@Dark: Du hast recht, ist ein bisschen viel Tempo. Ich werd drauf achten, versprochen!
Und es freut mich, dass es dir gefällt
Edit: Da ich kein Doppelpost machen will, editiere ich diesen Posting. Die vorangegangenen Storyteile könnt ihr übrigens zum folgenden Kapitel zählen.
Kapitel 1
Langsam schritt Taelinna das Schlachtfeld durch. Aufmerksam schweifte ihr Blick durch die Szenerie, bis sie an einer dunklen, reglosen Gestalt haften blieb.
Beeindruckend, dachte sie. Obwohl die Assassine eindeutig keine Erfahrung mit dem Kampf gegen Monster hatte, war nahezu eine ganze Gruppe von Gefallenen von ihr ausgelöscht worden.
Wenn sie den Schamanen zuerst erledigt hätte, sinnierte Taelinna weiter,
hätte die Assassine die verbliebenen Monster in aller Ruhe töten können. Denn ohne Anführer waren diese roten Kreaturen nur ein erbärmliches Häufchen.
Die Zauberin änderte ihre Laufrichtung und steuerte nun auf die am Boden liegende Attentäterin zu. Einen Schritt vor ihr blieb Taelinna stehen. Sie konnte den Geruch von versengtem Fleisch riechen.
Himmel, dachte sie,
die ist ja regelrecht gebraten worden. Sie beugte sich über die Bewusstlose und fing an, sie zu untersuchen.
Sieht kritisch aus, überlegte sie,
aber nicht allzu schlimm. Das Gesicht war noch heil geblieben und die Haare waren nicht verbrannt, sondern schwelten bloss. Anders sah es mit dem Rest aus: da es keinen nennenswerten Schutz gab (denn Lederkleider, wie die Assassine sie trug, zählten nach Taelinnas Ansicht nicht dazu), war praktisch ihr ganzer Körper verbrannt.
Auf einmal bewegte sich die bewusstlose Attentäterin. Ein leises, qualvolles Stöhnen folgte.
Sie ist zäh, dachte Taelinna. Die Verwundete blinzelte.
„Guten Tag“, begann die Zauberin freundlich, „da Ihr ja nun wieder bei Bewusstsein seid, wäre es an der Zeit, sich vorzustellen. Mein Name ist Taelinna.“
Keine Antwort.
„Und im übrigen“, fuhr Taelinna fort, während ihre Lippen unmerklich nach oben zuckten, „verdankt ihr mir Euer Leben. Ihr steht von nun an in meiner Schuld.“
Diesmal öffnete die Assassine ihre Augen. Der Umriss des Gesichtes ihres Gegenübers zeichnete sich im hellen Licht des Himmels überdeutlich ab. Das Gesicht war umrahmt von langem, schwarzem, dichtem Haar, das sanft gewellt abfiel. Die Augen waren von sanften Brauntönen erfüllt, ihre zierliche Nase drückte Sanftmut aus.
Nur der Mund passte nicht zu ihrem schönen Gesicht. Das breite, kecke Grinsen empfand sie als bodenlose Frechheit.
Erbost gab die Assassine zurück: „Einen Teufel schulde ich Euch! Das verdammte Fratzengesicht hätte ich auch so erwischt.“
„Tatsächlich?“, fragte Taelinna, immer noch grinsend. Dann machte sie plötzlich ein bedauerndes Gesicht –
für meinen Geschmack ein bisschen zu bedauernd, dachte die Assassine – und meinte: „Nun gut, wenn Ihr glaubt, alleine zurechtzukommen, will ich Euch nicht um die Ohren liegen.“ Sie stand auf, verbeugte sich artig und sprach mit formeller Höflichkeit: „ Es war mir eine Freude, Euch kennen zu lernen, auch wenn ich Euren Namen nicht erfahren habe. Ich wünsche Euch einen Guten Tag und viel Glück auf Eurem Weg.“ Damit drehte sich die Zauberin um und schritt langsam von dannen.
Sekundenlang starrte Alyenah in die Luft, wo eben das Gesicht Taelinnas gewesen war. Dann begriff sie mit Schrecken, dass sie alleine war, verletzt und unfähig, sich zu bewegen.
„Wartet!“ keuchte sie.
Die Zauberin hielt tatsächlich inne. Sie drehte sich um und schaute höflich mit fragendem Gesichtsausdruck zur Assassine herüber.
