Kapitel 26 – Nachtwache
Eine Blutspur im Sand verrät mir am Nachmittag, dass wir gestern bist hier gekommen sind. Grinsend sehe ich auf meine Schuhe herab. Der Meister verzieht nur das Gesicht. Mittlerweile haben wir noch ein paar mehr Kämpfe hinter uns; ist man auf uns aufmerksam geworden? Diesmal gab es wenigstens keine Probleme, „töte sie Alle“ ist schwer misszuverstehen. Dennoch, ich fürchte mich vor dem Tag, da ich gerne Jemand verschonen würde und meine Klauen auf meisterlichen Befehl hin in seinem Hals landen.
Als es Abend wird, gähnt Pratham.
„Sollten wir nicht langsam in die Stadt zurück?“
Der Meister schüttelt den Kopf.
„Nein. Ich öffne kein Stadtportal mehr, solange mich Griez auf dem Kieker hat. Wir bleiben hier.“
“Wisst Ihr eigentlich, wie kalt es hier Nachts wird?“
Des Meisters gemurmeltes „Ja“ ist voller Verbitterung.
Wir schlagen unser Lager auf einem Hügel auf. Ich bekomme, natürlich, die erste Wache. Peitschen, Speere und Tuniken der besiegten Gegner brennen langsam und unsauber; jetzt verstehe ich des Meisters täglichen Sammeltrieb. Mir ist trotzdem kalt, und ich bin froh über meine Kleidung, wenngleich eine Hose nicht schlecht wäre. Wenigstens habe ich keine Nasenspitze, die einfrieren könnte.
Die Sterne beginnen über mir zu glitzern. Ich lege mich in den noch warmen Sand und betrachte sie, während meine Gedanken abgleiten. Diese Welt ist wirklich schön, auch die leblose, kalte oder heiße Wüste hat etwas Erhabenes. Wir dürfen einfach nicht zulassen, dass sie zerstört wird...
Ich schrecke hoch. Habe ich etwa geschlafen? Nein, der Meister hat mir das ausdrücklich verboten. Was war es dann, das meine Aufmerksamkeit erregt hat?
Ich lausche angestrengt und bewege keinen Muskel.
Stille. Dann: Ein...Rauschen?
Jetzt sehe ich es! Ein Schemen verdeckt die Sterne an einer Stelle. Er fliegt über mich hinweg...
Ich beuge meinen Rücken durch, dann springe ich hoch und packe mit eingefahrenen Klauen zu. Und spüre etwas zwischen meinen Fingern. Es ist ledrig, darunter aber weich...noch tiefer hart?
Ich werde glatt ein wenig in die Luft gehoben. Ah! Dann kracht etwas über mir, und ich mit dem...Ding zu Boden. Plötzlich zerreißt ein gellender, dissonanter Schrei die Nacht; ein krächzendes, gequältes Kreischen, das in den Ohren weh tut. Was...?
Das schwache Mondlicht glänzt auf der Gestalt, die vor mir liegt: ein Vogel? Nicht nur...etwas Schleimiges überzieht seine stellenweise federlose Haut. Als mir das Gefühlt der Weichheit über Härte einfällt, bemerke ich, dass es wohl seine Haut ist: Dieser „Vogel“ ist untot, dreckige Federn hängen an feucht verfaulenden Fleisch...
Dieser hier war meiner Last nicht gewachsen, seine Flügel sind gebrochen. Aber er ist nicht alleine...
Das ganze Lager ist umgeben vom Flattern der ekelhaften Zombies, die dem Aussehen nach aus Geiern entstanden sind...aus zwei Meter langen Geiern...mit Zähnen?
Keine Aufforderung ist hier nötig. Ich stürze auf den nächsten und enthaupte ihn, noch einem breche ich das Genick. Sie halten nicht viel aus!
Da kommen sie zu zweit. Ich kreuze die Klauen vor meinem Körper. Das wird nicht ganz so einfach...
