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Assassins - Die Skiller

Hmm also den Anfang finde ich um ehrlich zu sein ein bisschen langweilig:zzz:
Aber ich bin mir sicher das die noch besser wird also warte ich einfach mal den nächsten Teil ab;)
 
also wie schon gesagt es ist zwar am anfang etwas langweilig aber ich denke das wird noch...

frage muss das nicht Freigeist und nicht
er ist ein Feingeist
heisen oder vertuh ich mich da?
 
@stalker: nein, feingeist ist hier richtig. guckst du im lexikon oder wo auch immer ;)

zur story: ich finde es ganz und gar nicht langweilig. bewundernswert, wie du es in so kurzer zeit schaffst, nähe zu den personen herzustellen und ihren charakter herauszuarbeiten. ich freu mich schon auf mehr davon. =)


Gruß, die Kröte


/e: eine gute geschichte muss nicht unbedingt mit aktiver handlung vollgestopft sein. ist zumindest meine meinung.
 
hmm ok hab ich mich halt geirrt man kann halt nicht alles wissen:D

vieleicht sollte ich langweilig definieren...
es ist dir zwar gut gelungen die charactere die bis jezt vor kamen gut zu beschreiben trozdem find ich das inhaltlich nicht so wirklich viel passiert ist...

das empfinde ich halt als langweilig...
hör aber nicht auf mich ich habe eh keine ahnung vom geschichten schreiben:D
 
---> Up vom 10. 06. 2005

27. November, Vormittags

Gegen Mitternacht hatte das Unwetter etwas nachgelassen, und als die Gruppe am Morgen die Höhle verließ, schien es sich endgültig ausgetobt zu haben.
Der Tag war trüb und düster, und obwohl die Gewitterwolken sich verzogen hatten, war der Himmel grau verhangen - es wollte einfach nicht hell werden.
Die Luft war kühl, eine verschlafene Brise wehte über die Ebene und zarter Nieselregen erfüllte die Luft und durchfeuchtete sie bis auf die Knochen. Es schien, als sei das raue Unwetter ermüdet und würde die Welt nun bloß noch gelangweilt streifen.
Nach einem kurzen, schweigsamen Frühstück - keiner von ihnen hatte gut geschlafen, Sally überhaupt nicht - waren sie aufgebrochen. Melissa und Ronin hatten sich anhand der Karte und nur ihnen bekannter Bezugspunkte in der öden Landschaft orientiert und verkündet, dass sie ein Stück zurück und dann in eine andere Richtung gehen mussten, um nach Himmeltreu zu gelangen.
Als sie sich der Stelle näherten, an der sie am Vortag das Gewitter überrascht hatte, erblickte Sally jenen kahlen, verkohlten Baumstumpf wieder. Ein heißer Schmerz zuckte durch ihre Stirn, und plötzlich erkannte sie glasklar den Zusammenhang: Ihre schreckliche Vision von Gestern - es war hier geschehen! Jene Siedlung war genau hier gewesen, und das kleine, traurige Bäumchen war alles, was das schreckliche Massaker überlebt hatte... Sally stolperte über eine Unebenheit und als sie zu Boden sah, erkannte sie, dass es sich um einen Mauerrest handelte, der, von Wind und Wetter abgeschliffen, eben noch über die Erde ragte. Dort hatte also eines der Häuser gestanden... Sally sagte nichts, die Anderen hätten sie ohnehin nicht verstanden; doch eine bleierne Traurigkeit erfüllte sie, und das Gefühl, einen eisig brennenden Fremdkörper in der Stirn zu tragen, wurde für einen Moment schier unerträglich.
Sie gingen langsam und in gedämpfter Stimmung weiter, selbst Amandas munteres Geplapper über Magie und mystische Vorgänge war verstummt. Ronny trottete wie üblich still daher, nur als ein verirrter Vogel auf dem eiligen Weg in sein Nest über ihre Köpfe hinwegflog, sah er auf und lächelte schwach.
Die Ebene wurde nun immer häufiger von Hügeln und Baumgruppen durchbrochen, und schließlich kamen sie in einen regelrechten Wald. Hier begann auch ein Pfad, dem sie folgten.
Der Weg führte durch den Hain und auf der anderen Seite wieder hinaus. Als die Gruppe das trübe Graugrün der Bäume verließ, sahen sie in einiger Entfernung einen Palisadenwall aufragen, ähnlich dem des Lagers der Jägerinnen.
Doch als sie sich näherten, sahen sie, dass die Umzäunung wesentlich länger war und außerdem eine durchsichtige Kuppel aus seltsam tanzenden kleinen Lichtern den Ort überspannte. Es waren keinerlei Wachen aufgestellt, doch als Sally mit den anderen weiterging, spürte sie plötzlich ein intensives Kribbeln durch ihren Körper fließen. Melissa und Amanda keuchten kurz - anscheinend spürten sie es auch. Nur die beiden jungen Männer schienen nichts wahrzunehmen.
Das Kribbeln verschwand ebenso schnell, wie es gekommen war, hinterließ jedoch das unangenehme Gefühl, irgendetwas (oder jemandem) völlig ausgeliefert gewesen zu sein.
Als sie die Palisade erreichten, öffnete sich ein bis dahin nicht sichtbares Tor im Holz, und eine hochgewachsene Frau trat heraus. Sie trug ein fließendes, silbernes Gewand, die Taille umgürtet mit feinsten Lederschnüren. Ihre hagere Gestalt war umhüllt von einem schwarzsamtenen Mantel, dessen silberverbrähmte Kapuze ihr Gesicht so überschattete, dass man es nicht erkennen konnte.
Die Frau blieb an der Stelle stehen, an der die funkelnde Lichtkuppel den Boden berührte und fragte mit glockenklarer Stimme, die bis in ihre Herzen zu dringen schien: "Nun - ihr seid also da. Das ist gut, wir hatten uns schon Sorgen gemacht... Doch wenngleich wir wussten, dass ihr kommen würdet, so muss ich euch doch bitten, die Prüfung abzulegen."
Die Gruppe begann zu raunen, und der eine oder andere entgeisterte Blick wurde gewechselt.
Sally, die nur noch Ruhe haben und die nagenden Schmerzen hinter ihrer Stirn vergessen wollte, trat vor und fragte leicht genervt: "Und was für eine Prüfung soll das bitte sein?"
Die Frau wandte ihr das verhüllte Gesicht zu und flüsterte: "Du bist diejenige, die ich seit Wochen in meinen Träumen sehe... Du sollst zuerst geprüft werden."
Sally wurde es fast zu bunt: Was interessierte sie, ob eine fremde Frau von ihr träumte?! Sie wollte die Andere anfahren, stellte jedoch verblüfft fest, dass sie nicht konnte: Die Worte wollten nicht über ihre Lippen kommen.
Die Frau winkte sie näher zu sich, und Sallys Körper gehorchte ohne ihr Zutun, bewegte sich bis zur glitzernden Grenze des Lichtschleiers. Die Frau fragte leise: "Ist dein Herz erfüllt mit Wahrheit und folgst du dem Licht?"
'O mann', dachte Sally, 'schon wieder so ein Geschwafel...'. Doch ihr Mund erwiderte mechanisch: "Ja." 'Was?!', dachte sie wütend, 'ich habe doch keine Ahnung, wer das hier ist und wer ihr das Recht gibt, mich irgendeiner dämlichen Prüfung zu unterziehen! Reiß dich zusammen und sag deine Meinung!!"
"Du kannst nur mit Ja oder Nein antworten", sprach die Frau und es klang, als würde sie lächeln. "Und bevor du fragst: Natürlich kann ich deine Gedanken lesen. Diese Gabe ist auch dir gegeben, doch du bist jung... Du wirst es erst lernen müsen. Doch nun tritt ein, denn deine Bestimmung hier erwartet dich."
Der eigenartige Bann, der auf Sally gelegen hatte, fiel von ihr ab. Sie schüttelte sich kurz, und funkelnde Wassertropfen sprühten aus ihrem strubbeligen Haar. Dann sah sie fragend die Frau an. Die nickte und sprach: "Tritt nur ein, der Zauber wird dir nichts tun. Du bist hier willkommen!"
Sally machte zögernd einen Schritt durch den glänzenden Vorhang, und als nichts geschah, trat sie hindurch. Die Frau winkte sie durch das Tor, und als Sally zögerte, sagte sie etwas ungeduldig: "Nun vertrau mir doch, Kind. Denkst du, Akara würde dich in eine Falle laufen lassen? Geh hinein, ich werde die anderen prüfen und sicher kommen wir bald nach."
Sally nickte resigniert und trat durch das Tor. Vor ihr erstreckte sich ein weiter, gepflasterter Hof, in dessen Mitte sich eine kleine Kapelle erhob. Ringsum standen niedrige Gebäude aus weißem Stein, und der Platz war erfüllt von Leben: Menschen aller Hautfarben, Größen und jeden Alters liefen umher, standen in Grüppchen zusammen oder wanderten in Gespräche vertieft über den Platz. Sally kam sich auf einmal sehr klein und jung vor.
Aus einer nahen Gruppe löste sich ein Mann und kam lächelnd auf Sally zu. Er war in eine silberne Robe gekleidet, sein braungebranntes Gesicht war gütig und ein silbriger Haarkranz umstand seinen Kopf wie ein zerzauster Heiligenschein. Die Augen blitzten hell, und zahlreiche Fältchen zogen sich durch sein Gesicht - die meisten waren Lachfältchen.
Er reichte der verwirrten Sally die Hand und strahlte sie an. Dann sprach er herzlich mit kräftigem Bariton: "Sally! Da bist du ja. Wie schön, dass ihr trotz des Sturms so bald hergefunden habt - willkommen in Himmeltreu! Ich bin Cain - du weißt schon, der alte Knacker, den ihr holen sollt." Er zwinkerte ihr zu, und Sally war hin- und hergerissen zwischen Verwirrung und Dankbarkeit darüber, dass dieser Mensch halbwegs normal zu sein schien und anscheinend nicht vorhatte, sie mit Magie-Geschwafel zu überhäufen.
Cain lachte, und als Sally ihn fragend ansah, schmunzelte er: "Das ist nett von dir, aber ich fürchte, du wirst mich noch oft genug schwafeln hören... Doch nun komm, ich möchte dir eure Unterkunft für heute zeigen, und wenn der Rest deiner Gruppe da ist, wollt ihr sicher etwas essen - junge Leute haben ja einfach immer Hunger!"
Sally war noch recht irritiert davon, dass hier anscheinend jeder ihre Gedanken lesen konnte, unterdrückte jedoch die Fragen, die ihr in den Sinn kamen und folgte Cain.
Später betraten die anderen das Dorf und bestaunten alles - mit Ausnahme von Amanda, die einen hochroten Kopf hatte und vor Wut regelrecht zu kochen schien. Sally fragte sie verblüfft, was los sei, und sie knurrte: "Paah, diese blöde Prüfung... Sie", Amanda wies verächtlich auf die verhüllte Frau, die ebenfalls auf den Platz getreten war, "...meinte, in mir wäre zuwenig Ernst für die Magie. In mir!! Stell dir das mal vor!! Und sie würde ein Auge auf mich haben! Unverschämtheit!!!"
Sally musste sich ein Grinsen verkneifen. Ausgerechnet Amanda, die die Magie so sehr verehrte, hatte solch einen Dämpfer bekommen...
Cain trat zu ihnen, und nun stellte sich auch die Torwächterin endlich vor. Sie schlug ihre Kapuze zurück, und Sally schrak zusammen: Am Gesicht der Frau war weiter nichts ungewöhnliches. Sie war sicher jenseits der Fünfzig, und auch sie trug etliche Falten im Gesicht, war aber immer noch attraktiv. Doch ihre Augen... Sie waren eisblau und schienen direkt in Sallys Seele zu blicken.
Die Frau stellte sich ihnen als Sokara vor, Akaras Schwester. Eine Ähnlichkeit war nicht zu erkennen: Wo Akara dunkelhäutig und schwarzhaarig war, war Sokara blass und ihr Haar silberblond. Akara war gütig und weise, Sokara scharfsinnig und eher kühl...
Sokara lächelte und sagte: "Ja, ich weiß, wir sind ungleiche Schwestern. Aber wir teilen eine Seele. Kommt nun, ihr Kinder, wir wollen gemeinsam speisen. Ihr solltet euch heute Nacht gut ausruhen, damit ihr morgen rasch ins Lager zurückkehren könnt. Sally, du kommst bitte kurz mit mir!", fügte sie bestimmt hinzu.
Sally tat, wie ihr geheißen, nicht ohne einen fragenden Blick und ein Schulterzucken zu Melissa, die sie breit angrinste und mit den anderen Cain folgte.
Sokara führte Sally in ein Haus, in dem es kühl und dämmerig war. Sie nahmen an einem Tisch platz, und Sokara sagte: "Du bist sicher verwirrt, und ich spüre den Schmerz der Visionen in dir. Ich möchte dir helfen, sie zu beherrschen - dass ist mein Beitrag zu deinem Weg."
Sally nickte stumm - das Fragen war ihr vergangen, sie war dankbar, dass Sokara ihr helfen konnte. Die Schlaflosigkeit der letzten Nacht saß ihr noch in den Knochen.
Sokara beugte sich vor und legte Sally die Hände an die Schläfen. Dann murmelte sie: "Merke dir meine Worte: Kämpfe nicht gegen die Visionen. Nimm sie an, sie können dir helfen! Wenn du körperlichen Schmerz fühlst, dann hol die Stille aus deinem Innersten. Nein, frag nicht! Du musst das lernen. Finde die Stille in dir. Du musst sie wie einen Schleier über die Vision ausbreiten. Und in völliger Stille machst du den Schmerz hörbar, wie einen Schrei. Dann lässt du den Schrei schrumpfen und leiser werden, hüllst auch ihn in die Stille ein. Du wirst viel üben müssen, aber ich sehe in deinem Geist, dass du es kannst." Sally sah ihr in die Augen, und Sokaras Blick war wie ein kühler, stiller See. Sally tauchte ein in diesen See, nahm seine Kälte und legte sie wie ein Tuch auf ihre Stirn... Und der Schmerz ließ nach! Sie spürte, wie er verschwand...
"Nein!", keuchte Sokara plötzlich, Sally fuhr hoch und Sokaras Hände ließen sie los. Die Frau atmete schwer und sah Sally ängstlich und bestürzt an: "Das - das meinte ich nicht. Bei den Göttern, ich wusste ja nicht, was für eine Kraft in dir steckt... Aber merke dir eins: Ziehe niemals die Kraft eines anderen ab, das hat immer böse Folgen!"
Sally schämte sich, doch Sokara winkte ab: "Ist schon gut, es war nicht deine Schuld. Übe, was ich dir gesagt habe, dann wirst du den Schmerz bald selbst bezwingen können. Und nun", sie erhob sich und lächelte schwach, "lass uns essen gehen!"

Als sie abends in einem weichen Bett lag und Amanda und Melissa ruhig atmen hörte, fragte Sally sich, wie eine erfahrene und offensichtlich mächtige Magierin wie Sokara sie, Sally, fürchten konnte... Sie würde Cain morgen danach fragen. Und nach diesem Glitzerding, dass das Dorf umspannte. Und warum sie gewusst hatten, dass die Gruppe kommen würde. Und nach dem Rezept für diesen Braten, der war einfach göttlich gewesen... Und sie musste mit Ronin reden. Sally mochte ihn - doch seitdem sie ihn in der Schule so harsch abgefertigt hatte, war er meistens eher zurückhaltend... Die Schule... Wie lange schien es her zu sein, dass sie dort gelebt hatten! Aber Ronin... Sally musste oft an ihn denken... Ronin...

Und dann kam der Schlaf. Ruhiger, traumloser Schlaf, ohne Visionen und ohne Schmerz...


--->> Up vom 20. 06. 2005


28. November, Mittags

Sally erwachte, weil helles Sonnenlicht in ihr Gesicht schien und durch ihre Augenlider stach. So gut hatte sie schon lange nicht mehr geschlafen! Sie stand auf, zog sich an - die Lederkleidung der Jägerinnen erschien ihr längst nicht mehr so lächerlich - und trat aus dem Haus. Der weite Platz war erfüllt mit Leben, genau wie Gestern. Sokara und Cain standen auf der anderen Seite und winkten Sally zu sich. Sie ging hinüber, und die Beiden fragten sie, wie es ihr ginge und ob sie Hunger habe... Sie hatte. Und wie!
Nachdem Sally mit den Anderen der Gruppe gegessen hatte - sie waren schon länger wach, und bis auf Amanda, die immer noch schmollte, alle guter Dinge - , begaben sie sich mit Cain und Sokara in Sokaras Haus, um sich zu beraten. Als sich alle gesetzt hatten, sagte Cain ohne Umschweife: "Sokara und ich standen letzte Nacht mit Akara in Verbindung. Sie berichtete, dass Lyssas Zustand unverändert schlecht, aber stabil ist. Außerdem beschlossen wir gemeinsam, nicht ins Lager zurückzukehren - wir werden uns direkt nach Merilan begeben."
Melissa rief: "Aber - aber wir müssen doch nach Lyssa sehen!", ,verstummte aber rasch wieder, als ihr klar wurde, wie töricht dieser Satz war: Akara konnte sich am besten um ihre Lehrerin kümmern.
Plötzlich ergriff Ronny das Wort: "Dann gehen wir also zur Konklave in Merilan. Aber brauchen wir nicht ein Losungswort, das Lyssa entfallen war?"
Nachdem sie den Schock über diesen für Ronnys Verhältnisse ungewöhnlich langen Satz überwunden hatte, erwiderte Sally: "Ja schon, aber sie sagte auch, dass ich die Losung wissen würde und -" "Ja klar, du bist ja sooo magisch, natürlich wirst du es wissen. DU weißt bestimmt alles, nur weil du so magisch bist!!", fuhr Amanda schnippisch dazwischen. Alle sahen sie erstaunt an, dann sagte Sokara ruhig: "Kind, auch du trägst Magie in dir. Aber durch deine romantischen Vorstellungen, die, mit Verlaub, leider nichts mit der Realität zu tun haben, verbaust du dir den Zugang zu deinen Kräften selber. Beruhige dich und lass deine Phantasien von der Magie los, dann wirst du deine eigene Kraft finden."
Amanda wurde puterrot im Gesicht, sagte aber nichts mehr. Cain lächelte vergnügt und meinte: "Ach, Kinder, wie erfrischend ihr doch seid! Ich schlage vor, ihr seht euch noch ein wenig hier im Dorf um, während ich alles vorbereite - und in zwei Stunden brechen wir dann nach Merilan auf. Einverstanden?"
"Einverstanden!", kam die Antwort im Chor.

