Kapitel 53 – Dummheit der Vorfahren
Der Meister ist verschwitzt, atmet schwer und sein Gesicht ist stark gerötet. Trotzdem grinst er über das ganze Gesicht. Der Katzenführer runzelt die Stirn.
„Und was ist daran jetzt so großartig?“
Vor uns steht ein Skelett. Es trägt einen hohen, rechteckigen Schild, dessen Mitte vorgewölbt ist. Dieser Schild geht nahtlos in seinen Arm über, der dafür verdickt ist; sein ganzer Körper ist eher bullig geraten, dafür so klein, dass der Schild einige Zentimeter über seinen Kopf ragt. Sein anderer Arm endet in einer Kugel, elfenbeinern glänzend weil absolut rund; sie hat in etwa den Durchmesser seines Kopfes.
„Ich nenne sie ‚Wächter‘. Sie beschützen, ohne zu töten, wobei sie das können, wenn es sein muss – und ganz nebenbei, sie können mit den Kugeln sicher super Dinge einreißen.“
Die Katze nickt.
„Ich glaube, ich habe verstanden. Ihr wollt unsere Leben verschonen?“
„Genau!“
„Ehrenhaft, wirklich ehrenhaft. Es ist mir eine Freude. Können wir Euch dann den Weg weisen?“
Der Meister trinkt einen Manatrank und nickt, als der Schweiß verschwindet und sein Gesicht wieder normal bleich wird.
„Jetzt ja – wie wärs so: Einer von euch geht voran, der Golem nebenher, und zwei Wächter; dann Ihr, ich, die Magier, links und rechts zwei normale Skelette, hinten zwei Wächter und der letzte von euch?“
Der Nachttiger und ich nicken synchron – ich kann weit besser reagieren als ein Skelett, und bin damit die logische Wahl zum Schützen der Vorhut; mich dagegen können die Skelette auch gut beschützen.
„Ihr braucht nur noch mehr Wächter, nicht wahr?“
Der Meister zuckt mit den Schultern.
„Hoffen wir, dass wir sie nicht brauchen – und wenn, dann sehen wir schon. Ich würde mich natürlich freuen, wenn wir Niemand von euerem Volk töten müssten...“
„Es hat keinen Sinn, sich jetzt schon Sorgen zu machen. Gehen wir.“
Zwei Blocks weiter ertönt wieder Stöhnen; der Späher, der uns führt, lugt um die Ecke, hebt die Hand, und winkt nur mich heran. Auf der Querstraße stehen mehrere Untote, und zwei Plünderer. Der Meister erhält Bericht von dem Nachttiger, den ich bestätige.
„In Ordnung, das wird knifflig...immerhin wollen wir nicht zu viel Aufmerksamkeit erregen. Können wir sie umgehen?“
Der Anführer der Katzen schüttelt den Kopf.
„Alle anderen Routen werden von anderen Gruppen im Moment durchsucht; das hier ist unsere, die ist garantiert sicher. Aber wenn wir auf ein Dach gelangen könnten, und sehen, wie weit die Befackelung fortgeschritten ist, können wir vielleicht ausschließen, dass der Kampf gehört wird.“
Guter Plan! Ich winke den Späher, es ist der, dem der Meister das Leben gerettet hat, heran, und senke meine Hand. Er ist ein wenig skeptisch, als ich darauf deute; der Meister beruhigt ihn.
„Ich denke, mein Golem weiß, was er tut...willst du ihn hochheben?“
Ich schüttele den Kopf. Das nächste Haus hat dafür zu viele Stockwerke.
„Wie dann?“
Aber der Nachttiger steigt kommentarlos auf meine Hand; ich spüre sein Gewicht kaum, er ist wie die meisten Katzen schlank und agil. Ich greife um seine Hüfte – und reiße meine Hand hoch.
Er faucht erschreckt, aber fängt sich rechtzeitig; und er landet auf allen Vieren auf dem Dach. Kein schlechter Wurf, wenn ich mich mal selbst loben darf.
Bald springt er von selbst wieder herunter, landet genauso grazil wie vorher, und erstattet Bericht.
„Die Gruppe der Nachtklauen hat wohl nicht pausiert und ist schon über unseren Punkt hinaus; von ihnen sollten wir keine Probleme bekommen. Die Schattenfelle...“
„Was?“
„Ihre letzte Fackel ist noch auf Höhe des Marktplatzes.“
Der Anführer reißt erschreckt die Augen auf.
„Sie sind zu diszipliniert, um dort immer noch zu rasten!“
Der Späher nickt nur. Sein Vorgesetzter trifft eine schnelle Entscheidung.
