StalkerJuist
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Hallo! Nach einer längeren Pause ein (erneuter) Versuch, aus meiner Schreibblockade herauszukommen.
Muchnara 1
Der Überfall
Namensliste und Bezeichnungen
Samara De Veracas (Aylene): Eine angehende Kriegerin auf fragwürdigem Pfad
Askar Herl: Anführer der Gruppe “Neotische Faust”
Sylissa Chamal: Magierin in Askar Herls Gruppe
Ragar Baragnar: Ein Bauer, der sich Sorgen um seine Familie macht.
Hilde, Keron, Farah: Ragars Frau, Sohn und Enkelkind
In einer Aprilnacht am Ostrand Krytas im Grenzgebiet zwischen den Provinzen Umheide und Kinitat.
Samara lag mit dem Rücken auf dem blanken Boden, ihre Beine zu ihrem kleinen Feuer hin ausgestreckt, das leise knackend die Frühlingsnacht erwärmte. Regungslos blickte sie hoch zu den Sternen. Das tat sie oft, gerne vertrieb sie sich die Zeit mit der Suche nach bekannten Konstellationen und den Fragen, was all diese fernen Lichtpunkte bedeuteten, die immer mehr wurden, je länger man sie ansah. Erst als das trockene Holz ihres Feuers immer stärker anfing zu brennen, begann sie mit den Zehen zu spielen. Schließlich richtete sie sich mit einem Ruck halb auf und zog die heiß gewordenen Füße an den Körper. Im Schneidersitz versank sie allmählich wieder in ihren Gedanken.
„Warum setzt du dich nicht zu uns, Samara?“
Es dauerte einen Moment, bis die Stimme ihr Bewusstsein erreichte und sie aufsah. Samara erkannte die Umrisse Askar Herls. Ehe sie antworten konnte, machte der Anführer eine resignierende Geste und setzte sich ihr gegenüber auf den Boden. Seine dunklen Augen huschten kurz über sie, um dann ihren Blick zu finden.
„Ich möchte dich nicht stören, wenn du alleine sein willst. Doch du scheinst mir über ein Problem zu grübeln. Geht es um unseren morgigen Plan?“
Seit nahezu einem Monat war Samara jetzt bei Askars Gruppe, aber es fiel ihr schwer, sich in sie einzuleben. Diese Männer und wenigen Frauen waren zumeist eher grobe Gesellen, deren derbe Sprache und Späße Samara mehr abschreckten als anzogen, waren sie auch herzlich gemeint. Bisher hatte sie nur zu Askar einen Zugang finden können, aber ein tieferes Vertrauen hatte sie auch zu ihm nicht aufbauen können. Dabei war ihre erste Begegnung so vielversprechend gewesen, schienen sie doch einem gemeinsamen Ziel zuzustreben. Auch war Askar stets gepflegt und höflich, ebenso verstand er es, im richtigen Moment zuzuhören und sich einzufühlen.
Askar sprach mit ernstem Blick weiter: „Wenn du Fragen hast oder Zweifel, dann möchte ich, dass du mit mir darüber sprichst.“
Als sie nicht reagierte, entspannten sich seine Züge zu einem leichten Lächeln.
„Hast du vielleicht Angst? Das würde ich verstehen. Es wird morgen Nacht dein erster richtiger Einsatz sein.“
„Ich habe keine Angst, Askar“, erwiderte Samara, nachdem sie endlich ihre Überraschung überwunden hatte. „Ich bin eine Kriegerin mit einer langen und guten Ausbildung. Warum sollte ich Angst haben?“
„Oh, ich habe nie an deiner Tapferkeit gezweifelt. Aber was bedrückt dich dann?“
„Ich möchte nur in Ruhe nachdenken.“
Kurz schien ein Schatten von Ungeduld über sein Gesicht zu ziehen, doch in dem flackernden Licht war das nicht sicher zu bestimmen.
„Samara, wir müssen uns auf dich verlassen können, deshalb muss ich wissen, was dich so beschäftigt. Wir sind doch eine Gruppe, und ...“ Er unterbrach sich, als sie ihren Kopf schüttelte und erkennbar nach den passenden Worten suchte.
„Ich verstehe nicht, warum sich Fürst Ezlom weigert, unser Land von den Malunen zurückzuholen“, antwortete sie zunächst etwas stockend. „Die Bewohner der Umheide waren stets seine treuen Bürger. Was haben wir falsch gemacht, dass er seine Hilfe verweigert?“
Askar lachte leise. „Ach, Samara! Du glaubst doch nicht wirklich, die Fürsten würden sich zuerst um das Wohl ihrer Untergebenen kümmern? Die interessieren sich nur für sich selbst. Ezlom wird abgewogen haben zwischen den Kosten für einen Feldzug und den zu erwartenden Steuereinnahmen aus einer zurückgewonnenen Umheide. Was glaubst du, würde ihm diese Bauernprovinz einbringen?“
„Die Umheide ist nicht irgendeine Bauernprovinz“, entgegnete Samara hörbar verärgert. „Sie ist meine Heimat.“
„Ich weiß, wie du denkst“, erwiderte er mit besänftigender Stimme. „Ich sagte nur, wie unser Fürst das sieht. Auch für mich ist die Umheide eine Heimat. Doch Ezlom hat kühl gerechnet und meint, es sei für ihn billiger, sich mit Fürst Caron, diesem Dieb, zu arrangieren. So kann er seine Armee abzubauen und das eingesparte Gold in seine Lustschlösser stecken. Für Ezlom mag das bequem sein, doch uns lässt es keine andere Wahl, als die Sache selbst in die Hand zu nehmen.“
„Du hast also keine Zweifel?“, fragte Samara.
