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Die Reise nach Tykarhast

ScorAnny

Guest
Aloha!

Ich habe die ersten Teile meiner Story mal etwas überarbeitet und poste nun die "Verbesserte" Version in einem Rutsch bzw. wegen der Größe in den beiden ersten beiden Posts.
Ich werde alle meinen anderen bereits bestehenden Posts auf - editieren, löschen kann ich sie ja nicht... Also, viel Spaß beim Lesen und ich freue mich auf Feedback!!
:D

Reise nach Tykarhast


Prolog

Rückblickend frage ich mich manchmal, ob ich mir alles nur eingebildet habe, ob dieses Abenteuer nur ein Produkt meiner Phantasie ist, ob es Alaundrel jemals wirklich gegeben hat, ob ich je in Tykarhast gewesen bin...
Zuweilen ertappe ich mich dabei, wie ich gedankenverloren aus dem Fenster blicke; dann sehe ich draußen nicht etwa den weiten, gepflasterten Hof, der von efeuberankten Mauern eingefasst ist - vor meinen Augen erscheint vielmehr ein längst vergangener Anblick, und meine Erinnerung beschwört das Bild einer trostlosen, weißen Ebene herauf, über der ein Schneesturm tobt. Dann meine ich, wieder den scharfen, eisigen Wind zu spüren, der mich so lange begleitet hat, dass ich ihn wohl nie vergessen werde.
Aber ich greife vor. Gehen wir zurück zu jenem lauen Frühlingstag, an dem vor 3 Jahren alles begann...


Erstes Kapitel

An jenem Tag war zunächst nichts Besonderes: Ich war wie üblich früh aufgestanden, hatte die Tiere versorgt und war nun im Stall damit beschäftigt, eins meiner Pferde für den täglichen Ausritt fertig zu machen.
Ich liebte die stille Abgeschiedenheit, in der ich seit einigen Jahren lebte, hier konnte ich meinen eigenen Gedanken nachhängen und musste mich nicht an gesellschaftliche Zwänge und Regeln halten - kurzum, ich war frei und genoss es in vollen Zügen.
Ich wollte gerade den Sattel von seiner Halterung nehmen, da wurde es plötzlich dunkel. Ich wandte mich um und sah zur offenen Stalltür, durch die noch vor wenigen Augenblicken die warme Frühlingssonne geschienen hatte. Nun konnte man draußen nur noch ein seltsames Zwielicht erkennen, und ein kalter Windhauch fuhr hinein und ließ mich frösteln.
Ich zog meinen Reitmantel enger um mich und ging langsam zur Tür.
Kein Laut war zu hören, als ich aus dem Stall trat, sämtliche Geräusche des Frühlings waren verstummt. Ich ging über den Hof, um eine Laterne aus dem Wohnhaus zu holen. Das Gefühl von unbekanntem Grauen, das mich zugleich mit der Dunkelheit überkommen hatte, verdrängte ich hartnäckig.
Doch ich kam nicht bis zum Haus. Auf halbem Wege rutschte ich aus und fiel - der ganze Hof war plötzlich von einer dünnen Eisschicht überzogen. Ich fluchte und richtete mich auf, als ich plötzlich in der Bewegung erstarrte: Unmittelbar vor mir ragte eine Gestalt auf vor einem Himmel, der nun begann, Schneeflocken auf uns niedergehen zu lassen. Rasch wurde das Schneetreiben so dicht, dass ich kaum die ausgestreckte Hand der Gestalt erkennen konnte. Das Grauen, das ich bereits fühlte, ließ sich nun nicht länger unterdrücken, um ehrlich zu sein, es überrascht mich, dass ich mir damals nicht vor Angst in die Hose machte. Ich war nicht gewillt, diesem unheimlichen Fremden
noch näher zu kommen, und so stemmte ich mich mühsam aus eigener Kraft hoch. Ich wollte schreien, weglaufen, doch ich war wie gelähmt vor Schreck und Kälte.
Dann sprach die Gestalt, und ihre Stimme klang ganz und gar nicht unheimlich, als sie in barschem Tonfall sagte: "Wie lange willst du da noch herumstehen, Frau? Ich fände es angenehmer, dir im Haus alles zu erklären, also beweg dich!"
Es war eine ganz normale Männerstimme, das erkannte ich, obwohl ich seit Jahren keinem Mann begegnet war, und obwohl mir sein Befehlston nicht gefiel, musste ich ihm doch zustimmen - in der Eiseskälte, die hier draußen inzwischen herrschte, konnte ich es in meinen dünnen Sommerkleidern kaum noch aushalten, ich hatte bereits eine Gänsehaut am ganzen Körper und in Kürze würden mir wahrscheinlich Eiszapfen aus der Nase wachsen.
Auch erschien mir die ganze Situation inzwischen nicht mehr halb so unheimlich wie noch vor wenigen Augenblicken, und ich kam mir ziemlich albern vor, wie ich da stand. Trotzdem jagte der fremde Mann mir irgendwie Angst ein - wenn man lange alleine lebt, wird man eben sehr misstrauisch...
Doch ich riss mich zusammen und beschloss, mir zunächst anzuhören, was er zu sagen hatte. Aber wenn er versuchen sollte - nein, dachte ich, bleib ruhig. Und so ging ich zum Haus, der Fremde folgte mir.
Drinnen entfachte ich ein Feuer im Kamin, denn draußen herrschte noch immer tiefschwarze, eisige Finsternis, in der die herabfallenden Schneeflocken gespenstisch leuchteten.
Als die lodernden Flammen den Raum mit wohliger Wärme und behaglichem Glanz erfüllten, nahm ich mir die Zeit, den Mann näher in Augenschein zu nehmen. Er hatte seinen Reisemantel abgelegt, und darunter sah er wahrhaftig nicht unheimlich aus: Er trug ein einfaches, wappenloses Wams, Lederhosen und ein Schwert, dass sicher schon bessere Tage erlebt hatte. Dazu derbe Stiefel und Handschuhe, die er jetzt abstreifte, um seine Hände über dem Feuer zu wärmen.


Zweites Kapitel

Ich muss ihn ziemlich angestarrt haben, denn er meinte spöttisch: "Meinesgleichen kommt hier draußen wohl nicht sehr oft vorbei, oder?"
Das ärgerte mich gründlich, meine eben erlangte Gefasstheit war sofort wieder wie weggeblasen, und ich erwiderte aufgebracht: "Allerdings, so etwas Unverschämtes wie ihr ist mir lange nicht über den Weg gelaufen, und wenn ihr euch nicht beherrscht, werdet ihr gehörigen Ärger bekommen!" Er sah mich mit einer Mischung aus Verblüffung und Belustigung an, was mich noch mehr ärgerte, deswegen setzte ich nach: "Zufällig ist Heute der Tag, an dem die Klosterpatroullie ihren Rundgang bis hierher ausdehnt, also seid auf der Hut!" Das war eine schamlose Lüge, denn die Patroullie des nahen Klostergehöftes bestand zum einen nur aus einem alten Priester, der auf den umliegenden Höfen seinen Segen verteilte und den Kranken Trost spendete; und zum anderen machte er seinen Rundgang zwar regelmäßig, aber zu mir kam er eigentlich nie - ich brauchte weder seinen Segen noch seinen Beistand, und das wusste er. Tatsächlich hatte ich außer dem Bauernweib, das mich regelmäßig mit Essen und allem Nötigen versorgte, seit Monaten niemanden mehr zu Gesicht bekommen - ich war ja gerade deshalb in diese entlegene Klostergemeinde gezogen, um Niemanden mehr sehen zu müssen.
Ich bin eine ziemlich schlechte Lügnerin, und der Fremde hatte mich wohl sofort durchschaut, denn nach einem verdutzten Schweigen lachte er schallend los und rief: "O ja, du hast sicher lange überhaupt Niemanden gesehen, sonst wärst du keine so schlechte Lügnerin!"
Zu meinem noch größeren Ärger bemerkte ich, wie ich rot anlief: Er hatte mich ertappt. Er wusste, dass ich hier ganz alleine lebte und auch Niemand kommen würde. Jetzt könnte er mit mir machen, was er wollte - aber ganz so einfach sollte es dieser dreiste Kerl nicht haben!
Ich ließ mich auf einen Stuhl fallen und sagte, scheinbar resigniert: "Jaja, schon gut. Wenn ihr euch also an mir vergehen möchtet, bitte, versucht es nur. Aber ich werde es euch nicht leicht machen!"
Und mit diesen Worten ergriff ich rasch den Schürhaken, der neben dem Stuhl lag, sprang auf und wollte mich auf den Mann stürzen. Er aber hob abwehrend die Hände und rief: "Nein, nein! Lass das sein, du Furie, ich versichere dir, ich bin aus einem anderen Grund hergekommen!"
Und mit einem gekonnten Griff entwand er mir den Schürhaken und hielt mich gleichzeitig fest. Ich zappelte noch ein wenig, dann wurde mir peinlich bewusst, wie albern ich mich schon wieder verhielt, und ich bedeutete ihm, mich loszulassen. Ich setzte mich wieder, und er nahm mir gegenüber am Tisch platz. Offensichtlich wollte er mich also nicht überfallen, und ich schämte mich ein wenig wegen meiner ungestümen Art, die mich schon so oft in Schwierigkeiten gebracht hatte. Nun, ich hatte ihn schließlich hereingelassen, und ich wollte ja auch wissen, warum er hier war. Ich sah ihn unsicher an.
Er lächelte, und obwohl es mir nicht passte, spürte ich, wie mir schon wieder das heiße Blut in die Wangen schoss. Ich räusperte mich verlegen und sagte: "Also, ihr wolltet mir etwas erklären?"
"Ja, doch zunächst möchte ich mich vorstellen, wie es sich gehört. Mein Name ist Joran von Siltos, ich war einst ein Paladin vom Orden des Tykar. Und du, pardon, ihr seid sicher Larina, Tochter des Iarus, richtig?"
"Ja, so ist es", erwiderte ich, verunsichert durch seine plötzliche Höflichkeit. Ein ehemaliger Paladin? Mich interessierte sofort, was dahintersteckte, doch meine Neugier würde warten müssen Dass er wusste, wer ich war, obwohl wir uns nie begegnet waren, verwunderte mich nicht weiter, denn seit ich der großen Stadt Karus und ihrem Treiben entflohen war, kursierten dort die wildesten Gerüchte über mich; immerhin war ich die älteste Tochter des Seneschalls und mein Verschwinden unerhört.
"Was wollt ihr nun von mir, Joran von Siltos? Seid ihr vielleicht hier, um mir zu erklären, was es mit diesem verhexten Wetter auf sich hat?", fuhr ich fort und blickte missmutig in das Schneetreiben vor dem Fenster.
Joran runzelte die Stirn und meinte: "Über das Wetter kann ich euch nichts sagen, es überraschte mich genau so wie euch. Auf dem Weg hierher wurde es plötzlich kalt und dunkel; mein Pferd ging durch und warf mich ab, weiß der Geier, wo es sich nun herumtreibt - ich hoffe, es findet den Weg nach Hause." Sofort überkam mich Mitleid mit ihm, ich selber liebte die vier Pferde, die ich hier für das Kloster pflegte und versorgte, mehr als alles andere. Vielleicht war dieser Mann ja doch nicht der Wüstling, für den ich ihn anfangs gehalten hatte...
Joran stöhnte leise, und erst jetzt bemerkte ich, dass er verletzt war: Eine lange Wunde zog sich über seinen Schwertarm, das Wams darüber war zerfetzt. Ich sprang auf. "Ihr seid ja verwundet! Wartet, ich kenne mich etwas in der Heilkunst aus, Ich werde euch versorgen." Er grinste schief und sagte spöttisch: "Solange ihr die Wunde nicht mit dem Schürhaken behandelt, bin ich euch dankbar für jede Hilfe!"
Das ärgerte mich fast schon wieder. Aber ich riss mich zusammen und suchte alles heraus, was ich zum Verarzten brauchte, saubere Tücher, einige Heilkräuter, etwas Salbe; in meiner kleinen, flachen Bauernhütte hatte ich alles, was man dazu brauchte. Hier draußen ereignete sich selten etwas spannenderes als der Wechsel der Jahreszeiten, und so hatte ich genug Gelegenheit, meinen Haushalt mit allem möglichen auszurüsten. Nachdem ich alles bereitgelegt hatte, hängte ich einen Kessel mit Wasser über das Feuer, um einen reinigenden Sud zu kochen.


Drittes Kapitel

Während ich hin- und herlief, Kräuter in den Topf warf und alles vorbereitete, erzählte mir Joran, warum er eigentlich gekommen war:
"Ich stand seit langem im Dienst eures Vaters, des Seneschalls. Er sprach oft von euch, seiner verlorenen Tochter, und stets tat er es mit Bitternis in der Stimme. Eure Mutter weinte häufig, sie sehnte sich so nach Versöhnung und Frieden mit euch -" ich rührte gerade den Sud an, aber als Joran so von meinen Eltern sprach, fuhr mir die kalte Wut durch die Glieder. Ich unterbrach meine Tätigkeit und fuhr herum. "Seid ihr vielleicht gekommen, um mir meine Lebensgeschichte zu erzählen?", fiel ich ihm ins Wort, "ich weiß wahrhaftig gut genug selber, was geschehen ist! Hat mein Vater euch auch erzählt, warum ich fort ging? Dass er mir eine Ehe aufzwingen wollte, nur weil der Brauch es so wollte? Dass ich mit sechzehn Jahren von meiner Familie, meinen Freunden, meinem Leben fortgerissen werden sollte, um Kinder zu gebären, obwohl ich selbst noch ein halbes Kind war? Dass er mich schlug und drohte, mich zu enterben, ja gar aus der Stadt zu verbannen!?
Nein, dass alles hat er euch sicher nicht gesagt, denn ein Seneschall hat ja keine Familienprobleme, nicht wahr? Nur deshalb bin ich die verlorene Tochter, nicht, weil ich mich versündigt hätte! Ich habe ihm nie Schande gemacht, aber er konnte mich niemals akzeptieren, wie ich war - ich war zu wild, zu freidenkerisch, zu rebellisch, und deshalb sollte mich die Ehe zähmen und meinen Willen brechen! Meine einzige Schuld war, dass ich nicht die Frau eines ekligen, alten Großfürsten werden wollte!!" Ich bebte vor Wut.
Joran seufzte. Er sah mich ernst an und sagte dann langsam: "Es tut mir Leid, dass euch soviel Schlimmes widerfahren ist, bitte glaubt mir das. Und es schmerzt mich, dass ich euer Gemüt noch mehr belasten muss, aber der Grund meines Erscheinens ist leider sehr ernst. Ja, ich bringe schlimme Nachrichten." Er zögerte, offensichtlich fiel es ihm nicht leicht, das zu sagen, was er mir mitzuteilen hatte. Schließlich straffte er seine Gestalt und sagte leise, mit abgewandtem Blick: "In der Stadt wütete eine Seuche, der auch eure Familie zum Opfer fiel - nicht ein Mensch in ganz Karus überlebte, die ganze Stadt ist wie ausgestorben. Wer nicht durch die Krankheit starb, floh aus der Stadt, bis auf einige Plünderer und Brandschatzer ist dort niemand mehr."

Einen Moment stand ich wie vom Donner gerührt, dann wandte ich mich rasch wieder zum Kamin, damit Joran meine Tränen nicht sehen konnte. Meine Gedanken rasten. Meine Mutter, meine Brüder und Schwestern - tot. Mein Vater, den ich so verzweifelt um Liebe und Verständnis angefleht hatte - auch er war tot, es würde niemals zu einer Aussprache oder gar zum Frieden zwischen uns kommen können. Und alle meine Freunde... Ich spürte einen schmerzhaften Stich im Herzen, als ein weiteres geliebtes Gesicht vor meinem inneren Auge auftauchte. Leise flüsterte ich ihren Namen, den ich seit meiner ersten Kindheitserinnerung im Herzen trug: "Inassara...". Die Tränen rannen über mein Gesicht. Ich schüttelte den Kopf. Nein, ich hatte dem Fremden schon zuviel von mir preis gegeben! Ich musste die Fassung bewahren. Ein merkwürdiger Gedanke schoss mir durch den Kopf: Auf verdrehte Art und Weise war Joran das einzige, was mir von meiner Familie geblieben war. Ich durfte ihn nicht durch weichliches Herumgeflenne verjagen! Auf den Gedanken, dass er echtes Verständnis für meine Trauer haben könnte, kam ich damals nicht. Zu frisch war auch nach Jahren noch die Erinnerung an die Zeit, da ich der freien, fröhlichen Kindheit entwachsen war. damals sollte aus mir ein zurückhaltendes, stilles Geschöpf werden, wie meine Mutter es war - schön anzusehen und ansonsten völlig nebensächlich. Undenkbar, dass meine Mutter jemals einen öffentlichen Gefühlsausbruch, egal welcher Art, hätte haben können! Und wenngleich ich niemals so werden wollte und konnte wie sie, so hatte ich doch gelernt, dass man vor Gesellschaft - erst recht vor männlicher! - niemals seinen Gefühlen freien Lauf ließ. Auch das war einer der Gründe, warum ich so gerne alleine lebte.
Ich nahm mich also zusammen und versuchte, die schreckliche Neuigkeit aus meinem Bewusstsein zu verdrängen, und es gelang mir - wenn auch nur fast und, wie ich wusste, nur für einen begrenzten Zeitraum. Eines nicht allzufernen Tages würden sich meine Gefühle ihren Weg bahnen. Doch nicht jetzt! Ich konzentrierte mich auf einen Gedanken: 'Ich bin Larina von Karus, Tochter des Iarus. Ich kenne keinen Schmerz. Ich bin stark!', und diese Formel aus meiner Jugend half mir ein wenig, so seltsam es auch klingen mag.
Schweigend bereitete ich den Sud zu, und mit zitternden Händen tauchte ich die Tücher hinein. Dann atmete ich tief durch und wandte mich wieder zu Joran um, der mich schweigend und mit unerträglichem Mitleid im Blick ansah.
Mit gesenktem Kopf ging ich zu ihm hinüber und begann, seine Wunde zu säubern. Nachdem ich sie gewaschen und verbunden hatte, setzte ich mich wieder auf meinen Stuhl und starrte auf den Tisch.
Joran blieb ebenfalls eine Zeit lang still, dann räusperte er sich überlaut und sagte: "Äh, ich möchte nicht aufdringlich sein, aber ich hatte einen langen Weg von Karus hierher, und wenn ihr vielleicht etwas zu Essen -“
"Aber natürlich!", rief ich und sprang auf, erleichtert über den Themenwechsel.
Ich wärmte uns den Eintof vom Vortag über dem Feuer auf - auch meine Kochkünste sind eher begrenzt, deshalb brachte mir die Bäuerin immer etwas, wovon ich länger etwas hatte - , und nachdem wir gegessen hatten, fühlte ich mich schon etwas besser.
Ich zündete mir die schlanke, kleine Pfeife an, die ich einst von einer meiner Tanten stibitzt hatte. Joran überraschte das offensichtlich: "Ich dachte immer, Töchtern der höheren Gesellschaft gebührt es nicht, zu rauchen oder zu zechen?". "Nun ja", erwiderte ich, "Ich bin ja nun keine Tochter der höheren Gesellschaft mehr, meint ihr nicht?"
Ich hatte versucht, den Worten einen ironischen Klang zu geben, aber die Schreckensnachricht vom Tod meiner Familie war noch zu frisch, ich klang nur verbittert. Joran musterte mich durchdringend, und ich wechselte rasch das Thema. "Was sollen wir jetzt unternehmen?", fragte ich Joran. Er sah mich erstaunt an und fragte mich, was ich damit meine. "Ich sehe keinen Sinn mehr darin, noch länger hier zu bleiben", erwiderte ich kühl und drängte den wieder aufkeimenden Schmerz zurück, "meiner Familie kann ich nicht mehr helfen, aber ich möchte die Klostergemeinde, die mich hier aufgenommen hat, vor der Seuche schützen, und vielleicht lässt sich auch herausfinden, was es mit diesem Wintereinbruch mitten im Mai auf sich hat. Was ihr tut, geht mich nichts an, aber ich werde auf jeden Fall nach Karus reiten und einen Brandkreis um die Stadt legen, damit die Krankheit sich nicht noch mehr ausweiten kann, und danach - ich weiß nicht, was danach kommt, aber hier will ich nicht bleiben. Ich werde fortgehen, so weit wie möglich, und wenn ich auch vielleicht nicht erfahren werde, warum es so kalt geworden ist, so schaffe ich es vielleicht doch, herauszufinden, warum das alles geschehen musste... Ich kann nicht glauben, dass so eine fortschrittliche Stadt wie Karus, die schon vielen Epidemien getroztz hat, einfach so dahingerafft wird - "
Plötzlich fiel mir etwas ein: "Sagt mir, Joran, warum habt ihr euch eigentlich nicht angesteckt?", fragte ich. Joran überlegte kurz und sagte dann: "Ich weiß es nicht wirklich, aber ich habe von einigen Menschen gehört, die aus unerklärlichen Gründen Krankheiten überlebten oder sich gar nicht erst ansteckten... Vielleicht sind manche Körper kräftiger als andere, oder ich hatte einfach Glück." Er schüttelte den Kopf. "Nein, an Glück glaube ich eigentlich nicht. Ich denke, ich habe überlebt, um dieser Sache auf den Grund zu gehen. Denn ihr müsst wissen", er sprach leiser, "...dass das keine gewöhnliche Seuche war. Es gab keinerlei Symptome einer bekannten Krankheit, ja eigentlich gab es überhaupt keine offensichtlichen Anzeichen! Die Menschen schienen einfach alle Lebenskraft zu verlieren, sie wurden sozusagen lebensmüde - einige brachten sich sogar selber um...Habe ich gehört. Ähem."
Er sah etwas verlegen aus, und seine Geschichte klang ja auch sehr merkwürdig. Sie bestärkte mich allerdings nur in meinem Entschluss, nach Karus zu reiten und zu tun, was nötig war...
Joran dachte einige Zeit nach, dann sah er plötzlich sehr entschlossen aus. "Ich begleite euch", sagte er, "zu zweit reist man besser, und ein Mann an eurer Seite gibt euch mehr Sicherheit" - ich schnaubte leise, aber er überging es - "und außerdem", seine Stimme wurde leise und traurig, "kann ich sowieso nirgendwo hin. Mein Orden hat mich verstoßen, und mein Herr ist tot. Ja, ich begleite euch auf jeden Fall!"
Ich widersprach ihm nicht, ehrlich gesagt war ich ganz dankbar für seinen Entschluss.


Viertes Kapitel

In den nächsten Tagen trafen wir alle nötigen Vorbereitungen für unser Unternehmen, und Joran bestand darauf, mir die Grundlagen des Schwertkampfes beizubringen. Ich hatte auf dem Speicher ein etwas schartiges, jedoch solides Schwert gefunden, und nachdem ich es am ersten Tag nur mit Mühe über meinen Kopf heben konnte, führte ich es bald einigermaßen geschickt. Später gestand Joran mir, dass ich im Ernstfall eher eine Bedrohung für mich selber als für meinen Gegner gewesen wäre, aber das sagte er mir damals nicht.
Im Laufe der Zeit legten wir auch unsere Förmlichkeit ab, und obwohl wir im Umgang miteinander noch immer irgendwie steif und verlegen waren, so duzten wir uns nun doch wenigstens.

Derweil tobte in meinem Inneren ein erbitterter Kampf zwischen dem Wunsch, dem ganzen Übel auf den Grund zu gehen und dem Bedürfnis, mich in meine Hütte zu verkriechen und alles zu vergessen, einfach zu vergessen. Ich fühlte mich keineswegs wie eine Heldin, die in ein aufregendes Abenteuer zieht und sich dafür mit ihrem Gefährten wappnet. Zwar saßen Joran und ich in gewisser Weise im selben Boot, aber in den ersten Tagen, die wir gemeinsam verbrachten, kam er mir mehr wie ein Fremder als wie ein Weggefährte vor, und das änderte sich auch erst sehr viel später, als die Ereignisse längst ihren Lauf genommen hatten und alle Konstanten in unser beider Leben ihre Gültigkeit verloren hatten. Und tatsächlich waren wir uns ja auch fremd, wenn auch die jüngsten Geschehnisse unsere Schicksale miteinander zu verknüpfen schienen.
Aber solch poetische Gedanken waren mir damals, in diesem eisigen Frühling, ferner als alles Andere. Wir mühten uns damit ab, den Hof winterfest zu machen, damit er auch nach unserer Abreise noch bewohnbar bliebe - wer konnte schon sagen, ob es jemals wieder Frühling oder Sommer werden würde? Außerdem mussten wir für warme Kleidung sorgen, und zwar nicht nur für mich, sondern natürlich auch für Joran.
Als er bereits einige Tage bei mir war, fanden wir auf meinem Speicher - wo auch mein Schwert herstammte - einige alte Männergarnituren, darunter auch ein paar brauchbare Wintersachen, die Joran halbwegs passten. Desweiteren packten wir für die Pferde warme Überwürfe ein und sorgten auch für uns beide für einige warme Decken. Wir hatten vor, nur wenig Proviant für uns und die Tiere mitzuführen, gerade soviel, dass es für den Weg von meinem Hof nach Karus und von da aus zum Kloster ausreichte, denn keiner von uns Beiden plante einen längeren Aufenthalt in der verlassenen Stadt und es war nur sinnvoll, dass wir danach unsere Vorräte im Kloster auffrischten. Außerdem wollte ich die beiden Pferde, die wir als Reittiere nicht benötigten, wieder in ihren heimatlichen Stall bringen. Die beiden anderen würde ich sicher behalten dürfen, schließlich pflegte ich sie seit langem und das Kloster hatte ohnehin keine wirkliche Verwendung für sie.

