Kapitel 9
Kapitel 9
Beril tat mir ein bisschen leid, aber es war schließlich mein Leben, oder nicht? Ich begann also den Raum zu sondieren. Ich spürte die magische Energie die meine Zelle umgab. Welcher Art diese Magie war, konnte ich nicht feststellen.
Die Fackel. Sie würde ein gutes Objekt abgeben. Ich flüsterte einen schwachen Dunkelzauber. Nichts.
Ein Feuerball erster Stufe sollte keinen Schaden anrichten, dachte ich. Ich ließ ihn in Richtung Fackel frei – und duckte mich gerade noch rechtzeitig um dem reflektierten Ball auszuweichen. Bei einem kleinen Blitz das gleiche Ergebnis.
Ein Reflektionsschild also. Hätte ich nicht aufgepasst, wäre ich jetzt geröstet. Reflektionsschilde waren höhere Magie, verbrauchten viel Energie und wurden uns bisher nicht gelehrt. Was für Spezialisten. Die würden wir noch werden, dachte ich, wenn die Dämonen kommen.
Wir konnten lediglich Puffer- und Ablenkschilde errichten, mit dem Nachteil, dass wir gegnerische Zauber niemals zu 100% abwehren konnten. Der Rest der nicht umgelenkten magischen Energie verwandelte sich in Wärme oder Schub.
Vielleicht konnte ich mir den Reflektionsschild zunutze machen. Ein kleiner Stärkezauber würde aus mir einen Preisringer machen, einen menschlichen Stier, einen, der Eisenstäbe wie Weidengerten biegen konnte.
Hoffnungsfroh ließ ich den Zauber frei. Aah. Ich spürte, wie sich meine Lungen weiteten, die dumpfe Luft des Kerkers scharf aufsogen, ich fühlte mich besser und sprang mit einem Satz an die Gitter. Meine gewaltigen Arme zogen kräftig an den dicken Stäben und … nichts. Keine Wirkung. Ich sah enttäuscht an mir runter. Immer noch der gute alte Lorin, knapp zwei Meter, kräftig, mit breiter Brust und kräftigen Armen, aber eben so, wie alle waren – gegen die dicken Stäbe konnte ich nichts ausrichten.
Bei der Wand handelte sich offenbar um einen Spiegelzauber, der nur für Elementarsprüche Wirkung zeigte. Noch höhere Magie. Nichts, was ich irgendwie überwinden könnte. Ich versuchte mich zu erinnern, welche Sprüche der alte Magierstab kannte und meinte mich an diverse ähnliche Zauber zu erinnern. Aber es war nutzlos. Mein Wissen war vorhanden, aber diffus.
Ich versuchte nun, mir einen Platz hinter den Gittern, draussen, vorzustellen um mich dorthin zu teleportieren. Aber merkwürdigerweise konnte ich meine Gedanken an eine bestimmte Stelle nicht für länger als einen winzigen Augenblick bündeln, obwohl ich den Boden vor den Gittern deutlich sah. Raffiniert. Portieren war also auch nicht möglich.
Was war mit einem Druidenspruch? Fehlanzeige. Ich war Magierschüler, kein Druide.
Dann also rohe Gewalt. Ich hörte Schritte.
Beril kam zurück. Auch ihn schien mein Schicksal mitzunehmen. Seine Schultern hingen jetzt etwas herab. In der rechten Hand, die jetzt von seinem Kettenhemd verdeckt wurde, hielt er einen Teller aus grobem Steinzeug mit einem Kanten Brot und einem großen Stück kalten Bratens. Vielleicht konnte ich ihn übertölpeln. Er war ja beinah zutraulich geworden.
Als Beril näher kam, spannte ich mich unmerklich, bereit, seine Hand zu packen die mir das Essen reichte und ihm den Arm durch Drehen gegen die Gitter zu brechen. Sein Schmerz sollte mir Gelegenheit geben, ihm den Schlüssel zu entwinden.
