Kapitel 62 – Nachtrache
Wir stehen vor dem Palast. Die untergehende Sonne färbt die weißen Ziegel des Zwiebeldachs rot, die Marmor-säulen liefern mit ihrem dezenten Rosa einen aparten Kontrapunkt, der Boden, im Schatten der Eingangshalle, schimmert cremefarben, vom weichen Licht der gerade entzündeten Duftöllampen erhellt.
Der Meister schnaubt.
„Prunk und Pomp und Luxus ohne Grund – wie ich das verabscheue! Nun, gehen wir in das Haus der Dekadenz, ihr Meister wartet.“
Wir gehen auf die beiden Wachen zu, die am Eingang stehen, in blitzenden Rüstungen mit Spielzeugspeeren, die nur gut aussehen, aber Nichts taugen. Poliertes Holz, verdammt! Wenn sie keine schnieken schwarzen Lederhandschuhe trügen, würden ihnen die Dinger aus den Händen rutschen.
Durch jahrelanges Habacht-Halten geübt, wankt der Speer aber überhaupt nicht, als er vor dem Meister niederfährt, um ihn zu stoppen, bevor er überhaupt die Treppe zum erhöhten Eingangsbereich betritt. Er seufzt.
„Was soll das, ich habe doch einen Termin mit Jerhyn...seid ihr nicht informiert?“
Die rechte Wache sieht auf ihn herab.
„Du vielleicht...pah...aber nicht dieses Ding.“
Ich verstehe schon, Arschloch...bevor der Meister sich aufregen kann – und damit womöglich Einiges ruiniert – tippe ich ihm auf die Schulter, winke ab, und gehe.
Eine lange Sekunde verharrt er noch, dann steigt er die Treppe kommentarlos hoch, als der Speer sich hebt.
„Bei Atma.“
Kein Befehl? Perfekt! Ich gehe um die Ecke, umrunde den Häuserblock, schleiche mich in eine Parallelstraße – und stehen neben dem Palast. Ihr sperrt mich hier nicht aus!
Ein offenbar leerer Balkon beschattet die enge Gasse zwischen Palast und der Stadtmauer, die direkt neben ihm beginnt. Passt hervorragend, zumal die Palastwände glatt sind – die Stadtmauer aber nicht.
Mit Klaueneinsatz klettere ich sie hoch, luge vorsichtig auf den – ah, tatsächlich leeren – Balkon, und springe hinauf.
Dahinter ist ein menschenleerer Raum, dessen einziger Ausgang ein türloser Rahmen ist, den ein Vorhang bedeckt – hinter dem Stimmen hervordringen. Zunächst die hochmütige des Herrschers.
„...eine Gnade also, die Ich Euch zuteil kommen ließ, fürwahr. Ich denke, es ist das Geringste, was Ich verlangen kann, dass Ihr eine kleine Aufgabe für Mich erledigt...“
Aha, des Meisters Be-Gnad-Igung soll ihm also Jerhyn gegenüber verschuldet machen? Na klar. Aber er geht zum Glück nicht darauf ein.
„Um was genau ginge es denn bei dieser Aufgabe?“
„Ah, Ich nehme dies als Zustimmung! Sehr vernünftig von Euch. Nun, Ich habe es nicht an die Öffentlichkeit dringen lassen, aber wir hatten vor Kurzem ein kleines...Problem...im Harem.“
Du warst den Mädchen zu hässlich? Nach einer ruinierten, weil nicht dramatischen Pause, redet Jerhyn weiter.
„Aus dem Palastkeller fielen plötzlich Monster ein und begannen, wahllos Meine lieben Kinder abzuschlachten – die Palastwachen konnten sie gerade noch unter schweren Verlusten zurückhalten, aber der Keller ist voll von ihnen. Ich musste Griez anheuern, um sie in Schach zu halten, Ich kann kaum mehr schlafen vor Sorge!“
Du hast Griez deswegen angeheuert, um deinen blöden Arsch zu retten, und nicht, um die Stadt zu verteidigen, das ist nur ihr Nebenjob? Ich hoffe, der Meister schafft es, sich eine abfällige Bemerkung zu verkneifen...
