So, das Abi ist vorbei und ich kann mioch endlich wieder dem Schreiben widmen... bin auch schon kreativ geworden. Viel Spaß beim Lesen!
Das Ende der Gemeinschaft
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Am nächsten Mittag erreichten sie die Ruinenstadt.
Die vom Alter gelb gefärbten Bauten ragten urplötzlich vor ihnen aus dem Boden.
Keine Lichtung, kein Flecken Himmel kündete von dem Übergang, von einem Moment auf den anderen waren sie von den zugewucherten Steinen eingeschlossen. Deutlich führte Doros Spur über einen Steinhaufen hinweg auf das Zentrum der Stadt zu.
Die Stadt war einst das religiöse Zentrum einer Macht gewesen, die vor Kurast diesen Teil der Erde beherrschte.
Alte Magie war hier praktiziert worden, die Art Magie, die Elias erforscht hatte.
Die alten Gebäude strahlten noch heute einen magischen Glanz aus, wahrscheinlich war es auch nur die Magie, die diese Häuser über jahrtausende hinweg vor der Feuchtigkeit und dem Verfall bewahrte.
Überall wuchsen giftig-grüne Ranken in die Höhe, die leuchtend rote Blüten trugen.
„Vorsicht.“ Sagte Elias und zeigte auf eine der Blüten „Sie sind giftig und wenn du den Blütenstaub einatmest, fällst du sofort in Ohnmacht, aus der dich keine Magie der Welt holen kann.“
Es war nicht still in der Stadt. Ein sanfter Wind strich um die Tempel und ließ ein konstantes Summen aufsteigen, dass dem Heulen einer Eule ähnlich war. In der Ferne kreischte eine Horde Affen und jeder Tritt wurde von einem konstanten, unterschwelligen Rascheln begleitet.
Schmetterlinge tanzten durch die Luft, violette und rote, die sich völlig selbstverständlich auf den bunten Blüten niederließen.
„ Passt bloß auf, wo ihr hintretet. Als ich hier geforscht habe, habe ich mindestens zehn Leute verloren, die sich an den Pflanzen hier verletzt haben. Es ist so ziemlich alles tödlich, was ihr seht. Selbst die Schmetterlinge.“
Es war eine schwer zu erfassende Stimmung, die über der alten Ruinenstadt lag. Im Vergleich zu Mephistos Tempel war es hier belebt, laut, doch dieses Leben schien krankhaft, irgendwie hinterhältig. Als sei es in seiner ganzen Existenz vom Bösen erfasst, anstatt von ihm vernichtet worden zu sein.
Hinter jedem Blatt konnte der Tod lauern, selbst der Wind konnte giftige Substanzen mit sich tragen, wie Elias ihnen erklärte.
Der Tod hatte hier viele Gesichter, doch war er stets bunt maskiert, mit Farben, die in ihrer grellen Lebendigkeit doch gleichzeitig so unglaublich krank wirkten, dass man meinen konnte, den Pestduft selbst zu riechen.
Die Fenster und Türen der Häuser waren längst verrottet, sodass die Eingänge wie tote Höhlen in den Mauern schienen, hinter denen nichts als tiefste Dunkelheit lauerte. Fast wirkten die Häuser und Tempel wie entstellte Gesichter, deren Augen und Münder vor Entsetzen weit aufgerissen waren.
Einmal kamen sie nah genug an eines der Häuser heran, dass Ryan es wagte, es zu betreten.
Der Innenraum war in seiner toten, konservierten Lebendigkeit schockierend bis aufs Mark.
Die Szene hätte aus einem beliebigen Alltag der damaligen Zeit stammen können.
Es war eine Wohnstube, primitiv eingerichtet, mit einem Steintisch, um den vier Stühle stand. An der Wand stand ein Holzofen und eine Art primitives Regal. Es roch muffig, obwohl die Fenster und Türen offen standen. Der Tisch aber war noch gedeckt mit alten Tongefäßen und Dingen, die vielleicht einmal Besteck gewesen waren.
Wie um das Bild perfekt zu machen saßen die Bewohner noch auf ihren Stühlen.
Vier Skelette, perfekt konserviert, erstarrt in der Haltung ihres Todes. Alle Blicke waren zu der Tür gerichtet, durch die Ryan getreten war, als sei der Tod von dort gekommen.
Das größte Gerippe umklammerte mit seinen Händen den Hals, als wolle es sich selbst erwürgen, während das kleinere, wahrscheinlich die Frau des Hauses den Arm des Gatten umklammerte.
Ryan hätte beinahe aufgeschrieen, als plötzlich aus einem der Krüge ein Schlangenkopf hervorschnellte, um den ungeliebten Besucher zu vertreiben. Nur eine Sekunde später erschrak er erneut, als Elias hinter ihm stand.
„ Es ist grausam, oder?“ fragte er und deutete auf die Kinderskelette, die ihre Arme abwehrend erhoben.
„ Ja.“ Hauchte Ryan. Zu mehr war er nicht im Stande, so sehr hielt ihn dieses Bild gefangen.
„ So geht es durch die ganze Stadt. In jedem Haus oder Tempel. Überall Leichen von Menschen die bei den alltäglichsten Dingen einfach erstarrt und gestorben sind.“
„Was ist hier passiert?“ Ryans Magen fühlte sich flau an.
Elias zuckte die Schultern.
„Das ist eins der großen Mysterien der Geschichte. Einige verkrümmte Leichen lassen darauf schließen, dass das Ende für sie schmerzhaft war. Aber was immer es gewesen war, es war schnell und es war tödlich und es hat das Leben in diesem Ort mit einer Gründlichkeit und Brutalität ausgelöscht, die ihresgleichen sucht.