Der Teller schob sich durch die kleine Öffnung am unteren Rand des Gitters. Berils Hand folgte. Blitzschnell ließ ich mich fallen, griff zu, riß an seiner Hand und drehte sein Handgelenk und seinen Arm gegen das Innere des Zellengitters. Etwas knackte laut, wie ein Holzscheit im Feuer.
Beril lachte. Keuchend und verwirrt kam ich hoch.
„Ich bin nicht erst seit gestern Wächter in der Feste“ grinste er und zog die nunmehr zerbrochene Holzkelle aus der Zelle heraus. Sein Handschuh lag noch auf dem Boden. Ich hob ihn auf und warf ihn durch das Gitter zu ihm.
„Danke.“ meinte er trocken.
„Siehst Du“, fuhr er fort, „an deiner Stelle hätte ich es auch versucht. Aber als Wächter lernt man nützliche Dinge. Mit einem kleinen Illusionszauber habe ich deine Charakterfestigkeit getestet.“ Ich fluchte still vor mich hin.
„Du kommst hier nicht raus und ausserdem“, er lächelte leicht, „haben wir Wächter niemals einen Schlüssel zu den Zellen.“
Ich entspannte mich und ging langsam zu Boden, auf das Essen zu. „Kein Problem, Beril“ log ich, „ich wollte Dir keine, äh, besonderen Schwierigkeiten machen. Danke für das Essen.“
Berils Blick war nicht zu deuten.
Er sah mir schweigend beim Essen zu.
Als ich fast fertig war, sprach er mich wieder an: „Sag mal, ihr Magier könnt die Elemente beherrschen, heißt es. Und einiges mehr.“ Er kratzte sich wieder unter dem Helm. „Gibt’s da nicht einen Spruch, der die Wahrheit ans Licht bringen kann? Deine Unschuld beweisen kann?“
„Danke für deine Mühewaltung“ knurrte ich. „Wenn es seinen solchen Spruch gäbe, säße nicht ich hier, sondern Staukan.“
„Du solltest wirklich dankbar sein“ meinte Beril. „In deiner Lage sollte Dir jede Hand willkommen sein, auch wenn es meine ist.“
„ Wenn Sie so nützlich für mich ist wie deine Illusion? Wie kannst Du mir schon helfen? Lass mich raus, das ist die einzige Hilfe die Du mir geben kannst.“
„Weißt Du Lorin“ hub Beril wieder an, „ich glaube Dir sogar ein bisschen, deswegen will ich Dir helfen. Aber rauslassen ist natürlich nicht drin, selbst wenn ich es könnte. Also nimm was du kriegen kannst.“
„Das war bisher nicht viel.“
„Na dann.“
Beril wandte sich ab und trank einen Schluck Wasser.
„Versteh mich, ich sitze hier und in einer halben Stunde...“
„Zwanzig Minuten“ unterbrach mich Beril, der sich wieder umdrehte.
„In zwanzig Minuten kommt jemand und ich werde vor ein Tribunal gestellt, für das ich schon vorverurteilt bin. Alles spricht gegen mich.“
„Konntest Du dich bisher denn nicht rechtfertigen?“
Ich dachte kurz an die letzten beiden Tage.
„Nein, ich war immer angebunden und hatte dieses Tuch im Mund. Keiner kam mir zu nahe. Wer will schon was mit einem Dämonenjünger zu tun haben? Der Pestbeule des Arreat-Gebirges?“
„Wie wird das beim Tribunal ablaufen?“
„Das weiß ich auch nicht so genau. Vermutlich werde ich ein paar Sätze sagen können bevor man mir den Kopf abschlägt.“
Beril schüttelte den Kopf. „Der Richtblock wird erst morgen früh aufgestellt, habe ich gehört.“
„Wie schön.“
„Selbstmitleid hilft Dir auch nicht weiter.“
Wo er Recht hatte, hatte er Recht. Aber gab es denn Alternativen? Ich wollte unbedingt raus.