...gerade so, aber seine Stimme könnte die Wüste einfrieren.
„Ihr möchtet also, dass ich dieses...Problem...für Euch beseitige, ja?“
„Scharfsinnig, wirklich scharfsinnig! Wenn Mein Keller wieder sicher ist und Ich Meinen Harem wieder beziehen kann, seid Ihr in Meinen Augen wieder völlig rehabilitiert!“
Ich glaube, es ist ganz gut, dass ich nicht mitgekommen bin, sonst hätte unser Fürst jetzt wohl mehr Krallen in sich, als es ihm Recht wäre. Und der Meister...verliert auch langsam...die Beherrschung.“
„Jetzt mal ganz langsam, Fürst...“
„Junger Freund, lasst mich einmal kurz zu Wort kommen!“
Oh – Drognan? Stimmt, der wollte ja auch kommen. Gerade noch einmal gut gegangen.
„Es gibt noch zusätzliche Informationen, die Euch interessieren könnten. Habt Ihr Euch denn nicht gefragt, woher die Monster so plötzlich kommen?“
Der Meister stutzt hörbar.
„Nun...von unten...ein Tunnel?“
„Zu tief! Nein, es gibt eine bessere Erklärung. Seht, nach diversen alten Schriften befindet sich im Keller des Palastes versteckt ein Portal – eines, das angeblich zur Wohnstätte eines gewissen Horazon führen soll.“
Ich ahne schon, was Drognan jetzt sagen wird, als er des Meisters misstrauische nächste Frage im Ansatz erstickt...
„Dieser Horazon war ein mächtiger Magier der Horadrim. Die Monster kommen garantiert aus seiner geheimen Zuflucht.“
Ich spüre die folgende Stille richtig. Dann flüstert der Meister.
„Das...ändert die Rahmenbedingungen. Jerhyn! Ich bin bereit, diese Plage an der Wurzel auszurotten!“
Dem Fürst liegt ein Grinsen in der Stimme, als er antwortet; offenbar hat er nicht erkannt, dass ihm der Meister vor Kurzem fast gesagt hätte, dass er sich sein Palastproblem sonst wohin stecken kann.
„Ihr glaubt diesen Quatsch von Zuflüchten und so? Egal, egal! Egal woher die Monster kommen, Ihr werdet sie beseitigen, hervorragend! Wollt Ihr gleich beginnen?“
„So früh als möglich. Ich muss nur noch meinen Golem und meinen Söldner holen gehen.“
„Welchen Söldner, wenn Ich fragen darf?“
„Pratham, er war, glaube ich, vor Kurzem im Kasernenarrest...“
Jerhyns Stimme wird ölig.
„Was bringt Euch auf den Gedanken, dass er das nicht noch immer ist?“
„Fürst...ich brauche ihn für diese Aufgabe, sonst werde ich es nicht schaffen!“
„Ist das so? Schnappt Euch einen Anderen aus Griez‘ Garde! Einen verurteilten Mörder bekommt Ihr nie im Leben! Morgen wird er an Euerer Stelle geköpft, zusammen mit seinem ehemaligen Anführer. Geht jetzt, Ich fühle mich müde. Kommt Mir nicht mehr unter die Augen, ohne Erfolge vorweisen zu können.“
„Aber...“
„Still, junger Freund. Ich denke, die Audienz ist damit beendet. Habt Dank für Euere Zeit, Fürst, er wird sich, wie versprochen, um das Problem kümmern.“
Drognan scheuchte den Meister schnell hinaus, ihre Schatten huschen vor dem Stoff vorbei. Ich schwinge mich schnell über die Brüstung des Balkons und rolle mich unten sanft ab. Ich renne sofort los und habe sogar noch Zeit, etwas zu schreiben, bis der Meister mich in Atmas Taverne antrifft.
„Golem...!“
Ich halte den Zettel hoch.
Ich habe Alles mitgehört.
Der Meister stutzt, dann grinst er schwach.
