Neverlord
Guest
• Kaltes Feuer •
{ Erstes Kapitel }
Von kleinen Drachen und großem Unheil
Entspannt ließ Elea sich ins Wasser gleiten und schwamm einige Meter durch das warme Wasser des Sees. Es war ein wunderschöner Tag, die Sonne strahlte an einem blauen Himmel, das Wasser des Sees und der Schnee auf dem nahe gelegenen Gebirgszug reflektierten die Sonnenstrahlen und Vögel sangen in den Astgabeln der Bäume am Seeufer. Es war genau solch ein Tag, wie die kleine Elfe Elea sie liebte.
"Sag mal, gehst du immer nackt baden?", hörte sie über sich die Piepstimme des kleinen Zwerdrachen Fibzi fragen.
Elea sah fragend auf, wobei der kleine Drache tatsächlich ein wenig röter zu werden schien, als er zu ihr runter – und an ihr hinab – sah. Schnell drehte er den kleinen Kopf weg und flog ans Ufer zu Eleas Kleidern, wo er es sich auf Eleas Wams gemütlich machte.
"Du bist wirklich ein lustiger kleiner Zeitgenosse", rief Elea vergnügt, bevor sie unter Wasser tauchte und neugierig die Fische und Seepflanzen betrachtete, wobei sie nur gelegentlich auftauchte um Luft zu holen.
Erst als Eleas Haut ganz schrumplig war, stieg sie aus dem Wasser und zog ihre Kleider an, jedoch erst nachdem sie Fibzi von ihrem Wams verscheuchte.
Möglichst unauffällig flog Fibzi einen großen Bogen, landete auf einem nahen Ast und musterte Elea von dort aus, während sie sich anzog und ihn scheinbar nicht bemerkte.
"Ich wusste gar nicht, dass kleine Drachen so sehr auf elfische Frauen stehen", sagte Elea unvermittelt, legte den Kopf schief und musterte den Drachen amüsiert, dessen Gesichtsausdruck man zunächst als überrumpelt und dann als ertappt deuten konnte. Schließlich lief der kleine Drache sogar rot an, was während des Überganges von Grün nach Rot richtig süß aussah, wie Elea fand.
Als sein – eigentlich von grünen Schuppen besetztes - Gesicht fast die Farbe einer prächtig gewachsenen Erdbeere hatte, sprang Fibzi schnell vom Ast und flog zu einem nahen Busch, auf dem kleine, runde blaue Beeren wuchsen. Schnell stopfte er sich einige Beeren in den Mund und tat so, als würde er Elea gar nicht mehr wahrnehmen, die sich köstlich über ihren kleinen Begleiter amüsierte.
"Da bist du ja endlich Tiro", begrüßte der Gardehauptmann Tijak Gerwe den Neuankömmling freundlich, während er auf ihn zuging und ihm die Hand schüttelte, wenngleich sein Lächeln doch nicht besonderes Heiter aussah, sondern ein dunkler Schatten der Besorgnis darüber hing.
"Ich bin so schnell gekommen, wie ich konnte, aber warum hast du mich in dieser Frühe rufen lassen?", erwiderte Tiro, als er den Handschlag seines Hauptmannes erwiderte.
In der Tat erwartete Tiro eine gute Erklärung dafür, ihn so früh nach Sonnenaufgang bereits rufen zu lassen und er erwartete auch einen guten Grund, warum er aus der Stadt bis zum Nordwald laufen musste.
"Nun ... sieh selbst", meinte Tijak schließlich und Tiro folgte ihm einige Zeit durch den Wald, bis sie schließlich zu einer kleinen Gruppe Gardisten stießen. Tiro nickte den Gardisten zu, von denen nur einige ihn überhaupt zu bemerken schienen. Die meisten Gardisten waren Kreidebleich und wirkten verängstigt und verstört, stellte Tiro beunruhigt fest.
Als er von den Gardisten wieder aufsah, stellte Tiro fest, dass sein Freund und Hauptmann bereits ein Stück weitergeeilt war und er beeilte sich, wieder aufzuschließen.
Schließlich blieb Tijak neben einem Gebüsch stehen, um den herum sich ein kleiner Teich aus Blut angesammelt hatte. Obwohl sie im Wald standen und es ein schöner Sommertag war, stank es hier nach Verwesung und Blut.
Langsam trat Tiro einige Schritte auf den Busch zu, bis er schweigend stehen blieb. Irgendjemand – oder irgendwas – hatte eine junge Frau brutal abgeschlachtet und ihre Gliedmaße einzeln in den Busch geworfen. Sie musste einst eine Schönheit gewesen sein, jedenfalls wäre der aufgespießte Kopf auf einem Körper wesentlich schöner anzusehen, als auf einem langem, blutigen Holzspeer fand Tiro.
Einige zentimeterlange Splitter ragten aus dem Rumpf und einigen anderen Körperteilen und als Tiro genauer hinsah, sahen die Splitter aus, als stammten sie aus spitzen Knochen. Obwohl Tiro in den Jahren bei der Garde schon viel mit angesehen hatte, musste er dennoch darum kämpfen, die Beherrschung nicht zu verlieren.
"Wer ...", begann Tiro, jedoch unfähig den Satz weiterzuführen. Fassungslos starrte er Tijak an, der als erster die Sprache wieder fand: "Wir wissen nicht, Wer oder Was das war. Aber ... das war erst die erste Leiche ..."
Nur langsam beruhigte sich Tiros Magen wieder und er folgte dem Gardehauptmann zur Leiche des zweiten Opfers nur wenige Meter entfernt. Das Opfer war noch grausamer entstellt, als die Leiche der Frau und es kostete Tiro Überwindung, sich den Kadaver anzusehen. Der Körper sah aus, als sei er von innen heraus explodiert. Am gesamten Körper war die Haut abgezogen und der Kopf war eine grausige Masse aus Gehirn, Blut, Knochen, Fleisch und verklebten Haaren. Das einzige, woran man sah, dass es sich um einen Mann handelte, war das hautlose Geschlechtsteil, dass zwischen den Beinen hing.
Überall waren Innereien und Blut verteilt.
Im Körper der Frau steckten einige zentimeterlange Knochensplitter und Tiro hatte einen grausigen Verdacht, von wem diese Knochensplitter stammen könnten...
"Wie viele Opfer gibt es noch?", fragte Tiro unsicher, wobei er ein beben seiner Stimme nur mühsam unterdrücken konnte.
"Nun, wie es aussieht wurde dieses Pärchen hier wohl überrascht. Auf einer nahe gelegenen Lichtung fand offenbar ein kleines Fest mit 26 Gästen statt. Dieses Pärchen könnte gut zu den feiernden gehört haben. Nun, um auf deine Frage zu antworten Tiro: wir haben insgesamt 28 Personen in diesem Wald gefunden, aber keiner davon lebte noch", antwortete ihm Tijak mit belegter Stimme.
Immer wieder schmunzelte Elea in sich hinein, wenn sie die Blicke Fibzis auf sich spürte. Natürlich tat er so, als würde er sich auf ihren Flug konzentrieren, doch jedes mal wenn sie die Gestalt einer kleinen Zwergdrachin annahm konnte ihr kleiner Gefährte sich kaum noch halten.
Sie nahm gerne von Zeit zu Zeit diese Gestalt an, zum Beispiel wie bei diesem Mal, wenn es schneller war über einen Gebirgszug hinweg zu fliegen, als ihn mühsam zu überklettern. Auch wenn es sie viel Kraft kostete, ihre Gestalt beizubehalten genoss sie den kühlen Flugwind auf ihrer schuppigen Haut. Drachen waren Geschöpfe des Feuers und ihr Leben war an ein inneres Feuer gebunden. Drachen froren nicht und wenn es gar für die Drachen zu kalt war, so vielen die wahrhaft mächtigen unter ihnen in eine Kältestarre, in der sie sogar Jahrtausende überwintern konnten, die kleineren Drachenarten hingegen starben, wenn es zu kalt wurde. Doch ein Grund zur Besorgnis war dies hier nicht, denn auch wenn sie in einigen hundert Schritt Höhe flog und es ihr als Elfe sicherlich schon frösteln würde, so müsste es aber doch noch erheblich kälter werden, um in Gefahr zu geraten der Kälte zu erliegen.
Verträumt ließ Elea ihre Blicke über das Land schweifen. Ein gutes Stück hinter ihnen lag bereits die Bergspitze, die von meterdickem Schnee bedeckt wurde. Unter ihnen lagen nun gewaltige Schluchten, aus denen zum Teil einige Bäume hinauswuchsen. Gigantische Felswände erstreckten sich unter den beiden kleinen Drachen.
Elea liebte es zu fliegen und doch musste sie jedes Mal darüber staunen, wie groß die Welt für Zwergdrachen doch war. Fibzis Beine waren so klein, dass er auf ihrer ausgestreckten Hand stehen konnte, sein schuppen bewehrter Drachenschwanz war etwa so lang wie die hälfte ihres Unterarmes und sein Kopf schließlich war etwas größer als ihr Daumen. Die meisten Zwergdrachen ernährten sich nur von Pflanzen, Früchten, Pilzen und Nüssen, doch das lag nicht wirklich daran, dass Zwergdrachen vegetarisch lebten, sondern daran, dass sie es schwer hatten Beute zu schlagen. Ein Drache - und sei er noch so klein - weigerte sich aus Prinzip Insekten, Maden, Aas, Ratten oder dergleichen zu essen und somit hatte der Zwergdrache es schwer ein Beutetier zu finden.
Normalerweise konnte Elea in Tiergestalt nicht zaubern oder sprechen, doch Zwerdrachen konnten sprechen und waren sogar zu einigen simplen Zaubern in der Lage. Da sie bei einer Verwandlung die Eigenschaften des Wesens annahm, in das sie sich verwandelte, hatte die Gestalt eines Zwergdrachen einige Vorteile, wie Elea fand und der Jahrzehnte lange Aufwand diese Gestalt zu erlernen hatten sich gelohnt.
Hätte sie vor einigen Wochen nicht zufällig die Gestalt einer Zwergdrachin gehabt, als Fibzi in ihrer Nähe war, würde sie immer noch alleine durch die Wildnis ziehen.
Unweigerlich musste Elea schmunzeln, als sie daran dachte, wie Fibzi seiner vermeintlichen Traumfrau den Hof machte, um später feststellen zu müssen, dass sie nur eine verwandelte Elfe war.
Seither war ihr der kleine Drache nicht mehr von der Seite gewichen und Elea hatte ihn sogar richtig lieb gewonnen, zumal er ein witziger Zeitgenosse war.
Langsam änderte sich die Landschaft unter Elea wieder und die Felskluft unter ihnen wich den ersten, recht dürren Bäumen, denen nach einigen Minuten ein ganzer Wald folgte.
Schon bald hatten ihre scharfen Drachenaugen unter den Baumkronen eine kleine Lichtung erspäht und Elea lies sich elegant auf die Lichtung hinab gleiten, dicht gefolgt von Fibzi.
Fassungslos stand Tiro auf der Lichtung und besah sich das Werk der Verwüstung um ihn herum. In der Mitte der Lichtung war in das Gras ein riesiges Pentagramm eingebrannt worden. Zunächst hatte es ja ausgesehen, als wäre das Pentagramm mit Asche gezeichnet worden, doch bei genauerem hinsehen erkannte man, dass auch der Boden unter dem Gras verbrannt war.
An jedem Zacken des Pentagramms lag ein Kind, dem man zwar die Kehle durchgeschnitten hatte doch ansonsten verschont geblieben waren, während die übrigen Leichen quer über die Lichtung verteilt waren und so zugerichtet wie die beiden ersten Leichen.
Die Tische am Lichtungsrand, auf denen reichlich Essen und Trinken vorbereitet waren, hatten die Angreifer wohl einen Bogen gemacht, denn sie waren noch unversehrt.
Tiro wusste nicht mehr, wie lange er bereits auf der Lichtung stand, als Tijak von einem Gespräch mit seinen Gardisten zurückkam und sich schweigend zu ihm gesellte.
"Wer auch immer das angerichtet hat, ich werde nicht ruhen, bis ich diese Menschen gerächt habe", hörte Tiro sich tonlos sagen.
"Da bist du nicht der erste, der dies am heutigen Tag geschworen hat", sagte Tijak nach einer weile. "Lass uns gehen Tiro, hier können wir nichts mehr tun fürchte ich."
"Geh nur vor, ich komme nach", war die knappe Antwort des Gardisten.
Zunächst sah es aus, als wolle der Gardehauptmann noch etwas sagen, doch schließlich verschwand er achselzuckend von der Lichtung und ließ Tiro allein zurück.
Ganz vorsichtig schlich Merewin zu schweren Eichentür, die für Bedienstete des Hauses vorgesehen war. Mit geübtem Griff glitten ihre Finger unter ihr Wams und zogen ein schwarzes Tuch heraus, in dem sich ihre Dietriche befanden.
Schnell hatten ihre flinken Finger den richtigen Dietrich gefunden und nach kurzer Zeit kündete ein metallisches Klicken von dem Erfolg Merewins und der Dietrich verschwand zunächst wieder in das schwarze Tuch und dann in ihrem schwarzen Wams.
Lautlos schob sie die Tür einen Spalt auf und schlich hindurch. Behutsam ließ Merewin die Tür so leise wie möglich wieder ins Schloss fallen, bevor sie den Gang entlang schlich.
Immer wieder blieb sie kurz an Türen Gängen stehen und horchte in die Dunkelheit.
Heute heiratete die älteste Tochter des hiesigen Barons und alle Diener mussten bis in die frühen Morgenstunden hinein auf dem Fest bleiben und sich um das Wohl der Gäste kümmern, darum war das Gesindehaus leer.
Endlich erreichte Merewin den Durchgang zum Baronsanwesen, hinter dem die große Empfangshalle des Herrenhauses lag und es dauerte nicht lange, bis sie Schritte schwerer Kriegsstiefel auf dem kostbaren Marmorfußboden vernahm.
Angespannt stand Merewin an der Wand und zog ihren kleinen Dolch unter dem Wams hervor. Sie hatte nicht vor, jemanden zu töten und auf die Klinge hatte sie vorsorglich ein schnell wirkendes Schlafgift aufgetragen.
Lautlos glitt sie an der Wand entlang. Die Eingangshalle war berühmt für ihr Glasdach und die riesigen kunstvoll bemalten Fenster.
Die Empfangshalle lag nicht wie das Gesindehaus im Dunkeln, da durch das einfallende Mondlicht immerhin ein wenig Licht gespendet wurde.
Vorsichtig schlich die Diebin ein Stück nach vorne, damit sie um die Ecke sehen konnte. Der Wachsoldat drehte ihr zur Zeit den Rücken zu und schien eher gelangweilt, als wachsam.
So schnell und leise ihr athletischer Körper es zuließ eilte sie – dicht an die wand gedrückt – durch die Empfangshalle und verschwand in einer kleinen Abstellkammer. Schnell verstaute sie ihren Dolch wieder im Wams und öffnete das kleine Fenster in der Kammer. Direkt über ihr befand sich nun das Schlafzimmer des Barons – Merewins Ziel.
Ohne zu zögern kletterte sie aus dem Fenster. In den vergangenen Wochen hatte sie Nacht für Nacht die kritische Kletterpartie geübt und sich jeden Handgriff und jeden kleinen Vorsprung an der Wand eingeprägt.
Ohne Zwischenfälle erreichte die Diebin nach kurzem Klettern das Fenster über ihr. Es war offen, so wie es sein sollte.
Alles lief nach Plan und der Schatten huschte durch das Fenster ins Zimmer hinein, lauschte kurz und gönnte sich schließlich eine kleine Verschnaufpause.
Vor dem Schlafgemach des Barons standen wachen, jedoch war die Tür immer abgeschlossen, wenn der Baron sein Gemach verließ.
Der Baron war ein sehr vorsichtiger Mann, doch schließlich hatte er auch Grund dazu. Alleine die – gut versteckten – Besitztümer in seinem Schlafgemach waren Beweis genug.
Merewin hatte sich von der Kletterpartie wieder erholt und ihr Atem ging wieder flach und ruhig. Mit ruhiger Hand zog sie wieder das kleine Tuch mit den Dietrichen aus ihrem Wams, zog ein recht kleines Exemplar heraus und schlich um das große Himmelbett herum zu einem großen Gemälde, dessen goldener Rahmen schwach im Mondlicht glänzte. Ohne dem Bild weiter Beachtung zu schenken, nahm sie es von der Wand und legte es behutsam auf das große Bett. Nach kurzem Abtasten der Wand fanden Merewins tastende Finger endlich einen nachgebenden Stein in der Wand. Sie drückte den Stein soweit in die Mauer, wie er sich bewegen ließ, wobei sich auf der rechten Seite ein Spalt offenbarte. Merewin nahm den Schlüssel, der in dem Spalt lag, heraus und nach kurzer Zeit bewegte sich der Stein wie von Geisterhand wieder an seine ursprüngliche Position.
Zu ihrer rechten war der große Kleiderschrank des Barons, den sie in dem schwachen Licht jedoch nicht sehen konnte, also musste sich Merewin ganz auf ihren Tastsinn verlassen.
Bald hatte sie die Türgriffe des Kleiderschrankes ertastet und zog öffnete ihn behutsam.
Schnell suchte sie auf dem Boden nach dem gut verborgenen Schloss, öffnete es mit dem erbeuteten Schlüssel und zog die Falltür, die dort versteckt lag.
Merewin prüfte mit nervöser Hand den Inhalt der kleinen Geheimkammer und wurde alles andere als Enttäuscht: Durch ihre Finger glitten unzählig viele Münzen, Kettchen, Edelsteine und andere Kostbarkeiten.
Schnell wechselte der größte Teil der Münzen den Besitzer und wanderten aus dem Geheimversteck des Barons in die vielen Taschen, die es Merewin erlaubten viel Beute zu machen und das Gewicht möglichst am Körper verteilt zu tragen, damit sie nicht zu sehr vom Gewicht ihrer Beute behindert wurde. Zumal viele kleine Taschen unauffälliger waren als ein großer Beutesack, den man mit sich trug.
Den Schmuck und die Edelsteine ließ Merewin zurück, denn erstens konnte sie nicht alle tragen und zweitens hatte sie nur mit den Münzen alleine bereits genug Beute gemacht.
Ohne dem Zimmer weitere Aufmerksamkeit entgegenzubringen, kramte Merewin einen Brief aus ihrem Wams, warf ihn achtlos auf das Bett des Barons und verschwand aus dem Fenster.
Entspannt ließ Elea ihre Beine im Wind baumeln, während eine warme Brise mit ihren Haaren und den Blättern der Baumkrone spielte, auf dem sie saß.
Sie hatte sich keinen geringeren, als den höchsten Baum des Waldes ausgesucht, um möglich große Teile des Landes überblicken zu können.
Nachdem Elea und Fibzi den gestrigen Tag mit Rasten und Nahrungssuche verbracht hatten, galt es nun das unbekannte Terrain zu erkunden.
Im Licht der hoch stehenden Sonne konnte sie weit im Süden eine Stadtmauer eher erahnen als sehen, denn selbst für elfische Augen waren solche Entfernungen nur schwer zu überblicken, so dass außer der Stadtmauer nicht viel zu sehen war. Das Gebirge, dass sie überflogen hatte, lag nun bereits ein gutes Stück hinter ihr und die Kälte der Berge war vom freundlichen Wetter eines beginnenden Sommers abgelöst worden.
Ein leises Räuspern neben ihr, ließ Elea aus ihren Gedanken hochfahren und neugierig musterte sie ihren kleinen Gefährten aus ihren großen, geheimnisvollen Elfenaugen.
"Sag mal Elea ...", hob Fibzi zum sprechen an, doch außer einem "... ähm ..." folgten leider keine weiteren Worte.
"Ja bitte?", fragte Elea, um den Wortfluss in Fibzi vielleicht wieder anzukurbeln.
"Irgendwie habe ich noch nie danach gefragt, aber sag mal ...", abermals unterbrach sich der Zwergdrache, sprach jedoch weiter, noch bevor die Elfe das Wort ergreifen konnte: "Ich habe dich bis jetzt noch nie gefragt, aber wohin bist du eigentlich unterwegs?"
Irritiert und hilflos, musterte der kleine Drache die bezaubernde Elfe in der Baumkrone, als diese laut und glockenhell zu lachen begann, wobei sie sich wirklich bemühen musste, vor lachen nicht vom Baum zu fallen.
"Aus einer einfachen Frage machst du so ein Drama? Ich hatte schon mit einer ernsten Frage gerechnet, zu der es Überwindung bedarf", stichelte die Elfe ihren kleinen Gefährten, der mit großen Kulleraugen – was bei gelben Drachenaugen mit schmalen Pupillenschlitzen wirklich köstlich aussah – umher sah und die Welt nicht mehr zu verstehen schien.
"Aber gut, ich will dir ja keine Antwort schuldig bleiben. Ich bin auf dem Weg in meine Heimat. Nachdem mich die Botschaft erreichte, dass meine alte Sippe aus ihrem angestammten Wald fliehen musste, konnte ich nicht anders als mir selbst ein Bild von der Lage zu machen", zum ersten mal seit Fibzi mit der Elfe umherzog, wirkten ihre Züge betrübt und in ihrer melodische Stimme klang Trauer mit. "Ich erkannte meinen früheren Heimatwald kaum wieder. Schwarze Ranken schlangen sich um jahrhundertealte Baumriesen und löste man die Ranken von der Rinde, kam darunter fauliger Morast zum Vorschein. In den Augen der Tiere las man Mordlust und die Erde selbst schien einen verschlingen zu wollen. Meine Sippe ist aus ihrem Wald geflohen, nachdem ein junger Elf der Sippe von wahnsinnigen Wölfen buchstäblich in Stücke gerissen wurde. Doch statt ihr Opfer zu fressen, wie es normal wäre, weideten sie ihn aus und zogen sich dann zurück."
Einige Zeit schwieg die Elfe, bevor sie fort fuhr: "Ich fand meine alte Sippe schließlich einige Tagesreisen entfernt in einem noch friedlichen Wald. Ich weiß, das Übel das in meiner alten Heimat wächst, wird uns noch einige Kämpfe abverlangen, wenn die Zeit dazu gekommen ist."
Fibzi verzichtete darauf, weitere Fragen zu stellen, denn er wusste selbst, wie es in den 'dunklen Wäldern' aussah, in denen das Böse zu herrschen schien ...
{ Zwischenspiel }
"Bist du gekommen, die Macht zu empfangen, Wurm?"
"Ja, bin ich."
Totenstille lag über der verbrannten Erde, während der Geruch von Verwesung und Blut in der Luft lagen. Die Sonne stand hoch am Himmel, doch das riesige Pentagramm wurde von ein widernatürlichen Schwärze umgeben, die das menschliche Auge alles in einem rötlichen Schimmer wahrnehmen lies. Doch die Mitte des Pentagramms war finster. Wollte man diese Finsternis beschreiben, müsste man sie wohl das Gegenteil von Licht nennen, denn war Dunkelheit nur die Abwesenheit von Licht, so war dies die Verspottung von Licht. Sah man allzu lange in das dämonische Dunkel hinein, blendete diese Widernatürlichkeit den Betrachter und stahl im gar das Augenlicht, wenn er nur einen Moment zu lange hinein sah.
Am Rande des Pentagramms kniete eine muskulöse Gestalt, an der Blut in Strömen hinab lief.
Normalerweise hätte sich dem Betrachter ein ganzer See entblößt, der statt Wasser mit Blut gefüllt war. Doch die Finsternis erspart dem Betrachter an dieser Stelle einen See, in dem 100 Leichen umher trieben – und nur der kleinste Teil dieser Leichen an einem Stück.
"Und du glaubst du bist stark genug, Sterblicher?", donnerte die Stimme auf die kniende Gestalt ein.
"Nein, ich glaube nichts. Ich weiß es", war die kühne Antwort. Wäre Stille greifbar, hätte man mit der absoluten Geräuschlosigkeit, die diesen Worten folgte, jemanden erschlagen können.
Die Dunkelheit suchte in dem Knieenden nach Schwäche, schlug nach ihm mit Angst und durchforschte ihn nach Zweifeln, doch die Mimik des Mannes blieb starr und unverändert.
"So sei es", trug ein entsetzlich stinkender Nebel die Worte eines Wesens zu dem Sterblichen, das älter war als die Zeit selbst.
{ Zweites Kapitel }
Rote Wolken
Breite Sorgenfalten wanden sich über Tijak Gerwes Stirn. Es war erst Gestern, als im Nordwald ein Massaker veranstaltet wurde, natürlich war bisher keine Spur der oder des Täters zu finden und dann, in der Nacht, war zu allem Überfluss der hiesige Baron bestohlen worden. Aber nicht nur Gold, nein, auch seine dritte Tochter Merewin nahmen sie mit.
Doch das war noch nicht alles. Unruhig schritt der Gardehauptmann wieder auf den Balkon der Wachkaserne und sah unruhig Richtung Osten, wo sich tiefrote, fast schwarze Wolken zusammenbrauten. Dort lag Finjur, von wo sich die Gerüchte mehrten, dass Menschen spurlosen verschwanden.
"Ich habe noch nie in meinem Leben rote Wolken gesehen. Das kann nichts gutes verheißen", riss Tiro seinen Hauptmann aus den Gedanken.
"Da magst du wohl recht haben. Ich glaube fast, vor uns liegen schwere Zeiten."
Tiro wusste nicht, was er hätte erwidern sollen und so sahen die beiden Männer beunruhigt zu dem auf, was sich im Osten zusammenbraute.
Vorsichtig öffnete Elea ihre Augen. Um sie herum war es dunkel, doch so sollte es sein. Ein Zauber ermöglichte es ihr, statt Licht arkane Strukturen zu sehen. Langsam wand sie den Kopf dorthin, wo sich eben noch eine tiefrote Wolkendecke gebildet hatte.
Ihr schlimmster Verdacht bestätigte sich, denn diese Wolken waren durch mächtige Magie entstanden. Das magische Muster wirkte irgendwie ... falsch. Natürlich war sie zu weit entfernt, um wirklich die magischen Fäden betrachten zu können, doch selbst über diese Distanz wirkte das Muster unecht und schien als würde es sich permanent verändern.
Sie hatte genug gesehen und brach den Hellsichtzauber abrupt ab.