„Nein! Wir haben lange genug gezögert. Immer nur irgendwelche malunische Händler auszunehmen bringt uns nicht voran.“
„Ja“, stimmte sie zu, „so werden wir nur selbst zu Dieben.“
Askar beugte sich vor. Das Feuer ließ nun scharfe Schatten über sein Gesicht tanzen.
„Ich will kein schmutziger Dieb sein. Ich will endlich etwas erreichen.“
„Das will ich auch, deshalb bin ich hier. Doch ist es der richtige Weg, den Bauernhof anzugreifen?“, strömten die Worte aus Samara hervor.
Askar nahm einen kleinen Ast und warf ihn in das Feuer. Beide beobachteten, wie die Flammen nach ihm griffen und er mit einem leisen Knacken in zwei Teile zerbrach. Sie waren es gewohnt, nachts an einem Feuer zu sitzen, das den Körper vorne erhitzt doch den Rücken auskühlen lässt. In dem nun etwas hellerem Licht waren beide besser zu erkennen. Samara De Veracas war eine große und schlanke Frau, ihr sehniger Köper wirkte nicht allzu weiblich, doch ihr schmales Gesicht mit den schwarzen Augen, die nun im Lichtschein funkelten, verliehen ihr Eleganz. Askar Herl hingegen war ein Mann von kantiger Statur, dessen kräftige Stimme sich überall leicht durchsetzte, ohne aber derb zu wirken.
Askar schien etwas zurückzuweichen, beugte sich aber dann noch weiter vor, bis die Flammen sein Gesicht völlig erhellten, dabei jeden Zug scharf betonend.
„Ja! Wir werden sie einschüchtern und verjagen!“, sagte er fest. „Das wolltest du doch auch immer.“
„Ja, natürlich.“ Langsam beugte auch sie sich vor, bis ihr Gesicht ebenfalls im Lichtschein schimmerte. „Ich bin mir nur nicht sicher, ob wir die Richtigen angreifen. Es sind nur Bauern.“
„Bauern“, sagte Askar, und in diesem Wort schwang ebenso Gleichgültigkeit wie Verachtung. „Diese malunischen Bauern besetzen deine Heimat. Also müssen sie verschwinden. Wir alle wollen das, und ich dachte, du insbesondere. Oder hast du Zweifel?“ Er sah sie scharf an. „Es wird dein erster richtiger Einsatz werden, da können einem schon Gedanken kommen.“
Ohne ihre Antwort abzuwarten stand er auf. „Kommst du jetzt mit an unser Lagerfeuer? Das würde dich ablenken.“
„Ich bin müde und möchte lieber etwas schlafen.“
Askar zuckte mit den Schultern. „Wie du meinst.“ Er zögerte einen Moment lang, dann beugte er sich zu ihr herab und sagte mit gedämpfter Stimme: „Wenn du aussteigen willst, dann sage es mir vor unserem Angriff. Das wäre zwar schade, aber ich würde es verstehen.“
„Du kannst dich auf mich verlassen“, erwiderte sie mit wenig überzeugend klingender Stimme.
Askar richtete sich endgültig auf, drehte sich um und ging zurück zu dem großen Lagerfeuer, um das sich seine anderen Leuten versammelt hatten. Sie begrüßten ihn mit lauten Rufen und er setzte sich auf einen flach liegenden Baumstamm zwischen sie. Es war schon einiges an Wein geflossen, und die Stimmung war entsprechend ausgelassen. Askar nahm mit einem leichten Nicken den angebotenen Krug entgegen und tat einen tiefen Schluck, während vor dem großen Lagerfeuer eine der mitziehenden Huren versuchte zu tanzen. Wie gewöhnlich gelang ihr das nur kläglich, doch das störte die Wenigsten, im Gegenteil, es steigerte eher noch die Heiterkeit der Kämpfer.
„Was hast du mit Farah angestellt?“, rief Keron. Sichtlich erregt stand er in der Tür zur Küche und rang mühsam um Beherrschung.
Hilde, die am Arbeitstisch stand und Gemüse putzte, unterbrach ihre Arbeit und drehte sich langsam zu ihrem Sohn um. Ihr Gesicht wirkte verschlossen.
„Deine Tochter hat einen Teller fallen lassen. Nicht zum ersten Mal ist sie unaufmerksam gewesen, also habe ich ihr eine Ohrfeige gegeben“, sagte sie mit gezwungen ruhig klingender Stimme.
