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[Story] Göttertraum

Ah, mein Vorkämpfer. :D

Das mit den "Sie"-Sätzen glaube ich dir aufs Wort... Ich bin ein Feind des Passivs, und auch sonst sind die Satzkonstruktionen nicht besonders einfallsreich, wenn es hektisch wird.
Ich habe da immer Probleme: Skelett macht etwas, Jilis macht etwas, Skelett macht etwas, Jilis... So läuft das ja immer abwechselnd. Wenn der Gegner etwas macht, variiere ich (glaube ich) auch mal, aber beim gerade aktiven Charakter bin ich immer darauf versessen, dass auch durchkommt, dass er eben aktiv ist. Da werde ich ab jetzt drauf achten; dass ich mich da nicht zu sehr einschränke.

Die ersten beiden Sätze sind korrigiert, beim dritten habe ich "glühende Ströme" draus gemacht (Adrenalin klingt wirklich arg nach neuzeitlicher Wissenschaft), und der vierte Satz ist, lustigerweise, ein Versuch von mir, dem ewigen "Sie"-Satz auszuweichen, und da spielt auch ein bisschen erlebte Rede mit.
Sie sieht den Schädel. Dann sieht sie, wie er ins Kerzenlicht zurück rückt.
Verständlich?
Beim Lesen scheint es auf jeden Fall zu holpern, da überlege ich mir noch was.

Ein ganz herzliches Danke, weil du mir wieder mit der Detailkritik sehr geholfen hast!
Hast du noch ein Beispiel für das Verlieren der Übersicht während der Schlacht? Ob positiv oder negativ, ich will es mir auf jeden Fall einmal anschauen und sehen, ob sich da etwas verbessern lässt. :p
 
echt geiles kap

wie schön mal mitzuerleben wie das kloster gefallen ist :D
 
Wieder klasse geschrieben. Das wechselt so plötzlich von Normalität beim Schach spielen zu Horror, dadurch wird es noch spannender.

Die Actionszenen sind größtenteils gut, aber manchmal ein bisschen unklar. Kippt Jilis das Regal um, weil da ein Skelett direkt hinter steht?
 
Freut mich, wenn dir mein Geschreibsel weiterhilft :)

Nochmal zu dem letzten Zitat von mir, also der sache mit dem Schädel. Da hakts bei mir irgendwie noch :D
Soll der Satz ausdrücken, dass sie nur noch den Schädel sah, den sie spalten will?
dann würde ich ihn so umformulieren (nur als Beispiel, will dir da nicht reinreden):
"Einzig den Schädel sah sie noch, wie er zurück ins Kerzenlicht rückte."
vielleicht hat mich da aber auch nur das "in" im zweiten Satzteil irritiert, das da denke ich nicht hingehört.

Die Sache mit der Übersicht: da werd ich dir die Tage mal ein paar Stellen raussuchen. Esme hat da auch schon ein Beispiel dazu gebracht. Aber, wie gesagt, mir gefallen solche Szenen ganz gut, weils die Spontanität von Jilis sehr schön darstellt. Sie weiß selber noch nicht, was hinter dem Bücherregal steht, sondern sieht nur die Reaktionen von den Anderen und handelt danach. Und wir als Leser sind sozusagen hautnah dabei. Find ich persönlich besser, als wenn alles haarklein von nem Außenstehenden beschrieben wird.

Btw. nicht wundern, wenn beim nächsten Kapitel kein Lob-/Kritikpost von mir kommt. Ich bin ab Mittwoch erstmal für 2 Wochen außer Landes.

Gruß Krauth
 
Danke, Cleglaw, Esme. :)
Das mit dem Regal ist tatsächlich so eine Stelle, wo ich selbst mit mir gerungen habe. Entweder die Perspektive und Spannung etwas aufbrechen, oder Unverständlichkeit riskieren... Ich sehe schon, ich tendiere eher zur Unverständlichkeit. In der Richtung arbeite ich ein bisschen!

martini,
urgs, das hätte ich auch echt bemerken können. Natürlich ist das "in" überflüssig.
Finde ich gut, dass du auch so ein Fan von "enger" Perspektive bist. Aber gerade im Fantasy-Bereich ist die vielleicht etwas riskant, da ungewohnt - ich muss also sehen, wie ich mich auf dem schmalen Grat halte, auf dem ich da wandele. Wird von Situation zu Situation eine neue Herausforderung werden.
Dann bis in 2 Wochen! ;)

Das ist wirklich eine große Freude für mich, dass ich mich hier ausprobieren kann und Feedback bekomme, mit dem ich mich verbessern kann!
Sagt alle, was euch nicht passt und unangenehm auffällt - dann ändert es sich nämlich. :)
Nächstes Kapitel wird übrigens tatsächlich kürzer werden. In die ersten beiden habe ich besonders viel hineinpressen wollen.
 
Also die Länge fällt mir irgendwie auf. Das ist nicht negativ gemeint, der ganze Kampf ist super spannend - so sehr, dass ich solche Dinge wie die vielen "sies" nicht mal bemerkt habe.

Aber du sagst selbst, dass du vielleicht noch mehr schreiben wolltest und dir das dann zu lang wurde. Da wär's vielleicht gar nicht so schlecht das Kapitel in 2 oder 3 Teilen zu posten - um die Leser zu quälen natürlich vorzugsweise da unterbrochen wo es spannend wird oder es gut geht (da wo Jilis hinter den anderen her zu Akara läuft z.B. oder am Anfang als "Andariel"? die Anführerin tötet) - das gibt dir auch die Möglichkeit die Story wirklich so ausführlich zu erzählen wie du es willst.
 