„Mein Name ist Alyenah“, sagte sie gepresst.
„Sehr erfreut“, gab Taelinna zurück, immer noch höflich.
„Ich könnte...“, ihre Stimme klang noch gepresster, „...ein wenig Hilfe gebrauchen.!“
Taelinna machte ein überraschtes Gesicht.
„Tatsächlich?“, sagte sie wieder, „ich hatte irgendwie den Eindruck, dass meine Hilfe nicht erwünscht wäre.“
Alyenah schloss die Augen. Sie wünschte, ihr Gegenüber würde mit diesem grausamen Spiel aufhören.
„Das....das muss ein Missverständnis sein!“, brachte sie durch die gepressten Zähne hervor.
„Oh, in diesem Fall muss ich mich wohl entschuldigen.“, meinte die Zauberin. Wenigstens konnte die Assassine nicht das unverschämte Grinsen sehen, dass sich auf Taelinnas Gesicht ausbreitete.
Die beiden Frauen wanderten nun schon seit Stunden durch die flache, mit einzelnen Felsgruppen bedeckte Graslandschaft. Alyenah schritt neben der Magierin, welche scheinbar ruhig ihren Weg ging.
Anfangs war Alyenah ziemlich wütend gewesen über die Boshaftigkeit, mit der Taelinna ihr kleines Theater aufgeführt hatte. Auch wenn sie begriff, dass die Zauberkundige sie nur genarrt hatte, fand sie die Situation, in der die beiden miteinander Bekanntschaft geschlossen hatten, keineswegs komisch.
Taelinna ging in die Hocke und beugte sich über die Assassine, während sie eine rote, halbrunde Ampulle aus ihrer Tasche kramte. Sie entstöpselte das Gefäss und raunte der anderen Frau freundlich zu, sie möge doch „Aaaah“ machen.
Alyenah tat nichts dergleichen. Sie starrte die Zauberin nur an. ‚Sie veralbert mich’, dachte sie. Langsam keimte in ihr blanke Wut auf. Erst musste sie sich ihrer Haut unter Einsatz ihres Lebens gegen ein Haufen missgestalteter Kreaturen erwehren. Dann wäre sie beinahe durch einen aberwitzigen Feuerteufel buchstäblich verkohlt worden. Und nun noch eine Zauberin, die sich nicht entblöden mochte, vor einer Verwundeten herumzualbern.
Nun hob Taelinna ihre linke Augenbraue.
„Soll ich Euch jetzt nun helfen oder nicht?“ fragte sie mit gespielt fragendem Ausdruck. In berechnender Manier zog sie ihre Hand mit der Ampulle zurück und suchte scheinbar nach dem Stöpsel. Alyenah sah überdeutlich die Ampulle, die, wie sie selbst wusste, ihre Verletzungen heilen konnte. Im Gesicht der Assassine arbeitete es. Dann schluckte sie hart. Langsam, zögernd und widerwillig machte sie ihren Mund auf und sagte: „Aaah“. Scheinbar überrascht hob die Zauberin den Kopf, sah ihren Gegenüber an, und überlegte – scheinbar – , was sie mit einem aufgesperrten Assassinenmund anfangen solle.
Für diesen einen Augenblick hätte Alyenah ihre Retterin aufschlitzen mögen, hätte sie es vermocht. Doch sie überwand ihren Ärger und hielt tapfer ihren zierlichen Mund aufgesperrt.
Nach einem ewigen Augenblick, so schien es, fühlte sie das kühle Gefäss an ihren Lippen. Gierig saugte sie die Flüssigkeit auf, die aus der Öffnung sprudelte.
Sie fühlte, wie die Schmerzen an ihrem Körper verschwanden. Probeweise versuchte sie, ihren Kopf anzuheben. Es klappte. Dann die Arme. Ein feiner Schmerz durchzuckte sie. Ihr rechtes Bein war immer noch verwundet, doch die Blutung versiegte rasch ob der Wirkung des Heiltrankes. Vorsichtig richtete sie sich auf. Übelkeit durchfuhr sie. Doch sie stemmte sie weiter vor, presste die Zähne zusammen. Schliesslich hatte sie es geschafft. Sie stand nun aufrecht auf ihren zwei Beinen. Die Assassine schloss kurz die Augen und atmete tief aus.