Allerdings haben meine Forschungen ein paar interessante Dinge ans Licht gebracht. Die Magie war damals nämlich eher religiöse Anbetung alter Gottheiten anstatt praktischer Kampfzauber. Allerdings gab es in dieser Stadt nicht nur eine Gruppe, die sich den guten Mächten zu Diensten stellten, sondern eine kleine Gruppe Dämonologen, die von den großen Orden auch durchaus akzeptiert wurden. Ich glaube sie haben etwas geweckt, was lieber weiter schlafen hätte sollen.“
Jukkas hatte die Kapuze seiner Kutte aufgesetzt, dass sein weißes Gesicht zur makabren Imitation eines Mönches verkommen ließ, als er jetzt hinter Elias zu sprechen anfing.
„ Es gibt Legenden, alte Legenden, dass die Dämonenbeschwörer Andariel selbst aus dem Tiefen der Hölle gelockt haben und sie in diesem Ort ihren bestialischen Durst nach menschlichem Fleisch gestillt habe. Ihr Pesthauch hat jeden Menschen erstickt, jedes Haus, jeder Keller und selbst die kleinsten Kammern wurden von ihrem Gift durchflutet, bevor die Dämonenkönigin in all ihrer schrecklichen Pracht selbst umherschritt und das Fleisch von den Knochen nagte.
So heißt es zumindest. Sie löschte damit eine Kultur aus, die Großartiges vollbracht hatte. Tiefer in dem Wald befinden sich noch zerfallene Reste riesiger Pyramiden, errichtet aus unzähligen, gigantischen Steinquadern, die sie aus einer mehrere hundert Kilometer weit entfernten Küstenregion holten. Gigantisch, oder?“
Elias runzelte die Stirn.
„ Woher weißt du soviel? Ich habe jahrelang hier geforscht und nicht soviel herausgefunden.“
Jukkas Gesicht hatte wieder die alte emotionale Leere angenommen, die es seit Szarahs Verschwinden ausfüllte.
„ Kleiner Zeitvorteil, ich bin ein bisschen älter als ihr und außerdem beruft sich die Nekromantie in vielerlei Hinsicht auf die Dämonenbeschwörung. Sozusagen mein Fachgebiet.“
„Weit du noch mehr?“ fragte Elias sichtlich interessiert.
Jukka schüttelte den Kopf:
„ Das ist weder die richtige Zeit noch der richtige Ort für Horrormärchen. Lass uns lieber Szarah finden.“
Achselzuckend schlossen sich Ryan und Elias Jukka an.
Die Spur führte tiefer in das Stadtzentrum hinein und umso weiter sie vordrangen, so lichter wurde die Vegetation. Bald schon schien die Sonne durch die Bäume hindurch.
Elias stöhnte auf, als er sah, wohin der Pfad aus zertrampeltem Gras und aufgewühlter Erde genau führte.
Der Tempel der Dämonenbeschwörer war älter und viel kleiner als die umstehenden Gebäude. Seine Bauart war antiker, geheimnisumwitterter. Grobschlächtige, nur noch zur Hälfte bestehende Statuen bewachten die Eingänge links und rechts. Ihre leeren Augen starrten die Gruppe bedrohlich an, während die Hände abwehrend vorgereckt waren.
Sie wirkten so real, so lebendig, als hätte die allgegenwärtige Boshaftigkeit ihnen Leben eingehaucht.
„ Müssen wir wirklich dort rein?“ Hauchte Doro.
Ihre Augen sprachen deutlich von der Angst, die diese Worte zittrig klingen ließ. Sie spürten es alle.
Es war nicht die Stadt, die ihnen Angst machte, sondern vielmehr der Gedanke an das, was sie dort unten vorfinden würden.
Denn eines war sicher. Kein normales Lebewesen würde freiwillig in dieses finstere Zentrum uralter Boshaftigkeit hinabsteigen.
Szarah lag keuchend in der Ecke dieses Kerkers. Ihre Hand zitterte, als sie ihre Wunden betastete.
Dieses Miststück hatte sie rücksichtslos verletzt, als es in ihrem Körper durch den Dschungel gehetzt war.
Sie schnaubte hämisch, als sie merkte, wie schwach die Macht in ihrem Körper geworden war. Das Ding hatte sich wohl ein wenig übernommen bei seiner Reise. Es hatte wohl zu lange die Kontrolle über sie gehabt.
Hier war sie zusammengebrochen. Hier inmitten antiker Statuen, in einem faulenden Kerker, dessen Boden von glitschigem Moos überwachsen war.
Szarah stand vorsichtig auf.
Ihre Muskeln protestierten gegen die neue Belastung, aber Szarah wusste, dass sie von hier verschwinden musste. Hier regenerierte sich das Biest zu schnell. Sie fühlte es sich schon wieder tief in ihr regen.
Wohin sollte sie sich wenden?
Der Raum hatte zwei Ausgänge und sie schloss aus ihrer Lage, dass sie aus dem linken Eingang gekommen waren.
Sie folgte dem tiefen, dunklen Gang eine Weile, bis sie feststellte, dass er sich erneut gabelte.
An diese Kreuzung konnte sie sich nicht erinnern. Ganz und gar nicht.
Es war still in den unterirdischen Gängen. Still und finster.
Sie begann nervös an den Fingernägeln zu kauen.
Dann entschied sie sich für den linken Gang – irgendwohin musste sie ja gehen. Das Laufen fiel ihr schwer. Wären ihre Druidenaugen nicht so übernatürlich stark gewesen, hätte sie in der Dunkelheit gar nichts gesehen. Aber auch so konnte sie kaum den Steinen und Balken kaum ausweichen, die sich ihr in den Weg stellten.