Melissa, Sally und Amanda schlenderten durch die Straßen des Dorfes. Ronny und Ronin hatten eine Schänke entdeckt und beschlossen, dort etwas zu trinken.
Amanda hatte sich wieder beruhigt und beteuerte ständig, dass sie schon spüre, wie die wahre Magie in ihr wachse. Gerade wollte Sally sie anfahren, endlich mal still zu sein, da bogen sie um eine Ecke und standen in einer Gasse, die mit Geschäften gesäumt war. Sofort bekam Sally große Augen: Da, am Ende der Straße, sah sie deutlich das Schild eines Gothic-Ladens! Sie durchsuchte hastig ihre Taschen und stöhnte dann enttäuscht auf: "O mann! Ich habe ja gar kein Geld dabei..." Melissa nickte betrübt, und Amanda blickte nur sehnsüchtig in die Auslage eines Süßigkeitenladens.
Da trat vor ihnen Cain aus einem Geschäft, strahlte sie an und rief: "O, gut, ,dass ich euch treffe - verzeiht, ,ich bin einfach zu dusselig! Wie sollt ihr denn ohne Geld Vorräte kaufen..." Er zwinkerte ihnen wissend zu, kam näher und drückte jeder einen kleinen, prallen Lederbeutel in die Hand. "Nehmt nur, nehmt nur! Wir nehmen eure Dienste in Anspruch, schleifen euch von hier nach da - also können wir euch auch bezahlen!"
Und mit diesen Worten schlenderte er vergnügt die Straße entlang davon. Die drei Mädchen standedn einen Moment lang wie angewurzelt da, dann öffnete Amanda zögernd ihren Beutel - und brach in Freudenschreie aus: "Wow! Juhu! Das - das ist ja irre viel!!"
Nun hielt es auch Sally und Melissa nicht mehr: Sie öffneten ihre Beutel und bestaunten die Goldmünzen, die darin lagen. Goldmünzen! 'Als Kind bekam ich im Monat vier Silberlinge Taschengeld - und nun das!!', dachte Sally begeistert.
Sie sahen sich kurz an

"Schokolade!"

"Klamotten!

"Waffen!"

Sie lachten, nachdem sie alle drei gleichzeitig gerufen hatten, was sie als nächstes vorhatten. Dann trennten sie sich und stoben los, um einzukaufen...

Als sie sich eine Stunde später alle am Brunnen auf dem großen Platz trafen, staunten Ronny und Ronin, die nun auch jeder ein pralles Ledersäckchen am Gürtel trugen, nicht schlecht: Amanda kaute und stopfte sich ununterbrochen Bonbons in den Mund, die "Daf befte, waf if je gegeffen habe!" seien; Melissa polierte unablässig einen glänzenden, stählernen Cestus, in dessen Armriemen mehrere glitzernde Edelsteine eingelassen waren und der von einem rötlichen Glühen umgeben war. Auf die Frage, was es damit auf sich habe, erwiderte sie: "Oh, ich kann ihn noch nicht benutzen - dafür muss ich noch üben, meinte der Schmied. Aber ich musste ihn einfach haben!!"
Und Sally fühlte sich einfach pudelwohl: Endlich trug sie wieder Schwarz! Sie hatte eine schwarze Wildlederhose erstanden (genau so eine, um die sie Melissa immer beneidet hatte), die seitlich geschnürt wurde. Dazu einige herrliche Tops, von denen sie nun eins mit Spitzen an den Armausschnitten trug, auf dem vorne stand: "Schlag mich ruhig...", und hinten: "...wenn du das Echo verträgst!"
Außerdem trug sie neue, schwarze Stiefel, diverse Nietenarmbänder und in der schwarzen Tasche, die sie trug, befanden sich ein Sortiment Nagellacke (Darunter auch ein "Glow in the Dark"-Lack), verschiedene Schminkutensilien und einiges zur Haarpflege.
Als Cain und Sokara eintrafen, verabschiedeten sie sich und brachen auf; seltsamerweise war das Wetter außerhalb der magischen Barriere ganz anders als drinnen: Es regnete, und der Himmel war düster. Sokara sagte zum Abschied: "Passt gut auf euch auf - und Sally, denke an das, was ich dir gesagt habe!" Sally nickte artig, fühlte sich aber im Moment nicht im entferntesten magisch oder mystisch. Die Visionen, ihre merkwürdigen Kräfte - all das war jetzt weit weg, sie war einfach nur Sally.


28. November, Nachts

Nach stundenlangem Wandern durch die Ebene von Tamph-Quala, die sie bereits auf dem Weg zum Lager der Jägerinnen durchquert hatten, waren sie am Abend auf eine Hügelkuppe gelangt, von der aus sie im schwindenden, trüben Tageslicht im Tal die glitzernden Lichter einer großen Stadt erblickt hatten. Melissa hatte Cain gefragt, warum Akara und die Schwestern vom verborgenen Auge nicht in Merilan Zuflucht gesucht hatten. Er hatte erwidert: "Nun, es ist eine Assassinenstadt - die Jägerinnen wären dort nur bedingt willkommen; außerdem sind sie stolz, sie nehmen Hilfe nur an, wenn es wirklich nicht anders geht."
Nun hatten sie die Stadt fast erreicht, und bereits von außen verlangte sie ihnen Respekt ab: Die hohen, abweisenden Mauern, auf deren Zinnen sicher unzählige Attentäterinnen verborgen Wache hielten, und die schweren, eisernen Tore erweckten den Eindruck einer wahren Festung.
Sie kamen an das Haupttor, an dessen Seiten große Pechfackeln in schmiedeeisernen Halterungen brannten und hin und wieder, wenn ein Regentropfen die Flammen traf, leise zischten.
Als sie sich dem Tor näherten, blieb Sally plötzlich abrupt stehen. Ihr Haar schien zu knistern, ihre Wangen brannten, und sie spürte unbändige Hitze in sich aufsteigen. Eine leise Stimme zischte dicht an ihrem Ohr: "Ja! Hier bist du richtig. Dies ist dein wahres Heim!". Die Stimme kam ihr bekannt vor, doch sie konnte sie nicht einordnen. Erneut hörte sie es: "Geh hinein... Dein Blut ist der Schlüssel. Die Losung... Denk an die Losung, und an dein Blut..."
Dann verklang die Stimme. Der Rest der Gruppe hatte nun ebenfalls angehalten und sah Sally erwartungsvoll an. Cain trat zu ihr und raunte: "Nun, junge Assassinenschülerin, weißt du die Losung?"
"Ja", erwiderte Sally, selbst etwas überrascht. Dann ging sie wie mechanisch zum Tor und schlug dreimal kraftvoll mit dem eisernen Klopfer in Form zweier gekreuzter Klauenwaffen dagegen.
Eine Luke üffnete sich, und ein schmales, blasses Gesicht, umrahmt von kurzem, braunem Haar, erschien.

"Losung?", fragte eine barsche Stimme.

'Jetzt kommt's drauf an', dachte Sally, plötzlich unsicher. Mit leicht zittriger Stimme sagte sie: "Mein Blut ist der Schlüssel."

"Was sucht dein Blut hier?"

"Es folgt dem Weg der Theleopathen."

"Was ist der Weg der Theleopathen?"

"Der Weg meines Blutes, denn mein Ursprung ist hier."

Die Worte waren auf einmal nur so aus ihr herausgesprudelt und hatten ihr anerkennende Blicke vom Rest der Gruppe eingebracht.
Nun schloss sich die Klappe wieder, und ein Torflügel schwang lautlos auf. Sie traten ein, nickten der Torwächterin zu und machten sich auf den Weg zum Zentrum der mächtigen, alten Assassinenstadt Merilan.


---> Up vom 23. 06. 2005


29. November, Morgens

Der Morgen graute bereits, als sie vom Torplatz aus der Allee folgten. Diese Alle führte wie ein Ring einmal durch die ganze Stadt, wobei sie das Stadtzentrum umschloss und zahlreiche kleinere Straßen und Gassen von ihr abzweigten.
Später erfuhren sie, dass der Platz am Haupttor "Platz der Synth'Y'Thain" hieß und einem alten, mächtigen Assassinenorden gewidmet war.
Nun jedoch wanderten sie durch die Stadt und wurden Zeugen eines erstaunlichen Morgenerwachens: Während zahlreiche Geschäfte wie Schmiede, Gerber, Schmuckhändler, Bäcker und ähnliche gerade öffneten und ihre Läden für das Tagesgeschäft vorbereiteten, schlossen ebensoviele Häuser nun ihre Pforten. Da war die Schänke, deren Inhaber gerade die letzten Gäste nach draußen beförderte. Einige aufreizend gekleidete Mädchen lungerten vor einem großen, kitschig verzierten Gebäude herum und machten Ronin schöne Augen, als eine streng aussehende Frau aus dem Haus schoss und sie hineinscheuchte.
Schließlich führte Cain sie nach links in eine kleinere Straße, und bald gelangten sie auf einen weiten Platz, bei dem es sich offensichtlich um den Marktplatz der Stadt handelte: Etliche Händler waren eifrig damit beschäftigt, mit ihren Gehlifen oder allein ihre Stände, Zelte und Unterstände aufzubauen. Auslagen wurden hergerichtet, die Gewürzhändler hängten Bündel duftender Kräuter an die hohen Querstangen ihrer Stände, eine alte Frau kochte Eintopf in einem mächtigen Kessel. Hier und da wurde bereits mit frühen Kunden verhandelt, Lehrlinge wurden gelobt oder getadelt und die Kassen wurden mit besorgter Miene unter den Verkaufstischen verstaut.
Sie verließen den Marktplatz in Richtung des Zentrums auf einer recht breiten Straße, die direkt auf ein mächtiges, ummäuertes Bauwerk in einiger Entfernung zuführte. Hinter den Mauern waren einige Turmspitzen zu sehen, in den verlassen scheinenden Wachhäuschen links und rechts neben dem Tor blitzte hin und wieder das verräterische Funkeln metallener Waffen auf: Die Assassinen waren auch innerhalb ihrer eigenen Stadt immer misstrauisch und auf der Hut.
Die Gruppe blieb am Beginn der Straße stehen und sah sich um: Links und rechts erhoben sich zwei gewaltige, gemauerte Türme. Gerade tasteten sich einige zarte Sonnenstrahlen am Himmel empor und versprühten einen sanften, rosigen Lichtschimmer auf die hohen, verglasten Fenster der beiden Türme. Viel beeindruckender jedoch war für die Gruppe junger Menschen, die da neben ihrem weisen Weggefährten im frischen Morgenwind stand, dass die Türme fast vollkommen identisch waren in Bauart, Farbe der Steine - sie waren weiß-grau meliert - , Größe und Form; doch etwas unterschied sie unverwechselbar voneinander: Der linke Turm war von einem feinen, dunstigen Schimmer bläulichen Lichtes umgeben, das um Tür und alle Fenster herum fast unsichtbar wurde.
Sein Gegenstück auf der anderen Straßenseite hingegen war über und über mit komplizierten Runen übersäht, die hin und wieder golden aufglühten, so als liefe ein ständiger Schauer über das Bauwerk.
Sally schielte zu Amanda hinüber, und wie erwartet stand ihre Freundin - 'Tatsächlich', dachte Sally, 'wir sind inzwischen Freundinnen geworden...' - mit Tränen der Rührung in den Augen da und konnte sich an soviel Magie auf einmal garnicht sattsehen.
Melissas Blick traf Sally, und beide grinsten kurz. Ronny spähte in den Himmel und betrachtete fasziniert zwei Schwalben, die hoch oben ihre kleinen, verspielten Kreise zogen.
Sally sah verstohlen zu Ronin hinüber - und erstarrte fast unter der Kälte seines Blickes. Sie versuchte ein Lächeln, doch er wandte sich ab und tat so, als interessiere ihn nichts mehr als Cains silberbehaarter Hinterkopf.
'Verdammt', dachte Sally traurig, 'wie kriege ich das nur wieder hin... Ich mag ihn so sehr, aber... Ach mist.' Sie kickte wütend ein kleines Steinchen weg, das sie plötzlich unheimlich aufregte, wie es so unbeteiligt am Boden lag. 'Ätsch', triumphierte Sally in Gedanken boshaft, 'jetzt hat sich's was mit deinem schönen Steinleben.'
Gerade wollte sie sich den nächsten Stein vorknöpfen, da wandte Cain sich plötzlich zu ihr um und sah sie durchdringend mit seinen hellen Augen an; er schüttelte leicht den Kopf, und Sally begnügte sich damit, sich darüber zu ärgern, dass sie sein Gedankenlesen nicht verhindern konnte.
Endlich, die Sonnenstrahlen hatten bereits viel Kraft gewonnen und es wurde immer heller, sagte Cain: "Nun, ich denke, ihr habt genug gestaunt. Der linke ist der Turm der Seher, der rechte der der Magier - vielleicht dürft ihr sie später einmal besichtigen. Aber jetzt sollten wir endlich in die Kaserne gehen, vor deren Eingang wir hier herumstehen."
Er lächelte vergnügt, und mit Cain an der Spitze gingen sie auf das Tor zu. Dort angekommen, traten aus den kleinen Wachhäuschen lautlos einige schwer gerüstete und bewaffnete Frauen hervor. Die offensichtliche Anführerin der kleinen Garde trat vor. Sie war eine vollschlanke, kurvige Frau - Amanda sah sie bewundernd an - , trug als Attentäterin natürlich Schwarzes Leder und war mit einigen Waffengurten ausgerüstet, an denen zahlreiche stählerne Wurfsterne, Phiolen mit vermutlich giftigem Inhalt und ein gefährlich langer Dolch befestigt waren. Am rechten Unterarm war mit kompliziert anmutendem Gurtzeug eine lange, scharfe Klinge befestigt, die außen weit über den Handrücken ragte und grünlich glitzerte.
Die Gefährtinnen der Frau waren ähnlich ausgestattet. Die Anführerin musterte die Gruppe der Neuankömmlinge kalt unter schwarzen Ponyfransen hervor und versetzte schließlich schroff: "Ach, du bist das, Cain. Was willst du denn mit diesen Kindern hier? Du weißt sicher, dass wir jemanden erwarten, also hoffe ich für dich, dass du sie uns nicht als Schützlinge andrehen willst!"
Cain kicherte verhalten, wurde aber rasch wieder ernst und antwortete: "Lyssandra! Schön, dich wieder zu sehen. Nun, als Theleopathin solltest du eigentlich wissen, dass diese 'Kinder', wie du sie nennst, diejenigen sind, die ihr erwartet! Also, sei bitte so freundlich und bring uns zu Yrina, ja?"
Lyssandra starrte Cain einen Moment lang feindselig an, dann knurrte sie: "Du weißt genau, dass ich nicht soweit sehen kann! Aber weil du es bist - glaub mir, wenn es nach mir ginge, würde ich euch achtkantig aus der Stadt werfen! Doch ich will keinen Ärger, soll Yrina sich doch selbst mit euch herumschlagen. Also, kommt mit."
Sie gab den anderen Assassinen ein kurzes Zeichen, und sie zogen sich wieder in die Wachhäuschen zurück, lautlos wie Schatten im immer heller werdenden Tageslicht.
Etwas verdattert über den seltsamen Wortwechsel zwischen Cain und Lyssandra folgte die Gruppe den beiden gehorsam durch das schwarze Stahltor ins Innere der Kaserne.

Innerhalb der hohen, abweisenden Mauern befand sich fast eine eigene, kleine Stadt: Zahlreiche Gebäude waren entlang des Walls gebaut worden und Cain erklärte ihnen im Vorbeigehen leise, worum es sich handelte. Da gab es lange, niedrige Wohnkomplexe, Küchengebäude, zwei große Trainingshallen, eine Kapelle, Waffen-und Geräteschuppen und natürlich das erhabene, schwarzmarmorne Haupthaus, in dem sich alles Wissen und die gesamte Macht und Organisation der Assassinenstadt ballten: Dies war das Herzstück Merilans, und seine Bewachung wurde dem mehr als gerecht. Rings um das Gebäude waren unzählige schwarzgekleidete Kriegerinnen postiert, hin und wieder sah man auch einige mit Schwertern oder Lanzen bewaffnete Männer, die allerdings etwas verloren wirkten und hektisch hin- und herliefen.
Lyssandra blieb am Eingang des kleinen Palastes stehen und sagte kühl: "Da wären wir. Cain, du kennst ja die Prozedur... Ich gehe wieder auf meinen Posten, wenn es dir recht ist." Der letzte Satz troff nur so von beißender Ironie, und nach einem kurzen Kopfnicken entfernte sich die grimmige, untersetzte Assassine.

Cain rieb sich vergnügt die Hände und raunte mit listigem Lächeln: "So, jetzt passt mal gut auf, was so ein alter Kerl wie ich noch alles kann!"
Er ging festen Schrittes auf die Wachen an der Haupteingangstür zu und sprach kurz mit ihnen. Sie nickten, warfen der Gruppe knappe Blicke zu und traten beiseite. Melissa, Amanda, Ronny, Ronin und Sally folgten Cain unsicher. Der aber schien genau zu wissen, was er tat:
Er trat vor und legte seine Hände auf die dunkle Eichentür. Sofort fuhren einige tentakelartige, glatte Schlangen aus dem Holz und wanden sich um Cains Handgelenke, wobei sie zischend ihre Köpfe hoben. Keine der Wachen schien es zu interessieren.
Sally und die anderen waren sowohl fasziniert als auch wie gelähmt vor Schreck: Diese - Wesen schienen direkt aus dem Holz gewachsen zu sein und wirkten irgendwie...unecht.
Cain lachte zu ihrem Entsetzen auf und meinte: "Nein, also so etwas, wie einfallsreich - seht ihr, das Haus testet mich. Aber das haben wir gleich." Er murmelte etwas, blies auf die Schlangen und sie fuhren sofort zurück, um wieder mit der Tür zu verschmelzen.
Cain stieß mühelos die Tür auf und winkte den anderen, ihm zu folgen. Verwirrt gehorchten sie und betraten die kühle, einschüchternd hohe Eingangshalle des Machtzentrums von Merilan.