Als sie ihre Augen öffnete, suchte sie den Blick der Magierin. Sie stand da, nur zwei Schritte von ihr entfernt. Ihr Gesicht war ohne jegliche, wenngleich freundliche Bosheit, ohne jeglichen Spott. Schweigen.
Die schwarz gekleidete Kämpferin sah jung aus, ihr ovales Gesicht wirkte fast schon knabenhaft. Funkelnde Augen zierten ihr Gesicht. Ihre kurze, schmale Nase passte perfekt zu ihrem dünnen Mund. Deren Lippen nun vor Wut zusammengepresst waren.
Amüsiert ob dieser Erkenntnsi, verbeugte sich Taelinna kurz und sagte: „Bitte verzeiht mein unhöfliches Benehmen. Aber manchmal neige ich zu etwas ... unnötigem Schalk, selbst in unpassendsten Situationen.“
Die Zauberin sah, wie die Assassine mühsam schluckte. Überdeutlich nahm sie die gespannten Muskeln ihrer Arme wahr. Sie beschloss, mit ihrem Spiel aufzuhören. Die Grenze war erreicht, das spürte sie deutlich.
Überrascht nahm Alyenah war, wie sich die Zauberin von einem Augenblick zum anderen veränderte, wie aus Schalk Ernst wurde. „Scherz beiseite“, fing Taelinna an, „wie fühlt Ihr Euch?“
Unsicher ob dieser eigenartigen Verwandlung deutete sie ein Nicken an. „Ich vermute, Ihr wollt hin zum Kloster der Schwestern vom verborgenen Auge?“, fragte Taelinna. Überrascht nickte Alyenah. „Woher wisst Ihr davon?“, fragte die Assassine nun, plötzliches Misstrauen verspürend. Die Magierin blinzelte. „Gar nicht. Aber wenn Ihr den Weg des Pfades, das zum Kloster führt, beschreitet, liegt die Vermutung nahe, dass ebendieses Kloster das Ziel Eurer Reise ist.“, antwortete Taelinna. Das leuchtete der Assassine ein. Sie entspannte sich. Die Zauberin lächelte wieder: „Da mein Ziel ebenfalls das Kloster ist, können wir das letzte Stück des Weges auch gemeinsam zurücklegen.“
Alyenah zögerte. In ihr war immer noch die Verärgerung, die sie gegenüber der Magierin verspürte. Dennoch nickte sie. „Also gut. Aber wenn Ihr euch noch einmal einen Scherz solcher Art mit mir erlaubt....“ Den letzten Teil der Drohung sprach sie nicht aus. Was auch nicht nötig war, denn Taelinna verstand durchaus. Denn vor ihr stand eine Angehörige eines mächtigen Ordens, die sich der Aufgabe verschrieben hatte, abtrünnige Magier zu verfolgen und zu vernichten. Sie war eine Assassine, eine trainierte, aufs Töten getrimmte Attentäterin.
Die Zauberin nickte nur und ging voran. Nach kurzem Augenblick des Zögerns folgte Alyenah der Magiebegabten. Gemeinsam schritten sie durch die grüne Ebene fort, weg von dem kleinen Schlachtfeld.
Plötzlich schreckte Alyenah aus ihren Gedanken hoch.
„Alyenah?“ Sie drehte ihren Kopf zur Seite und sah zur Zauberin hinüber. Taelinna schaute sie fragend an. Offenbar hatte sie mehrmals ihren Namen gerufen. Unmerklich schüttelte die Assassine ihren Kopf, wie um lästige Gedanken abzuschütteln.
„Was ist?“, gab sie zurück.
„Ich habe mir überlegt...“, setzte die Zauberin an, „...ob wir uns nicht duzen könnten? Der Weg ist weit, und die Höflichkeit zu ermüdend.“ Alyenah zuckte die Schultern.
„Meinetwegen“, murmelte sie. Das Gesicht der Zauberin strahlte nun.
„Da nun also die Frage geklärt ist, möchte noch etwas vorschlagen.“, fuhr sie fort.
„Ist das jetzt nun wieder einer deiner unpassenden Schälke?“ fragte Alyenah unwillig. „Wenn ja, verschon mich bitte damit. Und wenn nicht, komm einfach zur Sache!“ Taelinna liess sich nicht durch den groben Ton irritieren.
