte, der sich aus wirbelnder, blauer Energie zusammensetzte. Aus jeder Ecke des gewölbten Plateaus ragten zwei – insgesamt acht – goldene Säulen aus dem puren Mosaik heraus und spannten sich bis hinauf in den endlosen Himmel.

Die Wand der Bibliothek bestand aus Regalen, die sich scheinbar ebenfalls hochhinaus erstreckten und mit dem ewigen Licht verschmolzen. Darin befanden sich unzählige Bücher und Schriftrollen - jeweils eins für ein mögliches Schicksal, ein mögliches Ereignis, oder aber auch ein mögliches Geschehen. Leben, die geboren werden. Schlachten, die geschlagen werden. Welten, die vernichtet werden. All das waren Beispiele von Dingen, die in diesen Schriftrollen geschrieben stehen, doch wer sie verfasst hat, das wusste keiner…

Schritte hallten durch die glorreiche Bibliothek des Schicksals und kündigten ein majestätisches Wesen an, dessen Präsens selbst die brennenden Höllen erbeben ließ. Eine karmesinrote Rüstung schmückte die glanzvolle Erscheinung, auf deren Brustschild sich das wahre Symbol des Heldenmuts zierte: Das Abbild eines emporsteigenden Schwertes. Es war der Erzengel Imperius gewesen, der die stillen Hallen des Schicksals erzittern lies.

“Imperius…Was bringt dich zu mir?, fragte eine Stimme, deren Echo sich durch jeden noch so kleinen Winkel des Raumes vibrierte.

„ICH HABE VON DEINER VORRAUSSICHT GEHÖRT. DAS IST DER GRUND WARUM ICH DICH STÖRE.“ Der Erzengel blieb vor dem glasigen Boden der Tribüne stehen und lauschte dem Echo des Schicksals. Plötzlich begann die blaue Energie auf dem Grund zu toben, schossen hinauf und bildeten auf dem Glas einen wirbelnden Taifun, der langsam den Umriss einer engelhaften Gestalt formte. Schließlich materialisierte sich Itherael, Erzengel des Schicksals in seiner grauen Robe vor Imperius.

“Und?“

„UND? DAS DIAMANTTOR BESTEHT SEIT ANBEGINN DER ZEIT UND WURDE NOCH NIE DURCHBROCHEN! WIE KANNST DU BEHAUPTEN, DAS MEIN PRÄCHTIGES REICH DURCH DIE HAND EINES NEPHALEMS ZERSPLITTERN WIRD?“ Imperius Stimme war eindringlich und markerschütternd zugleich.

„Ein Ereignis wird aus den Strängen des Schicksals gebunden. Was ich gelesen habe, war lediglich eine mögliche Zukunft. In meiner Schriftrolle steht geschrieben, dass das oberste Übel durch die Hände eines Nephalems freigesetzt wird, aber…“

„ABER WAS?! VOR LANGER ZEIT SCHWOR ICH SANKTUARIO ZU ZERSTÖREN, DOCH DU, UND AURIEL, SOGAR TYRAEL, IHR GLAUBTET AN DIESE KREATUREN – GESCHMIEDET AUS DÄMONENBLUT! UND NUN HABT IHR WAS IHR WOLLTET!“

“Es sind aber auch unsere Kinder, Imperius.“

„ERSPAR MIR DEINE WORTE, ITHERAEL! ICH WERDE DIESE SÜNDE NICHT WEITER HINNEHMEN! IHR MÖGT DIE MACHT BESITZEN MICH DARAN ZU HINDERN, SANKTUARIO ZU VERNICHTEN, ABER DIE SOLDATEN DES HIMMELS BEFEHLIGE IMMER NOCH ICH UND ICH… WERDE NICHT TATENLOS ZUSEHEN, WIE DEINE VISION WAHRHAFTIG WIRD!“ Mit diesen Worten zerfiel Imperius zu Licht und verschwand aus der Bibliothek des Schicksals.