"Das sieht nicht gut aus, Fibzi", wand sie sich schließlich an ihren kleinen Gefährten. Der Angesprochene sah sie eine Zeitlang sorgenvoll an, die richtigen Worte aber, fand keiner mehr der beiden.
Dieser verfluchte Dämon hatte ihn reingelegt! Oh ja, gewiss, der Dämon hatte seinen Part in gewisser Hinsicht eingehalten, denn er hatte ihm all die Macht gegeben, die er wollte, doch er hätte ihm ruhig verraten können, dass der Körper eines Menschen soviel konzentrierte Magie nicht überleben konnte. Und es brannte. Sein Blut kochte und jede Bewegung zehrte hart an seinen Kräften.
Er musste denken, bei klarem Verstand bleiben, das war das wichtigste. Vom Dämonensee her vernahm er den Geruch verwesender Kadaver und altem Blut. Waren seine Augen geschlossen? Warum? Er öffnete die Augen.
Doch zum ersten male, öffnete sich damit ein Tor in eine andere Welt. Er konnte sehen - und nicht etwa so, wie es ein sterblicher vermochte, nein. Um ihn herum war es Stockfinster, wofür der Dämon ja gesorgt hatte, aber Licht brauchten seine Augen hier ohnehin nicht, denn um ihn herum pulsierte die uralte Magie des Dämons, die dafür sorgte, dass jeder Adler blass werden würde vor Neid, angesichts der Schärfe, mit der er sah. Nur beim flüchtigen hinblicken erkannte er jeden Käfer, der auf einer der treibenden Leichen saß, jeden kleinen Dämonenwurm, die durch den Blutsee schwammen und sich vom Fleisch der Kadaver nährten und er sah rot strahlende Wolken über ihm am Himmel, die durch und durch mit Blut getränkt waren. Er stand immer noch in dem Pentagramm, das er mit Knochenkreide auf verbrannte Erde gemalt hatte. Die Schutzrunen waren mit dem Blut von Neugeborenen gezeichnet und in der Mitte des Pentagramms war dort, wo der Dämon erschienen war, nichts weiter als dämonisch verseuchte Erde, die Blut trank und Löcher in die Ordnung der Erde rissen, so dass Dämonen es leichter hatten, den Weg ins Diesseits zu finden.
Doch die Bilder der Realität waren kein Entrinnen aus den Schmerzen, denn erbarmungslos schlugen sie in seinen Verstand ein und zwangen ihn fast in die Knie. Mit all seinem Willen kämpfte er gegen die Qualen an, doch er unterlag ...
Kleine Äste schnitten sich in Eleas Wams, schlugen nach ihrem Gesicht. Wurzeln griffen nach ihren Beinen, versuchten sie zu Boden zu reißen und das sehen viel ihr schwer, da Blut ihre Augen verklebte. Im Laufe der letzten Stunden hatten sich die bedrohlichen Wolken explosionsartig über das ganze Land ausgebreitet und ertranken alles in Blut.
Abermals warf die Elfe einen hastigen Blick über die Schulter, doch die wahnsinnigen Füchse waren ihr immer noch dicht auf den Fersen. Wie sehr verfluchte sie den Tag in den Dunklen Wäldern, an dem ein tollwütiger Bär ihren Bogen zerbrochen hatte.
Ruckartig endete die Flucht, als eine Wurzel sich um Eleas Fußgelenk schloss und sie unsanft auf dem blutigen Matsch, in den sich der Boden unlängst verwandelt hatte, aufschlug.
Gehetzt sah sie zu den Füchsen, riss verzweifelt an ihrem Bein, um es zu befreien, doch der erste Fuchs setzte bereits zum Sprung an.
Ungläubiges Entsetzen huschte über die Züge des Fuchses, als ihm mitten im Flug der Brustkorb aufriss, als hätte ihn ein unsichtbarer Pfeil getroffen. Etwas verunsichert starrte die Meute auf die Geballte Faust der Elfe und ihren zusammengesunkenen Kampfgefährten.
Bevor sich die Füchse zu einem weiteren Angriff entscheiden konnten, zog Elea ein kleines Messer aus dem Gürtel, schnitt die Wurzel durch und stand vorsichtig auf, während die ersten Tiere begannen sie zu umkreisen.
"Fibzi wo bist du?", versuchte sie das prasseln des Blutregens zu übertönen, doch ihre Worte würden nicht sehr weit gehör finden in diesem Meer aus Blut, befürchtete sie.
Mit einer fließenden Bewegung schleuderte sie ihr Messer in den Leib eines Angreifers und setzte ihr Flucht fort. Insgesamt folgten ihr nun noch 5 Füchse, wie sie nun immerhin wusste. Ihre Verfolger ließen nicht lange auf sich warten, doch sie musste entkommen!
Schon von weitem sah sie einen großen Baumriesen, und lief darauf zu. Ein Blick nach hinten verriet ihr, dass die wahnsinnige Meute ihr folgte, aber nicht so dicht auf den Fersen war wie zuletzt.
Endlich erreichte sie den Baumstamm, nun musste alles schnell gehen.
Wenige Herzschläge später preschte die wahnsinnige Fuchsmeute heran und fast gleichzeitig sprangen gleich zwei Füchse auf die Gestalt einer Elfe, die sich mit geschlossenen Augen an einen riesigen Baum presste. Der erste riss seinen Kiefer weit auf und sprang auf die Kehle der Elfe zu.
Ein lautes Brechen war zu hören, als sich die Zähne tief in die Rinde des Baumriesen bohrten und der Kiefer durch die Wucht des Aufpralls auf hartes Holz brach.
Auch der zweite Fuchs schloss unsanfte Bekanntschaft mit dem Baum, während die Illusion der Elfe langsam blasser wurde und schließlich verschwand.
-- update --
Gedankenversunken ließ Elea ihre Blick über das Land schweifen. So weit ihr Auge sah, war der Himmel von den finsteren Blutwolken bedeckt. Hin und wieder gelang es der Sonne eine Lücke in der dichten Wolkendecke zu finden, aber dennoch lag das ganze Land in rotem Zwielicht. Nicht ein Vogel flog über den Wald hinweg, keine Grille zirpte und von nirgendwo kam Vogelgesang. Der grausame Regen schien den Wald allen Lebens zu berauben und die wenigen Tiere, denen man begegnete, sollte man besser weitläufig aus dem Wege gehen.
Vorsichtig zog sie ihr linkes Bein an und achtete darauf auf dem schmalen, vom Blut glitschigen, Ast nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Noch immer zeugten blau-rote Schlieren davon, mit welcher Gewalt die Wurzel sie zu Boden gerissen hatte. Resignierend ließ sie das Bein wieder sinken. Den Füchsen war sie gerade noch mit einer Illusion entkommen, doch nachdem ihr Messer nun irgendwo in dem blutigen Sumpf, der einst ein Waldboden war, lag, war sie nun unbewaffnet und hatte außer ihrer Magie und ihren bloßen Händen nichts mehr, womit sie sich hätte verteidigen konnte.
Auch ihr kleiner Gefährte schien spurlos verschwunden.
Füchse waren gewöhnlich Einzelgänger und bevorzugten leichtere Beute, als Elfen und Menschen, doch diese Meute war gewiss nicht auf Beutezug.
Die Bilder des zerfleischten Jungelfen ihrer alten Sippe drängten sich wieder schmerzlich in Eleas Bewusstsein. Sie hatte gehofft auf ihrer Rückreise wieder Kräfte sammeln zu können und nicht mehr kämpfen zu müssen, doch diese Hoffnung erwies sich als Seifenblase inmitten eines tobenden Orkans.
Ein schriller Schrei riss Elea unsanft in die Wirklichkeit zurück. Schnell überwand sie einige Äste, und eilte zur anderen Seite des Baumes.
Sie hätte mit vielem Gerechnet, doch nicht mit dem grausigen Anblick, der sich ihr bot: unter ihr sah sie ein junges Mädchen, dass von zwei widerlich entstellten Zombies umringt war. Die Menschen zählten Elfen nunmehr seit Ewigkeiten zu den Sagen und Legenden, doch Elea konnte sich allzu gut daran erinnern, wie die Menschen ihr Volk als Ungläubige und Dämonenknechte verfolgt und bekämpft hatten. Einerseits wollte sie die Hilflose nicht im Stich lassen, doch wollte sie ihr eigenes Leben für einen Menschen aufs Spiel setzen? Doch wenn sie ehrlich war, konnte sie keine Unschuldigen im Stich lassen. Einer Seiltänzerin gleich balancierte Elea über die glitschigen Äste und brach einen etwa schrittlangen, geraden Ast ab. Schnell löste sie die Blätter und Verzweigungen davon, bis sie ein gerade Stück holz in der Hand hielt. Schnell eilte sie zurück zu ihrem Aussichtspunkt. Das Mädchen hatte mittlerweile einen langen Dolch gezogen und erwehrte sich der Angreifer erstaunlich gut.
Den näheren der beiden Zombies fixierend, begann Elea sich auf ihren Zauber vorzubereiten, schloss die Augen und konzentrierte sich ganz auf den Fluss der Magie. Aus dem dunkel wurde dichter Nebel und schemenhaft nahm sie ihr Ziel durch ihr Gespür wahr. Wie in Trance richtete die Elfe sich auf dem schmalen Ast auf, nahm den Holzstab einem Wurfspeer gleich in die rechte Hand, die Augen noch immer geschlossen, aber nicht Blind für ihr Ziel.
Abermals wich das Mädchen einem Hieb aus. Zu fliehen hatte wohl kaum einen Sinn, denn wenn sie diesen Kampf überlebte, würde sie bald ein anderer töten. Sie war keine Kriegerin und nun, da die Toten sich aus ihren Gräbern erhoben und die Tiere der Tollwut zum Opfer fielen, würde der Blutregen wohl schon bald ihre Leiche ertränken.
Doch ein leises Knistern der Luft erregte die Aufmerksamkeit des Mädchens und fast hätte ein Zombie ihr in den Arm gebissen, doch mit einem beherzten Sprung nach hinten entkam sie knapp. Wieder hörte sie auf das leise Knistern, das langsam lauter wurde, ohne jedoch wieder den Fehler zu begehen die Untoten aus den Augen zu lassen. Ihre Nackenhaare richteten sich auf und Gänsehaut breitete sich auf ihrer Blutverschmierten Haut aus. Sie wusste nicht, ob sie sich das nur einbildete, ob es gut für sie war, oder ob das leise Knistern der Vorbote ihres baldigen Ablebens sein würde.
Die beiden lebenden Leichen ließen von ihr ab und sahen mit ausdruckslosen Augen zu einem nahen Baum. Das Mädchen folgte dem Blick der Untoten, doch lies sie ihre Vorsicht nicht fahren.
Was sie sah verschlug ihr jedoch den Atem. Die Krone des Baumes war hell erleuchtet und überall entluden sich kleine Blitze, die zwischen den Blättern und Ästen kurz aufflackerten, um gleich darauf wieder zu verschwinden.
Mit einem lauten Krachen, als würde der Himmel reißen, löste sich aus der Baumkrone ein gleißender Blitz, schlug in den Rumpf eines Zombies, durchbrannte ihm den Brustkorb und zerfetzte in einer riesigen Entladung den Leib des Zombies in hunderte Stücke, wonach der Blitz auf den zweiten Zombie übersprang und dieser in einem Meer aus Licht unterging. Geblendet wandte das Mädchen sich ab und als das Licht abklang war es, als seien die beiden Untote nur eine Einbildung ihrer Fantasie gewesen.
Sprachlos sah das Mädchen zur Baumkrone auf. War sie Zeugin eines Wunders geworden?
-- update 14.04.03 --
Leicht benommen schlug Elea die Augen wieder auf. Das Mädchen schien sie noch nicht bemerkt zu haben, da ihre Sicht auf die Elfe durch den blutigen Regen und die Blätter verdeckt war.
Was sollte sie jetzt mit dem Mädchen tun? Ließ Elea sie weiterziehen, würden schon bald andere Gefahren nach ihrem Leben trachten. Am besten wäre es, sie brachte das Mädchen zu ihren Artgenossen in die nahe Stadt, deren Befestigung sie schon von weitem gesehen hatte.
Mit geübten Sprüngen erreichte die Elfe immer tiefer gelegene Äste, bis sie schließlich auf dem stand, was mal ein Waldboden war.
Mit großen Augen folgte das Mädchen jeder Bewegung der Elfe, die sich geradezu graziös mit weiten Sprüngen vom Baum hinunter bewegte. Schon nach wenigen Herzschlägen hatte das Sagenumwobene Geschöpf den blutigen Waldboden erreicht.
Gewiss war es unhöflich, jemanden anzustarren, doch das lange - vom Blut rote - Haar, dass sich um das ebenmäßige Elfengesicht wand, die großen, smaragdgrünen Augen, deren Blick sie nicht deuten konnte und die Eleganz, mit der die Elfe sich zu bewegen vermochte, lies das Mädchen staunen.
"Hast ... hast du mich gerettet?", hörte sie sich fragen, doch verstand ihr Gegenüber überhaupt diese Sprache?
Die Elfe ließ sich nicht anmerken, ob sie die Worte verstanden hatte oder nicht und kam langsam näher, bis sie schließlich etwa zwei Schritt vor ihr zum stehen kam und ihr lange in die Augen sah, wobei dem Mädchen ein warmer Schauer über den Rücken lief. Fast wirkte diese Elfe inmitten einem Meer aus Blut wie ein Lichtblick inmitten eines Alptraums.
"Kannst ... kannst du mich verstehen?", fragte das Mädchen unsicher.
"Gewiss, ich spreche viele Sprachen", antwortete ihr eine Stimme, die sanft wie eine Sommerbrise und melodiös wie ein Flötenspiel klang.
"Ich ... ich heiße Jerina", brach Jerina schließlich wieder das Schweigen.
"Nun, so sollst du auch meinen Namen wissen", sang die Elfe, wobei ein feines Lächeln sich über ihre Züge legte. "Man nennt mich Elea."
Obwohl die Elfe nichts weiter tat, als zu lächeln und ihren Namen preiszugeben, entspannte sich Jerina etwas und auch ihre Lippen formten ein Lächeln.
"Du hast mich gerettet oder? Danke."
"Gern geschehen, doch wir sind noch lange nicht in Sicherheit. Wenn du willst, geleite ich dich zur nächsten Stadt", bot ihr die Elfin freundlich an.
"Ich weiß gar nicht, wie ich dir danken soll."
"Zu den Waffen! Bewegt euch verdammt, vor dem Stadttor ist die Hölle los!", hallte es durch den Flur der Gardenkaserne.
Augenblicklich wurden Türen aufgerissen, Lanzen und Hellebarden von den Ständern gerissen, Rüstungen in aller Eile zugeschnürt und Befehle verteilt.
Tiro war einer der Ersten, die den Hof der Kaserne erreichte, sofort wand er sich an die bereits anwesenden Gardisten: "Was ist vorgefallen?"
"Das Stadttor wird von einer ganzen Armee von Skeletten und Wiedergekehrten überrannt!", antwortete ihm ein aufgebrachter junger Gardist. Der Junge war noch nicht alt, zählte vielleicht 19 Sommer.
"Hat man dich gesandt, Verstärkung zu rufen?"
"Jawohl", gab der Gefragte zurück.
"Wenn der Gardehauptmann fragen sollte: ich bin bereits am Stadttor", wies Tiro den Jungen an, bevor er losrannte.
So schnell wie noch nie zuvor in seinem Leben preschte Tiro durch das, mittlerweile bis zum Knöchel reichende, Blut auf den Straßen der Stadt.
Vorbei am Baronssitz, erreichte er schon wenige Herzschläge später den Markt, rannte an verlassenen Markständen und leeren Geschäften vorbei und erblickte schon bald die Stadtmauer, worauf einige Gardisten mit Bögen und Armbrüsten standen, die fieberhaft Salve um Salve in ihre Feinde schossen, während das Stadttor unter dem Ansturm einer unsichtbaren Macht erbebte und sich eine Schar von Gardisten und freiwilligen Zivilisten von der anderen Seite dagegenstemmten.
Ohne seinen Lauf zu verlangsamen stürmte Tiro auf einen Wachturm zu, erklomm die Leiter im Flug und stürzte an eine Mauerzinne.
Atemlos sah sich Tiro einer Armee gegenüber, die selbst zu groß war, um ihre Anzahl nur zu schätzen. Skeletten, an denen das Blut die blanken Knochen hinab rann standen neben verwesten Leichen mit Leeren Augen und entsetzlich entstellten Kleinkindern mit schwarzen Augenhöhlen. Die Pfeile und Bolzen der Gardisten waren vergebens, denn die Skelette störte es nicht weiter daran, wenn Pfeile durch ihre Rippen hindurchsausten und den Zombies machten ein paar Löcher mehr in ihrer Haut auch nichts aus.
Sie waren verloren. Die Garde war nicht ausgebildet Kriege zu führen und die Armee des Barons war weit im Nordwesten des Landes, in den Dunklen Wäldern, um den Armeen des Königs beizustehen.
Nur ein, zwei Dutzend Mann der Armee hielt der Baron noch in der Stadt, doch gegen eine solche Übermacht hätten sie selbst mit einer vollständigen Armee noch schlechte Karten.
Einige verzweifelte Gardisten versuchten Brandpfeile in die Untotenhorde zu schießen, doch der Blutregen löschte die Flammen noch während des Fluges.
Besorgt sah Tiro sich in den eigenen Reihen um. Ein tapferer Zivilist kam mit einer ganzen Schubkarre voll Backsteinen um die Ecke gebogen, die ersten Gardisten auf der Mauer gaben ihre Bemühungen auf, eilten den Leuten am Stadttor zur Hilfe oder sanken verzweifelt in die Knie.
Das platschen von zahlreichen Stiefeln auf dem blutigen Untergrund war bereits zu hören, was wohl die Ankunft der restlichen Garde ankündigte.
Die ersten Steine flogen bereits über die Stadtmauer, zertrümmerten einige Schädel, brachen Knochen und die ersten Untoten fielen sogar in den schlammigen, blutigen Morast zu ihren Füßen, doch ihren Platz in der Menge nahmen schnell andere ein.
Mit lautem Bersten brach der große Holzriegel, der das Stadttor bislang geschlossen hielt und neben zahlreichen Flüchen mischten sich auch die ersten Todesschreie zu dem stetigen Plätschern des Blutregens.
Wie vom Teufel gehetzt stürmte Tiro die Leiter des Wachturmes wieder hinunter, sprang die letzten Sprossen hinab und eilte seinen Kampfgefährten zu Hilfe.
Er vergeudete keine Zeit, sich wieder ein Bild der Lage zu verschaffen, sondern spaltete den Schädel eines vorlauten Skeletts, das versuchte sich um die Verteidiger herum zu schleichen. Es hieß, man könne Untoten alle 4 Gliedmaße abtrennen, ohne das sie ihr unheiliges Leben aushauchten, doch schlug man ihnen den Kopf ein, waren auch diese Gegner besiegt.
Die unheilige Magie des Skelettes, die es zusammenhielt, wich, die Knochen verloren ihren Halt aneinander und fielen klappernd zu Boden. Ohne darauf zu achten rammte Tiro sein Schwert bis zum Heft in die Brust eines Zombies, zog es mit einer Drehung wieder heraus und nutze den Schwung aus, um der unheiligen Kreatur den Kopf von den Schultern zu wuchten. Wie von Sinnen, ums nackte Überleben kämpfend, schwang Tiro immer und immer wieder sein Schwert, sah Kameraden sterben und doch kein Ende der Angreiferschar in Sicht.
Abermals trennte seine Klinge einen Kopf ab. Mit einem Sprung zur Seite wich er einem Zombie aus und stieß auf Widerstand, reflexartig wirbelte er herum, die Klinge schon zum Schlag erhoben, als er die Uniform eines Gardisten erkannte. Fast hätte er einen eigenen Kameraden erschlagen und der Gesichtsaudruck des Gardisten und sein erhobener Waffenarm zeigten, dass er fast das selbe getan hätte.
Ein lauter Schrei war zu hören, als die untote Gestalt eines kleinen Mädchens dem Gardisten in die Wade biss, der Schlag eines Skelettes mit der bloßen Knochenhand in den Rücken warf ihn schließlich zu Boden. Sofort stürzte sich das Zombiekind auf den gefallen, rammte immer und immer wieder seine Zähne in das Fleisch des Gardisten und schmatze ekelerregend auf den ausgerissenen Fleischbrocken.
Tiro fand rechtzeitig die Fassung wieder, um einem Angriff auszuweichen, den er mehr aus dem Augenwinkel erahnte als sah und wich dem Hieb einer mächtigen Hellebarde aus, die von einem Untoten in Gardeuniform geführt wurde.
Im Gegensatz zu den anderen lebenden Toten war diese noch nicht verwest und Bissspuren am Hals zeugten davon, dass er noch nicht lange tot sein konnte.
Erhoben sich nun auch die gefallenen um gegen ihre einstigen Verbündeten zu kämpfen?
Mit dem Mut der Verzweifelung stürmte Tiro vor, trat mit aller Wucht in den Leib des Zombiekindes, das noch immer auf seinem gefallenen Kameraden saß, ergriff die Hellebarde mit der linken und durchtrennte mit dem Schwert in seiner rechten den Hals des Untoten. Geistesgegenwärtig wich er in letzter Sekunde den Zähnen des Zombiekindes aus, dass blitzschnell wieder auf den Beinen war und nun nach seinen Beinen schnappte. Er schleuderte die Hellebarde mit dem Holzgriff voran nach einem anderen Untoten, traf jedoch in die Leere zwischen den Rippen eines Skeletts.
Mit einem Rundumschlag verschaffte er sich für einen Atemzug Ruhe und überblickte kurz das Schlachtfeld. Er war fast umzingelt, denn rechts und links von ihm kämpften nur noch vereinzelt Gardisten und schon bald würde sich der Ring um ihn schließen.
Wieder musste er einem Hieb ausweichen, durchtrennte einen Zombiearm, der nach ihm Schlug und mit einem gewaltigen Hieb spaltete er den Kopf des untoten Kindes entzwei. Ohne verschnaufen zu können, wuchtete er seine Klinge wieder aus dem Schädel, duckte sich unter einem Speerhieb und zog einem nebenstehenden Skelett die Beine weg. Im aufstehen blockte er den Speer, stürmte nach vorne und schlug mit seiner linken nach dem Kinn des Untoten. Dieser taumelte immerhin ein Stück zurück, was ihm reichte um sein Schwert zu lösen und den Arm mit dem Speer abzutrennen.
"Rückzug!", hörte er die altvertraute Stimme Tijaks über das Schlachtfeld rufen, ohne sich von den Untoten abzuwenden, rannte er ein Stück zurück, doch die Untoten setzten nicht nach, sondern wanden sich anderer Beute zu, sie waren nicht besonders schnell, dass war ihre einzige Schwäche.
Gerade noch rechtzeitig um eine Handvoll Gardisten um eine Häuserecke verschwinden zu sehen, wand er den Kopf, ein Blick zurück zum Stadttor zeigte ein Bild der Verwüstung. Die Zahl der Kämpfenden war auf unter ein Dutzend gesunken, doch die Schar der Untoten war noch immer ohne Zahl und drang durch das offene Stadttor.
Tiro trieb seine Klinge in die Scheide zurück und rannte los.
Die Straßen waren nun alles andere als leer, einige übermutige liefen mit Waffen Richtung Stadttor, andere knieten im Blut und beteten lautstark die Kräfte des Lichts um Beistand an. Wieder andere rannten einfach nur. Wohin war nebensächlich, doch solange man auf der Flucht war, hieß das eine Überlebenschance zu haben.
"Die Schlacht ist verloren! Flieht!", schrie Tiro auf seinem Weg jedem entgegen, dem er ansichtig wurde.
Endlich erreichte er den Hof der Gardekaserne. Weit und breit war Niemand zu sehen, wie Tiro fast schon beruhigt feststellte.
Schnell überschritt er den Hof und klopfte an die Eisenbeschlagene Tür der Kaserne. Hinter der Tür tat sich nichts. Erneut klopfte er an, diesmal etwas fester. "Macht auf verdammt, würde ein Untoter anklopfen?", schrie er schließlich, nachdem sich wiederum nichts regte.
Erst jetzt hörte er sich nähernde Schritte hinter der Tür. Ein schabendes Geräusch zeugte davon, dass ein schwerer Riegel zur Seite geschoben wurde. Die öffnete sich einen Spalt und zwei misstrauische Augenpaare musterten ihn und suchten nach versteckten Feinden. Die Suche blieb erfolglos und so schwang die Tür schließlich ganz auf.
"Verzeiht mein misstrauen, aber ..."
"Schon gut, spart euch eure Energie zum kämpfen, nicht zum entschuldigen", unterbrach Tiro den Gardisten, dessen Gesicht man unter all dem getrockneten Blut schon nicht mehr erkennen konnte und trat ein. "Verriegele die Tür gut und bete zu allem, was dir heilig ist, dass wir diesen Alptraum leben überstehen", sagte er dem Gardisten und schlug ihm bekräftigend auf die Schulter, bevor er den Weg zum Versammlungssaal einschlug. Noch einmal kurz blieb er stehen. "Der Rest der Garde ist doch im Versammlungssaal oder?" Der Gardist nickte knapp, woraufhin Tiro seinen Weg fortsetzte.
Etwas unsicher traf er in dem großen Saal mit dem blau-silbernen Banner des Barons ein. Er wusste nicht, womit er gerechnet hatte, doch er war überrascht 7 Gardisten anzutreffen, die alle schweigend auf ihren Stühlen saßen. Niemand stand am Rednerpult, auch Tijak nicht, der als einziger den Neuankömmling mit mehr würdigte, als mit einem kurzem Blick.
"Ich dachte schon du zähltest zu den Gefallenen", sagte der Gardehauptmann mit tonloser Stimme, ohne sich von seinem Stuhl zu erheben.
"Aber ich lebe noch", gab Tiro mit betont heiterer Miene zurück.
"Fragt sich nur wie lange noch", warf einer der Gardisten ein.
Schweigen war die Antwort, denn der junge Mann sprach aus, was alle dachten. Sie waren entkommen, doch nun warteten sie eigentlich nur darauf, bis die Untoten kamen, auch sie zu holen.