Nach etwa einer Woche waren wir soweit, der Tag des Aufbruchs war gekommen. Wir sattelten zwei meiner Pferde, die anderen beiden führten wir am Zügel mit.
Wir ritten früh los, und gegen Abend erreichten wir Karus - oder das, was davon noch übrig war. Ich erkannte sofort, dass ein Brandkreis hier unnötig war, die Plünderer hatten bereits ganze Arbeit geleistet. Obwohl ich die Stadt damals im Zorn verlassen hatte, schmerzte es mich doch, sie so zerstört zu sehen, denn ich verband neben all den schlimmen Erinnerungen auch einige schöne mit ihr, denn meine Kindheit war frei und unbeschwert gewesen; erneut stieg der Schmerz über den Verlust meiner Familie in mir auf, und ich musste hart schlucken, um nicht in Tränen auszubrechen. Und auch der Name des lieben Menschen, dessen Verlust mir fast mehr Schmerz verursachte als alles andere, schoss mir wieder durch den Kopf: Inassara.

Als wir durch die rauchenden Ruinen ritten, drückte die allgegenwärtige Grabesstille schwer auf mein ohnehin schon trauriges Gemüt, und Joran schien es nicht anders zu ergehen.
Plötzlich hörten wir aus einem halbzerfallenen Haus das Weinen einer Frau, leise und verzweifelt; der Klang der Stimme ließ mich zusammenzucken.
Wir stiegen ab und betraten vorsichtig die Ruine; drinnen herrschte ein dämmeriges Zwielicht, und wir sahen eine zusammengekauerte Gestalt am Boden. Ihre Schultern bebten. Joran kniete neben ihr nieder und legte ihr eine Hand auf die Schulter, half ihr auf. Sie ließ sich von ihm nach draußen führen, und als ich im trüben Licht der Abenddämmerung ihr Gesicht sah, musste ich einen Aufschrei unterdrücken: Ich erkannte sie! Es war meine Amme, mit der mich mehr verbunden hatte als mit meiner eigenen Mutter - sie zu verlassen, war mir am schwersten gefallen, und als ich die Stadt verließ, hatte ich nicht den Mut aufbringen können, mich von ihr zu verabschieden... Es war Inassara.
Als sie mich erkannte, gab es eine Weile nichts anderes für uns beide, als uns zu umarmen und sentimentales Zeug zu reden.
Nachdem wir uns wieder gefangen hatten, fragte ich sie: "Sag mir, Inassara, was ist hier nur geschehen? Und wie konntest du überleben?"
Sie sah mich unverwandt an und sagte dann: "Kind, ich werde dir gerne alles erzählen, aber lass uns erst diese Geisterstadt verlassen." Dagegen hatten weder Joran noch ich etwas einzuwenden; doch als wir zu unseren Pferden gingen, winkte Inassara ab: "Ach nein, Kindchen, das dauert doch viel zu lange!", und mit diesen Worten drehte sie sich von uns weg und streckte eine Hand aus.
Sie rief etwas, das ich nicht verstand, und plötzlich veränderte sich die Welt um uns: Alles wurde zu einem glänzenden, rauschenden Farbwirbel, wir waren wie im Auge eines Sturmes. Ich meinte, eine leise, doch starke Melodie zu hören.
Wie betäubt fragte ich mich, ob ich vielleicht gerade verrückt würde. Wie konnte das sein? Erst war alles, wie es immer war; dann veränderte sich das Wetter, Joran tauchte auf, meine Familie, ja meine ganze Vergangenheit war mit einem Schlag ausgelöscht - und dann fanden wir nicht nur Inassara wieder, die wie durch ein Wunder überlebt hatte, nein, sie besaß plötzlich Kräfte, die für mich bis dahin nur in Geschichten existiert hatten! Ja, dachte ich, so muss es sich wahrhaftig anfühlen, wenn man den Verstand verliert, denn das alles kann unmöglich wirklich geschehen.
Während ich noch wie erstarrt diesen Gedanken nachhing, war der singende, glänzende Wirbel um uns herum auf einmal verschwunden, und wir standen zu dritt samt der vier Pferde auf dem Hof des Klosters.
Ich sah zu Joran, der nicht sehr intelligent das niedrige Gebäude anstarrte, vor dem wir standen, gerade so, als hätte er nie zuvor ein Haus gesehen. Ich schätze, dass ich selber wohl ähnlich dreinschaute, jedenfalls fühlte ich mich mehr als verwirrt. 'Aber das ist wohl normal, wenn man verrückt wird', beruhigte ich mich selber.
Inassara sah mich durchdringend an, dann führte sie Joran und mich schweigend ins Haus. Drinnen begegneten wir nur einigen Mönchen, die ihren Geschäften nachgingen und uns nicht weiter beachteten: Sie kannten mich, und wer in meiner Begleitung war, war für sie keine Bedrohung - was sollte bei Mönchen auch zu holen sein?!

Nachdem ich mit dem Vorsteher des Klosters gesprochen und die Pferde im Stall versorgt hatte, fühlte ich mich nicht mehr ganz so durcheinander. Denn auch die Mönche hatten natürlich den Wetterwechsel bemerkt und die alten Mauern des Klosters hatten von je her eine beruhigende Wirkung auf mich gehabt. Ich fasste mich wieder und versuchte, zu akzeptieren, dass mein Leben nie wieder so sein würde, wie ich es kannte - es fiel mir sehr schwer.
Ich kehrte zu Inassara und Joran zurück, die in der Eingangshalle auf mich gewartet hatten, und gemeinsam nahmen wir im schlichten Speisesaal an einem der groben, langen Holztische Platz.
Inassara sah von Joran zu mir und wieder zurück, als würde sie uns abschätzen. Ich hielt es nicht länger aus, die Worte sprudelten nur so aus mir hervor: "Bitte, Inassara, sag endlich, was das war, was du da getan hast - du hast es doch getan, oder? Und wie hast du überlebt? Und warum wusste ich nie, dass du -" Sie unterbrach mich lächelnd: "Ach, Kindchen, „ - sie hatte mich immer Kindchen genannt, obwohl sie wohl nur zwanzig Jahre älter war als ich - "nun ist es wohl an der Zeit, dass ich dich einweihe. Deine Eltern haben mich nicht zufällig als Amme für dich ausgesucht; sieh mal, ich bin eine Magija, eine Magierin! Und mit jedem Schluck Milch, den ich dir gab, hast auch du etwas Magie in dir aufgenommen. Deine Mutter wollte immer, dass ich dich einmal ausbilde, dass du in meinen Orden eintrittst - und frei sein würdest. Sie wollte nie, dass du so endest wie sie. Aber dein Vater - nun ja, es kam ja dann ohnehin alles anders..."
Ihre Stimme verklang, sie blickte traurig an mir vorbei, als glitte ihr Blick zurück in die Vergangenheit, und wer weiß, vielleicht tat er das ja auch.
Ich brauchte einen Moment, um diese Erklärung zu verarbeiten. Meine Mutter hatte sich tatsächlich für mich eingesetzt. Sie war mir immer so schwach vorgekommen, und dann hatte sie doch den Mut, hinter dem Rücken meines Vaters so einen irrwitzigen Plan auszuhecken. Oh, wie Leid es mir tat, dass sie so ein grässliches Leben hatte führen müssen, und wie grausam mir meine Entscheidung, fortzugehen, nun erschien! Dabei hatte sie wirklich nur das Beste für mich gewollt...
Auch Joran schien erstaunt. Er fragte Inassara: "Ich dachte, es gäbe keine Magija mehr? Starben sie nicht aus?" Inassara schnaubte verächtlich und erwiderte: "Es gibt in der Tat nur noch wenige von uns, und sie müssen sich verborgen halten. Allerdings ist unser Orden nicht etwa ausgestorben, wie verbreitet wird, viele meiner Schwestern und Lehrerinnen wurden vielmehr verbannt oder hingerichtet! Viele von ihnen fanden den Tod im Namen des Tykar", fügte sie leise hinzu. Beim Namen dieser Gottheit zuckte Joran zusammen. Inassara nickte und bedachte ihn mit einem wissenden, mitleidigen Blick. Dann sagte sie leise: "Ja, Joran von Siltos, ich weiß, es schmerzt. Aber bedenke, dein Orden hat dich zwar verstoßen, nicht aber dein Gott. Denn Götter verstoßen nicht die, deren Herz ihnen treu ist. Und dein Herz ist treu, nicht wahr, mein Junge?" Dass sie zu Joran "mein Junge" sagte, hätte mir merkwürdig erscheinen können, war Inassara doch nur um die vierzig und er mit Sicherheit schon dreißig, aber die Art, wie sie sprach, ließ sie mit einem Male uralt erscheinen.
Joran sah sie ungläubig an, öffnete den Mund, um etwas zu sagen - und schloss ihn wieder. Unter Inassaras durchdringendem Blick senkte er den Kopf. Sie wandte sich nun wieder mir zu: "Und du, meine liebe Larina. Ich bin so froh, dich wieder zu sehen; ich habe dich immer aus der Ferne beobachtet, und ich habe dich so vermisst! Aber nun" - ihre Stimme wurde ernst - "ist es an der Zeit, dass ich dich in dem unterrichte, was deine Mutter mir einst auftrug.
Ich weiß, dass du alles über diese Seuche und vielleicht auch das merkwürdige Wetter wissen willst, und du wirst bald alles erfahren. Aber ich kenne dich, wenn du erst einmal Bescheid weißt, wird dich hier nichts mehr halten - und ich kann dich nicht unvorbereitet ziehen lassen! Ich werde dir -"
"Aber Inassara!", rief ich ungeduldig, "Bitte sag mir -"
"Nein!", rief sie laut und erhob sich, was beeindruckend aussah - Inassara überragte selbst den großen Joran um ein paar Zoll.
"Nein, Larina, dieses Wissen kann ich dir erst anvertrauen, wenn ich dich gründlich darauf vorbereitet habe. Sei unbesorgt, ich habe die Zeichen gelesen, uns bleibt noch genug Zeit, um dich die Grundbegriffe der Kunst meines Ordens zu lehren."
Ich gab auf. Ich kannte Inassara, sie würde nicht nachgeben, und so fügte ich mich in das Unvermeidliche.


Fünftes Kapitel

Während der folgenden Wochen bekam ich Joran - oder jemand anderen - kaum zu Gesicht, so sehr beanspruchte mich meine Schnellausbildung in der Kunst der Magie, die mir bis dahin völlig fremd gewesen war.
Es war ganz anders, als ich und meine Freundinnen uns als Kinder immer ausgemalt hatten: Es gab wohl magische Formeln, seltsame Zutaten und mystische Gesten. Aber sie waren nur Spielerei im Vergleich zu dem, was den Kern der Magie ausmachte: Die Kraft, die in meinem Blut sang, in meinen Haaren prickelte und über meine Haut strömte. Als Inassara sie mir gezeigt hatte, konnte ich kaum verstehen, wie ich den Gesang der Magie in meinem eigenen Körper so lange hatte überhören können.
Inassara erklärte mir, dass jede Magija eine eigene Melodie habe, in deren Rhythmus sie ihre Kraft forme. Deshalb war der Zauber jeder Magierin einzigartig und unverwechselbar.
Als ich meine eigene Melodie das erste Mal hörte, musste ich fast mitsingen, so sehr beeindruckte mich ihre Kraft.
Und ich konnte nun auch Inassaras Melodie hören, sie war klar und ruhig, aber voller Macht. Ich hatte wahrhaftig das Gefühl, als könne ich erst jetzt wirklich Sehen und Hören - ja als würde mein ganzes Leben nun erst eine Bedeutung erlangen!
Inassara lehrte mich keine Zaubertricks oder dergleichen, sie meinte, ich müsse sehr schnell die Kampfmagie beherrschen lernen. Dazu sollte ich meine magische Melodie mit meinem Willen, nein, meinem Fühlen so beschleunigen, dass aus der harmonischen Musik ein tosendes Brausen wurde. Als ich es nach einigen Tagen schaffte, war es so mächtig, dass ich meine körperliche Kraft förmlich wachsen fühlte.
Ich selbst schien zu wachsen, ich hatte das Gefühl, ich könnte alles zerstören, wenn ich es nur wollte. Und tatsächlich war der Drang dazu plötzlich so stark und überwältigend, dass ich nach einem Stuhl griff und ihn durch die bloße Berührung meiner Finger in einer lodernden Stichflamme zu Asche verbrannte.
Das erschreckte mich selber so sehr, dass ich zurücksprang und meine Melodie ganz automatisch abbremste, verlangsamte, leiser werden und verklingen ließ.
Ich sah Inassara entsetzt an. Sie jedoch lächelte und sagte: "Das war schon sehr gut, Larina; aber das wahre Ausmaß deiner Kräfte wird sich erst entfalten, wenn du gelernt hast, sie bewusst zu bündeln und kontrolliert einzusetzen. Allerdings", sie sah plötzlich besorgt aus, "bleibt uns dafür wohl nicht mehr genug Zeit." Sie dachte kurz nach. "Du wirst es unterwegs von mir lernen!", fügte sie schließlich bestimmt hinzu. Ich war erstaunt: "Du kommst mit uns?" Inassara gluckste nachsichtig. "Kindchen, das hatte ich sowieso vor! Denkst du, ich lasse dich und deinen Freund" - sie zwinkerte mir zu, und zu meinem Ärger wurde ich mal wieder rot - "ganz alleine losziehen? Nein, nein, mit mir seid ihr besser dran. Und ich kann dich unterwegs weiter ausbilden... Obwohl ich natürlich hoffe, dass wir unsere Kräfte gar nicht brauchen werden.", schloss sie etwas leiser.
Plötzlich fiel mir etwas ein. "Inassara", sagte ich und begann dabei, die Asche vom Boden aufzufegen. "ich weiß, ich sollte dich nicht mehr danach fragen, aber... Willst du mir jetzt nicht endlich sagen, wohin wir überhaupt gehen werden?"
Als Inassara nicht antwortete, blickte ich auf und sah, dass sie am Fenster stand; wieder einmal schien ihr Blick in eine andere Zeit, vielleicht eine andere Welt abzuschweifen. Ich stand auf und trat neben sie, um auch aus dem Fenster zu sehen; aber ich sah nur den Hof des Klosters, groß, von den langen Wohn- und Arbeitsgebäuden eingesäumt. Der Boden war mit Schnee bedeckt, denn obwohl es inzwischen Juni geworden war, hielt das unnatürliche Winterwetter die Welt fest in seinem eisigen Griff, und die Bäume, die den Hof umstanden, hatten ihr Laubkleid gänzlich eingebüßt und streckten nur noch kahle Äste wie in stummer Klage zum Himmel.
Inassara seufzte und wandte sich vom Fenster ab, ging hinüber zum Tisch und setzte sich. Sie ordnete umständlich die Falten des fließenden, langen Gewandes, dass sie aus der Kleiderstube des Klosters bekommen hatte. Schließlich blickte sie auf.
"Ich werde dir nun sagen, was ich weiß, Kind. Es ist nicht allzu viel, und vieles wird dir merkwürdig erscheinen, aber es ist an der Zeit, dass du erfährst, worauf du dich da einlassen willst." Sie sah mir ernst in die Augen. "Du sollst wissen, dass ich dich zu nichts zwingen will. Du kannst dich immer noch entscheiden, nicht zu gehen!" Ich lief zu ihr hinüber und ging vor ihr in die Hocke, so dass wir uns ansehen konnten. "Inassara, es war doch meine Idee, diesem Wetter und der merkwürdigen Seuche auf den Grund zu gehen! Wie könnte ich da jetzt noch nein sagen, jetzt, da ich entdeckt habe, was für Kräfte ich dank dir habe! Wie könnte ich dich - euch alleine gehen lassen? Nein, was immer uns erwartet, ich werde mitkommen!"
Später bereute ich mehr als nur einmal, so große Töne gespuckt zu haben, aber da war es bereits zu spät, viel zu spät... Aber zurück zu jenem winterlichen Junitag im Kloster. Ich hatte mich zu Inassara gesetzt, und sie erzählte mir nun in knappen Sätzen, was sie wusste.


Sechstes Kapitel

"Zunächst, Kind, möchte ich dir sagen, dass du nicht als einzige den Entschluss gefasst hast, den Ereignissen auf den Grund zu gehen. Ich habe noch vor dem Beginn der schrecklichen Seuche gespürt, dass etwas vor sich geht, und mir war sofort klar, dass ich früher oder später etwas unternehmen würde. Weißt du, ich gehöre einer alten Schwesternschaft von Magija und weisen Frauen an - gehörte, muss es wohl heißen. Denn als ich beschloss, deine Amme zu werden, musste ich mich von meinen Schwestern trennen. Unser Kodex verbot uns den Kontakt zu Nichtmagiern, jenen Menschen, die uns so lange gejagt und gequält hatten, bis der Rest von uns dazu gezwungen war, ins Exil zu gehen und im Geheimen zu leben.
Nun ja, in unserer Schwesternschaft lernten wir, Gefahren zu erspüren und Bedrohungen vorauszusehen, nur so konnten wir vor Verfolgung einigermaßen sicher sein. Aber was ich in Karus spürte, war viel mächtiger als alles, was ich mit meinen magischen Sinnen jemals gefühlt hatte! Eine Bedrohung, die so übermächtig war, dass ich das Gefühl kaum ertragen konnte.
Auch ich war wie gefangen in Ängsten und bösen Vorahnungen, und nur mit äußerster Mühe konnte ich mich so weit daraus lösen, dass ich wieder klar denken und handeln konnte.
Du hast dich sicher gefragt, warum fast Niemand Karus beim ersten Anzeichen verließ - das lag daran, dass fast alle gleichzeitig heimgesucht wurden. Es gab auch keine körperlichen Symptome, die Leute wurden wie von einer Art Geisteskrankheit befallen, die sie in den Wahnsinn und zuletzt in den Selbstmord trieb.
Auch ich spürte die Auswirkungen, es war ein Gefühl tiefster Verzweiflung, dem ich nur dank eines magischen geistigen Schutzwalles widerstehen konnte, sonst hätte der Drang nach Erlösung sicher auch mich in den Selbstmord getrieben..." Als sie das sagte, sah ich sie erschrocken an, die Vorstellung, sie hätte sich umbringen können, konnte ich kaum ertragen. Daran, wie meine Eltern, meine Geschwister gestorben waren, konnte ich noch nicht einmal denken, ich musste es verdrängen, wenn ich nicht auch wahnsinnig werden wollte. Inassara schien zu spüren, was in mir vorging, denn sie legte mir die Hand auf den Arm und sagte: "Die Zeit zu Trauern wird kommen, Larina. Doch so schwer es auch sein mag, jetzt ist die Zeit, um stark zu sein! Lass mich nun meinen Bericht beenden." Ich atmete tief durch, blinzelte die aufsteigenden Tränen fort und nickte dann. "Aber eines möchte ich vorher noch wissen, Inassara. Du hattest einen magischen Schutzwall. Aber wie konnte Joran der Krankheit widerstehen? Er hat nicht das geringste Anzeichen jener Verzweiflung gespürt, die du mir beschrieben hast!" Sie dachte kurz nach und sagte dann: "Ehrlich gesagt kann ich dir das nicht genau sagen. Es mag sein, dass sein Geist durch die Ausbildung zum Paladin gefestigter ist als bei anderen - ich weiß es nicht." Ich nickte. "Die Hauptsache ist, dass er nicht erkrankte. Vielleicht finden wir das Warum später noch heraus; bitte erzähle weiter!" Und Inassara fuhr fort: "Durch den schlagartigen Befall so vieler Menschen auf einmal war eine normale Krankheit natürlich auszuschließen. Und spätestens als das Wetter sich veränderte, war mir klar, dass das alles einen magischen Ursprung haben musste, vielleicht sogar in Zusammenhang miteinander stand. Ich streckte meine magischen Sinne aus, um den Ursprung dieser Phänomene zu finden. Ich traf auf einen mächtigen Strom einer alten Magie, die vor langer Zeit in meiner Schwesternschaft verboten wurde, weil niemand sie beherrschen konnte, ohne wahnsinnig zu werden. Doch ich spürte, dass irgendjemand diese Magie nicht nur nutzte, sondern auch korrumpiert und zum Bösen gewandelt hatte. Ich konnte nicht erkennen, wer es ist, aber etwas im Muster des Stromes kam mir bekannt vor.
Doch ich konnte nicht weiter vordringen, und so musste ich nach einiger Zeit aufgeben. Meine geistige Abwehr war durch die Anstrengung so geschwächt, dass ich zwar nicht verrückt wurde, aber von einer mächtigen Welle der Trauer und Hilflosigkeit überwältigt wurde. Wenn ich schon nicht herausfinden konnte, wer dahinter steckte, wie sollte ich dann überhaupt dagegen ankommen? An meine ehemaligen Schwestern konnte ich mich nicht wenden, wer nicht dazugehört, kann sie ohne ihren ausdrücklichen Wunsch nicht finden, auch ich nicht. Ich war also allein und fast verzweifelt, als ihr mich fandet, und als ich dich sah, keimte in mir neue Hoffnung: Auch du trugst ja Magie in dir, ich war nicht mehr allein! Und nun, da ich weiß, was du bewirken kannst - und es ist weit mehr, als du jetzt selber ahnst! -, habe ich wieder Mut und bin zuversichtlich, dass wir beide, zusammen mit Joran, vielleicht doch etwas bewirken können.
Denn wenn ich auch nicht weiß, wer dahinter steckt, so konnte ich doch wenigstens herausfinden, woher die Magie kommt, und dorthin werden wir auch gehen: Zur alten Tempelstadt Tykarhast."


Siebtes Kapitel

Ich dachte, ich hätte mich verhört. Tykarhast? Jene legendäre Stadt, in der einst der Orden des Tykar, dem auch Joran angehört hatte, seinen Sitz hatte? Aber diese Stadt war verschwunden, sie war solange von niemandem gesehen oder gar betreten worden, dass man ihre Lage vergessen hatte - in den Herzen der Menschen war sie zu einem Mythos geworden, einem Märchen für lange Winterabende...
Mein Gesicht schien meine Gedanken widergespiegelt zu haben, denn Inassara lächelte schwach und sagte: "Ja, mein Kind, ich weiß, für dich ist diese Stadt nicht mehr als eine Erzählung. Aber es gibt sie noch immer, und wie man merkt, lebt dort wohl auch Jemand - und dieser Jemand ist weit mächtiger, als meine Schwestern seit Generationen zu sein vermochten! Wir müssen aus zwei Gründen dorthin, Larina: Wir müssen herausfinden, was dort vor sich geht und wer es verursacht - und wir müssen es aufhalten. Dieser Strom, den ich gespürt habe - wer immer ihn verursacht hat, er wird sich nicht damit begnügen, eine Stadt auszurotten oder ein Land im Winter zu versenken!" Während sie sprach, war Inassara aufgesprungen und wanderte nun unruhig durch den Raum. Ich erhob mich ebenfalls. "Ich kann kaum fassen, dass diese Stadt tatsächlich existieren soll, aber ich vertraue dir, und wenn wir dort die Ursache all dieser Ereignisse finden können, dann gehen wir natürlich dorthin! Aber nun sag mir, wo liegt Tykarhast?"
Inassara blieb stehen und lächelte. "In den Legenden, die man sich erzählt, heißt es, sie läge dort, wo kein Mensch lebt, keine Pflanze atmet, kein Stern jemals zu sehen ist... Und in gewisser Weise stimmt das auch." Ich unterbrach sie. "Moment mal, soll das etwa heißen, sie ist für uns unerreichbar?" "Nein, ganz und gar nicht!", erwiderte Inassara, "Tykarhast liegt wirklich dort, wo kein Mensch lebt und kein Stern zu sehen ist - es liegt unter der Erde." Ich fühlte eine Welle der Enttäuschung. "Aber das ist unerreichbar! Sollen wir uns vielleicht bis dahin durchgraben?!", platzte ich heraus. Inassara wollte gerade antworten, da öffnete sich die Tür und Joran trat herein. "Darf ich eure Lehrstunde kurz unterbrechen? Es ist dringend!" Natürlich baten wir ihn herein und er legte sofort los: "Der Mönch, der die Rundgänge macht, ist eben zurückgekehrt, und er bringt schlechte Nachrichten. Das Winterwetter dehnt sich aus, und seltsamerweise scheint es in südlicher Richtung schlimmer zu werden, so, als käme es daher - wenn dem so sein sollte und unser Weg nach Süden führt, müssen wir Morgen aufbrechen, sonst kommen wir gegen den Schnee nicht mehr an!" Inassara nickte. "Es ist, wie ich mir dachte. Tykarhast liegt im Süden, wir sollten also Morgen früh aufbrechen." Bei der Erwähnung der Tempelstadt war Joran heftig zusammengezuckt. Er sah Inassara fragend an, aber ich kam ihr mit einer Antwort zuvor: "Inassara sagt, dass all unsere Probleme ihren Ursprung in Tykarhast haben. Wusstet ihr eigentlich, dass die Stadt unter der Erde liegt?" "Ja", erwiderte Joran, "sie liegt schon sehr lange dort unten, ein mächtiger Priester versenkte sie einst, um durch absolute Isolation vom Rest der Welt die Keuschheit und Konzentration des Ordens sicherzustellen und zu steigern. Ich erhielt meine Ausbildung in einem anderen Ordenssitz, aber viele der älteren Priester und Paladine sprachen oft davon, in Tykarhast wäre unsere Gemeinschaft besser dran... Und auch mein Ausstoß aus dem Orden hätte dort wohl verhindert werden können..." Er senkte den Kopf. Ich halte mich nicht für einen sehr sensiblen Menschen - im Gegenteil, manchmal bin ich geradezu taktlos - , aber selbst ich merkte damals, dass Jorans Status als "gefallener" Paladin sein wunder Punkt war und lenkte das Gespräch in eine andere Richtung, besprach mit Inassara die Reiseroute und bemerkte am Rande, wie Joran mir dankbar zulächelte. Und schon wieder wurde ich rot, wie mich das ärgerte!