„Hilf mir raus.“
„Das geht nicht.“
„Dann lass es.“
„Es gibt mehrere Möglichkeiten, aus so einer Lage raus zu kommen.“
Ich trat gegen die Gitter. Ausser einem schmerzenden Zeh brachte mir das nichts ein.
„Ach ja? Wie?“
„Überzeug das Tribunal von deiner Unschuld.“
„Scherzbold“
„Nein“ Beril beugte sich wieder zu mir , seine Augen sprühten plötzlich Feuer. „Du hast es selbst gesagt.“
„Was gesagt?“
Er lachte plötzlich. „Der Wolf sieht seine Zähne nicht! Denke an den Magierstab, den, den du gefunden hast, den mit den vielen Sprüchen.“
Ich dachte zurück. Was war mir an dem Stab noch aufgefallen? Vieles von ihm hatte ich nicht verstanden, manches nur teilweise, nur weniges ganz. Voll entwickelte Elementarsprüche der drei heiligen Zustände, Feuer, Eis und springende Energie. Brilliante, teils archaische Schutzzauber, von denen ich vorher noch nichts gehört hatte, Teleportationen auf einem Niveau, welches lächerlich wenig Mana verbrauchte, aber eine ungeheure Konzentrationsfähigkeit voraussetzte.
Energieschilde, die mir allerdings gefährlich vorkamen. Resistenzen gegen Elementarangriffe.
Geistzauber, die Freunde stärken und Feinde schwächen konnten, ihre Gedanken vorausahnen konnten, mnemonische Spurenzauber… Halt!
Ich folgte der Spur in meinem Gedächtnis weiter. Gedanken vorausahnen konnten… es gab da einen Zauber, der Freund oder Feind dazu zwang, die Wahrheit über Erlebtes mitzuteilen. Lügen war nicht möglich, ein anderer würde es sofort bemerken.
„Ja, das ist es“ rief ich und sprang ans Gitter. Beril wich zurück.
„Was hast Du gefunden?“ fragte er.
„Du hattest recht, es gibt einen Zauber, eine Art Wahrheitszauber, der Leute dazu bringt, die Wahrheit zu sagen, egal was sie gefragt werden.“
„Wie praktisch. Genau das was du brauchst.“
„Ich unterwerfe mich einfach diesem Zauber und alles was ich sage, ist die Wahrheit!“
„Wenn man Dir glaubt.“
„Man muß mir glauben. Unter diesem Zauber kann man nicht lügen.“
Beril zog eine Augenbraue hoch.
„Wenn Du es sagst.“
„Höre Beril. Du hast mir gesagt, dass Aufgeben keine Alternative ist und jetzt habe ich die Möglichkeit gefunden, meine Unschuld zu beweisen. Also unke jetzt nicht rum.“
„Kanntest Du den Zauber schon? Offensichtlich nicht, sonst wäre er Dir früher wieder eingefallen oder Quenlin oder ein anderer hätte ihn schon früher bei Dir eingesetzt.“
Langsam begann mich die Logik von Beril zu nerven. Blöder Barbar. Ich war glücklich, einen Ausweg aus meiner hoffnungslosen Situation gefunden zu haben und ihm fiel nichts Besseres ein, als alles runterzumachen.
„Wenn ich den Spruch erkennen konnte, kann es der Träger des Stabs erst recht. Und das ist Quenlin, der Führer und beste Magier unseres Ordens und der ist Mitglied beim Tribunal.“
Beril schaute mich eine Weile an und sprach:
„Nicht jeder Ochse braucht die Peitsche, sagt man und manchmal ist der Weg des Hasen kürzer als der des Hundes.“
„Beril, das ist die perfekte Möglichkeit! Damit kann ich meine Unschuld beweisen!“
Beril drehte sich um und lauschte.
Sein Gesicht wandte sich wieder mir zu.
„Viel Glück“ sprach er ernst.