Keine hundert Meter weiter bog der Gang plötzlich so scharf ab, dass sie beinahe an die Wand gelaufen wäre.
Hier waren jetzt Geräusche. Leise, scharrende Geräusche.
Ein ganz feines Klicken und Kratzen auf den Steinen.
Etwas huschte an ihrem Kopf vorbei.
Erschrocken fuhr sie zurück, nur um mit ihrer Hand auf etwas Pelziges zu greifen.
Mit einem leisen Aufschrei zuckte sie zurück.
Das Klicken verstummte. Szarah zitterte.
Was war das?
Ihre Hand brannte wie Feuer und juckte gleichzeitig so entsetzlich, dass sie es kaum aushielt.
Schließlich fiel ihr ein alter Magiertrick ein. Sie schloss die Augen, ungeachtet der bedrohlichen Stille und beschwor einen Feuerball.
Direkt gegenüber war ein Spinnennest von fast menschlicher Höhe. Dicke, schwarze Spinnen quollen daraus hervor wie eine Flut aus haarigem Blut.
Ihre Klauen klickten auf den Steinen, als sie sich auf den Eindringling zu bewegten.
Szarah ließ den Feuerball los, der den empfindlichen Stoff des Netzes sofort in Flammen steckte.
Der Geruch von Feuer zog durch den Kerker, doch waren noch genügend Spinnen überall an den Wänden, die die feindliche Absicht des Eindringlings erkannt hatten und nun auf sie losgingen.
Die nächste Spinne zertrat Szarah mit ihren festen Schuhen. Das Blut war ebenso schwarz wie die Leiber selbst. Knallend zerplatzen die brennenden Spinnenkörper hinter ihr, begleitet von einem schrillen Rasseln, dass die Tiere im Todeskampf von sich gaben. Szarah verspürte kein Verlangen nachzusehen, was da vor sich ging sondern trat Hals über Kopf die Flucht an. Keine zehn Sekunden später war sie wieder an der ersten Kreuzung angekommen und entschied sich diesmal für den anderen Tunnel. Nur um festzustellen, dass dieser sich kaum hundert Meter weiter wieder verzweigte – In zwei Treppen, die beide abwärts führten.
Erst jetzt fühlte sie die Augen, die sich in ihren Rücken bohrten.
Sie wurde beobachtet. Und das schon seit einer geraumen Weile.
Hektisch drehte sie sich um.
Noch immer war dieses Gefühl in ihrem Rücken.
Ein kleine Regung im Unterleib, dann ein hektisches Gelächter in ihr.
„ Du glaubst du kannst fliehen?“ fragte die verzerrte Stimme höhnisch „ Fliehen aus meinem Tempel. Ha!“
Verzweifelt schlug Szarah gegen ihre Schläfen. „Geh weg. Verschwinde.“ Ihre Stimme hallte verzweifelt in den engen Gängen. Das Echo, dass die Gänge zurückwarfen war ebenso verzerrt – eine Karikatur des Grauens, das Szarah empfand.
„ Was willst du von mir?“
Die Stimme wurde leiser. Drohend flüsterte sie.
„ Dich!“
Szarahs Blick glitt hinab.
Ihre Beine waren weiß, kalkweiß, gehörten nicht mehr zu ihr.
Die blutigen Stümpfe ihrer selbst lagen fast außerhalb des Sichtradius im Gang.
„Oh Gott.“ Stöhnte sie, bemüht sich nicht zu übergeben. Das Lachen wurde lauter, grausamer.
Szarah hob die Hände an ihren Kopf, beschwor die Ranken hervor, um sich selbst zu befreien, doch nicht einmal das ließ die dämonische, boshafte Gestalt zu. Bevor die Ranken sich in ihr Fleisch bohren konnte, fielen auch die Arme mit einem reißenden Geräusch ab.
„ Andariel!“ keuchten Elias und Jukka, als sie in den Thronsaal kamen. Das Labyrinth war nicht schwer zu durchschauen gewesen. Auch hier waren überall Blutspuren verteilt. Teilweise so offensichtlich, dass Ryan glaubte, das Szarah wollte, dass man sie fand.
Die Dämonenkönigin, die Oberste der niederen Übel räkelte sich auf ihrem Thron. Ihr Körper war weiß, von einem grünlichen Schimmer durchsetzt, bedeckt durch nichts als einer eisernen Schlange, die sich den Schamberg hinaufwand. Ihre Arme mündeten in feingliedrige, fast schon zarte Hände, an denen lange, klauenartige Finger saßen.
Ihr Haar war, ebenso wie ihr Mund und ihre Brustwarzen feuerrot und stand in die Höhe, was ihr langes, dämonisch verzerrtes Gesicht noch betonte.
„ Ja, ich.“
Ihre Worte waren schwer verständlich, klangen sie doch eher nach einem vogelartigen Kreischen denn nach menschlichen Lauten.
Ihre Adern traten dunkelgrün unter der porzellanartigen Haut hervor.
Sie war das Zentrum dieses vergifteten Ortes. Ihr Körper zeigte all das, was diesen Ort so bedrohlich machte in sich vereint.
Die grellen Farben der Haut, die düstere Fremdheit, der verzerrten, schlitzartigen Auge und der sichelförmigen Nase.
Sie wirkte wie ein Raubtier aus den Untiefen der Fantasie, fast einer Harpyie ähnlich, doch eindeutig kein Vogel.
Jukka gewann als erster die Fassung wieder und trat vor den Dämon, der ihn fast um das fünffache überragte.