Drinnen führte eine breite Treppe, deren Stufen aus blankpoliertem, dunklem Holz waren, nach oben; außerdem zweigten einige Gänge und Türen von der Halle ab, und aus einer von ihnen trat nun eine beeindruckende Frau, die ihnen lächelnd entgegen eilte: Sie war recht groß und recht schlank. Ihr Gesicht war...nun, mittelalt; die schwarzen Augen blickten freundlich, doch konnten sie sicher auch jenen typisch stechenden Blick annehmen, der die meisten Assassinen auszeichnete. Die vollen Lippen und hohen Wangenknochen machten sie attraktiv, und ihr feines, nussbraunes Haar fiel in weichen Locken auf die Schultern.
Die Frau trug eine schlichte, hellgraue Hose aus weichem Stoff und dazu eine dunkelblaue Tunika, die von einem schlichten Ledergürtel in der Taille gehalten wurde und gut zu ihrem dunkel-exotischen Teint passte.
Weiche Lederstiefel rundeten die harmonische Erscheinung ab. Das Außergewöhnliche an der Frau, die wohl Yrina sein musste, war die unsichtbare Aura von Macht und grenzenlosem Selbstvertrauen, die sie umgab.
Nun umarmten Yrina und Cain einander mit der Herzlichkeit langjähriger Freundschaft. Daraufhin nahm Yrina die Gruppe in Augenschein, stellte sich vor und meinte mit samtener Stimme: "Ich verstehe eure Verwirrung; dies alles ist sehr viel für euch, aber glaubt mir, hier seid ihr sicher und werdet genug Zeit haben, um euch auszuruhen, zu fragen-", sie zwinkerte Sally schelmisch zu, "und zu verstehen, warum ihr so wichtig seid!"
Die Gruppe nickte einmütig, völlig überwältigt von den Erfahrungen der letzten Zeit. Cain flüsterte Yrina etwas zu, woraufhin die Assassinenmeisterin nickte und sprach: "So, und nun werden wir erst einmal frühstücken. Kommt mit!"

Sie schlossen sich den beiden bereitwillig an, und staunend und neugierig durchquerten sie das riesige Gebäude, dessen Geheimnisse ihnen in der nächsten Zeit viel beibringen und zeigen würden - wenn auch nicht immer das, was sie erwarten mochten.


--> Up vom 28. 06. 2005


Achtung, Zeitsprung! :p


12. Juni, Vormittags

Sally ging gerade hinüber zum Trainingsplatz, als ein Bote vom Osttor aus der Kaserne entgegeneilte und der jungen Assassine, vor Anstrengung keuchend, einen versiegelten Brief übergab. Sie nickte ihm zu und öffnete den Brief, ohne ihren Weg zu unterbrechen. Er war von Amanda:

"Liebe Sally!

Es ist einfach fabelhaft hier, Yrinas Entscheidung, mich herzuschicken, war goldrichtig!"

Sally hielt kurz inne und erinnerte sich grinsend an jenen stürmischen Abend im Dezember... Sie saßen am Feuer in Cains Quartier. Bis jetzt waren Amanda, Melissa, Sally, Ronin und Ronny vollauf damit beschäftigt, tagsüber den harten Drill der Assassinen auszuhalten und sich abends bei Cain mit dem Studium der Theleopathie zu befassen.
Doch an diesem Abend war etwas anders: Yrina, die sie seit dem Abendessen am Tag ihrer Ankunft kaum noch zu Gesicht bekamen, hatte ihren Besuch angekündigt.
Als sie eintraf, eröffnete sie der Gruppe, dass sie getrennt werden sollten - was alle zunächst mit stummem Entsetzen hörten, waren sie doch inzwischen zu einem vertrauten Team zusammengewachsen. Doch Yrina zu widersprechen - noch dazu, wenn selbst Cain schwieg und sehr ernst war! - , wäre ihnen nie in den Sinn gekommen.

Yrina hielt ihnen einen langen Vortrag über die Kraft des Einzelnen und die Notwendigkeit objektiven Denkens, aber überzeugen konnte sie keinen von ihnen. Dann teilte sie ihnen mit, wozu jeder von ihnen laut den Sehern im Turm bestimmt sei...

"Das Leben hier kam mir erst sehr langweilig und viel zu streng vor, aber seit ich den Kampf üben darf, macht es richtig Spaß! Heute gab Yschandril mir ein seltsames Buch, er meinte, es sei sehr wichtig für meine Ausbildung..."

Sally setzte sich auf eine Bank an der Seite der Trainingsplatzbegrenzung und runzelte die Stirn. War es beabsichtigt, dass sie alle heute diese Bücher bekamen?! Amandas Brief war durch den Boten nicht länger als eine Stunde unterwegs gewesen, Melissa hatte ihr ebenfalls eine Botschaft zukommen lassen - sie war im Moment im Magierturm - , auch sie hatte eines bekommen: In Blau stand darauf "Magie, Klauenbeherrschung und Führungsqualitäten".

Ronin, der wie ein Besessener Tag und Nacht trainierte, hatte ihr über Cain (der dabei geheimnisvoll glächelt hatte) mitteilen lassen, dass er nun ebenfalls im Besitz eines solchen Buches sei - es war ebenfalls ledergebunden, jedoch stand darauf in rot geschrieben: "Klauenhämmer, Feuerschreie und Sprungattacken" - und Ronny, mit dem Sally am Morgen in telepathischem Kontakt gestanden hatte, hatte in seinem Hain auch ein Buch erhalten - Leder, in grün beschriftet mit "Naturkräfte, tierische Begleiter und Verwandlung".
Sie selbst hatte ihres - ein kleines Büchlein, auf dem in schwarz-goldenen Lettern "Fähigkeiten, Fertigkeiten und Theleopathie" gedruckt war - heute morgen von Lyssandra erhalten, jener mürrischen Assassine, die nun ihre Lehrerin und auch gute Freundin war. Als Sally fragte, was es damit auf sich habe, hatte Lyssandra nur kryptisch geantwortet: "Nun, warte nur bis heute Abend!"

"Und weißt Du was? Ich kann es kaum glauben, aber heute Abend soll ich tatsächlich zu euch kommen, um mit euch zu essen und irgendetwas furchtbar wichtiges zu besprechen!! Eigentlich darf ich das gar nicht verraten, aber ich konnte nicht anders..."

Sallys Herz machte einen kleinen Hüpfer: Wie schön! Wenn Amanda zu Besuch kam, würden bestimmt alle da sein - Sally war sicher, dass hier ein Zusammenhang mit diesen seltsamen Büchern bestand.

"Dieses Buch ist so wunderschön, es ist aus Leder und es steht in silberner Schrift darauf: 'Ehre, Auren und Paladinkodex'! Ach, Sally, es ist ja so aufregend!"

Die junge Theleopathin lächelte. Sie konnte sich Amanda lebhaft vorstellen, wie sie auf- und abhüpfte und sich über ein hübsch verziertes Buch freute.

Was Sally sich nicht hatte vorstellen können, war, wie sehr Menschen sich im Laufe eines halben Jahres verändern können - innerlich wie äußerlich.
Nachdem sie den ganzen Tag mit Lyssandra immer und immer wieder geübt hatte, ihre Klauenwaffen nur mithilfe ihrer Gedankenkraft wahlweise zu erhitzen, zu vereisen, zu vergiften oder elektrisch aufzuladen - mit mehr oder weniger großem Erfolg - , kam Sally in der Abenddämmerung in die Schülerunterkünfte, um zu duschen.
Nachdem sie sich unter der heißen Brause entspannt und ihre Muskeln gelockert hatte, trat Sally im Umkleideraum vor den hohen Spiegel, den sie zu Anfang immer so gehasst hatte. Einmal mehr war sie verblüfft darüber, wie stark ihr Körper sich verändert hatte, seit sie so hart trainierte: Zwar waren ihre Hüften immer noch knabenhaft schmal und ihre Brüste recht klein, doch ihr gesamter Leib war muskulös und geschmeidig. Ihr Haar - 'Na, lassen wir das', dachte Sally und fuhr mit den Fingern durch die nun raspelkurzen, endlich ordentlich schwarz gefärbten Strähnen.
Sally schlüpfte in ihre übliche Freizeitkleidung: Schwarze Unterwäsche, schwarze, enge Jeans und heute ein schwarzes Top mit der Aufschrift "Assassins have more Fun!", dazu bequeme Turnschuhe und silberne Totenkopf-Ohrringe (Das Stechen der Ohrlöcher mit einer heißen Dolchspitze hatte entsetzlich wehgetan, aber es hatte sich gelohnt!).

Sally ging hinüber zum Haupthaus, unter dessen Türen heimeliger Lichtschimmer die beginnende Dunkelheit durchdrang. Es musste schon sehr spät sein, wenn es bereits dunkel wurde - Sally beeilte sich, obwohl sie instinktiv wusste, dass sie ohnehin die Letzte in der Runde sein würde. Das war nunmal ihr Schicksal.
Nun, da sie die große Halle betrat, die mit Kerzen erleuchtet und in deren Mitte ein langer, festlich gedeckter Tisch aufgestellt worden war, staunte Sally nicht schlecht:
Da war Amanda, die kaum wieder zu erkennen war. Füllig wie eh und je, doch um einiges besser proportioniert, stand sie selbstsicher und ruhig neben Cain und unterhielt sich leise mit ihm. Sie trug braune Lederhosen, ein passend geschnürtes Mieder mit Metallbeschlägen auf Schultern, Rücken und Bauch. Um die Hüfte hatte sie einen Schwertgurt angelegt, in dessen Scheide eine lange Klinge mit verziertem Griff steckte.
Amandas Gesicht war ebenmäßiger geworden, und dezentes Make-Up betonte ihre hübschen Züge. Das blond-goldene Haar war durch einen schmalen silbernen Reifen aus dem Gesicht genommen und fiel in weichen Wellen Amandas Rücken hinab.
Ein Stück von Cain und Amanda standen Ronin und Ronny, ebenfalls in ein Gespräch vertieft: Der ehemalige Barbar, den Sally hin und wieder von weitem sah, wenn er auf den Übungsplatz außerhalb der Stadt ging, hatte sich auch verändert. Er trug eine geschnürte, graue Stoffhose und eine schlichte, weiße Tunika, die ihm ein merkwürdig sanftes Aussehen verlieh. Sein ehemals kahler Kopf war inzwischen von kurzem, dunkelblondem Haar bedeckt. In seinem Gürtel steckten ein Paar Lederhandschuhe, daneben eine Phiole mit roter Flüssigkeit und ein geradezu unanständig riesiger Hammer aus Metall, dessen Kopf sich zur Spitze hin in zwei scharfe, klauenartige Ausbuchtungen spalt.
Als Sallys Blick zu Ronny wanderte, erkannte sie ihn kaum wieder: Das braune Haar war zu einer wilden Mähne geworden, die braunen Augen blitzten listig. Unter der engen Fellweste spannten sich starke Muskeln, um die ebenfalls beachtlichen Oberarme trug er feine Lederbänder. Seine Hose war schlicht und ledern, weiche Stiefel schützten seine Füße und im Hüftgurt fand sich ein Sortiment knöcherner Dolche und diverser Lederbeutel.
Sally wandte ihren Blick wie benommen Melissa zu, die sie ebenfalls seit der gemeinsamen Grundausbildung vor einigen Monaten kaum noch sah und wenn, dann nur von ferne. Die Assassinenschülerin, die zur Zeit die Kunst der Magie erlernte, trug ihr schwarzes Haar nun schulterlang, die Stirn schmückte ein glitzerndes Diadem. Über die Brust war eine Art grüner Seidenstoff kompliziert so gewickelt, dass sich ein anmutig wirkendes Oberteil ergab. Melissa trug einen kurzen, grün-samtenen Wickelrock mit goldenen Zierborten und hellbraune Lederstiefel. In der rechten Hand hielt sie selbstsicher einen langen, stabilen Holzstab, der bläuliches Licht verströhmte - doch am feinen, geflochtenen Gürtel war eine schimmernde Klauenwaffe befestigt.
Melissas ebenmäßige Züge strahlten eine Reife aus, die ihre knapp achtzehn Lebensjahre Lügen strafte. Jetzt wandte sie Sally ihren glühenden Bernsteinblick zu, strahlte sie an und kam auf sie zu: "Sally - wie siehst du denn aus? Hast du dich nicht in Schale geworfen? Na, egal. Dieser Abend ist sehr wichtig für uns alle... Komm mit, ich helfe dir, dich umzuziehen!" Sally ließ sich verwirrt und willenlos mitziehen, vorbei an den Anderen, die ihr vergnügt zunickten. Melissa schleifte Sally durch eine Tür am Kopfende des Saales und dann eine Treppe hinauf in ein kleines Gemach, in dem lediglich ein breiter Tisch stand. Darauf lag, ziemlich einsam, ein schwarz-rotes Kleiderbündel, bei dessen Anblick Sallys Herz höher schlug: Klamotten! Ja, vielleicht war das unreif von ihr - aber zur Hölle, sie wurde nächste Woche erst achtzehn!
Als sie fertig war, trug Sally eine rote, enge Hose, die mit schwarzen Lederriemen umgürtet war. Dazu ein schwarzes, anschmiegsames Mieder, über dem ein enges, silbrig-feingliedriges Kettenhemd lag.
Schwarze Lederstiefel und ein silberner Gürtel, an dem eine Klaue und ein Arsenal Wurfsterne befestigt waren, rundeten das Outfit ab - Sally fühlte sich wunderbar.
Doch als sie die Treppe hinabstiegen und sich wieder in den Saal begaben, begannen ihre inzwischen gut ausgebildeten theleopathischen Sinne zu arbeiten und Sally fragte sich, was der Anlass dieser Veranstaltung war.

Irgendetwas sagte ihr, dass dieser Abend erneut ihrer aller Leben verändern würde...
 
hmm der name der story der erinnert mich irgendwie an einen film nur der hieß Assassins-die Killer...

naja egal also ich finde man solte ja auch nicht sofort mit der action anfangen den man solte ja wenigstens erst mal wissen wer da überhaupt mitspielt...
 
Achtung, hier geht's weiter!

--->> Up vom 07. 07. 2005!!


12. Juni, Abends

Als Melissa und Sally den Saal betraten, hatten die Anderen bereits am Tisch platzgenommen. Amanda zwinkerte Sally vergnügt zu und bedeutete den Beiden, sich zu ihr zu setzen.
Yrina, die eine glänzende Robe aus Kuraster Seide trug, hatte inzwischen ihren Stammplatz am Kopfende der Tafel eingenommen und dirigierte von dort aus mit fröhlicher Miene die Bediensteten, die eifrig hin- und herhuschten und köstliche Speisen aus dampfenden Schüsseln verteilten. Sally bekam einen Teller mit Kartoffeln, verschiedenem exotischen Gemüse und kleinen Fleischspießchen serviert. Sie begann zu essen und lauschte mit halbem Ohr den leisen Tischgesprächen, die wie leise Musik um sie herum den Saal mit feinem Raunen erfüllten. Die junge Theleopathin fühlte sich warm und geborgen, mehr, als sie sich jemals in ihrer wirklichen Familie gefühlt hatte...
Nach einiger Zeit konnte Sally dem Drang nicht widerstehen, ihre theleopathischen Sinne ein wenig schweifen zu lassen. Ihr Geist wanderte durch die Reihen ihrer Freunde, spürte Wohlwollen, Sanftmut und Ausgeglichenheit in fast jedem von ihnen - bis sie zu Yrina gelangte. Sally tastete vorsichtig nach den Gedanken der mächtigen Assassine... Da war die glatte Oberfläche, die alles darunterliegende schützte... 'Pass auf!', ermahnte Sally sich selbst. Es war nicht ungefährlich, einen mächtigen Geist ausspionieren zu wollen, vor allem, wenn man es, wie sie, nur zum Spaß tun wollte.
Sally schob sich beiläufig ein Stück Kartoffel in den Mund und hielt den Blick auf den Teller gerichtet, um nicht aufzufallen.
Plötzlich versetzte Yrina ihr einen raschen, geistigen Schlag, der Sally voll traf und sie samt ihrem Stuhl zu Boden warf.
Alle Blicke wandten sich dem jungen Mädchen zu, das da eben mit lautem Poltern und ohne ersichtlichen Grund umgekippt war; zunächst sahen sie bestürzt zu ihr hinüber - außer Yrina, die leicht schmunzelnd weiteraß - , dann, als sie erkannten, dass Sally unverletzt war, begannen sie zunächst zu grinsen und lachten dann schallend los, Cain am lautesten.
Sally war kurz benommen, dann rappelte sie sich mit hochrotem Kopf auf und rieb sich die schmerzende Stirn. Ohne zu wagen, Yrina anzusehen, stellte sie den Stuhl wieder hin und setzte sich.
Nachdem das Gelächter verebbt war und einige kurze, scharfzüngige Bemerkungen über vorwitzige Theleopathieschüler hin- und hergeflogen waren, wandten alle ihre Aufmerksamkeit wieder dem Essen zu.
Sally jedoch war der Appetit gründlich vergangen, und auf einmal erschien ihr die heitere Versammlung wie eine Farce: Yrina und Cain sollten endlich herausrücken, was der Zweck dieser Zusammenkunft war!!
"Ich spüre es auch", vernahm sie plötzlich Ronnys telepathische Stimme in ihrem Geist. Sie blickte auf, und ihre Blicke begegneten sich über den Tisch hinweg. Sally lächelte schwach und antwortete: "Das macht mich noch wahnsinnig. Nie sagen sie gerade heraus, was sie wollen!" Ronny nickte. Sallys Blick traf den Ronins, der misstrauisch von ihr zu Ronny und wieder zurückblickte: Sein Barbarenblut war stark, und wenngleich er inzwischen etliche Assassinentechniken erlernt hatte, so hielt er doch nichts von Telepathie, Theleopathie und höherer Magie.
Melissa schaltete sich in die telepathische Unterhaltung ein: "Hey, beruhigt euch. Sie werden uns schon rechtzeitig sagen, was los ist! Alles geschieht im ewigen Gleichgewicht der-"
"-magischen Kraft des Universums!", ergänzten Sally und Ronny einstimmig das Zitat aus dem "Buch der hohen Magie", das Melissa zu ihrer Bibel erkoren hatte und aus dem sie alle einiges gelernt hatten.
Sally und Ronny prusteten los, verbissen sich das Lachen aber schleunigst wieder, als Cain und Amanda sie fragend ansahen.
"O mann", meinte Sally in die telepathische Runde, "manchmal vergesse ich ganz, dass nicht jeder die Telepathie beherrscht..."