„Wir gehen zum Marktplatz. Von dort haben wir mehrere Möglichkeiten, und vielleicht können wir den Schattenfellen ja helfen. Seid Ihr einverstanden?“
Der Meister nickt.
„Ich helfe gerne, wenn es uns nicht zu sehr verlangsamt – immerhin habe ich eine Welt zu retten.“
Dass der Nachttiger das so hinnimmt, beweist wohl, dass der Meister mal wieder aus dem Nähkästchen geplaudert hat – na ja, was kann es schaden. Immerhin sind das unsere Verbündeten. Jetzt. Hoffentlich.
Jedenfalls ist es mit ihnen kein Problem, die lausige Untotengruppe samt Plünderdämonen in Minutenschnelle zu erledigen – der Meister freut sich über genug Leichen für zehn Wächter.
Der Marktplatz liegt still und friedlich da...doch trügt der Schein? Über die oberste Stufe der auf die erhöhte Ebene führenden Treppe, worauf er situiert ist, spähen wir auf die Szenerie...mein Kollege tippt mir auf die Schulter, und ich wende mich um; er winkt mich nach unten, zum Rest der Gruppe, wo er Bericht erstattet.
„Es scheint Alles in Ordnung zu sein – aber ich habe da ein ganz schlechtes Gefühl bei der Sache.“
Der Meister überlegt.
„Ich denke auch, dass das ein guter Ort für eine Falle ist – wir können uns nur über die Treppe zurückziehen, weil die Hänge zu steil sind; die Häuser engen uns auch ein, falls sie von unten kommen sollten, sind wir in der Scheiße. Aber ich habe da einen Plan...“
Oh Gott...wobei, bisher waren die gar nicht mal so unerfolgreich – weil er ein Meister auch im Improvisieren ist. Soviel muss man ihm schließlich lassen.
Wir betreten den Marktplatz – bewusst ungeordnet. Rechts und Links strecken halbzerstörte Gebäude Ziegelfinger in die Luft, vor uns eröffnet sich eine volle Markthalle – voller Trümmer, sie ist eine komplette Ruine. Links und Rechts des Platzes zweigen Straßen ab, außerdem an beiden Seiten der Markthalle im spitzen Winkel. Der Meister flüstert.
„Auf in die Häuser.“
Zwei Skelette lösen sich von der Gruppe und nehmen zwei Nachttiger mit; der Anführer bleibt beim Meister. Kurz darauf kehren die Skelette allein zurück; die Posten sind gesetzt, und Alles scheint in Ordnung zu sein. Der Meister runzelt die Stirn.
„Zumindest in einem hätte ich wen versteckt...“
Wir gehen vorsichtig weiter. Der Meister stolpert fast über einen Pflasterstein, der schief aus dem Boden ragt. Verfluchte Dunkelheit!
Als wir zwischen den beiden Seitenstraßen sind, ertönen Pfiffe – aus beiden Häusern. Unsere Posten haben Alarm geschlagen...aha! Ein Zangenangriff! Gut, dass wir vorbereitet waren. Als Plünderer in Massen von beiden Seiten heranströmen, stellen zwei Wächter auf jeder Seite ihre Schilde auf und formen so eine nahezu undurchdringliche Phalanx. Die lebenden Wesen (inklusive mir, natürlich) bleiben in der Mitte des geschützten Korridors, während die Magier sich bereit machen.
„Feuer!“
Ich hebe die Magier mit jeweils einer Hand hoch, und sie schießen über die Schilde hinweg auf die heranrennenden Feinde. Einige fallen, wobei sie wohl nur verletzt sind; der Meister bemüht sich, aber noch explodiert Nichts. Ist sowieso noch zu früh.
Blau glühende Klingen entfesseln einen wahren Sturm auf die Schildwände, aber die Wächter halten ihre Position mit willenlosem Gleichmut, ohne einen Zentimeter zu weichen. Sie haben die Schilde in die stellenweise weit offen liegende Erde gerammt, und damit sind sie nicht zu verschieben.
Jetzt beginnen die Dämonen, um die Wände herum zu fluten; der Meister bellt einen Befehl, und die Schilde lösen sich, um einen flexiblen Schutzkreis um uns zu erschaffen. Mehrere Feinde dringen durch, während die Wächter sich lösen, aber bevor sie diesen in den ungeschützten Rücken fallen können, stürmen ich und der Nachttiger los, um sie zu erledigen. Durch die jetzt entstandenen Lücken in unserer Verteidigung schießen Magier, und was hineinkommt, wird von uns beiden vernichtet. Wir sammeln fleißig Leichen an...