„ Wo ist Szarah?“ fragte er und gab sich Mühe sicher und gefährlich zu klingen.
„ Hier“ antwortete das Monster.
Als Jukka nach kurzer Suche irritiert in das Gesicht der Dämonenkönigin schaute war es ihm, als hätte ihn ein Vorschlaghammer getroffen.
Er schrie tatsächlich auf, dann knickten seine Beine ein und er fiel auf die Knie. Noch immer vermochte er es nicht, seinen Mund zu schließen.
Szarahs Kopf schwebte dort auf den Schultern des Monsters, die Augen von Tränen nass schaute sie ihrem alten Freund ins Gesicht und formte mit den Lippen:
„Zu spät.“
Jukka prallte zurück.
„ Nein, niemals.“
„ Oh doch.“ Adariel hatte wieder ihre alte Gestalt angenommen „ Es ist an der Zeit, dass dich jemand in die Schranken weist, Dämonenjäger. Stirb hier, oder töte sie.“
Jukka kreischte:
„ Nein, niemals.“
Er hatte jegliche Fassung verloren. Sein Gesicht war eine einzige Maske aus Schmerz und Verzweiflung, als er endlich erkannte.
Andariel kreischt ebenfalls, doch nur aus Vergnügen:
„ Du bist schwach, Ajaton. Einst warst du so mächtig, dass die Hölle selbst vor die erzitterte, aber die Emotionen haben dich schwach gemacht. Das Menschsein bekommt dir nicht. Es raubt dir deine Kräfte, Ajaton. Du bist nichts weiter als ein Nekromant, nichts weiter als ein alter Magier.“
Jukka schüttelte den Kopf, unter seinen Augen liefen dicke, dunkle Streifen nach unten. Tränen, weniger aus Trauer, denn aus Zorn und purer, heißer Wut.
„ Doch Ajaton. Duriel mag gefleht haben, als ihn dein Zorn erpackte, doch entfessele diesen Sturm, wenn du das Gesicht deiner Freundin siehst.“
Die Tränen an Jukkas Kinn tropften zu Boden, seine Wangen hektisch gerötet konnte er diesmal nicht einmal mehr negieren.
Jedes Wort traf ihn wie ein Peitschenhieb mitten ins Gesicht.
„ Du wurdest schwach, als du dieses Mädchen rettetest, Ajaton. Wie sonst konnte dir der Zwischenfall im Kloster der Jägerinnen entgehen? Du wusstest nur zu genau, dass ich es war, die im letzten Krieg diesen Posten hielt, um die Jägerinnen vom Rest der Welt abzuschirmen. Du wusstest es, du warst nur dort um mich zu suchen. Doch hast du es nicht gemerkt.“
„Doch“ formten Jukkas Lippen kraftlos. Er saß nun ganz still da. Das Gesicht gesenkt, nur hin und wieder schüttelte ihn ein Weinkrampf, als ihm die Erkenntnis, dass Szarah sterben würde wirklich erreichte.
Nun beugte sich Andariel nach vorn. Ihre Augen waren gefährlich eng geschlossen und die nach oben gezogenen Lefzen verhießen nichts Gutes.
„ Soso, du hast es also gewusst, ja? Und du hast nichts getan. Ajaton, du bist ja noch dümmer, als ich geglaubt hatte.“ Wieder erscholl ihr Lachen, so laut, dass der Kerker erzittert. Ihre Beine zuckten hektisch vor Freude und ihre Hände trommelten wie besessen auf ihren Schenkeln.
Das war zuviel. Ryan nahm allen Mut zusammen und ging einen Schritt nach vorn.
„ Du hast eins vergessen, Schlampe. Jukka hat noch andere Freunde und die wird er nicht opfern.“
Seine Hand packte Jukkas Schulter fast gewaltsam, als er Andariel trotzig anschaute.
„ Soso. Ja, ich weiß, ich spüre die starke Bindung zwischen euch. Doch sag mir eines, Ryan, glaubst du auch nur einen Bruchteil dessen zu wissen, was dein Freund schon verbrochen hat? Er hat gemordet, Unschuldige getötet. Er ist ein Monster, nicht weniger als ich. Und er ist genauso besessen...“
Ryan warf die Schultern zurück und spuckte auf den Boden.
„ Jukka braucht uns, also werden wir ihm helfen. Dein Gequatsche interessiert niemanden. Egal ob es wahr oder erfunden ist.“
„ Er hat schon viel bessere Kumpane verraten, als du es warst, nicht wahr, Ajaton?“
Endlich fand Jukka die Kraft aufzustehen. Seine Augen waren kalte, schwarze Edelsteine, jegliches Gefühl war daraus entschwunden.
„ Mein Name ist Jukka.“
Andariel blickte genauso gefühllos.
„ Du magst dir Menschennamen geben, doch wirst du deinen Dämon nie besiegen. Mord verjährt nicht – Und Verrat noch viel weniger.“
Jukka Hände rasten nach vorn. Schwarze Magie umfloss sie, brach aus den Fingerspitzen hervor und vereinigte sich vor ihm in zwei hundeartigen Gestalten.
Ein Donner erfüllte den Kerkern, ein Sturm brach auf. Die losen Ziegel wurden von den Wänden gerissen und stürzten in diesen schwarzen Strudel. Nur Sekundenbruchteile hielt dieses Bild, dann brach das Inferno los. Mit der Geschwindigkeit eines Blitzes donnerten die Hunde nach vorn.