"SCHLUSS JETZT!!"

Yrinas starke telepathische Stimme donnerte in ihren Sinnen, und Ronny, Melissa und Sally fassten sich gleichzeitig stöhnend an den Kopf.
Nun war es an Amanda und Ronin, schallend loszulachen: "Ach so", prustete die Paladinanwärterin, "ihr mit eurem Geist-Geflüster! Das geschieht euch ganz recht..."
Cain lächelte still, und Yrinas schwarze Augen funkelten vergnügt, als sie nun ihre reale Stimme erhob: "Ich schätze, das reicht jetzt. Ihr wisst, dass ich es ganz und gar nicht schätze, wenn Theleopathen in Anwesenheit solcher, die diese Kräfte nicht beherrschen, heimlich im Geiste tuscheln.
Aber ich verstehe eure Neugier", fügte sie hinzu, "und ihr sollt bald erfahren, was der Anlass dieses Treffens ist. Wenn ihr alle aufgegessen habt, folgt mir bitte in den Salon."
Natürlich hatte nun keiner der Schüler mehr Appetit, und so erhoben sie sich bald und folgten Cain und Yrina durch die große, dunkle Vorhalle des riesigen Gebäudes in den Salon: Dies war ein weitläufiger, doch recht niedriger Raum, gemütlich ausgestattet mit etlichen Sofas, Sesseln und einem prächtigen Diwan.
An der rückwärtigen Wand erhob sich ein mächtiger offener Kamin, der im Sommer jedoch kalt und leer war.
Zwei hohe, verglaste Fenster auf der linken Raumseite gewährten einen Blick hinaus auf den dunklen Hof, in dem sich neben dem Drahtzaun des Trainingsplatzes einige Birken im sachten Wind wiegten. Einige Assassinen patroullierten über den stillen Hof.
In der Mitte des Salons stand ein runder, niedriger Tisch, auf dem bereits Obst und Gebäck angerichtet waren. Amanda steuerte direkt darauf zu, nahm sich selbstsicher eine handvoll Kekse und ließ sich auf eines der Sofas fallen. Sally und Melissa nahmen neben ihr platz, und als Ronin und Ronny etwas unschlüssig herumstanden, stupste Cain sie sacht an und raunte: "Na, nun setzt euch schon"; sie kamen der Aufforderung nach.
Yrina setzte sich in einen hohen, reich verzierten Sessel, Cain ließ sich auf einem Sofa daneben nieder.
Die Schüler blickten erwartungsvoll zu den Beiden hinüber, als Sally plötzlich aufsprang und überrascht ausrief: "Akara - Sokara - und - und - Lyssa!!"
Die anderen Schüler sahen sie verwirrt an, doch als es an der Tür klopfte, sprangen auch sie auf.
Und tatsächlich, die Tür öffnete sich, und eine kleine Prozession betrat den Salon:
An der Spitze ging Akara, ganz in schwarzen Samt gekleidet. Ihr folgte ihre Schwester Sokara, die ein hellgraues Kleid mit Kapuze und weiten Ärmeln trug, und hinter ihr trugen vier schlicht gekleidete Männer aus Himmeltreu eine Bahre, auf der die totenbleiche, aber wache Lyssa lag.
Begleitet wurden sie von einigen Jägerinnen, unter denen Sally zu ihrer Freude Lynnia erblickte, die sich rasch im Raum verteilten und Posten an den Fenstern bezogen. 'Immer auf der Hut', dachte Sally.
Die Träger stellten die Bahre neben einem der Sofas ab, und gemeinsam halfen sie Lyssa auf den Diwan hinüber. Die einst mächtige Assasssinenmeisterin war erschreckend dünn geworden und ihre Bewegungen wirkten fahrig, doch Lyssas Blick war eisern wie eh und je.
Cain und Yrina begrüßten die Gruppe herzlich, während die Schüler sich ungeduldig im Hintergrund hielten.
Als auch sie begrüßt worden waren, nahmen alle erneut platz und Yrina nickte Akara zu, die sich daraufhin erhob und zu den Schülern sprach:
"Ihr Lieben, wir alle freuen uns, euch zu sehen. Wie gut ihr euch entwickelt habt! Doch der Anlass unserer heutigen Zusammenkunft ist leider ein sehr ernster.
Wie ihr euch sicher erinnert, sprach ich damals, als ihr in unserem Lager weiltet, von einer Bedrohung, wenngleich ich nicht deutlicher werden konnte. Nun hat sich diese Bedrohung ausgeweitet, und wir alle stehen einem furchtbaren Feind gegenüber, den wir nur mit vereinten Kräften schlagen können. Noch kann keiner von uns ermessen, wie groß die Gefahr, in der wir alle, ja unsere ganze Welt sich befindet, wirklich ist, aber eines steht fest: Ihr alle habt eure Ausbildungen so lange genossen, wie wir euch den Rücken freihalten konnten. Unser Orden erwehrt sich der Angriffe Blutrabes bereits seit eurer Abreise, ja wir baten sogar die Assassinen um ihre Hilfe, welche sie uns großzügig gewährten." Akara nickt Yrina leicht zu. "Doch nun", fuhr sie fort, "ist der Zeitpunkt gekommen, an dem wir euch fünf um eure Hilfe bitten müssen. Für uns, für euch, ja für die Welt."
Yrina bedeutet den Schülern, sich zu erheben, und sie standen reichlich verwirrt mitten im Raum. Akara trat vor sie hin und sprach jeden einzeln an:
"Melissa. Du bist im letzten halben Jahr zu einer ungewöhlich starken und begabten Zauberin und Assassine geworden, vor deren Fähigkeiten sich viele erfahrene Krieger verneigen müssen.

Ronny - ich spüre die Kraft der Natur und das Wissen der alten Mythen in dir; nie zuvor gab es einen so jungen Druiden und Telepathen, der über deine Gaben verfügte!

Amanda... Ach, du erfüllst mein Herz mit Freude! Ich stand dem Orden der Paladine stets nahe, und nun eine so vielversprechende Anwärterin in dir zu erkennen, gibt mir das Gefühl von Sicherheit, nach dem ich mich schon so lange sehne.

Ronin! Dein barbarisches Blut vereint inzwischen die wilde Macht deines Volkes und die Gerissenheit eines Attentäters in sich. Noch nie gab es einen Krieger, der diese Beiden Kampfgeschlechter vereinte.

Und du, Sally. Ich spüre deinen mächtigen Geist, dein Körper ist gestählt. Deiner harrt der wohl schwerste Weg, den je ein Mensch beschreiten musste - doch trotz deiner Jugend weiß ich, dass du ihn gehen kannst. Deine Kräfte", schloss Akara feierlich, "werden eines Tages die aller Sterblichen übersteigen!"

Stille senkte sich über den Raum. Verblüfft und benommen sahen die fünf Schüler mit an, wie die älteren, erfahrenen Würdenträger Cain, Yrina und Sokara zu Akara traten und alle vier vor ihnen, den Schülern, auf die Knie sanken.
Als sie sich wieder erhoben hatten, sprach Sokara: "Nun, der Zeitpunkt ist gekommen, da ihr Fünf die Pfade eures Schicksales erkennen müsst. Keine Angst", fügte sie mit mildem Lächeln hinzu, als Verwirrung über die jungen Gesichter huschte, "wir lassen euch nicht allein damit. Cain wird euch erklären, wie ihr die Bücher, die ihr erhalten habt, benutzen könnt. Akara und ich werden unseren vereinten Geist immer über euch wachen lassen, und Yrina obliegt nun die Aufgabe, jedem einzelnen von euch den Weg zur Erfüllung eurer Bestimmung zu weisen."

Sie nickten, immer noch wie betäubt. Cain, Akara und Sokara setzten sich um Lyssa herum, die mit leisem Lächeln eingeschlafen war - ihr Körper schien immer schwächer zu werden.
Yrina wies nun die Schüler an, sich zu setzen, trat vor sie hin und hielt nun ihre Ansprache:
"Ihr Fünf seid in der Tat die mächtigsten jungen Menschen, die mir jemals begegnet sind! Und so will ich euch nun sagen, was eure Aufgaben im bevorstehenden Kampf sein werden - so ihr sie denn annehmen wollt. Wir zwingen euch nicht, doch solltet ihr inzwischen wissen, dass wir Älteren eure Schicksalspfade besser erkennen können als ihr im Moment und euch zu eurer Bestimmung führen wollen." Sie schwieg einen Moment, und die Schüler nickten artig, zum Zerreißen gespannt auf das, was nun kommen würde.
Yrina fuhr fort:
"Melissa, in Kürze werden dir die weisen Frauen vom Magierturm sowie ich in meiner Eigenschaft als Assasssinenoberste in beiden Disziplinen eine Prüfung abnehmen, die dich dem einen oder anderen Orden zuführen kann. Ob du den Assassinen oder den Zauberinnen beitreten willst, musst du selbst entscheiden, doch egal, wie du wählst, eines bleibt: Deine Bestimmung ist es, eines Tages den uralten, längst vergessenen Orden der Synth'Y'Thain wieder aufleben zu lassen und als Anführerin unter seinem Banner Zauberinnen und Assassinen wie Schwestern zu vereinigen. In nächster Zeit allerdings wird dein Platz an meiner Seite sein." Yrina legte der vor Stolz glühenden Melissa ernst die Hand auf die Schulter und fragte leise: "Willst du diese Bestimmung annehmen, junge Schülerin?" Melissa nickte nur glücklich, unfähig, ein Wort zu sprechen. Sally freute sich aufrichtig für sie: Wie gut sie sich Melissa als strahlende Anführerin eines mächtigen Ordens vorstellen konnte!
Nun trat Yrina zu Ronny und sprach: "Junger Druide, auch du wirst dich in den nächsten Tagen einer Prüfung unterziehen. Sie wird geleitet vom Obersten deines Haines und von einigen Mitgliedern des Seherturmes, bei denen du die Kunst der Telepathie erlernt hast. Du wirst in den Zirkel der Druiden aufgenommen und darfst dir einen Tiergefährten wählen, was sonst nur den weisesten und mächtigsten Druiden vorbehalten ist, wenn du das wünschst, doch eines Tages wirst auch du ein Anführer sein: Druiden und Seher werden unter deiner Leitung die Kunst des Übernatürlichen mit den Wurzeln der Natur selbst verbinden und eine völlig neue Form der weißen Magie erschaffen! Doch bevor du dieses Schicksal erfüllen kannst, ist dein Platz an Sallys Seite, als ihr Helfer, Freund und Ratgeber. Nimmst du diese Aufgabe an?" Auch Ronny nickte ehrfürchtig, schickte Sally jedoch ein kurzes, telepathisches Augenzwinkern hinüber, dass sie mit Freude erfüllte. Was auch immer ihr Schicksal war, sie wäre nicht allein!
Yrina sprach nun zu Amanda, die bereits etwas unruhig geworden war: "Amanda, aus dem etwas albernen, jungen Mädchen, das du vor nicht allzulanger Zeit warst, ist eine starke, mutige junge Frau geworden. Der Orden der Paladine wird dich bald prüfen und dir, wenn du bestehst, den Ritterschlag geben. Doch zunächst wirst auch du Sally begleiten, und eine weitere Aufgabe ist dir zugedacht: Ein Totenbeschwörer namens Kiryan, dessen Kult sich bis auf wenige Blutrabe angeschlossen hat, wird ebenfalls mit euch gehen und du sollst ihn die Güte und Weisheit, die in deinem Herzen wohnen, lehren und von ihm die Lehre der Alchemie empfangen. Eines Tages werdet ihr beide die Gegensätze Licht und Dunkel, Tod und Leben in einer nuen Lehre zusammenbringen und daraus neue Kraft für die gesamte Menschheit schöpfen! Nimmst auch du deine vorgesehene Aufgabe an?" Amanda nickte stürmisch, mit Tränen in den Augen. Sally konnte gut nachvollziehen, wie gut Yrinas Worte ihr taten.
Die Assassinenmeisterin von Merilan trat nun zu Ronin: "Lange verstand ich die Barbaren und ihre Lebensweise nicht, doch als ich dich beim Training beobachtete, wurde mir klar, dass ihr ein Volk der Ehre und Gewissenhaftigkeit seid, das meine Anerkennung verdient. Ich und dein Ausbilder werden dich prüfen und dich, so gut wir es vermögen, beraten. Dein Schicksal ist eng mit Sallys verbunden, und dein Weg wird der ihre sein, wenn du ihn annimmst. Die Verbindung der Assassinenkünste mit deiner urtümlichen Kraft wird für uns alle entscheidend sein, und wenn die Zeit der Kämpfe vorbei ist, wirst du an Sallys Seite ein neues Zeitalter einläuten. Nimmst du diese Bestimmung an?" Ronin nickte verhalten und warf Sally einen Blick zu, aus dem gleichzeitig Ablehnung und Sehnsucht sprachen, begleitet von einem Schwall Gefühle, der Sallys theleopathische Sinne überflutete und sie gründlich verwirrte.
Yrina lächelte sie warm an und sprach feierlich zu Sally: "Die Aufgabe, die auf dich wartet, Sally, ist die schwerste, die ich jemals Jemandem aufbürden musste, und doch liegt dein Schicksal fast klarer vor mir als mein eigenes! Du wirst die Prüfungen der Assassinen und der Theleopathen bei mir und den Sehern absolvieren. Du kannst keinem Orden beitreten, denn du selbst trägst in dir den Keim eines neuen Bundes, und wenn die Zeit reif ist, wird mein eigener Orden sich geehrt fühlen, unter deiner Führung in diesem Bund aufzugehen."
Yrina senkte die Stimme, und im Salon schien es eiskalt zu werden, als sie weitersprach: "Doch zuvor wird dein Weg, so schmerzlich es für mich ist, dir das mitteilen zu müssen, von Tod, Schmerz und vielleicht auch Verlust gesäumt sein. Nur du kannst die schwärzesten Visionen ertragen, auch wenn du es nicht weißt, und du wirst Gegnern gegenüber stehen, die selbst mich mit Grauen erfüllen. Auch wenn du Gefährten haben wirst, so musst du dich doch manchem allein stellen. Dein Geist ist mit Licht erfüllt, doch wirst du oft mit dem Dunkel, das in jedem wohnt, zu kämpfen haben. Stärke dein Selbstvertrauen, Sally, denn die Götter selbst scheinen ihre Macht in dich gepflanzt zu haben, und du wirst Taten vollbringen, die die Welt erschüttern und verändern. Auch hast du als einzige keine Wahl, als dieses Schicksal anzunehmen, denn du bist zu wichtig, als dass die Welt ohne dich diese schwarze Zeit überleben könnte. Ich weiß, das ist ein schrecklicher Druck für ein so junges Mädchen, doch warum sollte ich dich anlügen? Dies ist dein Weg, Sally, und du wirst mit ihm wachsen und eines Tages die vereinten Kräfte des Guten gegen die Hölle selbst führen."
Alle schwiegen betreten, Sally zitterte. Dann hörte sie sich selbst wie aus weiter Ferne sagen: "Danke für deine Ehrlichkeit, Yrina."
Yrina atmete tief durch und sprach zu allen: "Ehe wir uns nun zu Bett begeben, um für die Morgen beginnenden Prüfungen auszuruhen, möchte ich euch noch einiges sagen: Sally, Amanda, Ronin und Ronny werden bald zum Pass der Jägerinnen aufbrechen, wo Blutrabe ihr Heer gesammelt hat und den Weg durch das Gebirge versperrt. Sie wird unterstützt von einem mächtigen Bösen, dass wir noch nicht genau erkennen können... Auch werde ich mich noch mit Lyssa beraten, um mehr über den alten Orden zu erfahren, dessen Emblem Amanda damals auf den Fässern erkannt hat. Möglich, dass wir von ihnen noch Böses zu erwarten haben...
Doch ihr werdet nicht alleine gehen: Lynnia, Kaschya und ihre besten Streitkräfte der Schwestern vom verborgenen Auge werden euch begleiten. Außerdem schicke ich einige meiner erfahrensten Attentäterinnen mit euch, und auch die Paladine und Druiden entsenden geschulte Krieger.
Aus Harrogath erreichte mich heute Morgen die Nachricht, dass die Ältesten der Barbaren bereits vor Wochen Unterstützung losschickten, die sich in Lut Gholein mit einigen Wüstenpaladinen aus Jerhyns Diensten sowie mit Mitgliedern der Kuraster Eisenwölfe unter Führung von Aschara treffen und am Pass von der anderen Seite her kämpfen werden.
Und ein wandernder Amazonenstamm hat einige Kriegerinnen entsandt; ihr werdet sie auf eurem Weg zum Pass treffen.
Sokara, Cain und Akara werden euch vom Seherturm aus beobachten, auch wenn wir euch dann nicht mehr helfen können. Doch vielleicht finden sie noch heraus, wer oder was Blutrabe hilft und können euch auf theleopathischem Wege darüber informieren. Ich glaube fest daran, dass ihr es schaffen werdet, doch für alle Fälle sammeln ich und die Führer der Paladine und Druiden hier unsere restlichen Streitkräfte, um auf weitere Kämpfe vorbereitet zu sein.
Habt ihr noch Fragen, die eure Mission betreffen?"
Sallys Kopf brummte vor Fragen, doch sie betrafen allesamt das Schicksal, dass sie zu erfüllen hatte und wie zum Teufel eine Siebzehnjährige das alles bewältigen sollte.
Yrina fügte noch hinzu: "Ach ja, ehe ich es vergesse: Bevor ihr aufbrecht, werdet ihr selbstverständlich noch ausgerüstet. Und ihr müsst bitte morgen Früh alle eure Bücher mitbringen, wir treffen uns um Sieben zum Frühstück im großen Saal. Danach beginnen eure Prüfungen. Sally - Sally, was ist denn?!"