„Wir könnten den Ausfall-Befehl geben!“
Der Katzenführer ist fast in euphorisch zu nennender Stimmung, als immer weniger Plünderer in den Kreis gelangen und ihm so Gelegenheit zu einer kurzen Unterredung mit dem Meister geben.
„Zermürben wir sie an zwei Fronten! Unsere Posten können sich von hinten auf sie stürzen!“
Der Meister schüttelt den Kopf, überhaupt nicht euphorisch.
„Wir halten die Stellung, aber es sind eine ganze Menge – wenn sie sich den Posten gleich zuwenden, sobald diese aus den Häusern kommen, sind die tot. Und solange wir sie nicht brauchen, bin ich auch nicht gewillt, unsere Trumpfkarte einzusetzen.“
Gerade, als der Nachttiger zu einer Antwort ansetzen will, reißt es ihn von den Beinen. Was...?
Unter uns bebt der Boden, der schon vorher angehobene Pflasterstein fällt um...und etwas schiebt ihn zur Seite...
Horden von Zombies heben sich aus dem Boden.
„Oh Scheiße, das ist gar nicht gut...“
Ein Wächter fällt, als ein lebender Kadaver ihm den Schädel zertrümmert. Das Schild verpufft zu Staub. Gegner dringen ein.
„VexLoBerJahKo!“
Der Meister ist aufgeregt genug, um das Runenwort für die Explosion zu schreien. Feuer erfüllt den Platz. Plünderer fallen in Massen. Aber die Untoten wanken nur...
Da bebt die Markthalle. Trümmer verschieben sich. Noch mehr Zombies kommen zum Vorschein! Und über die Treppe...strömen noch mehr Plünderer. Wir sind umzingelt! Ein Wächter wird geradezu erdrückt von Untoten, die einfach über ihn hinwegklettern, die Körper der Plünderer nutzend. Unser Auge des Sturms verkleinert sich. Der Meister sprengt hektisch, aber die Untoten lassen sich kaum aus der Ruhe bringen davon.
Einer steht vor mir. Ich steche blitzschnell auf ihn ein – und meine Klaue schubst ihn nur zurück, er ist hart wie Stein! Was ist mit diesen Toten los? Ich knie schnell nieder und halte ihn auf dem Boden fest – und steche mich an ihm! Weiches, faulendes Fleisch – von wegen – oder?
Jetzt sehe ich es: In seiner Haut sind zahlreiche Steine eingebettet – von seiner langen Totenruhe unter dem Pflaster? Egal, auf jeden Fall macht es ihn ziemlich schwer zu töten – und das ist gar nicht gut. Ich reiße ihn hoch, und bevor er mich schlagen kann, fliegt er in hohem Bogen weg. Aber er wird wiederkommen...
„Ausfall! Ausfall!“
Der Meister erschafft hektisch neue Skelette – drei, weil noch ein Wächter steht. Und als zwei Katzen von gegenüberliegenden Hauseingängen aus in den Kampf eingreifen, rennen auch zwei Skelette die Treppe hoch, die sich unten versteckt hatten. Von hinten fallen sie den Plünderern in den Rücken und machen mit ihnen kurzen Prozess. Und was ist mit den Zombies? Wir kriegen sie nicht klein...
Ist das ein Anführer, der da ein wenig weiter weg steht? Er hat eine andere Farbe...dunkler...und halt, warum sind die Zombies aus der Markthalle schon hier? Die rennen ja...
Unsere Situation ist ein wenig sehr verzweifelt, habe ich das Gefühl...wenigstens sind die Katzen durch die langsameren Untoten gekommen, aber die schnelle Fraktion unter dem Dunklen Vorfahr ist schon dabei, unsere Skelette erbarmungslos zu erledigen. Nur die Magier können mit konzentriertem Sperrfeuer einen Untoten auf einmal verbrennen, aber es sind einfach zu viele – wir brauchen die Kadaverexplosion – die aber nicht wirkt!
Moment...warum wirkt sie nicht? Weil die Zombies eine Steinhaut haben? Aber warum sind die Steine nicht längst herausgefallen, vor Allem bei den ganzen Explosionsdruckwellen?
Sie müssen Teil der Untoten geworden sein! Das heißt allerdings auch...
Ich schubse meinen derzeitigen Gegner um und renne zum Meister; der blickt nervös zurück, wir sind fast an den Rand des Hangs gedrängt, und die Treppe ist schmal und steil...
„Golem, ist dir was eingefallen?“
Ja! Ich deute auf das Fluchfähnchen an seinem Stab.
„Aber das kostet mich nur Mana – und was soll das bringen?“
MACH EINFACH!