“Ich wusste, meine Worte würden seine Ohren nicht erreichen… Imperius, du magst mächtig sein, aber auch du wirst fallen. Das oberste Übel wird sich erheben und nur jener Nephalem, dessen Schicksal ungeschrieben ist, kann den Untergang der hohen Himmel verhindern.“
 
Blatt 5 ~ Das harmonische Dorf an der Küste

An einem idyllischen Ort nahe dem Sumpfland lag ein bezauberndes Dorf, das die Küste angrenzte. Auf der einen Seite lag der tiefe und unüberwindbare Dschungel und auf der anderen Seite tobten die Wellen der unendlichen Ozeane.
Das Dorf war nicht groß gewesen, aber für seine Verhältnisse gut ausgestattet. Die Bewohner des Dorfes waren überwiegend Fischer gewesen, aber auch die Jagd nach den Tieren, die den Dschungel mit Leben füllten, hielten die Einheimischen am Leben. Einer dieser Jäger war der braunhaarige Gerald gewesen, ein wahrhaftig mutiger und geschickter seiner Art. Stets mit Bogen und Pfeil ausgerüstet wusste er bereits seit seiner Kindheit, dass er in die Fußstapfen seines Vaters treten würde. Das Jagen war für ihn nicht nur eine Tätigkeit an Nahrung zu kommen, um so seine Familie zu ernähren, sondern es war auch seine Leidenschaft gewesen.

Er war knapp dreißig gewesen, als er eines Tages in der Nähe des Ufers einen bewusstlosen kleinen Jungen entdeckte. Sein Name war Flynn – wie er später von ihm erfuhr. Besorgt brachte Gerald ihn nach Hause und lies ihn von einer Heilerin untersuchen, die ihn die Tage darauf behutsam behandelte. Als Flynn endlich wieder zu sich kam, waren seine Erinnerungen nicht mehr als Fragmente der Vergangenheit gewesen. Bis auf seinen Namen war ihm nichts geblieben.
Gerald und seine Frau Maria hatten ein eigenes Kind gehabt. Nun – eigentlich waren es drei gewesen, doch zwei von ihnen, die Zwillinge waren, starben bei der schweren Geburt. Das letzte Kind, ein nun achtjähriger Sohn namens Darik, war ein kleiner Rabauke gewesen. Immer neugierig und voller Tatendrang war es wie vorbestimmt, dass eines Tages aus ihm ebenfalls ein meisterhafter Jäger wird.

Die Familie von Gerald war nicht reich gewesen, aber sie lebten gut von der Jagd. Wie ein Segen war es für den kleinen Flynn, als sie beschlossen ihn bei sich aufzunehmen und ihn zu lieben, als wäre er deren eigenes Kind gewesen.
 
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Blatt 6 ~ Die Jagd

13 Jahre später…

Flynn bückte sich schnell, damit das entlaufene Tier ihn nicht sah. In einer Lichtung hatte es sich das Wildschwein gemütlich gemacht und war sich scheinbar noch gar nicht über die Anwesenheit des Jägers bewusst. Ein gutes Zeichen. Vorsichtig zog Flynn einen Pfeil aus seinem Köcher, den er am Rücken trug und spannte damit den Bogen. Aus ihm war ein athletischer junger Mann geworden. Bis auf die Tatsache, dass sich seine Haare, die im Kindesalter noch strahlend blond leuchteten, nun etwas bräunlicher färbten und er jetzt einen kurzgeschnittenen Bart trug, hatte sich an Flynn nichts verändert. Immer noch mutig und neugierig.
Der Jäger wartete - auf den richtigen Moment. Jeder noch so winzige Fehler könnte die Arbeit der letzten Tage zunichtemachen. Er hatte lange gebraucht, um die Fährte des Tieres aufzunehmen und aufgrund seiner mangelnden Erfahrung mit dem Bogen war dem jungen Mann bewusst, dass selbst wenn er das Wildschwein finden sollte, er sich nicht sicher sein konnte, dass er ihn auch mit einem Pfeil erschießen könnte. Aber nun schien der Moment perfekt gewesen. Konzentriert hatte Flynn sein Ziel anvisiert, seine Finger zitterten nicht wie beim ersten Mal, als er einen Bogen in den Händen hielt, sein Atem war flach und gelassen und sein Puls raste nicht. Es würde ganz schnell gehen. Das Tier würde nicht leiden…

Doch dann kam alles anders. Wie aus dem nichts zischte ein schwarzer Pfeil durch die Luft und bohrte sich dann lautlos in die Seite des entlaufenen Wildschweins. Ein kurzes, schmerzhaftes Quieken ertönte, bevor das Tier schließlich leblos zu Boden sackte. Flynn verzog seine Miene, seufzte und trat aus seinem Versteckt.