„Dein Name ist mit ein bisschen zu lang zum Anreden.“ fuhr sie unbekümmert fort. Irritiert blickte Alyenah drein. „Drum habe ich beschlossen, dich von nun an Alya zu nennen.“, schloss Taelinna feierlich.
Endlose Sekunden des Schweigens. Die Assassine war sich nicht sicher, ob sie das allen Ernstes so meinte. Vielleicht schon.
„Nun ja, klingt nicht schlecht.“ meinte Alya. „Dann aber lass mich für dich auch einen anderen Namen ausdenken, denn deiner ist nicht kürzer als meine.“
„Klar“, erwiderte Taelinna fröhlich, „wie immer du willst.“
Die Aassassine überlegte kurz, dann meinte sie: „Ich nenne dich von nun an Talia.“. Talia wiegte ihren Kopf, schien den Geschmack ihres neuen Namens zu prüfen. Dann nickte sie.
„Gehen wir weiter, Alya?“, fragte sie.
Alya nickte.
„Gehen wir.“
Während sie so über dem Pfad schritten, knüpften sich bereits die erste Banden einer zaghaften Freundschaft.
Während ihrer gemeinsamen Reise erfuhr Alya ein wenig von ihrer neuen Gefährtin. Talia stammte aus den Ländern Khanduras, das Land, das einer Legende zufolge die Heimat des mächtigen Magiers Khandura war. Als einziger Zauberer erlernte Khandura die Kräfte der drei Elemente Feuer, Blitz und Eis zu beherrschen. Mit seinen Kräften schützte Khandura die Grenzen seiner geliebten Heimat vor den sich gewaltsam ausdehnenden Einflüssen der Westmarschener, die sich eben in den Anfängen der Gründung des Lichtordens der Paladine wiederfanden. Nach langen, erbitterten Kämpfen zwischen den Bewohnern der Heimat Khanduras und den neuen Paladinen aus dem Westmarsch gelang es dem Magier, einen magischen Bannkreis zu errichten, welches seine Heimat in eine unbekannte Sphäre der Zwischenwelt hinüberrückte. So oft es der junge Orden auch versuchte, erreichte er nie das Ziel, die westlichen Lande jenseits der Westmarschener Gebirge zu erobern.
„Moment mal“, unterbrach Alya sie stirnrunzelnd.
Talia verstummte. Sie hob fragend die Augenbrauen.
„Wenn Khanduras Land in eine...andere Sphäre gerückt worden ist...“, meinte die Assassine, „was ist dann mit dieser Welt passiert? Ich meine, es kann doch nicht einfach ein ganzes Land verschwinden!“
Die Zauberin nickte. „Du hast völlig recht. Nichts kann einfach so verschwinden.“, stimmte sie zu. „Dadurch aber, dass das Land in eine andere Sphäre verrückt worden ist, ging jeder direkte Zugang verloren. Denn wer den Bannkreis nicht durchdringt, wird über kurz oder lang wieder an den Ausgangspunkt zurückkehren, wo er erstmals in den Einflussbereiches des Bannkreises geriet“, erklärte Talia. Die Augen der kurzhaarigen Assassine wurden gross. „Das heisst ja...“, begann Alya, beendete den Satz aber nicht. Zu verblüffend war die Erklärung der Zauberin gewesen. „Richtig“, nickte Talia, „Wenn ein Reisender den Bannkreis erreicht und weiter läuft, wird er einfach zurück an den Ort geführt, wo er die magische Schranke überschritten hat. Nur in umgekehrter Richtung, ohne dass der Reisende es überhaupt merkt.“, fügte sie hinzu.
„Unglaublich“, murmelte Alya. „Und wie kommt man überhaupt in dieses Gebiet rein?“, fragte sie Talia. Die Zauberin zuckte mit den Schultern. „Es braucht nicht viel“, antwortete sie, „Es kann jeder, der in irgendeiner Weise mit Magie in Berührung steht, den Bannkreis durchdringen. Sei es durch einen Gegenstand oder durch irgendwelche Fähigkeiten, die Bezug auf Magie nimmt.“
Alya nickte begreifend. Schweigend schritt das ungleiche Paar über die sanften Grasebenen. „Und wo liegt deine Heimat, Alya?“, fragte Talia.
Die Assassine stockte im Schritt.
Nur einen winzigen Augenblick.
Die Zauberin merkte es wohl.