Achtes Kapitel

Wir gingen an jenem Abend früh zu Bett, denn am nächsten Morgen wollten wir früh aufbrechen. Doch nach kurzem Schlaf wurden Inassara und ich in unserem gemeinsamen Schlafraum durch Lärm auf dem Flur geweckt, und als wir - ich zerwühlt und verschlafen, Inassara würdevoll wie immer - hinaustraten, war auch Joran bereits aus seiner Kammer gekommen, um nachzusehen, was los war. Am Eingang standen zwei Mönche, die einer zitternden Gestalt eine Decke umlegten und auf sie einredeten; es war ein junger Mann, vielleicht wie ich um die zwanzig, der verängstigt und ausgehungert aussah. Wir begleiteten ihn und die Mönche in die Küche, wo auch nachts ein behagliches Feuer im großen, offenen Ofen brannte und der durchgefrorene Mann erst einmal einen Becher heißen Wein bekam. Nachdem er sich etwas aufgewärmt hatte, bekam er auch etwas zu Essen, und zwischen den Bissen erzählte er seine Geschichte: "Mein Name ist Alessius, ich stamme aus Karus, vor kurzem wurde ich Mitglied der Stadtwache und - bei den Göttern, seid ihr nicht die verlorene Tochter des armen Seneschalls?", rief er plötzlich aus und verschluckte sich fast. Ich nickte, und da ich nicht bereit war, näher darauf einzugehen, zuckte Alessius die Achseln und erzählte weiter. "Als die Seuche ausbrach, war ich auf Patroullie und wurde deshalb verschont, denke ich. Ich schlug mich bis hierher durch, was ohne Pferd und alleine nicht leicht ist... Und da bin ich nun." Inassara nahm mich beiseite und flüsterte: "Etwas an ihm ist seltsam, Kind. Er lügt, da bin ich sicher, denn die Stadtpatroullie bestand immer aus mindestens fünf Mann! Wir sollten -" weiter kam sie nicht, denn Alessius rief lauthals, er habe soeben beschlossen, mit uns zu kommen, die Mönche hätten ihm von unserer Reise berichtet. Ich verdrehte die Augen, aber Inassara warf mir einen warnenden Blick zu und sagte Alessius, er könne uns gerne begleiten. Später, in unserer Kammer, sagte sie: "Wenn wir ihn bei uns haben, kann ich sofort eingreifen, wenn er irgendetwas im Schilde führt. Es mag dir merkwürdig erscheinen, aber in dieser Zeit bin ich lieber zu vorsichtig als zu nachlässig. Außerdem", fügte sie munter dazu, "können ein paar Hände mehr bei einer Reise nicht schaden. Und jetzt müssen wir uns ausruhen, Kind, sonst schlafen wir Morgen im Sattel ein!"

Nach reichlich wenig Schlaf brachen wir bei tiefster Finsternis am nächsten Tag auf. Wir hatten uns mit dicken Mänteln gegen die Kälte gewappnet, und Inassara und ich trugen Männerhosen und Schwertgurte, obwohl wir uns mit den Waffen an der Hüfte eher unbehaglich und eingeschränkt als sicher fühlten - doch Joran bestand darauf, dass wir uns nicht allein auf die Magie verließen. Wir hatten die vier Pferde, die Joran und ich mitgebracht hatten, erneut zur Verfügung gestellt bekommen und auch sie trugen dicke Überwürfe gegen die schneidende Winterluft, in der unser Atem weiße, dampfende Wolken bildete.
Wir ritten Richtung Süden, und schon am Mittag war das Schneetreiben so dicht geworden, dass wir anhalten und Rasten mussten. Joran und Alessius mühten sich mit tauben Fingern damit ab, ein Feuer in Gang zu bekommen, scheiterten jedoch kläglich. Inassara seufzte und sagte: "Lasst es gut sein, ich kümmere mich darum", und mit diesen Worten legte sie die Hände aneinander. Ich nahm eine schwache magische Welle wahr, und im nächsten Moment loderte wie aus dem Nichts ein herrliches, warmes Feuer in unserer Mitte, ganz ohne Holz. Joran pfiff anerkennend, Alessius dagegen sah Inassara erstaunt an und fragte, wie sie das gemacht hätte. Sie erwiderte: "Das ist doch unwichtig! Jetzt wärmt euch auf, meine Energie kann dieses Feuer nicht ewig in Gang halten und wir brauchen dringend einen Plan, wie wir bei dem Wetter weiterkommen." Wir stellten uns nah an das Feuer, die Pferde drängten sich etwas abseits zusammen. Ich dachte nach und meinte dann: "Sag, Inassara, können wir beide nicht eine Art Wärmeschild um uns herum aufbauen?" Sie lächelte nachsichtig und sagte: "Das könnten wir wohl, aber es birgt mehrere Nachteile. Erstens würde eine so große Anstrengung unser beider Kräfte sehr schwächen, und ich weiß nicht, wie lange wir damit haushalten müssen und ob wir sie dann noch genügend einsetzen können, wenn wir an unser Ziel gelangen. Zweitens wären wir mit einem solchen Wärmefeld nicht nur weithin zu sehen, sondern für Magija und andere Zauberer auch zu fühlen, lange bevor wir etwas erreichen! Wir müssen unterwegs so wenig Magie wie möglich einsetzen, um gar keinen Preis darf wer auch immer dahinter steckt uns jetzt schon erkennen! Und da wir schon davon sprechen, dieses Feuer kann ich nur noch ein paar Minuten aufrechterhalten, ohne dass wir entdeckt werden." Wir schwiegen. Wie sollte es weitergehen? Schließlich sah Joran grimmig in die Runde und sagte: "Es hilft nichts, wir müssen ohne Magie auskommen, und das bedeutet, dass wir uns so durchschlagen müssen. Ich schlage vor, wir reiten weiter, solange es irgendwie geht, mit euren magischen Sinnen könnt ihr die Richtung doch auch ausmachen, ohne dass man uns entdeckt, oder?" "Ja schon, aber -", setzte ich an, aber Joran fuhr unbeirrt fort: "Und wenn es nicht mehr anders geht, müssen wir eben die Pferde zurücklassen und zu Fuß weitergehen! Wenn Niemand etwas Besseres weiß, schlage ich vor, dass wir es so machen." Nach kurzem Nachdenken stimmten wir ihm zu, was blieb uns auch anderes übrig? Inassara ließ das magische Feuer wieder erlöschen und wir ritten frierend weiter, meine ehemalige Amme und ich an der Spitze. So bewegten wir uns wie blind durch das Schneetreiben, nur geleitet von unserem magischen Richtungssinn.


Neuntes Kapitel

Am Abend schlugen wir ein kaltes Lager auf, und ich konnte vor lauter Zittern kaum einschlafen. Ich fror entsetzlich, und die Anderen hatten es nicht besser, obwohl wir uns eng aneinander drängten. Am nächsten Morgen mussten wir auch noch feststellen, dass zwei der Pferde erfroren und die beiden anderen verschwunden waren. Ich war traurig und entsetzt, hatte ich die Tiere doch sehr geliebt. Und ohne sie würde unsere Reise noch um vieles bitterer werden, als sie ohnehin schon war - das entmutigte mich zusätzlich. Aber es half nichts, und nachdem Inassara mir gut zugeredet und ich mich wieder etwas beruhigt hatte, gingen wir zu Fuß weiter, so gut es ging.
Im Laufe der Tage wurde die Landschaft - oder das, was wir durch den dichten Schneeschleier und unsere eisverkrusteten Wimpern sehen konnten - immer verlassener und verheerter. Zu Beginn unserer Reise hatten wir noch ab und an kleine Siedlungen entdeckt, wo wir uns manchmal ausruhen und einige Vorräte mitnehmen konnten. Und auch wenn wir nur entsetzte Blicke ernteten, wenn wir davon sprachen, dass wir nach Süden unterwegs waren, so begegneten uns doch die meisten Menschen freundlich.
Aber nach einiger Zeit waren die Siedlungen, durch die wir kamen, verlassen, und die Menschen, die noch geblieben waren, wiesen uns ab. So sahen wir uns eines Tages genötigt, in ein verlassenes Haus einzubrechen, wir waren so durchgefroren und ausgehungert, dass wir nicht mehr anders weiter wussten. Zu unserem Glück schien die Hütte Hals über Kopf verlassen worden zu sein, denn wir entdeckten Feuerholz und einige Vorräte. Nachdem wir uns gewärmt und gestärkt hatten, verbrachten wir seit langer Zeit wieder einmal eine angenehme Nacht. Das heißt, wir konnten nur vermuten, dass es Nacht war, denn seit Tagen war es draußen permanent so dunkel gewesen, dass wir jedes Zeitgefühl verloren hatten.
Gestärkt verließen wir am nächsten Morgen - oder Abend - die Siedlung, beladen mit dem, was wir aus den Vorräten der Hütte tragen konnten. Der Wind blies uns mit unerbittlicher Kälte Schnee und winzige Eisnadeln ins Gesicht, die auf der Haut brannten. Unsere Winterkleidung schützte uns schon längst nur noch vor dem Erfrieren, wärmen konnte sie uns nicht mehr. Wir wanderten bald durch eine schier endlose Eiswüste, denn wo sich Inassaras und Jorans Berichten zufolge einstmals eine heiße Steppe erstreckt hatte, gab es nun nichts mehr als Schnee und klirrende Kälte - und natürlich den allgegenwärtigen Wind, der die Gesichter taub werden ließ. Von Zeit zu Zeit mussten Inassara und ich kleine magische Feuer entfachen, um uns wenigstens für einige kurze Augenblicke etwas aufzuwärmen.
Natürlich fuhren wir auch mit meiner Ausbildung fort, und ich konnte bald recht passable Brandlöcher in die dichte Schneedecke schießen. Allzu viel konnte ich leider nicht üben, da zu häufige Magieströme für magisch Begabte natürlich zu einem wahren Signalfeuer geworden wären.
Alessius hielt sich bei allen Gesprächen sehr zurück, wir erfuhren so gut wie nichts über ihn. Allerdings störte uns das nicht sehr, denn er war alles andere als ein angenehmer Zeitgenosse: Er hatte grauenvolle Manieren, aß - oder besser fraß - wie ein Tier und ging uns auch sonst mit seiner Unfreundlichkeit und schlechten Laune mächtig auf die Nerven.
Mit Joran allerdings verband mich bald eine Vertrautheit, die ich mir am Tag unserer ersten Begegnung nie hätte träumen lassen. Dadurch, dass wir beide viel verloren hatten, konnten wir einander viel Verständnis entgegenbringen.
Eines Tages - wir waren nun wohl an die drei Wochen unterwegs - erzählte mir Joran auch, warum er aus dem Orden verstoßen worden war: Er war in einem Tempel außerhalb von Tykarhast aufgewachsen und die Mönche dort trieben regen Handel mit einem benachbarten Dorf. Eines Tages - Jorans Ausbildung zum Paladin war erst seit kurzem beendet - wurde er mit einem Botengang in jenes Dorf geschickt. Dort traf er zum ersten Mal auf ein Mädchen, das keine Priesterin war und ihn ziemlich direkt anschäkerte. Der arme Joran war völlig hin und weg, und so kam es, wie es kommen musste: Er verliebte sich in sie, und sie wurden ein heimliches Paar. Doch der Orden erfuhr natürlich davon, und da Joran als Paladin ein Keuschheitsgelübde hatte ablegen müssen, war diese Beziehung ein schwerer Verstoß gegen die Regeln, der nur eines zur Folge haben konnte - Verbannung. Als Joran völlig aufgelöst zu seiner Liebsten kam und ihr alles erzählte, freute sie sich und redete von einer freien Zukunft ohne alberne Klosterbräuche. Das war zuviel für ihn, und er verließ sie am gleichen Tag und machte sich auf den Weg nach Karus.


Zehntes Kapitel

Ich konnte zwar nicht ganz nachfühlen, wie ihm zumute gewesen sein musste, als seine Geliebte ihm soviel Unverständnis entgegenbrachte, aber ich versuchte trotzdem - wie dumm von mir! - , etwas dazu zu sagen: "Weißt du, sie war es wahrscheinlich sowieso nicht Wert, dass du sie mochtest, wenn sie dich so schlecht verstand." Daraufhin wurde Joran ärgerlich und erwiderte: "Zuerst einmal mochte ich sie nicht einfach bloß, ich habe sie geliebt. Und außerdem, woher nimmst du die Erfahrung, das zu beurteilen? Warst du etwa dabei, als ich aus dem Orden ausgeschlossen wurde? Nein. Und warst du dabei, als sie mich so missverstand? Wieder nein! Und schon gar nicht kannst du wissen, wie sie war, du kanntest sie nicht, und du kanntest mich nicht - du kennst mich ja nicht einmal jetzt, sonst würdest du nicht so etwas taktloses sagen! Ach, wie dumm von mir, dir das anzuvertrauen, ich hätte wissen müssen, dass du es falsch verstehst.", und mit diesen Worten stapfte er beleidigt davon. Ich fühlte mich wie vor den Kopf gestoßen, und gleichzeitig hätte ich mich selbst dafür ohrfeigen können, dass ich mal wieder mein vorlautes Mundwerk nicht hatte halten können. Joran hatte Recht, ich wusste nichts von dieser Frau - oder überhaupt von der Liebe, denn ich war niemals ernsthaft verliebt gewesen, mehr als ein paar harmlose Schwärmereien und eine kurze, aber heftige Romanze mit einem Stallburschen meines Vaters hatte ich nicht vorzuweisen. Und insgeheim konnte ich die Reaktion von Jorans Geliebter auch fast verstehen, wie schwer musste es ihr gefallen sein, immer an zweiter Stelle nach seinem Glauben zu kommen, der ihm so wichtig war, dass er dafür seine Liebe verleugnete! Und überhaupt, welcher normale Mensch konnte denn auch im Zölibat leben?! Aber da Joran das ja ganz und gar nicht so sah, behielt ich diese Meinung für mich. Ich dachte allerdings, wenn ich dieses Mädchen gewesen wäre, vielleicht wäre Jorans Verhältnis zu Frauen dann nicht so verkorkst. Überhaupt dachte ich in letzter Zeit viel öfter an ihn, als angemessen gewesen wäre, und als wir einmal - unser Streit war vergessen, keiner von uns rührte mehr an das Thema, und Joran hatte mir meinen Ausrutscher anscheinend verziehen - nebeneinander mit schneeverkrusteten Stiefeln durch die Kälte stapften, erschien vor meinem geistigen Auge plötzlich ein Bild von Joran und mir, in inniger Umarmung. Bei dem Gedanken wurde ich natürlich puterrot, und ich hatte das unangenehme Gefühl, dass Joran das nicht verborgen blieb, jedenfalls sah er mich in den nächsten Tagen oft sehr merkwürdig an. Ich wurde jedes Mal rot, wenn mich sein durchdringender Blick traf, und dachte mir die unglaublichsten Ausflüchte für meine allzu gesunde Gesichtsfarbe aus (normalerweise waren unsere Gesichter grau vor Kälte, Hunger und Müdigkeit) - einmal behauptete ich allen Ernstes, mir wäre einfach so warm, was ich natürlich sofort bereute. Denn Joran - und auch Inassara - sahen von mir zur unendlichen Schneedecke und zurück, und Inassara konnte sich kaum ein Lächeln verkneifen. Joran dagegen wandte sich ab, und fast schien es mir, als werde er auch rot, was mich natürlich noch mehr aus der Fassung brachte. Ich stammelte etwas davon, dass ich etwas zu Essen besorgen wollte, und entfernte mich ein Stück von der Gruppe.
Das Schneetreiben hatte etwas nachgelassen, und man konnte recht weit sehen. Ich streifte ein wenig umher und fand eine der Pflanzen, von denen wir uns seit Wochen ernährten: Ein eigenartiges Gewächs, dass entfernt an einen Kaktus erinnerte. Es speicherte auch Feuchtigkeit und hatte fleischige Blätter, war jedoch stachellos und als einzige Pflanze in dieser Ödnis nicht völlig steif gefroren. Inassara meinte, es handele sich vermutlich tatsächlich um ein Wüstengewächs, dass sich auf erstaunliche Art und Weise dem Wetterumschwung angepasst habe.
Ich trennte mit meinem Messer - die großen, unhandlichen Schwerter hatten Inassara und ich schon vor Tagen im Schnee "verloren", sie behinderten uns einfach zu stark beim Laufen; und obwohl Joran natürlich ahnte, dass wir sie absichtlich zurückgelassen hatten, hatte er nur resigniert die Achseln gezuckt und nichts weiter dazu gesagt - die ganze Pflanze ab und ging zu den Anderen zurück.
Wir legten eine Rast ein und kauten mäßig begeistert auf den Blättern der Pflanze herum, während unser Atem weiß in der Luft hing und wir uns immer wieder Schnee und Eiskristalle aus den Augen wischen mussten. Wir konnten die Teile der Pflanze kaum halten, unsere steifgefrorenen Finger versagten uns trotz der dicken Handschuhe, die wir alle trugen, immer wieder den Dienst und so musste ständig einer von uns die ihm entglittenen dicken Blätter mühsam wieder von der gefrorenen Schneedecke aufnehmen. Wenn wir nicht so erbärmlich gefroren hätten, wären diese unbeholfenen Versuche sicher lustig gewesen - doch das Lachen war uns in dieser Winterödnis schon längst vergangen.
Nach der Rast setzten wir unsere Reise fort, ständig gegen den immer stärker werdenden Wind gelehnt, der uns inzwischen mit seinem eisigen Hauch fast den Atem raubte. Wir hatten uns Tücher vor Mund und Nase gebunden, damit die Luft nicht ganz so eisig in unseren Lungen stach; trotzdem war das Atmen eine Qual, und wir kämpften uns in drückendem Schweigen voran.
In den nächsten Tagen sprachen Joran und ich sehr wenig miteinander, einmal, weil uns die Kälte jede Lust am Reden nahm, und außerdem brachten wir einfach kein vernünftiges Wort über die Lippen. Er war schroff und abweisend zu mir, und ich begnügte mich vorläufig damit, rot zu werden, sobald er nur neben mir her ging. Aber unser Herumgedruckse hatte auch ein Gutes: Es lenkte uns von der Bitternis unseres Unterfangens ab.
Eines Tages erreichten wir eine Hügelkuppe, und nachdem wir sie rutschend und schlitternd erklommen hatten, konnten wir einen weiten Talkessel überblicken, eine endlose, weiße Fläche.
Joran seufzte schwer. „Ich glaube, wenn ich noch mehr Schnee sehe, werde ich blind“, murrte er und rieb sich die Schläfen. Inassara ergriff meine kalte, behandschuhte Hand und flüsterte: „Spürst du das?“. Ich schloss die Augen und ließ meine magischen Sinne durch die klirrende Kälte schweifen. Und da war es, direkt in diesem Tal! Ich konnte ganz deutlich zwei magische Quellen ausmachen, die eine schwach und unbekannt, die andere - die andere war der Ursprung jenes Stromes, dem wir folgten, von ihr ging ein starkes magisches Geräusch aus - anders konnte man es nicht beschreiben, denn mit den zauberhaften Melodien, die ich inzwischen kannte, hatte dieses Getöse nichts zu tun. Es war noch ein gutes Stück entfernt, befand sich aber definitiv in diesem Talkessel und schmerzte selbst aus der Entfernung in meinem magischen Fühlen. Ich öffnete die Augen wieder. Mit einem Schlag lastete unser Vorhaben schwer auf mir, ich wünschte mir - nicht zum ersten Mal -, ich wäre nie hierher gekommen… Inassara drückte meine Hand kurz, dann sagte sie leise: „Und siehst du das dort unten?“.
Ich strengte meine Augen an, und tatsächlich erblickte ich talwärts am Fuße des Hügels, auf dem wir standen, etwas Großes, Grünes - es war ein Wald! Auch die beiden Männer hatten ihn entdeckt, und es war klar, dass wir uns das näher ansehen würden, sei es nur, um das erreichen unseres Zieles noch etwas hinaus zu zögern - denn was immer uns dort erwarten mochte, wir alle spürten, dass es nichts Gutes war und unser Schicksal ungewiss.
 
Bin schon sehr gespannt wie es weitergeht :eek: Zum Bewerten isses etwas zu kurz, deshalb warte ich mit meinem Urteil.

Btw, die StoryZone wär evtl. was für dich ;)
 
also die ist nicht schlecht aber wwie schon gesagt ist sie ein bischen zu kurz zum bewerten
aber mach...weiter freu mich schon auf die fortsetzung:D
 