Keron machte zwei schnelle Schritte auf sie zu, stand jetzt unmittelbar vor seiner Mutter. „Das war nicht nur eine Ohrfeige! Das Kind ist völlig durcheinander. Jetzt sitzt es in der Scheune und zittert vor Angst.“
„Vielleicht lernt es nun endlich aufzupassen. Wenn ich es ihr nicht beibringe, wer dann?“
„Hast du mich nicht verstanden? Sie zittert aus Angst vor dir. Ihr halbes Gesicht ist blau. Das kannst du doch nicht tun, Farah ist erst acht Jahre alt. Wie kannst du sie so hart schlagen?“
„Deine Tochter ist ungezogen und braucht eine strenge Hand. Sie wird sonst nie einen Mann finden, der sie heiratet. Das wird ohnehin schwer genug werden, bei ihrem Makel.“
„Jetzt fang nicht wieder damit an! Farah kann doch nichts dafür.“
Hilde knallte das Messer auf den Tisch und deutete vorwurfsvoll auf ihren Sohn. „Das kommt davon, dass du dich mit dieser ...“
„Mutter!“, schrie Keron, „Lass gefälligst Janina da raus!“
„Jetzt ist es aber genug!“, rief Ragar dazwischen. Schwer stapfte der Bauer zur Tür herein und schlug mit der Faust auf den Tisch. „Müsst ihr euch denn immer gleich streiten?“ Er sah Keron streng an. „Du entschuldigst dich sofort für deinen Ton. So spricht man nicht mit seiner Mutter.“
Es wurde still. Keron senkte schuldbewusst seinen Blick. Quälend langsam verging die Zeit, bis Keron endlich aufsah in das noch immer ausdruckslose Gesicht seiner Mutter. „Vater hat Recht, es tut mir Leid, dich angeschrieen zu haben.“
Hilde zögerte kurz, dann nickte sie knapp. Ohne ein Wort nahm sie wieder das Messer in die Hand und putze weiter das Gemüse. Ihre fahrigen Bewegungen zeugten von der stillen Erregung, die in ihr brodelte. Keron wusste, dass es keinen Zweck hatte und eilte heraus zu seiner Tochter in der Scheune.
„Hilde“, sagte Ragar leise, nachdem Keron die Tür geschlossen hatte. Als seine Frau nicht reagierte und weiterhin fahrig eine Möhre schälte, packte er ihre Hand und hielt sie fest. „Hilde, ich habe Farah gesehen, und ich meine, du warst wirklich zu grob zu ihr.“
„Zu diesem Bast...“
„Hilde!“ Er presste ihr Handgelenk. „Bitte! Sag das nicht. Nenne Farah nicht einen Bastard. Sie ist die Tochter deines Sohns. Er liebt sie über alles.“ Sein Griff lockerte sich.
Hilde wandte sich zu ihm um und nickte schwer. „Ach, hätte ihn doch dieses elende Weib nicht verführt! Er könnte jetzt so glücklich sein. Weshalb hat Keron nur sein Leben an dieses Weib vergeudet?“ Verzweifelt schüttelte sie ihren Kopf.
Ragar zog seine Frau an sich und nahm sie vorsichtig in seine Arme. „Bitte sei nicht so bitter. Manchmal ist die Liebe stärker als jede Vernunft, das wirst du doch verstehen.“
Eine Träne lief über ihr Gesicht. „Ich wollte Farah nicht verletzen. Ich wollte sie nur tadeln für den zerbrochenen Teller. Es ... es ist wieder über mich gekommen.“
„Ich weiß“, sagte er leise und wischte ihre Träne fort. „Doch wir müssen damit leben.“
In der Scheune fand Keron seine Tochter in einer Ecke zusammengekrümmt auf dem Boden liegend. Er eilte zu ihr und hob das Kind vorsichtig auf. Federleicht war es in seinen Armen, und er wagte kaum, es tröstend an sich zu drücken, schien es doch so zart und zerbrechlich wie ein kleiner Vogel zu sein.
„Ich möchte nicht zurück in das Haus“, flüsterte sie kaum hörbar.
„Keine Angst, ich bleibe bei dir, meine Kleine“, flüsterte er zurück.
Samara hob vorsichtig ihren Kopf an und spähte den mit knöchellangem Gras bewachsen Hang hinab. Die Luft war völlig klar, und die Umrisse des Bauernhofs waren gut zu erkennen. Ein Hauptgebäude mit angebautem Stall, eine große Scheune, eine zweite, kleinere Scheune und einige Schuppen lagen ruhig im Mondlicht.
Bald sollte es sich in das flackernde Licht brennender Häuser verwandeln. Sie wollten ein Zeichen setzen. Askar hatte gesagt, der ganze Hof, er solle zum Fanal ihres Befreiungskampfes werden. Sie sollten die Bewohner aus ihren Löchern treiben und dann vor ihren Augen alles niederbrennen. Das sollte die Landräuber gründlich vertreiben.
Die ganze Nacht und den Tag über hatte Samara mit sich gerungen, ob sie diesen Schritt gehen sollte. Ihr Verstand hatte gesagt, sie müsse mitmachen. Es wäre treulos, jetzt zu gehen, wo Askar auf sie zählte. Er habe zwar genügend Kämpfer, aber zu wenige mit kühlem Verstand, hatte er noch zu ihr gesagt. Ohne ihre Hilfe könnte die Lage außer Kontrolle geraten und alles in einem Blutbad enden. Er wolle befreien und nicht töten. So hatte Samara ihr protestierendes Gewissen unter einem Berg von Argumenten begraben können.
Aber es war nicht verstummt.
„Willst du etwa den ganzen Hügel hinunter kriechen?“, fragte eine spöttische Stimme laut.
Samara zuckte sichtlich erschrocken zusammen.
„Du kannst beruhigt sein, die schlafen fest. Niemand sieht uns hier“, fuhr die Stimme gelassen fort. „Du kannst also aufstehen und einfach runtergehen.“
Mit dem Mondlicht im Rücken waren nur die Umrisse der kleinen Gestalt zu erkennen. Breitbeinig stand Sylissa Chamal da, die rechte Hand Askars.
„Selbst der Wachhund ist keine Gefahr mehr. Es gibt also keinen Grund, Zeit zu verlieren. Oder bist du anderer Meinung?“, sagte Sylissa weiter.