„Ich habe dich doch gebeten, dich nicht einzumischen, Darik!“ Verärgert näherte sich der Jäger „seiner“ Beute, hockte sich hinab und zog den totbringenden Pfeil heraus. Der Schuss war sehr präzise gewesen, viel präziser, als einer von Flynn es jemals sein könnte. Schnell und wirksam durchbohrte er die Luftröhre und setzte das Leben des Wildschweins ein Ende.

„Du musst noch viel lernen.“, rief Darik, der grinsend aus seinem Versteck herauskam. Langsam trat er an Flynns Seite und gab ihm scherzend einen Klaps gegen den Hinterkopf. „Du hast zu lange gewartet, kleiner Bruder. Hätte ich nicht geschossen, würden wir auch heute ohne Beute nach Hause kehren müssen.“

Darik war ein Jahr älter als Flynn gewesen und im Gegensatz zu ihm war er der leibliche Sohn von Gerald und Maria. Er besaß kurze braune Haare, ebenfalls stechende grüne Augen, jedoch auch einen etwas dunkleren Hautfarbton als seinen Bruder, was möglicherweise daran lag, dass Darik sich generell auch oft am Strand wiederfand, wo er sich stundenlang gelassen in den Sand gelegt hatte, um sich von der Wärme der prallen Sonne zu erfreuen. Insgesamt war er auch der bessere Jäger gewesen. Zwar genauso hitzköpfig wie Flynn es war, aber seine Fertigkeiten sprachen für sich.

„Du hättest mir wenigstens den Versuch lassen können. Ich hatte ihn fast.“ Immer noch leicht genervt prüfte der jüngere der beiden Jäger das Gewicht ihrer Beute.

„Ein Versuch reicht aber nicht, kleiner Bruder. Ein Versuch füllt keine Mägen. Du musst dir sicher sein, dass du das Ding auch erlegst.“ Darauf antwortete Flynn nicht, sondern gab lediglich ein Zeichen, dass sein Bruder den Mund halten sollte. „Komm, bringen wir das Tier endlich nach Hause. Vater wartet schon.“

***​

„Warum essen wir den nicht zu Hause?“, fragte Flynn seinen Bruder, der einen weiteren Schluck vom Ale nahm. In der Taverne war es laut und stickig gewesen. Besonders nach Sonnenuntergang wurde Alkohol in dieser Gaststätte ausgeschüttet, als wäre er Wasser gewesen. Die ersten Gäste begannen zu pöbeln und das Niveau näherte sich dem Unerträglichen. „Dann hätten wir das Geld doch sparen können.“

„Vater hat gesagt, dass wir uns die Ruhe verdient haben. Er hat Recht, kleiner Bruder. Auch unsere Körper brauchen Erholung.“

„Und dann holen wir uns ausgerechnet die Erholung aus dieser lumpigen Taverne?“

„Entspann dich einfach, kleiner Bruder. Trink den Ale und bestell dir etwas Nettes zu essen.“

Kurz darauf erschien das Schankmädchen Orphelia. Ein klein wenig schüchternes, aber hübsches Mädchen mit lockigen, dunkelblonden Haaren, einer süßen Stubsnase und einem einladenden Kirschmund. Doch das wichtigste, die Augen, funkelten wie zwei verlorengegangene Saphire. Normalerweise würde solch ein Mädchen niemals in solch einem Etablissement arbeiten, da die Gefahr zu groß war, von trunksüchtigen Männern belästigt zu werden, und tatsächlich - Orphelia bekam oft genug Einladungen, aber da sie die Tochter des Wirtes war, hatte sie kaum eine Wahl gehabt, als sich dem Willen ihres Vaters zu fügen. Etwas Positives hatte die Sache aber trotzdem: Lüstlinge gab es immer, aber da die meisten sich vor dem Wirt fürchteten, blieben ihre Annährungsversuchen auch nur bei Einladungen verbaler Form.

„Was möchtet ihr den Essen?“, fragte die junge Frau.

„Für mich bitte etwas Herzhaftes, aber das weiß du ja, Ella.“ Darik sprach sie bei ihrem Spitznamen an. Vor einiger Zeit hatte die Tochter des Wirts ihm die Erlaubnis gegeben, sie so zu nennen.

„Gut.“, lächelte Orphelia – etwas verkrampft und wandte sich zu Flynn um. Leicht errötete sie, als sie ihn seine Augen sah. „Und dir, Flynn? Was kann ich dir Gutes tun?“

„Äh…für mich bitte das Gleiche.“

„Okay. Ich bringe es euch gleich.“ Mit diesen Worten verschwand sie zur Theke und überreichte die Bestellung.