Wütend funkelte Tiro den Gardisten an, doch dieser würdigte ihn nicht eines Blickes und starrte vor sich ins Leere - ebenso wie die 6 anderen Anwesenden.
"Verdammt noch mal, wozu seit ihr geflohen, wenn ihr nun doch nur auf euren Tod wartet?", schrie er die Gardisten an.
Schweigen.
"Also gebt ihr auf?"
Enttäuscht sah sich Tiro die sieben erbärmlichen Gestalten an, die er einst für Gardisten gehalten hatte. "Vor allem von dir hätte ich mehr erwartet Tijak", schnauzte er seinen einstigen Freund und Vorgesetzten an.
Schweigend erhob sich der angesprochene von seinem Stuhl und schritt auf ihn zu. "Sieh dich um Tiro, ich hatte einst die Verantwortung für vierundsiebzig Gardisten, nun leben noch ganze 7 Stück, dich und den Posten an der Tür eingerechnet. In der Schlacht musste ich mit ansehen, wie meine eigenen Männer als Untote wiederauferstanden, nur um ihre einstigen Kameraden anzugreifen. Lass gut sein Tiro. Ruh dich ein wenig aus. So wie die Dinge stehen, werden wir beide nicht mehr sehr lange leben, also lass uns nicht im Streit abtreten."
Tijaks Worte hatten etwas endgültiges an sich. Tiro wollte schreien, die Männer zum Kampf schicken, ihnen Mut machen, doch vermutlich konnte er ebenso gut mit einem Kieselstein reden.
Ohne ein weiteres Wort zu sagen, wand er sich zum gehen und verließ den Versammlungssaal wieder.
Seine Schritte führten ihn zum Zimmer des Hauptmanns, wo er die Balkontür öffnete und hinaus trat. Hin und wieder durchdrang ein Schrei das Prasseln des Blutregens, doch soweit er sah, konnte er Niemanden erkennen.
Er trat wieder hinein und nahm auf dem Lesesessel des Gardehauptmanns platz. Gewiss hätte ihn Tijak erschlagen, wenn er sehen würde, wie Tiro sich - blutverschmiert wie er war - ohne wenigstens die blutigen Fetzen auszuziehen auf dem Sessel platz nahm, doch nun war es ja egal.
"Es darf nicht das Ende sein", hörte er sich sagen, doch eine traurige Gewissheit machte sich in ihm breit, dass alle Hoffnung bereits vergebens war.
Nachdem ihr Jerina gesagt hatte, dass sie den Weg kannte, lies Elea ihr den Vortritt, auch wenn sie das Mädchen schon mehr als einmal hinter einen Busch oder Baumstamm ziehen musste, damit sie nicht tollwütigen Bestien in die Hände fiel. Die Elfe hatte sich dazu entschlossen nichts mehr dem Zufall zu überlassen und einen Hellsicht Zauber gewirkt, der ihre Sinne fast bis zur Schmerzgrenze schärfte. Der Zauber kostete sie einiges an Kraft, doch hätte sie bereits die Dunklen Wäldern wohl nicht ohne diese Formel überlebt.
Sie hatte Jerina darum bitten müssen zu schweigen, damit sie sich voll und ganz auf die Gefahren ihrer Umgebung konzentrieren konnte, was ihnen bisher eine Begegnung mit weiteren Feinden erspart hatte, zumal der Wald sich lichtete und sie die meisten ernsten Gefahren wohl schon hinter ihnen lagen.
Von weitem schälten sich langsam die Konturen einer Stadtmauer aus dem roten Zwielicht, jedoch konnte sie unter Einwirkung des Zaubers auch weit sehen und es würde noch einige Zeit dauern, bis sie die Stadt erreichten.
Der Tag neigte sich schon langsam seinem Ende zu und so war Elea froh, dass sie das Mädchen noch vor Einbruch der Nacht in der Stadt abliefern konnte, um von da an wieder ihren Weg nach Hause aufnehmen konnte.
Doch was Elea dann sah, nahm jeden Wind aus ihren Hoffnungen, Jerina bald in Sicherheit zu wissen.
-- update 15.04.03 --
Die Spuren einer Schlacht waren nicht zu übersehen. Das Stadttor war aufgebrochen und überall trieben Knochensplitter, abgetrennte Gliedmaße und Innereien umher. Der Gestank nach Verwesung und faulem Fleisch drang an Eleas feine Elfennase, was durch den Zauber noch ins unerträgliche gesteigert wurde. Mit ernster Miene blieb die Elfe stehen, wies Jerina an, es ihr gleich zu tun und sah sich aufmerksam nach Gefahren um. Sie würden schon bald den Waldrand erreichen und von dort aus würden sie ihre scharfen Sinne nur stören, denn schon von weitem hatte sie mit dem Zauber Probleme den Gestank zu ertragen, doch würden sie erst am Schlachtfeld ankommen, würde sie sich kaum noch bewegen können vor Übelkeit.
Soweit ihre scharfen Augen sehen konnten, war nichts in Sicht, stellte Elea beruhigt fest und unterbrach den astralen Fluss.
"Ich glaube nicht, dass du noch freiwillig in die Stadt willst, Jerina", brach die Elfe schließlich das Schweigen zwischen den beiden.
Etwas verwirrt musterte das Mädchen Elea. "Warum?"
"Es haben sich bedeutend mehr Tote aus ihren Gräbern erhoben, als nur die beiden, die dich im Wald angegriffen hatten", gab Elea etwas unruhig zurück. "Doch sieh es dir selbst an, folge mir."
Beunruhig folgte Jerina ihrer misteriösen Begleiterin durch den sich lichtenden Wald.
Als auch ihre menschlichen Augen des Massackers ansichtig wurden, nahm Jerinas Gesicht die Farbe frischen Pulverschnees an. Der Gestank, der über der grausamen Szenerie lag, trieb ihr die Tränen in die Augen und als sie versehentlich in einen halb zertrümmerten Schädel trat, mischte sich zu dem blutigen Regen auch ihr Mageninhalt.
Erst als sie eine warme Hand auf ihrer Schulter spürte, begann der Brechreiz langsam ab zu ebben.
"Du warst vorher noch nie auf einem Schlachtfeld oder?", fragte sie Elea, fürsorglich, wobei etwas beruhigendes, fast mütterliches in ihrer Stimme mitklang.
Jerina versuchte zu antworten, jedoch brachte sie kaum mehr als ein halbersticktes Husten hervor, woraufhin sie es vorzog den Kopf zu schütteln.
"Ich wusste, dass du hier oben bist", riss die Stimme des Gardehauptnamms Tiro aus seinen finsteren Gedanken.
Ohne auf eine Antwort zu warten nahm Tijak hinter dem Schreibtisch platz.
Fast schon wünschte Tiro sich, sein alter Gefährte würde ihn beschimpfen, wegen dem Blut auf seinem Lesesessel, doch beide Männer schwiegen.
Schließlich war es Tijak, der das Schweigen wieder brach. "Weißt du, nach dem ich diese aufgeplatzten Leichen auf der Lichtung gesehen hatte dachte ich, mich könne nichts mehr erschüttern. Ich wollte nur eines: den Täter zu fassen kriegen. Ihn für das bezahlen lassen, was er den Leuten dort angetan hatte. Der Baron hatte mich zu sich gerufen und ..."
"Der Baron?" Mit einem Satz war Tiro wieder aus dem Sessel. "Wieso bin ich nicht gleich darauf gekommen?", fragte er mehr zu sich selbst gerichtet.
"Hast du vergessen was man sich über den Baron und sein Anwesen erzählt Tijak?", wand er sich an den Hauptmann, der ihn fragend ansah.
Endlich ging auch seinem Gegenüber ein Licht auf und ohne dass sie ein weiteres Wort hätten wechseln müssen, eilten beide hinunter in den Versammlungssaal.
"Folgt mir Männer!", fuhr Tijak seine Männer mit der festen, Befehlsgewohnten Stimme an, die Tiro schon so sehr vermisst hatte.
Mit zweifelnder Miene zwar folgten die Soldaten dem Befehl, doch sie folgten ihm, das war die Hauptsache.
Während die Gardisten nur langsam in fahrt kamen, hatte Tiro neue Hoffnung geschöpft, eilte an dem Türposten vorbei und riss den Riegel zur Seite. Als die Männer aus dem Versammlungssaal endlich zu ihm gestoßen waren, riß er die Tür auf.
"Zum Baronssitz!", hieß er die Männer.
"Warum sollen wir dorthin?", gab einer der Gardisten protzig Antwort.
"Weil es ein Befehl ist und außerdem unsere einzige Überlebenschance", war die kühle Antwort Tijaks, woraufhin sich der Trupp endlich in Bewegung setzte.
Kaum hatten sie den Kasernenhof überquert, wurden sie bereits wieder Zeuge des nächsten Kampfes, denn am anderen Ende der Straße wehrten sich drei Bauern mit Heugabeln und Knüppel gegen eine untote Übermacht. Zum Baronssitz mussten sie in die andere Richtung, doch ehe ein anderer Gardist ihn hätte aufhalten können, rannte er die Straße hinab, zog in vollem Lauf sein Schwert und zerschlug einem Skelett aus vollem Lauf die Wirbelsäule. Neben ihm zerplatze der Kopf eines Zombies, als der Speer eines Gardisten ihn durchbohrte. Sofort eilten die drei Bauern durch die freigewordene Lücke zu den Uniformierten, Tiro spaltete das Schulterblatt eines Zombies, der nach einem der Bauern schlug, zog die Klinge aus dem fauligen Fleisch und rannte hinter den Übrigen her, die bereits wieder losgerannt waren. An der nächsten Häuserecke überraschten sie eine Handvoll Zombies, doch noch ehe sich die Untoten umdrehen konnten, hatten Tijak zwei von ihnen, die die Mitte der Straße blockierten, erschlagen und die Gruppe rannte weiter. Der Marktplatz war geradezu überflutet mit Untoten, stellte Tiro im vorbeilaufen fest, doch sie hatten den Sitz des Barons erreicht.
Die Tür stand offen und die kleine Gruppe rannte darauf zu. Es war das erste mal, dass Tiro diese Tür durchschritt, doch er hoffte nur, dass er nicht gerade seine eigene Grabkammer betrat.
-- update 16.04.03 --
Wäre es ein anderer Anlass gewesen, hätte Tiro gewiss kurz innegehalten, um sich in der großen Empfangshalle umzusehen. Das große Kuppeldach aus Glas und kunstvolle Fenster beachtete er genauso wenig wie den blauen Teppich, der von der Eingangstür die Treppe hinauf führte, die wertvoll gearbeitete Kuckucksuhr, die neben einer imposanten Wanduhr stand und noch weniger Aufmerksamkeit brachte er einem großen Gemälde samt Wappenschild des Barons entgegen.
Schnell schlossen die Gardisten das Eingangstor. Außer einem großen Schloss an der Tür fanden sie jedoch nichts, womit das Tor hätten verriegeln können. Der Baron verließ sich scheinbar bei der Sicherung seines Eigentums auf seine Wachen, statt auf Riegel.
"Die Wanduhr!", wies Tijak seine Leute an und gemeinsam schleiften sie die schwere Wanduhr durch die Empfangshalle und stemmten sie gegen das Tor. Gegen die Untoten war es ein lächerlicher Schutz, doch jede Minute, die sie die Horde damit aufhielten, konnte lebenswichtig sein.
"Gut verteilt euch. Ihr kennt bestimmt die Gerüchte, dass der Baron hier einen Geheimtunnel errichten ließ, für den Fall einer Belagerung. Geht allem nach, was einen Geheimgang verbergen könnte", befahl Tijak seinen Gardisten und war schon im Begriff loszueilen, als einer der Bauern sich räuspernd an ihn wand.
"Wir haben euch noch gar nicht gedankt, dass ...", fing der Bauer an, doch Tijak unterbrach ihn jäh. "Danken könnt ihr uns, wenn ihr in Sicherheit seit und jetzt fangt gefälligst an zu suchen!"
Ohne den Bauern weitere Beachtung zu schenken, rannte der Gardehauptmann zu einer der beiden Türen zu seiner Linken, dicht gefolgt von Tiro, während die übrigen Gardisten sich auf die anderen Türen und die Treppe verteilten.
Etwas perplex standen die Bauern kurz zögernd am Eingangstor, doch dann siegte auch ihr Überlebenswille und sie stürmten die Treppe hinauf.
Schwungvoll riss Tijak die Tür auf und rannte hindurch, blieb jedoch abrupt stehen. Er stand in einem Flur, von dem aus rechts und links jeweils 4 Türen waren, eine weitere am Ende des Ganges.
"Du rechts ich links", wies er Tiro an und verschwand in der ersten Tür.
Auch Tiro riss die Klinke der ersten Tür zu seiner rechten hinunter, doch sie blieb geschlossen. Entschlossen trat er einen Schritt zurück und warf sich mit aller Kraft gegen die Tür, doch außer einer schmerzhaften Begegnung mit dem massiven Holz blieb der Erfolg aus.
"Wo ist eine Axt, wenn man eine bracht?!", fluchte er laut, bevor er sich erneut gegen die Tür warf. Erst beim dritten Anlauf gab die Tür krachend nach. Die Kammer dahinter war leer.
Tiro unterdrückte den Drang zu fluchen und rannte zur zweiten Tür. Diesmal hatte er mehr Glück und die Tür leistete ihm keinen Widerstand. In der kleinen Kammer stand nur ein Bett, eine kleine Truhe und ein Schrank. Entschlossen zog Tiro den Schrank vor, dahinter war jedoch nur massive Felswand. Auch unter dem Bett war nichts ungewöhnliches und in der Truhe – die Kleider, einen Schleifstein, Wappenröcke und ein paar kleine Habseligkeiten verbarg – befand sich kein doppelter Boden.
In den übrigen Kammern bot sich ihm das gleiche Bild und auch die Einrichtung variierte nur in der Anordnung. Als er die letzte Kammer wieder verließ, stand die Tür am Ende des Ganges schon offen und so rannte er hindurch – mitten in eine Küche hinein.
"Wer hier einen Geheimgang versteckt, gehört in eine Geistesklinik", dachte Tiro missmutig und rannte wieder zur Eingangshalle.
Unschlüssig stand er auf dem blauen Teppich und überlegte. Der Teppich? Mit einem Ruck zog er sein Schwert aus der Scheide, hob den Teppich am Rand ein Stück an zerschnitt ihn. Zunächst rollte er den Teppich Richtung Tür auf, doch keine Luke verbarg sich darunter. Dann schob er den Teppich vor der Treppe weg. Nichts.
Erst jetzt erkannte er, dass rechts von der Treppe noch eine unscheinbare Tür war, die sich kaum von der Wand absetzte. Schnell war hingeeilt und riss die Tür auf, blickte auf Regale und Truhen.
"Toll, eine verdammte Abstellkammer", fluchte Tiro und trat gegen eines der Regale, dass mit Tontellern, Tassen und Besteck gefüllt war.
Mit lauten splittern zerbrach ein grossteil der Teller, als das Regal umfiel. Im fallen riss das Regal ein weiteres Regal um, dass dahinter stand, doch Tiro war schon längst wieder hinausgeeilt. Unschlüssig rannte er die Treppe hoch. Die erste Tür am Ende der Treppe musste die Kammer des Barons sein, denn sie war mit Gold verziert und aus schwerem Holz gefertigt – das aber nicht verhindert konnte, dass die Tür von Gardisten aufgebrochen wurde.
"Ich glaube ich hab was", hörte er einen Gardisten sagen, als er gerade eine noch geschlossene Tür ansteuerte. Wie der Wind stürmte Tiro sofort in das Baronszimmer.
"Was hast du gefunden?", fragte er den verdutzen Gardisten, der vor einem Schrank kniete.
Schnell fasste der Gardist sich jedoch wieder. "Der Schrank des Barons hat einen doppelten Boden glaube ich, jedenfalls klingt der Boden an einer Stelle hohl."
Mit metallischen Surren glitt Tiros Schwert aus der Scheide. "Komm, versuchen wir die Luke auszuhebeln", sagte er zu dem Gardisten, der ebenfalls sein Schwert zog. Der Gardist stach in eine Stelle des Schrankbodens. Tiro schabte mit der Spitze der Klinge ein wenig über den Schrankboden, bis sie in einer kleinen Vertiefung versank.
Ein zweiter Gardist, den Tiro bislang noch gar nicht zu Kenntnis genommen hatte, durchsuchte unterdessen den Rest des Zimmers.
"Auf drei", sagte der Gardist neben ihm, Tiro nickte.
"Eins ... zwei ... drei!"
Zugleich stemmten die beiden Männer gegen ihre Klingen, drückten sie mit aller Gewalt nach unten, bis die geheime Klappe krachend nachgab. Der Blick wurde frei ein glitzerndes Gold, blinkende Juwelen und einen Brief, aber keinen Geheimgang.
"Mist", hörte Tiro den Gardisten fluchen, der bereits weitereilte.
Etwas verwundert über den Brief, sah Tiro sich das Schreiben genauer an, worauf in geschwungener Handschrift "An den widerlichsten Menschen, den ich kenne: dich Vater!" stand. Schnell lies Tiro den Brief in seinem Wams verschwinden, schlug die Klappe wieder zu und verließ das Zimmer des Barons.
Von unten konnte Tiro ein lautes Hämmern gegen das Eingangstor hören. Ihnen lief die Zeit weg! Irgendwo musste ein Geheimgang sein, denn der Baron und seine Angestellten wären sonst wohl kaum unauffindbar.
Ein lautes Krachen war von der Eingangstür zu hören und Tiro rannte einige Schritt vor, um von der Treppe aus die Lage überschauen zu können. Ein großer Riss verlief quer über den rechten Torflügel.
Ein weiterer Riss folgte mit lautem Krachen und ein aus dem Riss wurde ein großer Spalt.
"Die Untoten kommen, beeilt euch!", rief Tiro so laut er nur konnte durch die Hallen des Anwesens. Niemand antwortete und so stieg er wieder die Treppe hinab und sah sich fieberhaft nach einem Ausweg aus dieser Sackgasse um. Die Abstellkammer! Die Kammer hatte ein Fenster, dass auf den Innenhof des Anwesens führte, von dort aus konnte er vielleicht entkommen.
So schnell ihn seine Beine trugen hechtete er zur Abstellkammer, sprang über die umgestürzten Regale, öffnete das Fenster und stieg hindurch.
-- update 29.04.03 --
Der Garten war ein wahres Prunkstück des Barons und aus dem Blut ragten zahlreiche Blumensorten, die Tiro noch nie zuvor in seinem Leben erblickt hatte. Um einen kleinen Brunnen in der Mitte des Blumengartens standen drei schön gewachsene Bäume, mit weißen Blüten, unter denen einladende Bänke platziert waren, doch der junge Gardist gönnte sich keinen Atemzug Ruhe und schenkte den kostbaren Blumen keine Beachtung.
Einem kleinen Funken Hoffnung folgend, stürmte er zum Brunnenrand, erblickte aber mit gewisser Enttäuschung nur Wasser.
"Wäre auch zu schön gewesen", dachte er verbittert.
Resignierend ließ Tiro den Blick durch den Garten wandern, auf der Suche nach einer Fluchtmöglichkeit. Es führte nur eine einzige Tür zum Garten – und wieder hinaus – und die führte in Richtung der Küche, wo er den Untoten kaum entrinnen konnte.
Ein lautes, hölzernes Splittern schoss dem jungen Gardisten das Adrenalin durch die Adern. Verzweifelt sah er sich weiter um, doch obwohl es noch einige Fenster zum Garten hin gab, war lediglich das zur Abstellkammer in erreichbarer Höhe.
"Verstecken oder sterben, was darf es sein?", hörte Tiro sich mit belegter Stimme fragen.
Doch was hatte er davon, wenn er starb? Außer dass er nicht mehr lebte ...
Vorsichtig stieg er über den Rand des Brunnens und sprang hinab in die Dunkelheit.
Geräuschlos drangen seine Füße durch die Wasseroberfläche, doch unter dem vermeintlich schimmernden Wasser war nichts, was seinen Sturz bremsen konnte.
Panik keimte in Tiro auf, verzweifelt versuchte er die Dunkelheit zu durchblicken und Halt zu finden, doch er stürzte einfach nur immer tiefer.
"Warte hier auf mich, ich komme bald wieder", wies Elea die immer noch blasse Jerina an. Es war nicht leicht gewesen, dem jungen Mädchen in die Baumkrone zu helfen, doch hier oben war sie halbwegs sicher.
Ohne eine Antwort abzuwarten, war die Elfe bereits mit geübten Handgriffen vom Baum abgestiegen und eilte ein Stück tiefer in den bedrohlichen Wald, immer auf der Hut vor möglichen Feinden.
Sie sprintete ein wenig, bis sie sich außerhalb Jerinas Sichtfeldes befand. Zwar hatten sich ihre schlimmsten Befürchtungen Jerina betreffend nicht bewahrheitet, doch ihre Magie wollte sie vorsichtshalber nur zur Not in der Nähe eines Menschen wirken.
Ein letztes Mal vergewisserte sich Elea, dass Niemand in der Nähe war, der ihr hätte zusehen können. Mit Leichtigkeit schwang sie sich auf einen Baumast, wo sie sich zusammen kauerte.
Die Magie durchfloss die Elfe, lies sie kleiner werden. Ihre Schulterblätter brachen auseinander und gaben zwei kleine, lederne Schwingen frei, während sich ihre Haut abschälte und unter der weißen, zarten Haut kleine Schuppen zum Vorschein kamen.
Nur kurze Zeit später erhob sich von dem Ast ein kleiner Drache, der in der beginnenden Dämmerung emporstieg und der Menschenstadt entgegen flog.
So sehr Elea das Fliegen eigentlich liebte, so sehr hasste sie es, sich durch strömenden Blutregen mit den kleinen Flügeln hindurch zu quälen. Doch schon bald überflog sie in guter Höhe die Stadtmauer. Von weitem schon hatte ihre empfindliche Nase selbst durch den Blutgeruch den Gestank der Verwesung gewittert. Die Straßen boten ein schier apokalyptisches Bild: Untote wateten durch einen Matsch aus Blut und Innereien, alle Haustüren waren eingeschlagen, ebenso die Fenster und vermutlich auch alles, was sich im Haus selbst befand. In den Straßen lagen, von komplett zerstückelten und kopflosen Kadavern abgesehen, keine Toten, denn die liefen umher.
Was diese trostlose Armee noch in der Stadt hielt, wusste Elea nicht zu sagen.
Schon bald hatte die Elfe genug gesehen und flog zurück.
Die Höhle war zu dunkel, um wirklich zu sagen, ob es eine Höhle war. Oben musste eine Öffnung sein, denn der unentwegte Regen fiel auch hier auf den Boden.
Durch einen jähen Schrei erwachte Tiro in der Höhle und er horchte in die Dunkelheit. War es sein Schrei gewesen?
Er war gestürzt. Leider folgt auf jeden Sturz auch ein Aufprall, der sich schmerzlich in Erinnerung rief. Er musste wohl auf seinem linken Bein gelandet sein, denn es schmerzte so sehr, dass die üblichen Qualen dagegen erträglicher wurden.
Ein Versuch sich aufzurichten, stieß ihn jedoch schmerzlich ins Reich der Träume zurück.
Mit getrübter Stimmung ließ Elea sich auf einem Ast nieder. Ihre scharfen Augen konnten weit und breit keine Gefahr orten und schon bald saß eine traurig und nachdenklich wirkende Elfe auf dem Ast.
Sie hätte mit viel gerechnet, doch nicht mit einer ganzen Stadt untoten Lebens.
Mit einem Satz war sie vom Baum und beeilte sich, zurück zu Jerina zu kommen.
In der Baumkrone wartete ein unruhig schlafendes Mädchen auf Elea und nach kurzer Überlegung wirkte die Elfe einen Dunkelheitszauber über sich, um von Gegnern ungesehen schlafen zu können, und schlief schon bald selbst ein.
{ Zwischenspiel }
Wie ein Goldfisch am Rande eines Wasserfalles focht der unruhige Geist verzweifelt gegen die Strömung an. Fast wie nach einer Unendlichkeit schlug ein Augenpaar auf, in deren Pupillen eiskaltes, blaues Dämonenfeuer brannte.
Nicht noch einmal wollte Er den Schmerzen unterliegen, nie wieder die Kontrolle verlieren.
Ohne Rücksicht auf seinen eigenen Körper zu nehmen, stand er auf, um sich umzusehen. Aus dem Dämonensee schoss eine gewaltige Fontäne, die den stetigen Blutregen zu nähren schien. Der Dämon hatte in seiner Hinterlist dafür gesorgt, dass dunkle Magie herrscht, während der schwache Mensch, der eigentlich über diese Magie herrschen wollte am Boden lag.
Wie ein Traumwandler bewegte Er sich zum Rand des Sees, fiel an seinem Ufer auf die Knie. Mit geschlossenen Augen tastete Er nach dem Bewusstsein des Dämonensees und hielt es fest umklammert, als er es fand.
Der finstere Wille des Sees lechzte nach Blut und Chaos auf Erden, doch auch dieser Wille konnte unterworfen werden.
So sehr sich das dämonische Bewusstsein auch sträubte, schließlich wurde es nieder gerungen und fügte sich. Die Fontäne ebbte jäh ab und die tiefroten Wolken begannen langsam auseinander zu reißen.
Er brauchte einen Körper. Er spürte, wie das kalte Feuer seine Seele ausbrannte, wie die dunkle Magie seinen Körper peinigte und Er immer schwächer wurde.
Doch der Körper eines Menschen würde ebenso vergehen wie sein eigener. Er brauchte den Körper eines Wesens, durch dessen Adern magisches Blut floss, bestimmt für die Ewigkeit.
{ drittes Kapitel }
Grausige Spiele
-- Update 21.05.03 --
Als Elea ihre Augen aufschlug, umfing sie Dunkelheit. Wie lange sie geschlafen hatte, konnte sie nur schwer abschätzen, doch gewiss war der Tag schon längst angebrochen. Mit müder Geste beendete sie den Zauber und einen Herzschlag später saß die Elfe in mildem Sonnenschein, während ihr rot verkrustetes Haar von einer sanften Brise hin- und hergewogen wurde. Es war ruhig um sie herum. Kein Vogel sang, kein Wolf heulte, nicht einmal Schritte durch den Wald waren zu hören.