Sie begriff, dass sie eine unangenehme Frage gestellt hatte. Talia wollte schon ihre Frage zurückziehen, als die Antwort kam.
„Nirgendwo.“
Es war ein kaum hörbares Murmeln.
Es war schon später Nachmittag. Die Sonne war nicht mehr weit vom Horizont entfernt. Die Dämmerung kommt, dachte Alya. Kurz schaute sie zur Zauberin zurück, die hinter ihr herschritt. Talia schien versunken zu sein. Ihre Augen schienen einen weit entfernten Punkt vor ihr zu fixieren, irgendwo im Nichts der Luft.
Schon seit geraumer Weile starrt sie so, stellte die Assassine fest. Irgendwas schien sie zu beschäftigen, aber Alya fragte nicht danach. Es erschien ihr unhöflich.
„Fühlst du es nicht auch?“ Die Stimme klang in die Stille hinein. Überrascht drehte Alya sich um. Talia schien aus der Versenkung erwacht zu sein. Ein Hauch von Besorgnis schien über sie zu schweben.
„Was denn?“, frage Alya. „Etwas liegt in der Luft“, erklärte die Magierin, „und es bereitet mir Unbehagen. Und das Gefühl wird immer stärker, je weiter wir gehen.“
Schweigend stand die Assassine da. Dann blickte sie sich aufmerksam um. Nichts. Nur weite Grasflächen, von fernen Bergen umsäumt. Alya schloss die Augen. Unnatürliche Ruhe erfasste sie. Langsam, ganz sachte weckte sie ihre antrainierten Instinkte, deren Fühler sich nach allen Seiten ausstreckten. Sie lauschte angespannt. Nichts. Keine Regung. Kein Geräusch.
Da ist nichts.
Gerade wollte sie den Kopf schütteln und Talia erklären, dass da nichts war. Doch dann stockte sie. Kaum hörbar, selbst für ihre geschulten Sinne, nahm sie etwas wahr.
Kichern.
Geifern.
Schritte.
Gefahr. Mit einem Mal fühlte sie es. Der Schatten der Bedrohung lastete schwer in der Luft. Sie meinte den ekelhaften Geruch des Schwefels wahrzunehmen.
Alya riss die Augen auf. Jetzt, wo sie die Gefahr fühlte, sah sie es auch. Am Horizont bewegten sich kleine Punkte, hin und her schwirrend.
Und sie kamen näher.
„Alya?“ Sie reagierte nicht. Talia ersparte es sich, sie nochmals anzusprechen. Sie wusste, dass sie etwas wahrgenommen hatte. Und es schien nichts Gutes zu sein. Angespannt blieb die Zauberin stehen, wo sie war. Dann drehte sich die Assassine zu ihr herum. „Wir haben noch nicht darüber gesprochen“, sagte Alya. Verwirrt blinzelte Talia: „Was meinst du?“
Kurz schwieg die Assassine, dann sprach sie: „Diese Kreaturen, die vorhin ich getötet habe. Was war das?“ Unsicher blickte die Zauberin Alya an.
„Ich weiss es nicht genau. Aber...“, Talia stockte, „...sie ähneln irgendwie den Berichten aus der Zeit, als noch der Herr des Schreckens, einer der Drei Grossen Übel über die Erde wandelte. Seltsame Wesen, weder Mensch noch Tier, trieben sich herum und verbreiteten Tod und Schrecken.“
Es fiel Alya sofort auf. Auch sie hatte davon gehört. Von dem Herrn des Schreckens. Dessen Namen die Zauberin nicht erwähnte.
Diablo.
„Aber er wurde längst besiegt.“, entgegnete Alya ruhig. Die Zauberin schwieg. Hilflos zuckte sie die Achseln.
„Ich weiss. Aber...“ Wieder zögerte sie. „Vor ein paar Tagen hörte ich von Durchreisenden, dass sich auf Bauernhöfen seltsame Wesen herumtreiben und die Felder zerstören. Sie verschwinden dann spurlos. Einige wollen auch Zeugen gewesen sein, wie...“, wieder zögerte Talia, „...lebendige Skelette Menschen angriffen.“
„Wir werden sehen, ob das stimmt. Da kommen welche“, meinte Alya mit grimmigem Ausdruck. Erschrocken blickte Talia nach vorne. Und tatsächlich, sie konnte nun die Entgegenkommenden erkennen. Skelette. Und nicht nur Skelette. Auch die kleinen roten Fratzen waren da. Ihnen folgten andere Kreaturen. Grosse, unförmige, pelzige Gestalten mit Riesenhänden. Hagere, menschenähnliche Figuren, deren Häute in Fetzen herabhingen.