Die junge Theleopathin starrte keuchend ins Leere. Eine Vision bemächtigte sich ihrer, so verzweifelt sie sich auch dagegen zu wehren versuchte - eine Vision, die sich mit stechender Schwärze und eisigem Grauen einen Weg durch Sallys jungen Geist fraß und sie schließlich vor Schmerz fast ohnmächtig zu Boden warf.
Dann kamen die Bilder...


-->> Up vom 08. 07. 2005


12. Juni, Nachts

Lodernde, glutheiße Schwefelflammen...
Träge fließende Lavaflüsse...
Auf einem Plateau aus erhärtetem Feuer ein Thron aus heißem Stahl...

Sie ging ohne Gefühl über die flüssige Lava, trat auf den Thron zu. Sie sahen sie nicht. Der Herrscher harrte auf seinem Thron, Böses pulsierte in der flirrenden Hitze um ihn herum wie stinkender Giftnebel.
Ein niederer Dämon erschien aus dem Nichts vor dem Thron, kniete nieder... Das gehörnte Haupt des Herrschers wandte sich dem Diener zu; Sally stand nun einige Meter neben ihm, sah das grausige, halbmenschliche Profil der rothäutigen Bestie... Giftiger Speichel troff von seinen Lefzen, und dann erklang seine Stimme, so unendlich dunkel, reibend und endlose Qualen versprechend, dass der junge, zarte Geist der Theleopathin fast an diesem Klang zerbrach:

"Arachniel... Du bist zurückgekehrt..."

Der niedere, humanoid erscheinende Dämon hob die gelben Augen flehend zu seinem Herrn empor und wisperte:

"Ja, Unsagbarer... Aber ich -"

"SCHWEIG, WURM!! Ich spüre dein Versagen. Dieses Abbild von mir ist schwach, aber um dich zu vernichten, reicht es...!!"

"Nein, Herr, ich - ich gehe nochmal, ich - Herr - HERR!! NEEEIIIN!!!!!!!"

Die dünne, panikerfüllte Stimme des Dämons verzerrte sich zu einem schrillen Kreischen, während sein Körper auf einen Wink des Herrschers hin aufquoll, von Pusteln und Beulen übersät wurde und Blasen warf, aus denen stinkender Eiter zischend zu Boden spritzte...

Dann, mit infernalischem Heulen höchsten Schmerzes, zerriss es den Dämon und sein schwarzes Blut besudelte die harte Lava.

Der Herrscher wandte den Kopf... Er schnüffelte, wie ein Tier, das Witterung aufnimmt... Sally spürte, wie ein sanfter Sog sie aus der Vision zog... Sie entfernte sich langsam... Da traf der Blick des Herrschers ihren Geist, und das unmenschliche Glühen, das darin lag, schien alles Leben in ihr auslöschen zu wollen. Sally spürte, wie dieser Blick sie festhielt, sie aufspießte... Ihr Geist wandt sich in unbeschreibbarer Qual, jede Faser ihres Seins schrie in lautloser Pein...

Dann verlosch das Bild schlagartig, nur um von einer anderen Vision abgelöst zu werden...

Aus den tosenden Tiefen der Hölle stieg eine Gestalt empor. Sie war die Gesandte des Herrschers, dessen schwaches Echo Sallys Geist fast vernichtet hatte... Seine wahre Essenz war gefangen, gefangen im Körper eines Menschen... Doch dieser Mensch unterstand schon längst seiner Kontrolle.
Die Gestalt stieß einen ohrenbetäubenden Schrei aus. Ihr Körper maß zwei Mannshöhen oder mehr, seine weibliche Form war nicht mehr als ein pervertiertes Abbild der Natur. Schemenhaft regten sich mehrere sehnige Arme um das Wesen, an deren Enden giftige Stachel saßen...

Sie war gekommen, um ihrem Herrn den Weg zu ebnen und zu jagen... Sie, Sally, zu jagen, denn er hatte sie gesehen und die Gefahr erkannt, die sie darstellte...

Das Wesen kam näher, näher...


"Aaahhh!!"

"Sally, bei allen Göttern - geht es dir gut?!"
Das war Yrinas Stimme. Sally lag einmal mehr auf dem Boden, ihr Körper war geschunden und schmerzte... Sie fand sich nicht zurecht, wollte auch die Augen nicht öffnen. Nein, sie wollte tot sein...
Dann senkte sich die Stille magischen Schlafes über Sallys Geist, und sie wusste nichts mehr...


13. Juni, Vormittags

"Wie konntet ihr das zulassen! Ihr wusstet, dass ihr Geist diese Form der Verschiebung noch nicht beherrscht!!"
"Aber Akara, Cain und ich konnten nicht -"
"Nichts da! Bei den Göttern, ich habe geschworen, den Geist dieses Kindes zu schützen... Und nun weiß ich nicht einmal, ob sie je wieder aufwachen wird!"

"Ich... Ich bin wach..."

"Sally!"
Sie öffnete träge die Augen, noch waren die Erinnerungen an das Erlebte weit, weit weg, nicht mehr als ein dumpfes Pochen in den Tiefen ihres Gedächtnisses.
An ihrem Bett standen Sokara, Cain und Yrina, Akara saß auf einem Schemel neben ihr und hielt ihre Hand.
Sally setzte sich auf - ihr Körper schien gesund, sie fühlte keinen Schmerz.
Akara lächelte sie mit Tränen in den Augen an und flüsterte: "Kind, wie geht es dir?"
Sally rieb sich die Stirn, hinter der auf einmal wieder jener kalte Druck zu spüren war, der sie seit dem Beginn ihrer Ausbildung nicht mehr belästigt hatte. Sie sah in die besorgten Gesichter um sich herum und murmelte: "Es...es geht schon."
Sokara beugte sich vor und fragte sanft: "Sally, ich weiß, es ist viel verlangt - aber kannst du uns erzählen, was du gesehen hast?"
Das junge Mädchen nickte langsam. Nun, da sie langsam wieder zu sich kam und die vertraute Umgebung des Schülerschlafsaales ihren Geist beruhigte, schien das Grauen der Visionen nicht mehr so nah. Und doch - vergessen würde sie es nie.
Sally gestattete den dumpfen Erinnerungen, langsam, Stück für Stück wie Luftblasen an die Oberfläche ihres Bewusstseins zu steigen und berichtete den Anderen von dem, was sie gesehen und erlebt hatte.
Als sie geendet hatte, standen Mitleid, Bestürzung und auch Angst in die Gesichter ihrer Lehrer und Mentoren geschrieben.
Yrina wechselte einen raschen Blick mit Cain, dann sagte sie langsam: "Offensichtlich hast du eine sogenannte Geistverschiebung erlebt, wie wir schon vermutet hatten. Das heißt, du bist nicht nur Beobachter, sondern betrittst mit einem Teil deines Bewusstseins die Vision - es ist eine Kunst, die nur die wenigsten und mächtigsten Theleopathen beherrschen, nicht einmal ich kann das - und dir scheint es ohne dein Zutun geschehen zu sein, ich weiß nicht, warum...
Aber vielleicht musstest du das einfach sehen. Es tut mir Leid, dass wir dich nicht darauf vorbereitet haben, ich hätte nie gedacht - nein, ich habe einfach nicht damit gerechnet. Es tut mir Leid."
Cain schaltete sich ein: "Sally, das Wesen, das du in der zweiten Vision sahst - bist du dir ganz sicher, dass es so und nicht anders aussah?"
Sally überlegte kurz, dann nickte sie: Die schuppig-sehnige, lederartige Haut, die grüne Färbung des gesamten Körpers, die unvollendeten Brüste und hornigen Hufe des Wesens hatten sich ihr als unlöschbares Bild auf immer eingebrannt.
Sally erschauderte beim Gedanken an die Klauen des Wesens, die vier zusätzlichen Arme, die aus dem Rücken sprossen und in scharfen Giftstacheln mündeten...
Dazu das dämonische Gesicht, zu einer hasserfüllten Fratze verzerrt, umlodert von scharlachrotem, filzigem Haar...
Sie schüttelte sich, erstaunt darüber, dass sie nicht mehr als Ekel für dieses Wesen empfand: Sollte sie nicht vor Angst zittern und schreien?!

"Nicht unbedingt", vernahm sie Cains sanftes Denken, dass wie warmes Licht in ihren Geist floss.
"Zum Einen stehst du unter Schock - und zum anderen glaube ich, dass dir allein die Kraft gegeben ist, solch schreckliche Bilder sehen zu können, ohne verrückt zu werden. Bewahre dir diese Ruhe, erforsche ihre Quelle... Du wirst sie noch brauchen!"

Sally blickte zu ihm auf und nickte leicht.
Dann hatte sie eine Frage: "Wisst ihr, wen ich da gesehen habe? Kommen sie hierher?"
Sokara nickte bedächtig: "Ich denke nicht, dass sie hierher kommen. Das mächtige Wesen, dass du auf dem Flammenthron sahst, kann meiner Meinung nach niemand anders als der Herrscher der Hölle selbst sein.
Doch er schien nur ein Abbild seiner selbst, sonst hätte er sofort von dir Besitz ergriffen und durch dich Vernichtung verbreitet... Wenn es so ist, wie du vermutest, steckt sein restlicher Geist wahrscheinlich schon in einem menschlichen Körper und wandelt auf der Welt...
Das zweite Wesen jedoch, das du sahst, muss wohl eines der niederen Übel sein, die in der Hölle dienen.
Es kann sich eigentlich nur um die Dämonenherrscherin Andariel handeln, doch welche Rolle sie genau spielt und ob sich eure Wege bald kreuzen werden, kann ich nicht sagen."

In diesem Moment wurde die Tür aufgerissen, und Amanda, Melissa, Ronin und Ronny stürmten herein. Sie überschwemmten Sally mit Fragen, bis Cain ihnen Einhalt gebot und sie nachdrücklich bat, den Raum zu verlassen und sich weiter auf ihre Prüfungen vorzubereiten.
Unter Murren, aber auch mit "Gute Besserung"-Rufen verließ die kleine Truppe das Gemach.
Akara sagte zu Sally: "Kind, wir lassen dich jetzt allein. Wenn du möchtest, kann ich noch einen Schlafzauber auf dich legen, damit du Ruhe findest -" Sally schüttelte stumm den Kopf, "- gut, wie du möchtest. Dann versuch, zu schlafen; wir werden uns beraten und sehen heute Abend nochmal herein."

Sally war zu matt, um zu widersprechen, auch wenn ihr tausend Fragen auf den Lippen brannten. Vielleicht würde ihr etwas Schlaf guttun...

Die Weisen verabschiedeten sich und verließen leise den Raum.
Sally lag noch eine Weile wach und wartete auf die Panik, die jeden Moment in ihr aufsteigen musste - vergeblich.
Da war keine Angst.
Nur die ruhige Gewissheit, dass sie, Sally, nie wieder das Mädchen sein würde, dass sie gewesen war - sie war erwachsen geworden, in nur wenigen Momenten, wenn auch auf grausame Art und Weise.
Und eines Tages würde sie den Wesen ihrer Visionen gegenüberstehen - Sokara hatte nicht gesagt, dass sie nicht sicher sei, OB Sally dem Wesen begegnen würde;
sie wusste nur nicht, WANN es geschehen würde.

Grimmige Entschlossenheit durchströmte Sallys Herz. Sie würde ihre Prüfung ablegen und trainieren wie eine Besessene, um eines Tages gegen das Böse zu siegen...

Bereits im Dämmerschlaf meinte sie ein Abbild ihres früheren Selbst vor sich zu sehen, das mit verschränkten Armen vor ihr stand und mit beleidigter Miene grollte: "Du spinnst doch. Wirklich, du bist total bekloppt..."
'Das stimmt', dachte Sally lächelnd, 'ich spinne wirklich. Ich und eine Heldin... O mann...'
Doch die Gewissheit, ihr Schicksal erfüllen zu müssen, blieb, und schließlich dämmerte Sally in einen ruhigen Schlaf hinüber.


---> Up vom 13. 10. 2005



17. Juni, Mittags

Sally erwachte mit brummendem Schädel; durch die halb zugezogenen Vorhänge tasteten sich ein paar helle Sonnenstrahlen in den Schlafsaal und tanzten auf den blanken Holzdielen. Vom Hof her klang leises Vogelgezwitscher herein, eine milde Brise trug den zarten Duft von blühenden Obstbäumen und Blumen herein - kurzum, ein perfekter Frühsommertag wartete da draußen.
Sally hätte sich am liebsten direkt wieder unter die Decke verkrochen.
Sie erinnerte sich dumpf an den vorigen Tag, an die Visionen, wirre Träume und - ach ja, sie hatte sich kurz vor dem Einschlafen sehr erwachsen gefühlt, aber das war nicht unbedingt ein schönes Gefühl gewesen... Im Moment jedenfalls wünschte Sally sich nichts mehr, als dass ihre Freunde hereinkämen, um sie zum Essen abzuholen und ihr zu erzählen, dass die Bedrohung aus ihren Visionen nichts weiter war als ein jugendliches Hirngespinst. Außerdem hasste sie perfekte Frühsommertage - neblige, kalte Herbsttage waren viel eher für mystische Assassinen geschaffen, wie sie gerne eine wäre.

Während Sally dalag und düster an die Decke starrte, hörte sie mit einem Mal leises Trappeln auf dem Flur, gefolgt von einem Klappern und wütendem Zischen. Sie setzte sich auf, und unwillkürlich musste sie grinsen: Zumindest ihre Gefährten würde sie also jeden Moment wieder sehen!
Tatsächlich drückte nun jemand die Klinke herunter, und die Tür öffnete sich langsam einen Spaltbreit.
Sally vernahm einen halb geflüsterten Streit hinter der Tür:

"Mann, beweg dich doch einmal leise!!"
"Tu ich doch!!"
"Nein!"
"Doch! Ich - autsch!!"
"Seid doch beide mal still, sonst ist sie gleich wach!!"
"Halt du dich da raus, Melissa!!!"

Es folgte ein leises Rascheln und metallisches Quietschen, dann erneut ein Klappern, Porzellan klirrte leise und schließlich hörte Sally, die sich das Lachen kaum noch verkneifen konnte, wie Amanda wütend knurrte. Ein dumpfer Schlag - und Ronny taumelte ziemlich unelegant und mit lautem Poltern in den Schlafsaal, ein hölzernes Tablett mit Essgeschirr in einer Hand balancierend. Er kam knapp vor Sallys Bett zum Stehen, ruderte kurz mit den Armen und verlor dann endgültig das Gleichgewicht - unter erneutem Gepolter schlug er der Länge nach hin, das Tablett segelte in hohem Bogen durch den Raum und krachte gegen die Fensterwand. Brot, Eier, Tee und Butter verteilten sich über den Boden.
Sally hielt nun nichts mehr: Sie platzte laut heraus, lachte und lachte, bis ihr die Tränen über das Gesicht liefen. Als sie sich langsam wieder beruhigte, sah sie, dass auch die Anderen eingetreten waren und nun um ihr Bett versammelt standen: Da war Melissa, die eine violett glitzernde Prunkrobe des Magierinnenordens trug und wie immer hinreißend aussah. Die Blicke allerdings, die sie aus lodernden Bernsteinaugen immer wieder in Amandas Richtung schoss, waren nicht so hinreißend...
Und Amanda! 'Wow!', dachte Sally. Amandas Trainingskleidung war einer silbern metallenen Vollrüstung gewichen, mit Arm- und Beinbeschlägen, Waffenrock und einer dieser Korpusplatten, in die andeutungsweise Muskeln und ein Bauchnabel eingraviert waren - und Amandas enormer Busen schien sich geradezu durch das Metall zu drängen. Wie sie so dastand, breitbeinig, verschwitzt, einen verzierten Helm unter dem Arm und mit grimmigem Gesicht, hätte Amanda wie eine waschechte Walküre aussehen können - wären da nicht die vielen kleinen Schmetterlingsspangen in ihrem Haar, die diesen Eindruck gründlich zunichte machten.
Ronin war natürlich auch da, er trug eine schwarze Lederhose, robuste Stiefel und ein golden geschupptes Panzerhemd, unter dem seine mächtigen Muskeln... Sally schüttelte kurz und heftig den Kopf, um zu verhindern, dass sie Ronin mit offenem Mund anstarrte. 'Verdammt!', dachte sie, während auch er ihrem Blick auswich, 'diese dumme Prophezeiung!'
Ronny krabbelte inzwischen durch den Raum und sammelte unter leisem Schimpfen Porzellanscherben und Essensreste ein. Doch plötzlich betrat noch jemand den Raum: Ein großer, dünner Mann, etwa in Ronins Alter. Er war ganz in Schwarzen Samt gekleidet, trug einen enganliegenden Anzug und ein langes Cape um die knochigen Schultern, das seltsamerweise wie von selbst um ihn herumwehte. Sein Gesicht war glatt und bleich und bis auf die stechenden schwarzen Augen recht hübsch. Diese Augen jagten Sally sofort einen Schauer über den Rücken: Tief in ihrer lichtaufsaugenden Schwärze glomm ein Glühen, das sie direkt zu durchleuchten schien. Noch auffälliger jedoch war sein Haar: Es war lang und schneeweiß und wallte ebenfalls um das blasse Gesicht, ohne dass ein Lüftchen wehte. In der schlanken rechten Hand hielt der junge Mann eine Art bleigraues Zepter, das von einem merkwürdigen... Schatten umgeben war.
Das musste eindeutig der Totenbeschwörer Kiryan sein, dem Amanda ihre Güte beibringen sollte... Er warf Sally einen kühlen Blick zu und schnarrte mit kalter Stimme: "Ich bin Kiryan, du hast sicher von mir gehört." Und bevor Sally noch etwas erwidern konnte, wandte er sich zu Ronny um, der in seiner braunen Wildlederhose immer noch auf dem Boden herumrutschte und Essensreste zusammenklaubte, hob eine langfingrige Hand und bewegte sacht die Finger, woraufhin eine Art Nebel aus ihnen hervorströmte, wie ein Teppich den Boden bedeckte und sich dann in Luft auflöste. Ronny starrte den Totenbeschwörer mit wutverzerrtem Gesicht an: Ihm als Druiden ging nichts mehr gegen den Strich als nekromantische Zauberei. Sally verstand ihn gut, Kiryan war ihr furchtbar unsympathisch - allerdings befand sich nicht das kleinste Eikrümelchen mehr auf dem Boden, alles war wie blankgewischt. "Wenigstens zum Putzen können wir ihn gebrauchen", meinte sie telepathisch zu Ronny, dessen Gesichtsausdruck sofort von wütend zu angestrengt wechselte, als er sich offensichtlich bemühte, nicht laut loszulachen.