Hier geht's weiter...:D


Elftes Kapitel

Wir stiegen, oder vielmehr rutschten also den vereisten Hang hinab ins Tal, und nach kurzer Strecke erreichten wir den Wald. Kaum waren wir an den ersten Bäumen vorbei gegangen, umwehte uns warme, milde Luft, sodass wir einige unserer dicken Kleidungsschichten ablegen und im Gepäck verstauen mussten. Wie gut es tat, nicht mehr den scharfen Wind auf der Haut zu spüren und nicht mehr alles durch den Schleier der Kälte zu sehen! Langsam tauten wir regelrecht auf, und mit der Wärme kehrte auch eine etwas bessere Stimmung in unsere Gemüter zurück. Blumen blühten hier in fremden, aber wunderschönen Farben, Schmetterlinge gaukelten durch die Luft und wir hörten exotische Vögel zwitschern - kurz gesagt, hier herrschte der Sommer, es war wie eine Oase in der gnadenlosen Eiswüste. Wir wanderten staunend durch den Hain; unterwegs kamen wir an einer Quelle vorbei, an der wir unseren Durst löschten - endlich kein mühsam geschmolzenes, muffiges Schneewasser mehr! - und von da an begleitete uns neben dem Waldpfad, auf dem unsere Schritte angenehm federten, ein munterer Bach. Dieser Wald war fast zu schön, um war zu sein, ich kam mir vor wie in einem Märchen; ich warf Joran ein schüchternes Lächeln zu, und er erwiderte es - ich muss wohl nicht erwähnen, dass ich krebsrot anlief und mich mit brennendem Gesicht fragte, warum um alles in der Welt mein Körper mich ständig so vor Joran blamieren musste. Doch Inassara bemerkte meine Verlegenheit und hakte sich bei mir ein, verwickelte mich in eine harmlose Plauderei über die herrlichen Blumen und Bäume und lenkte mich ein wenig von meiner peinlichen Steifheit ab. Auch Joran schritt recht munter aus und bald hatte sich die Situation normalisiert, ich kam mir nicht mehr wie ein dummes Huhn vor.
Alle paar Schritte entdeckten wir neue, unbekannte Pflanzen, wir beobachteten die Vögel bei ihrem bunten Treiben zwischen den Baumwipfeln und gelangten schließlich zu einer Lichtung. Hier bot sich uns ein schwer zu beschreibender Anblick: Aus den Stämmen der Bäume, welche die Lichtung säumten, waren zahllose Ranken und Äste so heraus gewachsen, dass sie wahrhaftig kleine, zierliche Hütten formten, die sich anmutig aneinander schmiegten. Der Bach teilte sich am Eingang der Lichtung und umfloss sie wie ein silbern glänzender Ring, im milden Sonnenlicht spielten einige Libellen über dem sanft plätschernden Wasser. Inassara, Joran und ich richteten den Blick zum Himmel, der zwischen den Bäumen blau strahlte. Kaum zu glauben, dass das der gleiche Himmel sein sollte, den wir seit Wochen nur als düsteres, Eis und Schnee speiendes Firmament kannten und an dem wir die Sonne schon verschwunden geglaubt hatten. Nur Alessius ließ sich vom Zauber des Waldes nicht beeindrucken, im Gegenteil, er schien noch mürrischer zu sein als sonst - aber das kümmerte mich im Moment herzlich wenig, und auch Joran und Inassara schenkten seinem Gemurre keine Beachtung.
Fasziniert betraten wir die Lichtung und besahen alles. Dabei stellten wir fest, dass die Siedlung verlassen war, allerdings gab es weder Kampfspuren noch Leichen.
In der Mitte der Lichtung gab es eine große Feuerstelle, und darüber war ein Kessel aufgehängt. Ich fragte Inassara, ob wir genug Zeit für eine Pause hätten, und sie meinte: „Ich denke, es spricht nichts dagegen, und mit vollem Magen und ausgeruht können wir ohnehin mehr erreichen.“ Wir sahen uns ein wenig um und fanden in den Häuschen genug Zutaten, um einen Eintopf zu kochen, und nachdem Joran ein Feuer angefacht hatte, wuschen wir uns zunächst am Bachlauf, was eine wahre Wohltat war. Danach bereiteten wir uns ein Mahl und genossen es in vollen Zügen - nur Alessius fand auch hier etwas auszusetzen, er beschwerte sich so lange darüber, dass es kein frisches Fleisch gab, dass Joran irgendwann die Geduld verlor und meinte, er solle sich doch gefälligst selber etwas zu essen suchen, wenn ihm unsere Mahlzeit nich passe. Daraufhin zog Alessius ärgerlich ab und ging im Wald auf die Suche nach etwas, dass er erlegen konnte. Nach dem Essen streckten Inassara, Joran und ich uns behaglich am Feuer aus, während es langsam zu dämmern begann. In einer der Hütten hatte ich etwas Tabak gefunden, und so konnte ich seit langer Zeit wieder einmal meine Pfeife rauchen.
Im Laufe des Abends gesellte sich auch Alessius wieder zu uns, er hatte anscheinend gefunden, wonach er suchte und war etwas milder gestimmt.
Als es Nacht wurde, richteten wir uns mit einigen Decken aus einem der Häuschen am Feuer ein Lager her - wir hatten uns sehr daran gewöhnt, im Freien zu schlafen, und außerdem waren die Hütten ohnehin zu eng für uns. Wer immer hier gelebt hatte, war deutlich kleiner als die Menschen, die wir kannten.
Mitten in der Nacht wurde ich wach, weil meine magischen Sinne wie eine Alarmglocke läuteten. Ich fuhr hoch und sah, dass Inassara ebenfalls wach war und am anderen Ende der Lichtung zwischen den Bäumen etwas zu suchen schien. Ich stand auf und schlich zu ihr, ich wollte die beiden Männer nicht aufwecken. Ich folgte Inassara ein Stück in den Wald hinein, um uns herum schwirrten einige Nachtfalter durch die milde Nachtluft. Plötzlich sahen wir vor uns ein schwaches Schimmern zwischen den Bäumen, und gleichzeitig fühlte ich eine Art magisches Summen, das mich wohl auch geweckt und dem Inassara gefolgt war. Wir gingen auf das Licht zu, es schien keine Gefahr davon auszugehen. Als wir näher kamen, erkannten wir im schwachen Lichtschein eine Gestalt, zierlich und etwas kleiner als ich. Als wir sie erreichten, verlosch der Schein, und wir konnten nun im Mondlicht erkennen, dass es sich um einen Mann handelte, der eine prächtige Robe aus bestickter Seide trug. Aber er schien irgendwie durchsichtig, nicht aus fester Materie zu sein. Auch hatte er ein feineres Gesicht, als ich je an einem Menschen gesehen hatte, und die spitzen Ohren überzeugten mich endgültig davon, dass dieses Wesen einer anderen Rasse angehörte als wir. Der Mann lächelte uns an und sagte mit sanfter, tiefer Stimme: „So habe ich euch also zu mir rufen können. Ich bin Sali-Ath’Aira. Welch Glück, dass ihr magisch begabt seid, die beiden Männer gehen ja nur mit erbärmlich wenigen Sinnen durch die Welt. Aber seht, warum ich euch zu mir rief, ist folgendes: Wie ihr gesehen habt, ist dieser Hain verlassen. Einst lebte hier mein Stamm, wir waren Waldbewohner vom Volk der Elfen.“ Ich sah ihn erstaunt an, Elfen gab es doch nur in Geschichten, und jetzt sprach einer mit mir… Er lächelte mich verschmitzt an und sagte: „Ja, ihr Menschen seht uns nur selten, und bisher lebten doch beide Völker gut damit, oder? Aber nun zurück zu meinem Stamm.“ Sein feines Gesicht verdüsterte sich. „Vor einigen Monaten begann hier dieser furchtbare Winter, und bald waren wir in unserem Dorf völlig isoliert. Aber wir Elfen haben eine starke Magie, ja wir sind Magie, könnte man meinen. Und deshalb hätten wir hier lange ausharren können. Aber es kam anders. Eine seltsame Trübsal überkam uns, wir kamen kaum gegen den Gedanken an, dass das Leben öde und sinnlos sei… Und auch der Geist der Elfen hält nicht alles aus, sodass meine Brüder und Schwestern, ja zuletzt alle das Dorf in Panik verließen, um vor der grausamen Schwermut zu fliehen. Nun sind sie in alle Winde verstreut. Ich selbst war unser Stammesältester, und so blieb ich als letzter hier. Mir wurde klar, dass ich mein Volk wieder versammeln musste, um gemeinsam von hier fort zu gehen, unseren Geist zu vereinen und eine neue Heimat zu finden. Und nach einigem Nachdenken fiel mir auch ein, wie ich das bewerkstelligen konnte, allerdings brauchte ich dafür Hilfe, und ich wusste nicht, wie lange ich mich hier alleine würde halten können -„ Inassara unterbrach ihn. „Ich muss euch eine kurze Frage stellen, Meister Sali. Wann verschwand diese Seuche wieder? Wo wir herkommen, trieb sie Menschen in den Freitod und ließ erst nach, als alle tot waren. Und jetzt kommen wir hierher und spüren nichts!“ Der Elf wiegte den Kopf und sagte: „Ich kann es nicht genau sagen, aber dazu komme ich gleich. Ich spürte also, wie sich die tückische Krankheit langsam durch meinen Geist fraß und beschloss, zum letzten Mittel zu greifen.
Also legte ich mich nieder und trennte durch ein altes Ritual meinen Geist vom Körper. In diesem Zustand konnte mir die Seuche nichts mehr anhaben, und deshalb kann ich euch auch nicht sagen, wann die Seuche verschwand, aber es hat wohl etwas mit dem Tod des letzten Lebens hier zu tun. Als einige Tage später mein Körper ohne den Geist langsam starb, konnte ich mich frei im Wald bewegen. Ich war natürlich traurig, aber nur so sah ich eine Chance, mein Volk wieder zu vereinen. Als ihr kamt, beschloss ich, euch auf mich aufmerksam zu machen, und da seid ihr nun und ich bitte euch inständig um Hilfe!“

Zwölftes Kapitel

Inassara und ich sahen uns an. Dann sagte sie: „Wir sind dem Ursprung dieser Seuche auf der Spur, er ist sehr nah und seine Magie alt und böse. Wenn wir euch helfen können, tun wir das gerne, allerdings weiß ich nicht, wie viel Zeit uns noch bleibt.“ Die Miene des Geistes hellte sich auf. „Ich danke euch! Es wird bestimmt nicht lange dauern. Ich möchte, dass ihr mir ein altes Relikt unseres Stammes besorgt, es ist irgendwo außerhalb unseres Haines. Ich kann es spüren, aber nicht erreichen, denn ich bin an diesen Ort hier gebunden. Und ich könnte es ohnehin nicht berühren, womit auch…“ „Wieso ist es denn nicht hier? War es für euren Stamm nicht wichtig?“, fragte ich. „Wir haben es seit Generationen nicht mehr gebraucht, und so geriet es in Vergessenheit. Es dient dazu, unseren Stamm zusammen zu führen, es sendet sozusagen ein magisches Signal, dem wir folgen müssen, ob wir wollen oder nicht. In der alten Zeit, als wir Elfen oft von Menschen und schlimmerem gejagt wurden, setzten wir es oft ein, um uns zu sammeln und gemeinsam zu fliehen. Als wir uns hier niederließen und uns sicher fühlten, errichteten wir außerhalb des Waldes einen Altar, auf dem das Relikt lag und schlummerte, stets bewacht. Doch wir wurden nachlässig, Niemand ging mehr zum Altar, und schließlich vergaßen wir das Relikt. Doch nun fiel es mir wieder ein, und ich kann seine Gegenwart spüren. Es ist noch da! Und ich will auch nicht, dass ihr das umsonst für mich tut. Abgesehen davon, dass ihr damit vielleicht meinen ganzen Stamm rettet, kann ich euch eine wertvolle Information geben.“ „Was denn für eine?“, platzte ich heraus. Inassara warf mir einen leicht tadelnden Blick zu und meinte: „Das erfahren wir früh genug. Sagt mir, Sali, wie sieht dieses Relikt eigentlich aus, und wohin müssen wir ungefähr gehen?“ Der Geist lächelte. „Durchquert den Wald hinter mir, wenn ihr ihn verlasst, werdet ihr den Altar bald finden. Das Relikt selber hat die Form einer schlichten Schüssel. Nun geht, und viel Glück!“
Wir machten uns auf den Weg, der Wald wurde immer dichter und düsterer. Als wir schließlich auf die Eissteppe hinaustraten, froren wir erbärmlich im eisigen Nachtwind - unsere dicken Mäntel hatten wir natürlich am Lager zurückgelassen. Zum Glück schneite es nicht und auch der Wind war hier nicht ganz so erbarmungslos, und so rissen wir uns zusammen; die Mäntel zu holen würde zu lange dauern und vielleicht die Männer aufwecken. Es war allerdings stockdunkel, und so bewegten wir uns sehr vorsichtig vom Waldrand weg.
Plötzlich hörten wir vor uns im Dunkeln ein lautes Fauchen, begleitet von einem scharfen Windstoß. Sofort ließ Inassara eine kleine Flammenkugel auf ihrer Hand erscheinen, bereit, sie abzufeuern. Ich tat es ihr gleich, wie sie mich gelehrt hatte. Im Schein des kalten magischen Feuers sahen wir ein Stück entfernt einige kleine Schemen, die um etwas Großes herumwuselten. Das Fauchen schien von ihnen zu kommen. Jetzt wandten sie sich zu uns um und kamen näher, so dass wir Einzelheiten erkennen konnten: Ihre Gesichter waren grässlich entstellt, jedenfalls für menschliche Maßstäbe. Sie hatten kleine, grausame gelbe Augen, Nasen und Münder waren zu einer Art Schnautze zusammengewachsen. Die Körper der Kreaturen waren drahtig und mager, kleine, pervertierte Abbilder von Menschen. Es waren etwa vier bis fünf dieser Wesen, und als sie näher kamen, rissen sie die Mäuler auf und ließen jenes unmenschliche Fauchen hören. Speichel troff von ihren Mäulern und wir konnten bereits ihren faulig stinkenden Atem riechen, ihn heiß auf dem Gesicht spüren. Der Größte von ihnen, offensichtlich der Anführer, hob beim Näherkommen eine riesige Machete über den Kopf, die anderen taten es ihm gleich. Inassara schleuderte einem der Monster mit einem grimmigen Aufschrei ihren Feuerball entgegen, das Geschöpf kreischte und fiel zurück. Nun begannen wir beide, wie verrückt unsere brennenden Kugeln nach den wütend kreischenden und fauchenden Bestien zu werfen, doch die Wirkung war nur gering. Die Monster drängten uns zurück Richtung Waldrand, wir bekamen etliche Schnittwunden ab und einmal verfehlte uns eine der Klingen nur um Haaresbreite, so dass es in unseren Ohren zischte. Inassara begann nun, ihre magische Melodie so zum Rasen zu bringen, dass wir plötzlich in einem tosenden Feuerwirbel dastanden. Auch ich wollte etwas tun und verlegte mich auf Druckwellen, und so trieb ein Wirbel aus Feuer und Lufterruptionen die Viecher langsam aber sicher von uns weg. Ich spürte, wie meine Kraft rasch dahinschwand, aber Inassara stand aufrecht und stark neben mir - sie konnte ihre Kräfte ja auch wesentlich besser kontrollieren als ich und war ohnehin viel mächtiger, war sie doch eine geborene Magija... Ich gab mein Bestes, aber bald konnte ich nicht mehr. Alles verschwamm vor meinen Augen, ich konnte meine Magie nicht mehr aufrechterhalten. Ich wollte mich zusammenreißen, durchhalten, Inassara nicht im Stich lassen! Doch es gelang mir nicht. Ich sah noch, wie der magische Wirbel schwächer wurde und die abscheulichen Wesen mit triumphierendem Heulen wieder näherrückten, dann wurde ich ohnmächtig.


Dreizehntes Kapitel

Später erwachte ich auf der Lichtung im warmen Sonnenschein, Inassara und Joran beugten sich besorgt über mich. Inassaras Gesicht war grau, sie sah müde aus und schien um Jahre gealtert zu sein. Etliche Schnittwunden zogen sich über ihre Arme, und auf der Wange hatte sie einen breiten Kratzer.
Alessius saß am Feuer und mampfte an irgendetwas herum. Ich richtete mich mühsam auf, alle Knochen taten mir weh und ich vermutete, dass ich nicht besser aussah als Inassara.
"Was ist passiert? Haben wir die...", setzte ich an, doch Inassara warf mir einen warnenden Blick zu und sagte laut: "Es ist alles in Ordnung, du bist nur schlafgewandelt und als ich dir folgte, gerieten wir in dichtes Dornengestrüpp, aus dem ich dich nur mit Mühe herauszerren konnte - und nicht ohne sichtbare Folgen für uns beide. Jetzt musst du erstmal etwas essen und dich erholen, wir werden die nächste Nacht noch hier bleiben, damit wir alle ausgeruht sind." Ich begriff, dass sie nicht über unser nächtliches Abenteuer reden wollte, und beließ es dabei, obwohl ich bezweifelte, dass Joran diese Geschichte glauben würde. Alessius würde sie wohl schlucken, es interessierte ihn anscheinend auch gar nicht; aber es war schon eine sehr abwegige Geschichte, und wenn Joran mich ausfragen sollte, müsste ich - ich unterbrach meinen eigenen Gedankengang. Alles zu seiner Zeit, jetzt musste ich mich wirklich erst einmal stärken und die Ereignisse der letzten Nacht so gut wie möglich verarbeiten.
Später nahm Inassara mich zur Seite und sagte: "Du weißt, ich traue Alessius nicht über den Weg, er muss nichts von den Elfen oder dem Relikt wissen. Aber Joran sollten wir schon einweihen, übernimmst du das?"
Inzwischen weiß ich, dass sie wohl für bessere Stimmung zwischen Joran und mir sorgen wollte. Hätten wir damals bloß gewusst, wie sehr das nach hinten losgehen würde!
Ich erklärte mich bereit, Joran einzuweihen, auch wenn ich mich nicht gerade darauf freute. Gegen Abend, als er ein Stück in den Wald hineinging, um Feuerholz zu sammeln, schien mir die Gelegenheit günstig zu sein und so folgte ich ihm. Als ich ihn eingeholt hatte, konnte ich ihm kaum in die Augen sehen, ich war - wie in letzter Zeit so häufig - wie gelähmt vor Verlegenheit. Schließlich sagte er ungeduldig: "Also, hilfst du mir nun beim Holzsammeln, oder warum bist du hier?".
Ich druckste ein wenig herum, dann bekam ich endlich ein "Ich muss mit dir reden" über die Lippen. Er sah mich halb erwartungsvoll, halb nachdenklich an, und ich wurde natürlich sofort rot. Trotzdem stammelte ich tapfer weiter: "Ähm, also, es ist wirklich ziemlich wichtig, dass ich dir das sage, und -" weiter kam ich nicht, denn Joran fuhr fast zornig dazwischen: "Ja, ich weiß schon, was du sagen willst. Ich soll endlich über meine einzige echte Liebeserfahrung hinwegkommen, die Vergangenheit ruhen lassen und im Hier und Jetzt leben - aber das ist unmöglich, ich kann dir nicht das sein, was du dir anscheinend erhoffst. Sicher, ich habe auch schon bemerkt, dass irgendetwas zwischen uns ist, ich bin ja nicht aus Stein. Und ständig wirst du rot, wenn du mich nur ansiehst - das macht doch eine normale Unterhaltung unmöglich! Und du kennst meine Geschichte, wenn ich jemals wieder einem Orden angehören möchte - und das möchte ich! - , darf ich niemals schwach werden - aber ich bin auch nur ein Mann, und das du mich ständig so in Versuchung führst, finde ich wirklich unfair von dir! Natürlich fühle ich mich auch zu dir hingezogen, aber es geht nunmal nicht, es würde uns nur beide unglücklich machen, begreif das doch endlich!!"
Die letzten Worte hatte er geschrien, ich war völlig entsetzt über seinen Ausbruch. Er stand wutbebend vor mir, und plötzlich wurde auch ich wütend. Was glaubte er eigentlich, wer er war - ch fühlte mich ertappt und bloßgestellt, aus seinem Mund klang die Beschreibung dessen, was zwischen uns stattfand, so plump, so, als würde ich ihn unentwegt mit kindischer Anbetung belästigen! "Hör mal", sagte ich scharf, "bilde dir bloß nicht zuviel ein! Dein ewiges Gerede von Heiligkeit und Ehre und Tugend kann ich schon längst nicht mehr hören!! Ich bin kein kleines Kind mehr, dass die Welt nicht versteht, und als ob ich es nötig hätte, dir nachzustellen - da würde ich ja schon eher Alessius nehmen, du - du...!" Mir blieben vor Wut die Worte weg. So eine Unverschämtheit!
Joran sah mich ausdruckslos an. "Na dann", sagte er, "haben wir uns wohl nichts mehr zu sagen." Und er drehte sich um und marschierte zum Lager zurück. Ich starrte ihm hinterher. Langsam verrauchte mein Zorn, und mir wurde bewusst, was ich ihm da eben an den Kopf geworfen hatte. Alessius?! Ich spähte zwischen den Bäumen zum Feuerplatz hinüber, wo er saß und - mal wieder - an irgendeinem Fleischbrocken unbekannter Herkunft herumkaute. Gerade spuckte er etwas hinter sich und wischte sich mit dem Ärmel die Nase ab. Bei der Vorstellung, dass ich mit ihm... Es schüttelte mich. Armer Joran, ich hatte mich tatsächlich wie ein trotziges Kind verhalten, und so eine Beleidigung hatte er wirklich nicht verdient! Und außerdem, was hatte er noch gleich gesagt? Ich würde ihn in Versuchung führen?! So etwas hatte noch kein Mann zu mir gesagt, und es war mir unglaublich peinlich, dass ich es nicht als Kompliment erkannt hatte.
Ich ging langsam zurück zum Lager, entschlossen, mich bei Joran für meinen albernen Ausbruch zu entschuldigen. Doch als ich seinem eisigen, gekränkten Blick begegnete, wurde ich sofort wieder so wütend, dass ich nur mit zornigem Blick und erhobenem Kopf an ihm vorbei rauschte.
Inassara, die etwas abseits saß und ihr Gepäck in Ordnung brachte, sah verwundert von Joran zu mir und zurück, dann blickte sie mich fragend an. Ich zuckte die Achseln und ging weiter.
Erst nach Tagen fiel mir wieder ein, was ich Joran eigentlich hatte sagen wollen und dass Inassaras fragender Blick sich nicht auf unseren Streit bezogen hatte - und dass sie mein Achselzucken als Bestätigung genommen hatte, dass er nun Bescheid wisse.
Nachdem ich eine Zeit lang unruhig und erbost umhergewandert war und mich wieder einigermaßen unter Kontrolle hatte, bat ich Inassara, ein Stück mit mir zu gehen. Ich wollte endlich wissen, was in der letzten Nacht geschehen war, nachdem ich das Bewusstsein verloren hatte. Und Inassara berichtete: "Es war sehr merkwürdig. Als du neben mir zusammenbrachst, musste ich viel Kraft aufwenden, um die Biester von uns fern zu halten. Doch plötzlich schienen sie jedes Interesse an uns zu verlieren, jedenfalls zogen sie sich zurück und waren bald verschwunden. Ich hatte fast das Gefühl, dass irgendetwas sie zurückrief, konnte aber keine Magie orten."


Vierzehntes Kapitel

Am Abend jenes Tages hatten Joran und ich uns wieder einigermaßen beruhigt, mieden einander jedoch nachdrücklich. Nach dem Essen legten wir uns nieder. Als die Männer schliefen, standen Inassara und ich leise auf und warfen uns unsere warmen Mäntel um. Dann schlichen wir wieder in den Wald, dorthin, wo wir in der letzten Nacht den Geist von Sali-Ath'Aira getroffen hatten. Doch er war nicht da, und so beschlossen wir, noch einmal zu der Stelle zu gehen, wo er das Relikt vermutet hatte.
In dieser Nacht waren wir darauf vorbereitet, überfallen zu werden, und traten mit äußerster Vorsicht zwischen den Bäumen heraus auf die weite Schneefläche. Die Spuren des Kampfes waren inzwischen unter einer frischen Schneeschicht verschwunden, es schneite und wir kamen trotz Zuhilfenahme eines kleinen Leitfeuers nur langsam voran. Alles blieb still, wir waren alleine. Nach einer Weile sahen wir vor uns wieder jenen Schemen, an dem in der Nacht zuvor die kleinen Biester herumgewuselt waren, doch Heute ragte er verlassen vor uns auf, und wir näherten uns vorsichtig. Beim Näherkommen wurden die Umrisse dessen, was da vor uns war, klarer: Es war tatsächlich eine Art Altar, wie Sali gesagt hatte. Wir untersuchten ihn gründlich, aber er war vollkommen leer, ein verwittertes Überbleibsel eines alten Glaubens.
Als wir gerade entmutigt umkehren wollten, fanden wir überraschend doch noch, wonach wir gesucht hatten: Neben dem Altar bemerkten wir eine kleine Schneewehe. Das war nichts besonderes, aber von dieser hier ging ein schwacher magischer Impuls aus. Ich wollte die harte Eiskruste mit magischem Feuer zum Schmelzen bringen, aber Inassara hielt mich zurück und blickte mich leicht tadelnd an. "Wir sind zu nah an der Quelle des Übels, willst du sie vielleicht noch mehr auf uns aufmerksam machen?" "Aber letzte Nacht...", widersprach ich, doch sie schüttelte energisch den Kopf. "Das war doch etwas völlig anderes. Wir mussten unser Leben verteidigen! Hier geht es nur um Bequemlichkeit." Und mit diesen Worten ging sie in die Hocke und begann, mit bloßen Fingern die Schneewehe abzutragen. Ich schämte mich ein wenig wegen meines mangelhaften Mitdenkens, stand einen Moment lang unschlüssig herum und half ihr dann. Minutenlang hörte man nichts als das Heulen des Windes und das Kratzen unserer Finger auf der harschen Schneedecke.
Dann stießen wir endlich mit halbtauben Händen auf jene unscheinbare Schüssel, die wir suchten und zogen sie heraus. Inassara betrachtete sie kritisch im blassen Mondlicht und meinte dann: "Ich hoffe, das bisschen Magie in diesem Ding ist den ganzen Ärger Wert." Dann wandte sie sich um und ging zurück Richtung Wald, ich folgte ihr.
Kaum waren wir wieder im Hain und in der milden, frischen Nachtluft, die hier herrschte und hatten unsere Mäntel ausgezogen und unter den Arm geklemmt, da erschien auch schon der Geist des Elfen vor uns, offensichtlich hoch erfreut. "Ihr habt es! Ich spüre, dass ihr das Relikt bei euch tragt! Rasch, folgt mir..."
Wir hatten Mühe, mitzukommen, denn wo Sali sich als Geist mühelos fortbewegte, mussten wir uns durch dichtes Unterholz kämpfen. Nach etlichen Kratzern murrte ich vor mich hin: "Diese Elfen verstehen vielleicht etwas von Magie, aber begnadete Gärtner kann man sie nicht gerade nennen..."
Aber da traten wir auch schon auf eine weitere Lichtung. Sie unterschied sich von der, auf der wir unser Lager im verlassenen Elfendorf hatten: Diese hier war kleiner, und der Wald begrenzte sie mit dichtem Gestrüpp voller Dornen und eng stehenden Bäumen. Auch gab es hier nur eine kleine Hütte in der Mitte, ebenso zierlich wie die, die wir schon kannten. Davor gab es eine Feuerstelle, über der eine Art Rost aufgebaut war. Sali bewegte sich geradewegs darauf zu, und als wir ihn erreichten, forderte er uns auf, die schlichte, grobe Schüssel auf den Rost zu stellen. Als es getan war, sagte er zu Inassara: "Jetzt bitte ich dich um ein kleines magisches Feuer unter der Schale. Wenn du es entzündet hast, tretet bitte Beide zurück - und seht zu, was geschieht."
Inassara tat, wie ihr geheißen und entzündete eine kleine kalte Flamme unter dem Rost. Dann gingen wir ein wenig auf Abstand, und was dann folgte, lehrte mich und selbst meine Lehrerin eine neue Ehrfurcht vor der Magie der Elfen.