Samara zwang sich dazu, möglichst gelassen aufzustehen.
„Nein, natürlich nicht. Warum sollte ich das sein? Niemand erwartet uns, und den Hund hast du angelockt und vergiftet.“
„Es war ein dummes Tier. Jetzt komm endlich, wir sind spät dran.“
„Du willst mich begleiten?“, fragte Samara.
„Ja“, erwiderte Sylissa kühl. „Askar meinte, du könnest in Schwierigkeiten kommen. Ich werde daher immer hinter dir sein und gegebenenfalls eingreifen.“
Ein merkwürdiges Gefühl der Erleichterung breitete sch in Samara aus. So sehr sie sich auch vor der Magierin fürchtete, jetzt gab es kein Zaudern und kein Zurück mehr. Sie drehte sich wortlos um und ging den Hang hinab. Das trockene Gras raschelte unter ihren Füßen, die sie geübt genau setzte. Die hier zahlreich wachsenden Ranken waren tückisch, man verfing sich nur zu leicht in ihnen. Einmal horchte sie auf Sylissas Schritte, die Magierin schien sich wesentlich unbekümmerter zu bewegen.
An der Stelle, wo der Hang in den ebenen Talgrund überging, erreichte sie eine Reihe von verfilzten Büschen. Samara hob ihre Unterarme schützend vor das Gesicht und schob sich mit sanfter Gewalt in das Gestrüpp. Die Dornen zerrten an ihrer Kleidung, konnten aber den kräftigen Stoff der Hose und die lederne Weste nicht durchdringen. Lediglich ihre bloßen Arme und Hände wurden etwas aufgeschrammt. Auf der anderen Seite der Buschreihe überquerte sie einen schmalen Graben, um dann auf dem Gelände des Hofs zu stehen. Um sich blickend fuhr Samara sich mit beiden Händen prüfend über ihre Unterarme. Etwas Blut klebte an ihnen, doch es war nicht weiter der Rede wert.
„Worauf wartest du noch?“, klang Sylissas ungeduldige Stimme unmittelbar hinter ihr auf.
Samara fragte sich, wie die Magierin in ihrem kurzen Rock und mit ihren langen und offen getragenen Haaren so schnell durch das Hindernis gekommen war. Gegen ihren Willen empfand sie etwas Bewunderung für sie.
„Du bist schon hier?“
„Was heißt hier ‚schon’?“, kam es schroff zurück. „Wir sind die Letzten. Los, weiter, Alle warten auf unser Zeichen. Sobald die große Scheune brennt, stürmt Askar das Wohnhaus.“
Die Scheune lag keine zehn Schritte weit entfernt. Samara eilte zu ihr und drückte sich mit dem Rücken gegen die Holzwand. Eines der Bretter knarrte leicht unter ihrem Druck. Erschrocken über das Geräusch, welches ihr in der nächtlichen Stille so verräterisch vorkam, löste sie sich wieder von der Wand. Sie lauschte kurz, sah sich sichernd um, und ging dann suchend um das Gebäude herum. Das große Tor war unübersehbar, doch sie wollte einen kleineren und weniger auffällig zu öffnenden Zugang finden. Sie entdeckte auf der zum Wohngebäude gelegenen Seite eine schmale Tür. Noch einmal blickte sie sich um, dann zog sie die unverriegelte Tür gerade so weit auf, dass sie durch den Spalt hineinschlüpfen konnte.
Im Inneren war es stockdunkel. Warum hatte sie nicht daran gedacht und eine Fackel mitgenommen? Nun müsste sie mit ausgestreckten Armen um sich tastend umherirren, um etwas zum Anzünden zu finden. Das würde nicht einfach werden, hier könnten alle möglichen Dinge im Weg umherliegen, und viel Stroh würde um diese Jahreszeit nicht mehr da sein, ärgerte sie sich.
Einige Minuten war sie ergebnislos umhergetappt, als unüberhörbar die Tür ging. Samara blieb regungslos stehen. Das konnte unmöglich Sylissa gewesen sein. Die Magierin mochte zwar überheblich sein, doch wirklich unvorsichtig war sie nie gewesen. Vielleicht war es einer von Askars anderen Kämpfern?
Hastige Schritte näherten sich ihr. Nein, diese Männer bewegen sich nicht so leichtfüßig. Unsicher geworden zückte Samara ihren Dolch und drehte sich den Schritten zu. Sie schienen ihr noch entfernt, als völlig überraschend etwas vor ihr auftauchte. Es war mehr eine Bewegung als ein Umriss in der Dunkelheit.
„Großmutter?“, fragte eine ängstliche Stimme leise.
Ein Schock fuhr ihr durch alle Glieder. Einen Moment lang konnte sie sich nicht rühren, dann schien ein größerer Schatten auf sie zuzukommen. Sie wollte ausweichen und machte einen Schritt zu Seite. Im selben Moment traf sie ein Schlag im Rücken.
Die Wucht des Schlages war seltsam weich und doch stark genug, um sie nach vorne stürzen zu lassen. Die Welt schien in rotes Licht getaucht, in dem kurz ein großer Mann zu sehen war, der sie entsetzt anstarrte. Es wurde wieder alles Schwarz um sie herum und sie prallte unvermittelt gegen ein Hindernis. Ein schwacher Schrei erklang. Sie riss den Gegenstand mit um und prallte hart auf dem Boden auf. Der Gestank verbrannten Fleisches kroch in ihre Nase, dann verlor sie ihr Bewusstsein.