„Ella…“, begann Darik plötzlich. „Wir kennen sie doch schon recht lange. Glaubst, ich habe eine Chance bei ihr?“

„Klar, wenn du ihren Vater überlebst?“, scherzte Flynn. Ihm waren die Liebesgeschichten seines Bruders zum Teil zuwider. Dass dieser Charmeur jemals richtige Gefühle entdecken könnte, wagte der junge Mann zu bezweifeln, denn nicht ohne Grund galt er zumindest unter einigen als Schwerenöter und Herzensbrecher.

„Nein, du verstehst das nicht. Ich glaube da ist mehr in der Luft.“

„Du meinst Liebe?“ Unglaubwürdig sah Flynn seinen Bruder an.

„Vielleicht…“, murmelte Darik.

„Wie auch immer. Lass uns bitte einfach nur den Abend genießen und uns wann anders darüber den Kopf zerbrechen, ja?“

„Na gut…“ Leicht genervt brummte der braunhaarige junge Mann und erhob sich. „Ich muss mal. Bis gleich.“

***​

Orphelia sah leicht verwundert aus, als sie merkte, dass Flynn alleine am Tisch saß. Etwas nervös stellte sie die bestellte Mahlzeit auf dem Tisch und wandte sich bereits zum Gehen, als Flynn ihr Handgelenk packte.

„Ist etwas passiert, Ella? Du scheinst sehr…angespannt zu sein.“ Mitfühlend sah er in ihre bläulichen Augen und wartete auf ihre Antwort.

Zunächst erschrak sich das Schankmädchen mit den dunkelblonden Haaren, doch dann, als Flynn sie sanft an sich zog, schien die Furcht in ihren Augen wie weggeblasen. Orphelia schloss ihre Augen und seufzte. Man merkte, dass sie mit den Tränen kämpfte. „Es…ist mein Bruder. Ich habe ihn seit Wochen nicht gesehen. Meine Eltern machen sich fürchterliche Sorgen.“

„Medin? Aber ist er denn nicht zur Jagd aufgebrochen?“

„Doch, er ist mit zwei anderen aufgebrochen, wollte aber bereits vor Wochen zurück sein. Ich wollte es meinen Eltern nicht sagen, aber ich fürchte…ihm ist etwas zugestoßen…“
„Bist du dir sicher? Hat er etwas gesagt? Vielleicht – wo er hin wollte?“

„Angeblich soll es nicht weit von hier große Tiere geben. Solche…die man noch nie gesehen.“ Für einen Moment machte Orphelia eine Pause. Ihre feuchten Augen schimmerten im Schein der Kerzen, die die stickige Taverne zumindest mit etwas Licht versorgten.

„Hey“ Sanft legte Flynn eine Hand auf ihre Schulter. „…mach dir keine Sorgen. Ich werde versuch… ich meine, ich werde herausfinden, wo er ist und was mit ihm geschehen ist.“

„Nein…das ist zu gefährlich. Ich will nicht, dass du dich in Schwierigkeiten bringst, weil…“ Orphelia verstummte und dachte kurz über ihre nächsten Worte nach. Währenddessen sah Flynn sie mit einem leichten Grinsen an und wartete mit freundlicher Miene auf ihre Antwort. Abermals errötete die Dunkelblonde. „…weil, es einfach zu gefährlich ist.“

Der junge Mann lachte. „Ach, mir wird schon nichts passieren. Ich habe schon vieles überlebt. Und wenn Darik noch mitkommt, wird sicher alles gut.“

Zunächst etwas widerwillig, doch dann stimmte sie mit einem Nicken zu. „Pass bitte auf dich auf.“, flüsterte Orphelia, stellte sich auf ihre Zehen und küsste ihren Gegenüber auf die Wange. Dann verschwand sie.
 