Fünfzehntes Kapitel

Sali bewegte sich langsam im Kreis um die Feuerstelle, dabei hob er die Arme und stimmte eine leise, wunderschöne Melodie an. Seine Bewegungen wurden schneller, der Gesang schwoll zu einem warmen, wehmütigen Singen an, das mir fast die Tränen in die Augen trieb.
Das Feuer loderte auf und hüllte die Schale ein, stieg auf und wurde unter dem Lied des Elfengeistes zu einem glitzernden, farbigen Strudel, der das Relikt vollkommen verdeckte.
Dann ebbte der Gesang wieder ab, der Wirbel sank in sich zusammen und schließlich erlosch das magische Feuer. Und was dort nun auf dem Rost lag, konnte man wirklich als Relikt bezeichnen: ein schimmernder, herrlicher Kelch, der vor Magie nur so summte.
Sali wandte sich uns zu, und sein Gesicht drückte reine Freude aus: "Ich danke euch von Herzen. Schon jetzt kann ich spüren, dass wir erfolgreich waren - bald werden meine Brüder und Schwestern in den Hain zurückkehren, und ich kann Ruhe und Frieden finden."
Inassara und ich waren noch wie geblendet von dem eben Erlebten. Schließlich gewann sie als erste die Fassung wieder und wandte sich an den Geist: "Wir haben euch sehr gerne geholfen, Meister Sali. Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal Zeugin der mächtigen alten Magie, wie ihr sie anwendet, werden würde. Aber wenn es euch nichts ausmacht, möchte ich euch jetzt um das bitten, das ihr versprochen habt - denn ich spüre, dass unsere Zeit langsam knapp wird." Der Elf lächelte uns weise an. "Aber gewiss doch, junge Magija. Ich will euch gerne geben, was ich versprach, auch wenn euch eigentlich ein Vielfaches davon zustünde, und ihr Beide könnt euch auf ewig der Dankbarkeit und Zuneigung meines Volkes gewiss sein. Aber hört nun, was ich euch berichten kann.
Vor einiger Zeit, als mein Stamm und ich noch vereint und in Frieden hier lebten, beobachtete ich etwas sehr merkwürdiges: Eines Abends, nachdem ich den Abendsegen über meine Brüder und Schwestern gesprochen hatte, räumte ich ein wenig hier auf der geweihten Lichtung auf, als ich plötzlich eine Schwankung in unserem sonst so steten Magiefeld bemerkte. Es war schwach, aber deutlich: Jemand oder Etwas war in der Nähe und verströhmte eine fremde magische Musik, oder vielmehr eine Kakophonie von magischen Tönen. Ich ging dem leisen Klang nach bis zum Waldrand, und dort sah ich ein Geschöpf über die Ebene hasten, das mir in seiner abscheulichen Fremdartigkeit einen Schauer über den Rücken laufen ließ. Es erinnerte mich entfernt an einen Elfen oder kleinen Menschen, doch sein Körper war entstellt, es bewegte sich unnatürlich ruckartig und sein Gesicht -" der Elf seufzte und schüttelte traurig den Kopf, bevor er weiter sprach: "Nun, sein Gesicht ähnelte eher einer Art Schnauze, es hatte lange Fangzähne und abstoßender Speichel troff in langen Fäden von seinen fast tierischen Lefzen. Und die magischen Töne, die ich in ihm hörte, klangen so falsch! Als hätte jemand seine ursprüngliche Melodie gewaltsam zerrissen und verkehrt wieder zusammengefügt... Aber weiter. Das Wesen bewegte sich zielstrebig in nördlicher Richtung, seine Klauenbewehrten Füße hinterließen scharfe Abdrücke im sandigen Boden. Während ich ihm im Schutz der Bäume am Waldrand entlang folgte, konnte ich hören, wie es vor sich hinschnaufte und geiferte. Zwischen dem vielen Zischen und Fauchen konnte ich einige Satzfetzen verstehen - es sprach in einer mit bekannten Sprache!" Erneut war Sali angesichts einer solchen Perversion der Natur so erschüttert, dass er sich erst wieder fassen musste, bevor er weiter reden konnte.
"Ich verstand aus seinem Gemurmel, dass es unzufrieden war. Irgendjemand hatte es auf einen Auftrag geschickt, es sollte einen Sohn davon abhalten, etwas zu tun - viel mehr konnte ich nicht verstehen, zwischen den Sätzen stieß das Geschöpf immer wieder Flüche aus und Rufe wie 'immer ich! Warum muss immer ich die Drecksarbeit machen! Alle Mittel einsetzen, die nötig sind - mit einem Fingerzeig von ihr wäre dieser ganze blödsinnige Auftrag nicht nötig!' Auch hatte es offensichtlich Hunger, denn es schnüffelte und sabberte ständig am Boden herum und beschwerte sich über den 'fleischlosen Fraß', den es anscheinend Leid war... Doch das Sonderbarste geschah erst noch. Als das Wesen fast außerhalb meiner Sichtweite war und den Hügel erklomm, über den auch ihr gekommen seid, schien sich seine Gestalt zu verändern und irgendwie aufrechter zu werden. Doch ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich in diesem Punkt wirklich meinen Augen trauen kann oder ob ich es mir nur eingebildet habe. Jedenfalls dachte ich mir, da ihr in die Richtung reist, aus der das Wesen kam, könnte diese Information euch vielleicht nützen - wer weiß, ob ihr nicht noch mehr dieser Geschöpfe begegnen werdet!"
Während seiner Schilderung vom Aussehen des Geschöpfes hatten Inassara und ich uns angesehen. Es bestand kein Zweifel: Der Geist hatte etwas gesehen, gegen das wir in der vorigen Nacht so erbittert gekämpft hatten! Seine Beschreibung passte einfach haargenau auf die grässlichen Kreaturen, die uns angegriffen hatten. Inassara berichtete dem Elfen nun von unserem nächtlichen Abenteuer. Er wiegte nachdenklich den Kopf und sagte dann: "Als ich euch Heute antraf, fragte ich mich gleich, wo ihr euch diese Wunden zugezogen habt. Das erneute Auftauchen dieser Wesen - und dazu noch mehrerer - beunruhigt mich zutiefst; es erscheint mir sicher, dass euch in südlicher Richtung wohl noch mehr Gefahr droht, als ich zunächst dachte. Die Kreatur, die ich sah, ist seither auch nicht wieder aufgetaucht, und als Geist habe ich viel von meiner Magie eingebüßt, ich könnte seine schwache Ausstrahlung wohl ohnehin nicht mehr wahrnehmen." Ich sah ihn fragend an, und er begriff wohl sofort, was mir durch den Kopf ging, denn er fuhr fort: "Eure magische Aura ist viel stärker, und in ihrer harmonischen Ordnung der meines Volkes so ähnlich, dass ich euch viel besser wahrnehmen konnte. Ich möchte euch erneut um etwas bitten: Setzt eure Reise nicht fort! Kehrt um, solange es noch geht, wenn mein Stamm erst wieder stark und vereint ist, wird er sich der Sache annehmen. Bitte, geht, ich möchte nicht, dass ihr euch unnötig in Gefahr begebt!" Inassara schüttelte energisch den Kopf und sagte nachdrücklich: "Ich bewundere und respektiere euch zutiefst, Sali-Ath'Aira, aber in diesem Punkt kann und werde ich eurem Rat nicht folgen. Wir haben vieles auf uns genommen, um bis hierher zu gelangen, und so kurz vor dem Ziel werden wir nicht umkehren! Außerdem gibt es für uns alle nichts mehr, wohin wir zurückkehren könnten - wir verloren durch diese Seuche unsere Heimat, Larina sogar ihre ganze Familie. Ich danke euch für eure Hilfe, wir gehen nun nicht ganz unvorbereitet auf das, was uns erwarten mag - doch wir werden gehen, dass steht fest. Wir alle haben unsere Wahl getroffen, es ist zu spät zum Umkehren, selbst wenn wir wollten." Ich sah sie schräg von der Seite an. Ihre Worte klangen so kühn und heldenhaft, dass ich ganz weiche Knie bekam. 'Selbst wenn wir wollten'... O ja, dies war einer der Momente, in denen ich wirklich nichts mehr wollte als umkehren, nur weg von dieser Gefahr, in die ich mich freiwillig hineinmanövriert hatte. Doch Inassara hatte Recht, inzwischen war es zu spät, ich konnte nicht mehr zurück.
Der Geist des Elfen sah uns besorgt an. "Ich sehe, dass es dir ernst ist, junge Magija. Doch deine Gefährttin zweifelt, sie ist nicht so stark und erfahren wie du! Lass sie hier in meiner Obhut bleiben, bis die Gefahr vorüber ist und sie ein neues Leben beginnen kann."
"Nein!", begehrte ich auf, "Es stimmt, ich bin nicht so stark wie Inassara und auch nicht so mutig, aber ich werde bei ihr bleiben! Sie ist alles, was mir von meiner Familie geblieben ist, und nichts kann mich von ihr trennen!" Das hatte trotziger geklungen, als ich beabsichtigt hatte, aber um keinen Preis wollte ich, dass Inassara mich aus Sorge vielleicht wirklich hierlassen könnte. Doch sie sah mich mit ihrem typischen durchdringenden Blick an und sagte dann, an Sali gewandt: "Ich denke, Larina ist bei mir gut aufgehoben; schließlich bin ich fast so etwas wie ihre Mutter! Und sie ist weit mächtiger und stärker, als euch oder ihr selbst im Moment bewusst ist - und ich vertraue darauf, dass sie diese Kraft genau im richtigen Moment entdecken und einsetzen wird." Das war nun schon das zweite Mal, dass Inassara mir so etwas prophezeihte, und auch jetzt machte es mich irgendwie nervös - ich fühlte mich durch ihr Vertrauen in meine "unentdeckten Kräfte" eher unter Druck gesetzt als beruhigt, doch das sagte ich ihr nicht, ich wollte sie nicht enttäuschen.
Der Geist zuckte die Achseln und sagte: "Ich sehe, ich kann euch nicht von eurem Vorhaben abbringen. Dann geht - und kehrt hoffentlich lebend zurück! Meine Gedanken und mein Segen werden euch begleiten, denn meht kann ich nicht tun." Er warf Inassara einen merkwürdigen Blick zu, und sie nickte kaum merklich. Ich begriff nicht, was das bedeutet, wollte mich aber nicht einmischen.
Einige Tage später sollte ich es verstehen, aber da war die Möglichkeit, etwas zu tun, schon verstrichen.


Sechzehntes Kapitel

Wir verabschiedeten uns von dem Geist und kehrten schweigend zum Lager zurück; der Morgen zog bereits herauf, die beiden Männer schliefen noch und auch Inassara und ich nutzten die Gelegenheit, noch etwas auszuruhen. Schlafen konnte ich nicht, mir ging einfach zu viel im Kopf herum: Die schwache, unbekannte Magie, die ich schon auf der Hügelkuppe gespürt hatte und die sich als die alte Kraft der Elfen entpuppt hatte, die Begegnungen mit dem Geist von Sali-Ath'Aira; und nicht zuletzt der bedrückende Gedanke an meinen hässlichen Streit mit Joran. Warum musste ich immer im falschen Moment die Nerven verlieren und mich wie ein unreifes Kind aufführen? Ich wollte doch, dass er mich ernst nehmen konnte. Aber dennoch hatte er gesagt, ich führe ihn in Versuchung...
Irgendwann war ich wohl doch eingeschlafen, denn als ich wieder erwachte, war es bereits heller Tag und meine Gefährten saßen an der Feuerstelle und frühstückten. Ich gesellte mich verschlafen und durcheinander zu ihnen und aß auch etwas von dem elfischen Brot, dass Joran in einem der kleinen Häuser gefunden hatte. Alessius nagte wie üblich an den Knochen irgendeines armen Tieres, dass er gefangen hatte - ein unappettitlicher Anblick, aber wir hatten uns schon fast daran gewöhnt.
Nach dem Essen gab Inassara mir durch Blicke zu verstehen, dass sie mich alleine sprechen wolle, und wir gingen ein Stück am Bach entlang. Nach einigen Minuten, in denen wir geschwiegen hatten, sagte sie endlich: "Ich fürchte, nun wird es ernst, Larina." Sie nannte mich nicht mehr "mein Kind", und das zeigte mir mehr als alles andere, dass sie besorgt war - was mich natürlich sofort verunsicherte. Inassara fuhr fort: "Wir sollten so bald wie möglich aufbrechen, ich kann fühlen, dass die Zeit abläuft. Aber zunächst möchte ich noch über etwas anderes mit dir reden, denn was auch immer uns erwartet, es darf keinen Unmut in unserer Gruppe geben - wir müssen zusammenhalten!" Ich wusste sofort, dass sie auf Joran anspielte, und tatsächlich meinte sie: "Bitte sprich noch einmal mit Joran, Larina. Beseitigt, was auch immer zwischen euch steht. Von Alessius können wir nicht erwarten, dass er von jetzt auf gleich sein - nun, etwas ungewöhnliches Gemüt ändert; aber diese Sache zwischen dir und Joran muss aus der Welt geschafft werden! Außerdem kannst du ihn dann auch gleich auf den neuesten Stand der Dinge bringen und ihm die Informationen über jenes merkwürdige Geschöpf geben. Ich traue Alessius nach wie vor nicht über den Weg, aber Joran sollte alles wissen, was auch wir wissen." Ich ließ den Kopf hängen und murmelte niedergeschlagen: "Inassara, ich -", doch weiter kam ich nicht, denn in diesem Moment hörten wir Joran auf der Lichtung zornig irgendetwas brüllen. Sofort stürzten wir los, und als wir atemlos das Lager erreichten, bot sich uns ein mehr als komischer Anblick: Joran stand neben der Feuerstelle und warf lauthals mit Flüchen um sich, die ein Paladin eigentlich gar nicht kennen geschweige denn in den Mund nehmen sollte. Daneben saß Alessius auf dem Boden und starrte missmutig und trotzig auf den Boden; er war sehr blass. Als Joran uns erblickte, deutete er wütend auf seine Stiefel und rief: "Seht euch nur an, was dieser verdammte Kerl angestellt hat! Er rennt in den Wald, fängt irgendein Vieh, dass er noch nie zuvor gesehen hat, isst es roh - und natürlich verträgt er es nicht! Plötzlich läuft er grün und gelb an, springt auf und kotzt mir auf die verdammten Stiefel! Verdammt noch mal, verdammt, verdammt!!" Während er die letzten Worte schrie, begann er wie ein Wilder umher zu springen und zu stampfen; Alessius sah ziemlich kleinlaut aus, wie er da saß und immer noch ganz elend war. Inassara und ich wechselten einen Blick; dann konnten wir nicht mehr an uns halten: Der fluchend herumhüpfende, sonst so ernste und moralische Joran und die Vorstellung, wie Alessius sich geradewegs auf seine Stiefel erbrach waren einfach zuviel für uns, der Druck, der seit Wochen auf uns lastete, löste sich für einen Moment auf und wir brachen in lautes Gelächter aus. Joran starrte uns finster an, was uns nur noch mehr erheiterte, und wir lachten, bis uns die Tränen in die Augen stiegen.
Als wir uns wieder im Griff hatten, hatte Joran sich bereits gesetzt und war grimmig damit beschäftigt, seine besudelten Stiefel zu reinigen und Alessius zu ignorieren, der immer wieder beteuerte, das Tier sei sicher giftig gewesen und so etwas könne doch jedem einmal passieren. "Aber nicht auf meinen Stiefeln", knurrte Joran schließlich mit zusammengebissenen Zähnen.
Über all der Aufregung hatten sowohl Inassara als auch ich völlig vergessen, dass ich mich mit Joran hatte aussprechen wollen, und ich vergaß außerdem, dass ich Inassara hatte sagen wollen, dass er von unseren Erfahrungen der letzten Nächte rein gar nichts wusste.
Nachdem Alessius sich wieder erholt und Joran - mit wieder sauberen Stiefeln - in etwas milderer Stimmung war, begannen wir, unseren Aufbruch vorzubereiten. Viel gab es nicht zu tun: Wir brachen das Lager ab, versorgten uns mit ein wenig Proviant und brachten unsere warmen Sachen in Ordnung - wir würden sie ja schon bald wieder brauchen. Einige Male fiel entweder mir oder, wie ich an ihrem Gesichtsausdruck erkannte, auch Inassara ein, dass wir mit Joran reden wollten; aber es bot sich keine Gelegenheit mehr dazu, denn immer war Alessius in der Nähe, und so gaben wir es schließlich auf.
Schließlich waren unsere Vorbereitungen abgeschlossen, und etwas wehmütig verließen wir den blühenden Hain auf dem Wege, auf dem wir ihn auch betreten hatten. Als wir noch einige Schritte vom Waldrand entfernt waren, konnten wir jenseits der letzten Bäume bereits den dunklen, nur von fallenden Schneeflocken durchbrochenen Himmel sehen und den Wind heulen hören. Wir sahen uns an und erschauerten, doch es half ja nichts, und so streiften wir wieder unsere Wintersachen über und traten widerwillig aus dem warmen Schutz des magischen Elfenwaldes hinaus auf die schneeverkrustete Ebene, wo uns sofort klirrende Kälte und fauchende Böen umfingen.
Unsere Stimmung war nach dem kurzen Ausbruch von Heiterkeit, der uns auf der anheimelnden Lichtug überkommen hatte, bereits wieder so abgekühlt wie unsere Gesichter und Hände, in die nun rasch die schon bekannte eisige Taubheit zurückkehrte.


Siebzehntes Kapitel

Wir kämpften uns wieder durch die zunehmende Dunkelheit und das bereits unangenehm vertraute Schneetreiben, dass, je weiter wir nach Süden vordrangen, immer mehr zu einem wahren Sturm wurde. Bald konnte man kaum noch die Hand vor Augen sehen, so finster war es geworden, und die weißen Schneeflocken brachten nicht etwa Helligkeit - sie verwandelten den Himmel vielmehr in eine düstere schwarzrote Kuppel.
Von der Hügelkuppe aus war das Tal leicht zu überblicken gewesen, doch jetzt, da wir es zu Fuß durchquerten, erschien es uns um ein vielfaches größer. Wir schwiegen, jeder hing seinen Gedanken nach; Joran blickte noch ernster und grimmiger drein als sonst, Inassara hatte den Blick trotz der stechenden, wirbelnden Schneeflocken entschlossen nach vorn gerichtet. Alessius wuselte mit gebeugtem Rücken zwischen uns hin und her und schien von einer seltsamen inneren Unruhe erfüllt zu sein, sein Blick huschte immer wieder hektisch hierhin und dorthin - und meinen eigenen Gesichtsausdruck konnte ich natürlich nicht sehen, aber ich vermute, dass ich wohl recht ängstlich dreinblickte. In der Tat zitterte ich nicht nur vor Kälte, wie wir uns so durch die peitschenden, eisigen Böen kämpften...

Seit wir den Wald der Elfen verlassen hatten, hörte ich - und Inassara sicher auch - ununterbrochen wieder jene seltsame und scheußliche Kakophonie von magischen Tönen, der wir uns nun stetig näherten; und mit jedem Schritt, den wir hinter uns brachten, wurde sie lauter und grässlicher, so dass ich nach etwa einer Stunde das Tosen des Windes und das Knirschen unserer Sohlen auf der vereisten Schneedecke kaum noch wahrnahm. Gerade, als ich dachte, ich könne es nicht mehr aushalten, blieb Inassara plötzlich stehen und hob die Hand: "Wir sind jetzt fast da, ganz hier in der Nähe kann ich den Eingang spüren!"
Mir fiel wieder ein, dass ich immer noch nicht wusste, wie genau wir eigentlich nach Tykarhast gelangen wollten, lag es doch unter der Erde. Ich wollte Inassara danach fragen, doch im nächsten Moment erübrigte es sich bereits: Sie war einige Schritte weiter gegangen und kniete sich nun hin, direkt neben einer kleinen Erhebung im Schnee. Wir traten hinter sie und konnten so beobachten, wie Inassara den Schnee beiseite schob und darunter eine metallene Platte zum Vorschein brachte. Sie blies kurz darauf, und als ihr weißdampfender Atem sich auflöste, sahen wir, dass die Platte nun in sanftem Licht schimmerte und eine Inschrift zu erkennen gab. Sie war in einer mir fremden Sprache verfasst, doch Joran sog bei ihrem Anblick scharf die Luft ein und flüsterte mir dann ehrfürchtig zu: "Das ist eine der alten Portalinschriften! Mit ihrer Hilfe gelangten früher die Priester und andere eingeweihte Ordensangehörige nach Tykarhast." Ich sah ihn erstaunt an; diese winzige Metallplatte sollte uns in die mächtige alte Tempelstadt befördern können?!
Inzwischen war das magische Glühen auf der Platte wieder erloschen, und Inassara, die aufmerksam die Inschrift studiert hatte, nickte langsam. Dann wandte sie sich zu uns um und meinte: "Wir sind tatsächlich am Ziel angekommen; dies hier ist einer der verborgenen Eingänge von Tykarhast, und ich weß nun, wie man ihn benutzen kann - tretet bitte etwas zur Seite."
Joran und ich taten, wie uns geheißen, doch Alessius fiel plötzlich vor Inassara auf die Knie, umschlang mit den Armen ihre Waden und rief mit winselnder Stimme: "O bitte, nein, geht nicht hinein! Ich könnte es nicht ertragen, wenn euch etwas zustieße, geht nicht, kehrt um und lasst es sein, ich flehe euch an!!" Wir starrten ihn alle drei entgeistert an, denn erstens waren das für Alessius' Verhältnisse unglaublich viele Wörter auf einmal, und zweitens erschien uns sein ganzer Ausbruch so kurz vor dem Ziel höchst sonderbar.
Inassara schüttelte ihn angeekelt ab und wandte sich wieder der Stelle zu, an der die Platte lag, um mit Hilfe ihrer Magie das Portal zu öffnen. Da schien Alessius auf einmal eine seltsame Verwandlung zu durchlaufen: Für einen kurzen Moment flackerte seine Gestalt und wurde irgendwie tierisch - es war jedoch so kurz, dass ich nicht sicher war, es wirklich gesehen zu haben.
Ich blickte fragend zu Joran, doch der schien nichts bemerkt zu haben und hatte seine Aufmerksamkeit wieder auf Inassara gerichtet. Ich hörte, wie Alessius ein merkwürdiges leises Knurren ausstieß, das nicht menschlich klang; doch bevor ich darauf eingehen konnte, schoss plötzlich direkt zu Inassaras Füßen ein gleißend heller Blitz aus dem Schnee und blendete mich so sehr, dass ich die Augen zukniff und die Hände vors Gesicht schlug. Als ich nach einigen Sekunden wagte, die Augen wieder zu öffnen und die Hände sinken ließ, sah ich dort, wo eben der Blitz erschienen war, einen schillernden, wässrig wallenden Schleier wie ein rundes Tor knapp über dem Boden schweben.
Ich staunte, und Joran war auf die Knie gefallen und hatte demütig den Kopf gesenkt. Ich wollte mich nach Alessius umsehen, doch Inassara gemahnte uns zur Eile - sie könne das Portal nicht lange offen halten. Und so traten wir einer nach dem anderen durch den schwebenden Schimmer; und beim Durchschreiten des Portals spürte ich ein intensives magisches Prickeln am ganzen Leibe.
Mit einem Schlag wurde es noch dunkler um mich - und warm. Aber diese Dunkelheit war anders als die eisige Nacht, aus der wir kamen, und nach einigen Sekunden konnte ich erkennen, dass es eher eine tiefe, erdige Dämmerung war als völlige Finsternis. Ich spürte harten Stein unter den Sohlen, und in der Wärme, die mich umgab, fühlte ich, wie das Eis auf meiner Kleidung schmolz und konnte hören, wie es als Wasser zu Boden tropfte. Ich drehte mich um, aber das Portal war verschwunden; stattdessen sah ich Inassara, von deren Umhang ebenfalls geschmolzener Schnee troff und die nun eine kleine, matt leuchtende Kugel in ihrer Hand wachsen ließ. Da wir uns bereits in der sprichwörtlichen Höhle des Löwen befanden und durch die Benutzung des Portals eine Menge Magie freigesetzt hatten, brauchten wir uns nun keine Gedanken mehr darum zu machen, entdeckt zu werden - wer oder was auch immer hier unten am Quell der Magie saß, würde uns früher oder später ohnehin aufspüren.
Im Schein der kleinen magischen Lichtquelle war nun deutlich zu sehen, dass wir uns am Beginn eines sanft abwärts geneigten Ganges befanden. Der Boden war sauber mit Steinfliesen ausgelegt, und die niedrige Decke spannte sich rund und glatt über unseren Köpfen. An den Wänden waren im schwachen Lichtschein herrliche, wenn auch etwas verstaubte Wandgemälde zu sehen, wie sie häufig in Tempeln und anderen religiösen Stätten vorkommen.
Als Inassara, Joran und ich uns weiter umsahen, fiel uns noch etwas auf: Alessius fehlte. Während wir den prächtigen Gang bestaunt hatten, war er spurlos verschwunden.