Muchnara 1
Der Überfall
Namensliste und Bezeichnungen
Samara De Veracas (Aylene): Eine angehende Kriegerin auf fragwürdigem Pfad
Askar Herl: Anführer der Gruppe “Neotische Faust”
Sylissa Chamal: Magierin in Askar Herls Gruppe
Ragar Baragnar: Ein Bauer, der sich Sorgen um seine Familie macht.
Hilde, Keron, Farah: Ragars Frau, Sohn und Enkelkind
In einer Aprilnacht am Ostrand Krytas im Grenzgebiet zwischen den Provinzen Umheide und Kinitat.
Samara lag mit dem Rücken auf dem blanken Boden, ihre Beine zu ihrem kleinen Feuer hin ausgestreckt, das leise knackend die Frühlingsnacht erwärmte. Regungslos blickte sie hoch zu den Sternen. Das tat sie oft, gerne vertrieb sie sich die Zeit mit der Suche nach bekannten Konstellationen und den Fragen, was all diese fernen Lichtpunkte bedeuteten, die immer mehr wurden, je länger man sie ansah. Erst als das trockene Holz ihres Feuers immer stärker anfing zu brennen, begann sie mit den Zehen zu spielen. Schließlich richtete sie sich mit einem Ruck halb auf und zog die heiß gewordenen Füße an den Körper. Im Schneidersitz versank sie allmählich wieder in ihren Gedanken.
„Warum setzt du dich nicht zu uns, Samara?“
Es dauerte einen Moment, bis die Stimme ihr Bewusstsein erreichte und sie aufsah. Samara erkannte die Umrisse Askar Herls. Ehe sie antworten konnte, machte der Anführer eine resignierende Geste und setzte sich ihr gegenüber auf den Boden. Seine dunklen Augen huschten kurz über sie, um dann ihren Blick zu finden.
„Ich möchte dich nicht stören, wenn du alleine sein willst. Doch du scheinst mir über ein Problem zu grübeln. Geht es um unseren morgigen Plan?“
Seit nahezu einem Monat war Samara jetzt bei Askars Gruppe, aber es fiel ihr schwer, sich in sie einzuleben. Diese Männer und wenigen Frauen waren zumeist eher grobe Gesellen, deren derbe Sprache und Späße Samara mehr abschreckten als anzogen, waren sie auch herzlich gemeint. Bisher hatte sie nur zu Askar einen Zugang finden können, aber ein tieferes Vertrauen hatte sie auch zu ihm nicht aufbauen können. Dabei war ihre erste Begegnung so vielversprechend gewesen, schienen sie doch einem gemeinsamen Ziel zuzustreben. Auch war Askar stets gepflegt und höflich, ebenso verstand er es, im richtigen Moment zuzuhören und sich einzufühlen.
Askar sprach mit ernstem Blick weiter: „Wenn du Fragen hast oder Zweifel, dann möchte ich, dass du mit mir darüber sprichst.“
Als sie nicht reagierte, entspannten sich seine Züge zu einem leichten Lächeln.
„Hast du vielleicht Angst? Das würde ich verstehen. Es wird morgen Nacht dein erster richtiger Einsatz sein.“
„Ich habe keine Angst, Askar“, erwiderte Samara, nachdem sie endlich ihre Überraschung überwunden hatte. „Ich bin eine Kriegerin mit einer langen und guten Ausbildung. Warum sollte ich Angst haben?“
„Oh, ich habe nie an deiner Tapferkeit gezweifelt. Aber was bedrückt dich dann?“
„Ich möchte nur in Ruhe nachdenken.“
Kurz schien ein Schatten von Ungeduld über sein Gesicht zu ziehen, doch in dem flackernden Licht war das nicht sicher zu bestimmen.
„Samara, wir müssen uns auf dich verlassen können, deshalb muss ich wissen, was dich so beschäftigt. Wir sind doch eine Gruppe, und ...“ Er unterbrach sich, als sie ihren Kopf schüttelte und erkennbar nach den passenden Worten suchte.
„Ich verstehe nicht, warum sich Fürst Ezlom weigert, unser Land von den Malunen zurückzuholen“, antwortete sie zunächst etwas stockend. „Die Bewohner der Umheide waren stets seine treuen Bürger. Was haben wir falsch gemacht, dass er seine Hilfe verweigert?“
Askar lachte leise. „Ach, Samara! Du glaubst doch nicht wirklich, die Fürsten würden sich zuerst um das Wohl ihrer Untergebenen kümmern? Die interessieren sich nur für sich selbst. Ezlom wird abgewogen haben zwischen den Kosten für einen Feldzug und den zu erwartenden Steuereinnahmen aus einer zurückgewonnenen Umheide. Was glaubst du, würde ihm diese Bauernprovinz einbringen?“
„Die Umheide ist nicht irgendeine Bauernprovinz“, entgegnete Samara hörbar verärgert. „Sie ist meine Heimat.“
„Ich weiß, wie du denkst“, erwiderte er mit besänftigender Stimme. „Ich sagte nur, wie unser Fürst das sieht. Auch für mich ist die Umheide eine Heimat. Doch Ezlom hat kühl gerechnet und meint, es sei für ihn billiger, sich mit Fürst Caron, diesem Dieb, zu arrangieren. So kann er seine Armee abzubauen und das eingesparte Gold in seine Lustschlösser stecken. Für Ezlom mag das bequem sein, doch uns lässt es keine andere Wahl, als die Sache selbst in die Hand zu nehmen.“
„Du hast also keine Zweifel?“, fragte Samara.
