Kapitel 38 - Schockzustand
Ich hoffe, man merkt mir von hinten meine weichen Kniee nicht an. Aber ich lenke mich ein wenig ab, indem ich das vor mir gehende Skelett beobachte. Sein Kopf wippt hin und her, als es steif durch den Gang stakst, dessen Boden ja gewölbt ist...
Hm, der läuft aber schnell - ich beschleunige meine Schritte.
„Geht das auch ein bisschen langsamer? Ich will kein Getrampel, sonst gibts hier zu viel Aufmerksamkeit...“
Joar. Dann halt langsamer. Das Skelett...geht weiter wie bisher.
„Hey, du dummes Gestell, ich hab langsamer gesagt!“
Und schon bleibt es fast stehen - das zuvor war eben kein Befehl...tja, Unflexibilität eben. Ich schleiche weiter, und der Meister rennt in mich hinein.
„In Ordnung, das reicht jetzt. Inkompetenz am laufenden Meter, ich glaub, mein Hamster bohnert.“
Er schiebt seinen Arm an mir vorbei und tippt dem Skelett auf die Schulter. Verärgert packt er es am Hals (ich ducke mich irgendwie, um ihn vorbeizulassen), als es trotzdem nicht stehen bleibt, sich nicht umschaut - keine Neugierde, keine Ahnung...
Ein Schädel kracht an die Wand über mir, und ein Genick bricht knirschend. Whoa! Hat der Meister so viel Kraft oder was...?
Nein, in seiner linken hört der Stab gerade auf zu glühen, als er sich Knochenstaub aus der rechten abwischt.
„Wer nicht hören will und so weiter. Musst du halt den Anfang machen, hilft Alles Nichts.“
Was solls. Ich pass schon auf.
Zwei Abzweigungen später - wir gehen immer nach Rechts, hat der Meister beschlossen, und die Methode klingt so gut wie jede andere, zumal ich mir ja sowieso den Weg merke - treffe ich wieder auf Gegner; ein Wurm blockiert den Gang, dahinter sind weitere. Hmja. Da er mich nicht überraschen kann, ist ein Angriff schnell abgewehrt, und der nächste ist meiner. Grüner Schleim überzieht meine Hand.
Da erscheint genauso ein Fleck auf meiner Brust. Hey! Der nächste Wurm hat mich angespuckt. Das ist hässlich.
Die Stelle fängt an zu brennen. Äh...
AAAH! Ich wische an dem Zeug. Das ätzt! Und zwar durch die Rüstung! Ich werfe mich nach vorne und lande auf dem offenbar überraschten Vieh, welches einfach zerdrückt wird. Das ist zwar jetzt ziemlich ekelhaft, aber ich muss was machen: Ich packe das...Zeug, das aus ihm herausquillt, und wische damit hektisch an dem Loch in meiner Rüstung herum. Es brennt noch mehr, aber mit den Körpersäften und Eingeweiden bekomme ich die Säure halbwegs herunter. Uaargh.
Der Meister scheint bereit, sich zu übergeben, als ich ihn ansehe, aber er winkt mich weiter. Dann ist er nicht nur bereit dafür, wie ich höre.
Ein Klicken ertönt einige Zeit später. Wir sind bisher noch nicht in einen Gang geraten, den wir schon kennen, das lässt hoffen. Vor uns ist eine Schleimtür, dahinter das Geräusch. Was kann das sein?
Ich bleibe stehen, skeptisch. Der Meister tritt halb hinter/neben mich und lauscht.
„Gefällt mir nicht. Meinst du, wir können Pratham herbugsieren, sodass er da durchstechen kann?“
Äh...mit nur ein wenig Aufwand...vielleicht...
Letztlich liegt der Meister auf dem Boden, ich habe mich zwischen den Wänden halb hoch eingeklemmt, und Pratham schiebt sich zwischen uns durch, was dem Meister Unrecht ist, weil er wohl ungern erwachsene Männer auf sich liegen hat, aber er ist eben nicht stark genug, um sich hier hoch zu stemmen. Irgendwann haben wir es geschafft und durch unser Grunzen und Stöhnen wohl die halbe Wüste alarmiert, aber das Klicken ist beständig da geblieben und die Schleimtür intakt. Pratham zieht jetzt seine Waffe nach und holt aus - dann fliegt sie geradezu durch den Vorhang aus Grün.
Irgendetwas knirscht. Irgendetwas kreischt. Und auf einmal erhellt sich die Schleimtür. Sie bricht ein, und mit einem...Summen...fliegen weiße Kugeln daraus hervor, ihre Form verändernd...
Pratham wird getroffen. Er zuckt zusammen, zuckt wieder außeinander, und wird nach hinten geworfen, in mich. Ich falle um, auf den Meister. Aargh...da klickt es heftiger: Es sind Insektenfüße, die auf Steine treffen, wie ich sehe, als ein riesiger Käfer über Pratham erscheint, diesmal wirklich einer, keine Made. Er hebt seine Vorderextremitäten, daran eine riesige Klaue...
Und meine spießen ihn auf. Er zuckt daran. Und krepiert.
Und es summt.
Kurz sehe ich den weißen Bolzen, bevor er in meiner Hand verschwindet. Zeitgleich fliegen andere in jede Richtung, aber die interessieren mich nicht, als ein Schock von der Trefferstelle ausgeht, meinen Arm betäubt und trotzdem sengende Schmerzen hinterlässt.
Da fällt mir ein, wo ich diese Kugeln schon einmal gesehen habe: Bei Skelettmagiern, die Blitzsphären um die Hände hatten. Diese Käfer sind bis zum Rand mit Elektrizität aufgeladen. Verdammt, was machen wir jetzt - besonders, da noch einer kommt?
Pratham blockt den Schlag mit einem Unterarm, was ihn eine tiefe Wunde kostet. Trotzdem packt er, knurrend, den Käfer und wirft ihn zurück - wobei Funken seine Hände überziehen. Das Insekt landet auf einem weiteren, und wieder fliegen Blitze. Über unsere Köpfe hinweg. Gerade so.
„Zurück! Zurück!“
Der Meister spricht mir aus der Seele. Orange Flämmchen erscheinen über den Köpfen der Gegner, das ist das letzte, was ich sehe, als ich mich aufrapple und um die Ecke renne, die zum Glück nur knapp hinter uns ist.
Pratham rennt in mich, der ich vor dem Meister gestoppt bin, und dieser fällt fast hin. Aber nicht ganz. Er drückt mich nach unten, steigt über mich drüber, und zeigt mit dem Stab um die Ecke.
Ein Käfer klatscht vor uns an die Wand, als eine Explosion ein Summen von freigewordener Elektrizität erzeugt, das man in jedem Knochen spürt. Die von dem hergeschleuderten Insekt freiwerdenden Bolzen treffen wieder unseren armen Söldner, der allerdings seine Aura angeworfen hat und bald wieder recht fit ist; er hat Zeit zum Heilen, denn wir müssen uns alle erst einmal sammeln und ordentlich durchatmen.
Ich hoffe, nicht mehr vielen Gegnern dieser Art zu begegnen.