Erst ein langgezogenes Gähnen von Jerina beendete die Stille kurzzeitig.
Elea sah dem Mädchen ruhig zu, wie sie sich streckte und ein wenig unsicher auf dem Ast versuchte sich hinzusetzen.
"Der Regen hat ja aufgehört", stellte Jerina erleichtert fest.
"Hoffentlich für immer", fügte die Elfe nicht ganz so fröhlich hinzu.
Jerina ging nicht weiter darauf ein, doch erinnerte sie sich schon bald daran, dass sie alleine eingeschlafen war. "Was hast du gestern in der Stadt noch gesehen?"
Elea schwieg eine Zeitlang, bevor sie endlich die richtigen Worte gefunden hatte: "Die Stadt war ein einziger Hort für Untote. Lebend streifte keiner mehr durch die Straßen, doch dafür füllten umherlaufende Kadaver das Stadtbild."
Die Worte der Elfe hingen noch ein wenig in der Luft, doch bald kehrte wieder Stille ein und keiner fand die richtigen Worte, das Schweigen zu brechen.
Als die Sonne noch etwa eine Stunde vor ihrem Zenit stand, machte die Elfe sich unvermittelt an den Abstieg.
"Ich bleibe nicht sehr lange weg, warte so lange auf mich", verabschiedete sich Elea, ohne dass man ihr hätte widersprechen können, denn sie verschwand direkt und so blieb Jerina nichts weiter übrig als zurück zu bleiben und sich über die Elfe zu wundern.
Ein gut geschultes Auge, dass zudem just in diesem Moment Ausschau hielt, konnte in einiger Entfernung einen kleinen Drachen erblicken, der ausgelassen Slalom zwischen den großen Baumkronen flog und es auch nicht eilig zu haben schien, als er sich letztlich doch für eine Richtung entscheiden konnte.
Schnell verschwamm das Bild selbst für das schärfste Auge und aus der keinen Kontur des Drachens wurde am Horizont ein kleiner Punkt, der schon bald nicht mehr zu erblicken war.
Einem Ortskundigen Späher erschloss sich gar, dass der Punkt am Horizont in Richtung der nahe gelegenen Stadt verschwand, doch wenngleich Jerina auch Ortskundig war, so war ihr Blick nicht scharf genug und außerdem zog sie es vor zu dösen, statt nach kleinen Drachen Ausschau zu halten.
Die Dunkelheit umgab Tiro und legte einen dunklen Schatten der Hoffnungslosigkeit über ihn. Seine Glieder waren Taub und durch all die Schmerzen und Stunden der Bewegungslosigkeit hatte er kaum mehr Gefühl in seinem Körper.
Er wusste nicht, wie lange er schon Regungslos dalag, doch allmählich begannen Hunger und Durst an ihm zu zehren.
Steif, fast mechanisch hob Tiro den Kopf und stütze sich nach einer halben Ewigkeit endlich auf seinem rechten Arm.
Vorsichtig winkelte er das linke Bein an – und biss die Zähne zusammen, wobei diesmal seine Selbstbeherrschung über die Besinnungslosigkeit siegte.
Vorsichtig richtete sich der junge Gardist auf, doch bevor er stand versagten ihm die Füße den Dienst und er fiel vornüber auf die Knie.
Auf allen Vieren watete Tiro durch das langsam trocknende Blut, bis seine Hände endlich eine stabile Felswand fanden.
So behutsam wie ihm möglich war stütze er sich gegen den Felsen und erhob sich zögernd von seinen Knien.
Nach schier endlos erscheinenden Minuten hielt der junge Gardist sich unsicher wie ein Säugling auf den Beinen, halb gegen die Wand gelehnt.
Sein Kopf war leer, die Gedanken vom Schmerz verjagt und die Gefühle von der Dunkelheit erstickt.
Wie unter Trance begann Tiro stockend sich an der Wand entlang zu tasten.
Um die Richtung scherte er sich nicht und sein Überlebenswille trieb ihn Stück für Stück weiter.
Die Sonne auf ihren ledernen Schwingen genießend ließ Elea den Blick über das Land schweifen. Es schien, als habe der blutige Regen der letzten Tage alles Leben aus dem Wald gejagt. Die Tiere, die nicht dem Wahnsinn anheim gefallen waren, hatten gewiss das Weite gesucht und die übrigen hatten sich vermutlich gegenseitig umgebracht oder aber lagen auf der Lauer.
Gewiss würde es Jahre dauern, bis der Wald wieder mit Leben aller Art gefüllt war, doch die Elfe vertrieb die finsteren Gedanken und schenkte ihre Aufmerksamkeit lieber dem, immer näher rückenden, Stadttor.
Das Bild, dass sich Elea bot, war gewiss nichts für schwache Nerven. Das Leichen vor der Stadt waren von einer dicken Blutkruste bedeckt, in den vielen Schädeln hatte sich das Blut gesammelt und der Gestank nach faulem Fleisch und Blut lag über der grausigen Szenerie.
Die Elfe in Drachengestalt verlangsamte ihren Flug und setzte zur Landung auf der Stadtmauer an. Nicht ein Untoter lief mehr durch die Straßen, doch dafür stapelten sich die Kadaver in den Straßen. Das Ende des Blutregens schien also auch das Ende der Untoten bedeutet zu haben, bestätigte sich Eleas Hoffnung.
Ihre kleinen Krallen berührten den blutigen Stein der Stadtmauer und die ledernen Schwingen legten sich wieder um ihre kleine Gestalt.
Mit wachsamen Blick musterte sie das Terrain, um festzustellen, ob ihr niemand zusah, doch nachdem ihre scharfen Augen kein lebendes Wesen im näheren Umkreis fanden, beschloss die Elfe den Verwandlungszauber aufzuheben.
Das Bild des Zwergdrachen wurde beständig unschärfer und kleine Wellen aus rotblauem Nebel umspielten seine Gestalt. Die Lederhaut riss auf und unter ihr kam das immer noch blutige Wams der Elfe zum Vorschein. Die Gestalt des Drachen glich nunmehr eher der eines unförmigen Wachsballes, der wie von Geisterhand nach oben Schoss, binnen weniger Wimpernschläge schälte sich die Silhouette der Elfe aus dem magischen Brei und kurz darauf stand Elea in ihrer gewohnten Gestalt auf der Stadtmauer.
Unbewusst zogen vor ihrem inneren Auge die Erinnerungen zurück aus der Zeit, in der sie in jahrelanger Arbeit aus dem simplen Verwandlungszauber, der nur den Körper verwandelte, ihren heutigen Zauber geformt hatte, mit dem sie auch alles mitverzauberte, was sie bei sich trug.
Ihr war es gelungen die eigentlich toten Ausrüstungsgegenstände in ihre Aura aufzunehmen und sich dann komplett zu verwandeln, doch war es schwierig gewesen, das Muster so zu weben, dass sich die Ausrüstung auch wieder von ihrer Aura trennen ließ. Ihr erster Versuch hätte um ein Haar nicht nur ihre Ausrüstung von ihr getrennt, sondern auch ihren Körper, was die Elfe nur durch viel Glück und auch nur knapp überlebt hatte.
Elea wollte nicht über alte Zeiten nachzusinnen und sah sich statt dessen auf der Stadtmauer um. Nach kurzer Suche fand sie bereits was sie suchte: einen Bogen.
Prüfend begutachtete die Elfe die Verarbeitung des Bogens. Das Holz war gut gewählt, nicht zu starr und auch nicht zu biegsam, doch die Sehne war durch das viele Blut unbrauchbar geworden.
Fast beiläufig löste die Elfe die Bogensehne und griff in eine kleine Tasche in ihrem Wams, in der Bogensehnen und ein wenig Verbandszeug für den Notfall aufbewahrte.
Misstrauisch ließ Elea den Blick wieder über die Leichenberge wandern, doch nirgends lauerte Gefahr. Ruhig und gelassen spannte sie den Bogen neu, hob den Köcher samt Pfeile ebenfalls vom Boden auf und legte skeptisch einen Pfeil ein.
Als Testziel hatte sie sich ein Tavernenschild auserkoren, auf dem in geschwungener Schrift "Zum Wandersmann" stand und unter dem Schriftzug prunkte das Bild eines wohlgefüllten Weinglases.
Surrend durchteilte der Pfeil die Luft, als er sich von der Sehne löste und schlug in das Bild des Weinkelches ein.
Der Bogen war nicht das, was die Elfe gewohnt war, stellte sie etwas missmutig fest. Ihr letzter Bogen ließ sich bis zum Anschlag hin weich und gleichmäßig spannen, war ein Musterbeispiel an Zielgenauigkeit und wog vielleicht die Hälfte von diesem, doch lieber einen menschlichen Bogen, als keinen.
Ein letztes mal schweifte Eleas Blick über das traurige Bild einer ausgestorbenen Stadt, bevor sich wieder ein kleiner Zwergdrache von der Stadtmauer erhob.
Gleichmäßiges Plätschern, das langsam lauter wurde, ließ Fibzi aufhorchen und setzte seinen Träumen ein jähes Ende.
Er sparte sich die Mühe die Augen zu öffnen, denn selbst Drachenaugen sahen nichts ohne Licht.
Aufmerksam horchte der Zwergdrache in die Dunkelheit hinein, bemüht jedes Geräusch der näheren Umgebung in sich aufzunehmen und aus den Geräuschen ein Bild zu formen.
Ein Zweibeiner musste sich auf ihn zu bewegen, denn das Plätschern war in gleichmäßigem Abstand zu hören, wobei es klang, als würde je ein Bein bewegt werden und ein leises Keuchen lag in der Luft, das nicht tierisch klang.
Fibzi wunderte es jedoch auch nicht, das ein Mensch hier entlang kam, denn schließlich hatte er diesen Geheimtunnel nur zufällig entdeckt, als er eine Gruppe von Menschen beobachtete, die aus einer massiven Felswand kamen, die natürlich nur eine Illusion war.
Ohne den Fremdling weiter zu beachten, beschloss Fibzi lieber noch eine Weile zu schlafen und so kuschelte er sich in seine Schwingen hinein und träumte weiter.
Innerlich leer, wie eine Weinflasche nach dem Saufgelage, setzte Tiro in stiller Monotonie einen Fuß vor den anderen, noch immer gestützt auf die Felswand. Ausgebrannt und müde war sein Geist, schwach und gebrochen sein Körper und doch bewegte er sich weiter. Der junge Gardist wusste, dass jede Rast seine letzte bedeuten konnte und so gönnte er sich nicht einen Moment der Ruhe. Mehr noch als jede Erholung brauchte Tiro Trinken und Essen, woran ihn sein verkrampfter Magen bei jedem Schritt aufs Neue erinnerte.
Wieder hob Tiro den Fuß, doch er trat ins Leere und ehe sein müder Geist hätte reagieren können, viel er vornüber, sah über sich die Dunkelheit aufbrechen und blauer Himmel lachte über ihm, doch ein schmerzhafter Spagat gefolgt von einem Sturz ließen ihm keine Gelegenheit die Sonne zu genießen, bevor er wieder in Dunkelheit versank.
Die Sonne war bereits ein gutes Stück gen Osten gewandert, als Elea sich wieder dem Baum näherte, an dem sie Jerina zurückgelassen hatte. Noch immer wärmten die Strahlen der Sonne und von abendlicher Kühle war noch kein Hauch zu spüren. Mit ihrem geschärftem Blick hielt Elea schon seit einiger Zeit Ausschau nach Nahrung, denn mit den paar Nüssen und ein wenig getrocknetem Obst, die sie noch hatte, wurde nichts aus einer guten Stärkung vor dem schlafen gehen.
Statt jedoch fündig zu werden, konnte die Elfe ganz neue Erkenntnisse über Jerina gewinnen, die gerade die Zeit für einige Übungen nutzte.
Von einem schmalen Ast an der Baumkrone hangelte sich Jerina mit überraschender Präzision weiter, ließ sich hinabfallen, fing sich an einem etwas breiteren Ast auf, drehte sich einem Zirkusakrobat am Hochseil gleich um den Ast, lies schließlich los und landete behutsam wie eine Katze eine Etage höher.
Nach ihren Akrobatikübungen setzte Jerina ihr Training mit Schlag- und Trittübungen fort, wobei ihr eine höchst erstaunte Elea noch einige Zeit zusah, denn eine solch hohe Körperbeherrschung hätte sie nun nicht von Jerina erwartet.
"So wie ich meine Magie vor ihr verberge, verbirgt sie also ihre Gewandtheit vor mir", entfuhr es der Elfe, ungehört jedoch von menschlichen Ohren.
"Da bist du ja endlich wieder", hieß Jerina die Elfe fröhlich willkommen, als diese den Baum erklommen hatte und sich ihr gegenüber hinsaß.
"Ich hoffe doch die Einsamkeit in diesem Wald schlug dir nicht zu sehr aufs Gemüt", scherzte Elea in ebenso guter Laune zurück.
"Wo hast du den Bogen her?"
"Aus der Menschenstadt", antwortete Elea wahrheitsgemäß. "Der Fluch der Untoten ist gewichen, doch sind die Straßen nun gefüllt mir Bergen von Toten."
"Also sieht es nicht so aus, als hätte jemand überlebt", gab Jerina mit belegter Stimme zurück.
"War die Stadt dein Zuhause?", fragte die Elfe mit sanfter Stimme und ergriff behutsam Jerinas Hand, die sich nicht wehrte und die Elfe gewähren lies.
Eine Weile schwieg das Mädchen, bevor sie die richtigen Worte fand. "Nun, in der Stadt lebten viele Bekannte und auch manch freundliche Seele, doch zuhause fühlte ich mich nie dort."
Elea erwog kurz, ob sie ihrer Neugier folgen und weitere Fragen stellen sollte, doch sie entschied sich statt dessen lieber ein anderes Thema zu wählen. "Weißt du schon, wohin du dich wenden willst?", frage die Elfe schließlich.
"Nein", war die schlichte Antwort, der ein erwartungsvoller Blick und eine Frage folgte: "Weißt du, wohin ich gehen kann?"
Kurz überlegte die Angesprochene, dann löste sie den sanften Griff um Jerinas Hand und zeigte auf eine schneeverdeckte Gebirgslandschaft, bevor sie die Stimme zum Sprechen hob: "Von dem Gebirge im Nordwesten dort kam ich hierher und mein Weg führte ursprünglich nach Osten, doch ich glaube mich zu erinnern, einige Tagesmärsche von hier in nordöstlicher Richtung mal eine Menschenstadt gesehen zu haben. Dorthin würde ich dich begleiten, wenn du möchtest, bevor ich meinen eigenen Weg fortsetze."
Jerina brauchte keine Zeit zum Nachdenken, bevor sie antwortete: "Ich würde mich geehrt fühlen, wenn du mich bis zur nächsten Stadt begleiten würdest."
-- Update 22.05.03 --
Elea und Jerina nutzten die letzten Stunden Tageslicht, um bereits ein gutes Stück Weg zurückzulegen. Elea lief zwar so langsam wie die Tage zuvor, aber sie war sich sicher, dass Jerina auch ein höheres Tempo auf Dauer durchhalten würde, doch die Elfe hatte es nicht eilig. Gefahren lauerten scheinbar keine im Unterholz, aber dennoch bewegte sich die Elfe vorsichtig und sondierte das Terrain gründlich, denn ein Überraschungsangriff aus dem Hinterhalt konnte ein plötzliches Ende für ihre Lebensgeschichte bedeuten.
Als Jerina kaum mehr die Hand vor Augen sah und auch die Augen der Elfe nur noch dunkle Konturen wahrnahmen, beschlossen die beiden ungleichen Frauen sich zur Nachtruhe zu legen. Auch wenn ihnen ihre knurrenden Mägen das Einschlafen erschwerte, fielen sie schon bald in ihren wohlverdienten Schlaf.
Auf einen Dunkelheitszauber zum Schutz vor Feinden verzichtete Elea diesen Abend.
Mit pochenden Kopfschmerzen und lahmen Gliedern erwachte Tiro, als die Sonne sich über den Weltenrand schob und die ersten warmen Sonnenstrahlen ihn wärmten.
Das Sonnenlicht blendete seine, an Dunkelheit gewohnten, Augen und es dauerte einige Zeit, bis der junge Gardist einen klaren Blick auf seine Umwelt werfen konnte.
Er lag am Fuße eines kleinen Felsvorsprunges, aus dem er hinausgestürzt sein musste.
"So langsam reicht mir dieses verdammte umhergestürze ... kann ich mir nicht einfach den Hals brechen beim nächsten Sturz?", fluchte Tiro, während er langsam versuchte sich aufzurichten.
Sein rechtes Bein folgte ihm noch, doch sein Linkes blieb starr und ließ sich selbst unter Schmerzen nicht krümmen. Alle Flüche rezitierend, die seine Gehirnwindungen hergaben stütze er sich auf sein rechtes Bein und zog sich an dem Felsen hoch. "Noch ein so Sturz und du endest noch als verdammter Krüppel", meldete sich eine sarkastische Stimme zu Wort, die Tiro als seine eigene erkannte.
Erst jetzt hielt er verwundert inne und sah zum Himmel, wo sich nicht eine Wolke sehen lies. Tiros Blick sank sich ab, bis er auf den Boden blickte, der immer noch von einer dicken Blutkruste bedeckt war. "Immerhin muss ich mich nicht auch noch durch den Blutregen kämpfen", stellte der Gardist kalt fest. Ohne auf seine Verletzungen weiter zu achten, löste Tiro sich vom Felsen und humpelte ein paar Schritte. Unschlüssig überlegte er, wohin er sich wenden sollte und durchkämmte vergebens sein Gedächtnis auf der Suche nach diesem Ort, doch er kannte diese Gegend nicht und einen Kartograph würde er hier gewiss genauso leicht finden wie man ein schwimmendes Kamel inmitten des Ozeans antreffen konnte.
Die dämonischen Schmerzen, die seinen gesamten Körper peinigten, strafte der junge Gardist so gut wie möglich mit Nichtbeachtung, was ihm alles andere als leicht fiel.
Endlich hatte er sich für eine Richtung entschieden, das hieß, er lief einfach geradeaus.
"Sterben wirst du eh, egal welche Richtung du einschlägst", brummte Tiro missmutig und humpelte langsam von dem Felsvorsprung fort.
Ein lautes Knurren, wie von einem tollwütigem Dämon kurz vor der Raserei, hallte durch den Wald, lag einige Zeit in der Luft und verlor sich schließlich im Dickicht, aus dem eine abgemagerte Gestalt gehumpelt kam.
Die Schmerzen waren in den Hintergrund getreten, denn Durst und Hunger rangen um die Vorherrschaft in Tiros leidendem Geist und mittlerweile zog Tiro etwas zu Essen jedem Kartograph vor. Ohne etwas zu finden suchte sein Blick den Boden und alle Pflanzen nach Essbarem oder gar einer Wasserquelle ab, bis er zwischen einer Baumgruppe ein mysteriöses aufblitzen sah.
Misstrauisch humpelte der Gardist zur Baumgruppe und seine Hand griff dorthin, wo er sein Schwert zu tragen pflegte, doch griff sie ins Leere. Einen weiteren Fluch unterdrückend spähte er vorsichtig zwischen den Baumblättern hindurch und fiel beinahe um vor Erleichterung, denn vor ihm lag ein See!
Das Wasser hatte vom Blutregen eine seltsamen braun-orange Farbton angenommen, doch darauf achtete Tiro bereits nicht mehr. Schneller als er es sich selbst zugetraut hätte, lag er am Ufer, tauchte seine – zu einem Trichter geformten – Hände in das kühle Nass und trank einen guten Schluck davon.
Kaum war das blutige Wasser seinen Rachen hinabgeflossen, bereute Tiro es bereits.
Rote Schlieren tanzten durch sein Sichtfeld, Millionen winzig kleiner Feuernadeln traktierten seinen Hals und die ganze Welt um ihn herum begann sich zu drehen.
Roter Schleim troff aus seinem Mund und lies ihn würgen, bis er schwarze Galle spie. Wieder und wieder erbrach sich der junge Gardist, bis ihm schließlich die Luft zum Atmen knapp wurde und schwarze Flächen vor ihm hin- und herschaukelten. Ein letzter Schwall diverser Körpersäfte floss durch Tiros Mund, bevor er abdriftete in eine Welt ohne Schmerzen ...
Der Morgen begann für Jerina, anders, als sie erwartet hätte, denn als sie wach wurde, saß die Elfe einige Äste über ihr und hielt eine sehr kunstvoll verzierte, geschwungene Flöte in Händen, auf der sie zu spielen begann.
Noch nie zuvor hatten ihre Ohren elfische Musik gekostet, doch bereits nach den ersten Strophen verlor sie sich ganz in der Melodie Eleas.
Das Lied begann wie ein sanfter Sonnenaufgang mit ruhigen Tönen, die hell und klar durch den Wald drangen. Ohne dass ein bewusster Musikwechsel stattgefunden hätte, gingen die Töne in heitere Musik über, zauberten ein Lächeln auf Jerinas Lippen und befreiten sie von der Last der durchlebten Schrecken.
Die fröhliche Stimmung der Musik wich langsam ruhigeren, besonneneren Tönen, die von Freiheit und Liebe, aber auch von Überlebenskampf und Entbehrung zu erzählen schienen.
Fast Schlagartig änderte sich die Melodie, wurde dunkel und unruhig, wobei die Töne langsam stiegen und immer hektischer durcheinander gingen. Mit einem tiefem, nur kurz gespieltem Ton riss das Lied der Elfe schließlich ab.
"Du spielst wunderschön", bemerkte Jerina mit aufrichtiger Bewunderung.
Fast erschrocken warf Elea ihr einen Blick zu, wie ein verschrecktes Reh, schwieg jedoch. Als die Elfe den Blick wieder abwand, verlor er sich irgendwo zwischen den Blättern des Waldes.
"Elfen haben eine seltsame Art mit Komplimenten umzugehen", lag es Jerina auf der Zunge, doch sie entschied sich zu warten, bis die Elfe wieder etwas gesprächiger wurde.
Nach wenigen Minuten lies Elea die Flöte wieder in eine ihrer Taschen verschwinden und war mit wenigen Sprüngen vom Baum. Jerina folgte ihr, etwas langsamer.
Wie gewohnt ergriff die Elfe die Führung, doch an diesem Morgen schien sie noch ruhiger als sonst.
Schon den ganzen Tag wanderten die beiden Frauen durch den Wald. Elea hatte in all den Stunden nicht eine Silbe von sich gegeben, doch Jerina fand nicht die richtigen Worte, ein Gespräch zu beginnen. Vielleicht war Musik für Elfen ja etwas heiliges, bei dem sie Niemand stören durfte. Oder aber sie hatte die Musik der Elfe entweiht, indem sie Elea loben wollte, aber so sehr Jerina auch grübelte, konnte sie sich nicht zusammenreimen, weshalb die Elfe so still war.
"Ich hoffe, du bist nicht meinetwegen so still", platzte es schließlich aus Jerina raus, die das Schweigen nicht mehr ertragen konnte.
"Nein, bist du nicht", folgte prompt die Antwort, ohne dass sich Elea zu ihr umgewandt hätte.
Auch wenn die Antwort im Prinzip das war, was Jerina zu hören gehofft hatte, gab sie sich mit der Antwort nicht zufrieden. "Und warum bist du dann so still, wenn ich fragen darf?"
Die Elfe blieb stehen und wartete kurz, bis Jerina neben ihr zum stehen gekommen war.
"Heute jährt sich der Tag, an dem die Menschen meine alte Heimat heimsuchten", fing Elea zu sprechen an und schwieg kurz, bevor sie ihre Stimme wieder fand. "Bis heute noch suche ich nach dem Grund, der diesen Tag und all seine Opfer rechtfertigt. Mein Sippe hatte gewiss niemandem der Angreifer etwas getan und doch wüteten sie unter uns, als seien wir ihre schlimmsten Erbfeinde. Seit diesem Tag bin ich vorsichtig euch Menschen gegenüber geworden, doch man kann euch so schwer einschätzen. Manche von euch sind ruhig und besonnen, andere stupide und einfältig und wieder andere ... kennen nichts außer Kampf und töten", wieder schwieg die Elfe kurz und musterte Jerina nachdenklich.
"Ich behaupte ja nicht, unter meinem Volk gäbe es keine Unterschiede, jedoch glaube ich nicht, dass es nur einen Elf bei Verstand gibt, der kämpft, ohne dass ihn zuvor jemand angegriffen hat."
Erneut standen sich beide schweigend gegenüber. Jerina tat es leid, was der Elfe widerfahren war, doch mehr noch schmerzte sie der Gedanke daran, dass das Volk der Elfen die Menschen als mordlustige Ungeheuer kannten.
"Ich finde des traurig, dass solche Menschen einen Keil zwischen die Völker der Elfen und Menschen getrieben haben. Ich kannte Elfen früher nur aus alten Märchen und Sagen ..."
"Du musst mir etwas versprechen Jerina", unterbrach Elea den Wortfluss ihrer Gegenüber.
"Und was?"
"Bitte versprich mir, niemals mit einem anderen Menschen über mich oder meinem Volk zu sprechen", bat Elea mit ernster Stimme.
Wie vor den Kopf geschlagen verstummte Jerina auf die Frage hin. Eigentlich hatte sie genau das Gegenteil vorgehabt, nämlich möglichst vielen Leuten die Wahrheit zu sagen, damit es vielleicht möglich wäre, dass die Elfen sich nicht mehr verstecken mussten. "Warum?", fragte sie schließlich mit belegter Stimme.
"Du würdest alles nur noch schwieriger machen. Wir Elfen wollen mit euch möglichst jeden Kontakt vermeiden, denn unsere Geschichte erzählt von vielen Annäherungen an die Menschen. Doch bisher führte es niemals zu etwas gutem und in den meisten Fällen endete es mit Toten. Bitte versprich es mir, Jerina und wenn du es versprichst, so halte dein Wort auch", redete die Elfe auf Jerina ein.
"Das bedeutet auch, dass du mich nur in die Nähe der Stadt geleiten wirst und wir uns danach niemals wiedersehen oder?", fragte Jerina etwas traurig. Die Elfe nickte tief, ohne ein weiteres Wort zu verlieren. "Gut, ich gebe dir mein Wort, mit Niemandem jemals über dich oder dein Volk zu reden", gab Jerina schließlich nach.
"Danke", erwiderte ihr die Elfe erleichtert.