Unwillkürlich packte die Zauberin ihren Stab fester. „So viele“, flüsterte sie. „Sie sind zwanzig an der Zahl“, stellte Alya fest.
Sie schauten sich an.
Zunächst zögernd, einen Entschluss zu fassen, sprach Alya schliesslich: „Weglaufen wird nichts bringen, da es immer noch unser Ziel ist, das Kloster zu erreichen. Und eine Flucht nach vorne erscheint mir sinnlos. Ich glaube, dass sie uns nicht so leicht davonkommen lassen werden.“ Talia blickte nach vorne. Die unheimliche Gruppe war näher herangekommen. Hundert Schritte vielleicht. Sie fühlte irgendwie, dass Alya recht hatte. Talia nickte. „Dann kämpfen wir.“
Die Assassine schritt nach vorne. Talia folgte ihr auf Abstand. Als Alya noch ungefähr dreissig Schritte entfernt war, hielt sie an. Achtlos warf sie ihr kleines graues Schild weg und zog einen zweiten Katar aus ihrem linken Halfter hervor.
Diesmal lasse ich mich nicht überrumpeln. Sie winkelte ihre Beine leicht ab, schob das linke nach vorne, das rechte leicht zur Seite. Mit ihrer Linken packte sie den Katar fester und winkelte ihren Arm schräg nach vorne ab. Ihre Rechte rückte sie nach hinten, ebenfalls mit abgewinkelten Armen, bereit zuzustossen. Die Klingen glänzten im dämmernden Sonnenlicht. Da stand sie nun, eine Viz-Jaq’taar in Kampfposition.
Ich bin bereit.
Die roten Geschöpfe erreichten die Assassine zuerst. Es waren insgesamt ein halbes Dutzend blutfarbene Leiber, die auf sie zugingen, den Schamanen mit eingeschlossen. Als sie nur noch zwei, drei Schritte von ihr entfernt waren, sprang Alya ohne Vorwarnung nach vorne. Ehe die kleinen Kreaturen begriffen, sprang sie über ihren Köpfen hinweg. Dann berührte ihr rechter Fuss einen kleinen, roten Schädel. Wie ein schwarzer Stein schien die schwarze Gestalt zu fallen. Eine dunkle Stahlfeder, die sich krümmte. Urplötzlich schnellte die Feder nach vorne. Der kleine Rote, dessen Kopf der Assassine als Sprungplatz diente, wurde durch die schiere Wucht des Sprunges nach vorne geworfen und warf vier seiner Artgenossen mit über den Haufen. Alya sprang. Hoch hinaus in die Luft. Im Höhepunkt ihrer Sprungbahn schlug sie einen Salto. Holte Schwung. Und fiel. Schliesslich landete sie.
Lautlos.
Stille breitete sich aus. Talia hatte den Atem angehalten.
Wie eine geschmeidige Raubkatze. Die Assassine rührte sich nicht. Sass nur da am Boden. Ihr rechtes Knie am Boden, ihr linkes Bein bis zur Knie aufgerichtet. Der Schamane, der vor ihr stand, fiel auseinander. Ungläubig weiteten sich die Augen der Zauberin. Der Körper des Schamanen war buchstäblich entzweit. Die beiden Hälften fielen zu Boden.
Fassungslos starrten die kleinen Zwerge auf den getrennten Leib ihres Anführers. Sekundenlang. Dann kreischten sie. Wutentbrannt stürmten sie zu fünft auf Alya. Talia reagierte zuerst. Hastig murmelte sie einen Spruch. Ihre Hände leuchteten in einem leichten Blau. Das Leuchten wurde intensiver. Von einem Augenblick zum anderen übertrug sich das Leuchten auf ihren Stab. Das Blau schien dichter zu werden. Talia riss ihren Stab hoch. Wie aus dem Nichts flog nun ein armdicker Eiszapfen los, einen Schweif von Eissplittern hinter sich herziehend. Auf die angreifenden Zwerge zu. Auch Alya reagierte nun. Leicht bückte sie sich nach vorn und spannte ihr rechtes Sprungbein an. Sie preschte vor. Die Arme hielt sie überkreuzt.