Andariel wurde an den Schultern getroffen und rückwärts gegen die Mauer geschleudert. Das Gemäuer erbebte, als sie mit aller Wucht dagegen knallte. Irgendwo brach etwas und knirschte bedrohlich, doch es war nicht Andariels Stimme, die da schrie, nein, es war Szarah selbst.
Jukkas Nase war weggefault, sein ganzer Körper hatte eine Metamorphose durchgemacht, die ihresgleichen suchte. Dass er ein Dämon war, war nicht zu übersehen. Knochig stand er da, die Kleider in Fetzten von dem spindeldürren, faulenden Leib hängend, den Körper zur Unkenntlichkeit verwest und die Augen verschwunden im schwarzen Nichts, das die leeren Höhlen füllte, dirigierte er diesen Mahlstrom der Vernichtung gegen die Dämonenkönigin.
Die hintere Mauer platzte weg und Andariel wurde in einen Himmel gehoben, der von schwarzen Wolken zerrissen war, dass es dem jüngsten Tag zur Ehre gereicht hätte. Überall blitzte und donnerte es, die Stadt wurde von einer Flut von Feuer und Explosionen überschüttet, die keinen Stein auf dem anderen ließ.
Mit spielerischer Leichtigkeit dirigierte Ajaton diese Symphonie der Zerstörung gegen die Stadt und die Dämonenkönigin und vernichtete alles, was von dem alten Kult um Andariel noch übrig war.
Dann brach er ab.
Schluchzend fiel er auf die Knie.
„ Nein!“ brüllte er „ Nein! Was habe ich getan.“
Szarah lag vor ihm, blutüberströmt, mehr tot als lebendig.
Der niederprasselnde Sturmregen ließ Jukkas Haare strähnig herab hängen, seine schwarze Gestalt wurde immer wieder von den krachenden Blitzen erhellt.
Er bettete sanft Szarahs Kopf auf seinen Schoß.
„ Zum Glück, du lebst noch.“
Hektisch streichelte er über Szarahs Haar.
Sie sah ernst auf, ihre Augen regungslos, obwohl sie von Jukkas Tränen, benetzt wurde.
„ Du musst mich töten, Jukka.“
Die Worte waren so leise, dass sie in dem donnernden Sturm fast untergingen.
„ Nein.“ Jukka schüttelte den Kopf. „Es ist vorbei. Sie ist tot.“
Szarah lächelte traurig.
„ Belüg dich nicht schon wieder selbst Jukka. Du weißt es genauso gut wie ich. Ich bin mit ihr verbunden, sie steckt in jeder Faser meines Körpers.“
Noch immer wurde der Regen stärker. Sintflutartige Massen stürzen vom Himmel herab und begruben die restlichen Gemäuer unter schlammigen Lawinen.
„ Szarah, ich brauche dich doch. Sie kann dich doch niemals so sehr durchsetzt haben.“
Szarah schloss die Augen und hustete. Ein kleines Rinnsal aus Blut tropfte aus ihrem Mundwinkel.
„ Mein Hass hat sie stark werden lassen. Das ist es, worin ich versagt habe.“
Hektisch fuhr Jukka durch ihr Haar.
„ Aber warum? Deine Liebe schwächt sie, Szarah, wir brauchen dich...“
Szarah atmete tief ein.
„ Jukka, ich kann meinen Hass nicht kontrollieren. Ich hasse alles. Ich hasse diese Welt, hasse die Menschen, die zu so abscheulichen Dingen fähig sind und hasse mich doch selbst, weil das Blut an meinen Händen klebt. Ich weiß, dass meine Eltern starben, ich weiß, wie sie starben. Jukka, du brauchst dir nur die Nachrichten anzuschauen und schon kannst du nur noch Hass empfinden. Mir ist der Sinn unserer Mission verloren gegangen. Ich kann nicht für diese Welt kämpfen Jukka, ich kann es einfach nicht.“
Jukka stammelte:
„Aber, aber Szarah....“
Die hob anklagend ihre zarten Hände.
„ Siehst du es nicht, kannst du nicht das Blut sehen, ich werde es niemals loswerden nie. Ich stinke nach Blut, ich werde es nie loswerden, egal durch welche Absolution. Die Gesichter verfolgen mich, töten mich schon hier. Ich kann nicht mehr.“ Sie schrie „ Ich kann es nicht mehr ertragen, all das Blut, die Morde, überall wo man hinschaut. ICH WILL NICHT MEHR!“
Jukkas Stimme war tonlos, leer.
„ Wenn jemand Blut an den Händen hat, dann doch ich. Verstehst du nicht, ich brauche dich.“
Szarah erhob sich und legte Jukkas Hände an ihren Hals, dann küsste sie ihn und flüsterte.
„ Verzeih mir.“
Jukka weinte, schluchzte hemmungslos und fühlte mit jeder Sekunde wie etwas in ihm zerbrach. Er weinte noch immer, als er zudrückte, er schluchzte im Takt mit Szarahs Zucken und weinte selbst dann noch, als sie schlaff in seinen Armen hing.
Anders ging es Ryan. Er sah nur von fern, wie Jukka Szarah erwürgte, die finale Explosion hatte die Gruppe über die Stadt verstreut zurück gelassen. Er schrie laut auf und rannte los.
Er sah Szarahs Glieder verzweifelt zucken, sah ihren Todeskampf, doch als ihre Muskeln schlaff wurden, da war es ihm, als würde er von einer hellen Wolke gepackt und fortgeschleudert.
Er schlug die Augen auf. Es war dunkel, Nacht. Aber dies war nicht der Urwald in Kurast.
In der Ferne konnte man ein Feuer brennen sehen.
„Danke, Jukka.“ Hörte er eine Stimme.