{ Erstes Kapitel }
Von kleinen Drachen und großem Unheil
Entspannt ließ Elea sich ins Wasser gleiten und schwamm einige Meter durch das warme Wasser des Sees. Es war ein wunderschöner Tag, die Sonne strahlte an einem blauen Himmel, das Wasser des Sees und der Schnee auf dem nahe gelegenen Gebirgszug reflektierten die Sonnenstrahlen und Vögel sangen in den Astgabeln der Bäume am Seeufer. Es war genau solch ein Tag, wie die kleine Elfe Elea sie liebte.
"Sag mal, gehst du immer nackt baden?", hörte sie über sich die Piepstimme des kleinen Zwerdrachen Fibzi fragen.
Elea sah fragend auf, wobei der kleine Drache tatsächlich ein wenig röter zu werden schien, als er zu ihr runter – und an ihr hinab – sah. Schnell drehte er den kleinen Kopf weg und flog ans Ufer zu Eleas Kleidern, wo er es sich auf Eleas Wams gemütlich machte.
"Du bist wirklich ein lustiger kleiner Zeitgenosse", rief Elea vergnügt, bevor sie unter Wasser tauchte und neugierig die Fische und Seepflanzen betrachtete, wobei sie nur gelegentlich auftauchte um Luft zu holen.
Erst als Eleas Haut ganz schrumplig war, stieg sie aus dem Wasser und zog ihre Kleider an, jedoch erst nachdem sie Fibzi von ihrem Wams verscheuchte.
Möglichst unauffällig flog Fibzi einen großen Bogen, landete auf einem nahen Ast und musterte Elea von dort aus, während sie sich anzog und ihn scheinbar nicht bemerkte.
"Ich wusste gar nicht, dass kleine Drachen so sehr auf elfische Frauen stehen", sagte Elea unvermittelt, legte den Kopf schief und musterte den Drachen amüsiert, dessen Gesichtsausdruck man zunächst als überrumpelt und dann als ertappt deuten konnte. Schließlich lief der kleine Drache sogar rot an, was während des Überganges von Grün nach Rot richtig süß aussah, wie Elea fand.
Als sein – eigentlich von grünen Schuppen besetztes - Gesicht fast die Farbe einer prächtig gewachsenen Erdbeere hatte, sprang Fibzi schnell vom Ast und flog zu einem nahen Busch, auf dem kleine, runde blaue Beeren wuchsen. Schnell stopfte er sich einige Beeren in den Mund und tat so, als würde er Elea gar nicht mehr wahrnehmen, die sich köstlich über ihren kleinen Begleiter amüsierte.
"Da bist du ja endlich Tiro", begrüßte der Gardehauptmann Tijak Gerwe den Neuankömmling freundlich, während er auf ihn zuging und ihm die Hand schüttelte, wenngleich sein Lächeln doch nicht besonderes Heiter aussah, sondern ein dunkler Schatten der Besorgnis darüber hing.
"Ich bin so schnell gekommen, wie ich konnte, aber warum hast du mich in dieser Frühe rufen lassen?", erwiderte Tiro, als er den Handschlag seines Hauptmannes erwiderte.
In der Tat erwartete Tiro eine gute Erklärung dafür, ihn so früh nach Sonnenaufgang bereits rufen zu lassen und er erwartete auch einen guten Grund, warum er aus der Stadt bis zum Nordwald laufen musste.
"Nun ... sieh selbst", meinte Tijak schließlich und Tiro folgte ihm einige Zeit durch den Wald, bis sie schließlich zu einer kleinen Gruppe Gardisten stießen. Tiro nickte den Gardisten zu, von denen nur einige ihn überhaupt zu bemerken schienen. Die meisten Gardisten waren Kreidebleich und wirkten verängstigt und verstört, stellte Tiro beunruhigt fest.
Als er von den Gardisten wieder aufsah, stellte Tiro fest, dass sein Freund und Hauptmann bereits ein Stück weitergeeilt war und er beeilte sich, wieder aufzuschließen.
Schließlich blieb Tijak neben einem Gebüsch stehen, um den herum sich ein kleiner Teich aus Blut angesammelt hatte. Obwohl sie im Wald standen und es ein schöner Sommertag war, stank es hier nach Verwesung und Blut.
Langsam trat Tiro einige Schritte auf den Busch zu, bis er schweigend stehen blieb. Irgendjemand – oder irgendwas – hatte eine junge Frau brutal abgeschlachtet und ihre Gliedmaße einzeln in den Busch geworfen. Sie musste einst eine Schönheit gewesen sein, jedenfalls wäre der aufgespießte Kopf auf einem Körper wesentlich schöner anzusehen, als auf einem langem, blutigen Holzspeer fand Tiro.
Einige zentimeterlange Splitter ragten aus dem Rumpf und einigen anderen Körperteilen und als Tiro genauer hinsah, sahen die Splitter aus, als stammten sie aus spitzen Knochen. Obwohl Tiro in den Jahren bei der Garde schon viel mit angesehen hatte, musste er dennoch darum kämpfen, die Beherrschung nicht zu verlieren.
"Wer ...", begann Tiro, jedoch unfähig den Satz weiterzuführen. Fassungslos starrte er Tijak an, der als erster die Sprache wieder fand: "Wir wissen nicht, Wer oder Was das war. Aber ... das war erst die erste Leiche ..."
Nur langsam beruhigte sich Tiros Magen wieder und er folgte dem Gardehauptmann zur Leiche des zweiten Opfers nur wenige Meter entfernt. Das Opfer war noch grausamer entstellt, als die Leiche der Frau und es kostete Tiro Überwindung, sich den Kadaver anzusehen. Der Körper sah aus, als sei er von innen heraus explodiert. Am gesamten Körper war die Haut abgezogen und der Kopf war eine grausige Masse aus Gehirn, Blut, Knochen, Fleisch und verklebten Haaren. Das einzige, woran man sah, dass es sich um einen Mann handelte, war das hautlose Geschlechtsteil, dass zwischen den Beinen hing.
Überall waren Innereien und Blut verteilt.
Im Körper der Frau steckten einige zentimeterlange Knochensplitter und Tiro hatte einen grausigen Verdacht, von wem diese Knochensplitter stammen könnten...
"Wie viele Opfer gibt es noch?", fragte Tiro unsicher, wobei er ein beben seiner Stimme nur mühsam unterdrücken konnte.
"Nun, wie es aussieht wurde dieses Pärchen hier wohl überrascht. Auf einer nahe gelegenen Lichtung fand offenbar ein kleines Fest mit 26 Gästen statt. Dieses Pärchen könnte gut zu den feiernden gehört haben. Nun, um auf deine Frage zu antworten Tiro: wir haben insgesamt 28 Personen in diesem Wald gefunden, aber keiner davon lebte noch", antwortete ihm Tijak mit belegter Stimme.
Immer wieder schmunzelte Elea in sich hinein, wenn sie die Blicke Fibzis auf sich spürte. Natürlich tat er so, als würde er sich auf ihren Flug konzentrieren, doch jedes mal wenn sie die Gestalt einer kleinen Zwergdrachin annahm konnte ihr kleiner Gefährte sich kaum noch halten.
Sie nahm gerne von Zeit zu Zeit diese Gestalt an, zum Beispiel wie bei diesem Mal, wenn es schneller war über einen Gebirgszug hinweg zu fliegen, als ihn mühsam zu überklettern. Auch wenn es sie viel Kraft kostete, ihre Gestalt beizubehalten genoss sie den kühlen Flugwind auf ihrer schuppigen Haut. Drachen waren Geschöpfe des Feuers und ihr Leben war an ein inneres Feuer gebunden. Drachen froren nicht und wenn es gar für die Drachen zu kalt war, so vielen die wahrhaft mächtigen unter ihnen in eine Kältestarre, in der sie sogar Jahrtausende überwintern konnten, die kleineren Drachenarten hingegen starben, wenn es zu kalt wurde. Doch ein Grund zur Besorgnis war dies hier nicht, denn auch wenn sie in einigen hundert Schritt Höhe flog und es ihr als Elfe sicherlich schon frösteln würde, so müsste es aber doch noch erheblich kälter werden, um in Gefahr zu geraten der Kälte zu erliegen.
Verträumt ließ Elea ihre Blicke über das Land schweifen. Ein gutes Stück hinter ihnen lag bereits die Bergspitze, die von meterdickem Schnee bedeckt wurde. Unter ihnen lagen nun gewaltige Schluchten, aus denen zum Teil einige Bäume hinauswuchsen. Gigantische Felswände erstreckten sich unter den beiden kleinen Drachen.
Elea liebte es zu fliegen und doch musste sie jedes Mal darüber staunen, wie groß die Welt für Zwergdrachen doch war. Fibzis Beine waren so klein, dass er auf ihrer ausgestreckten Hand stehen konnte, sein schuppen bewehrter Drachenschwanz war etwa so lang wie die hälfte ihres Unterarmes und sein Kopf schließlich war etwas größer als ihr Daumen. Die meisten Zwergdrachen ernährten sich nur von Pflanzen, Früchten, Pilzen und Nüssen, doch das lag nicht wirklich daran, dass Zwergdrachen vegetarisch lebten, sondern daran, dass sie es schwer hatten Beute zu schlagen. Ein Drache - und sei er noch so klein - weigerte sich aus Prinzip Insekten, Maden, Aas, Ratten oder dergleichen zu essen und somit hatte der Zwergdrache es schwer ein Beutetier zu finden.
Normalerweise konnte Elea in Tiergestalt nicht zaubern oder sprechen, doch Zwerdrachen konnten sprechen und waren sogar zu einigen simplen Zaubern in der Lage. Da sie bei einer Verwandlung die Eigenschaften des Wesens annahm, in das sie sich verwandelte, hatte die Gestalt eines Zwergdrachen einige Vorteile, wie Elea fand und der Jahrzehnte lange Aufwand diese Gestalt zu erlernen hatten sich gelohnt.
Hätte sie vor einigen Wochen nicht zufällig die Gestalt einer Zwergdrachin gehabt, als Fibzi in ihrer Nähe war, würde sie immer noch alleine durch die Wildnis ziehen.
Unweigerlich musste Elea schmunzeln, als sie daran dachte, wie Fibzi seiner vermeintlichen Traumfrau den Hof machte, um später feststellen zu müssen, dass sie nur eine verwandelte Elfe war.
Seither war ihr der kleine Drache nicht mehr von der Seite gewichen und Elea hatte ihn sogar richtig lieb gewonnen, zumal er ein witziger Zeitgenosse war.
Langsam änderte sich die Landschaft unter Elea wieder und die Felskluft unter ihnen wich den ersten, recht dürren Bäumen, denen nach einigen Minuten ein ganzer Wald folgte.
Schon bald hatten ihre scharfen Drachenaugen unter den Baumkronen eine kleine Lichtung erspäht und Elea lies sich elegant auf die Lichtung hinab gleiten, dicht gefolgt von Fibzi.
Fassungslos stand Tiro auf der Lichtung und besah sich das Werk der Verwüstung um ihn herum. In der Mitte der Lichtung war in das Gras ein riesiges Pentagramm eingebrannt worden. Zunächst hatte es ja ausgesehen, als wäre das Pentagramm mit Asche gezeichnet worden, doch bei genauerem hinsehen erkannte man, dass auch der Boden unter dem Gras verbrannt war.
An jedem Zacken des Pentagramms lag ein Kind, dem man zwar die Kehle durchgeschnitten hatte doch ansonsten verschont geblieben waren, während die übrigen Leichen quer über die Lichtung verteilt waren und so zugerichtet wie die beiden ersten Leichen.
Die Tische am Lichtungsrand, auf denen reichlich Essen und Trinken vorbereitet waren, hatten die Angreifer wohl einen Bogen gemacht, denn sie waren noch unversehrt.
Tiro wusste nicht mehr, wie lange er bereits auf der Lichtung stand, als Tijak von einem Gespräch mit seinen Gardisten zurückkam und sich schweigend zu ihm gesellte.
"Wer auch immer das angerichtet hat, ich werde nicht ruhen, bis ich diese Menschen gerächt habe", hörte Tiro sich tonlos sagen.
"Da bist du nicht der erste, der dies am heutigen Tag geschworen hat", sagte Tijak nach einer weile. "Lass uns gehen Tiro, hier können wir nichts mehr tun fürchte ich."
"Geh nur vor, ich komme nach", war die knappe Antwort des Gardisten.
Zunächst sah es aus, als wolle der Gardehauptmann noch etwas sagen, doch schließlich verschwand er achselzuckend von der Lichtung und ließ Tiro allein zurück.
Ganz vorsichtig schlich Merewin zu schweren Eichentür, die für Bedienstete des Hauses vorgesehen war. Mit geübtem Griff glitten ihre Finger unter ihr Wams und zogen ein schwarzes Tuch heraus, in dem sich ihre Dietriche befanden.
Schnell hatten ihre flinken Finger den richtigen Dietrich gefunden und nach kurzer Zeit kündete ein metallisches Klicken von dem Erfolg Merewins und der Dietrich verschwand zunächst wieder in das schwarze Tuch und dann in ihrem schwarzen Wams.
Lautlos schob sie die Tür einen Spalt auf und schlich hindurch. Behutsam ließ Merewin die Tür so leise wie möglich wieder ins Schloss fallen, bevor sie den Gang entlang schlich.
Immer wieder blieb sie kurz an Türen Gängen stehen und horchte in die Dunkelheit.
Heute heiratete die älteste Tochter des hiesigen Barons und alle Diener mussten bis in die frühen Morgenstunden hinein auf dem Fest bleiben und sich um das Wohl der Gäste kümmern, darum war das Gesindehaus leer.
Endlich erreichte Merewin den Durchgang zum Baronsanwesen, hinter dem die große Empfangshalle des Herrenhauses lag und es dauerte nicht lange, bis sie Schritte schwerer Kriegsstiefel auf dem kostbaren Marmorfußboden vernahm.
Angespannt stand Merewin an der Wand und zog ihren kleinen Dolch unter dem Wams hervor. Sie hatte nicht vor, jemanden zu töten und auf die Klinge hatte sie vorsorglich ein schnell wirkendes Schlafgift aufgetragen.
Lautlos glitt sie an der Wand entlang. Die Eingangshalle war berühmt für ihr Glasdach und die riesigen kunstvoll bemalten Fenster.
Die Empfangshalle lag nicht wie das Gesindehaus im Dunkeln, da durch das einfallende Mondlicht immerhin ein wenig Licht gespendet wurde.
Vorsichtig schlich die Diebin ein Stück nach vorne, damit sie um die Ecke sehen konnte. Der Wachsoldat drehte ihr zur Zeit den Rücken zu und schien eher gelangweilt, als wachsam.
So schnell und leise ihr athletischer Körper es zuließ eilte sie – dicht an die wand gedrückt – durch die Empfangshalle und verschwand in einer kleinen Abstellkammer. Schnell verstaute sie ihren Dolch wieder im Wams und öffnete das kleine Fenster in der Kammer. Direkt über ihr befand sich nun das Schlafzimmer des Barons – Merewins Ziel.
Ohne zu zögern kletterte sie aus dem Fenster. In den vergangenen Wochen hatte sie Nacht für Nacht die kritische Kletterpartie geübt und sich jeden Handgriff und jeden kleinen Vorsprung an der Wand eingeprägt.
Ohne Zwischenfälle erreichte die Diebin nach kurzem Klettern das Fenster über ihr. Es war offen, so wie es sein sollte.
Alles lief nach Plan und der Schatten huschte durch das Fenster ins Zimmer hinein, lauschte kurz und gönnte sich schließlich eine kleine Verschnaufpause.
Vor dem Schlafgemach des Barons standen wachen, jedoch war die Tür immer abgeschlossen, wenn der Baron sein Gemach verließ.
Der Baron war ein sehr vorsichtiger Mann, doch schließlich hatte er auch Grund dazu. Alleine die – gut versteckten – Besitztümer in seinem Schlafgemach waren Beweis genug.
Merewin hatte sich von der Kletterpartie wieder erholt und ihr Atem ging wieder flach und ruhig. Mit ruhiger Hand zog sie wieder das kleine Tuch mit den Dietrichen aus ihrem Wams, zog ein recht kleines Exemplar heraus und schlich um das große Himmelbett herum zu einem großen Gemälde, dessen goldener Rahmen schwach im Mondlicht glänzte. Ohne dem Bild weiter Beachtung zu schenken, nahm sie es von der Wand und legte es behutsam auf das große Bett. Nach kurzem Abtasten der Wand fanden Merewins tastende Finger endlich einen nachgebenden Stein in der Wand. Sie drückte den Stein soweit in die Mauer, wie er sich bewegen ließ, wobei sich auf der rechten Seite ein Spalt offenbarte. Merewin nahm den Schlüssel, der in dem Spalt lag, heraus und nach kurzer Zeit bewegte sich der Stein wie von Geisterhand wieder an seine ursprüngliche Position.
Zu ihrer rechten war der große Kleiderschrank des Barons, den sie in dem schwachen Licht jedoch nicht sehen konnte, also musste sich Merewin ganz auf ihren Tastsinn verlassen.
Bald hatte sie die Türgriffe des Kleiderschrankes ertastet und zog öffnete ihn behutsam.
Schnell suchte sie auf dem Boden nach dem gut verborgenen Schloss, öffnete es mit dem erbeuteten Schlüssel und zog die Falltür, die dort versteckt lag.
Merewin prüfte mit nervöser Hand den Inhalt der kleinen Geheimkammer und wurde alles andere als Enttäuscht: Durch ihre Finger glitten unzählig viele Münzen, Kettchen, Edelsteine und andere Kostbarkeiten.
Schnell wechselte der größte Teil der Münzen den Besitzer und wanderten aus dem Geheimversteck des Barons in die vielen Taschen, die es Merewin erlaubten viel Beute zu machen und das Gewicht möglichst am Körper verteilt zu tragen, damit sie nicht zu sehr vom Gewicht ihrer Beute behindert wurde. Zumal viele kleine Taschen unauffälliger waren als ein großer Beutesack, den man mit sich trug.
Den Schmuck und die Edelsteine ließ Merewin zurück, denn erstens konnte sie nicht alle tragen und zweitens hatte sie nur mit den Münzen alleine bereits genug Beute gemacht.
Ohne dem Zimmer weitere Aufmerksamkeit entgegenzubringen, kramte Merewin einen Brief aus ihrem Wams, warf ihn achtlos auf das Bett des Barons und verschwand aus dem Fenster.
Entspannt ließ Elea ihre Beine im Wind baumeln, während eine warme Brise mit ihren Haaren und den Blättern der Baumkrone spielte, auf dem sie saß.
Sie hatte sich keinen geringeren, als den höchsten Baum des Waldes ausgesucht, um möglich große Teile des Landes überblicken zu können.
Nachdem Elea und Fibzi den gestrigen Tag mit Rasten und Nahrungssuche verbracht hatten, galt es nun das unbekannte Terrain zu erkunden.
Im Licht der hoch stehenden Sonne konnte sie weit im Süden eine Stadtmauer eher erahnen als sehen, denn selbst für elfische Augen waren solche Entfernungen nur schwer zu überblicken, so dass außer der Stadtmauer nicht viel zu sehen war. Das Gebirge, dass sie überflogen hatte, lag nun bereits ein gutes Stück hinter ihr und die Kälte der Berge war vom freundlichen Wetter eines beginnenden Sommers abgelöst worden.
Ein leises Räuspern neben ihr, ließ Elea aus ihren Gedanken hochfahren und neugierig musterte sie ihren kleinen Gefährten aus ihren großen, geheimnisvollen Elfenaugen.
"Sag mal Elea ...", hob Fibzi zum sprechen an, doch außer einem "... ähm ..." folgten leider keine weiteren Worte.
"Ja bitte?", fragte Elea, um den Wortfluss in Fibzi vielleicht wieder anzukurbeln.
"Irgendwie habe ich noch nie danach gefragt, aber sag mal ...", abermals unterbrach sich der Zwergdrache, sprach jedoch weiter, noch bevor die Elfe das Wort ergreifen konnte: "Ich habe dich bis jetzt noch nie gefragt, aber wohin bist du eigentlich unterwegs?"
Irritiert und hilflos, musterte der kleine Drache die bezaubernde Elfe in der Baumkrone, als diese laut und glockenhell zu lachen begann, wobei sie sich wirklich bemühen musste, vor lachen nicht vom Baum zu fallen.
"Aus einer einfachen Frage machst du so ein Drama? Ich hatte schon mit einer ernsten Frage gerechnet, zu der es Überwindung bedarf", stichelte die Elfe ihren kleinen Gefährten, der mit großen Kulleraugen – was bei gelben Drachenaugen mit schmalen Pupillenschlitzen wirklich köstlich aussah – umher sah und die Welt nicht mehr zu verstehen schien.
"Aber gut, ich will dir ja keine Antwort schuldig bleiben. Ich bin auf dem Weg in meine Heimat. Nachdem mich die Botschaft erreichte, dass meine alte Sippe aus ihrem angestammten Wald fliehen musste, konnte ich nicht anders als mir selbst ein Bild von der Lage zu machen", zum ersten mal seit Fibzi mit der Elfe umherzog, wirkten ihre Züge betrübt und in ihrer melodische Stimme klang Trauer mit. "Ich erkannte meinen früheren Heimatwald kaum wieder. Schwarze Ranken schlangen sich um jahrhundertealte Baumriesen und löste man die Ranken von der Rinde, kam darunter fauliger Morast zum Vorschein. In den Augen der Tiere las man Mordlust und die Erde selbst schien einen verschlingen zu wollen. Meine Sippe ist aus ihrem Wald geflohen, nachdem ein junger Elf der Sippe von wahnsinnigen Wölfen buchstäblich in Stücke gerissen wurde. Doch statt ihr Opfer zu fressen, wie es normal wäre, weideten sie ihn aus und zogen sich dann zurück."
Einige Zeit schwieg die Elfe, bevor sie fort fuhr: "Ich fand meine alte Sippe schließlich einige Tagesreisen entfernt in einem noch friedlichen Wald. Ich weiß, das Übel das in meiner alten Heimat wächst, wird uns noch einige Kämpfe abverlangen, wenn die Zeit dazu gekommen ist."
Fibzi verzichtete darauf, weitere Fragen zu stellen, denn er wusste selbst, wie es in den 'dunklen Wäldern' aussah, in denen das Böse zu herrschen schien ...
{ Zwischenspiel }
"Bist du gekommen, die Macht zu empfangen, Wurm?"
"Ja, bin ich."
Totenstille lag über der verbrannten Erde, während der Geruch von Verwesung und Blut in der Luft lagen. Die Sonne stand hoch am Himmel, doch das riesige Pentagramm wurde von ein widernatürlichen Schwärze umgeben, die das menschliche Auge alles in einem rötlichen Schimmer wahrnehmen lies. Doch die Mitte des Pentagramms war finster. Wollte man diese Finsternis beschreiben, müsste man sie wohl das Gegenteil von Licht nennen, denn war Dunkelheit nur die Abwesenheit von Licht, so war dies die Verspottung von Licht. Sah man allzu lange in das dämonische Dunkel hinein, blendete diese Widernatürlichkeit den Betrachter und stahl im gar das Augenlicht, wenn er nur einen Moment zu lange hinein sah.
Am Rande des Pentagramms kniete eine muskulöse Gestalt, an der Blut in Strömen hinab lief.
Normalerweise hätte sich dem Betrachter ein ganzer See entblößt, der statt Wasser mit Blut gefüllt war. Doch die Finsternis erspart dem Betrachter an dieser Stelle einen See, in dem 100 Leichen umher trieben – und nur der kleinste Teil dieser Leichen an einem Stück.
"Und du glaubst du bist stark genug, Sterblicher?", donnerte die Stimme auf die kniende Gestalt ein.
"Nein, ich glaube nichts. Ich weiß es", war die kühne Antwort. Wäre Stille greifbar, hätte man mit der absoluten Geräuschlosigkeit, die diesen Worten folgte, jemanden erschlagen können.
Die Dunkelheit suchte in dem Knieenden nach Schwäche, schlug nach ihm mit Angst und durchforschte ihn nach Zweifeln, doch die Mimik des Mannes blieb starr und unverändert.
"So sei es", trug ein entsetzlich stinkender Nebel die Worte eines Wesens zu dem Sterblichen, das älter war als die Zeit selbst.
{ Zweites Kapitel }
Rote Wolken
Breite Sorgenfalten wanden sich über Tijak Gerwes Stirn. Es war erst Gestern, als im Nordwald ein Massaker veranstaltet wurde, natürlich war bisher keine Spur der oder des Täters zu finden und dann, in der Nacht, war zu allem Überfluss der hiesige Baron bestohlen worden. Aber nicht nur Gold, nein, auch seine dritte Tochter Merewin nahmen sie mit.
Doch das war noch nicht alles. Unruhig schritt der Gardehauptmann wieder auf den Balkon der Wachkaserne und sah unruhig Richtung Osten, wo sich tiefrote, fast schwarze Wolken zusammenbrauten. Dort lag Finjur, von wo sich die Gerüchte mehrten, dass Menschen spurlosen verschwanden.
"Ich habe noch nie in meinem Leben rote Wolken gesehen. Das kann nichts gutes verheißen", riss Tiro seinen Hauptmann aus den Gedanken.
"Da magst du wohl recht haben. Ich glaube fast, vor uns liegen schwere Zeiten."
Tiro wusste nicht, was er hätte erwidern sollen und so sahen die beiden Männer beunruhigt zu dem auf, was sich im Osten zusammenbraute.
Vorsichtig öffnete Elea ihre Augen. Um sie herum war es dunkel, doch so sollte es sein. Ein Zauber ermöglichte es ihr, statt Licht arkane Strukturen zu sehen. Langsam wand sie den Kopf dorthin, wo sich eben noch eine tiefrote Wolkendecke gebildet hatte.
Ihr schlimmster Verdacht bestätigte sich, denn diese Wolken waren durch mächtige Magie entstanden. Das magische Muster wirkte irgendwie ... falsch. Natürlich war sie zu weit entfernt, um wirklich die magischen Fäden betrachten zu können, doch selbst über diese Distanz wirkte das Muster unecht und schien als würde es sich permanent verändern.
Sie hatte genug gesehen und brach den Hellsichtzauber abrupt ab.