„Du bist mir Einer! gut, entschuldigt. Spart Zeit. Drognan kann ich nicht genug dafür danken, dass er mich gleich zweimal gehindert hat, etwas Dummes zu tun; ein drittes Mal schafft er das leider nicht. Komm. Wir lassen uns nicht mehr von diesem aufgeblasenen Windbeutel herumschubsen. Das ist eh abgekartet, er will, dass wir da unten verrecken. Ins Knie soll er sich ficken.“
Verdammt, das ist eine gefährliche Laune, die er da hat. Was hat er vor?
Ohne weiteren Kommentar zerrt er mich mit, allein durch seine erregte Präsenz werde ich mitgerissen. Kurz darauf sind wir bei Farah. Der Meister bricht geradezu ein.
„Mädels, wir haben keine Zeit! Seid ihr fertig mit euerer Überraschung?“
Farah, aus dem Hinterzimmer kommend, stützt die Hände in die Hüften.
„So eilig, General? Was ist denn los?“
„...um deine Frage zu beantworten, ja, das sind wir.“
Die Katze ist dazugetreten. Der Meister grinst.
„Hervorragend, und Danke im Voraus! Allein schon dafür, dass du akzeptierst, dass ich jetzt keine Zeit für Erklärungen habe.“
Dabei zwinkert er Farah zu, die resigniert die Arme hebt. Die Katze lächelt und führt uns ins Hinterzimmer.
Hier geschieht die eigentliche Schmiedearbeit: Eine kalte Esse, ein länger nicht benutzter Amboss – aber eine Menge Lederstreifen, Fäden, Scheren, Nieten...und das Resultat der Arbeit, das an der Wand hängt und auf das die Katze stolz deutet.
Es ist eine Lederrüstung von dunklem Blau, matt schimmernd im Licht der einen größeren Öllampe, die in der Mitte des Raumes von der Decke hängt. Schulterpolster, verstärkte Brustplatte, Riemen, Nähte: Sie ist wunderschön. Der Meister keucht und tritt an sie heran, lässt seine Finger über das polierte Material gleiten.
„Unglaublich...äh...sind das...Schuppen?“
Die Katze grinst bösartig.
„Wir nennen sie die ‚Haut des Vipernmagiers‘...Reißzahns Abschiedsgeschenk.“
Jetzt grinst der Meister böse.
„Herrlich! Oh, wie er das verdient hat! Wieviel?“
Katze und Farah schauen säuerlich drein. Erstere spricht.
„General, wie gesagt, ein Geschenk. Nimm sie. Wir wissen gar nicht, was sie genau kann – frag Deckard, wenn du Zeit hast, oder finde es selbst heraus. Zumindest erhöht sie Widerstände – wir mussten eine Menge Hitze aufwenden, um das Leder ein wenig zu erweichen. Aber jetzt sollte sie ganz bequem sein, wie eine zweite Haut...pass bloß auf: Wir mussten die Löcher unter den Schultern ein wenig stopfen, da, wo der Golem die Klauen reingerammt hat. Die sind womöglich weniger geschützt.“
Der Meister steht derweil in blauer, sinistrer Erhabenheit da, einen Ausdruck von reinem Glück im Gesicht.
„Jetzt bin ich bereit...“
Die Katze drückt ihm etwas in die Hand – es ist das Jade-Tan-Do.
“Jetzt bist du es.“
Der Meister schiebt den Dolch in seinen Gürtel.
„Wie kann ich euch nur danken?“
„Bringt mich zum Wegpunkt! Farah wird sich schon etwas einfallen lassen.“
„Derweil kannst du deine alte Rüstung dalassen. Ich kann immer Material brauchen.“
„Gerne, Farah! Ihr wart toll. Jetzt muss ich los. Komm du gleich mit, der Wegpunkt liegt auf selbigem.“
Und schon sind wir wieder weg. Der Meister streicht ständig über seine neuste Errungenschaft...
Bis zum Wegpunkt hat uns Niemand gesehen; immerhin ist die Sonne längst untergegangen. Die Katze umarmt den Meister.