„Nein! Wir haben lange genug gezögert. Immer nur irgendwelche malunische Händler auszunehmen bringt uns nicht voran.“
„Ja“, stimmte sie zu, „so werden wir nur selbst zu Dieben.“
Askar beugte sich vor. Das Feuer ließ nun scharfe Schatten über sein Gesicht tanzen.
„Ich will kein schmutziger Dieb sein. Ich will endlich etwas erreichen.“
„Das will ich auch, deshalb bin ich hier. Doch ist es der richtige Weg, den Bauernhof anzugreifen?“, strömten die Worte aus Samara hervor.
Askar nahm einen kleinen Ast und warf ihn in das Feuer. Beide beobachteten, wie die Flammen nach ihm griffen und er mit einem leisen Knacken in zwei Teile zerbrach. Sie waren es gewohnt, nachts an einem Feuer zu sitzen, das den Körper vorne erhitzt doch den Rücken auskühlen lässt. In dem nun etwas hellerem Licht waren beide besser zu erkennen. Samara De Veracas war eine große und schlanke Frau, ihr sehniger Köper wirkte nicht allzu weiblich, doch ihr schmales Gesicht mit den schwarzen Augen, die nun im Lichtschein funkelten, verliehen ihr Eleganz. Askar Herl hingegen war ein Mann von kantiger Statur, dessen kräftige Stimme sich überall leicht durchsetzte, ohne aber derb zu wirken.
Askar schien etwas zurückzuweichen, beugte sich aber dann noch weiter vor, bis die Flammen sein Gesicht völlig erhellten, dabei jeden Zug scharf betonend.
„Ja! Wir werden sie einschüchtern und verjagen!“, sagte er fest. „Das wolltest du doch auch immer.“
„Ja, natürlich.“ Langsam beugte auch sie sich vor, bis ihr Gesicht ebenfalls im Lichtschein schimmerte. „Ich bin mir nur nicht sicher, ob wir die Richtigen angreifen. Es sind nur Bauern.“
„Bauern“, sagte Askar, und in diesem Wort schwang ebenso Gleichgültigkeit wie Verachtung. „Diese malunischen Bauern besetzen deine Heimat. Also müssen sie verschwinden. Wir alle wollen das, und ich dachte, du insbesondere. Oder hast du Zweifel?“ Er sah sie scharf an. „Es wird dein erster richtiger Einsatz werden, da können einem schon Gedanken kommen.“
Ohne ihre Antwort abzuwarten stand er auf. „Kommst du jetzt mit an unser Lagerfeuer? Das würde dich ablenken.“
„Ich bin müde und möchte lieber etwas schlafen.“
Askar zuckte mit den Schultern. „Wie du meinst.“ Er zögerte einen Moment lang, dann beugte er sich zu ihr herab und sagte mit gedämpfter Stimme: „Wenn du aussteigen willst, dann sage es mir vor unserem Angriff. Das wäre zwar schade, aber ich würde es verstehen.“
„Du kannst dich auf mich verlassen“, erwiderte sie mit wenig überzeugend klingender Stimme.
Askar richtete sich endgültig auf, drehte sich um und ging zurück zu dem großen Lagerfeuer, um das sich seine anderen Leuten versammelt hatten. Sie begrüßten ihn mit lauten Rufen und er setzte sich auf einen flach liegenden Baumstamm zwischen sie. Es war schon einiges an Wein geflossen, und die Stimmung war entsprechend ausgelassen. Askar nahm mit einem leichten Nicken den angebotenen Krug entgegen und tat einen tiefen Schluck, während vor dem großen Lagerfeuer eine der mitziehenden Huren versuchte zu tanzen. Wie gewöhnlich gelang ihr das nur kläglich, doch das störte die Wenigsten, im Gegenteil, es steigerte eher noch die Heiterkeit der Kämpfer.
*
„Was hast du mit Farah angestellt?“, rief Keron. Sichtlich erregt stand er in der Tür zur Küche und rang mühsam um Beherrschung.
Hilde, die am Arbeitstisch stand und Gemüse putzte, unterbrach ihre Arbeit und drehte sich langsam zu ihrem Sohn um. Ihr Gesicht wirkte verschlossen.
„Deine Tochter hat einen Teller fallen lassen. Nicht zum ersten Mal ist sie unaufmerksam gewesen, also habe ich ihr eine Ohrfeige gegeben“, sagte sie mit gezwungen ruhig klingender Stimme.