Sally wandte sich nun an alle: "Hey, schön, euch zu sehen... Habt ihr alle eure Prüfungen etwa schon hinter euch?!" Melissa lächelte sanft und sagte: "Hmm, ja... Du hast immerhin vier Tage geschlafen..." Sally zuckte zusammen. Vier Tage?! Aber offensichtlich hatte sie den Schlaf gebraucht... "Und wie du siehst," fuhr Melissa fort, "haben wir alle bestanden! Ronny wurde in den Hain aufgenommen und durfte einen - äähm... Tiergefährten wählen, den er dir sicher gleich selber vorstellen will..." Ronny schaute merkwürdigerweise äußerst konzentriert auf einen der Vorhänge, als säße dort eine Nymphe zwischen den Stofffalten und riefe ihn zu sich. Melissa räusperte sich und fuhr fort: "Ja, und Ronin hat auch bestanden, aber er ist natürlich immer noch ein Barbar - quasi eine Mischung..." Noch immer konnte Sally nicht in Ronins Richtung sehen. Sie spürte, dass früher oder später etwas zwischen ihnen geschehen würde, doch im Moment fand sie allein den Gedanken daran schon so peinlich, dass sie am liebsten - "Und ich," unterbrach Melissa zum Glück Sallys Gedanken, "ja, ich gehöre nun offiziell den Schwestern im Magierturm an. Sieh mal!", fügte sie stolz hinzu und streckte ihre Hand aus. Sally blickte aufmerksam auf Melissas Handfläche. Melissa schloss die Augen, ihr Gesicht entspannte sich. Und dann - ganz langsam - erschien auf ihrer Handfläche eine winzige, blau leuchtende Kugel aus Licht. Sie waberte, wuchs und dehnte sich schließlich zu Kopfgröße aus. Das Licht bewegte sich immer schneller in nebligen Schlieren, rotierte und verquirlte sich, bis sich schließlich Gesichtszüge formten... Sally sah fasziniert zu Melissa auf, der kleine Schweißperlen auf der Stirn standen. Auch die Anderen sahen interessiert zu, bis auf Kiryan, der sich auf einen Stuhl in der Ecke gesetzt hatte und sein Zepter viel spannender zu finden schien. "Eingebildeter Affe", meinte Ronny telepathisch zu Sally. Sie nickte leicht und wandte sich dann wieder Melissa zu, über deren Handfläche inzwischen eine fast perfekte Nachbildung ihres eigenen Gesichtes schwebte, mit geschlossenen Augen und natürlich blau leuchtend. Allmählich schien das wirbelnde Licht, dass sich auf ihren Gesichtern widerspiegelte, sich zu beruhigen und regelrecht... fest zu werden, bis tatsächlich der Eindruck entstand, Melissa hielte eine Kopie ihres Kopfes in der Hand. Das blaue Gesicht begann sich zu bewegen, das Leuchten wurde noch etwas schwächer. Plötzlich fiel Melissas Arm schlaff herab, sie stand nun mit geschlossenen Augen und dem Ausdruck höchster Konzentration auf dem Gesicht da. Der blaue Kopf schwebte noch da, wo Melissa ihn losgelassen hatte. Das Gesicht bewegte sich erneut, nun öffnete es die Augen und blickte mit blauem Glanz umher. Schließlich, Melissa keuchte leise, öffneten sich langsam die blauen Lippen und formten Worte. Zunächst war nichts zu hören, doch plötzlich erklang, wie ein hallendes Echo Melissas, eine leise Stimme aus dem Mund: "Aaallooo..."
Erneut keuchte die echte Melissa. Dann, ganz plötzlich, zuckte ein breites Grinsen über das magische Antlitz, und mit einem leisen Knall zerwirbelte es zu vielen dünnen, blau leuchtenden Nebelschwaden, die sich langsam auflösten.
Melissa schlug schwer atmend sie Augen auf, wischte sich mit dem Ärmel ihrer Prunkrobe die Stirn und meinte: "Na? Ich weiß, ich weiß, das Sprechen klappt noch nicht. Aber glaubt mir, dass ist viel schwieriger, als Feuerbälle durch die Gegend zu werfen!!"
Alle bis auf Kiryan lachten. Dann räusperte sich Amanda und meinte: "Jaa, und ich bin jetzt ein Ritter!! Den Rang des Paladins muss ich mir noch verdienen, aber ich gehöre bereits dem Orden an!"
Sally beglückwünschte sie und fragte dann Ronny nach seinem Tiergefährten. er druckste erst etwas herum dann griff er schließlich in die Hosentasche und zog ein kleines Säckchen hervor. Sally starrte verständnislos darauf, sah ihn dann fragend an. Ronny seufzte und meinte leise: "Tjaa, das ist er... Genauer gesagt, in dem Beutel ist etwas magisches Futter, das den für mich bestimmten Tiergefährten anlocken sollte. Leider hat es nicht geklappt - Die anderen Druiden meinten, ich solle es einfach demnächst noch mal ausstreuen... Naja."
Sally wollte ihn trösten, doch in diesem Moment trat Lynnia ein, in voller Reisemontur und bewaffnet. Sie wirkte aufgelöst. "Schnell", meinte sie hastig, "ihr müsst euch bereitmachen. Kaschya und die anderen Schwestern sind bereits aufgebrochen. Vom Pass herab kam eine Horde... Geschöpfe... Sie greifen Merilan an, wenn wir sie nicht stoppen - nun kommt schon, in zehn Minuten erwarte ich euch im Hof an der Waffenkammer!!"
Und schon war sie wieder verschwunden. Kiryan war aufgesprungen und hatte Lynnia hasserfüllt angestarrt. Sally fand das merkwürdig, aber darum würde sie sich später Gedanken machen. Jetzt jedenfalls scheuchte Melissa die Männer hinaus und Sally schlüpfte in aller Eile in ihren Assassinendress. Dann raste sie ins Bad, wusch sich rasch und putzte die Zähne. Während sie hastig eine Scheibe trockenes Brot verschlang, dass den Tablettflug überlebt hatte, meinte Amanda düster: "Jetzt wird's ernst." Melissa war inzwischen aus ihrer Robe und in ihre Kampfkleidung geschlüpft: Goldner Brustpanzer, violetter Rock, metallene Beinschienen und Stirnreif.

Keiner von ihnen hatte Zeit, groß nachzudenken. Die ganze Stadt war in Aufruhr, es wimmelte nur so vor schwer bewaffneten Assassinen, Magiern, Sehern und Kämpfern. Als sie auf dem Hof ankamen, mussten sie sich regelrecht zur Waffenkammer durchboxen. Dort angekommen, empfing Lynnia sie mit düsterem Blick. Schweigend verteilte sie die Waffen: Melissa erhielt den Cestus, den sie in Himmeltreu gekauft hatte; er schimmerte nun nicht mehr rot, sondern bläulich. Dazu bekam sie einen mächtigen Kampfstab, den sie mit beiden Händen hielt und an dessen Ende ein grün glänzender Edelstein saß.
Amanda nahm schweigend ein goldenes, schlichtes Schwert und einen mächtigen, rotgoldenen Schild entgegen. Ronin trug seinen Klauenhammer und bekam nun dazu noch mehrere kleine Wurfdolche. Ronny wurde mit verschiedenen Dolchen, einem Kurzschwert nebst Schild und einem Beutel magischer Samen ausgerüstet und Sally erhielt zwei stählerne Klauenwaffen und ein Arsenal Wurfsterne.
Kiryan nahm zu seinem Zepter noch einen langen, geschwungenen Dolch, der irgendwie knöchern aussah, entgegen und dann führte Lynnia sie zum Tor Merilans, an dem sich bereits eine große Menge Bewaffneter tummelte. Sie bahnten sich einen Weg, und bald darauf standen sie erneut vor den Toren der riesigen Assassinenstadt, viele Krieger hinter sich - nur diesmal trugen sie alle einen grimmigen Gesichtsausdruck, und Sally fragte sich heimlich, womit sie es wohl zu tun bekommen würden...

Nach ein paar Minuten erfuhr sie es: Am Horizont tauchte eine Staubwolke auf, die sich rasch näherte. Bald erkannten sie, dass es sich um berittene Amazonen handelte, unter denen sich wohl auch einige der Schwestern befanden. Die Menge um die kleine Gruppe herum johlte auf, 'endlich', dachte auch Sally, 'die Verstärkung kommt, dann kann ja nichts mehr schief gehen...'
Doch dann erkannten sie auf einen Schlag den schrecklichen Irrtum. Es waren die Amazonen, ja. Und sie kamen rasch näher - aber sie kamen nicht, um sie zu unterstützen.

Sie waren auf der Flucht.


---> Up vom 21. 10. 2005



17. Juni, Nachmittags

Kaltes Grauen packte Sally. Das also war sie - die glorreiche Stunde, in der sie sich beweisen musste. Aber sie fühlte sich plötzlich mehr denn je wie ein Kind unter Riesen. Ihre Gefährten und die kleine Streitmacht aus Merilan (Sally schätzte, dass sie in etwa fünfzig bis sechzig Seelen zählte), die hier am Tor versammelt waren, trugen teils grimmige Entschlossenheit, teils angespannte Konzentration zur Schau - doch Furcht konnte Sally nicht einmal in Amandas Gesicht lesen.
Befehle wurden geschrieen, einige in den vorderen Reihen gaben Informationen nach hinten weiter, kurzum: Es herrschte hektische Betriebsamkeit, was in Anbetracht der Lage auch mehr als angebracht war.
Sallys Nerven jedoch tat das gar nicht gut.
Siedendheiß fiel ihr nun auch noch ein, dass sie als einzige keine Prüfung abgelegt hatte...

Aber sie hätte wohl ohnehin nicht bestanden...

Sie musste hier weg...

"Sally! Beruhige dich... Du musst deine Stärke finden." Das war Melissas telepathische Stimme. "Vertrau mir. Ich bin jetzt eine Magierin... Wir verstehen viel vom Geistigen. Finde deine Stärke."
Sally schnaubte durch die Nase. Die hatte gut reden! Aber die etwas gestelzten Worte Melissas hatten bewirkt, dass sie nun eher ärgerlich als noch wie vor ein paar Sekunden panisch war. 'Immerhin etwas. Und ich muss sowieso da durch', dachte Sally und fixierte die immer näher kommende Staubwolke, in der man nun immer klarer die angstverzerrten Gesichter von Amazonen und Jägerinnen erkennen konnte.
Ihre Stärke finden. Hmm... Klang eigentlich gar nicht so übel.
Sally zurrte die Handriemen ihrer Klingenklauen fester und schwang sie ein paar Mal probeweise. Es fühlte sich gut und vertraut an.
'Meine Stärke finden...'
Sie schloss kurz die Augen, sog tief die Luft ein und schmeckte den Staub, der sie durchzog. Ihre Ohren nahmen bereits die ersten Schreie aus der noch ein gutes Stück entfernten Gruppe der Reiterinnen wahr, angsterfüllt hallten sie in Sallys Kopf wider...
Sie öffnete die Augen und konzentrierte sich.
'Die Stärke finden...'
Sally fand den Energiefunken in sich und ließ ihn wachsen.
'Die Stärke.'
Die Kraft dehnte sich aus, durchfloss warm ihre Adern und sang in ihren Ohren.
'STÄRKE!'
Da war es. Sally fühlte sich völlig im Einklang mit ihren zwar ungeprüften, aber starken theleopathischen Kräften. Jene Macht, die einst im Lager der Jägerinnen wie von selbst die Pfeile von Kaschyas Wächterinnen zerstört hatte - das war sie, und nun konnte Sally sie gezielt einsetzen. Sie schickte Melissa, die wie alle übrigen konzentriert dastand und sich vorbereitete, einen kurzen telepathischen Dank hinüber.
Dann traten alle, die die Gedankenübertragung beherrschten - Assassinen, Wächter, die Freunde, ja sogar der abweisende Kiryan - für einen Moment in telepathische Verbindung und schickten sich gegenseitig soviel Mut und Zuversicht, wie sie nur aufbringen konnten.
Die Horde der fliehenden Reiterinnen war jetzt so nah, dass sie ihre Rufe hörten: "Lauft! Hier können wir nicht siegen - LAUFT DOCH!!"
Doch niemand, der in Merilan lebte, würde jemals vor einer Schlacht fliehen.
Und auch Sally und ihre Gefährten blieben stehen. Sally sah zu Melissa hinüber, die die Augen geschlossen hatte. Plötzlich riss sie sie auf und rief: "Es ist Blutrabe!!" Alles wandte sich Melissa zu, einige andere Zauberinnen lächelten anerkennend.
Und dann waren die Amazonen da, und die versammelte kleine Streitmacht Merilans machte Platz, um sie durchzulassen - es waren etwa drei Dutzend Amazonen, die meisten verletzt, und hier und da schimmerten die Kriegsabzeichen der Schwestern vom verborgenen Auge.
Ein Großteil der Truppe stürmte durch die Schneise auf die Stadttore zu, welche geöffnet wurden. Bis auf zwei berittene Amazonen ritten alle durch die Tore, die sich hinter ihnen wieder schlossen.
Der Staub, den die Reiterinnen aufgewirbelt hatten, legte sich langsam und unheimliche Stille senkte sich über den Platz vor dem Tor: Was immer sie verfolgt hatte, es war jedenfalls noch nicht da, ja nicht einmal zu hören oder zu sehen. Sally fragte sich flüchtig, ob es wirklich Blutrabe, Akaras gefallene Tochter, sein konnte... Jene, die einst den schönen Namen Maeve getragen hatte...
Eine der Amazonen ließ sich langsam und erschöpft vom Pferd gleiten und half der anderen vor den gespannten Blicken der versammelten Krieger und Kämpferinnen beim Absteigen. Sie sahen entsetzlich erschöpft aus, waren staubig, zerschrammt und ihre Lederkleidung zerrissen. Beiden klebte das schweißnasse, hellblonde Haar an Gesicht und Hals, ihre Gesichter konnte man unter der schmierigen Schicht aus Blut, Schmutz und Schweiß kaum erkennen, doch beide sahen sehr jung aus.
Lynnia und eine weitere Assassine traten zu ihnen, auf einen Wink hin wurden die zerschundenen, dampfenden Pferde weggeführt und Lynnia und die andere Assassine unterhielten sich rasch und leise mit den beiden jungen Frauen. Sally war versucht, ihr Gehör um ein paar theleopathische Nuancen zu schärfen, doch ein paar Satzfetzen konnte sie auch so verstehen: "...geht es euch?"
"...sind nicht so schwer verletzt wie die Anderen... Aber Inessa hier hält nicht mehr..."
"Wer...verfolgt?...es tatsächlich Blutrabe?!"
Bei der Erwähnung dieses Namens - Sally und ihre Gefährten, die ganz vorn standen, hatten ihn deutlich vernommen - fuhr eine der beiden Amazonen derartig zusammen, dass Amanda zu ihr eilte und sie stützte. Das Mädchen begann nun, haltlos zu schluchzen, und Amanda bedachte Lynnia mit einem ärgerlichen Blick und führte die junge Amazone fort in Richtung Stadttor, wo sie sie der Obhut einer Heilerin anvertraute.
Inzwischen hatten die andere Amazone und Lynnia ihr Gespräch beendet, und Lynnia wandte sich nun an die Truppe: "Kämpfer und Kriegerinnen von Merilan - dies ist Sayia, eine Amazone vom Stamm des wandernden Silberschweifs. Sie und ihre Stammesschwestern waren unterwegs, um uns zu unterstützen, doch sie gerieten in einen Hinterhalt, den selbst unsere Seher nicht entdecken konnten und -" Ihre Worte gingen in erregtem Gemurmel unter, denn die Seher von Merilan waren mächtig und blickten weit. Ihr Versagen wies darauf hin, dass sie es mit einem mächtigen Gegner zu tun hatten...
Lynnia wartete kurz, dann hob sie ihre sonst so sanfte Stimme und rief energisch: "Brüder und Schwestern, bitte!! Wir haben nicht viel Zeit! Sayia meint, sie wären auf Kreaturen getroffen, die das Blut in den Adern gefrieren lassen. Die Amazonen haben tapfer gekämpft, daran besteht kein Zweifel - doch sie hatten keine Chance. Melissa sah es bereits durch ihre magischen Kräfte: Blutrabe selbst führt die Horde, die in Kürze hier sein wird... Wir wussten, dass sie mit der Bedrohung zu tun hat, doch mit ihrem... persönlichen Erscheinen hätte wohl jetzt noch niemand gerechnet. Bitte", rief sie etwas lauter, um gegen den wieder ansteigenden Lärmpegel anzukommen, "bitte vertraut auf unsere gemeinsame Stärke! Merilan braucht uns, bitte - kämpft für unsere Stadt! Und ihr" - sie wandte sich an die Freunde und Kiryan und sprach nun leiser - "bedenkt, was Akara, Sokara, Cain und Yrina euch gesagt haben. Nutzt eure Kräfte - und haltet euch an mich, wenn es brenzlig wird."