"Das sieht nicht gut aus, Fibzi", wand sie sich schließlich an ihren kleinen Gefährten. Der Angesprochene sah sie eine Zeitlang sorgenvoll an, die richtigen Worte aber, fand keiner mehr der beiden.
Dieser verfluchte Dämon hatte ihn reingelegt! Oh ja, gewiss, der Dämon hatte seinen Part in gewisser Hinsicht eingehalten, denn er hatte ihm all die Macht gegeben, die er wollte, doch er hätte ihm ruhig verraten können, dass der Körper eines Menschen soviel konzentrierte Magie nicht überleben konnte. Und es brannte. Sein Blut kochte und jede Bewegung zehrte hart an seinen Kräften.
Er musste denken, bei klarem Verstand bleiben, das war das wichtigste. Vom Dämonensee her vernahm er den Geruch verwesender Kadaver und altem Blut. Waren seine Augen geschlossen? Warum? Er öffnete die Augen.
Doch zum ersten male, öffnete sich damit ein Tor in eine andere Welt. Er konnte sehen - und nicht etwa so, wie es ein sterblicher vermochte, nein. Um ihn herum war es Stockfinster, wofür der Dämon ja gesorgt hatte, aber Licht brauchten seine Augen hier ohnehin nicht, denn um ihn herum pulsierte die uralte Magie des Dämons, die dafür sorgte, dass jeder Adler blass werden würde vor Neid, angesichts der Schärfe, mit der er sah. Nur beim flüchtigen hinblicken erkannte er jeden Käfer, der auf einer der treibenden Leichen saß, jeden kleinen Dämonenwurm, die durch den Blutsee schwammen und sich vom Fleisch der Kadaver nährten und er sah rot strahlende Wolken über ihm am Himmel, die durch und durch mit Blut getränkt waren. Er stand immer noch in dem Pentagramm, das er mit Knochenkreide auf verbrannte Erde gemalt hatte. Die Schutzrunen waren mit dem Blut von Neugeborenen gezeichnet und in der Mitte des Pentagramms war dort, wo der Dämon erschienen war, nichts weiter als dämonisch verseuchte Erde, die Blut trank und Löcher in die Ordnung der Erde rissen, so dass Dämonen es leichter hatten, den Weg ins Diesseits zu finden.
Doch die Bilder der Realität waren kein Entrinnen aus den Schmerzen, denn erbarmungslos schlugen sie in seinen Verstand ein und zwangen ihn fast in die Knie. Mit all seinem Willen kämpfte er gegen die Qualen an, doch er unterlag ...
Kleine Äste schnitten sich in Eleas Wams, schlugen nach ihrem Gesicht. Wurzeln griffen nach ihren Beinen, versuchten sie zu Boden zu reißen und das sehen viel ihr schwer, da Blut ihre Augen verklebte. Im Laufe der letzten Stunden hatten sich die bedrohlichen Wolken explosionsartig über das ganze Land ausgebreitet und ertranken alles in Blut.
Abermals warf die Elfe einen hastigen Blick über die Schulter, doch die wahnsinnigen Füchse waren ihr immer noch dicht auf den Fersen. Wie sehr verfluchte sie den Tag in den Dunklen Wäldern, an dem ein tollwütiger Bär ihren Bogen zerbrochen hatte.
Ruckartig endete die Flucht, als eine Wurzel sich um Eleas Fußgelenk schloss und sie unsanft auf dem blutigen Matsch, in den sich der Boden unlängst verwandelt hatte, aufschlug.
Gehetzt sah sie zu den Füchsen, riss verzweifelt an ihrem Bein, um es zu befreien, doch der erste Fuchs setzte bereits zum Sprung an.
Ungläubiges Entsetzen huschte über die Züge des Fuchses, als ihm mitten im Flug der Brustkorb aufriss, als hätte ihn ein unsichtbarer Pfeil getroffen. Etwas verunsichert starrte die Meute auf die Geballte Faust der Elfe und ihren zusammengesunkenen Kampfgefährten.
Bevor sich die Füchse zu einem weiteren Angriff entscheiden konnten, zog Elea ein kleines Messer aus dem Gürtel, schnitt die Wurzel durch und stand vorsichtig auf, während die ersten Tiere begannen sie zu umkreisen.
"Fibzi wo bist du?", versuchte sie das prasseln des Blutregens zu übertönen, doch ihre Worte würden nicht sehr weit gehör finden in diesem Meer aus Blut, befürchtete sie.
Mit einer fließenden Bewegung schleuderte sie ihr Messer in den Leib eines Angreifers und setzte ihr Flucht fort. Insgesamt folgten ihr nun noch 5 Füchse, wie sie nun immerhin wusste. Ihre Verfolger ließen nicht lange auf sich warten, doch sie musste entkommen!
Schon von weitem sah sie einen großen Baumriesen, und lief darauf zu. Ein Blick nach hinten verriet ihr, dass die wahnsinnige Meute ihr folgte, aber nicht so dicht auf den Fersen war wie zuletzt.
Endlich erreichte sie den Baumstamm, nun musste alles schnell gehen.
Wenige Herzschläge später preschte die wahnsinnige Fuchsmeute heran und fast gleichzeitig sprangen gleich zwei Füchse auf die Gestalt einer Elfe, die sich mit geschlossenen Augen an einen riesigen Baum presste. Der erste riss seinen Kiefer weit auf und sprang auf die Kehle der Elfe zu.
Ein lautes Brechen war zu hören, als sich die Zähne tief in die Rinde des Baumriesen bohrten und der Kiefer durch die Wucht des Aufpralls auf hartes Holz brach.
Auch der zweite Fuchs schloss unsanfte Bekanntschaft mit dem Baum, während die Illusion der Elfe langsam blasser wurde und schließlich verschwand.
-- update --
Gedankenversunken ließ Elea ihre Blick über das Land schweifen. So weit ihr Auge sah, war der Himmel von den finsteren Blutwolken bedeckt. Hin und wieder gelang es der Sonne eine Lücke in der dichten Wolkendecke zu finden, aber dennoch lag das ganze Land in rotem Zwielicht. Nicht ein Vogel flog über den Wald hinweg, keine Grille zirpte und von nirgendwo kam Vogelgesang. Der grausame Regen schien den Wald allen Lebens zu berauben und die wenigen Tiere, denen man begegnete, sollte man besser weitläufig aus dem Wege gehen.
Vorsichtig zog sie ihr linkes Bein an und achtete darauf auf dem schmalen, vom Blut glitschigen, Ast nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Noch immer zeugten blau-rote Schlieren davon, mit welcher Gewalt die Wurzel sie zu Boden gerissen hatte. Resignierend ließ sie das Bein wieder sinken. Den Füchsen war sie gerade noch mit einer Illusion entkommen, doch nachdem ihr Messer nun irgendwo in dem blutigen Sumpf, der einst ein Waldboden war, lag, war sie nun unbewaffnet und hatte außer ihrer Magie und ihren bloßen Händen nichts mehr, womit sie sich hätte verteidigen konnte.
Auch ihr kleiner Gefährte schien spurlos verschwunden.
Füchse waren gewöhnlich Einzelgänger und bevorzugten leichtere Beute, als Elfen und Menschen, doch diese Meute war gewiss nicht auf Beutezug.
Die Bilder des zerfleischten Jungelfen ihrer alten Sippe drängten sich wieder schmerzlich in Eleas Bewusstsein. Sie hatte gehofft auf ihrer Rückreise wieder Kräfte sammeln zu können und nicht mehr kämpfen zu müssen, doch diese Hoffnung erwies sich als Seifenblase inmitten eines tobenden Orkans.
Ein schriller Schrei riss Elea unsanft in die Wirklichkeit zurück. Schnell überwand sie einige Äste, und eilte zur anderen Seite des Baumes.
Sie hätte mit vielem Gerechnet, doch nicht mit dem grausigen Anblick, der sich ihr bot: unter ihr sah sie ein junges Mädchen, dass von zwei widerlich entstellten Zombies umringt war. Die Menschen zählten Elfen nunmehr seit Ewigkeiten zu den Sagen und Legenden, doch Elea konnte sich allzu gut daran erinnern, wie die Menschen ihr Volk als Ungläubige und Dämonenknechte verfolgt und bekämpft hatten. Einerseits wollte sie die Hilflose nicht im Stich lassen, doch wollte sie ihr eigenes Leben für einen Menschen aufs Spiel setzen? Doch wenn sie ehrlich war, konnte sie keine Unschuldigen im Stich lassen. Einer Seiltänzerin gleich balancierte Elea über die glitschigen Äste und brach einen etwa schrittlangen, geraden Ast ab. Schnell löste sie die Blätter und Verzweigungen davon, bis sie ein gerade Stück holz in der Hand hielt. Schnell eilte sie zurück zu ihrem Aussichtspunkt. Das Mädchen hatte mittlerweile einen langen Dolch gezogen und erwehrte sich der Angreifer erstaunlich gut.
Den näheren der beiden Zombies fixierend, begann Elea sich auf ihren Zauber vorzubereiten, schloss die Augen und konzentrierte sich ganz auf den Fluss der Magie. Aus dem dunkel wurde dichter Nebel und schemenhaft nahm sie ihr Ziel durch ihr Gespür wahr. Wie in Trance richtete die Elfe sich auf dem schmalen Ast auf, nahm den Holzstab einem Wurfspeer gleich in die rechte Hand, die Augen noch immer geschlossen, aber nicht Blind für ihr Ziel.
Abermals wich das Mädchen einem Hieb aus. Zu fliehen hatte wohl kaum einen Sinn, denn wenn sie diesen Kampf überlebte, würde sie bald ein anderer töten. Sie war keine Kriegerin und nun, da die Toten sich aus ihren Gräbern erhoben und die Tiere der Tollwut zum Opfer fielen, würde der Blutregen wohl schon bald ihre Leiche ertränken.
Doch ein leises Knistern der Luft erregte die Aufmerksamkeit des Mädchens und fast hätte ein Zombie ihr in den Arm gebissen, doch mit einem beherzten Sprung nach hinten entkam sie knapp. Wieder hörte sie auf das leise Knistern, das langsam lauter wurde, ohne jedoch wieder den Fehler zu begehen die Untoten aus den Augen zu lassen. Ihre Nackenhaare richteten sich auf und Gänsehaut breitete sich auf ihrer Blutverschmierten Haut aus. Sie wusste nicht, ob sie sich das nur einbildete, ob es gut für sie war, oder ob das leise Knistern der Vorbote ihres baldigen Ablebens sein würde.
Die beiden lebenden Leichen ließen von ihr ab und sahen mit ausdruckslosen Augen zu einem nahen Baum. Das Mädchen folgte dem Blick der Untoten, doch lies sie ihre Vorsicht nicht fahren.
Was sie sah verschlug ihr jedoch den Atem. Die Krone des Baumes war hell erleuchtet und überall entluden sich kleine Blitze, die zwischen den Blättern und Ästen kurz aufflackerten, um gleich darauf wieder zu verschwinden.
Mit einem lauten Krachen, als würde der Himmel reißen, löste sich aus der Baumkrone ein gleißender Blitz, schlug in den Rumpf eines Zombies, durchbrannte ihm den Brustkorb und zerfetzte in einer riesigen Entladung den Leib des Zombies in hunderte Stücke, wonach der Blitz auf den zweiten Zombie übersprang und dieser in einem Meer aus Licht unterging. Geblendet wandte das Mädchen sich ab und als das Licht abklang war es, als seien die beiden Untote nur eine Einbildung ihrer Fantasie gewesen.
Sprachlos sah das Mädchen zur Baumkrone auf. War sie Zeugin eines Wunders geworden?
-- update 14.04.03 --
Leicht benommen schlug Elea die Augen wieder auf. Das Mädchen schien sie noch nicht bemerkt zu haben, da ihre Sicht auf die Elfe durch den blutigen Regen und die Blätter verdeckt war.
Was sollte sie jetzt mit dem Mädchen tun? Ließ Elea sie weiterziehen, würden schon bald andere Gefahren nach ihrem Leben trachten. Am besten wäre es, sie brachte das Mädchen zu ihren Artgenossen in die nahe Stadt, deren Befestigung sie schon von weitem gesehen hatte.
Mit geübten Sprüngen erreichte die Elfe immer tiefer gelegene Äste, bis sie schließlich auf dem stand, was mal ein Waldboden war.
Mit großen Augen folgte das Mädchen jeder Bewegung der Elfe, die sich geradezu graziös mit weiten Sprüngen vom Baum hinunter bewegte. Schon nach wenigen Herzschlägen hatte das Sagenumwobene Geschöpf den blutigen Waldboden erreicht.
Gewiss war es unhöflich, jemanden anzustarren, doch das lange - vom Blut rote - Haar, dass sich um das ebenmäßige Elfengesicht wand, die großen, smaragdgrünen Augen, deren Blick sie nicht deuten konnte und die Eleganz, mit der die Elfe sich zu bewegen vermochte, lies das Mädchen staunen.
"Hast ... hast du mich gerettet?", hörte sie sich fragen, doch verstand ihr Gegenüber überhaupt diese Sprache?
Die Elfe ließ sich nicht anmerken, ob sie die Worte verstanden hatte oder nicht und kam langsam näher, bis sie schließlich etwa zwei Schritt vor ihr zum stehen kam und ihr lange in die Augen sah, wobei dem Mädchen ein warmer Schauer über den Rücken lief. Fast wirkte diese Elfe inmitten einem Meer aus Blut wie ein Lichtblick inmitten eines Alptraums.
"Kannst ... kannst du mich verstehen?", fragte das Mädchen unsicher.
"Gewiss, ich spreche viele Sprachen", antwortete ihr eine Stimme, die sanft wie eine Sommerbrise und melodiös wie ein Flötenspiel klang.
"Ich ... ich heiße Jerina", brach Jerina schließlich wieder das Schweigen.
"Nun, so sollst du auch meinen Namen wissen", sang die Elfe, wobei ein feines Lächeln sich über ihre Züge legte. "Man nennt mich Elea."
Obwohl die Elfe nichts weiter tat, als zu lächeln und ihren Namen preiszugeben, entspannte sich Jerina etwas und auch ihre Lippen formten ein Lächeln.
"Du hast mich gerettet oder? Danke."
"Gern geschehen, doch wir sind noch lange nicht in Sicherheit. Wenn du willst, geleite ich dich zur nächsten Stadt", bot ihr die Elfin freundlich an.
"Ich weiß gar nicht, wie ich dir danken soll."
"Zu den Waffen! Bewegt euch verdammt, vor dem Stadttor ist die Hölle los!", hallte es durch den Flur der Gardenkaserne.
Augenblicklich wurden Türen aufgerissen, Lanzen und Hellebarden von den Ständern gerissen, Rüstungen in aller Eile zugeschnürt und Befehle verteilt.
Tiro war einer der Ersten, die den Hof der Kaserne erreichte, sofort wand er sich an die bereits anwesenden Gardisten: "Was ist vorgefallen?"
"Das Stadttor wird von einer ganzen Armee von Skeletten und Wiedergekehrten überrannt!", antwortete ihm ein aufgebrachter junger Gardist. Der Junge war noch nicht alt, zählte vielleicht 19 Sommer.
"Hat man dich gesandt, Verstärkung zu rufen?"
"Jawohl", gab der Gefragte zurück.
"Wenn der Gardehauptmann fragen sollte: ich bin bereits am Stadttor", wies Tiro den Jungen an, bevor er losrannte.
So schnell wie noch nie zuvor in seinem Leben preschte Tiro durch das, mittlerweile bis zum Knöchel reichende, Blut auf den Straßen der Stadt.
Vorbei am Baronssitz, erreichte er schon wenige Herzschläge später den Markt, rannte an verlassenen Markständen und leeren Geschäften vorbei und erblickte schon bald die Stadtmauer, worauf einige Gardisten mit Bögen und Armbrüsten standen, die fieberhaft Salve um Salve in ihre Feinde schossen, während das Stadttor unter dem Ansturm einer unsichtbaren Macht erbebte und sich eine Schar von Gardisten und freiwilligen Zivilisten von der anderen Seite dagegenstemmten.
Ohne seinen Lauf zu verlangsamen stürmte Tiro auf einen Wachturm zu, erklomm die Leiter im Flug und stürzte an eine Mauerzinne.
Atemlos sah sich Tiro einer Armee gegenüber, die selbst zu groß war, um ihre Anzahl nur zu schätzen. Skeletten, an denen das Blut die blanken Knochen hinab rann standen neben verwesten Leichen mit Leeren Augen und entsetzlich entstellten Kleinkindern mit schwarzen Augenhöhlen. Die Pfeile und Bolzen der Gardisten waren vergebens, denn die Skelette störte es nicht weiter daran, wenn Pfeile durch ihre Rippen hindurchsausten und den Zombies machten ein paar Löcher mehr in ihrer Haut auch nichts aus.
Sie waren verloren. Die Garde war nicht ausgebildet Kriege zu führen und die Armee des Barons war weit im Nordwesten des Landes, in den Dunklen Wäldern, um den Armeen des Königs beizustehen.
Nur ein, zwei Dutzend Mann der Armee hielt der Baron noch in der Stadt, doch gegen eine solche Übermacht hätten sie selbst mit einer vollständigen Armee noch schlechte Karten.
Einige verzweifelte Gardisten versuchten Brandpfeile in die Untotenhorde zu schießen, doch der Blutregen löschte die Flammen noch während des Fluges.
Besorgt sah Tiro sich in den eigenen Reihen um. Ein tapferer Zivilist kam mit einer ganzen Schubkarre voll Backsteinen um die Ecke gebogen, die ersten Gardisten auf der Mauer gaben ihre Bemühungen auf, eilten den Leuten am Stadttor zur Hilfe oder sanken verzweifelt in die Knie.
Das platschen von zahlreichen Stiefeln auf dem blutigen Untergrund war bereits zu hören, was wohl die Ankunft der restlichen Garde ankündigte.
Die ersten Steine flogen bereits über die Stadtmauer, zertrümmerten einige Schädel, brachen Knochen und die ersten Untoten fielen sogar in den schlammigen, blutigen Morast zu ihren Füßen, doch ihren Platz in der Menge nahmen schnell andere ein.
Mit lautem Bersten brach der große Holzriegel, der das Stadttor bislang geschlossen hielt und neben zahlreichen Flüchen mischten sich auch die ersten Todesschreie zu dem stetigen Plätschern des Blutregens.
Wie vom Teufel gehetzt stürmte Tiro die Leiter des Wachturmes wieder hinunter, sprang die letzten Sprossen hinab und eilte seinen Kampfgefährten zu Hilfe.
Er vergeudete keine Zeit, sich wieder ein Bild der Lage zu verschaffen, sondern spaltete den Schädel eines vorlauten Skeletts, das versuchte sich um die Verteidiger herum zu schleichen. Es hieß, man könne Untoten alle 4 Gliedmaße abtrennen, ohne das sie ihr unheiliges Leben aushauchten, doch schlug man ihnen den Kopf ein, waren auch diese Gegner besiegt.
Die unheilige Magie des Skelettes, die es zusammenhielt, wich, die Knochen verloren ihren Halt aneinander und fielen klappernd zu Boden. Ohne darauf zu achten rammte Tiro sein Schwert bis zum Heft in die Brust eines Zombies, zog es mit einer Drehung wieder heraus und nutze den Schwung aus, um der unheiligen Kreatur den Kopf von den Schultern zu wuchten. Wie von Sinnen, ums nackte Überleben kämpfend, schwang Tiro immer und immer wieder sein Schwert, sah Kameraden sterben und doch kein Ende der Angreiferschar in Sicht.
Abermals trennte seine Klinge einen Kopf ab. Mit einem Sprung zur Seite wich er einem Zombie aus und stieß auf Widerstand, reflexartig wirbelte er herum, die Klinge schon zum Schlag erhoben, als er die Uniform eines Gardisten erkannte. Fast hätte er einen eigenen Kameraden erschlagen und der Gesichtsaudruck des Gardisten und sein erhobener Waffenarm zeigten, dass er fast das selbe getan hätte.
Ein lauter Schrei war zu hören, als die untote Gestalt eines kleinen Mädchens dem Gardisten in die Wade biss, der Schlag eines Skelettes mit der bloßen Knochenhand in den Rücken warf ihn schließlich zu Boden. Sofort stürzte sich das Zombiekind auf den gefallen, rammte immer und immer wieder seine Zähne in das Fleisch des Gardisten und schmatze ekelerregend auf den ausgerissenen Fleischbrocken.
Tiro fand rechtzeitig die Fassung wieder, um einem Angriff auszuweichen, den er mehr aus dem Augenwinkel erahnte als sah und wich dem Hieb einer mächtigen Hellebarde aus, die von einem Untoten in Gardeuniform geführt wurde.
Im Gegensatz zu den anderen lebenden Toten war diese noch nicht verwest und Bissspuren am Hals zeugten davon, dass er noch nicht lange tot sein konnte.
Erhoben sich nun auch die gefallenen um gegen ihre einstigen Verbündeten zu kämpfen?
Mit dem Mut der Verzweifelung stürmte Tiro vor, trat mit aller Wucht in den Leib des Zombiekindes, das noch immer auf seinem gefallenen Kameraden saß, ergriff die Hellebarde mit der linken und durchtrennte mit dem Schwert in seiner rechten den Hals des Untoten. Geistesgegenwärtig wich er in letzter Sekunde den Zähnen des Zombiekindes aus, dass blitzschnell wieder auf den Beinen war und nun nach seinen Beinen schnappte. Er schleuderte die Hellebarde mit dem Holzgriff voran nach einem anderen Untoten, traf jedoch in die Leere zwischen den Rippen eines Skeletts.
Mit einem Rundumschlag verschaffte er sich für einen Atemzug Ruhe und überblickte kurz das Schlachtfeld. Er war fast umzingelt, denn rechts und links von ihm kämpften nur noch vereinzelt Gardisten und schon bald würde sich der Ring um ihn schließen.
Wieder musste er einem Hieb ausweichen, durchtrennte einen Zombiearm, der nach ihm Schlug und mit einem gewaltigen Hieb spaltete er den Kopf des untoten Kindes entzwei. Ohne verschnaufen zu können, wuchtete er seine Klinge wieder aus dem Schädel, duckte sich unter einem Speerhieb und zog einem nebenstehenden Skelett die Beine weg. Im aufstehen blockte er den Speer, stürmte nach vorne und schlug mit seiner linken nach dem Kinn des Untoten. Dieser taumelte immerhin ein Stück zurück, was ihm reichte um sein Schwert zu lösen und den Arm mit dem Speer abzutrennen.
"Rückzug!", hörte er die altvertraute Stimme Tijaks über das Schlachtfeld rufen, ohne sich von den Untoten abzuwenden, rannte er ein Stück zurück, doch die Untoten setzten nicht nach, sondern wanden sich anderer Beute zu, sie waren nicht besonders schnell, dass war ihre einzige Schwäche.
Gerade noch rechtzeitig um eine Handvoll Gardisten um eine Häuserecke verschwinden zu sehen, wand er den Kopf, ein Blick zurück zum Stadttor zeigte ein Bild der Verwüstung. Die Zahl der Kämpfenden war auf unter ein Dutzend gesunken, doch die Schar der Untoten war noch immer ohne Zahl und drang durch das offene Stadttor.
Tiro trieb seine Klinge in die Scheide zurück und rannte los.
Die Straßen waren nun alles andere als leer, einige übermutige liefen mit Waffen Richtung Stadttor, andere knieten im Blut und beteten lautstark die Kräfte des Lichts um Beistand an. Wieder andere rannten einfach nur. Wohin war nebensächlich, doch solange man auf der Flucht war, hieß das eine Überlebenschance zu haben.
"Die Schlacht ist verloren! Flieht!", schrie Tiro auf seinem Weg jedem entgegen, dem er ansichtig wurde.
Endlich erreichte er den Hof der Gardekaserne. Weit und breit war Niemand zu sehen, wie Tiro fast schon beruhigt feststellte.
Schnell überschritt er den Hof und klopfte an die Eisenbeschlagene Tür der Kaserne. Hinter der Tür tat sich nichts. Erneut klopfte er an, diesmal etwas fester. "Macht auf verdammt, würde ein Untoter anklopfen?", schrie er schließlich, nachdem sich wiederum nichts regte.
Erst jetzt hörte er sich nähernde Schritte hinter der Tür. Ein schabendes Geräusch zeugte davon, dass ein schwerer Riegel zur Seite geschoben wurde. Die öffnete sich einen Spalt und zwei misstrauische Augenpaare musterten ihn und suchten nach versteckten Feinden. Die Suche blieb erfolglos und so schwang die Tür schließlich ganz auf.
"Verzeiht mein misstrauen, aber ..."
"Schon gut, spart euch eure Energie zum kämpfen, nicht zum entschuldigen", unterbrach Tiro den Gardisten, dessen Gesicht man unter all dem getrockneten Blut schon nicht mehr erkennen konnte und trat ein. "Verriegele die Tür gut und bete zu allem, was dir heilig ist, dass wir diesen Alptraum leben überstehen", sagte er dem Gardisten und schlug ihm bekräftigend auf die Schulter, bevor er den Weg zum Versammlungssaal einschlug. Noch einmal kurz blieb er stehen. "Der Rest der Garde ist doch im Versammlungssaal oder?" Der Gardist nickte knapp, woraufhin Tiro seinen Weg fortsetzte.
Etwas unsicher traf er in dem großen Saal mit dem blau-silbernen Banner des Barons ein. Er wusste nicht, womit er gerechnet hatte, doch er war überrascht 7 Gardisten anzutreffen, die alle schweigend auf ihren Stühlen saßen. Niemand stand am Rednerpult, auch Tijak nicht, der als einziger den Neuankömmling mit mehr würdigte, als mit einem kurzem Blick.
"Ich dachte schon du zähltest zu den Gefallenen", sagte der Gardehauptmann mit tonloser Stimme, ohne sich von seinem Stuhl zu erheben.
"Aber ich lebe noch", gab Tiro mit betont heiterer Miene zurück.
"Fragt sich nur wie lange noch", warf einer der Gardisten ein.
Schweigen war die Antwort, denn der junge Mann sprach aus, was alle dachten. Sie waren entkommen, doch nun warteten sie eigentlich nur darauf, bis die Untoten kamen, auch sie zu holen.
Wütend funkelte Tiro den Gardisten an, doch dieser würdigte ihn nicht eines Blickes und starrte vor sich ins Leere - ebenso wie die 6 anderen Anwesenden.