“Ich müsste dir danken. Bald sollten sich Ergebnisse meiner Pläne zeigen.“
Der Meister hüstelt.
„Wenn du eine Delegation herschickst...vielleicht solltest du Jerhyn gegenüber nicht erwähnen, dass du mich kennst...“
Sie hebt eine Augenbraue.
„Ach? Gut, werde ich beachten. Pass auf dich auf, ja?“
Ein pelziger Kuss lässt ihn ein wenig bedröppelt zurück, als sie mit einem intonierten „Ferne Oase“ verschwindet.
Er schüttelt den Kopf.
„Gut, jetzt liegt es an uns. Hast du eine Ahnung, was ich vorhabe?“
Eine geringe...die Gegend lässt es vermuten.
„Genau, wir holen Pratham da raus und verschwinden flugs im Palastkeller. Auf, nachher wartet Jerhyn schlaflos auf uns und wird ungeduldig.“
Die Söldnerkaserne ist Nachts schwach besetzt. Das nahe Stadttor, vor dem dereinst Pratham stand, wird wieder bewacht; ihr Eingang selbst nicht. Wir schleichen uns hinein.
„Die Zellen sollten im Keller sein...die Frage ist nur...wo ist die Wache?“
Von unten dringen Geräusche hoch...solche eines Handgemenges. Der Meisters starrt mich an.
„Schnell!“
Wir stürzen die Treppe herunter. Dort bietet sich eine grausame Szene dar.
Zwei Zellen sind offen, eine davon leer. In der anderen verprügeln vier Männer einen anderen, der schon am Boden liegt. Feige Schweine! Aber...wer...und warum?
„Hört auf! So, du Verräter...jetzt bist du nicht mehr so vorlaut, was? Meine Leute lassen mich nicht im Stich, und dafür, was du uns für Probleme bereitet hast, lassen wir dich schon hier...für immer.“
„GRIEZ!“
Des Meistes donnernde Stimme lässt die vier Schläger herumfahren. Einer von ihnen ist wirklich der ehemalige Anführer der Söldner...drei seine ehemaligen Untergebenen, wohl die oben fehlenden Wachen...und am Boden liegt Pratham. Jetzt gibt die Szene einen Sinn. Sie haben ihren Anführer befreit, wie wir es mit unserem Freund vorhatten, und wollten ihrem Abtrünnling noch einen endgültigen Denkzettel hinterlassen...
„Ach, schau mal Einer an, die Kanalratte und ihr Stück ranziges Fleisch! Willst du uns etwas aufhalten, oder was“
„Oh, Griez, störe ich wohl? Kurz vor dem Ausbrechen mit Hilfe loyaler Arschkriecher? Insofern ist Aufhalten eine ganz gute Idee, ja. Du bekommst deine gerechte Strafe, und wenn es das Letzte ist, wofür ist sorge.“
„Red nicht so geschwollen, Abschaum! Du kommst mir gerade Recht! Wir regeln das hier und jetzt, Mann gegen Mann!“
Der Meister zieht ein trauriges Gesicht und schreitet langsam auf ihn zu.
„War das von Anfang an klar, dass Einer den Anderen tötet? Muss das denn so enden, Griez?“
„Was soll das sein, eine haben wir uns doch Alle lieb‘- Rede? Ich zerbrech’ dir eigenhändig deinen dünnen Hals!“
„Deine Sache. Ich wusste immer, dass du ein Arschloch bist, aber ich dachte nur meist, dass du auch noch blöd bist.“
„Ha! Ich bin eben nicht so blöd, allein gegen dich und deine verfluchte Magie anzutreten! Danke fürs Nähertreten – packt ihn!“
Nein! Griez‘ Männer stürzen sich auf den Meister. Ich stürze auch los...aber plötzlich geht die Eisaura wieder an...und ich werde...langsamer...
Der Meister hebt abwehrend die Hand, als eine Faust auf ihn zuschnellt...aber er wird umgeworfen. Zwei werfen sich gemeinsam auf ihn. Schläge verursachen mir Schmerzen, und ich komme noch langsamer voran...