Die nächsten Minuten vergingen mit erregten Gesprächen, alles wuselte durcheinander und Amanda hatte auch die zitternde und geschwächte Sayia mit einem Ausdruck mütterlicher Empörung auf dem Gesicht zu den Heilern gebracht. Melissa war zu den anderen Magierinnen gerufen worden: Lynnia stellte eine neue Schlachtordnung auf, in der sie die Kräfte an verschiedenen Punkten konzentrierte. Sally, Ronny, Amanda und Ronin standen inmitten des stärksten Teiles der Truppe: Ungefähr zwanzig Assassinen und Kämpfer waren an vorderster Front versammelt, sie sollten die physische Hauptattacke durchführen. In einem Halbkreis verteilten sich nun die Zauberinnen um die Gruppe und begannen, ein feines bläuliches Netz aus Licht in der Luft zu weben: Sally ahnte, dass sie eine magische Kuppel formten. Sie fing kurz Melissas Blick auf: Beide grinsten etwas verlegen. Dies war alles so unwirklich...
Lynnia saß inzwischen auf einem braunen Pferd mit schlichtem Sattel und Zaumzeug, dessen prächtige Mähne im Widerschein der langsam sinkenden Sonne golden glühte. Sie ritt mit angespannter Miene vor der Truppe auf und ab und rief Befehle in die laue Abendluft.
Tatsächlich bemerkte Sally jetzt erst richtig, dass es bereits dämmerte und die Sonne eine blutrote Färbung angenommen hatte. Noch immer spürte sie die warme Kraft ihrer Theleophatie durch Körper und Geist strömen, doch die Aussicht auf einen Kampf bei Nacht verursachte ihr erhebliches Nervenflattern...
Als hätte sie es laut gesagt, wandte Amanda, die die ganze Zeit mit ihrem Schwert hantierte oder Gebete murmelte, sich ihr zu und raunte: "Also, wann kommen die denn? Vielleicht nachts?!"
In diesem Moment flammte mit einem Mal grellblaues Licht um sie her auf: Melissa und die anderen Magierinnen hatten ihr magisches Netz fertig gestellt und nun überspannte eine leuchtende, doch durchscheinende Kuppel die Gruppe.
Kaum hatten sie sich an das Licht gewöhnt, dass sie alle ein wenig wie Geister aussehen ließ, erklang auf einmal ein ohrenbetäubendes Brüllen von jener Anhöhe, über die vor knapp einer Stunde die Amazonen geflohen waren. Alle Blicke flogen dorthin, und die Zauberinnen, die mit ihren magischen Blicken schneller waren, riefen fast sofort: "Sie kommen!"
'Jetzt ist es wirklich soweit', dachte Sally grimmig. Und tatsächlich: Über den Hügel näherten sich durch die immer rascher hereinbrechende Dunkelheit schattenhafte Schemen, eine nicht enden wollende Flut dunkler Gestalten. Nun drangen auch erste Geräusche herüber: Leises Rasseln und Klirren wie von Metall, das Trappeln unglaublich vieler Füße und schließlich... Schließlich zerriss ein unmenschlich schriller Schrei die stickige Luft...


"Hiiieeyaaaah!!!"



Aus der Dämmerung stürmten nun Reihe um Reihe Geschöpfe in den weitreichenden Schein der magischen Kuppel, Geschöpfe, wie Sally sie nur einmal gesehen hatte: In ihrer allerersten, schrecklichen Vision, damals in Akaras Zelt... Es waren jene entstellten Abbilder der Schwestern vom verborgenen Auge, gefallene Jägerinnen, die einst ihre eigenen Schwestern niedergemetzelt hatten. Sally hob unwillkürlich ihre klauenbewehrten Hände: Unbändiger Zorn durchdrang sie. Auch alle anderen machten sich kampfbereit, Kämpfer und Assassinen zückten ihre Waffen, Magierinnen entflammten ihre Stäbe mit blauem, smaragdenem, goldenem, violettem oder glutrotem Feuer und Ronny murmelte etwas, woraufhin drei mächtige Raben am Himmel über ihm auftauchten und dort kreisten. Kiryan stand bewegungslos etwas abseits, Lynnia war vom Pferd gesprungen und starrte mit gezücktem Degen und hassverzerrtem Gesicht den bleichen, pervertierten Jägerinnen entgegen, die merkwürdigerweise in ungefähr zehn Metern Abstand stehen blieben und sich damit begnügten, ihre schwarzen Münder zu Grimassen zu ziehen und mit den weißen, blutunterlaufenen Augen zu rollen.
Schließlich herrschte vollkommene Stille: Die beiden Streitkräfte standen einander gegenüber, wobei die dunklen Angreifer zahlenmäßig deutlich überlegen waren. Eine drückende, geladene Atmosphäre lag in der Luft.
Dann entstand Unruhe zwischen den bleichen, mit Rüstungsfetzen bekleideten Wesen: Aus ihren Reihen hervor trat eine weitere ihrer Art, jedoch schauerlicher als sie alle zusammen. Sally erkannte sofort den goldenen Brustharnisch, den gehörnten Helm und vor allem das grausame, eiskalte Glitzern in den weißen Pupillen: Es war Blutrabe.
Sie schritt langsam bis knapp an die Grenze des Schutzwalles, der alleine durch ihre böse Gegenwart zu flirren begann. Sie stupste das magische Gewebe kurz an: Es zischte, und ihre Fingerspitze wurde schwarz, doch die Zauberinnen, die ständigen Kontakt zu dem magischen Gebilde hielten, stöhnten auf und das blaue Glühen wurde unmerklich schwächer.
Blutrabe lachte hyänenhaft und wandte sich dann an Lynnia. Ihre Stimme schnitt wie Eiszapfen in Sallys Ohren: "Aah, sieh an - du führst diesen Haufen? Bemerkenswert! Aber es wird euch nichts nützen... Kämpft, wenn ihr wollt, dann stirbst du eben heute durch meine Hand, 'Schwester'!"
Lynnia trat mit vor Wut lodernden Augen einen Schritt auf die grinsende Verräterin zu und zischte: "Du bist nichts weiter als ein verdorbenes Echo, Blutrabe - ich spucke auf dich! Mit deinem Tod wird Maeves Seele endlich Frieden finden!!"
Blutrabes weißes Gesicht lief grünlich an, und sie kreischte wie eine Harpyie: "NIEMAND NENNT DIESEN NAMEN!! SIE IST LÄNGST TOT, BEGREIFE DAS, NÄRRISCHER MENSCH!! ERKENNE DEINE SCHWÄCHE - UND STRIB!!"

Mit diesen Worten drehte sie sich um, gab ein Handzeichen und war zwischen den nun losstürmenden dunklen Jägerinnen verschwunden, bevor Lynnia sich auf sie stürzen konnte. Die erste Welle der Angreifer erreichte die Truppe aus Merilan nicht, sie fielen dem magischen Schild zum Opfer: Eine nach der anderen stürzten sie sich kreischend und heulend in den blauen Schleier, der sie sofort zu stinkender Asche verbrannte.
Doch nach und nach löste sich der Schleier auf, und unter Schmerzensschreien ging eine Zauberin nach der anderen in die Knie - bis sich die Kuppel aus Licht schließlich auflöste und nur noch das Glühen zahlreicher magischer Flammen und das letzte trübe Licht der Dämmerung den erdigen Boden beleuchteten.
Nun stürmten die bleichen Wesen mit Johlen und Säbelrasseln auf die Streitmacht der Assassinen ein, und in Sekundenschnelle fand Sally sich in dichtem Schlachtgetümmel wieder.
Wie von Sinnen ließ sie nun ihrer Wut freien Lauf, ihre theleopathische Kraft ließ sie noch schneller werden und sie fuhr mit den stählernen Klauen auf die erstbeste Gegnerin los. Der wahre Schrecken dieser dunklen Schwestern lag nicht in ihrer Stärke, sondern in dem kalten Glühen in den weißen Augen, das weder Wut noch Schmerz noch sonst irgendein Gefühl zeigte - nur Mord.
Die dämonische Frau war schnell, ihr gekrümmter Degen zischte immer wieder knapp an Sally vorbei - doch sie traf nicht. Sally parierte und blockte, schließlich gab sich die Andere eine Blöße - und Sallys Klauen drangen tief in das kalte weiße Fleisch der Gegnerin. Schwarzes Blut quoll aus den Wunden, der Blick der Frau brach und mit einem schrillen Schrei entfloh eine Art silbriger Nebel aus ihrem toten Körper, der nun schlaff zu Boden fiel.
Sally blieb keine Zeit, darüber nachzudenken, denn schon stürmten gleich zwei neue Feinde auf sie ein. Plötzlich bäumte die eine sich auf, und während die Spitze eines Schwertes aus ihrer Brust austrat, entfloh auch ihr ein silbriger Nebel. Hinter ihr sah Sally Amanda; sie zog die Klinge zurück und nickte Sally kurz zu, dann verschwand sie wieder im Getümmel.
Von überall her hörte Sally nun jene kleinen Schreie, und immer mehr silbrige Nebelschwaden flogen über dem Schlachtfeld auf und verblassten rasch.

Sally kämpfte weiter. Sie schwitzte und blutete aus zahlreichen kleinen Wunden, doch es kümmerte sie nicht: Noch rauschte die Kraft durch ihr Blut, ihre Bewegungen waren präzise und ihre Angriffe hart. Zwischendurch nahm sie die Ereignisse um sich her wie durch einen Schleier wahr: Ronin, der seinen Klauenhammer kreisen ließ und immer wieder mächtige Schreie ausstieß, unter deren Klang die bleichen Angreiferinnen zusammenzuckten; Amanda, deren schimmernde Rüstung mit schwarzem Blut bedeckt war und in deren kindlichem Gesicht rechtschaffener Zorn stand, der sie und ihre goldenen Waffe mit einer heiligen Aura zu umgeben schien; Ronny, der mit bloßen Gesten mächtige Ranken aus dem Boden schießen ließ, die die dunklen Jägerinnen umschlangen und würgten, während seine Raben immer wieder krächzend herabstießen und nach den weißen Augen hackten; Melissa, die ihren Stab schwang und grünglühende Flammenkugeln auf die bösen Kreaturen schoss; Kiryan, der mit schwarzumloderten Händen Flüche ausstieß und mit blutigen Gebeinen um sich schoss; und einmal erhaschte Sally einen kurzen Blick auf Lynnia, die sich mit rotem Zorn durch die abartigen Abklatsche ihrer einstigen Schwestern schnitt...
Sally wusste kaum noch, wie viele böse Jägerinnen sie getötet hatte - sie hatte jedes Zeitgefühl verloren. Es war inzwischen schwärzeste Nacht, die magischen Feuer und Geschosse der Zauberinnen tauchten das Schlachtfeld in grelles, flackerndes Licht und über allem hingen Rauch und der Gestank des Todes. Sie selbst war bedeckt mit schwarzem Blut und bewegte sich knöcheltief in zerfetzten Gedärmen und aufgeschlitzten Leichen - und längst nicht alle waren bleich und dämonisch.
Sally streckte gerade eine weitere Feindin nieder, als ein durchdringender Wutschrei durch die Luft hallte: "NEIN!!" Sally fuhr herum. Bis auf einige wenige Zweikämpfe bewegte sich kaum noch etwas. Doch nun war Blutrabe wieder aufgetaucht und stand, fürchterlich anzusehen, inmitten der Kadaver. Sie schien fassungslos. Doch Sally erkannte auf einen Schlag, dass das kein Trost sein konnte: Die Streitmacht von Merilan war auf kaum Zwanzig geschrumpft. Rasch sah sie sich um und erkannte Melissa, Amanda, Ronin, Kiryan, Lynnia - nur von Ronny war keine Spur zu sehen...
Doch bevor sie ihn suchen konnte, schrie Blutrabe erneut auf: "NEIN! Das - das kann nicht sein!! Die Prophezeiung - darf sich nicht erfüllen!!!"
Selbst Lynnia stand wie erstarrt angesichts des tobenden Dämons. Doch vor Sallys innerem Auge blitzte für eine Sekunde das Bild von Akaras verzweifeltem Gesicht auf, ihr Schmerz, der Zorn und die Trauer um ihre verlorene Tochter - Sally spürte all dies, spürte, dass auch Akara gerade jetzt daran dachte und mit einem schmerzerfüllten Schrei schoss sie auf Blutrabe zu: "Du musst aufhören - Maeve, hör auf - Bitte!!" Tränen liefen über Sallys schmutzverschmiertes Gesicht, sie zog die Klauen, während sie rannte. Alles war nun klar: Die weißen Nebel, die Schreie, wenn eine dunkle Jägerin starb - das mussten die befreiten und erlösten Seelen derer sein, die sie einst gewesen waren...
Sie würde auch Maeve erlösen, Akaras Schmerz bohrte sich unerträglich in Sallys Seele... Sie holte aus, erreichte Blutrabe, stieß mit einem Aufschluchzen zu - und traf leere Luft. Sie blinzelte und sah sich um: Blutrabe hatte sich aufgelöst und war nun ein gutes Stück entfernt wieder aufgetaucht. Sie lächelte böse.
Lynnia, Sallys Gefährten und die verbliebenen Merilaner scharten sich zusammen, bereit, Sally zu unterstützen.
Blutrabe rief mit ihrer Eisstimme: "DU! Du bist diejenige, die die Prophezeiung benennt - das ist ja fast zu einfach, ein Kind zu töten!"
Und mit schrillem Lachen hob sie ihren Säbel und rannte nun ihrerseits auf Sally zu. Die wiederum erkannte ihre ausweglose Lage: Blutrabe konnte jederzeit verschwinden und vielleicht direkt hinter ihr auftauchen, um ihr die gezackte Klinge in den Rücken zu jagen...
Sally feuerte einige Wurfsterne ab, denen Blutrabe jedoch im Lauf auswich. Sie hörte, wie ihre Verbündeten sich hinter ihr der letzten dunklen Jägerinnen entledigten und angelaufen kamen, um ihr den Rücken zu stärken.
Sally sammelte all ihre theleopathischen Kräfte zu einem mächtigen Schlag, der Blutrabe überraschen und lähmen sollte. Sie stürmte nun ebenfalls los, bremste jedoch plötzlich ab und schleuderte der immer noch rennenden Blutrabe eine mächtige Druckwelle entgegen, die sie tatsächlich fast von den Füßen warf. Diese Verzögerung nutzte Sally, um ihrer Gegnerin entgegen zu springen und beide Klingenklauen zu heben - Blutrabe taumelte noch unter der Wucht der Druckwelle - und dann -

Sally spürte, wie sich die Spitzen ihrer stählernen Klauen durch den metallenen Brustpanzer schnitten; darunter drangen sie in weiches Fleisch, die Rippen splitterten im Körper, eine Arterie platzte und schwarzes, heißes Blut sprudelte in Sallys Gesicht. Sie kniete nun auf Blutrabe, der für eine Sekunde reines Erstaunen ins Gesicht geschrieben stand, bevor es sich in reinem Schmerz verzerrte. Sally konnte fühlen, wie ihre rechte Klaue das Herz erreichte und Sehnen, Muskeln und Brustbein zerstörte. Es war das schrecklichste und auch erleichternste Gefühl, das sie jemals empfunden hatte...
Blutrabes Mund öffnete und schloss sich, sie japste nach Luft - ihre Hände suchten fahrig umher, die Augen traten hervor und schließlich bäumte sich ihr bleicher, entstellter Leib auf und ein heiserer Schrei entrang sich ihrer Kehle. Sally zog ihre Klauen aus Blutrabes verstümmeltem Körper, sprang auf und trat zurück. Blutrabe schrie immer noch, während sie zuckte und sich wand. Immer mehr Blut quoll unter ihrem Brustharnisch hervor, der gezackte Säbel lag nutzlos neben ihr auf der blutgetränkten Erde.
Ihr Körper bäumte sich auf, und wie von unsichtbaren Händen empor gerissen, schwebte sie langsam ein Stück über dem Boden. Sie wandte Sally und Lynnia, die inzwischen neben ihr stand, den sterbenden Blick zu; ihr Schrei verstummte, und sie röchelte: "Meine...Mutter..." Für einen Moment erkannte Sally in Blutrabes grausamen Zügen das hübsche Gesicht einer jungen Frau, die weißen Pupillen schimmerten sekundenlang bräunlich... Dann riss ein letzter heftiger Krampf den gepeinigten Körper in die Höhe und ließ ihn dann dumpf und gebrochen auf den Boden aufschlagen, wo er regungslos liegen blieb. Plötzlich erscholl ein lauter, klarer Schrei, der nichts von Blutrabes Eiseskälte in sich trug, und aus der toten Brust brach ein klarer, mächtiger, silberner Strahl hervor und fuhr gen Himmel, wo er verschwand.

Ein paar Minuten herrschte Stille. Dann wandte Sally sich zu Lynnia um, die immer noch nach oben starrte. Sie sah der Reihe nach in die Gesichter der Überlebenden - auch Ronny war wieder aufgetaucht. Keiner war unverletzt geblieben.
Sally sank auf die Knie und fühlte, wie alle Kraft aus ihr wich: Sie empfand keinen Triumph, nur dumpfe Leere und unglaubliche Trauer um alle, die hier gefallen waren.
Und nicht zuletzt spürte sie einmal mehr, wie jung sie war... Tränen rannen ihr über die Wangen, und schließlich schlug Sally die Hände vor ihr Gesicht und schluchzte laut auf.

Blutrabe war tot, sie hatten gesiegt - doch um welch bitteren Preis...