Im selben Augenblick, kurz bevor Alya die Zwergengruppe erreichte, schlug das Eisgeschoss mitten in die Gruppe auf. Die roten Kreaturen erstarrten. In diesem Moment beschrieben die Klingen der Katare tödliche Bögen. Nur sachte berührten die Spitzen die erstarrten Leiber. Die roten Wesen zersplitterten wie unter einer Explosion. Tausende von kleinen Scherben flogen herum.
Stille.
Schweisstropfen vermischten sich mit Blut und perlten von ihrem Gesicht ab. Sie fühlte pures Ekel. Der Lebenssaft des roten Schamanen floss wie zäher Schlamm über ihr Antlitz. Alya atmete schwer.
Knacken. Sie hörte es, bevor die Warnung sie erreichte.
„Achtung!“ rief Talia. Wirbelnd drehte sich die Assassine herum. Keinen Augenblick zu früh. Ein Skelettkrieger griff sie an. Pfeifend sauste sein Schwert heran. Alya blockte den Hieb mit überkreuzten Klingen. Blitzschnell hob sie ihr rechtes Bein an und trat wuchtig nach vorne. Die knochige Gestalt des Skelettkriegers zuckte zusammen, als die Wirbel brach. In der nächsten Sekunde fiel das Skelett in sich.
Für einen Moment hielt Alya inne. Erfasste die Situation.
Vierzehn sind noch übrig, stellte sie fest. Ein halbes Dutzend Skelette kam auf sie zu. Dicht dahinter folgten genauso viele Gestalten mit herabhängenden Hautfetzen und aufgequollenem Fleisch. Zombies. Hinter den Zombies stampften die seltsamen Pelzkreaturen mit ihren zu kurzen, stämmigen Beinen, überdimensionalen Schultern und Händen. Deren Gesichter schienen sich auf der Brust zu befinden. Eine starre Maske. Plötzlich flog dicht an ihrem Kopf vorbei ein weiterer Eiszapfen. Das Geschoss schlug in der ersten Reihe auf. Der Vormarsch der Skelette kam zum Erliegen. Die Assassine lächelte grimmig. Es wird Zeit für einen Tanz.
Schweiss rann Talia das Gesicht herab. Sie liess einen Kältezauber nach dem anderen los. Doch als sie ihr zweites Geschoss abfeuerte, stockte sie. Sie traute ihren Augen kaum. Die schwarze, zierliche Gestalt der Assassine schien in einen dunklen Wirbel zu fliessen. Die Zauberin versuchte, zu beschreiben, was sie sah. Dann formte sich im Kopf ein Gedanke.
Sie kämpft nicht.
Sie tanzt.
Eine tanzende Raubkatze.
Mechanisch feuerte Talia einen weiteren Eiszauber ab. Die schwarze, wirbelnde Raubkatze berührte ihre Feinde nur leicht. Nur mit ihren Fussspitzen. Nur mit den Klingenspitzen ihrer Schlagdolche. Und doch streckte jede ihrer Berührungen die Gegner zu Boden. Ein weiterer Eiszapfen. Erstarrte Körper zerbrachen. Dann Stille.
Alyas Herz raste. Mit schmerzender Brust pumpte sie Luft. Noch zwei. Der Schweiss strömte über das ganze Gesicht, drang in ihre Augen. Ihre Sicht verschwamm. Ihre Zunge fuhr über die Lippen. Sie schmeckte Salz. Dann klärte sich ihr Blick. Und das Herz zog sich ihr vor Schreck zusammen. Die pelzigen Riesen mit der starren Maske auf der Brust standen vor ihr. Nur zwei, drei Schritte entfernt.
Und zwei, drei Köpfe grösser als Alya.
Fassungslos blickte Talia auf ihren Stab, dann auf die Szene vor ihr und wieder zurück zum Stab. Im Eifer des Gefechtes hatte sie etwas Entscheidendes vergessen.
Wenn du je in Bedrängnis geraten solltest, Schülerin, teile deine Kräfte gut ein. Denn jeder Zauber verbraucht Energie. Und nichts ist schlimmer, als mitten in einem Kampf ohne Energie da zu stehen. Denn dann wird jeder noch so mächtige Spruch wirkungslos bleiben.