"Verdammt noch mal, wozu seit ihr geflohen, wenn ihr nun doch nur auf euren Tod wartet?", schrie er die Gardisten an.
Schweigen.
"Also gebt ihr auf?"
Enttäuscht sah sich Tiro die sieben erbärmlichen Gestalten an, die er einst für Gardisten gehalten hatte. "Vor allem von dir hätte ich mehr erwartet Tijak", schnauzte er seinen einstigen Freund und Vorgesetzten an.
Schweigend erhob sich der angesprochene von seinem Stuhl und schritt auf ihn zu. "Sieh dich um Tiro, ich hatte einst die Verantwortung für vierundsiebzig Gardisten, nun leben noch ganze 7 Stück, dich und den Posten an der Tür eingerechnet. In der Schlacht musste ich mit ansehen, wie meine eigenen Männer als Untote wiederauferstanden, nur um ihre einstigen Kameraden anzugreifen. Lass gut sein Tiro. Ruh dich ein wenig aus. So wie die Dinge stehen, werden wir beide nicht mehr sehr lange leben, also lass uns nicht im Streit abtreten."
Tijaks Worte hatten etwas endgültiges an sich. Tiro wollte schreien, die Männer zum Kampf schicken, ihnen Mut machen, doch vermutlich konnte er ebenso gut mit einem Kieselstein reden.
Ohne ein weiteres Wort zu sagen, wand er sich zum gehen und verließ den Versammlungssaal wieder.
Seine Schritte führten ihn zum Zimmer des Hauptmanns, wo er die Balkontür öffnete und hinaus trat. Hin und wieder durchdrang ein Schrei das Prasseln des Blutregens, doch soweit er sah, konnte er Niemanden erkennen.
Er trat wieder hinein und nahm auf dem Lesesessel des Gardehauptmanns platz. Gewiss hätte ihn Tijak erschlagen, wenn er sehen würde, wie Tiro sich - blutverschmiert wie er war - ohne wenigstens die blutigen Fetzen auszuziehen auf dem Sessel platz nahm, doch nun war es ja egal.
"Es darf nicht das Ende sein", hörte er sich sagen, doch eine traurige Gewissheit machte sich in ihm breit, dass alle Hoffnung bereits vergebens war.
Nachdem ihr Jerina gesagt hatte, dass sie den Weg kannte, lies Elea ihr den Vortritt, auch wenn sie das Mädchen schon mehr als einmal hinter einen Busch oder Baumstamm ziehen musste, damit sie nicht tollwütigen Bestien in die Hände fiel. Die Elfe hatte sich dazu entschlossen nichts mehr dem Zufall zu überlassen und einen Hellsicht Zauber gewirkt, der ihre Sinne fast bis zur Schmerzgrenze schärfte. Der Zauber kostete sie einiges an Kraft, doch hätte sie bereits die Dunklen Wäldern wohl nicht ohne diese Formel überlebt.
Sie hatte Jerina darum bitten müssen zu schweigen, damit sie sich voll und ganz auf die Gefahren ihrer Umgebung konzentrieren konnte, was ihnen bisher eine Begegnung mit weiteren Feinden erspart hatte, zumal der Wald sich lichtete und sie die meisten ernsten Gefahren wohl schon hinter ihnen lagen.
Von weitem schälten sich langsam die Konturen einer Stadtmauer aus dem roten Zwielicht, jedoch konnte sie unter Einwirkung des Zaubers auch weit sehen und es würde noch einige Zeit dauern, bis sie die Stadt erreichten.
Der Tag neigte sich schon langsam seinem Ende zu und so war Elea froh, dass sie das Mädchen noch vor Einbruch der Nacht in der Stadt abliefern konnte, um von da an wieder ihren Weg nach Hause aufnehmen konnte.
Doch was Elea dann sah, nahm jeden Wind aus ihren Hoffnungen, Jerina bald in Sicherheit zu wissen.
-- update 15.04.03 --
Die Spuren einer Schlacht waren nicht zu übersehen. Das Stadttor war aufgebrochen und überall trieben Knochensplitter, abgetrennte Gliedmaße und Innereien umher. Der Gestank nach Verwesung und faulem Fleisch drang an Eleas feine Elfennase, was durch den Zauber noch ins unerträgliche gesteigert wurde. Mit ernster Miene blieb die Elfe stehen, wies Jerina an, es ihr gleich zu tun und sah sich aufmerksam nach Gefahren um. Sie würden schon bald den Waldrand erreichen und von dort aus würden sie ihre scharfen Sinne nur stören, denn schon von weitem hatte sie mit dem Zauber Probleme den Gestank zu ertragen, doch würden sie erst am Schlachtfeld ankommen, würde sie sich kaum noch bewegen können vor Übelkeit.
Soweit ihre scharfen Augen sehen konnten, war nichts in Sicht, stellte Elea beruhigt fest und unterbrach den astralen Fluss.
"Ich glaube nicht, dass du noch freiwillig in die Stadt willst, Jerina", brach die Elfe schließlich das Schweigen zwischen den beiden.
Etwas verwirrt musterte das Mädchen Elea. "Warum?"
"Es haben sich bedeutend mehr Tote aus ihren Gräbern erhoben, als nur die beiden, die dich im Wald angegriffen hatten", gab Elea etwas unruhig zurück. "Doch sieh es dir selbst an, folge mir."
Beunruhig folgte Jerina ihrer misteriösen Begleiterin durch den sich lichtenden Wald.
Als auch ihre menschlichen Augen des Massackers ansichtig wurden, nahm Jerinas Gesicht die Farbe frischen Pulverschnees an. Der Gestank, der über der grausamen Szenerie lag, trieb ihr die Tränen in die Augen und als sie versehentlich in einen halb zertrümmerten Schädel trat, mischte sich zu dem blutigen Regen auch ihr Mageninhalt.
Erst als sie eine warme Hand auf ihrer Schulter spürte, begann der Brechreiz langsam ab zu ebben.
"Du warst vorher noch nie auf einem Schlachtfeld oder?", fragte sie Elea, fürsorglich, wobei etwas beruhigendes, fast mütterliches in ihrer Stimme mitklang.
Jerina versuchte zu antworten, jedoch brachte sie kaum mehr als ein halbersticktes Husten hervor, woraufhin sie es vorzog den Kopf zu schütteln.
"Ich wusste, dass du hier oben bist", riss die Stimme des Gardehauptnamms Tiro aus seinen finsteren Gedanken.
Ohne auf eine Antwort zu warten nahm Tijak hinter dem Schreibtisch platz.
Fast schon wünschte Tiro sich, sein alter Gefährte würde ihn beschimpfen, wegen dem Blut auf seinem Lesesessel, doch beide Männer schwiegen.
Schließlich war es Tijak, der das Schweigen wieder brach. "Weißt du, nach dem ich diese aufgeplatzten Leichen auf der Lichtung gesehen hatte dachte ich, mich könne nichts mehr erschüttern. Ich wollte nur eines: den Täter zu fassen kriegen. Ihn für das bezahlen lassen, was er den Leuten dort angetan hatte. Der Baron hatte mich zu sich gerufen und ..."
"Der Baron?" Mit einem Satz war Tiro wieder aus dem Sessel. "Wieso bin ich nicht gleich darauf gekommen?", fragte er mehr zu sich selbst gerichtet.
"Hast du vergessen was man sich über den Baron und sein Anwesen erzählt Tijak?", wand er sich an den Hauptmann, der ihn fragend ansah.
Endlich ging auch seinem Gegenüber ein Licht auf und ohne dass sie ein weiteres Wort hätten wechseln müssen, eilten beide hinunter in den Versammlungssaal.
"Folgt mir Männer!", fuhr Tijak seine Männer mit der festen, Befehlsgewohnten Stimme an, die Tiro schon so sehr vermisst hatte.
Mit zweifelnder Miene zwar folgten die Soldaten dem Befehl, doch sie folgten ihm, das war die Hauptsache.
Während die Gardisten nur langsam in fahrt kamen, hatte Tiro neue Hoffnung geschöpft, eilte an dem Türposten vorbei und riss den Riegel zur Seite. Als die Männer aus dem Versammlungssaal endlich zu ihm gestoßen waren, riß er die Tür auf.
"Zum Baronssitz!", hieß er die Männer.
"Warum sollen wir dorthin?", gab einer der Gardisten protzig Antwort.
"Weil es ein Befehl ist und außerdem unsere einzige Überlebenschance", war die kühle Antwort Tijaks, woraufhin sich der Trupp endlich in Bewegung setzte.
Kaum hatten sie den Kasernenhof überquert, wurden sie bereits wieder Zeuge des nächsten Kampfes, denn am anderen Ende der Straße wehrten sich drei Bauern mit Heugabeln und Knüppel gegen eine untote Übermacht. Zum Baronssitz mussten sie in die andere Richtung, doch ehe ein anderer Gardist ihn hätte aufhalten können, rannte er die Straße hinab, zog in vollem Lauf sein Schwert und zerschlug einem Skelett aus vollem Lauf die Wirbelsäule. Neben ihm zerplatze der Kopf eines Zombies, als der Speer eines Gardisten ihn durchbohrte. Sofort eilten die drei Bauern durch die freigewordene Lücke zu den Uniformierten, Tiro spaltete das Schulterblatt eines Zombies, der nach einem der Bauern schlug, zog die Klinge aus dem fauligen Fleisch und rannte hinter den Übrigen her, die bereits wieder losgerannt waren. An der nächsten Häuserecke überraschten sie eine Handvoll Zombies, doch noch ehe sich die Untoten umdrehen konnten, hatten Tijak zwei von ihnen, die die Mitte der Straße blockierten, erschlagen und die Gruppe rannte weiter. Der Marktplatz war geradezu überflutet mit Untoten, stellte Tiro im vorbeilaufen fest, doch sie hatten den Sitz des Barons erreicht.
Die Tür stand offen und die kleine Gruppe rannte darauf zu. Es war das erste mal, dass Tiro diese Tür durchschritt, doch er hoffte nur, dass er nicht gerade seine eigene Grabkammer betrat.
-- update 16.04.03 --
Wäre es ein anderer Anlass gewesen, hätte Tiro gewiss kurz innegehalten, um sich in der großen Empfangshalle umzusehen. Das große Kuppeldach aus Glas und kunstvolle Fenster beachtete er genauso wenig wie den blauen Teppich, der von der Eingangstür die Treppe hinauf führte, die wertvoll gearbeitete Kuckucksuhr, die neben einer imposanten Wanduhr stand und noch weniger Aufmerksamkeit brachte er einem großen Gemälde samt Wappenschild des Barons entgegen.
Schnell schlossen die Gardisten das Eingangstor. Außer einem großen Schloss an der Tür fanden sie jedoch nichts, womit das Tor hätten verriegeln können. Der Baron verließ sich scheinbar bei der Sicherung seines Eigentums auf seine Wachen, statt auf Riegel.
"Die Wanduhr!", wies Tijak seine Leute an und gemeinsam schleiften sie die schwere Wanduhr durch die Empfangshalle und stemmten sie gegen das Tor. Gegen die Untoten war es ein lächerlicher Schutz, doch jede Minute, die sie die Horde damit aufhielten, konnte lebenswichtig sein.
"Gut verteilt euch. Ihr kennt bestimmt die Gerüchte, dass der Baron hier einen Geheimtunnel errichten ließ, für den Fall einer Belagerung. Geht allem nach, was einen Geheimgang verbergen könnte", befahl Tijak seinen Gardisten und war schon im Begriff loszueilen, als einer der Bauern sich räuspernd an ihn wand.
"Wir haben euch noch gar nicht gedankt, dass ...", fing der Bauer an, doch Tijak unterbrach ihn jäh. "Danken könnt ihr uns, wenn ihr in Sicherheit seit und jetzt fangt gefälligst an zu suchen!"
Ohne den Bauern weitere Beachtung zu schenken, rannte der Gardehauptmann zu einer der beiden Türen zu seiner Linken, dicht gefolgt von Tiro, während die übrigen Gardisten sich auf die anderen Türen und die Treppe verteilten.
Etwas perplex standen die Bauern kurz zögernd am Eingangstor, doch dann siegte auch ihr Überlebenswille und sie stürmten die Treppe hinauf.
Schwungvoll riss Tijak die Tür auf und rannte hindurch, blieb jedoch abrupt stehen. Er stand in einem Flur, von dem aus rechts und links jeweils 4 Türen waren, eine weitere am Ende des Ganges.
"Du rechts ich links", wies er Tiro an und verschwand in der ersten Tür.
Auch Tiro riss die Klinke der ersten Tür zu seiner rechten hinunter, doch sie blieb geschlossen. Entschlossen trat er einen Schritt zurück und warf sich mit aller Kraft gegen die Tür, doch außer einer schmerzhaften Begegnung mit dem massiven Holz blieb der Erfolg aus.
"Wo ist eine Axt, wenn man eine bracht?!", fluchte er laut, bevor er sich erneut gegen die Tür warf. Erst beim dritten Anlauf gab die Tür krachend nach. Die Kammer dahinter war leer.
Tiro unterdrückte den Drang zu fluchen und rannte zur zweiten Tür. Diesmal hatte er mehr Glück und die Tür leistete ihm keinen Widerstand. In der kleinen Kammer stand nur ein Bett, eine kleine Truhe und ein Schrank. Entschlossen zog Tiro den Schrank vor, dahinter war jedoch nur massive Felswand. Auch unter dem Bett war nichts ungewöhnliches und in der Truhe – die Kleider, einen Schleifstein, Wappenröcke und ein paar kleine Habseligkeiten verbarg – befand sich kein doppelter Boden.
In den übrigen Kammern bot sich ihm das gleiche Bild und auch die Einrichtung variierte nur in der Anordnung. Als er die letzte Kammer wieder verließ, stand die Tür am Ende des Ganges schon offen und so rannte er hindurch – mitten in eine Küche hinein.
"Wer hier einen Geheimgang versteckt, gehört in eine Geistesklinik", dachte Tiro missmutig und rannte wieder zur Eingangshalle.
Unschlüssig stand er auf dem blauen Teppich und überlegte. Der Teppich? Mit einem Ruck zog er sein Schwert aus der Scheide, hob den Teppich am Rand ein Stück an zerschnitt ihn. Zunächst rollte er den Teppich Richtung Tür auf, doch keine Luke verbarg sich darunter. Dann schob er den Teppich vor der Treppe weg. Nichts.
Erst jetzt erkannte er, dass rechts von der Treppe noch eine unscheinbare Tür war, die sich kaum von der Wand absetzte. Schnell war hingeeilt und riss die Tür auf, blickte auf Regale und Truhen.
"Toll, eine verdammte Abstellkammer", fluchte Tiro und trat gegen eines der Regale, dass mit Tontellern, Tassen und Besteck gefüllt war.
Mit lauten splittern zerbrach ein grossteil der Teller, als das Regal umfiel. Im fallen riss das Regal ein weiteres Regal um, dass dahinter stand, doch Tiro war schon längst wieder hinausgeeilt. Unschlüssig rannte er die Treppe hoch. Die erste Tür am Ende der Treppe musste die Kammer des Barons sein, denn sie war mit Gold verziert und aus schwerem Holz gefertigt – das aber nicht verhindert konnte, dass die Tür von Gardisten aufgebrochen wurde.
"Ich glaube ich hab was", hörte er einen Gardisten sagen, als er gerade eine noch geschlossene Tür ansteuerte. Wie der Wind stürmte Tiro sofort in das Baronszimmer.
"Was hast du gefunden?", fragte er den verdutzen Gardisten, der vor einem Schrank kniete.
Schnell fasste der Gardist sich jedoch wieder. "Der Schrank des Barons hat einen doppelten Boden glaube ich, jedenfalls klingt der Boden an einer Stelle hohl."
Mit metallischen Surren glitt Tiros Schwert aus der Scheide. "Komm, versuchen wir die Luke auszuhebeln", sagte er zu dem Gardisten, der ebenfalls sein Schwert zog. Der Gardist stach in eine Stelle des Schrankbodens. Tiro schabte mit der Spitze der Klinge ein wenig über den Schrankboden, bis sie in einer kleinen Vertiefung versank.
Ein zweiter Gardist, den Tiro bislang noch gar nicht zu Kenntnis genommen hatte, durchsuchte unterdessen den Rest des Zimmers.
"Auf drei", sagte der Gardist neben ihm, Tiro nickte.
"Eins ... zwei ... drei!"
Zugleich stemmten die beiden Männer gegen ihre Klingen, drückten sie mit aller Gewalt nach unten, bis die geheime Klappe krachend nachgab. Der Blick wurde frei ein glitzerndes Gold, blinkende Juwelen und einen Brief, aber keinen Geheimgang.
"Mist", hörte Tiro den Gardisten fluchen, der bereits weitereilte.
Etwas verwundert über den Brief, sah Tiro sich das Schreiben genauer an, worauf in geschwungener Handschrift "An den widerlichsten Menschen, den ich kenne: dich Vater!" stand. Schnell lies Tiro den Brief in seinem Wams verschwinden, schlug die Klappe wieder zu und verließ das Zimmer des Barons.
Von unten konnte Tiro ein lautes Hämmern gegen das Eingangstor hören. Ihnen lief die Zeit weg! Irgendwo musste ein Geheimgang sein, denn der Baron und seine Angestellten wären sonst wohl kaum unauffindbar.
Ein lautes Krachen war von der Eingangstür zu hören und Tiro rannte einige Schritt vor, um von der Treppe aus die Lage überschauen zu können. Ein großer Riss verlief quer über den rechten Torflügel.
Ein weiterer Riss folgte mit lautem Krachen und ein aus dem Riss wurde ein großer Spalt.
"Die Untoten kommen, beeilt euch!", rief Tiro so laut er nur konnte durch die Hallen des Anwesens. Niemand antwortete und so stieg er wieder die Treppe hinab und sah sich fieberhaft nach einem Ausweg aus dieser Sackgasse um. Die Abstellkammer! Die Kammer hatte ein Fenster, dass auf den Innenhof des Anwesens führte, von dort aus konnte er vielleicht entkommen.
So schnell ihn seine Beine trugen hechtete er zur Abstellkammer, sprang über die umgestürzten Regale, öffnete das Fenster und stieg hindurch.
-- update 29.04.03 --
Der Garten war ein wahres Prunkstück des Barons und aus dem Blut ragten zahlreiche Blumensorten, die Tiro noch nie zuvor in seinem Leben erblickt hatte. Um einen kleinen Brunnen in der Mitte des Blumengartens standen drei schön gewachsene Bäume, mit weißen Blüten, unter denen einladende Bänke platziert waren, doch der junge Gardist gönnte sich keinen Atemzug Ruhe und schenkte den kostbaren Blumen keine Beachtung.
Einem kleinen Funken Hoffnung folgend, stürmte er zum Brunnenrand, erblickte aber mit gewisser Enttäuschung nur Wasser.
"Wäre auch zu schön gewesen", dachte er verbittert.
Resignierend ließ Tiro den Blick durch den Garten wandern, auf der Suche nach einer Fluchtmöglichkeit. Es führte nur eine einzige Tür zum Garten – und wieder hinaus – und die führte in Richtung der Küche, wo er den Untoten kaum entrinnen konnte.
Ein lautes, hölzernes Splittern schoss dem jungen Gardisten das Adrenalin durch die Adern. Verzweifelt sah er sich weiter um, doch obwohl es noch einige Fenster zum Garten hin gab, war lediglich das zur Abstellkammer in erreichbarer Höhe.
"Verstecken oder sterben, was darf es sein?", hörte Tiro sich mit belegter Stimme fragen.
Doch was hatte er davon, wenn er starb? Außer dass er nicht mehr lebte ...
Vorsichtig stieg er über den Rand des Brunnens und sprang hinab in die Dunkelheit.
Geräuschlos drangen seine Füße durch die Wasseroberfläche, doch unter dem vermeintlich schimmernden Wasser war nichts, was seinen Sturz bremsen konnte.
Panik keimte in Tiro auf, verzweifelt versuchte er die Dunkelheit zu durchblicken und Halt zu finden, doch er stürzte einfach nur immer tiefer.
"Warte hier auf mich, ich komme bald wieder", wies Elea die immer noch blasse Jerina an. Es war nicht leicht gewesen, dem jungen Mädchen in die Baumkrone zu helfen, doch hier oben war sie halbwegs sicher.
Ohne eine Antwort abzuwarten, war die Elfe bereits mit geübten Handgriffen vom Baum abgestiegen und eilte ein Stück tiefer in den bedrohlichen Wald, immer auf der Hut vor möglichen Feinden.
Sie sprintete ein wenig, bis sie sich außerhalb Jerinas Sichtfeldes befand. Zwar hatten sich ihre schlimmsten Befürchtungen Jerina betreffend nicht bewahrheitet, doch ihre Magie wollte sie vorsichtshalber nur zur Not in der Nähe eines Menschen wirken.
Ein letztes Mal vergewisserte sich Elea, dass Niemand in der Nähe war, der ihr hätte zusehen können. Mit Leichtigkeit schwang sie sich auf einen Baumast, wo sie sich zusammen kauerte.
Die Magie durchfloss die Elfe, lies sie kleiner werden. Ihre Schulterblätter brachen auseinander und gaben zwei kleine, lederne Schwingen frei, während sich ihre Haut abschälte und unter der weißen, zarten Haut kleine Schuppen zum Vorschein kamen.
Nur kurze Zeit später erhob sich von dem Ast ein kleiner Drache, der in der beginnenden Dämmerung emporstieg und der Menschenstadt entgegen flog.
So sehr Elea das Fliegen eigentlich liebte, so sehr hasste sie es, sich durch strömenden Blutregen mit den kleinen Flügeln hindurch zu quälen. Doch schon bald überflog sie in guter Höhe die Stadtmauer. Von weitem schon hatte ihre empfindliche Nase selbst durch den Blutgeruch den Gestank der Verwesung gewittert. Die Straßen boten ein schier apokalyptisches Bild: Untote wateten durch einen Matsch aus Blut und Innereien, alle Haustüren waren eingeschlagen, ebenso die Fenster und vermutlich auch alles, was sich im Haus selbst befand. In den Straßen lagen, von komplett zerstückelten und kopflosen Kadavern abgesehen, keine Toten, denn die liefen umher.
Was diese trostlose Armee noch in der Stadt hielt, wusste Elea nicht zu sagen.
Schon bald hatte die Elfe genug gesehen und flog zurück.
Die Höhle war zu dunkel, um wirklich zu sagen, ob es eine Höhle war. Oben musste eine Öffnung sein, denn der unentwegte Regen fiel auch hier auf den Boden.
Durch einen jähen Schrei erwachte Tiro in der Höhle und er horchte in die Dunkelheit. War es sein Schrei gewesen?
Er war gestürzt. Leider folgt auf jeden Sturz auch ein Aufprall, der sich schmerzlich in Erinnerung rief. Er musste wohl auf seinem linken Bein gelandet sein, denn es schmerzte so sehr, dass die üblichen Qualen dagegen erträglicher wurden.
Ein Versuch sich aufzurichten, stieß ihn jedoch schmerzlich ins Reich der Träume zurück.
Mit getrübter Stimmung ließ Elea sich auf einem Ast nieder. Ihre scharfen Augen konnten weit und breit keine Gefahr orten und schon bald saß eine traurig und nachdenklich wirkende Elfe auf dem Ast.
Sie hätte mit viel gerechnet, doch nicht mit einer ganzen Stadt untoten Lebens.
Mit einem Satz war sie vom Baum und beeilte sich, zurück zu Jerina zu kommen.
In der Baumkrone wartete ein unruhig schlafendes Mädchen auf Elea und nach kurzer Überlegung wirkte die Elfe einen Dunkelheitszauber über sich, um von Gegnern ungesehen schlafen zu können, und schlief schon bald selbst ein.
{ Zwischenspiel }
Wie ein Goldfisch am Rande eines Wasserfalles focht der unruhige Geist verzweifelt gegen die Strömung an. Fast wie nach einer Unendlichkeit schlug ein Augenpaar auf, in deren Pupillen eiskaltes, blaues Dämonenfeuer brannte.
Nicht noch einmal wollte Er den Schmerzen unterliegen, nie wieder die Kontrolle verlieren.
Ohne Rücksicht auf seinen eigenen Körper zu nehmen, stand er auf, um sich umzusehen. Aus dem Dämonensee schoss eine gewaltige Fontäne, die den stetigen Blutregen zu nähren schien. Der Dämon hatte in seiner Hinterlist dafür gesorgt, dass dunkle Magie herrscht, während der schwache Mensch, der eigentlich über diese Magie herrschen wollte am Boden lag.
Wie ein Traumwandler bewegte Er sich zum Rand des Sees, fiel an seinem Ufer auf die Knie. Mit geschlossenen Augen tastete Er nach dem Bewusstsein des Dämonensees und hielt es fest umklammert, als er es fand.
Der finstere Wille des Sees lechzte nach Blut und Chaos auf Erden, doch auch dieser Wille konnte unterworfen werden.
So sehr sich das dämonische Bewusstsein auch sträubte, schließlich wurde es nieder gerungen und fügte sich. Die Fontäne ebbte jäh ab und die tiefroten Wolken begannen langsam auseinander zu reißen.
Er brauchte einen Körper. Er spürte, wie das kalte Feuer seine Seele ausbrannte, wie die dunkle Magie seinen Körper peinigte und Er immer schwächer wurde.
Doch der Körper eines Menschen würde ebenso vergehen wie sein eigener. Er brauchte den Körper eines Wesens, durch dessen Adern magisches Blut floss, bestimmt für die Ewigkeit.
{ drittes Kapitel }
Grausige Spiele
-- Update 21.05.03 --
Als Elea ihre Augen aufschlug, umfing sie Dunkelheit. Wie lange sie geschlafen hatte, konnte sie nur schwer abschätzen, doch gewiss war der Tag schon längst angebrochen. Mit müder Geste beendete sie den Zauber und einen Herzschlag später saß die Elfe in mildem Sonnenschein, während ihr rot verkrustetes Haar von einer sanften Brise hin- und hergewogen wurde. Es war ruhig um sie herum. Kein Vogel sang, kein Wolf heulte, nicht einmal Schritte durch den Wald waren zu hören.
Erst ein langgezogenes Gähnen von Jerina beendete die Stille kurzzeitig.