...besonders, wenn mir einer in den Rücken fällt. Ich werfe mich nach vorne, als ich den Luftzug spüre; er saust über mich hinweg, zerkratzt mich scharfen Klauen meinen Rücken, rast aber in seine beiden Kollegen. Ich stürze mich auf den Knochenhaufen und töte ihn endgültig.
Noch zwei, von jeder Seite einer! Welchen nehme ich zuerst, wie verhindere ich, dass mich der Andere aufschlitzt?
Eine Lanze durchbohrt einen von ihnen in voller Länge. Ah, Problem gelöst, Pratham ist wach. Sollte kein Problem mehr sein.
Da zerreißen Schmerzen meine Mittelsektion; verdammt, was ist los! Ich kann mich vor Agonie kaum auf den Beinen halten...
Der Meister! Ich stolpere zu ihm, von immer neuen Wellen der Pein geplagt. Und da hockt einer dieser Vögel über ihm und reißt mit dem scharfen Schnabel voller Zähne an seinem Bauch...
Ich stürze nach vorne. Verrecke! Meine spitzen Klauen dringen in seinen jämmerlichen Schädel...oooh, ich sollte schleunigst einen Heiltrank verabreichen...
Da kriecht Flüssigkeit durch die Kanäle in meinem Handrücken; ich spüre es. Blut? Aber...der untote Aasfresser sollte doch...
Ich spüre, wie die Schmerzen in meinem Bauch vergehen. Und durch neue ersetzt werden; es ist ein dumpfes Drücken, das sich überall ausbreitet, aber besonders da, wo beim Menschen die Magengrube wäre...
Ich übergebe mich neben den Meister. Unverdaute Nahrung landet auf dem Boden; oh, und ich wunderte mich schon, wo die blieb. Mir scheint, dass ich zwar essen kann, aber mehr auch nicht geht.
Und noch was stelle ich fest:
Zombieblut in mir zu haben ist zum Kotzen!
Kapitel 27 – Hügel
Diese Nacht kann Niemand mehr schlafen. Der Meister, wenn er einmal wach ist (er war doch glatt im Tiefschlaf, bis ihn das Viech angegriffen hat!), schläft eh ungern wieder ein, ich bin damit auch aufgedreht, Pratham meint, es wäre eh Zeit für ihn, Wache zu halten...also bleibt er gleich auf.
Nur kurze Zeit nach dem Angriff, sobald wir uns versichert haben, dass wir und unsere Ausrüstung noch heil ist (ich hab nur Blutspuren innen an der Lederrüstung...), gehen wir einfach los. Es ist kalt, es ist dunkel, aber wir wollen nicht zwischen toten Untoten auf die Sonne warten. Pratham geht voran, als der Meister mich zur Seite zieht.
“Sag mal, weißt du, warum ich mich fühle, als hätte ich gestern zwei Fässer Bier getrunken?“
Ich weiß nicht, wie man sich dann fühlt, aber sicher nicht gut; genauso, wie ich und damit auch er uns fühlen. Ich nicke, weil ich es weiß.
„Und?“
Ich deute auf eines der Skelette, die er aus den Kadavern der Vögel beschworen hat, mache flatternde Bewegungen, und zeige auf die Blutkanäle in meinem Handrücken.
„Du hast untotes Blut aufgesaugt?!“
Ich deute auf seinen und meinen Bauch.
„Ja, war vielleicht lebensrettend...schon gut, schon gut. Aber dann verstehe ich schon, warum ich so fertig bin. Du auch?“
Ich nicke.
„Herrlich. Na ja, was solls, wir finden lebende Gegner sicher auch bald, und an denen können wir uns gesund stoßen.“
Na, wenn er meint – er geht wieder in die Mitte unserer kleinen Armee, ich bleibe hier, um unseren Rücken zu decken. Gott, bin ich froh über diese Rüstung und die Schuhe! Und ich brauche wirklich eine Hose. Oder längere Stiefel. Socken wären auch nicht schlecht, weil die doch ein wenig drücken und scheuern. Ach, immer nur meckern...