Keron machte zwei schnelle Schritte auf sie zu, stand jetzt unmittelbar vor seiner Mutter. „Das war nicht nur eine Ohrfeige! Das Kind ist völlig durcheinander. Jetzt sitzt es in der Scheune und zittert vor Angst.“
„Vielleicht lernt es nun endlich aufzupassen. Wenn ich es ihr nicht beibringe, wer dann?“
„Hast du mich nicht verstanden? Sie zittert aus Angst vor dir. Ihr halbes Gesicht ist blau. Das kannst du doch nicht tun, Farah ist erst acht Jahre alt. Wie kannst du sie so hart schlagen?“
„Deine Tochter ist ungezogen und braucht eine strenge Hand. Sie wird sonst nie einen Mann finden, der sie heiratet. Das wird ohnehin schwer genug werden, bei ihrem Makel.“
„Jetzt fang nicht wieder damit an! Farah kann doch nichts dafür.“
Hilde knallte das Messer auf den Tisch und deutete vorwurfsvoll auf ihren Sohn. „Das kommt davon, dass du dich mit dieser ...“
„Mutter!“, schrie Keron, „Lass gefälligst Janina da raus!“
„Jetzt ist es aber genug!“, rief Ragar dazwischen. Schwer stapfte der Bauer zur Tür herein und schlug mit der Faust auf den Tisch. „Müsst ihr euch denn immer gleich streiten?“ Er sah Keron streng an. „Du entschuldigst dich sofort für deinen Ton. So spricht man nicht mit seiner Mutter.“
Es wurde still. Keron senkte schuldbewusst seinen Blick. Quälend langsam verging die Zeit, bis Keron endlich aufsah in das noch immer ausdruckslose Gesicht seiner Mutter. „Vater hat Recht, es tut mir Leid, dich angeschrieen zu haben.“
Hilde zögerte kurz, dann nickte sie knapp. Ohne ein Wort nahm sie wieder das Messer in die Hand und putze weiter das Gemüse. Ihre fahrigen Bewegungen zeugten von der stillen Erregung, die in ihr brodelte. Keron wusste, dass es keinen Zweck hatte und eilte heraus zu seiner Tochter in der Scheune.
„Hilde“, sagte Ragar leise, nachdem Keron die Tür geschlossen hatte. Als seine Frau nicht reagierte und weiterhin fahrig eine Möhre schälte, packte er ihre Hand und hielt sie fest. „Hilde, ich habe Farah gesehen, und ich meine, du warst wirklich zu grob zu ihr.“
„Zu diesem Bast...“
„Hilde!“ Er presste ihr Handgelenk. „Bitte! Sag das nicht. Nenne Farah nicht einen Bastard. Sie ist die Tochter deines Sohns. Er liebt sie über alles.“ Sein Griff lockerte sich.
Hilde wandte sich zu ihm um und nickte schwer. „Ach, hätte ihn doch dieses elende Weib nicht verführt! Er könnte jetzt so glücklich sein. Weshalb hat Keron nur sein Leben an dieses Weib vergeudet?“ Verzweifelt schüttelte sie ihren Kopf.
Ragar zog seine Frau an sich und nahm sie vorsichtig in seine Arme. „Bitte sei nicht so bitter. Manchmal ist die Liebe stärker als jede Vernunft, das wirst du doch verstehen.“
Eine Träne lief über ihr Gesicht. „Ich wollte Farah nicht verletzen. Ich wollte sie nur tadeln für den zerbrochenen Teller. Es ... es ist wieder über mich gekommen.“
„Ich weiß“, sagte er leise und wischte ihre Träne fort. „Doch wir müssen damit leben.“
In der Scheune fand Keron seine Tochter in einer Ecke zusammengekrümmt auf dem Boden liegend. Er eilte zu ihr und hob das Kind vorsichtig auf. Federleicht war es in seinen Armen, und er wagte kaum, es tröstend an sich zu drücken, schien es doch so zart und zerbrechlich wie ein kleiner Vogel zu sein.
„Ich möchte nicht zurück in das Haus“, flüsterte sie kaum hörbar.
„Keine Angst, ich bleibe bei dir, meine Kleine“, flüsterte er zurück.
*
Samara hob vorsichtig ihren Kopf an und spähte den mit knöchellangem Gras bewachsen Hang hinab. Die Luft war völlig klar, und die Umrisse des Bauernhofs waren gut zu erkennen. Ein Hauptgebäude mit angebautem Stall, eine große Scheune, eine zweite, kleinere Scheune und einige Schuppen lagen ruhig im Mondlicht.
Bald sollte es sich in das flackernde Licht brennender Häuser verwandeln. Sie wollten ein Zeichen setzen. Askar hatte gesagt, der ganze Hof, er solle zum Fanal ihres Befreiungskampfes werden. Sie sollten die Bewohner aus ihren Löchern treiben und dann vor ihren Augen alles niederbrennen. Das sollte die Landräuber gründlich vertreiben.
Die ganze Nacht und den Tag über hatte Samara mit sich gerungen, ob sie diesen Schritt gehen sollte. Ihr Verstand hatte gesagt, sie müsse mitmachen. Es wäre treulos, jetzt zu gehen, wo Askar auf sie zählte. Er habe zwar genügend Kämpfer, aber zu wenige mit kühlem Verstand, hatte er noch zu ihr gesagt. Ohne ihre Hilfe könnte die Lage außer Kontrolle geraten und alles in einem Blutbad enden. Er wolle befreien und nicht töten. So hatte Samara ihr protestierendes Gewissen unter einem Berg von Argumenten begraben können.
Aber es war nicht verstummt.
„Willst du etwa den ganzen Hügel hinunter kriechen?“, fragte eine spöttische Stimme laut.
Samara zuckte sichtlich erschrocken zusammen.
„Du kannst beruhigt sein, die schlafen fest. Niemand sieht uns hier“, fuhr die Stimme gelassen fort. „Du kannst also aufstehen und einfach runtergehen.“
Mit dem Mondlicht im Rücken waren nur die Umrisse der kleinen Gestalt zu erkennen. Breitbeinig stand Sylissa Chamal da, die rechte Hand Askars.
„Selbst der Wachhund ist keine Gefahr mehr. Es gibt also keinen Grund, Zeit zu verlieren. Oder bist du anderer Meinung?“, sagte Sylissa weiter.