Da waren zwei Gestalten, deren Körper sich wie Scherenschnitte vor der Kulisse der flackernden Flammen abzeichneten. Noch namenlos, doch mit jedem Schritt gaben sie mehr Details ihrer Identität preis.
„ Lass es dir schmecken.“ Jukkas Stimme, oder zumindest eine Variation davon. Sie klang anders, gefährlicher, kälter, unmenschlicher. Ryan spürte den Dämon in ihm. Er war stark.
Der andere Mann, ein Barbar in antiker Rüstung griff sich das Fleisch und biss beherzt zu.
„ Ich weiß gar nicht, wo du das immer her bekommst, Jukka. Bei Gott, seitdem ich mit dir zusammen unterwegs bin, hatte ich nie Hunger. Das ist mir sonst nie vorgekommen.“
Jukka zuckte, etwas gereizt, die Schultern.
„ Magierglück.“ Er räusperte sich, dann klang er fast schon liebenswürdig, doch auch etwas traurig. „ Ich hoffe es schmeckt dir.“
Der Barbar nickte strahlend. Ryan fragte sich, ob er es nicht bemerkte, oder nicht bemerken konnte.
Jukkas Anblick war furchteinflößend. Seine Augen waren zu Eiskristallen geworden, halb Schlangenaugen, die ein Opfer taxierten, doch ohne deren Gier. Er schien emotionslos lauernd. So betrachtete man vielleicht ein Stück Fleisch aber keinen Mensch.
Aber der Barbar bemerkte es nicht, sondern plauderte fröhlich weiter.
„ Was wir alles erlebt haben. Mann, Mann, wir müssen bei Gott schon jahrzehnte unterwegs sein – und ich kann es immer noch nicht vergessen. Wie du mich damals gerettet hast, vor den reitenden Toten. Ich bin dir für immer verbunden. Bei Gott und bei meiner Barbarenehre.“
Jetzt lag doch etwas in Jukkas Gesicht. Eine schmerzerfüllte Furche zog sich durch seine Stirn und seine Augen schienen zu schmelzen, kurzzeitig.
„ Ist schon gut.“ Die Stimme zitterte.
„ Wie geht’s es eigentlich deinem Bein, ist die Wunde verheilt? Wenn nicht, dann geb ich dir etwas von meiner Salbe. Bei Gott, gebrauchen könnte ich sie noch, doch dir geb ich sie gerne.“
Jukka lächelte.
„ Danke, Thorin, aber es ist fast schon wieder gut.“
Wieder dieser prüfende, lauernde Blick.
„ Ich hab dich wirklich gern Jukka, bei Gott, das habe ich.“ Er gähnte herzhaft „ Ich glaube ich bin etwas müde. Wann werden wir wieder bei uns zu Hause sein? In zwei Wochen? Ich freue mich schon so endlich meine Mutter wieder zu sehen – und meine Frau. Sie sind dir genauso dankbar, wie ich...“
Mit diesen Worten kippte er um. Einfach so. Keine letzte, entsetzte Erkenntnis, dass der vermeintliche Freund ihn verraten hatte. Nein, der große, etwas tollpatschige Barbar fiel einfach zur Seite um und schlief wie ein Baby, mit einem friedlichen Ausdruck auf dem Gesicht.
Ryan schauderte.
Aber Jukka war schon aufgestanden, sein Körper hatte die Gestalt des Dämons, die er auch im Kampf gegen Andariel hatte und sein Gesicht war den Wäldern zugewandt.
„ Erhebe dich aus deinem Versteck, Abtrünniger.“
Mit einer Triade knackender Geräusche erhob sich ein weiterer Dämon und trat aus dem Wald ans Feuer.
„ Hast du das Elixier und das Buch?“
Der andere Dämon nickte und deutete auf den bewusstlosen Thorin.
„ Ist ihm auch wirklich nichts geschehen?“
Jukka nickte.
„Du weist, dass ich dich jagen und aufschlitzen lasse, wenn er beschädigt ist.“
„Sei unbesorgt in nicht mehr fünf Stunden wird der Barbar aufwachen und euch zu Diensten stehen.“
„ Dann geh jetzt!“ verlangte der Dämon.
Jukka nickte erneut, doch bevor er ging, griff er in Thorins Tasche und holte etwas heraus.
Es war Thorins Wundheilsalbe.
Die Szene wechselte und zeigte eine alte Frau, die unverkennbar Thorins Mutter war und ein Mädchen (höchstwahrscheinlich Thorins Frau) die bitterlich weinten und Verwünschungen ausstießen.
In immer schnellerer Abfolge zogen die Bilder vorbei, zeigten Verrat und Mord, Tod und Verderben, alle ausgeführt im Namen einer Hand: Jukka.
Ryans Gehirn schaltete irgendwann ab, es war erfüllt von Trauer, Verzweiflung, Hass und Wut und konnte nichts mehr aufnehmen.
Die Bilder zeigten alle Abgründe menschlichen Lebens, die er sich vorstellen konnte, nichts blieb es aus, Schändungen und Vergewaltigung, es gab nichts, das Jukka heilig zu sein schien, keine Tat zu grausam, kein Gericht zu bestialisch. Weiter und weiter stürmten die Bilder vor Ryans Augen vorbei, es war fast schmerzhaft, sie nur zu betrachten, geschweige denn, sie aufzunehmen.
Erst zuletzt wurde ihr Lauf gebremst.
Dieses Bild kannte Ryan. Es war Kurast und es war nacht.
Er kannte auch die Frau, die dort stand und horchte.