--->Up vom 23. 11. 2005

17. Juni, Nachts

Akara empfing die wenigen überlebenden Merilaner am Platz der Synth'Y'Thain, direkt hinter den Stadttoren. Sie war blass und bewegte sich fahrig, und Sally konnte ihr kaum in die Augen sehen - zu groß war die Scham, die sie empfand. Zwar hatte sie Akaras Tochter erlöst und ihrer Seele Frieden gebracht, doch getötet hatte sie sie trotzdem...
Amanda und Melissa berichteten auf dem Weg zur Assassinenkaserne in gedämpftem Tonfall, was sich auf dem Schlachtfeld zugetragen hatte. Zwar hatten Sokara, ihre Schwester, Yrina und auch Cain vom Turm der Seher aus alles mit angesehen, aber das war doch etwas ganz anderes, als wirklich dabeigewesen zu sein.
Sally bewegte sich wie in Trance durch die Straßen Merilans und nahm nur am Rande ihres Bewusstseins wahr, dass die Stadt um sie her wie ausgestorben war: Die nächtlichen Straßen, die sonst ein blühendes Nachtleben darboten, lagen kalt und still da, und auch in den zahlreichen Nebengassen, in denen für gewöhnlich die nicht ganz so ehrbaren Mitglieder der Assassinen- und Kämpfergemeinschaft ihren nicht ganz so ehrbaren Geschäften nachgingen, huschte nur ab und an eine Katze oder ein aufgescheuchter Landstreicher vorbei.
Die erschreckend kleine Gruppe bog gerade vom Stadtring auf eine der Straßen ein, die direkt zur Kaserne führten, als Sally plötzlich einen stechenden Schmerz hinter der Stirn spürte, jenes entsetzliche, eisige Pochen, dass sie nun schon eine Weile in Ruhe gelassen hatte. Sie zuckte zusammen, ihre Beine knickten ein und sie sank auf die Knie. "Ooh... Scheiße!!" entfuhr es ihr. Die Anderen hielten sofort an und umringten sie, Ronny sprang hinzu und half ihr wieder auf. Sally hatte die Hände vor das Gesicht gehoben und stöhnte leise, während eine Eislanze von innen durch ihre Stirn zu brechen schien. Cain war mit wenigen Schritten bei ihr, legte ihr sanft die Hand auf die Schulter und murmelte: "Dein Zentrum, Sally. Erinnere dich an Sokaras Lehren in Himmeltreu!" Sally versuchte sich zu konzentrieren - vergeblich. Der Kampf gegen Blutrabe und ihre Schergen hatte sie geschwächt, ihre Kräfte waren verbraucht, sie würde hier und jetzt vor lauter purem Schmerz tot umfallen, sie würde -"Sally!!" Das war Lynnia, die nun vor ihr stand und Cain beiseite schob. "Sieh mich an!", sagte sie in so befehlsgewohntem Ton, dass Sally automatisch die Hände sinken ließ und in die grauen Augen der blonden Jägerin sah... Und mit einem Mal schien die Zeit still zu stehen, der Schmerz hinter Sallys Stirn verebbte und sie fühlte, wie ihre theleopathischen Sinne ohne ihr Zutun erwachten und zarte Fühler nach Lynnias Geist ausstreckten. Sally verlor sich im Schwarz der Pupille der Jägerin... Und dann, mit tosendem Schmerz, kam die Vision.

Sie sah sich selbst, wie sie an jenem Novembermorgen im Wachhäuschen der Enklave saß und sich die Nägel lackierte, trotzig und unerfahren im Geiste... Es schien Jahre her zu sein, dass sie dieses Mädchen gewesen war...
Doch sie veränderte sich wie im Zeitraffer, ihre Züge wurden zwar nur unmerklich älter, doch zeichneten Furcht und Anspannung nun einen scharfen Ausdruck hinein...
Und dann sah sie das nächtliche Lager der Jägerinnen, es stürmte und regenete, als eine schlaftrunkene Sally dort ein heimliches Stelldichein beobachtete, dessen Sinn sie nicht begriff...
Wieder waren dort die große und die etwas kleinere Gestalt, die sich ihre Liebe schworen und doch einen tödlichen Verrat planten... Die Kleinere wandte sich um, blickte aus der Vision heraus in Sallys Augen - es war Lynnia... Sie lächelte kalt und schmiegte sich dann eng an die andere Gestalt... Diese schien plötzlich zu brodeln, sich zu verformen, zu wachsen - Sally schrie lautlos auf, als sie die grausige Silhouette erkannte: Es war der Herrscher, doch es war auch eine Frau... Sie wandte sich Sally zuu und kam näher, trat aus der Erinnerung an diese Nacht heraus, bis sie sich im zeit- und formlosen Nebel der Vision gegenüberstanden...
Nun löste sich die weibliche Form auf, und vor Sally stand der Herrscher in seiner roten Grausamkeit... Seine Nüstern bebten, der Schmerz in Sallys Kopf schien sie zu zerreißen...
Dann zerwaberte auch diese Gestalt, und vor Sally stand wieder Lynnia - doch sie war...anders... Ihr weißblondes Haar glänzte wie Eis, ihre dunkle Haut war wie der Schatten des Todes selbst und ihre Augen zeigten keine Spur von Menschlichkeit, als sie zischend flüsterte: "Ja... Wir kommen wieder..."
Sie hob die Hand, und als Sally darauf herab blickte, durchfuhr sie ein neuer Schreck: Über Lynnias Handfläche schwebte ein verschnörkeltes "V", derselbe Buchstabe, den Amanda damals auf den Fässern in Lyssas Enklave gesehen hatte...
Dann verwandelte sich das "V" in einen gläsernen Dolch, den Lynnia ergriff... sie holte aus, Sally war wie gelähmt...

Lynnia stach zu...

Der Dolch drang krachend in Sallys Schädel, durchbohrte ihre Stirn...

Ihr Gehirn schien zu explodieren...

Kein Schmerz mehr, nur Tod...

NEIN!

Lyssa, seltsam schwebend...

Sie zog den Dolch heraus...

Der Schmerz kehrte zurück...


Ihr eigener gellender, langgezogener Schrei ließ Sally wieder zu sich kommen. Sie registrierte etwas warmes auf ihrem Gesicht, hörte die Anderen wild durcheinander reden und spürte den unglaublichen Schmerz, der nun ihren ganzen Körper zu zerreißen schien.
Zu ihrem eigenen Glück wurde Sally nach wenigen Sekunden wieder ohnmächtig und bemerkte nicht mehr, wie die plötzlich an ihrer Stirn entstandene Platzwunde immer größer zu werden schien und sie langsam, aber sicher verblutete.


18. Juni, Frühmorgens

Mit einem Mal fand Sally sich völlig schmerzlos und frisch in einem kleinen, gemütlichen Zimmer wieder. Sie saß, in weiche Kleider gehüllt, in einem Sessel, ihr gegenüber saß Lyssa. Sie trug ein goldenes Gewand und schien gesünder und vor allem glücklicher als je zuvor zu sein.
Sally sah sie verwundert an, doch noch bevor sie auch nur den Mund öffnen konnte, hob Lyssa rasch die Hand und sagte sanft: "Du kannst hier nicht bleiben."
"Hä?" Etwas klügeres fiel Sally leider nicht ein, und es war heraus, ehe sie es aufhalten konnte. Doch Lyssa lächelte nur und meinte: "Wenn du Fragen hast, dann frag." "Wo sind wir? Warum kann ich hier nicht bleiben - warum bist du - äh, seid ihr - äh, was machen wir beide hier?" Ihr fiel noch etwas ein. "Bin ich tot? Ist das hier - das Elysium?!"
Lyssa lachte, ein schöner, perlender Laut, und Sally bemerkte flüchtig, dass sie sie noch nie hatte lachen hören.
Die Assassinenmeisterin sagte: "Das sind ja viele Fragen - aber gut, ich versuche es. Dieser Ort - ist kein Ort. Es ist ein Bild, dass deinem Verstand entspringt und dir Vertrauen und Sicherheit vermitteln soll. Wir beide befinden uns im Moment quasi - auf einer Ebene, sozusagen zwischen Leben und Tod. Ja, du bist tot. Aber du kannst es nicht bleiben - dein Schicksal ist zu wichtig! Meine Erscheinung ihier ist übrigens auch nur ein Bild, dass deinem Verstand angepasst ist."
Sally schüttelte kurz den Kopf, um die Verwirrung darin etwas zu lindern. Es nützte nichts. "Was?", fragte sie, "Ich bin tot - und kann es nicht bleiben? Und du - und dieser Ort hier - sind nicht echt?!"
Lyssa lachte erneut. "Doch, doch, ich bin echt. Nur ist dies nicht meine wahre Gestalt - und war es auch nie. Nur die mächtigsten Theleopathen haben mich in meiner wahren Form gesehen... Lass mich schauen... Ja, du bist stark... Ich denke, du kannst es vertragen."
Und während Sally noch zu begreifen versuchte, dass ihre grimmige Lehrerin Lyssa nicht ihre grimmige Lehrerin Lyssa war, erhob sich diese. Ihr goldenes Gewand erstrahlte wie ein Blitz, und Sally schloss kurz die Augen - als sie sie wieder öffnete, konnte sie sich ein paar Momente lang nur staunend umsehen.
Sie standen nun in einer riesigen Halle, einem Gewölbe, so mächtig wie der Himmel selbst - dies musste wahrhaft der Sitz der Götter sein! Mächtige weiße Säulen reckten sich empor, herrliche Fresken wanden sich an den Wänden entlang... Sally war wie geblendet von der Reinheit und Schönheit dieses Ortes.
Und auch Lyssa war verändert: Sie schien ein gutes Stück gewachsen zu sein, ihre ganze Gestalt schien von innen heraus zu leuchten und als Sally schüchtern zu ihr aufsah, spürte sie, dass sie in die Augen einer Göttin sah. Und diese Göttin strahlte sie an, als bestünde die Welt aus reiner Freude, und als sie sprach, wollte jede Faser in Sallys Körper - oder ihrer Projektion, Seele, was auch immer sie hier war - singen und tanzen: "Scheint dir dieser Saal dem Leben nach dem Tode angemessener? Nein, du musst darauf nicht antworten. Und ja, du dachtest richtig - auf gewisse Weise ist dies tatsächlich der Ort, an dem die Götter wohnen. Ich bin Lyssa. Aber nicht so, wie du mich kanntest. Ich bin seit Anbeginn der Zeit die Göttin und Schutzpatronin der Theleopathen - ich sehe schon, als Walküre würde ich dir besser gefallen, nicht wahr? Aber ich bin in erster Linie eine Gottheit, die nach Recht und Freude strebt, und kein wandelnder Racheengel..." Sally platzte plötzlich heraus: "Aber - wieso das alles? Du warst doch verletzt - ich meine ihr..." Sie schwieg verwirrt. Lyssa lachte wieder ihr Perlenlachen: "Ja, ich dachte mir, dass dich das interessiert! Denk mal nach: Was ist für ein Mädchen von siebzehn Jahren wohl leichter zu verarbeiten, eine etwas ruppige Lehrerin, die begleitet und die Richtung weist - oder eine Gottheit, die vor dir erscheint und dir in kryptischen Worten deine Bestimmung auferlegt?" Sally nickte. "Aber deine Verletzung?"
"Hm, das ist nicht einfach zu erklären - weißt du, auf eine Art - BIN ich tatsächlich jene Assassine. Ich nutze ihre Gestalt seit Äonen, um junge Theleopathen zu leiten. Und wenn ich - sie bin, bin ich tatsächlich... nunja, sterblich wäre zuviel gesagt, aber wenn ich verwundet werde, muss ich ihre Form für einige Zeit aufgeben - also, ich lasse sie sterben. Aber diesmal musste ich durchhalten, du brauchtest mich noch - sie sind einfach viel zu früh aktiv geworden..." Plötzlich huschte ein Schatten über Lyssas Gesicht. "Hier hat die Zeit keine Bedeutung, aber du musst nun... zurück, es ist nicht gut, wenn du so lange...getrennt bist. Es tut mir Leid, wenn du nicht alles verstehst, was ich sage... Sprache ist so beschränkt... Nimm dies." Sie drückte Sally, die viel zu überfordert war, um etwas zu sagen, einen kleinen Gegenstand in die Hand. "Du wirst beizeiten wissen, was du damit zu tun hast. Nun musst du gehen - aber wir sehen uns wieder, und vielleicht haben wir dann mehr Zeit..." Alles um Sally herum schien sich plötzlich z entfernen, nein, sie selbst wurde wie in einem Strudel weggerissen. Aus der Ferne hörte sie noch einmal Lyssas glockenklares Lachen und den Ruf: "Bedenke, du bist die Auserwählte!"

Dann spürte Sally einen heftigen Ruck, Schmerz zuckte durch ihren Körper, sie schlug die Augen auf und fand sich auf einer weißen Bahre wieder, umhüllt von Kerzenschein, offensichtlich in einer Krypta. Amanda stand neben ihr und starrte sie aus aufgerissenen Augen an: "Sally? Nein, das kann nicht sein... Ich meine, du... Du bist doch tot?"

"Nein, bin ich nicht", hörte Sally ihre eigene Stimme - aber sie hatte nicht gesprochen!!
"Das dort", fuhr ihre Stimme fort, "ist nicht Sally. Das ist eine Betrügerin - ich bin Sally!"
Aus den Schatten der Krypta trat eine junge Frau hervor - Sally spürte sofort, wer sie war. Es war jene Unbekannte, die sie im Lager der Schwestern vom verborgenen Auge und dann noch einmal in ihrer jüngsten Vision geshen hatte.

Doch sie glich ihr auf's Haar, und in Anbetracht der Tatsache, dass sie selbst gerade offensichtlich von den Toten auferstanden war, war es mehr als fragwürdig, wem ihre Freunde glauben würden...
 
Der Teil hat mir schon besser gefallen:top:bin gespannt wies weitergeht:)
Noch zwei Fehler:

ScorAnny schrieb:
"Ellie! WO ZUM TEUFEL BLEIBST DU!!"

Das sollte eher Sally heißen;)

Sally ging hinein - hier fand das Feuer keine Nahrung mehr, und bis auf einige kleine Brandherde war es hier drin erloschen.
 
mir persönlich hat der teil auch besser gefallen....:top:


ps was is mit euch in der taverne los:confused:
 
Dark Summoner schrieb:
Der Teil hat mir schon besser gefallen:top:bin gespannt wies weitergeht:)
Noch zwei Fehler:



Das sollte eher Sally heißen;)

:autsch: genau lesen, dark:

Jetzt ließ Lyssa ihren Blick auf Sally ruhen und sagte mit samtweicher Stimme: „Es tut mir ja so Leid, dass dich der Wachdienst so langweilt, Ellie.“ ‚Ich heiße Sally, du blöde Kuh’, dachte Sally. Sie wusste genau, dass Lyssa ihren Namen absichtlich oft vergaß,


sehr schön, der zweite teil. hab eigentlich gar nichts zu kritisieren. =)
 
Wunderbar, dass Ihr das direkt geklärt habt:D Ich versuche, heute ein weiteres Kapitel zu posten!

Achtung: Das dritte Kapitel ist im ersten Post gelandet und wartet darauf, gelesen zu werden... Viel Spaß!!

So long, Anny
 
ich finde das die geschite mit jedem kapietel besser wird...
ich hoffe nur das du sie auch zu ende schreibst und nicht mitten drin aufhörst :D
 
Danke! Wieso sollte ich mittendrin aufhören?! hatte ich eigentlich nicht vor...:cool: Klar, wenn ich Klausuren schreibe etc., kann es schon mal ein Weilchen dauern, bis ein neues Up kommt, aber ich gebe mein bestes, versprochen! ich bin ja selbst gespannt, wie es weitergeht - die Figuren in einer Geschichte entwickeln manchmal eine Art Eigenleben, so dass man vorgesehene Wendungen plötzlich umschreiben *muss*:D
Wenn alles glatt geht, gibt's heute noch ein Kapitel.

So long, Anny

Nachtrag: Ich hab's geschafft, das nächste Kapitel wartet im ersten Post auf Euch. Viel Spaß!
 
ich mein ja nur so wie bei anderen genialen geschichten wie "rostig und alt" oder "liebes tagebuch" da hofft man dan eine kleine ewigkeit auf ein up...


zur story ich weis nicht aber finde deine geschichte wird mit jederm abschnitt besser...ich hoffe das bleibt so
 
bis hier habe ich alles am stück gelesen und es gefällt mir durchgehend gut.

auf die fortsetzung bin ich auf jeden fall gespannt.

Gruß, Helldog
 
Man merkt das du die Story langsam angehen lässt fand die Teile nämlich wieder ein bisschen eintönig:zzz: Aber (wie schon gesagt)ich kenne dich und weiss das das noch besser wird:)
Eine Frage noch: In welcher Zeit spielt die Story eigentlich? Am Anfang schreibst du von einem Nagellackfläschchen aber die Beschreibung des Lagers der Jägerinnen mutet doch eher wieder mittelalterlich an. Und hast du nicht gesagt es soll ne Funstory werden? Wirkt auf mich irgendwie nicht so oder kommt das erst?

Jetzt warens sogar zwei^^

Kleiner Fehler noch:

Originally posted by ScorAnny
Sie warf Sally und Amanda einen bedeutsamen Blick zu, und Sally hätte sie am liebsten geohrfeigt, tat es jedoch natürlich nicht: Für Heute hatte sie ihr Pensum an Ärger bereits mehr als erfüllt.

Ein Punkt würde da besser passen;)

mfg
Dark Summoner

€: Fand die Teile aber trotzdem auf eine gewisse Weise genial also versteh mich nicht falsch nur etwas Spannung fehlt halt noch sprich:fight: ;)
 
Jetzt hat es diese Geschichte doch geschafft, dass ich mich mal wieder durchringe eine regelmäßig zu verfolgen. Und zwar genau DIESE!

Und aus Prinzip fordere ich hier einfach mal ne LoveStory zwischen Ronny und Ronin :kiss: :cool:
 
Aloha!
Erstmal: Die nächsten Kapitel sind da - Post 1, nach wie vor.
@ All: Danke, ich find's genial, dass ich Euer Interesse wecken konnte:D

@ Dark: Nee, eigentlich meinte ich nur, dass diese Story einen humoristischeren Unterton haben wird als die nöchste. Dazu gehören u. a. eben auch Elemente, die zunächst vielleicht etwas unpassend erscheinen, wie zum Beispiel Nagellack, Turnschuhe etc. Die Zeit, in der die Geschichte spielt, ist ebenso fiktiv wie die Welt, in der sie spielt.
Zu Deiner grammatischen Anmerkung: Der Doppelpunkt ist da beabsichtigt. Das Sally bechließt, lieber den Mund zu halten, steht in direktem Bezug zu ihrem Pensum an Ärger. Das ist genau so eine grammatische "Wendung" wie z. B.: "Er wies ihn nicht darauf hin, dass er sich bekleckert hatte: Das würde er beizeiten selber merken.":kiss:
Und zur Langeweile... Bei der letzten Story hatte ich mir eine klare Grenze für die maximale Länge gesteckt. Hier ist das nicht so, also kann ich meine Liebe zum Detail richtig ausleben... Ich möchte halt alles möglichst realistisch darstellen, wenn Du das teilweise zu "schnarchig" findest, tut mir das Leid. Aber keine Sorge, wie gesagt, die Action kommt auch noch!!

@ Saturn: Hallo erstmal! Hmmm, eine Lovestory zwischen Ronin und Ronny... Tja, wer weiß, was so alles im stillen Ronny verborgen ist und ob Ronin nicht eine gaaanz feminine Seite hat... Lass Dich überraschen!

So long, Anny
 
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