Achtzehntes Kapitel

Nun war ich ganz sicher, dass Inassara mit ihrem Misstrauen Alessius gegenüber von Anfang an richtig gelegen hatte. Ich berichtete den beiden Anderen meine Beobachtung vor unserem Eintritt in das Portal, und Inassara nickte langsam.
Joran ballte die Fäuste und sagte zähneknirschend: "Diese miese kleine Ratte, erst besudelt er meine Stiefel, und jetzt macht er sich einfach aus dem Staub - und was meintest du noch gleich, Larina? Er sah einen Moment lang aus wie was?!" Inassara und ich wechselten einen Blick, dann räusperte ich mich verlegen und setzte an: "Jaa, also, eigentlich wollte ich dir das schon längst im Elfenhain sagen -"
Joran unterbrach mich. "Elfenhain? Wie bitte? Was geht denn hier vor sich, erst ist dieser Alessius nicht das, wofür er sich ausgibt, und dann erzählst du etwas von Elfen, und du wolltest mir - Moment mal. Heißt das etwa, damals im Wald wolltest du mit mir garnicht über... Über uns reden? Ich - also, ich meine..." Seine Stimme versagte, er sah blass und fassungslos von mir zu Inassara.
Die wiederum blickte mich fragend an, und ich wurde einmal mehr feuerrot und stammelte: "Ähm, also, Inassara, das war so - ich wollte es ihm ja sagen, aber dann hat er... und ich wollte nicht... Außerdem - bei den Göttern, das ist ja so peinlich..." Ich konnte nicht weitersprechen, ein ohnmächtiges Gefühl der Scham übermannte mich und ich vergrub das Gesicht in den Händen. Auch Joran wandt sich, ihm war das ganze nicht weniger unangenehm als mir. Inassara beobachtete einen Moment lang, wie wir herumdrucksten, dann verlor sie die Geduld und sagte hart: "Also, dann werde ich dich jetzt aufklären, Joran. Im Wald trafen wir auf den Geist eines elfischen Priesters, und er sagte uns, dass Alessius - jedenfalls glaube ich jetzt, dass er es war, also, der Geist sagte, das -"
Ihre nächsten Worte gingen in einem ohrenbetäubenden Heulen unter; es klang, als habe Jemand eine ganze Meute Jagdhunde darauf abgerichtet, im Chor zu jaulen. Joran und ich hielten uns die Ohren zu, und Inassara brach ihren Bericht ab. Als der Lärm sich gelegt hatte und für mich und Inassara nur noch das allgegenwärtige Summen der starken, korrumpierten Magie dieses Ortes zu hören war, sagte sie fest: "Nein, dafür ist jetzt keine Zeit mehr. Wir müssen herausfinden, was hier vor sich geht, schließlich sind wir nicht zum Reden hergekommen!"
Wir stimmten ihr zu, dankbar, dass wir uns nicht weiter mit der peinlichen Situation zwischen uns auseinandersetzten mussten. Und so folgten wir leise und vorsichtig dem Verlauf des Ganges, bis er schließlich einen scharfen Rechtsknick machte und wir auf einmal am Rande eines riesenhaften Gewölbes standen. Trotz des intensiven Gefühls ständiger Gefahr konnten wir einfach nicht anders, als unsere staunenden Blicke durch die gigantische Halle schweifen zu lassen: Weit wie der Himmel selber spannte sich ein kupfernes Dach über etwas, das ich in Ermangelung eines besseren Ausdruckes als 'Stadt' bezeichnen möchte. Einige hundert Meter vor uns erhob sich ein gewaltiger, zinnenbewehrter Steinwall, dahinter konnten wir hohe Türme und glänzende Dächer erkennen und auf allen Zinnen waren wunderschöne, kunstvoll gearbeitete Statuen zu sehen:
Da gab es marmorne Engel und granitene Priesterstatuetten, aber auch metallene Ritter und weise Frauen aus hellem Quarzgestein. Von unseren Füßen weg führte eine breite Straße bis zum Wall, und wo sie auf ihn traf, erhob sich ein herrliches Tor aus schwarzem, fein gearbeitetem Metall. Oben auf dem Torbogen stand eine ehrfurchtgebietende Statue aus glänzendem Gold, die den Gott Tykar verkörperte. Joran fiel bei ihrem Anblick auf die Knie und vollführte einige mir unbekannte religiöse Gesten, doch Inassara, die sich als erste von dem berauschenden Anblick hatte losreißen können, forderte ihn auf, sich wieder zu erheben, und gemeinsam schritten wir die Straße entlang, geradewegs auf das Tor zu - Inassara meinte, es hätte ja doch keinen Zweck, jetzt noch vorsichtig zu sein, also könnten wir auch unsere Würde bewahren und direkt auf das zugehen, was uns erwarten mochte.
Ich fühlte mich allerdings nicht sehr würdevoll, wie ich so hinter Joran auf der Straße ging - mir war, als würde ich beobachtet und ich hatte entsetzliche Angst; außerdem war ich fest davon überzeugt, dass ich im Ernstfall nicht einmal einen kleinen magischen Funken zuwege bringen würde - ich würde wohl eher direkt in Ohnmacht fallen.
Und Inassara, die mir sonst immer Trost gespendet hatte, war nun ganz auf sich selbst konzentriert, und Joran - nein, ihm würde ich nicht einmal von meiner Angst erzählen, wenn es um mein Leben ginge, zu frisch und tiefsitzend war noch die Schmach, die uns beide erfüllte; dumpf wurde mir bewusst, wie unangebracht es war, dass ich mir gerade jetzt Gedanken um so etwas albernes und banales machte, aber es half nichts, ich konnte es nicht verdrängen und so trottete ich mit schamvoll gesenktem Kopf weiter hinter den Anderen her.
Wir passierten das große Tor ohne Schwierigkeiten, es war nicht einmal verschlossen und wir setzten unseren Weg durch die Stadt fort, Inassara und ich jetzt allerdings mit noch wacheren magischen Sinnen, bereit, bei der kleinsten Bewegung oder Verschiebeung im merkwürdigen, doch konstanten magischen Muster dieses Ortes unsere geballte Kraft zu entladen. Joran hatte sein Schwert gezogen und blickte grimmig und entschlossen drein.
Mit halber Aufmerksamkeit nahmen wir am Rande die Schönheit um uns herum wahr: Kleine Tempel mit vergoldeten, rund gewölbten Kuppeldächern wechselten sich ab mit schlichten, doch eleganten steinernen Wohnhäusern, und obwohl die Tempelstadt lange Zeit verlassen gewesen sein musste, gab es keinerlei Anzeichen von Verfall an den herrlichen Gebäuden und auch die Statuen, die immer wieder auf kleinen, blumengesäumten Podesten am Straßenrand standen, schienen nur eine Winzigkeit staubig zu sein...
All das sahen wir zwar, aber unser Denken war auf das gerichtet, was uns erwartete - und das wir nicht wussten, was das war, strapazierte unsere Nerven schier unerträglich.
 
Süß, die holde Dame kann ich mir bildlich vorstellen ;)
Du hast einen schönen, klaren Schreibstil, weiter so. :top:
 
Aloha!
Hier die neuen Teile 19 - 20... Langsam wird's spannend!!


Neunzehntes Kapitel

Wir ließen unsere dicken Wintersachen irgendwann zurück, es war einfach zu warm hier unten und im Falle eines Kampfes würden die Mäntel und Handschuhe uns höchstens behindern.
Nach einer Weile machte die Straße eine sanfte Linkskurve, und wir gelangten auf einen weiten, mit weißem Marmor gepflasterten Platz. Er war ringsum von etwas über mannshohen, goldenen Säulen eingefasst, auf denen Statuen standen - doch diese hier unterschieden sich gravierend von denen, die wir bereits gesehen hatten: Sie alle zeigten ein und das selbe Bildnis, nämlich das einer schönen Frau. Die Figuren waren etwa halb so groß wie ich und bestanden alle aus unterschiedlichen Materialien. Die Frau blickte mal aus marmornen, mal aus silbernen und dann wieder aus schwarzen granitenen Augen auf uns herab; der Ausdruck ihres ebenmäßigen Gesichtes war sanft und gütig, sie sah aus wie eine Königin.
Zwischen den Säulen standen hohe Fackelhalter, doch keine Flamme brannte in ihnen: Es herrschte immer noch trübes Dämmerlicht, nur durchdrungen von Inassaras magischem Feuer, das einen gleichmäßigen Glanz verbreitete und alles in mildes Licht tauchte.
Am anderen Ende des Platzes begann eine breite, ebenfalls weiß marmorne Treppe, deren Stufen empor zu einem prächtigen Tempel führten.
Auch er war ganz und gar aus weißem Marmor, mit unendlich vielen Ziersimsen und Fresken verziert und in jeder freien Nische waren weitere Statuen aufgestellt worden - auch sie zeigten jene Frau mit dem sanften Gesicht, aber diese Figuren waren ausnahmslos aus weißem Gestein gearbeitet.
Sowohl die Steinfiguren als auch der Tempel hatten eine starke magische Aura, allerdings war nicht zu unterscheiden, ob dies hier die Quelle der bösen Magie war, die wir suchten - oder ob sie sich nur mit der vielleicht noch unangetasteten Kraft dieser heiligen Stätte überlagerte und vermischte.
Während wir noch staunend dastanden und uns fragten, welche Frau die Priester des Tykar derart beeindruckt haben mochte, dass sie ihr so viele Statuen widmeten - sogar mehr als ihrem eigenen Gott! - , öffneten sich mit einem Mal die Pforten des herrlichen Tempels, und über die Schwelle kam - Niemand anders als Alessius! Nur Joran schien wirklich überrascht zu sein, Inassara und ich hatten bereits geahnt, dass der stets merkwürdige und irgendwie abstoßende Alessius mit dem Übel in Verbindung stand.
Alessius trug nun ein prächtiges, tiefrotes Gewand, hielt in der Hand einen langen, schwarzen Stab und starrte uns hasserfüllt an. Dann sprach er, und aus seiner Stimme war jegliches Winseln verschwunden, sie klang kalt und böse:
"Ihr! Ihr seid eine solche Plage, ihr dummen kleinen Menschen! Aber es nützt euch nichts, dass ihr es bis hierher geschafft habt, nun seid ihr ja doch dem Verderben ausgeliefert... "
Er funkelte uns voll hinterhältigem Vergnügen an, dann richtete er sich zu voller Größe auf und rief: "Seht, mit wem ihr euch anlegen wolltet, ihr größenwahnsinnigen Irren! Und erkennt, das eure Zeit, ja die Zeit aller Menschen, Elfen oder anderen Rassen, die es jemals vor uns gab, jetzt endet!!"
Mit diesen Worten richtete er seinen Stab nach oben, dann ließ er ihn mit lautem Krachen auf den steinernen Fußboden sausen. Daraufhin ertönte plötzlich von allen Seiten jenes unmenschliche Heulen und Jaulen, dass wir schon kurz nach dem Durchschreiten des Portals gehört hatten. Doch diesmal klang es wesentlich wilder, gefährlicher und wütender. Alessius warf den Kopf nach hinten und stieß ein hohes, schrilles Kreischen aus, das mir das Blut in den Adern gefrieren ließ, und dann durchlief er abermals jene sonderbare Verwandlung, aber jetzt war sie endgültig und auch für Joran und Inassara nicht zu übersehen:
Sein Gesicht zog sich in die Länge, bis es einer Schnauze glich, sein Körper dehnte und streckte sich, wurde drahtiger, sehniger und irgendwie wölfisch; seine Hände und Füße wurden zu riesigen Klauen, und er wuchs! Er wurde immer größer, bis er fast doppelt so groß wie Joran war. Er ähnelte den Wesen, gegen die Inassara und ich am Altar der Elfen gekämpft hatten - doch sie waren im Vergleich mit dieser Bestie friedliche, kleine Haustiere gewesen.
Alessius sah unsere entsetzten Gesichter und lachte grollend. Dann sah er uns mit seinen nun gelben Augen grausam an, und während er mit Schritten, die den Boden erbeben ließen, langsam die Treppe heruntergestampft kam, öffnete er erneut geifernd das Maul und entblößte lange, scharfe Fangzähne. Er knurrte, und zwischen den tierischen Lauten vernahmen wir seine Stimme, die sagte: "Seht mich an, Gewürm! Seht meine Stärke und Grausamkeit und erkennt, dass ihr versagt habt - ja das ihr nie eine wirkliche Chance hattet!!" Er zischte böse, fast hatte er schon die Hälfte der Treppe hinter sich gebracht. Hinter ihm, neben ihm, von allen Seiten tauchten nun plötzlich erst einige, dann immer mehr Wesen auf, die ihm oder denen, die wir bereits gesehen hatten, glichen. Sie alle näherten sich uns bedrohlich, von ihren Reißzähnen troff stinkender Speichel und bald konnten wir ihren heißen Atem spüren. Das Wesen, das einst Alessius gewesen war, stieß abermals ein grausiges Jaulen aus und rief: "Wir sind Alaundrels Kinder, wir sind die neue Rasse - und ihr werdet bald nur noch eine Erinnerung sein, ihr Narren!!"
Instinktiv wichen wir zurück, doch auch hinter uns war der Platz bereits besetzt von hundert oder mehr der widerlichen Kreaturen, und der Strom riss nicht ab.
Inassara schaute sich beherrscht um, warf mir dann einen schnellen Blick zu und ließ einen lodernden Flammenball zwischen beiden Händen entstehen, ich tat es ihr gleich - wenn auch mein Exemplar nicht ganz so beeindruckend aussah und ich vor Angst schlotterte. Joran hatte sein Schwert gezogen, und so standen wir nun, mit den Rücken aneinandergedrängt, in der Mitte des Platzes, darauf wartend, dass eines der Viecher den Kampf beginnen würde.
Unser magisches Feuer beeindruckte die Wesen jedoch nicht im mindesten, sie rückten langsam, aber stetig weiter vor.
Ich wollte gerade meinen Feuerball auf das am nächsten stehende Monster werfen, da schallte plötzlich ein lauter Ruf über den Platz: "Nein! Lasst ihn in Ruhe!!"


Zwanzigstes Kapitel

Sofort zeigte sich ein unterwürfiger Ausdruck auf den Fratzen der Kreaturen, sie duckten sich, als hätte man sie geschlagen und zogen sich von uns zurück, bildeten eine Gasse zwischen uns und der Treppe; dabei murmelten und zischten sie ehrfürchtig: "Alaundrel! Unsere Herrin, unsere Mutter... Alaundrel ist gekommen!".
Auch wir waren zusammengezuckt und wandten uns nun wieder dem Tempel zu, von dem wir die Stimme vernommen hatten.
Und dort, auf halber Höhe der Treppe, stand eine wahrhaft beeindruckende Gestalt: Es war unverkennbar die Frau, deren Antlitz wir bereits zuvor in gemeißelten und geschmiedeten Abbildern begegnet waren - doch ihre Gesichtszüge zeigten keine Spur von jener Sanftmut oder Güte, die den Statuen eine fast heilige Aura verliehen hatten.
Die Frau war schön, keine Frage. Größer als Inassara, stand sie dort aufrecht und stolz. Sie war gekleidet in eine lange, wallende Robe aus schwarzer Seide, die mit goldenen Borten abgesetzt und mit unzähligen funkelnden, kleinen Edelsteinen besetzt war; auf dem Haupt trug sie eine herrliche kristallene Krone. Aber ihre Augen blickten kalt und hasserfüllt zu uns hinab, und ich fragte mich, ob sie die Geschöpfe nur zurückgerufen hatte, um uns selber den Garaus zu machen...
Die Frau winkte in einer fast gleichgültigen Geste mit einer Hand, und sofort wurde unsere Umgebung in helles, goldenes Licht getaucht. Ich spürte ein scharfes Stechen in meinem Inneren, begleitet von einem starken magischen Missklang.
Die Welle der Magie, die dieses Licht gebracht hatte, war so verdorben, das mein Körper sich wie in Krämpfen zusammenkrümmte und ich mich kaum auf den Beinen halten konnte. Ich hörte, wie Inassara keuchte - auch sie musste es gespürt haben, doch sie wankte nicht, blieb standhaft. Joran schien zwar erstaunt über die plötzliche Helligkeit, doch er konnte den magischen Impuls natürlich nicht fühlen.
Die Frau lachte hart und freudlos auf, dann sprach sie mit eisiger Stimme: "Wie ich sehe, habt ihr es also trotz meinem nutzlosen Diener bis hierher geschafft." Sie warf Alessius einen vernichtenden Blick zu, und er wurde sofort von der puren Macht ihres Ärgers zu Boden geworfen und winselte schrill und ängstlich. Ich spürte ein Echo der Magie, die ihn getroffen hatte, und es trieb mir die Tränen in die Augen. Ich war entsetzt, ja fast hysterisch. Was hatten wir einer solchen Macht entgegenzusetzen?! Rein gar nichts, sie würde uns töten, mit einem einzigen Blick auslöschen...
Abermals lachte die Frau kurz auf und richtete ihre Aufmerksamkeit nun auf Inassara: "Ich spüre, dass dieses Küken da -" sie musterte mich kurz und verächtlich, und ich spürte, wie mein Herz aufhören wollte zu schlagen, " - nicht im Entferntesten eine Gegnerin für mich ist.
Auch deine Kräfte sind im Vergleich zu meiner Macht kaum mehr als ein leiser Windhauch, doch in dir erkenne ich einen starken Willen und eine gewisse Persönlichkeit, also werde ich mit dir sprechen.
Wie ihr euch sicherlich schon gedacht habt, bin ich Alaundrel, ehemalige Priesterin vom Orden des Tykar." Sie spuckte den Namen der Gottheit geradezu aus, und ihr Gesicht verzog sich angewidert. Joran starrte sie stumm, doch mit brennendem Zorn in den Augen an, Inassaras Gesichtsausdruck war unergründlich.
Alaundrel fuhr fort: "Ich weiß natürlich, warum ihr hier seid. Nun, ihr habt gefunden, wonach ihr gesucht habt, nämlich mich.
Ich habe die Magie dieses Ortes genommen, ich habe sie zu meinen Gunsten verändert und ich habe diese wunderschönen Geschöpfe hier erschaffen." Sie ließ einen halb liebevollen, halb ironischen Blick über die Horde der grauenvollen Kreaturen schweifen.
"Ja, dies sind meine Kinder, und ich bin ihre Königin!", rief sie.
Auf diese Worte hin brachen die Wesen in tosenden Jubel aus, sie kreischten, brüllten und jaulten freudig. Mit einer bestimmten Geste gebot Alaundrel ihnen, zu schweigen und lächelte Inassara grausam zu. "Du dumme kleine Magija. Dachtest du wirklich, ihr könntet euch meinen Blicken entziehen, euch ungesehen anschleichen? Lächerlich! Eure stümperhafte Magie hinterlässt deutlichere Spuren als ein Erdbeben. Und dann schleppst du auch noch dieses dilettantische Kind mit, das ist ja fast schon eine Beleidigung meiner Fähigkeiten...
Aber ich spüre deine Neugier, und sie soll befriedigt werden. Ihr beide seid ohnehin bald tot, was schadet es da schon, wenn ich meinen Triumph noch etwas auskoste..."
Trotz der Gefahr, in der wir schwebten, schoss mir der Gedanke durch den Kopf, dass in Geschichten, in denen der Bösewicht sich seines Sieges sicher wähnt und seine Pläne offenbart, stets das Gute den Sieg davonträgt - doch er verflog sofort wieder, als mich plötzlich heißer Schmerz durchfuhr, und ich blickte gequält zu Alaundrel empor.
Sie sah mich durchdringend an und weidete sich sichtlich an der Pein, den ihr bohrender Blick mir verursachte. Wie durch einen roten Schleier sah ich, wie Joran und Inassara zu mir hinübersahen, auf ihren Gesichtern lagen Zorn und Bestürzung.
Der Schmerz verging, als Alaundrel ihren Blick wieder von mir abwandte, den Kopf zurückwarf und höhnisch lachte.
Inassara stürzte zu mir und legte schützend die Arme um mich. Joran jedoch machte mit erhobenem Schwert einige Schritte auf die Treppe zu - sofort gingen die ihm am nächsten stehenden Monster in Habachtstellung - und sagte mit vor Zorn bebender Stimme: "Du wirst Larina in Ruhe lassen, schändliches Weib! Es ist schon schlimm genug, dass eine solche Schlange wie du überhaupt jemals im Orden des Tykar dienen durfte und dass du es wagst, seinen Namen in deinen dreckigen Mund zu nehmen - aber du wirst ihr nicht noch einmal wehtun, sonst werde ich dir persönlich den Hals durchschneiden!"
Ich stöhnte verzweifelt auf. Hatte er den Verstand verloren? Sicher, er konnte nicht spüren, wie groß Alaundrels Macht war; aber selbst ohne ihre Magie standen wir immer noch einer riesigen Übermacht dieser grässlichen Monster entgegen! Gleich würden sie sich auf uns stürzen - und tatsächlich, die Wesen setzten bereits zum Sprung an...

Was dann geschah, ereignete sich innerhalb weniger Sekunden:
Alessius hatte sich inzwischen wieder aufgerappelt und rief nun heiser: "Ich mache meinen Fehler wieder gut, Herrin!!", und mit einem grässlichen Brüllen machte er einen langen Satz, über einige andere Bestien hinweg, und landete direkt vor Joran. Keines der anderen Wesen rührte sich, Alessius schien wirklich eine Art Vorrangstellung unter ihnen zu genießen.
Schon hatte Alessius dem völlig überrumpelten Joran, der nur hilflos sein Schwert heben konnte, mit seinen Klauen einige mächtige Schnitte an Brust und Armen zugefügt, da kreischte Alaundrel so wütend, dass ich meinte, der Boden erbebe: "NEIN!! Du hirnloses Tier, du weißt, dass er nicht angerührt werden darf!!", und von ihren im Zorn erhobenen Händen schoss ein unsichtbarer, sengender Strahl schwärzester Magie direkt auf Alessius.
Er traf ihn in den Rücken, und die Druckwelle warf ihn zu Boden. Gleichzeitig schien seine Haut für Sekundenbruchteile zu kochen, dann war es vorbei: Bis auf einen winzigen, dunstigen Rauchwirbel über dem Boden und dem Echo eines erstickten Schreies, der von unvorstellbarer Qual kündete, gab es nichts mehr, was noch an Alessius erinnerte. Die heftige Magie hatte sowohl mich und Inassara als auch den schwer verwundeten Joran zu Boden geworfen, und ich erschauderte nun vor Mitleid: Ganz gleich, was für ein abartiges Wesen Alessius auch gewesen sein mochte, er war dazu gemacht worden und so einen Tod hatte er nicht verdient - kein Geschöpf hatte das!
Alaundrel stürzte zu unserer Überraschung die Treppe hinunter, ihr Gesicht zeigte eindeutig Angst und aufrichtige Sorge. Sie fiel neben Joran, der reglos dalag, auf die Knie und murmelte: "Nein, nein, du darfst nicht tot sein..."
Sie legte das Ohr an seine Brust und horchte einen Moment lang.
Dann hob sie langsam den Kopf und zischte zu mir und Inassara hinüber: "Er lebt... Aber es ist eure Schuld, dass er überhaupt hier ist... Er sollte fernbleiben, bis ich ihn holen würde... Und ihr widerlichen Möchtegern-Magierinnen bringt ihn hierher!"
Dann erhob sie sich und richtete ihren brennenden Blick auf Inassara: "Du wirst als Erste sterben, denn ohne dich hätten sie viel eher aufgegeben, so wie es geplant war! Durch deine Schuld wurde Joran verletzt, du dummes Weib, und du weißt nicht halb so viel, wie du denkst - er ist mein Sohn!!"
 
wirklich gut geschreibselt...sol lch nen zusammenfassungsthread erstellen? oder erst, wenn der thread hier sein paar seiten hat?
 
Hiho!
Ich hab ja jetzt alle Teile ein bisschen umeditiert, da hat sich das wohl erledigt...:D
 
eigentlich solltest du dann an deinen ersten post noch dne zusammenfassungslink machen und ich werd dann in der zusammenfassung auch auf diesen thread hier verlinken

aber da es ja eh erst der anfang is hat das ja noch zeit
 
anny ich kan geschichtn zwar nicht beurteilen da ich dafon keine ahnung hab aber sie gefällt mi freu mich schon auf den 4 teil:D
 
Aloha!
Hier die Kapitel 21-23. 21 Wurde geändert, deshalb poste ich es neu.