„Was hab ich zu verlieren...“
Oranges Licht erfüllt den Platz. Ich stoße meine Klauen vor – und spieße den nächsten Zombie auf.
„Das schwächt die Steine?“
Sie sind Teil der Monster! Der Fluch schwächt sie in ihrer Gesamtheit! Egal, nun sprenge!
Der Meister tut wie angedacht, und endlich zeigt die Explosion Wirkung. Er ist von dem ganzen Beschwören schon ziemlich mitgenommen...nur einmal ertönt der Knall. Aber diesmal ist er wenigstens verheerend. Die Skelette dringen vor, die Katzen bleiben zurück, nicht benötigt.
Nur ihr Anführer leistet noch Widerstand; ein Skelett zerlegt er mit einem Schlag. Und auf einmal rennt er auf mich zu!
Ich packe den letzten Wächter und reiße ihm sein Schild ab. Ihm ist das egal, und er überlebt es – was für ein Glück! Der erste Schlag des Dunklen Vorfahren treibt mich auf die Knie, und mein ganzer Arm wird taub. Was für eine Kraft hinter diesen faulenden Armen steckt! Aber ich halte meine Stellung, verbissen statt gleichmütig, als wäre ich ein Wächter.
Immer wieder hageln Schläge auf mich ein, und mir bricht fast der Arm...da sehe ich durch den Wirbel des besonders schnellen Untoten, wie der Meister sich heranschleicht. Was hat er nur vor? Die Skelette, die bisher versucht haben, ihn mir vom Leib zu halten, sind offenbar alle gescheitert: Staub liegt um den Vorfahr. Da geht auch noch der Fluch aus – und der Meister scheint zu erschöpft, erneut zu fluchen! Wie wollen wir ihn vernichten?
Das Schild fällt mir aus den Händen – und eine Dolchspitze erscheint aus der Kehle des Zombies. Der Meister hat eine ungeschützte Stelle gefunden!
Ein typisches Stöhnen wird zum Gurgeln, aber immer noch „lebt“ der Untote...wirbelt herum...
Eine Peitschenschnur wickelt sich um die Brust des Meisters, was sehr wehtut, wie ich weiß, aber er wird gerade noch aus der Reichweite des Schlages gezogen. Warum vergiftet der Dolch ihn nicht zu Tode? Ist er immun? Egal. Ich springe hoch, packe den Griff, und drehe den Kris in der Wunde.
Unser Gegner fällt um, als sein Kopf keinerlei Verbindung mit dem Rest des Körpers mehr aufweist, die über ein paar Hautfetzen hinausgeht. Ich ziehe das Kris weg und ramme mein Schild über die jetzt tote Leiche, nur zur Sicherheit...noch einmal...noch einmal...es zerfällt zu Staub. Der Wächter wurde vom Meister, ob seiner jetzigen Nutzlosigkeit, freigelassen. Er nimmt sich den Dolch, und der Anführer, der gerade seine Peitsche aufwickelt, tritt zu ihm.
„Dieser Schlag hätte Euch fast getroffen...“
„Ja, ich bin dir unendlich dankbar, dass du mich weggezogen hast.“
„Noch mehr, wenn Ihr Euch vorstellen könnt, warum wir diese hier Pestbringer nennen.“
Der Meister schluckt. Seine Knöchel werden weiß um den Griff des Jade-Tan-Dos.
„Kennt ihr die Dinger etwa schon?“
„Was meint Ihr, was diese Stadt vernichtet hat – sicher hat es nicht geholfen, dass sie ihre Toten, warum auch immer, unter dem Marktplatz vergraben haben.“
Der Meister schüttelt den Kopf.
„Idioten. Was ist mit den Schwarzfellen...?“
Der Anführer wirft unseren Posten einen Blick zu; diese schütteln nur den Kopf und miauen leise. Seine Miene verfinstert sich.
„Das Tal der Schlangen ist gleich am Ende dieser Straße, die ist nur ein wenig lang, aber gerade. Wir können leider nicht mit Euch hineingehen – es sei denn, Ihr wollt das. Aber ich rate zu einer kleineren Gruppe.“
Der Meister nickt.
„Kümmert euch um euere Toten. Ich danke euch für die Hilfe, die ihr uns erbracht habt – wir sehen uns wieder, hoffe ich. Wenn das Böse besiegt ist und die Sonne wieder scheint.“
Die Katzen salutieren und verharren in Starre, bis wir sie nicht mehr sehen – dann erfüllt ein klagendes Heulen die Luft, als sie ihre im Kampf für eine sinnlose Sache gefallenen Kameraden beweinen.