Ihr Gesicht hatte sich wie ein Polaroid in seine Seele gebrannt, hatte er einstmals gesagt und so war es auch. Seine Tanzpartnerin, die, die er so rüde abgewiesen hatte, die die ermordet wurde, ach was, ermordet, bestialisch hingerichtet.
Eine dunkle Gestalt trat hinter ihr aus den Bäumen. Die Frau sah ihn nicht, lief langsam rückwärts geradewegs in ihr Verderben.
Ryan wusste, was kommen würde und allein dieses Wissen reichte aus, dass er sich in hohem Bogen erbrach.
Jetzt drehte sich die Frau erschrocken um, sah den Fremden, wirkte fast erleichtert, bis er sie an den Händen griff.
Kalte Hände, dämonische Hände.
Sein Gesicht sank herab, als wollte er sie küssen, doch dann schlugen sich die Zähne in das Fleisch.
Das konnte nicht sein, dass durfte nicht sein. Ryan schrie, bis er glaubte, seine Lunge würde verbrennen. Er konnte die Augen nicht schließen, war jeder Einzelheit dieser rituellen Schlächtung ausgeliefert. Immerzu dachte er daran, dass Jukka keine zehn Minuten später mit ihm gesprochen hatte, ihm das Gefühl gegeben hatte, ihn zu verstehen. Verdammt, er war ihm so nahe gewesen, dass er sich seinen Gefühlen, die er sonst immer so sehr unter Kontrolle hatte, plötzlich nicht mehr sicher war. Und jetzt das. Er musste sehen, musste fühlen, bis er am Ende zwei wohlbekannte Stimmen hörte.
„ Du hast eins vergessen, Schlampe. Jukka hat noch andere Freunde und die wird er nicht opfern.“
„ Soso. Ja, ich weiß, ich spüre die starke Bindung zwischen euch. Doch sag mir eines, Ryan, glaubst du auch nur einen Bruchteil dessen zu wissen, was dein Freund schon verbrochen hat? Er hat gemordet, Unschuldige getötet. Er ist ein Monster, nicht weniger als ich. Und er ist genauso besessen...“
„ Jukka braucht uns, also werden wir ihm helfen. Dein Gequatsche
interessiert niemanden. Egal ob es wahr oder erfunden ist.“
Das Lachen am Ende überhörte er.
„ Du elendes Schwein.“
Ryans Augen sahen nichts mehr, außer der schwarzen Gestalt, die gramgebeugt über Szarahs Gesicht weinte.
Jukka hob das tränenverschleierte Gesicht, doch auch das sah Ryan nicht. Es war überlagert von der Eiseskälte der ersten Vision, von der Dämonenfratze und ihrem bösartigen Grinsen und von der Blutlust, die er gesehen hatte. Jukka wirkte in diesem Moment grausamer und bestialischer als es alle Dämonen der Welt zusammen hätten können.
Ryans Faust traf ihn frontal ins Gesicht und brach ihm die Nase.
Schmerzsterne explodierten und trübten Jukkas Sicht. Er war noch zu benommen vom Schmerz, als dass er gleich die richtigen Schlüsse hätte ziehen können, doch war das auch unnötig. Ryan brüllte es ihm ins Gesicht.
„ Ich habe es gesehen, Jukka, oder soll ich Ajaton sagen? Ich habe sie alle gesehn, Thorin, Elena, Sarthes, Mikhail, alle, alle!!! Du bist ein Schwein Jukka, ein fieses, ekliges Schwein. Du hast sie getötet, vergewaltigt, du, du, ich spucke auf dich! Was hattest du mit mir vor? Sag es mir, oder ich prügel dir die Seele aus dem Leib. Was wolltest du? Meine Seele, mein Leben, mein Blut? Du bist das letzte...“
Jukkas Welt brach innerhalb von Minuten zum zweiten Mal zusammen. Es war wahr, was Ryan sagte es war schrecklich wahr und das war das grausame an dieser Sache.
Er verdiente jeden dieser Schläge, verdiente jeden Schmerz der Welt, das wusste er. Er hasste sich dafür, hasste sich für alles was er getan hatte, doch wahr ihm diese Situation so fremd.
Er war es nicht gewohnt zu fühlen, er hatte es verlernt jahrtausende war es her und erst Szarah und Ryan hatten ihm wieder seine verstaubten Gefühlswelten gezeigt.
Er brach zusammen, weil alle Hoffnung, von vorne anzufangen mit einem Schlag ausgelöscht waren. Er hatte in Kurast beschlossen Schluss zu machen, es noch einmal zu versuchen, aber die Vergangenheit ließ sich nicht ausschalten, ließ sich nicht abstreifen wie ein altes, stinkendes Hemd, nein sie verfolgte einen, lauerte in den Schatten und trachtete danach einem ins Gesicht zu springen und sich zu offenbaren. Wie jetzt, wie in dieser Minute.
Und in dieser Hinsicht hatte Andariel einen grausamen Sieg davon getragen.
Jukka kapitulierte, kapitulierte vor sich und vor der Welt.
Das letzte, was er noch sagen wollte, bevor er starb kam nur als leises Flüstern über seine Lippen, doch ließ es Ryan und alle anderen auf der Lichtung erstarren.
„ Ich liebte dich.“
„ Was ist mit ihnen?“ fragte Doro und sah sich suchend um.
Sie hatten Ryans Metamorphose mit Entsetzen durchlebt, hatten gesehen, wie er Jukka brutal zusammengeschlagen hatte und hatten mit noch größerem Entsetzen Ryans Offenbarungen über Jukka zugehört. Sie hätten es nicht geglaubt, wäre nicht jedes Wort Ryans von solch grausamen Bildern untermalt gewesen. Sie hatten nicht alles gesehen, was Ryan hatte ertragen müssen, aber das was sie gesehen hatten, das hatte ausgereicht.