Elea sah dem Mädchen ruhig zu, wie sie sich streckte und ein wenig unsicher auf dem Ast versuchte sich hinzusetzen.
"Der Regen hat ja aufgehört", stellte Jerina erleichtert fest.
"Hoffentlich für immer", fügte die Elfe nicht ganz so fröhlich hinzu.
Jerina ging nicht weiter darauf ein, doch erinnerte sie sich schon bald daran, dass sie alleine eingeschlafen war. "Was hast du gestern in der Stadt noch gesehen?"
Elea schwieg eine Zeitlang, bevor sie endlich die richtigen Worte gefunden hatte: "Die Stadt war ein einziger Hort für Untote. Lebend streifte keiner mehr durch die Straßen, doch dafür füllten umherlaufende Kadaver das Stadtbild."
Die Worte der Elfe hingen noch ein wenig in der Luft, doch bald kehrte wieder Stille ein und keiner fand die richtigen Worte, das Schweigen zu brechen.
Als die Sonne noch etwa eine Stunde vor ihrem Zenit stand, machte die Elfe sich unvermittelt an den Abstieg.
"Ich bleibe nicht sehr lange weg, warte so lange auf mich", verabschiedete sich Elea, ohne dass man ihr hätte widersprechen können, denn sie verschwand direkt und so blieb Jerina nichts weiter übrig als zurück zu bleiben und sich über die Elfe zu wundern.
Ein gut geschultes Auge, dass zudem just in diesem Moment Ausschau hielt, konnte in einiger Entfernung einen kleinen Drachen erblicken, der ausgelassen Slalom zwischen den großen Baumkronen flog und es auch nicht eilig zu haben schien, als er sich letztlich doch für eine Richtung entscheiden konnte.
Schnell verschwamm das Bild selbst für das schärfste Auge und aus der keinen Kontur des Drachens wurde am Horizont ein kleiner Punkt, der schon bald nicht mehr zu erblicken war.
Einem Ortskundigen Späher erschloss sich gar, dass der Punkt am Horizont in Richtung der nahe gelegenen Stadt verschwand, doch wenngleich Jerina auch Ortskundig war, so war ihr Blick nicht scharf genug und außerdem zog sie es vor zu dösen, statt nach kleinen Drachen Ausschau zu halten.
Die Dunkelheit umgab Tiro und legte einen dunklen Schatten der Hoffnungslosigkeit über ihn. Seine Glieder waren Taub und durch all die Schmerzen und Stunden der Bewegungslosigkeit hatte er kaum mehr Gefühl in seinem Körper.
Er wusste nicht, wie lange er schon Regungslos dalag, doch allmählich begannen Hunger und Durst an ihm zu zehren.
Steif, fast mechanisch hob Tiro den Kopf und stütze sich nach einer halben Ewigkeit endlich auf seinem rechten Arm.
Vorsichtig winkelte er das linke Bein an – und biss die Zähne zusammen, wobei diesmal seine Selbstbeherrschung über die Besinnungslosigkeit siegte.
Vorsichtig richtete sich der junge Gardist auf, doch bevor er stand versagten ihm die Füße den Dienst und er fiel vornüber auf die Knie.
Auf allen Vieren watete Tiro durch das langsam trocknende Blut, bis seine Hände endlich eine stabile Felswand fanden.
So behutsam wie ihm möglich war stütze er sich gegen den Felsen und erhob sich zögernd von seinen Knien.
Nach schier endlos erscheinenden Minuten hielt der junge Gardist sich unsicher wie ein Säugling auf den Beinen, halb gegen die Wand gelehnt.
Sein Kopf war leer, die Gedanken vom Schmerz verjagt und die Gefühle von der Dunkelheit erstickt.
Wie unter Trance begann Tiro stockend sich an der Wand entlang zu tasten.
Um die Richtung scherte er sich nicht und sein Überlebenswille trieb ihn Stück für Stück weiter.
Die Sonne auf ihren ledernen Schwingen genießend ließ Elea den Blick über das Land schweifen. Es schien, als habe der blutige Regen der letzten Tage alles Leben aus dem Wald gejagt. Die Tiere, die nicht dem Wahnsinn anheim gefallen waren, hatten gewiss das Weite gesucht und die übrigen hatten sich vermutlich gegenseitig umgebracht oder aber lagen auf der Lauer.
Gewiss würde es Jahre dauern, bis der Wald wieder mit Leben aller Art gefüllt war, doch die Elfe vertrieb die finsteren Gedanken und schenkte ihre Aufmerksamkeit lieber dem, immer näher rückenden, Stadttor.
Das Bild, dass sich Elea bot, war gewiss nichts für schwache Nerven. Das Leichen vor der Stadt waren von einer dicken Blutkruste bedeckt, in den vielen Schädeln hatte sich das Blut gesammelt und der Gestank nach faulem Fleisch und Blut lag über der grausigen Szenerie.
Die Elfe in Drachengestalt verlangsamte ihren Flug und setzte zur Landung auf der Stadtmauer an. Nicht ein Untoter lief mehr durch die Straßen, doch dafür stapelten sich die Kadaver in den Straßen. Das Ende des Blutregens schien also auch das Ende der Untoten bedeutet zu haben, bestätigte sich Eleas Hoffnung.
Ihre kleinen Krallen berührten den blutigen Stein der Stadtmauer und die ledernen Schwingen legten sich wieder um ihre kleine Gestalt.
Mit wachsamen Blick musterte sie das Terrain, um festzustellen, ob ihr niemand zusah, doch nachdem ihre scharfen Augen kein lebendes Wesen im näheren Umkreis fanden, beschloss die Elfe den Verwandlungszauber aufzuheben.
Das Bild des Zwergdrachen wurde beständig unschärfer und kleine Wellen aus rotblauem Nebel umspielten seine Gestalt. Die Lederhaut riss auf und unter ihr kam das immer noch blutige Wams der Elfe zum Vorschein. Die Gestalt des Drachen glich nunmehr eher der eines unförmigen Wachsballes, der wie von Geisterhand nach oben Schoss, binnen weniger Wimpernschläge schälte sich die Silhouette der Elfe aus dem magischen Brei und kurz darauf stand Elea in ihrer gewohnten Gestalt auf der Stadtmauer.
Unbewusst zogen vor ihrem inneren Auge die Erinnerungen zurück aus der Zeit, in der sie in jahrelanger Arbeit aus dem simplen Verwandlungszauber, der nur den Körper verwandelte, ihren heutigen Zauber geformt hatte, mit dem sie auch alles mitverzauberte, was sie bei sich trug.
Ihr war es gelungen die eigentlich toten Ausrüstungsgegenstände in ihre Aura aufzunehmen und sich dann komplett zu verwandeln, doch war es schwierig gewesen, das Muster so zu weben, dass sich die Ausrüstung auch wieder von ihrer Aura trennen ließ. Ihr erster Versuch hätte um ein Haar nicht nur ihre Ausrüstung von ihr getrennt, sondern auch ihren Körper, was die Elfe nur durch viel Glück und auch nur knapp überlebt hatte.
Elea wollte nicht über alte Zeiten nachzusinnen und sah sich statt dessen auf der Stadtmauer um. Nach kurzer Suche fand sie bereits was sie suchte: einen Bogen.
Prüfend begutachtete die Elfe die Verarbeitung des Bogens. Das Holz war gut gewählt, nicht zu starr und auch nicht zu biegsam, doch die Sehne war durch das viele Blut unbrauchbar geworden.
Fast beiläufig löste die Elfe die Bogensehne und griff in eine kleine Tasche in ihrem Wams, in der Bogensehnen und ein wenig Verbandszeug für den Notfall aufbewahrte.
Misstrauisch ließ Elea den Blick wieder über die Leichenberge wandern, doch nirgends lauerte Gefahr. Ruhig und gelassen spannte sie den Bogen neu, hob den Köcher samt Pfeile ebenfalls vom Boden auf und legte skeptisch einen Pfeil ein.
Als Testziel hatte sie sich ein Tavernenschild auserkoren, auf dem in geschwungener Schrift "Zum Wandersmann" stand und unter dem Schriftzug prunkte das Bild eines wohlgefüllten Weinglases.
Surrend durchteilte der Pfeil die Luft, als er sich von der Sehne löste und schlug in das Bild des Weinkelches ein.
Der Bogen war nicht das, was die Elfe gewohnt war, stellte sie etwas missmutig fest. Ihr letzter Bogen ließ sich bis zum Anschlag hin weich und gleichmäßig spannen, war ein Musterbeispiel an Zielgenauigkeit und wog vielleicht die Hälfte von diesem, doch lieber einen menschlichen Bogen, als keinen.
Ein letztes mal schweifte Eleas Blick über das traurige Bild einer ausgestorbenen Stadt, bevor sich wieder ein kleiner Zwergdrache von der Stadtmauer erhob.
Gleichmäßiges Plätschern, das langsam lauter wurde, ließ Fibzi aufhorchen und setzte seinen Träumen ein jähes Ende.
Er sparte sich die Mühe die Augen zu öffnen, denn selbst Drachenaugen sahen nichts ohne Licht.
Aufmerksam horchte der Zwergdrache in die Dunkelheit hinein, bemüht jedes Geräusch der näheren Umgebung in sich aufzunehmen und aus den Geräuschen ein Bild zu formen.
Ein Zweibeiner musste sich auf ihn zu bewegen, denn das Plätschern war in gleichmäßigem Abstand zu hören, wobei es klang, als würde je ein Bein bewegt werden und ein leises Keuchen lag in der Luft, das nicht tierisch klang.
Fibzi wunderte es jedoch auch nicht, das ein Mensch hier entlang kam, denn schließlich hatte er diesen Geheimtunnel nur zufällig entdeckt, als er eine Gruppe von Menschen beobachtete, die aus einer massiven Felswand kamen, die natürlich nur eine Illusion war.
Ohne den Fremdling weiter zu beachten, beschloss Fibzi lieber noch eine Weile zu schlafen und so kuschelte er sich in seine Schwingen hinein und träumte weiter.
Innerlich leer, wie eine Weinflasche nach dem Saufgelage, setzte Tiro in stiller Monotonie einen Fuß vor den anderen, noch immer gestützt auf die Felswand. Ausgebrannt und müde war sein Geist, schwach und gebrochen sein Körper und doch bewegte er sich weiter. Der junge Gardist wusste, dass jede Rast seine letzte bedeuten konnte und so gönnte er sich nicht einen Moment der Ruhe. Mehr noch als jede Erholung brauchte Tiro Trinken und Essen, woran ihn sein verkrampfter Magen bei jedem Schritt aufs Neue erinnerte.
Wieder hob Tiro den Fuß, doch er trat ins Leere und ehe sein müder Geist hätte reagieren können, viel er vornüber, sah über sich die Dunkelheit aufbrechen und blauer Himmel lachte über ihm, doch ein schmerzhafter Spagat gefolgt von einem Sturz ließen ihm keine Gelegenheit die Sonne zu genießen, bevor er wieder in Dunkelheit versank.
Die Sonne war bereits ein gutes Stück gen Osten gewandert, als Elea sich wieder dem Baum näherte, an dem sie Jerina zurückgelassen hatte. Noch immer wärmten die Strahlen der Sonne und von abendlicher Kühle war noch kein Hauch zu spüren. Mit ihrem geschärftem Blick hielt Elea schon seit einiger Zeit Ausschau nach Nahrung, denn mit den paar Nüssen und ein wenig getrocknetem Obst, die sie noch hatte, wurde nichts aus einer guten Stärkung vor dem schlafen gehen.
Statt jedoch fündig zu werden, konnte die Elfe ganz neue Erkenntnisse über Jerina gewinnen, die gerade die Zeit für einige Übungen nutzte.
Von einem schmalen Ast an der Baumkrone hangelte sich Jerina mit überraschender Präzision weiter, ließ sich hinabfallen, fing sich an einem etwas breiteren Ast auf, drehte sich einem Zirkusakrobat am Hochseil gleich um den Ast, lies schließlich los und landete behutsam wie eine Katze eine Etage höher.
Nach ihren Akrobatikübungen setzte Jerina ihr Training mit Schlag- und Trittübungen fort, wobei ihr eine höchst erstaunte Elea noch einige Zeit zusah, denn eine solch hohe Körperbeherrschung hätte sie nun nicht von Jerina erwartet.
"So wie ich meine Magie vor ihr verberge, verbirgt sie also ihre Gewandtheit vor mir", entfuhr es der Elfe, ungehört jedoch von menschlichen Ohren.
"Da bist du ja endlich wieder", hieß Jerina die Elfe fröhlich willkommen, als diese den Baum erklommen hatte und sich ihr gegenüber hinsaß.
"Ich hoffe doch die Einsamkeit in diesem Wald schlug dir nicht zu sehr aufs Gemüt", scherzte Elea in ebenso guter Laune zurück.
"Wo hast du den Bogen her?"
"Aus der Menschenstadt", antwortete Elea wahrheitsgemäß. "Der Fluch der Untoten ist gewichen, doch sind die Straßen nun gefüllt mir Bergen von Toten."
"Also sieht es nicht so aus, als hätte jemand überlebt", gab Jerina mit belegter Stimme zurück.
"War die Stadt dein Zuhause?", fragte die Elfe mit sanfter Stimme und ergriff behutsam Jerinas Hand, die sich nicht wehrte und die Elfe gewähren lies.
Eine Weile schwieg das Mädchen, bevor sie die richtigen Worte fand. "Nun, in der Stadt lebten viele Bekannte und auch manch freundliche Seele, doch zuhause fühlte ich mich nie dort."
Elea erwog kurz, ob sie ihrer Neugier folgen und weitere Fragen stellen sollte, doch sie entschied sich statt dessen lieber ein anderes Thema zu wählen. "Weißt du schon, wohin du dich wenden willst?", frage die Elfe schließlich.
"Nein", war die schlichte Antwort, der ein erwartungsvoller Blick und eine Frage folgte: "Weißt du, wohin ich gehen kann?"
Kurz überlegte die Angesprochene, dann löste sie den sanften Griff um Jerinas Hand und zeigte auf eine schneeverdeckte Gebirgslandschaft, bevor sie die Stimme zum Sprechen hob: "Von dem Gebirge im Nordwesten dort kam ich hierher und mein Weg führte ursprünglich nach Osten, doch ich glaube mich zu erinnern, einige Tagesmärsche von hier in nordöstlicher Richtung mal eine Menschenstadt gesehen zu haben. Dorthin würde ich dich begleiten, wenn du möchtest, bevor ich meinen eigenen Weg fortsetze."
Jerina brauchte keine Zeit zum Nachdenken, bevor sie antwortete: "Ich würde mich geehrt fühlen, wenn du mich bis zur nächsten Stadt begleiten würdest."
-- Update 22.05.03 --
Elea und Jerina nutzten die letzten Stunden Tageslicht, um bereits ein gutes Stück Weg zurückzulegen. Elea lief zwar so langsam wie die Tage zuvor, aber sie war sich sicher, dass Jerina auch ein höheres Tempo auf Dauer durchhalten würde, doch die Elfe hatte es nicht eilig. Gefahren lauerten scheinbar keine im Unterholz, aber dennoch bewegte sich die Elfe vorsichtig und sondierte das Terrain gründlich, denn ein Überraschungsangriff aus dem Hinterhalt konnte ein plötzliches Ende für ihre Lebensgeschichte bedeuten.
Als Jerina kaum mehr die Hand vor Augen sah und auch die Augen der Elfe nur noch dunkle Konturen wahrnahmen, beschlossen die beiden ungleichen Frauen sich zur Nachtruhe zu legen. Auch wenn ihnen ihre knurrenden Mägen das Einschlafen erschwerte, fielen sie schon bald in ihren wohlverdienten Schlaf.
Auf einen Dunkelheitszauber zum Schutz vor Feinden verzichtete Elea diesen Abend.
Mit pochenden Kopfschmerzen und lahmen Gliedern erwachte Tiro, als die Sonne sich über den Weltenrand schob und die ersten warmen Sonnenstrahlen ihn wärmten.
Das Sonnenlicht blendete seine, an Dunkelheit gewohnten, Augen und es dauerte einige Zeit, bis der junge Gardist einen klaren Blick auf seine Umwelt werfen konnte.
Er lag am Fuße eines kleinen Felsvorsprunges, aus dem er hinausgestürzt sein musste.
"So langsam reicht mir dieses verdammte umhergestürze ... kann ich mir nicht einfach den Hals brechen beim nächsten Sturz?", fluchte Tiro, während er langsam versuchte sich aufzurichten.
Sein rechtes Bein folgte ihm noch, doch sein Linkes blieb starr und ließ sich selbst unter Schmerzen nicht krümmen. Alle Flüche rezitierend, die seine Gehirnwindungen hergaben stütze er sich auf sein rechtes Bein und zog sich an dem Felsen hoch. "Noch ein so Sturz und du endest noch als verdammter Krüppel", meldete sich eine sarkastische Stimme zu Wort, die Tiro als seine eigene erkannte.
Erst jetzt hielt er verwundert inne und sah zum Himmel, wo sich nicht eine Wolke sehen lies. Tiros Blick sank sich ab, bis er auf den Boden blickte, der immer noch von einer dicken Blutkruste bedeckt war. "Immerhin muss ich mich nicht auch noch durch den Blutregen kämpfen", stellte der Gardist kalt fest. Ohne auf seine Verletzungen weiter zu achten, löste Tiro sich vom Felsen und humpelte ein paar Schritte. Unschlüssig überlegte er, wohin er sich wenden sollte und durchkämmte vergebens sein Gedächtnis auf der Suche nach diesem Ort, doch er kannte diese Gegend nicht und einen Kartograph würde er hier gewiss genauso leicht finden wie man ein schwimmendes Kamel inmitten des Ozeans antreffen konnte.
Die dämonischen Schmerzen, die seinen gesamten Körper peinigten, strafte der junge Gardist so gut wie möglich mit Nichtbeachtung, was ihm alles andere als leicht fiel.
Endlich hatte er sich für eine Richtung entschieden, das hieß, er lief einfach geradeaus.
"Sterben wirst du eh, egal welche Richtung du einschlägst", brummte Tiro missmutig und humpelte langsam von dem Felsvorsprung fort.
Ein lautes Knurren, wie von einem tollwütigem Dämon kurz vor der Raserei, hallte durch den Wald, lag einige Zeit in der Luft und verlor sich schließlich im Dickicht, aus dem eine abgemagerte Gestalt gehumpelt kam.
Die Schmerzen waren in den Hintergrund getreten, denn Durst und Hunger rangen um die Vorherrschaft in Tiros leidendem Geist und mittlerweile zog Tiro etwas zu Essen jedem Kartograph vor. Ohne etwas zu finden suchte sein Blick den Boden und alle Pflanzen nach Essbarem oder gar einer Wasserquelle ab, bis er zwischen einer Baumgruppe ein mysteriöses aufblitzen sah.
Misstrauisch humpelte der Gardist zur Baumgruppe und seine Hand griff dorthin, wo er sein Schwert zu tragen pflegte, doch griff sie ins Leere. Einen weiteren Fluch unterdrückend spähte er vorsichtig zwischen den Baumblättern hindurch und fiel beinahe um vor Erleichterung, denn vor ihm lag ein See!
Das Wasser hatte vom Blutregen eine seltsamen braun-orange Farbton angenommen, doch darauf achtete Tiro bereits nicht mehr. Schneller als er es sich selbst zugetraut hätte, lag er am Ufer, tauchte seine – zu einem Trichter geformten – Hände in das kühle Nass und trank einen guten Schluck davon.
Kaum war das blutige Wasser seinen Rachen hinabgeflossen, bereute Tiro es bereits.
Rote Schlieren tanzten durch sein Sichtfeld, Millionen winzig kleiner Feuernadeln traktierten seinen Hals und die ganze Welt um ihn herum begann sich zu drehen.
Roter Schleim troff aus seinem Mund und lies ihn würgen, bis er schwarze Galle spie. Wieder und wieder erbrach sich der junge Gardist, bis ihm schließlich die Luft zum Atmen knapp wurde und schwarze Flächen vor ihm hin- und herschaukelten. Ein letzter Schwall diverser Körpersäfte floss durch Tiros Mund, bevor er abdriftete in eine Welt ohne Schmerzen ...
Der Morgen begann für Jerina, anders, als sie erwartet hätte, denn als sie wach wurde, saß die Elfe einige Äste über ihr und hielt eine sehr kunstvoll verzierte, geschwungene Flöte in Händen, auf der sie zu spielen begann.
Noch nie zuvor hatten ihre Ohren elfische Musik gekostet, doch bereits nach den ersten Strophen verlor sie sich ganz in der Melodie Eleas.
Das Lied begann wie ein sanfter Sonnenaufgang mit ruhigen Tönen, die hell und klar durch den Wald drangen. Ohne dass ein bewusster Musikwechsel stattgefunden hätte, gingen die Töne in heitere Musik über, zauberten ein Lächeln auf Jerinas Lippen und befreiten sie von der Last der durchlebten Schrecken.
Die fröhliche Stimmung der Musik wich langsam ruhigeren, besonneneren Tönen, die von Freiheit und Liebe, aber auch von Überlebenskampf und Entbehrung zu erzählen schienen.
Fast Schlagartig änderte sich die Melodie, wurde dunkel und unruhig, wobei die Töne langsam stiegen und immer hektischer durcheinander gingen. Mit einem tiefem, nur kurz gespieltem Ton riss das Lied der Elfe schließlich ab.
"Du spielst wunderschön", bemerkte Jerina mit aufrichtiger Bewunderung.
Fast erschrocken warf Elea ihr einen Blick zu, wie ein verschrecktes Reh, schwieg jedoch. Als die Elfe den Blick wieder abwand, verlor er sich irgendwo zwischen den Blättern des Waldes.
"Elfen haben eine seltsame Art mit Komplimenten umzugehen", lag es Jerina auf der Zunge, doch sie entschied sich zu warten, bis die Elfe wieder etwas gesprächiger wurde.
Nach wenigen Minuten lies Elea die Flöte wieder in eine ihrer Taschen verschwinden und war mit wenigen Sprüngen vom Baum. Jerina folgte ihr, etwas langsamer.
Wie gewohnt ergriff die Elfe die Führung, doch an diesem Morgen schien sie noch ruhiger als sonst.
Schon den ganzen Tag wanderten die beiden Frauen durch den Wald. Elea hatte in all den Stunden nicht eine Silbe von sich gegeben, doch Jerina fand nicht die richtigen Worte, ein Gespräch zu beginnen. Vielleicht war Musik für Elfen ja etwas heiliges, bei dem sie Niemand stören durfte. Oder aber sie hatte die Musik der Elfe entweiht, indem sie Elea loben wollte, aber so sehr Jerina auch grübelte, konnte sie sich nicht zusammenreimen, weshalb die Elfe so still war.
"Ich hoffe, du bist nicht meinetwegen so still", platzte es schließlich aus Jerina raus, die das Schweigen nicht mehr ertragen konnte.
"Nein, bist du nicht", folgte prompt die Antwort, ohne dass sich Elea zu ihr umgewandt hätte.
Auch wenn die Antwort im Prinzip das war, was Jerina zu hören gehofft hatte, gab sie sich mit der Antwort nicht zufrieden. "Und warum bist du dann so still, wenn ich fragen darf?"
Die Elfe blieb stehen und wartete kurz, bis Jerina neben ihr zum stehen gekommen war.
"Heute jährt sich der Tag, an dem die Menschen meine alte Heimat heimsuchten", fing Elea zu sprechen an und schwieg kurz, bevor sie ihre Stimme wieder fand. "Bis heute noch suche ich nach dem Grund, der diesen Tag und all seine Opfer rechtfertigt. Mein Sippe hatte gewiss niemandem der Angreifer etwas getan und doch wüteten sie unter uns, als seien wir ihre schlimmsten Erbfeinde. Seit diesem Tag bin ich vorsichtig euch Menschen gegenüber geworden, doch man kann euch so schwer einschätzen. Manche von euch sind ruhig und besonnen, andere stupide und einfältig und wieder andere ... kennen nichts außer Kampf und töten", wieder schwieg die Elfe kurz und musterte Jerina nachdenklich.
"Ich behaupte ja nicht, unter meinem Volk gäbe es keine Unterschiede, jedoch glaube ich nicht, dass es nur einen Elf bei Verstand gibt, der kämpft, ohne dass ihn zuvor jemand angegriffen hat."
Erneut standen sich beide schweigend gegenüber. Jerina tat es leid, was der Elfe widerfahren war, doch mehr noch schmerzte sie der Gedanke daran, dass das Volk der Elfen die Menschen als mordlustige Ungeheuer kannten.
"Ich finde des traurig, dass solche Menschen einen Keil zwischen die Völker der Elfen und Menschen getrieben haben. Ich kannte Elfen früher nur aus alten Märchen und Sagen ..."
"Du musst mir etwas versprechen Jerina", unterbrach Elea den Wortfluss ihrer Gegenüber.
"Und was?"
"Bitte versprich mir, niemals mit einem anderen Menschen über mich oder meinem Volk zu sprechen", bat Elea mit ernster Stimme.
Wie vor den Kopf geschlagen verstummte Jerina auf die Frage hin. Eigentlich hatte sie genau das Gegenteil vorgehabt, nämlich möglichst vielen Leuten die Wahrheit zu sagen, damit es vielleicht möglich wäre, dass die Elfen sich nicht mehr verstecken mussten. "Warum?", fragte sie schließlich mit belegter Stimme.
"Du würdest alles nur noch schwieriger machen. Wir Elfen wollen mit euch möglichst jeden Kontakt vermeiden, denn unsere Geschichte erzählt von vielen Annäherungen an die Menschen. Doch bisher führte es niemals zu etwas gutem und in den meisten Fällen endete es mit Toten. Bitte versprich es mir, Jerina und wenn du es versprichst, so halte dein Wort auch", redete die Elfe auf Jerina ein.
"Das bedeutet auch, dass du mich nur in die Nähe der Stadt geleiten wirst und wir uns danach niemals wiedersehen oder?", fragte Jerina etwas traurig. Die Elfe nickte tief, ohne ein weiteres Wort zu verlieren. "Gut, ich gebe dir mein Wort, mit Niemandem jemals über dich oder dein Volk zu reden", gab Jerina schließlich nach.
"Danke", erwiderte ihr die Elfe erleichtert.