Gerade geht die Sonne auf, als wir über die erste felsige Erhebung klettern müssen. Es ist gar nicht mehr so viel Sand hier am Boden, zumindest nicht so tief; sogar ein paar Büsche wachsen hier und dort. Als wir den nächsten Steinhaufen umgehen, sehe ich, dass dies einmal die Fundamente eines Hauses waren...verlassen wie die in den Grasländern von Khanduras. Ein ausgetrocknetes Flussbett durchzieht das ehemalige Dorf. Jegliche Konversation ist eingeschlafen zwischen Pratham und dem Meister, die normalerweise eh nur darin bestand, dass der Meister ihn zuredete.
In der Mitte eines freien Platzes machen wir eine freudige Entdeckung.
„Diese Steinplatte da, zwischen den Fackeln – ist das nicht...?“
Pratham durchbricht die Stille scheinbar ungern, und lässt den Satz ausklingen; trotzdem, wir sehen uns das Objekt genauer an, und es ist ein Wegpunkt! Der Meister atmet auf.
„Ausgezeichnet. Hier kommen wir auch ohne Stadtportale wieder hin. Ich aktiviere ihn gleich, dann können wir auch den Tag über in Lut Gholein bleiben.“
Mit einem Blick auf die Umgebung seufzt der Meister, sagt die zufällig scheinende Runenfolge auf, und gibt dem Wegpunkt den Namen „Verdorrte Hügel“. Gleich darauf sind wir in Lut Gholein. Ein Söldner, der vor der Kaserne Wache hält, erblickt uns; Pratham winkt ihm und hält seinen Finger an die Lippen, bevor der Andere was sagen kann. Er schaut uns schief an, dann zuckt er mit den Schultern, winkt zurück, und sieht demonstrativ weg.
Schön, das spart uns Ärger. Wir gehen gleich zu Atmas Taverne, wo sich der Meister kurz verabschiedet, er will noch Deckard bitten, sich ein paar der Gegenstände anzusehen, die ihm gestern zu schade zum Verbrennen waren, hauptsächlich magische, natürlich. Mir befiehlt er, sich schon einmal schlafen zu legen.
Und das mache ich demnach auch.
Interessanterweise muss ich diesmal nicht den Meister wecken; er weckt mich. Bester Laune. Geht mir anders, aber der soll nur warten, bis ich ihn mal aus dem Bett werfe (das ich nicht mal bekommen habe, dafür aber eine bequeme Matratze...natürlich nur in seinem Interesse). Als ich mir den Schlaf aus den Augen gerieben habe – und dabei, treffend, feststellen musste, dass das ohne Augen relativ sinnlos ist – identifiziere ich gleich den Grund für sein Strahlen. Mit hochgezogenen Augenbrauen deute ich auf das Metallband, das seine Hüfte umschließt. Er grinst.
„Ja, ein neuer Gürtel. Gut, dass Metall nicht brennt, sonst hätte ich ihn verheizt! Ist ein wenig schwer, bringt aber mehr Schutz, mehr Platz für Tränke, und nach einem Treffer erhole ich mich schneller!“
Aha...willst du dich denn treffen lassen? Wenn, dann hilft ein Hüftschutz natürlich sehr viel, gegen Schwertstöße ins Herz oder so...mehr Lebenskraft wäre mir ja da lieber. Noch dazu trinkt der alte Geizkragen eh nie Tränke. Was wohl mit dem vorherigen Gürtel ist? Ich wette, er hat ihn verkauft. Schade, der hätte mir auch gefallen...na ja.
Ohne weiteres Federlesen sammeln wir Pratham auf und begeben uns zum Wegpunkt. Ich komme nicht mal dazu, Deckard zu begrüßen!
Zurück in der Wüste konsultiert der Meister erst einmal unseren Führer wegen der Route. Pratham deutet vage in eine Richtung und geht los; hm. Im Westen sinkt die Sonne hinter die Hügel am Horizont...wieder steht uns eine Nachtreise bevor.