Einundzwanzigstes Kapitel

Inassara und ich hatten uns erhoben, und nun standen wir wie versteinert da, fassungslos über das, was Alaundrel uns da gerade gesagt hatte. Dann hörte ich mich plötzlich laut und trotzig rufen: "Nein! Das ist eine Lüge! Niemals könnte Joran der Sohn einer solchen... solchen Hexe wie dir sein!!" Inassara warf mir einen überraschten Blick zu; Alaundrel aber sah mich ruhig an und sagte dann mit leiser Stimme: "Ja, so seht ihr mich. Aber du hast nicht die blasseste Ahnung, wovon du da sprichst, du Kind..." Sie senkte den Kopf, und für einen Moment konnte ich hinter ihrer mächtigen, dunklen Aura so etwas wie Verletzlichkeit und großen Schmerz wahrnehmen. Doch es ging schnell vorüber, und als sie den Kopf wieder hob, war ihr Blick wieder kalt und hasserfüllt, und sie sagte hart zu Inassara: "Nein, ihr werdet mich nicht zum straucheln bringen. Und deine weiche Magie kannst du dir sparen, denkst du, ich merke nicht, wie du in meine Seele einzudringen versuchst? Ich weiß schon, du suchst den weichen Kern meines Selbst - doch du wirst nichts finden! Die Frau, die ich einst war, die liebte und litt, ist lange tot, du Närrin!!" Und mit diesen Worten sprang sie auf, machte sie einen langen Schritt auf Inassara zu und packte sie grob am Handgelenk. Sie zog sie zu sich heran, bis ihre Gesichter dicht voreinander waren, Inassaras schmerzverzerrt. Alaundrel zischte: "Ja, sieh in meine Seele, und sieh, was man mir angetan hat... Spüre den Schmerz, der mich seit Jahren begleitet!" Ich sah, wie sie die freie Hand auf Inassaras Stirn presste und genüsslich beobachtete, wie ihr Tränen über das Gesicht rannen. Ich wollte ihr zu Hilfe eilen, doch ich konnte mich nicht rühren, war wie gelähmt vor Angst und konnte nur stumm mit ansehen, was geschah: Inassara stöhnte, ihre Augen blickten in stummer Qual in die Alaundrels. Dann öffnete sie langsam, als koste es sie unendlich viel Kraft, den Mund und flüsterte entsetzt: "Du - du warst... Was haben sie dir angetan...".
Alaundrel schnaubte verächtlich, dann ließ sie Inassara los und trat einen Schritt zurück. Inassara schluchzte noch einige Sekunden in lautloser Verzweiflung, ein Anblick, der mich maßlos entsetzte. Doch sie fasste sich wieder, richtete sich auf und sprach mit fester Stimme: "Ich weiß nun, welchen Schmerz du erleiden musstest, Alaundrel, wenn ich auch nur raten kann, wer oder was ihn verursacht hat. Aber das gibt dir noch lange nicht das Recht, uns -" Alaundrel schnitt ihr wütend das Wort ab und rief: "Nicht das Recht?! Ich will dir sagen, was mir das Recht gibt, ALLES zu tun, närrische Magija!!" Sie funkelte Inassara böse an und fuhr dann mit ruhiger, doch schneidender Stimme fort: "Ich war einst eine idealistische, naive Ordensdienerin. Doch ich verliebte mich in einen der Hohepriester, Lesuv, und auch er begehrte mich! Aber sein dummer Glaube ging ihm über alles, und meinen Vorschlag, gemeinsam den Orden zu verlassen, wie es vor uns schon Paare getan hatten und auch nach uns wieder tun würden, lehnte er ab mit den Worten: 'Dies ist nur unser irdisches Dasein, und ich werde den ewigen Frieden meiner Seele nicht für ein Weib aufs Spiel setzten.'
Ein Weib! Das war ich für ihn, nur eine Versuchung der Fleischeslust, ein Objekt! Seine einzige wahre Liebe galt Tykar." Wieder sprach sie den Namen des Gottes angewidert aus.
Ich sah sie unverwandt an: Obwohl sie unbestreitbar abgrundtief böse war, konnte ich doch Mitleid und Verständnis für jene unerfahrene junge Priesterin empfinden, die sie einst gewesen war. Ihre Geschichte erinnerte mich entfernt an das, was sich zwischen Joran und mir abgespielt hatte...
Alaundrel fuhr fort, und ihre Stimme wurde immer zorniger, während sie sprach: "Er hatte mich nicht nur zurückgewiesen, sondern verbreitete auch im ganzen Orden, dass ich ein lasterhaftes Ding sei und verstoßen werden müsse. Damals lebten wir noch hier, in Tykarhast, und die Stadt befand sich noch über der Erde. Ich war hier geboren worden und wusste nichts von der Welt außerhalb der Stadtmauern. Die unerwiderte Liebe zu Lesuv machte mich halb verrückt, und ich beschloss, ihn zu seinem Glück zu zwingen. Ich wirkte einen Zauber, der ihn mir hörig machen sollte - doch der Missbrauch priesterischer Fähigkeiten bleibt niemals ungesühnt, und Tykars Fluch wollte es, dass mein Zauber den falschen traf: Einen Paladin des Ordens. Er wurde verrückt nach mir, doch ich wollte natürlich nicht! Und so stellte er mir wochenlang nach; Niemand nahm Notiz davon, ich war ohnehin fast eine Geächtete und wurde hier nur noch geduldet, bis Lesuv mich endlich aus der Stadt werfen würde - doch noch schien er regelrecht zu genießen, wie ich litt.
Eines Abends verspätete ich mich zum letzten Gottesdienst, und als ich durch die verlassene Stadt zum Tempel eilte, lauerte der liebestolle Paladin mir auf und fing mich ab... Er zerrte mich in sein Haus und nahm sich mit Gewalt, was er wollte, ich hatte keine Chance gegen ihn! Danach lag er neben mir und streichelte mich, er glaubte, ich gehöre nun ihm - wie ich mich ekelte! Ich drehte mich angewidert weg, da sah ich auf dem Nachttisch einen Spiegel stehen, ergriff die Gelegenheit und ließ ihn wie beiläufig herunterfallen, so dass er zerschellte. Er sagte, es sei egal, doch ich gab vor, die Scherben unbedingt wegräumen zu wollen, und beugte mich vom Bett hinab zum Boden." Ein boshaftes Glitzern trat in Alaundrels Augen. "Ich ergriff einen langen Spiegelsplitter; sofort blutete meine Hand von dem scharfen Glas, doch es war mir egal! Ich drehte mich blitzschnell wieder um -", sie hob in genüsslicher Erinnerung die Hand, "- und dann rammte ich ihm den Splitter in die nackte Brust, immer und immer wieder, so, wie er mich genommen und geschändet hatte, immer und immer wieder!!" Alaundrels Stimme war zu einem schrillen Kreischen geworden, und wie im Fieberwahn ließ sie ihre Hand immer wieder auf einen unsichtbaren Gegner niedersausen.
Schließlich hielt sie inne und sah in unsere entsetzten Gesichter. Dann sprach sie mit gefasster Stimme weiter: "Als er sich nicht mehr rührte und ich da auf dem Bett saß, nackt und mit seinem und meinem Blut besudelt, wurde mir klar, dass ich seine Leiche beseitigen musste. Ich blickte mich panisch im Raum um, bald würde der Gottesdienst vorbei sein und sie würden mich finden...
Da fiel mein Blick auf den Kamin, in dem ein Stapel Brennholz aufgeschichtet war. Ich dachte kurz nach, dann wusste ich, was zu tun war.
Als die anderen Ordensmitglieder nach der Abendmesse aus dem Tempel kamen und die Stadt wieder mit Leben füllten, fanden sie dort, wo einst das Haus des Paladins gestanden hatte, nur noch eine rauchende Ruine. Daneben lag ich, wieder bekleidet, im Schmutz und tischte ihnen auf, dass ich den Brand habe verhindern wollen, aber zu spät gekommen und von einem herabfallenden Balken getroffen worden sei."
Alaundrel lachte spöttisch. "Die Idioten glaubten mir natürlich und gewährten mir, weiterhin im Orden zu bleiben.
Bald spürte ich, dass der Paladin Leben in mich gepflanzt hatte, doch obwohl es auf so schreckliche Weise entstanden war, empfand ich für dieses Kind nichts als Liebe. Als mein Zustand sich nicht länger verbergen ließ, wollte ich Lesuv einen schweren Schlag versetzen: Ich lief scheinbar verzweifelt zu einer der weisen Frauen und erzählte ihr, das Kind sei von ihm und dass er mich habe zwingen wollen, es umzubringen. Ich hatte natürlich damit gerechnet, dass der Orden nun ihn verstoßen und mich endgültig rehabilitieren würde, doch ich wurde bitter enttäuscht: Der verblendete oberste Rat war vom Glauben an die Ordenshierarchie so besessen, dass ich als Frau und niedere Priesterin die Stadt verlassen musste und Lesuv geglaubt wurde, er habe nichts getan. Nichts getan!!", rief Alaundrel bitter aus, "Er hat mein Leben zerstört! Ich verließ also in Schande die Stadt und schlug mich alleine durch, doch das ist nun unwichtig. Ich ließ meinen Sohn in einem anderen Ordenssitz aufziehen, auch er sollte im Dienste des Tykar stehen und mich später wieder in den Orden zurückholen... Ich verließ ihn und ging bei einer mächtigen Magija in die Lehre, die wegen ihrer Leidenschaft für die dunklen Künste aus dieser lächerlichen Sippe ausgeschlossen worden war." Sie blitzte Inassara provozierend an, doch die ließ sich nicht eine Spur von Ärger anmerken. Alaundrel zuckte die Achseln und fuhr fort: "Als ich nach Jahren alles von ihr gelernt hatte, was sie wusste, kehrte ich noch einmal nach Tykarhast zurück. Der Orden hatte die Stadt inzwischen unter die Erde versenkt, doch das hielt mich nicht auf, zu groß war meine Macht geworden! Ich erstürmte die Stadt und brachte jeden um, der mir im Wege stand - nur einige wenige Männer und Frauen ließ ich am Leben. Als letzten nahm ich mir Lesuv vor, und ihr könnt mir glauben, bevor er starb, bereute er gründlich, mich so behandelt zu haben." Sie lachte abermals und trat dann wieder ganz nah zu Inassara, auf deren Gesicht sich nun Abscheu und Fassungslosigkeit zeigten. "Aber das ist noch nicht alles, kleine, dumme Magija. Ich lebte lange hier unten und bereitete mithilfe der letzten Überlebenden, die mir aus Angst gehorchten, vor, was nun unabwendbar geschieht: Das Ende allen menschlichen Leidens auf dieser Welt. Ich erschuf mit der veränderten Magie dieses Ortes aus den letzten Ordensmitgliedern und ihren gezüchteten Nachkommen eine neue Rasse, die ihr hier seht. Dann schickte ich eine magische Seuche über das Land, die zuerst die großen Städte befallen und dafür sorgen sollte, dass sich die Menschen selbst vernichteten. Es klappte wie geplant, und so konzentrierte ich mich auf mein nächstes Ziel: Eine Eiszeit! Ich tauchte die Welt in Kälte und Eis, so dass die Erde auch vom letzten menschlichen Dreck gereinigt werden sollte. Ich wusste natürlich, wo mein Sohn sich aufhielt, und ihn würde die Seuche verschonen, denn ich wollte ihn zu gegebener Zeit zu mir rufen und mit ihm gemeinsam über meine neue Rasse herrschen. Es gäbe nur noch uns beide, und wir wären die schönen und starken Könige, ja Götter dieser Welt.
Doch ihr habt es verdorben! Ihr brachtet ihn viel zu früh hierher... Doch es ändert nichts, nun ist er einmal hier und wird mich nie wieder verlassen... " Mit diesen Worten schleuderte sie Inassara und mir gleichzeitig einen spinnennetzartigen magischen Impuls entgegen, der uns zu Boden warf. Dann wandte sie sich zu Joran, der inzwischen langsam wieder zu sich gekommen war, und half ihm auf. Sie legte ihm die Hand auf die Brust, und wir konnten beobachten, wie seine schwersten Wunden sich schlossen.
Er blickte verwirrt um sich und fragte dann: "Du... Du bist wirklich meine Mutter?! Und all diese schrecklichen Dinge, die dir geschehen sind - ich konnte nicht alles verstehen, aber ich denke..."
Er sah zu Inassara, die wie ich immer noch benommen am Boden lag und sich nun mühsam gegen das magische Netz, das uns beide niederdrückte, hochzustemmen versuchte.
Sie rief: "Joran, es stimmt, sie ist deine Mutter... Aber bedenke, wie viel Böses sie getan hat - sie will alles Leben auf der Erde auslöschen!! Bitte, du als Paladin darfst das einfach nicht zulassen, du musst sie -" Mit einem Blick zog Alaundrel das Netz enger, und Inassara keuchte vor Schmerz und sank wieder zurück.
Joran wandte seinen Blick nun mir zu, die ich am Boden lag und mich im magischen Geflecht von Alaundrels Fluch wand, und in seinen Augen lag Schmerz, als er leise fragte: "Larina... Du standest mir in den letzten Monaten näher als jemals eine Frau vor dir - und damit meine ich wirklich jede Frau. Bitte, wenn du mir sagen kannst, warum du mich belogen und derart bloßgestellt hast, dann tu es!!" Er blickte mich gerade an, und ich wandte beschämt den Kopf ab. Wie sollte er mir jemals glauben, dass ich ihn nicht absichtlich belogen oder brüskiert hatte? Dass ich für ihn Gefühle hatte, die ich nie gekannt hatte...
Alaundrel ließ einmal mehr ihr böses Lachen hören. Dann sprach sie zu Joran, und ihre Stimme war ein sanftes Gurren: "Du siehst, mein Sohn, sie kann dir nicht antworten. Sie hat dich nur benutzt, genau wie die andere... Die einzige Frau, ja der einzige Mensch, dem du vertrauen kannst, bin ich, deine Mutter! Wende dich von ihnen ab, mein Kind. Wenn sie erst einmal beseitigt sind, können wir beide all das nachholen, was wir in den letzten Jahren versäumt haben - wir werden endlich eine Familie sein!"


Zweiundzwanzigstes Kapitel

Joran zögerte. Und dann geschah das, was ich gefürchtet, doch nie für möglich gehalten hatte: Sein Gesicht verhärtete sich, seine Augen nahmen den gleichen kalten Glanz an wie die Alaundrels. Sie stand neben ihm, und ihre Hand, durch die ihre verdorbene Magie in seinen Geist floss, ruhte fest auf seiner Schulter. Joran musterte Inassara und mich und sagte schneidend: "Ihr seid es nicht Wert, dass ich noch länger zu euch halte. Ihr habt mich benutzt, aber das ist nun vorbei. Ich habe gefunden, wohin ich gehöre - zu meiner Mutter!" Und er hob sein Schwert auf, wandte sich zu Alaundrel und sagte: "Mutter, bitte nimm den Bann von ihnen. Lass sie ihren letzten Kampf mit mehr Ehre bestreiten, als sie im ganzen Leben innehatten!"
Sie lächelte siegessicher, und als sie uns ansah, spürte ich, wie der magische Druck verschwand und ich mich wieder bewegen konnte. Inassara und ich erhoben uns. Inassara sagte ruhig zu Joran: "So sei es. Deine Entscheidung ist gefallen, und wenn nur mein Tod sie umstoßen kann, dann muss es geschehen - ich habe schon vor einer Weile gesehen, dass mein Leben nicht mehr lange währt, und ich sterbe für alle, die von deiner Mutter ermordet wurden." Ich erstarrte. Mit einemmal hatte ich wieder das Bild des elfischen Geistes Sali-Ath’Aira vor Augen, wie er Inassara traurig ansah und sie kaum merklich nickte. War es bei dieser stummen Zwiesprache darum gegangen? Das auch er gewusst hatte, dass diese Reise Inassaras letzte sein sollte? Natürlich, deswegen hatte er sie aufhalten wollen...
Ich trat entschlossen an Inassaras Seite und hörte mich mit bebender Stimme sagen: "Wenn Joran nun gegen uns steht, so kämpfen wir beide doch vereint." Doch sie schob mich nachdrücklich von sich und sagte: "Nein, Larina; deine Bestimmung ist eine Andere! Dieser Kampf ist der meine." Und noch bevor ich etwas tun konnte, rief sie Joran zu: "Dann bist du wahrhaftig ein gefallener Paladin, Joran von Siltos!", und sie schleuderte ihm einen mächtigen Feuerstoß entgegen. Doch Alaundrel ließ die Flammen einfach verpuffen, und noch bevor Inassara sich wehren konnte, war Joran vorgesprungen und stieß ihr sein Schwert mit solcher Kraft durch die Brust, dass es am Rücken wieder hervortrat.
Inassara sank lautlos zu Boden; ich stieß einen gellenden Schrei aus: "NEEIIIN!!!" und fiel neben ihr auf die Knie. Alaundrels triumphierendes Gelächter schallte durch das riesige Gewölbe. Joran stand wie versteinert und starrte fassungslos auf sein blutiges Schwert.
Ich zog Inassaras Kopf auf meinen Schoß, Tränen rannen über mein Gesicht. Sie sah mich an und flüsterte matt: "Weine nicht jetzt um mich, mein Kind. Du weißt, die Zeit zu Trauern wird kommen, doch jetzt..."
Ihre Stimme erstarb; ihr Blick brach; es war vorbei. Einen Moment lang starrte ich sie an, unfähig, zu begreifen, dass sie tot war, dass Joran sie ermordet hatte...
Doch dann spürte ich plötzlich, wie eine wütende, reine Kraft mich durchfloss. Ich ließ Inassaras Kopf zärtlich zu Boden gleiten und erhob mich langsam. Dann blickte ich direkt in Alaundrels widerlich grinsendes Gesicht, und eine schier unerträgliche Mischung aus Trauer, Schmerz und Zorn erfüllte mich, als ich mit bebender Stimme sprach: "Du hast genug Leid gesät, du Hexe... ja, meine Zeit zu Trauern wird kommen - doch jetzt ist die Zeit, um stark zu sein!!", und mit einem wütenden Aufschrei warf ich den Kopf zurück und breitete die Arme aus.

Dreiundzwanzigstes Kapitel


Ich ließ all den Schmerz und die Wut, die sich seit dem Tod meiner Eltern, ja seit meiner Jugend angesammelt hatten, aus mir herausströmen, und spürte, wie gewaltige Strahlen reiner, weißer Magie von meinen gespreizten Fingern schossen. Durch meinen eigenen Schrei und das gewaltige Rasen meiner Melodie hörte ich das gequälte Kreischen der widerlichen Monster, als meine Magie sie von den Füßen riss und hilflos durch die Luft wirbeln ließ - doch es war mir egal.
Auch als ich sah, wie Joran durch meinen gewaltigen magischen Sturm umgerissen und zu Boden geschleudert wurde, spürte ich weder Mitleid noch Zorn. Ich fühlte, wie meine Seele leer wurde...
Als die Geräusche berstender Knochen und das wilde Schmerzgeheul um mich langsam verstummten, sank ich erschöpft zu Boden, ließ die Arme sinken und der Sturm erstarb. Joran richtete sich langsam wieder auf und sah um sich, als erwache er aus einem Traum.
Um uns herum lagen zahllose zerschmetterte Körper... Die Überreste von Alaundrels grausiger Armee, nur noch hier und da hörte man ein ersticktes Keuchen, das von Überlebenden kündete. Alaundrel, die sich mühsam auf den Beinen hatte halten können, sah reichlich zerzaust zu mir hinüber: "Ich sehe, ich habe dich unterschätzt, Küken... Doch das nützt dir jetzt auch nichts mehr..." und sie schoss einen schwarzen Strahl in meine Richtung. Doch Joran sprang zwischen uns, warf sich vor mich und fing ihren Angriff ab, die Wucht der schwarzen Magie riss ihn zu Boden und Alaundrel stieß einen wütenden und verzweifelten Schrei aus.
Ich erholte mich allmählich von der enormen magischen Anstrengung, und langsam schlich sich die Erkenntnis in meine Gedanken, dass ich nach diesem machtvollen Ausbruch nie wieder die Gleiche sein würde… Ich stand auf und blickte zu Alaundrel hinüber; immer noch fühlte ich mich innerlich leer, war weder zornig noch traurig. Doch Alaundrel war wie gebrochen, sie schwankte und flüsterte heiser: „Nein… Nein, es kann nicht sein…“ Ich verfolgte mit stumpfem Blick, wie sie zu Joran ging und neben ihm in die Knie ging. Erneut legte sie ihr Ohr an seine Brust, und nach einem Moment hob sie den Kopf wieder und sagte mit ausdrucksloser Stimme: „Er ist tot…“ Ihr Gesicht war aschfahl, ihre Hände zitterten und sie sah um Jahre gealtert aus. Ich sah von ihr zu Joran, dann glitt mein Blick langsam zu Inassaras Leiche - es berührte mich nicht. Sie war tot. Joran war tot. Und Alaundrel… Ein kurzer Wutstoß fuhr durch meine Venen, und mit einem Satz war ich bei ihr, hockte mich neben sie und zischte: „Ja, er ist tot, so wie Inassara, und du hast sie beide auf dem Gewissen! Bist du nun zufrieden?“ Sie wandte mir ihr blasses Gesicht zu und sagte leise: „Ich kann nicht ermessen, wie viel Leid du empfindest, doch wenn es dir Befriedigung bringt, dann töte mich…“ Einen Moment lang war ich versucht, es zu tun, doch dann erhob ich mich und blickte verächtlich auf sie hinab. Nein, ich würde sie nicht umbringen. Ihre Macht war gebrochen, ihre Armee zerstört, ihre Pläne gescheitert. Ich würde ihr nicht den Gefallen tun, sie zu erlösen!
Alaundrel erhob sich ebenfalls und trat einige Schritte zurück: „Tu es, ich weiß, dass du es willst! Ich bin bereit zu gehen.“
„Das könnte dir so passen“, erwiderte ich leise mit einer Stimme, die unmöglich meine sein konnte. „Ich werde dich nicht töten, du bist es nicht Wert, dass ich mir die Hände schmutzig mache. Von mir aus kannst du hier unten verrotten und irgendwann mit dem Gedanken sterben, dass dein Leben sinnlos war und du deine Seele mit untilgbarer Schuld beladen hast!“
Ich wandte mich ab. Immer noch war ich wie betäubt, doch langsam spürte ich ein leises Stechen in der Brust: Bald würden der Schmerz und die Trauer, all das Entsetzen über mich hereinbrechen. Ich ließ mich neben Inassaras Leichnam nieder und zog erneut ihren Kopf auf meinen Schoß, wiegte meinen Körper vor und zurück und wartete darauf, dass ich endlich weinen konnte.
Alaundrel hatte keinen Laut von sich gegeben, doch nun trat sie vor mich und sprach mit gesenktem Kopf: „Ich… ich kann nicht wieder gut machen, was ich getan habe. Mein Sohn ist tot, alle, die ich je liebte, sind tot, von meiner Hand ermordet - das Blut all der Menschen klebt an meiner Seele, da kann ich meinen zahlreichen Sünden auch noch eine weitere hinzufügen. Leb wohl, Larina, möge dein Leben nicht so von Irrtümern beherrscht sein wie das meine es war…“
Mit diesen Worten entfernte sie sich, ich sah ihr nach. Was meinte sie damit? Welche Sünde wollte sie nun noch begehen? Ich stand auf und beobachtete, wie Alaundrel die Stufen der Palasttreppe bis zum ersten Absatz emporstieg. Dort blieb sie stehen, aufrecht und stumm. Sie wandte sich um und blickte mir gerade in die Augen. Dann hob sie ihre Hände und ließ auf den Handflächen einen dunklen Nebelball entstehen; ihn nur anzusehen verursachte mir Schmerz, doch ich konnte den Blick nicht abwenden. Und so sah ich zu, wie Alaundrel die schwarze Magie auf sich selber richtete. Sie stöhnte auf, erst leise, dann wurde das Stöhnen zu einem gequälten Schrei, während sie mit ihren Händen die böse Magie in ihren eigenen Körper presste. Ihr Gesicht war nun schneeweiß, Blut quoll aus ihrem Mund, und ihr Schreien wurde zu einem gurgelnden Röcheln, während sie langsam in die Knie ging.
Noch immer presste sie die Hände auf ihren Bauch, und zwischen dem schwarzen Nebel, der aus den Fingern in ihren Körper drang, konnte ich nun auch dort Blut erkennen. Mir war klar, dass sie ihre letzten Kräfte aufbringen musste, hätte sie ihre ganze Macht, wäre sie im Bruchteil einer Sekunde tot gewesen. Ich hätte sie aufhalten können, doch mein Körper und Geist waren nach wie vor wie taub.
Alaundrels Stöhnen wurde immer leiser, schließlich verstummte es und sie sank tot in sich zusammen.
Fast im selben Moment vernahm ich ein dumpfes Grollen, das aus den Tiefen der Erde zu kommen schien. Der Boden erzitterte, ich konnte mich nur mit Mühe auf den Beinen halten. Ich sah mich um. Um mich herum lagen zahllose Leichen, unter ihnen die von Inassara und Joran.
Mein Blick schweifte über die toten Monster, die in wirren Haufen auf dem Boden lagen, und mit einem Mal sah ich, wie die mir am nächsten liegende Leiche sich veränderte: Ihre schmerzverzerrten, starren Gesichtszüge fielen in sich zusammen, Haut und Fleisch schmolzen förmlich dahin.
Die Knochen zerbröselten, schließlich zerfiel der ganze Körper mit leisem Knistern und zurück blieb nur eine Art feuchter Abdruck auf dem Boden.
Ich blickte auf, und der Zerfall setzte sich auch an den anderen Leichen fort: Sie verwesten mit zunehmender Geschwindigkeit, begleitet von einem merkwürdig rieselnden Geräusch, das als leises Rauschen durch das Gewölbe hallte und mich mit Ekel erfüllte. Ich konnte kaum fassen, dass ich all diese Wesen umgebracht haben sollte…
Die Leichen Inassaras und Jorans schienen von der Zerstörung unbeeinträchtigt, sie sahen aus wie zuvor. Als ich Inassaras blasses Gesicht sah, stieg plötzlich der Schmerz in mir hoch und brach in einem heiseren Schluchzen hervor. Ich fiel auf die Knie und weinte verzweifelt wie ein kleines Kind. Es war alles zuviel für mich, die ganze Zeit hatte ich das Grauen aus meinem Herzen verdrängt, doch nun… All der Tod um mich her, der schreckliche Verlust auch der letzten Menschen, die mir auf der Welt etwas bedeutet hatten, das alles stürmte nun auf mich ein und nahm mir fast den Atem. Ich wollte mich ganz meinem Schmerz hingeben, doch da hörte ich wieder jenes Grollen, und der Boden erzitterte noch stärker als beim ersten Mal.
Ich erhob mich schwankend, und durch den Tränenschleier sah ich zu Alaundrels totem Körper hinauf, der nach wie vor auf dem Treppenabsatz lag. Schwarzer Dunst stieg von ihm auf, kräuselte sich in der Luft und ergoss sich als fast unsichtbarer Schleier über die Leichen am Boden, über die Säulen und Statuen, einfach über alles.
Das Grollen wurde lauter, der Boden bebte immer heftiger, und plötzlich brach mit einem furchtbar berstenden Krachen die Treppe unter Alaundrel auseinander, ein tiefer Spalt zog sich durch die Stufen nach oben und unten, klaffte immer weiter auseinander. Doch Alaundrels toter Körper fiel nicht etwa in die Tiefe, er schwebte über dem gerade entstandenen Abgrund und verströmte weiter jenen dunklen Nebel.
Der Dunst rankte sich in breiten Streifen die Treppe empor und erreichte bald den eigentlichen Tempel. Stück für Stück fraß sich die Dunkelheit an den Wänden und Säulen empor, das Grollen wurde immer lauter und dann ertönte abermals ein ohrenbetäubendes Krachen: Der Dunst hatte sich auch die Treppe hinab ausgebreitet; dort, wo er über den Boden kroch, schien dieser augenblicklich zu zerfallen... Das Gleiche geschah mit dem Tempel. Unter gewaltigem Lärm begann das riesige Gebäude, langsam einzustürzen. Säulen brachen, herabstürzende Statuen zerbarsten auf dem Boden. Das ganze Gewölbe bebte nun, und überall zersprang das Gestein und stürze un großen Brocken herab.
Ich wusste kaum, wie mir geschah. Langsam dämmerte mir, dass ich hier sterben würde, wenn ich nicht schnell davonlief und mich in dem Tunnel, durch den wir gekommen waren, verbarg. Vielleicht könnte ich das Portal öffnen... Doch ich konnte Inassaras und Jorans Leichen nicht einfach hier lassen! Sie durch die herabetürzenden Trümmer zum Ausgang der Tempelstadt zu tragen, würde ich allerdings nicht schaffen - mein Körper war von der letzten magischen Anstrengung noch völlig ausgelaugt. Ratlosigkeit und zunehmende Verzweiflung machten sich in meinem Denken breit.
Dann traf ich eine Entscheidung. Ich wollte versuchen, die beiden Toten so weit wie möglich mitzuziehen - wenn ich nicht mehr konnte, würde ich mir etwas anderes einfallen lassen. Doch als ich mich zu den Leichen umwandte, um auszuprobieren, wie sie sich am besten tragen ließen, traf mich etwas Hartes am Kopf und ich verlor das Bewusstsein.
 