Samara zwang sich dazu, möglichst gelassen aufzustehen.
„Nein, natürlich nicht. Warum sollte ich das sein? Niemand erwartet uns, und den Hund hast du angelockt und vergiftet.“
„Es war ein dummes Tier. Jetzt komm endlich, wir sind spät dran.“
„Du willst mich begleiten?“, fragte Samara.
„Ja“, erwiderte Sylissa kühl. „Askar meinte, du könnest in Schwierigkeiten kommen. Ich werde daher immer hinter dir sein und gegebenenfalls eingreifen.“
Ein merkwürdiges Gefühl der Erleichterung breitete sch in Samara aus. So sehr sie sich auch vor der Magierin fürchtete, jetzt gab es kein Zaudern und kein Zurück mehr. Sie drehte sich wortlos um und ging den Hang hinab. Das trockene Gras raschelte unter ihren Füßen, die sie geübt genau setzte. Die hier zahlreich wachsenden Ranken waren tückisch, man verfing sich nur zu leicht in ihnen. Einmal horchte sie auf Sylissas Schritte, die Magierin schien sich wesentlich unbekümmerter zu bewegen.
An der Stelle, wo der Hang in den ebenen Talgrund überging, erreichte sie eine Reihe von verfilzten Büschen. Samara hob ihre Unterarme schützend vor das Gesicht und schob sich mit sanfter Gewalt in das Gestrüpp. Die Dornen zerrten an ihrer Kleidung, konnten aber den kräftigen Stoff der Hose und die lederne Weste nicht durchdringen. Lediglich ihre bloßen Arme und Hände wurden etwas aufgeschrammt. Auf der anderen Seite der Buschreihe überquerte sie einen schmalen Graben, um dann auf dem Gelände des Hofs zu stehen. Um sich blickend fuhr Samara sich mit beiden Händen prüfend über ihre Unterarme. Etwas Blut klebte an ihnen, doch es war nicht weiter der Rede wert.
„Worauf wartest du noch?“, klang Sylissas ungeduldige Stimme unmittelbar hinter ihr auf.
Samara fragte sich, wie die Magierin in ihrem kurzen Rock und mit ihren langen und offen getragenen Haaren so schnell durch das Hindernis gekommen war. Gegen ihren Willen empfand sie etwas Bewunderung für sie.
„Du bist schon hier?“
„Was heißt hier ‚schon’?“, kam es schroff zurück. „Wir sind die Letzten. Los, weiter, Alle warten auf unser Zeichen. Sobald die große Scheune brennt, stürmt Askar das Wohnhaus.“
Die Scheune lag keine zehn Schritte weit entfernt. Samara eilte zu ihr und drückte sich mit dem Rücken gegen die Holzwand. Eines der Bretter knarrte leicht unter ihrem Druck. Erschrocken über das Geräusch, welches ihr in der nächtlichen Stille so verräterisch vorkam, löste sie sich wieder von der Wand. Sie lauschte kurz, sah sich sichernd um, und ging dann suchend um das Gebäude herum. Das große Tor war unübersehbar, doch sie wollte einen kleineren und weniger auffällig zu öffnenden Zugang finden. Sie entdeckte auf der zum Wohngebäude gelegenen Seite eine schmale Tür. Noch einmal blickte sie sich um, dann zog sie die unverriegelte Tür gerade so weit auf, dass sie durch den Spalt hineinschlüpfen konnte.
Im Inneren war es stockdunkel. Warum hatte sie nicht daran gedacht und eine Fackel mitgenommen? Nun müsste sie mit ausgestreckten Armen um sich tastend umherirren, um etwas zum Anzünden zu finden. Das würde nicht einfach werden, hier könnten alle möglichen Dinge im Weg umherliegen, und viel Stroh würde um diese Jahreszeit nicht mehr da sein, ärgerte sie sich.
Einige Minuten war sie ergebnislos umhergetappt, als unüberhörbar die Tür ging. Samara blieb regungslos stehen. Das konnte unmöglich Sylissa gewesen sein. Die Magierin mochte zwar überheblich sein, doch wirklich unvorsichtig war sie nie gewesen. Vielleicht war es einer von Askars anderen Kämpfern?
Hastige Schritte näherten sich ihr. Nein, diese Männer bewegen sich nicht so leichtfüßig. Unsicher geworden zückte Samara ihren Dolch und drehte sich den Schritten zu. Sie schienen ihr noch entfernt, als völlig überraschend etwas vor ihr auftauchte. Es war mehr eine Bewegung als ein Umriss in der Dunkelheit.
„Großmutter?“, fragte eine ängstliche Stimme leise.
Ein Schock fuhr ihr durch alle Glieder. Einen Moment lang konnte sie sich nicht rühren, dann schien ein größerer Schatten auf sie zuzukommen. Sie wollte ausweichen und machte einen Schritt zu Seite. Im selben Moment traf sie ein Schlag im Rücken.
Die Wucht des Schlages war seltsam weich und doch stark genug, um sie nach vorne stürzen zu lassen. Die Welt schien in rotes Licht getaucht, in dem kurz ein großer Mann zu sehen war, der sie entsetzt anstarrte. Es wurde wieder alles Schwarz um sie herum und sie prallte unvermittelt gegen ein Hindernis. Ein schwacher Schrei erklang. Sie riss den Gegenstand mit um und prallte hart auf dem Boden auf. Der Gestank verbrannten Fleisches kroch in ihre Nase, dann verlor sie ihr Bewusstsein.
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