„Ah! Verdammt, du Schwein, dafür stirbst du!“
Einer der Schläger hält seine Hand, die er sich geschnitten hat – woran? Er hebt seinen Stiefel über den Kopf des Meisters...
„Stop.“
Er hält inne und tritt zurück, noch immer seine Hand umklammernd. Griez stellt sich über den Meister und stellt seinen Fuß auf dessen Kehle.
„Bleib bloß zurück, Golem, sonst ist er gleich tot. Aber das will ich noch genießen...na? Jetzt kannst du deine bösen Pläne begraben, was? Und dich gleich neben deinen dreckigen Skeletten...dein Mojo hilft dir auch nicht weiter...“
Der Meister...grinst?
„Du elender Feigling, Arschkriecher und vorurteilsgesteuerter Vollidiot... kümmer dich erst mal um die, die dir bisher deine verkommenen Pläne sichern mussten...“
Ein schrecklicher Schrei erfüllt das Gefängnis. Der geschnittene Söldner hält seine Schulter umklammert – der Arm ist komplett abgefault. Nekrose zieht sich in Fäden über seine gesamte sichtbare Haut, Fäulnis kriecht ihm über das Gesicht...
Daran hat er sich geschnitten – am Jade-Tan-Do! Alle starren das Opfer des Giftdolches an, als er gurgelnd tot zusammenbricht.
Nur der Meister sieht, immer noch grinsend, Griez an.
„Hey...das ist deine...Zerstörung!“
Kurz erscheinen orange Flämmchen über Griez‘ Kopf...dann zerfetzt es die frische Leiche des Söldners und die drei anderen werden weggefegt in einem Sturm aus Blut, Knochen, und Muskeln.
Der Meister steht auf und wischt sich verfaulende Fleischfetzen aus dem Gesicht, die ihn aber nicht im Mindesten zu stören scheinen. Er rennt zu Pratham.
„Alles in Ordnung, Freund?“
Pratham hustet; ein Blutfaden rinnt aus seinem Mundwinkel.
„Diese Bastarde...von wegen Verräter und so...mit Freuden! Ich überleb’s, aber mitkommen werde ich wohl nicht können...“
„Unsinn.“
Der Meister entkorkt einen Heiltrank und flößt ihm Pratham ein. Dieser blinzelt überrascht und steht nach kurzer Rekonvaleszenz auf.
„Danke...aber das war doch Verschwendung...“
„Es hat dein Leben gerettet. Morgen wär’ deine Hinrichtung gewesen. Nebenbei, Lysander hatte nach der Feierstimmung am Nachmittag einen gewissen Sinneswandel und mich billig mit Tränken eingedeckt.“
„Dann...sind wir wohl quitt oder so...wo geht es jetzt hin?“
„Jerhyns Palast. Aber schnell!“
Als die beiden sich zum Gehen wenden, hält mich etwas auf – und ich sie: Ein Röcheln. Griez ist noch am Leben!
Der Meister tritt zu ihm.
„Es tut mir ehrlich Leid, dass das so enden musste. Wirklich. Und es muss kein Ende sein – ich habe auch für dich einen Heiltrank. Du hast zwar beide Beine durch die Explosion verloren, aber du wirst überleben. Mund auf.“
„Auf keinen Fall! Fahr zur Hölle, dein Giftgebräu kannst du dir...“
Der Meister seufzt, während Griez‘ Wüten schwächer wird.
„So sei es. Dein Glück, dass ich nicht grausam genug bin, dich hier qualvoll verrecken zu lassen. Dann ist dies wirklich das Ende – wirklich, von Anfang an deine Schuld. Leb wohl, und das meine ich so.“
Der Kris landet in Griez‘ Kehle.
Pratham keucht, aber ich nicke. Das war logisch, gnädig – und vernünftig. Wenn wir ihn am Leben lassen, damit er womöglich noch da ist, um Lügen zu erzählen, wenn sie ihn finden...
Aber nein. Darum geht es nicht. Egal, wie verblendet und skrupellos in der Durchsetzung seiner falschen Ansichten er war, ein Leben als Krüppel hat dieser stolzgesteuerte Mensch nicht verdient.