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Ja hallo,

wer hätte das gedacht, das sich ne Schriftstellerin bei uns in die AFH verirrt hat? Liest sich richtig locker flüssig runter, das wird bestimmt ne gute Geschichte. Bin schon gespannt wie's weitergeht .
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hmmmmm habs mal angelesen und bin anscheinend der erste der wirklich konspirative kritik liefen wird wies scheint!*g*

Also ich will ja niemanden entmutigen aber ich finde die story hat wohl seine solide basis aber leider nicht viel mehr!

Die Charaktere sind im moment noch ein wenig zu oberflächlich sowie deren handlungen, ich geb mal nen Beispiel: Also dieser Paladin taucht einfach so bei larina auf und erzählt ihr von der Seuche und dann will Larina unbedingt sofort los und das nachprüfen und er begleitet sie natürlich auch sofort,,, wobei man sich bei der passage insgesamt fragt : WAS für eine Funktion hat der Paladin überhaupt!

Außerdem Larinas schneller Sinneswandel gegenüber Jaron kommt doch zu sprunghaft: erst will sie ihn mit dem Schührhaken ordentlich das gesicht umgestalten und ; oh nein der Pala is ja verwundet dem muss ich aber sofort helfen!!!!*g*

Ach ja das Inassara ne Magierin is und Larina ausbilden will komt auch viel zu überhastet!

Erinnert stellenweise ein wenig an die Holzhammermethode! Der Leser möchte aber vielmehr unbewusst dahingeführt werden und nicht mit so brachialen mitteln hingetreten werden wo er hin soll!^^

Hmmm dein Stil ist auch noch nicht so ausgereift wenn es darum geht den handlungsstrang weiterzuführen , ich meine damit alles kommt zu schnell aufeinander, es fehlen Ausschmückungen, liest sich am anfang son bichen wie und dann und dann und dann und dann und dann.

Hoff mal das war jetzt nicht zu hart und entmutigend, ich schreibe so weil ich einfach den subjektiven Eindruck habe.

Hmmm ach ja wenn du ne Story postest dann hast du bestimmt auch Geschichten von Reeba oder Ifurita gelesen da sollte man sich was vom stil abgucken, bei reeba vonner gutdurchdachten Storyline und den schönen Ausschmückungen, Erzeugung von Atmossphäre und den an den Leser gut herangetragenen Charakteren und bei Ifurita [ich verwechsel da hoffentlich nich was]is die Story zwar auch nicht schlecht die Umsetzung vom Stil her auch aber eine komplett andere als bei Reeba da er vielmehr mehr Humoristischen Ansätzen arbeitet was auch eine nette abwechslung sein kann, zu dem sind seine Protagonisten auch sehr schön dargestellt!


So das mal von mir

Mfg ChaosTheRogue

Ps: Grammatik und Rechtschreibfehler wenn gefunden dürfen ausnahmslos behalten werden!^^
 
Da kann man unterschiedlicher Meinung sein. Mir persönlich gefällt es, wenn sich die Story nicht in 150k Details verliert, aber ich bin ja eh mehr der Kurzgeschichtenfan. ^^
Ich freu mich schon auf die Fortsetzung :go:
 
Hi Leute, hier kommt Kapitel 24 - Das große Finale folgt bis Ende der Woche!!

Viel Spaß beim Lesen, Anny

Vierundzwanzigstes Kapitel


Als ich wieder zu mir kam, befand ich mich zunächst in einem Zustand angenehmer Benommenheit: Ich wusste nicht, wo ich mich befand oder was geschehen war; alles, was zählte, war die Tatsache, dass ich in einem warmen, weichen Bett lag und sanftes Sonnenlicht wie ein rötlicher Schimmer durch meine geschlossenen Augenlider drang. Mit einem leisen Seufzer streckte ich mich behaglich unter der Decke aus. Doch gerade, als ich mich noch für ein Weilchen dem süßen Schlaf hingeben wollte, traf mich wie ein Hammerschlag die Erinnerung an alles, was passiert war…
Ich riss die Augen auf und fuhr hoch; sofort stöhnte ich laut auf, denn ein stechender Schmerz raste auf einmal durch meinen Kopf, hämmerte hinter meinen Schläfen und nahm mir fast den Atem. Der Schlag auf den Kopf! Daher musste der Schmerz kommen.
Ich schluchzte auf: Inassara tot, Joran tot, meine Familie tot – alle waren tot, nur ich nicht! Am liebsten wäre ich auch gestorben. Durch den Tränenschleier sah ich mich um: Ich befand mich in einem großen, hellen Raum; durch zwei Fenster fiel Sonnenlicht hinein und bildete hübsche Muster auf den weißen Wänden und dem hölzernen Fußboden.
Diese milde Schönheit führte mir jedoch nur umso mehr vor Augen, was mir alles genommen worden war…
In der Wand links von dem großen Bett, in dem ich nun saß, befand sich eine Tür. Sie war angelehnt. Ich tastete nach meinem Kopf und erfühlte einen dicken Verband. Probeweise streckte ich die Beine aus dem Bett und stellte die Füße auf den Boden: Er war angenehm warm. Ich stand auf und ging ein paar Schritte, zwar etwas wackelig, doch es ging. Wenngleich ich mich vor Schmerz und Trauer innerlich zusammenkrümmte, so war doch ein Teil meiner beträchtlichen Neugier geblieben und übernahm nun die Führung.
Wer auch immer mich gerettet hatte, er hatte meinen geschundenen Körper in ein weiches, helles Leinenkleid gehüllt. Neben dem Bett stand auf dem Boden ein Paar lederne Halbschuhe. Ich schlüpfte hinein: Sie passten. Bei näherer Untersuchung des Raumes stellte ich fest, dass meine Waffe verschwunden war, auch meine alten Kleider ließen sich nirgends finden. Aber das war mir egal, ich wollte nun herausfinden, wo genau ich war und wer mich hierher gebracht hatte…

Leise schlich ich zur Tür; ich zog sie auf, machte einige Schritte in den dahinter liegenden dämmerigen Korridor hinein – und stieß prompt mit Jemandem zusammen, der aus einer anderen Tür kam. „Aua!“, rief ich; der Andere – ein Mann – fluchte ausgiebig. Wir hielten uns beide den Kopf, und als wir einander die schmerzverzerrten Gesichter zuwandten, stießen wir gleichzeitig einen überraschten Schrei aus:
„Larina!“
„Joran!“
Ich konnte es nicht fassen: Joran lebte! Wie war das möglich? Doch bevor ich weiter darüber nachdenken konnte, sagte er: „Ich dachte, Alaundrel hätte dich umgebracht! Weißt du, wo wir hier sind?“
Ich fühlte mich wie benommen. Wenn Joran lebte, war vielleicht auch Inassara… Hoffnung durchströmte mich wie warmer Wein, und ich erwiderte: „Ich habe keine Ahnung, wo wir sind – vor ein paar Minuten wachte ich in diesem schönen Zimmer auf. Weißt du, wer uns hierher gebracht hat?“ Joran kratzte sich nachdenklich am Kopf. Erst jetzt fiel mir auf, dass auch er reichlich lädiert aussah: Zwar trug er ebenfalls ein helles, langes Leinengewand, doch an Armen und Beinen konnte ich etliche Bandagen erkennen.
Nun sagte Joran: „Ich erinnere mich eigentlich nur noch daran, dass meine Mut- Alaundrel dich angriff und ich dich schützen wollte; danach ist alles schwarz…“
Er senkte den Kopf. Der Gedanke an seine Mutter machte ihm sichtlich zu schaffen, und eine Woge des Mitleids überkam mich. Ich wollte ihn umarmen, ihn trösten – doch als ich Anstalten dazu machte, hob er so abrupt den Kopf, dass er mein Kinn traf und ich für einen Augenblick nur noch Sterne sah.
Er entschuldigte sich sofort, und nachdem wir einen Moment lang betreten und mit puterroten Köpfen dagestanden hatten, meinte ich: „Äh, Joran, was hältst du davon, wenn wir uns weiter hier umsehen?“
Er stimmte erleichtert zu und wir gingen gemeinsam den Gang entlang, bis wir an eine große, weiße Pforte kamen. Joran stieß sie auf, und wir traten hinaus auf eine Lichtung: Wir befanden uns mitten in einem Hain, Schmetterlinge flatterten umher, und an den umstehenden Bäumen standen zierliche kleine Hütten, die sich mit großen, prächtigen Gebäuden abwechselten, die irgendwie zum Wald zu gehören schienen.
Joran stieß scharf die Luft aus, und auch mir dämmerte es: Hier waren wir schon einmal gewesen! Dies war der Hain, in dem Inassara und ich den Geist des Elfen Sali Ath’Aira getroffen hatten – Joran wusste davon natürlich nichts, wahrscheinlich erinnerte er sich eher an die unschöne Begegnung zwischen Alessius und seinen, Jorans, Stiefeln.
Wir sahen uns an, und Joran stammelte: „Das… Das sind ja Elfen…“.

Der Hain war nicht länger verlassen: Auf der Lichtung tummelten sich zahllose anmutige Geschöpfe, die dem Geist glichen, den ich getroffen hatte. Doch diese Elfen hier lebten, sie waren wahrhaftig da! Also hatten Inassara und ich wirklich Erfolg gehabt… Tränen füllten meine Augen. Inassara… Wie sie sich gefreut hätte, das alles hier zu sehen… Ich konnte mir nichts vormachen: Mit eigenen Augen hatte ich gesehen, wie sie starb.
Als ich gerade in düsterste Gedanken zu versinken drohte, kamen auf einmal einige große, schlanke Gestalten auf uns zu: Offensichtlich Menschen, und alles Frauen.
Eine von ihnen trat vor mich hin, schloss mich sanft in ihre Arme und wiegte mich wie ein kleines Kind hin und her. Ich ließ es geschehen, und ich spürte, wie ein Gefühl des Trostes in mir aufstieg, wie ich es seit meiner Kindheit nicht mehr empfunden hatte.
Nach einer Weile ließ die Frau von mir ab, sah mich an und sagte leise: „Ja, du bist es, Larina; genau so hat unsere Schwester dich uns beschrieben. Komm mit uns, kommt beide mit uns. Wir sind Inassaras Orden, der Orden der Magija, und du möchtest Inassara sicher noch einmal sehen.“
Ich war wie betäubt: Das konnte doch nur heißen, dass Inassara irgendwo aufgebahrt lag! Die schreckliche Gewissheit ihres Todes schnürte mir einmal mehr die Luft ab, ich schwankte wie nach einem Schlag. Irgendwo in meinem Unterbewusstsein regte sich leise die Frage, warum diese Frauen eigentlich hier waren, nun, da es zu spät war; schließlich hatten sie Inassara ausgeschlossen…
Doch im Moment wollte ich nichts als Inassara zu sehen, auch wenn meine Trauer noch so groß war, und Joran und ich schlossen uns der Gruppe an und folgten dem Orden der Magija tiefer hinein in den Wald.
 
ich persönlich finde, das der stil vom ersten bis zum fünften kapitel schon besser geworden ist.

wenn du die vorschläge von theRouge beherzigst, wird er sicher noch besser.

ich habe die geschichte sehr gerne bis hier her gelesen und würde mich freuen, wenn noch viele kapitel folgen würden.

ich habe auf jeden fall großen respekt vor jedem der sich traut hier eine story zu veröffentlichen. ich selbst lese sehr gerne würde aber mit sicherheit keine ansprechende geschichte aufs papier bzw den bildschirm bekommen.

Gruß, Helldog

p.s.: lass dich auf keinen fall von kritik verrückt machen. jedem kannst du es nicht recht machen und einen eigenen stil entwickelt man sicherlich nicht über nacht, also einfach weitermachen und üben.
 
So, hier nun endlich das Finale der Geschichte - vielleicht gibt es ja noch die eine oder andere Wendung... Wie auch immer, ich hoffe, es gefällt Euch und Ihr seid auch bei der nächsten Story wieder als Leser und Kritiker dabei!!

Doch nun viel Spaß:

Fünfundzwanzigstes Kapitel

Wir kamen auf eine weitere Lichtung, und bei näherem Hinsehen erkannte ich, dass wir uns an jenem heiligen Ort befanden, an dem Sali Ath’Aira seine kleine Hütte gehab hatte.
Sie stand auch noch da, doch dort, wo bei unserem letzten Besuch noch jener merkwürdige Schrein gestanden hatte, auf dem der elfische Geist das Artefakt beschworen hatte, war nun ein steinernes Podest erbaut worden, und darauf – darauf lag Inassaras Leiche, schön und bleich… Sie sah aus, als schliefe sie – so friedlich…
Ich stürzte zu ihr, ergriff ihre kalte Hand und schluchzte hemmungslos. Da erklang hinter mir auf einmal eine wohlbekannte Stimme:

„Larina. Larina! Kindchen…“

Ich fuhr herum, und vor mir standen – oder vielmehr schwebten – Inassara und der Elfengeist.
Die Luft um sie herum war merkwürdig verschwommen, und ich meinte, hinter ihnen etliche schemenhafte Gestalten zu erkennen.
Der Geist – oder die Seele - meiner Amme sah mich liebevoll an und sagte dann mit mildem Tadel in der Stimme:
„Kindchen, wie du aussiehst… Wisch dir doch die Tränen ab! Sieh mal, es geht mir gut… Ich sehe dich, die ganze Zeit, und ich werde immer bei dir sein. Und eines Tages, wenn auch deine Zeit gekommen ist, werden wir uns wieder sehen! Ich werde hier auf dich warten. Und all meine Schwestern sind da…“
Inassara wandte sich an die Ordensfrauen.
Die, die mich vorhin so herzlich umarmt hatte, fiel auf die Knie und flüsterte: „Inassara… Schwester! Es - es tut mir so Leid! Wie konnten wir nur –„
Doch Inassara lächelte sie zärtlich an und sagte rasch:
„Aber nein, Eliora! Ihr habt nur dem Kodex gehorcht. Und nun ist meine Seele frei, und ich kann euch alle für den Rest eures Lebens begleiten, bis wir endlich wieder vereint sind. Versprich mir nur, dass du dich um Larina kümmerst… Sie ist zur Magija bestimmt…“
Ihre Stimme entfernte sich, ihre Konturen verblassten. Die Magija, die Eliora hieß, flüsterte mit tränenerstickter Stimme: „Ja… Ja, das werde ich…“

Der Geist des elfischen Priesters sah mich an und sprach: „Larina… Du hast mein Volk wieder zusammen geführt, und unser aller Dank und Segen sollen dich immer begleiten.
Inassara und ich müssen nun gehen, doch eines will ich dir noch sagen: Jene, die du einst geliebt und auf so schreckliche Weise verloren hast, sind hier bei uns! Es geht ihnen gut, sie warten ebenfalls auf dich.
Dein Leben aber geht nun weiter… Du musst dich auf die konzentrieren, die leben… Nichts ist wichtiger als das Leben! Denn nur nach einem erfüllten Leben kann man wahren Frieden finden…“
Schon verblasste auch er, da sprang Joran plötzlich vor und rief: „Du – Geist, oder was du bist – sag mir, ist meine Mutter auch bei euch? Wartet sie auf mich und –„
Der Geist lächelte Joran traurig an.
Dann sprach er, doch es war kaum mehr als ein vom Wind getragenes Flüstern: „Junger Paladin… Ja, ein wahrer Paladin bist du, wenngleich dein Orden dich verstieß… Ja, deine Mutter ist hier. Doch ihre Seele ist verwirrt und wandert im Dunkel… Mag sein, dass die Liebe eines Sohnes ihr eines Tages Frieden in der ewigen Sphäre bringen kann.
Aber auch du musst dein Leben fortsetzen – glaube mir, deine Mutter wird es wissen und wenn du glücklich bist, wird ihr Geist wieder klar und ihre verlorene Seele sicher wieder gesund!
Doch nun leb wohl… lebt alle wohl und wisset, dass die Verstorbenen euch nicht verlassen, solange ihr sie in euren Herzen tragt.
In jeder Liebe, jedem Lachen und jedem Windhauch klingt die Musik der Seelen…“

Und mit diesen Worten verblassten und verschwanden die beiden Gestalten endgültig. Ich meinte für einen Moment in jener trüben Luftspiegelung vor mir das lächelnde Gesicht meiner Mutter zu sehen; sie sah glücklich aus… Kurz darauf erschienen die Gesichter meines Vaters und meiner Geschwister, ja alle, die ich je geliebt hatte und die nun tot waren, schienen mir für einen kurzen Moment zuzulächeln…

Dann war es vorbei, und mir war, als erwachte ich aus einem Traum. Neben mir stand Joran, der ebenfalls verwirrt aussah.
Wir sahen einander an – und dann geschah das Unglaubliche: Wir vergaßen alles um uns herum. Er fasste mich an den Händen, kam nah an mich heran und flüsterte: „Wir haben beide viel verloren. Doch wir haben einander gefunden – auch wenn es nicht immer leicht war. Es tut mir Leid, dass ich immer –„
Ich unterbrach ihn, indem ich ihm mein Gesicht entgegen hob und seine Lippen mit einem Kuss verschloss.

Niemals hätte ich mich das früher getraut, doch nun war alles anders, ja ich war eine Andere.
Ich fühlte mich stark und selbstbewusst, spürte die Magie in mir und wusste, dass ich nicht länger ein dummes, naives Mädchen war.
Joran schien kurz überrascht, doch dann erwiderte er meinen Kuss voller Leidenschaft. Ich fühlte mich wie auf Wolken, wollte für immer in diesen starken Armen versinken und seinen Duft einatmen…
Als wir uns nach einer Weile voneinander lösten, standen etliche Elfen und die Gruppe der Magija um uns herum und lächelten uns zu.
Nun wurde ich doch etwas verlegen (und natürlich rot) und wollte von Joran abrücken, doch er hielt mich fest: „Nein, ich lasse dich nicht wieder gehen, Larina…“, sagte er leise. Ich fühlte, wie eine heiße Woge mich durchfloss, und blieb an seiner Seite.

Eliora trat auf uns zu und sprach: „Larina, ich möchte, dass du unserem Orden beitrittst – es war Inassaras Wunsch, und nach allem, was du geleistet hast, hast du es dir redlich verdient. Wenngleich du auch keine geborenen Magija bist, so fühle ich doch eine starke Magie in dir…“
Ich schüttelte den Kopf, und erst als ich die Worte aussprach, wurde mir klar, was ich wirklich wollte: „Nein. Ich fühle mich geehrt, aber mein Weg führt mich woanders hin – nach Karus, oder was davon noch übrig ist. Ich – wir wollen es zusammen wieder aufbauen.“ Mit einem Seitenblick erhaschte ich Jorans zustimmendes Lächeln.
Eliora nickte langsam. „Ja… Ich kann in deiner Melodie hören, dass dieser Weg zu deiner Seele passt. Du könntest eine mächtige Magija werden, aber du kannst noch viel mehr vollbringen… Doch gestatte mir bitte, dich von Zeit zu Zeit zu besuchen und über Inassara zu sprechen, ja?“
„Sehr gerne“, erwiderte ich.
Erst heute weiß ich, wie hoch Eliora mich damals schon schätzte, denn eine Magija empfindet normalerweise Nichts als so wichtig wie die Magie.

Joran und ich blieben noch einige Tage bei den Elfen;
sie stellten uns ein kleines Häuschen zur Verfügung, und mit Joran erlebte ich endlich, was Liebe alles sein kann – mit Nichts zu vergleichen, was ich kannte! Niemals hätte ich hinter seiner oft etwas ruppigen und sturen Fassade solche Zärtlichkeit, solch reine Liebe erwartet, wie ich sie bei ihm fand. Alles, was jemals zwischen uns gestanden hatte, war vergessen, wir genossen jeden Atemzug und jede Sekunde, die wir miteinander verbrachten, in vollen Zügen…

Doch eines Tages war die Zeit für unseren Aufbruch gekommen.
Wir reisten ein Stück weit mit den Magija, die uns zwei Pferde liehen. Das letzte Stück Weg legten wir alleine zurück – es war eine wahre Freude, durch das nun wieder erlöste Land zu reiten und überall Leben zu sehen – Tiere, Pflanzen, Menschen, alles erholte sich allmählich von dem unnatürlichen Winter.
Manchmal überkam mich ein seltsames Gefühl bei dem Gedanken, dass keiner dieser Menschen jemals wissen würde, wie knapp sie alle dem Verderben entkommen waren… Doch nun würde sich alles zum Guten wenden.

Als wir uns Karus näherten, beschlossen wir, zuerst meinen Hof zu besuchen. Wir fanden ihn so vor, wie wir ihn verlassen hatten – von ein paar Frostschäden einmal abgesehen. Von dort aus begannen wir mit den Vorbereitungen zum Wiederaufbau der Stadt, und auch unsere Beziehung wurde immer intensiver…

Joran und ich heirateten etwa zwei Jahre später im Kloster, und gemeinsam mit etlichen Menschen aus der Umgebung sowie mithilfe der Mönche gründeten wir die Stadt Karus nach viel Planung und Vorarbeit neu.
Eines Tages, wir saßen gerade über den Bauplänen für eine Marktstraße, in der mehrere Häuser mit fest angebauten Verkaufsständen entstehen sollten, traf ein Bote bei uns ein.
Er sprach lange allein mit Joran, der daraufhin mit glühendem Blick zu mir kam und sagte: „Stell dir vor, Larina, ich – ich kann den Orden des Tykar neu auferstehen lassen!
Im Südwesten befindet sich noch eine Enklave, und sie wollen mich als Paladin wieder aufnehmen und zum Verbreiter ihres Glaubens machen! ich kann durch das ganze Land, durch die ganze Welt reisen und den Glauben an Tykar neu verbreiten… Ja, vielleicht kann ich ein wenig von dem Unrecht, das meiner Mutter widerfuhr und durch sie weitergegeben wurde, wieder gutmachen!“

Meine Hände fuhren unwillkürlich zu meinem sich langsam rundenden Bauch, und der Gedanke, Joran gehen zu lassen, machte mich unglaublich traurig – doch ich wollte ihm seinen Traum nicht nehmen, und er wäre ohnehin gegangen, er konnte gar nicht anders. Das war nun einmal seine Bestimmung – seine größte Leidenschaft, gegen die selbst ich nicht ankam…
Also sagte ich nur leise: „Versprich mir, dass du wiederkommst – bitte!“
Er küsste mich und versprach es, und noch am selben Tag reiste er mit dem Boten ab, gen Südwesten…


Epilog

An manchen Tagen fehlt mir Joran sehr. Es ist nun fünf Jahre her, dass er verschwand, doch ich weiß, dass er wiederkommen wird!
Und die Zwillinge sind mir ein großer Trost: Die kleine Sara und ihr Bruder Jon sind der Sonnenschein meines Lebens – und sie gleichen beide so sehr ihrem Vater, vor allem Jon, sodass ich Joran oft in ihren Gesichtern sehen kann.
Auch Elioras Besuche sind mir immer wieder Trost und Freude: Wir tauschen uns aus, reden über Inassara und manchmal vereinen wir unsere magischen Melodien, um den Segen der großen Magie zu erflehen. Ja, ich bin zwar keine echte Magija geworden, doch ich bin mir meiner Kräfte immer bewusst – und wer weiß? Vielleicht hat Sara ja etwas davon geerbt, Eliora meint jedenfalls, dass sie durchaus eine Ausbildung als Magija genießen könnte… Wenn sie etwas größer ist.

Die Erinnerung an jenen schrecklichen magischen Winter wird mich wohl nie ganz verlassen, doch manchmal, wenn ich an einem sonnigen Tag über die weiten Felder reite, höre ich den Gesang der Seelen und weiß, dass Inassara und alle, die ich je liebte, bei mir sind, und das tröstet mich und lenkt mich von den düsteren Gedanken ab. Ich bin mir sicher, dass Inassara meine Entscheidung gegen den Orden der Magija verstanden hätte, dass sie meinen neuen Weg gutheißen würde.
Und bestimmt hört auch Joran die Gesänge der vergangenen Seelen - bald, bald wird er wiederkommen…



So long, Anny
 
ich will ja nicht unverschämt sein, und ich habe selbst auch lange nichts mehr von mir hören lassen, aber dafür dass du täglich ein kurzes up posten wolltest, steht der thread hier schon lange verwaist.

ich freue mich auf das nächste up und hoffe jetzt nicht zu frech gewesen zu sein.

Gruß, Helldog
 
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