Nach Jukkas letztem Bekenntnis waren die beiden zusammengebrochen und so lagen sie jetzt, stocksteif, wie tot auf dem nassen Gras.
Elias sah traurig auf.
„ Nun es war wohl für beide an der Zeit, sich selbst gegenüber zu treten.“
„ Was soll das heißen?“
Elias stand auf und klopfte sich den Dreck von den Kleidern. Er sah alt aus, alt und schwach.
„ Ich weiß es auch nicht. Unsere Gemeinschaft ist zerbrochen und ich glaube es war die letzte Möglichkeit Bheids, um das wieder zu kitten. Wir brauchen sie beide. Und sie müssen zusammen halten. Ich glaube er hat sie ausgeknockt, um ihnen die Möglichkeit zur Besinnung zu geben. Verstehst du, was ich meine.“
Doro schüttelte den Kopf.
„ Nein, ich glaube, Jukka ist tot, ich glaube Ryan hat ihn erschlagen. Sie haben beide keinen Puls und werden langsam kalt Ich will dir gerne glauben, aber, ich weiß nicht. Mein rationales Gedächtnis glaubt einfach nicht daran.“
Elias nickte:
„ Ich versteh dich. Das magische ist manchmal unergründlich. Und ich weiß selbst nicht, ob ich mir das alles nur einbilde, um mich glücklich zu machen. Ich weiß nur, dass ich müde bin und dass ich mich alt und schwach fühle. Ich bin überlastet, Doro, ich brauch Ruhe. Dringend.“
„ Was willst du tun?“
„ Ich werde zurück nach Lut Golein gehen. Vielleicht finde ich dort meinen Frieden? Ich muss mit Bheid sprechen, muss herausfinden, was die Prophezeiung sagt... Ich weiß nicht, ich will einfach nach Hause. Ich fühle mich wie ein Zugvogel zum Winterbeginn. Oder wie einer, der kurz vor dem Tod noch einmal nach Hause will, Abschied nehmen.“
Doro schaute ihn entsetzt an:
„ Hey, Elias. Du wirst nicht sterben...“
Dabei wusste sie selbst nicht, ob es nur eine Lüge war. Eine Lüge gegen sich selbst und gegen Elias.
Elias aber hatte keine Lust, näher darauf einzugehen.
„ Was auch immer. Ich glaube dort finde ich am ehesten eine Lösung. Kommst du mit mir?“
Doro schüttelte den Kopf:
„ Nein, ich werde hier bleiben und warten. Ich habe hier gefunden, wonach ich mich ein Leben lang gesehnt habe. Ich glaube, dass ist auch meine letzte Chance meinem Leben einen Sinn zu geben, der abseits von Prophezeiungen und Abenteuern liegt. Ich möchte einfach ein normales Leben führen, ein Kind bekommen, es großziehen und das Wunder neuen Lebens sehen. Ich habe genug Leben genommen, es ist an der Zeit, dass ich auch welches gebe.“
Elias nickte:
„ Wir alle verändern uns. Ich hoffe nur, dass es nicht wieder siebzig Jahre dauert, bis wir uns wiedersehen, denn ich fühle Bhaal da draußen. In seinem Versteck sammelt er die Finsternis wie ein Gewitter um sich. Und wir müssen vorbereitet sein, wenn er aus dem Versteck tritt.“
Sie umarmten sich. Beide hatten Tränen in den Augen.
Elias sagte leise:
„ Ich nehme die Drei mit.“ Aber Doro verneinte, ebenso leise.
„ Ich glaube, sie wollte hier begraben werden. Sie war ein Kind des Waldes, Lut Golein wäre der falsche Ort für sie.“
Und so begruben sie Szarah im Wald von Kurast. Ein kleiner Stein schmückte das Grab, auf dem Bald wilde Pflanzen leben würden. Kleine, zarte Pflanzen – und so hatte auch sie mit ihrem Tod noch Leben gespendet anstatt zu nehmen.
Ein kleiner Hoffnungsschimmer am düsteren Horizont.
Ende des zweiten Akts...
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So nachdem ich festgestellt habe, dass wir den Überschriften nach eigentlich immer noch im Prolog sind, habe ich mir kurzerhand gedacht, die Geschichte in drei Akte zu unterteilen, sozusagen Dramenmäßig (um genau zu sein, diese Idee ist mir in der mündlichen Deutschprüfung gekommen und jetzt habe ich sie umgesetzt hähä), wobei das letzte Kapitel (nein, Szene, es heißt Szene, wenns ein Drama ist
) nun Katastrophe und Peripeptie (also den Umschwung) enthält. Hier beginnt jetzt die fallende Handlung, die (mit einem retardierenden Moment) auf die Katastrophe zusteuert (wobei ich mir keine größere Katastrophe als die Situation jetzt gerade eben vorstellen kann, aber naja...)
So betrachtet wäre der Prolog die Exposition und der Diebstahl des Buches das erregende Moment....
Ein Hoch auf unsere Schulweisheit...
Aber irgendwie ist mir aufgefallen, dass meine Leute (Elias, Doro und Ryan) im Verlauf des "Dramas" ganz schön gealtert sind (mental gesehen). Ich hoffe das sagt nichts über meine Geistesverfassung aus...
Bin ich jetzt ein Spießer?
Ach, naja, auf jeden Fall herzlichstes Dankeschön für die Betrachtung der letzten "Szene"
PS: Gott, bin ich froh, dass das Abi vorbei ist!!!!