Blatt 7 ~ Die Vorahnung

In der Dämmerung zogen sich die dunklen Wolken über den Dschungel, verdeckten die rote, untergehende Abendsonne und hüllten den Himmel in hässliches Grau. Später, als es selbst durch die dichten Blätter und Ästen nieselte, schlugen die Söhne von Gerald und Maria ihren Rastplatz unter einem Baum auf. Mithilfe ihrer Werkzeuge entfachte Flynn ein kleines Lagerfeuer, lehnte sich gegen den Stamm, holte ein Stück trockenes Brot heraus und begann, gelangweilt daran zu kauen. Seine Augen spiegelten die glühenden Flammen wieder, sowie die Wärme, die er im inneren verspürte. Sie waren nun seit knapp einem Tag unterwegs gewesen. Darik, der sich aus der Sache mehr erhoffte, als wahrscheinlich möglich, hatte sofort zugestimmt, Flynn auf der Reise zu begleiten, um gemeinsam den Bruder von Orphelia zu finden. Nach ihren Informationen soll ihr knapp drei Winter älterer Bruder mit seiner Begleitung gegen Osten gereist sein, doch eine genauere Angabe konnte die dunkelblonde Wirtstochter nicht liefern. Flynn wusste, dass sie es dadurch nicht leichter machte, ihren Bruder zu finden und allgemein stand die Chance auch nicht wirklich hoch ihren Bruder überhaupt lebend wiederzufinden, doch der Jäger wollte es zumindest versuchen…

„Ich glaube, das könnte wirklich was werden. Du weißt schon, zwischen mir und Ella.“ Darik schloss seine Augen und begann zu schmunzeln. Er hatte sich ins Gras gelegt und sich mit einer leichten Decke zugedeckt.

„Woran merkst du, dass du verliebt bist?“, fragte Flynn leicht verwundert, legte seinen Kopf schief und sah seinen Bruder mit geweiteten Augen an.

„Ich weiß auch nicht… kenne das Gefühl auch noch nicht wirklich.“ Grinsend wischte sich Darik mit der Decke über seine Augen. Trotz der dichten Blätter landeten dennoch ab und zu erbsengroße Wassertropfen in sein Gesicht. „Nunja, ich glaube das ist wenn du fast jede Sekunde an die andere Person denken musst. Du denkst, dass du plötzlich Berge heben könntest, wenn sie in der Nähe ist. Es ist einfach…anders… kennst du das denn nicht, kleiner Bruder?“

„Nicht so kompliziert, wie du es gerade dargestellt hast, Darik.“

„Ach vergiss es. Ich glaube wir sollten beide jetzt lieber schlafen, damit wir morgen so früh wie möglich weiterziehen können.“

„Ja-ja…“ Mit diesen Worten legte auch Flynn sich neben das Lagerfeuer, deckte sich halbwegs zu und schloss seine Augen. Zunächst konnte der junge Mann nicht schlafen. In seinem Kopf drehte sich alles um die Frage, die er soeben noch seinem Bruder gestellt hatte. Vor seinen Augen sah er Orphelia und als wäre es gerade erst passiert, drückte sie ihm den lieblichen Kuss auf die Wange. Eigentlich war es nur ein kleiner, nichts zu bedeutender Wangenkuss gewesen. Eine nette Geste. Eine Höflichkeit. Eine Formalität. Aber warum fühlte es sich dann so gut an? Diese Nähe hatte etwas Unverständliches, etwas Unbekanntes in ihm erweckt und als er seinem Bruder danach fragte, woran man Verliebtheit erkannte, wusste er bereits, dass er dem verfallen war. Nein! Er konnte es Darik nicht antun, besonders nicht, wenn sich der junge Mann nicht sicher war, ob es sich dabei auch wirklich um Verliebtheit handelte. Außerdem…Auch bei Darik war es scheinbar das erste Mal gewesen, wo er solche Gefühle bei sich entdeckte und scheinbar meinte er es auch ernst. Flynn seufzte und mit diesem Seufzer schlief er schließlich ein…

***​

Ein scheußliches Geräusch weckte dem jungen Flynn aus seinen ohnehin schon leichten Schlaf. Von Furcht ergriffen erhob der Jäger seinen Oberkörper und blickte in die Richtung, aus dem Geräusch scheinbar ertönte. Es war ein Schrei gewesen. Kein Gewöhnlicher oder gar Menschlicher, nein, es war etwas Qualvolles und…Seelenloses gewesen.

Gespannt wartete der Dunkelblonde auf das nächste Geräusch, doch wie es aussah war es lediglich Einbildung gewesen. Fast erleichtert darüber atmete Flynn seine Sorgen aus und sah zu seinem Bruder. Er erstarrte. Dort, wo vor wenigen Stunden noch Darik lag, befand sich nun mehr nur noch seine Decke. Von dem Braunhaarigen fehlte jede Spur.