Ja, Meisterin.
Sie stand ohne Energie da. Hastig griff sie in ihre Beuteltasche, fieberhaft die Ampulle mit bläulich schimmerndem Inhalt suchend. Aus den Augenwinkeln beobachtete sie, dass nun noch zwei Monster verblieben waren. Alya stand scheinbar regungslos den seltsamen Pelzkreaturen gegenüber. Endlich bekam die Zauberin die blaue Ampulle zu fassen und setzte es eilig an den Lippen. Noch während der blaue Trunk ihre Kehle hinabrieselte, nahm sie aus den Augenwinkeln wahr, wie die Assassine eine der Pelzkreaturen angriff.
Noch in der Angriffsbewegung wusste Alya, dass sie ihren Gegner unterschätzt hatte. Während der Katar zu ihrer Rechten auf die Maske vor ihr zusprang, erschien plötzlich eine riesige Hand, doppelt so gross wie ihr eigener Kopf und schlug flach auf ihre rechte Seite des Körpers. Es knirschte und entsetzt spürte sie, dass sämtliche Rippen zu ihrer Rechten brachen. In hohem Bogen flog der Körper der Assassine davon, bevor er am Boden aufschlug. Der Aufprall nahm ihr die Luft weg. Sie stöhnte vor Schmerz. Die gebrochenen Rippen bohrten sich in die Lungen. Es tat unsagbar weh. Ihr wurde schwarz vor Augen.
„Alya!“ hörte sie Talia noch rufen, ehe sie das Bewusstsein verlor.
Verflucht. „Alya!“ Keine Reaktion. Verdammt noch mal. Lass sie nicht sterben. Ihre Gedanken rasten wild. Doch Talia blieb keine Zeit, ihre Gedanken zu ordnen. Die angegriffene Pelzkreatur stapfte auf die bewusstlose Assassine zu.
Was tun?
Kurz entschlossen, packte sie ihren Stab fester. Sie rannte los. Die Zauberin murmelte einen Spruch. Noch bevor die Pelzkreatur die Hälfte der Strecke zurückgelegt hatte, erreichte Talia ihre Gefährtin. Das Monster blieb stehen. Scheinbar war es überrascht. Schnell, dachte sie. Mit fliegenden Fingern wühlte sie in ihrer Tasche herum. Die Pelzkreatur überwand die Überraschung. Sie stampfte weiter. Das Monster war nur noch zehn Schritte entfernt. Endlich fand Talia den Heiltrank. Hastig entstöpselte sie die Ampulle.
Acht Schritte.
Behutsam setzte sie das Gefäss an Alyas Lippen.
Sechs Schritte.
Die rote Flüssigkeit rann nur langsam in ihr Mund.
Vier Schritte.
Alya hustete. Spuckte aus.
Zwei Schritte.
Sie würgte.
Dann war die Pelzkreatur da. Sie schwang ihre riesige Hand nach hinten. Verzweifelt riss die Zauberin ihren Stab hoch. Ihr Eiszapfen liess das Monster erstarren, ehe die gewaltige Pranke Talia erreichte. Starr stand es so da, seine dicken Arme nach ihr ausgestreckt. Sie atmete heftig. Und dann, in einem Anfall von Wut, hieb Talia mit ihrem Stab auf die vereiste Gestalt. Das Monster zerbarst in tausend Stücke. Da tauchte das zweite auf. Das Herz wollte der Zauberin aussetzen. Das ist das Ende, dachte sie, während die Pelzkreatur zum Schlag ausholte. Talia schloss die Augen, den Schlag ausharrend, der unweigerlich kommen musste.
Doch es kam nicht.
Nach endlosen Sekunden, in denen nichts passierte, öffnete die Zauberin ihre Augen. Ein fünfzackiges, metallisches Gebilde prangte auf seiner Maske. Blut rinnte an der Maske herab. Das Monster fiel nach hinten.
Verständnislos blickte sie auf gefallene Monster. Wieso hat es sie nicht erwischt? Ihr Blick glitt zu Alya hinüber, die, halb aufgerichtet, ihren linken Arm ausgestreckt hielt. Die Zauberin begriff. Die Assassine hatte ihr das Leben gerettet.
Lächelnd sah Alya ihre Gefährtin an.
„Wie es aussieht, habe ich meine Schuld getilgt“, meinte sie fröhlich.