Trotzdem, als der Meister das Jade-Tan-Do an Griez‘ Leiche abwischt, zittern seine Hände. So kaltblütig hat er noch nie getötet...ich hoffe, das verkraftet er.
Wir laufen. Kurz darauf erhebt sich der Palast vor uns.
Die Treppen hinauf...und wieder muss der Meister anhalten, als ein Speer vor ihm niederzischt.
Eine Palastwache tritt hervor – und dieser Mann wirkt nicht im Mindesten so inkompetent wie seine Kollegen...oder...Rangabzeichen auf der Uniform? Seine Untergebenen, dann.
„Ihr dürft nicht passieren!“
Der Meister schließt die Augen.
„Jetzt pass mal auf. Wir haben hier die Aufgabe, Jerhyns Keller zu säubern. Warum uns aufhalten?“
„Ich bin Kaelan, der Anführer der Palastwache. Und ihr seid meines Erachtens nicht aus lauterer Absicht hier. Warum rennt ihr?“
„Ich bin spät dran.“
„Das ist wohl wahr. Aber ganz nebenbei...ist das nicht Pratham, den ich Morgen köpfen soll?“
Der Meister tritt einen Schritt zurück.
„Henker auch noch...wie passend...aber pass auf, wir werden da jetzt reingehen, und du hältst uns nicht auf.“
Kaelan setzt ein herablassendes Lächeln auf.
„Ich habe meine ganze Dienstzeit lang noch keinen Kanalabschaum auch nur in die Nähe des Palastes gelassen, und ein weiterer toter Straßenjunge schadet der Stadt nicht im Geringsten.“
Sein Speer schnellt vor...und diesmal bin ich zur Stelle, um den Meister wegzuschieben. Die Spitze schleift an der Haut des Vipernmagiers entlang, hinterlässt nicht einmal einen Kratzer...und ich packe das Holz dahinter in eisernem Griff. Der Meister starrt Kaelan an.
„Du hast Straßenjungen getötet?“
Seine Stimme ist absolut tonlos. Bevor Kaelan antworten kann, redet er weiter.
„Ich wusste, dass ich deine Stimme schon einmal gehört hatte, Befehle rufend, und immer, wenn die Befehle kamen, mussten wir rennen...um nicht getötet zu werden...wie Kanalratten...“
Kaelan starrt den Meister an und sein Griff um den Speer lockert sich.
„Ich...habe dich früher schon gejagt...heute...geht die Jagd zu Ende...“
Der Meister wendet sich halb ab.
„Ja, du wirst keine Straßenjungen mehr töten, nicht wahr, Kaelan?“
„Nein! Nie wieder! Ich verspreche es! Ich lasse euch durch!“
„Ha. Ha. Hahaha. HA! Diese Nacht heute atmet Blut, sie ist durchsetzt mit den Sünden der Vergangenheit! Sünden, die getilgt werden, durch meine Hand...durch meine Rache...
Das ist für meinen Freund!“
Mit einer einzigen fließenden Bewegung schlitzt der Meister Kaelan die Kehle auf. Diesmal sind Pratham und ich vollkommen überrascht. In einem zu verfaulen beginnenden Blutregen verharrt der Meister reglos mit ausgestreckter Dolchhand, bis dieser endet...dann steckt der den besudelten Kris in seinen Gürtel. Seine Miene ist eine Grimasse der Wildheit.
„Der Weg ist frei, die Gegner besiegt. Heute hält und Nichts mehr auf, am wenigsten unsere Vergangenheit! Die Plage meiner Jugend, dein ehemaliger Befehlshaber und meine Nemesis, sie liegen im Staub und verrotten. Jeder, der sich uns von nun an entgegenstellt, muss fliehen oder sterben!“
Na, wenn der Meister sich mit seiner Vergangenheit da mal nicht irrt. Heute hat er eine erzeugt, die ihn noch sehr lange beschäftigen wird. Was aus ihm wird, wenn er nicht an seinen Taten zu kauen hat...darüber will ich gar nicht nachdenken.