„Was zum –“ Flynn stoppte, als ein weiteres Mal das groteske Schreien ertönte. Was immer es war, es kam näher. Von der Angst kontrolliert trat der junge Mann das Lagerfeuer aus, schnappte sich rasch seine Tasche und begann zu laufen. Er wusste nicht wohin, doch es war ihm auch egal gewesen. Er hatte das Gefühl, dass irgendetwas hinter ihm her war, ganz dicht, als würde es ihn jagen. Noch nie hatte er solche Furcht verspürt und auch sonst war er immer tapfer und mutig gewesen.

Sein Puls raste und seine Lunge rang nach Luft. Irgendwann wurde er langsamer und schließlich blieb er keuchend vor einem alten, großen Baumstamm stehen. Einige Wurzeln wurden herausgezogen, sodass der Baum leicht auf eine Seite kippte. Als Flynn ihn näher untersuchte, entdeckte er, dass er innen hohl war. Scheinbar war der Baum bereits seit langem tot. Würmer hatten sich angesiedelt und stellten für den jungen Mann teils eine weitere Überwindung dar, doch ohne viel zu überlegen kroch er hinein und merkte erst da, dass die harmlosen kleinen Larven nicht die einzigen Bewohner dieses Baumstamms waren.

Es gab Echsen, mottenartige Insekten, aber das Schlimmste, Spinnen, dessen Augen schwärzer waren als die Nacht selbst, hingen direkt über seinem Kopf. Der Hinterteil dieser Tiere war um ein vielfaches größer als der Kopf selbst und der Farbe nach voll mit Gift gefüllt. Flynn kannte diese Spinnen. In seinem Dorf wurde das Gift zum Jagen verwendet, denn obwohl es für Rehe und große Nagetiere tödlich war, so schien das Gift für den Menschen ungefährlich zu sein…zumindest in bestimmter Dosis.

„Bleib ruhig…“, flüsterte sich der Dunkelblonde zu und kniff seine Augen zusammen. Für einen Augenblick glaubte er sicher zu sein, doch dann vernahm er wieder dieses…grauenvolle Schreien.

Nun war es ganz nahe, denn ein sonderbarer Geruch von Tod und Fäulnis drang in die Nase des unwissenden Jägers. Es war, als würde sich direkt vor ihm ein verwesendes Tier befinden. Durch eine kleine Pfütze, die sich während des Regens vor seinem Baumstamm angesammelt hatte, sah er plötzlich etwas Dunkles und Schleierhaftes. Eine Silhouette. Ein Schatten… Flynn wusste, dass es sich direkt vor ihm befand, und was immer es auch war, es schwebte.

Ein kalter Hauch des Todes drang in den hohlen Baumstamm hinein und ließ den jungen Mann zittern. Die kleine Pfütze wurde augenblicklich zu Eis und bildete somit einen perfekten Spiegel, worin Flynn nun die Gestalt deutlich erkennen konnte.

Es war eine menschliche Kreatur gewesen und dem Körperbau nach musste sie weiblich sein. Das Gesicht und auch fast der komplette Rest des Körpers waren unter einer schwarzen Kutte versteckt und ließen kaum einen Einblick zu. Nur die zarten Hände hingen aus dem dunklen Umhang. Noch nie hatte der Jäger solch eine Frau gesehen und obwohl er bis auf die Hände nichts von ihr sah, fühlte er sich auf ganzer Ebene zu ihr hingezogen.

Doch dann änderte sich alles. Als hätte die Kreatur die Präsenz von Flynn erspürt, wandte sie sich schließlich in seine Richtung, sodass nun auch ihr Antlitz zum Vorschein kam. Der Jäger erstarrte.

Das Fleisch der eleganten Frau war alt und vertrocknet und die Haut so angespannt, als könnte sie jeden Moment reißen. Die Hände der mumifizierten Gestalt endeten in knochige Klauen, die möglicherweise so scharf wie eine Klinge waren. Der Mund stand leicht geöffnete und zeigte die spitzen Zähne, die sich darin befanden. Unter dem strohartigen Haaren starten Flynn leere Augenhöhlen an, die in ihm plötzlich eine Urangst auslöste, ein Gefühl, dass er noch nie verspürte. Nun erkannte er auch die Überreste von einem zerfetzten Umhang, der den leichenähnlichen Körper der Kreatur keineswegs verdeckte.

“Endlich habe ich dich…“

Die fleischlosen Finger griffen in den hohlen Baumstamm und alles herum gefror vom Anblick der Furcht.
 
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