Das stimmt wirklich, Jyroshi.
Ich habe mich da (unbewusst) zum Sklaven meiner eigenen Planung gemacht und mir gesagt "da musst du jetzt durch", obwohl ich auch leicht hätte umplanen können.
Fehler notiert, ab jetzt gebe ich acht. :)
 
IV Himmel in Flammen

Am beschwerlichsten war nicht der Weg durch die Dschungel gewesen. Die heilenden Salben hatten ihm bald die Trübheit aus dem Blick genommen und die Gewichte, die an seinen Gliedern zerrten. Auch die Schiffsfahrt in den westlichen Kontinent überstand er, ohne mehr als zwei Mal sein Frühstück über die Reling zu brechen. In der Wüste schließlich drückte die Hitze, doch lange nicht so schlimm wie in der Feuchtigkeit eines Dschungels. Gheed verwies auf seine tief gebräunte Haut und scherzte, dass man auch Maro für einen Sohn der Wüste halten würde, wenn sie erst die Nordmark erreicht hatten.
Maro spürte es schon, als sie die Grenze zur Steppe überschritten. Am beschwerlichsten würde dieser letzte Teil der Reise werden. Als der Wagen endlich nicht mehr über Sand, sondern über Grasland rollte, brachen Temperaturen an, wie der Dschungel sie nicht einmal im Winter hervorbringen konnte. „Herbst“, sagte Gheed, und den Winter des Westens wollte Maro schon nicht mehr kennenlernen.
Da das Gerücht ging, die Herrinnen des Passes zur Nordmark hin seien von einigen Galgenstricken aus ihrem Kloster an der Grenze vertrieben worden, wichen sie auf Waldwege und Trampfelpfade aus. Nicht nur ein Mal lauerten ihnen Wegelagerer auf, angelockt vom Rumpeln des Wagens. Maro hatte die Suche nach Auren aufgegeben, die mächtig genug waren, um sie und den Wagen zu schützen, wenn er sie belebte. So hatte er sich selbst eine Hülle konstruiert, der er Leben einhauchen konnte... Bei deren Anblick schlugen die meisten Briganden sich wieder in die Büsche. Die, die es nicht taten, düngten das Unterholz mit ihren zerdrückten Leichen.
Die Höfe, an denen sie vorüberkamen, waren zu Aschehaufen verbrannt, aus denen selten noch Holzbalken ragten. Manch andere Gehöfte waren zerrissen wie von einem Wirbelstum. Auch dort hausten zwischen den Trümmern nicht mehr die alten Besitzer. So hielt Gheed die Ochsen sofort an, als am Abend des fünften Tages in der grünen Mark Licht aus den Fenstern eines strohgedeckten Hauses drang. Welche Kräfte auch auf den anderen Höfen gewütet haben mochten, bis hierher waren sie nicht gelangt.
„Seht an, die Hölle hat sich noch nicht alles Leben in diesen Landen einverleibt“, sagte Gheed und deutete auf das Haus mit einem dürren Finger, der zu Beginn der Reise noch doppelt so dick gewesen war. Neben der Behausung drehten sich die Flügel einer Windmühle und das Mühlrad. „Auch das Lager, von dem uns dieser Wanderer erzählt hat, mag hier in der Nähe sein.“
„Der ideale Umschlagplatz für Eure Waren. Kommt Ihr Euch nicht wie ein Geier vor? Manchmal?“
Eine ungreifbare Macht fiel über das Land her, und die Menschen konnten jede Klinge brauchen, die sie in die Hände bekamen. Aber nicht zuletzt: Jemand in diesem Kriegerlager konnte etwas darüber wissen, welche Dämonenkräfte hier umgingen.
„Dagegen helfen ein paar Schlucke Wein, und einige Fässer aus den Wüstenstädten haben wir noch geladen.“
Maro zog die Gugel seines Regenmantels über. Die Tropfen trommelten auf den Stoff und hallten in seinen Ohren wider.
„Ihr wollt, dass ich mich nach diesem Lager erkundige.“
„Einer von uns sollte beim Wagen bleiben. Das Gesindel hier ist hartnäckig.“
„Zwei bleiben.“
Geschützt unter der Plane des Wagens kniete der Golem. Eine mannshohe Gestalt mit dem Körper eines Ringers, dessen Muskeln Maro selbst aus Erde geformt hatte. Mit dem Loch in seinem Gesicht, das der Mund war, machte er mahlende Bewegungen, und die Zweige, die hier und da aus seinem Körper ragten, zitterten im Wind.
„Nimm dies hier mit, wenn du deinen Gefährten schon bei mir lässt.“
Gheed reichte ihm aus dem Lager im Innern des Wagens eine Konstruktion aus einem Bogen und einem Holzblock. Armbrust hatten die Wachsöldner in den Wüstenstädten diese Waffe genannt.
„Der Pfeil landet in meinem eigenen Fuß, wenn ich diese Mechanik bediene, das sehe ich kommen.“
„Armbrüste werden mit Bolzen geladen, nicht mit Pfeilen... Nun, wie du willst.“ Der Händler legte die Waffe zurück in den Wagen. „Hat deine Kreatur einen Namen, bei dem ich sie rufen kann?“
„Es ist nur Erde.“
„Selten habe ich Erde gesehen, die erwachsene Männer packt und umherschleudert.“
„Dafür habt Ihr andere Dinge gesehen, die wiederum ich nicht verstehe. Bei einer Armbrust fängt es an. Wenn Ihr einen Namen für den Golem braucht, nennt ihn Oram.“
„Oram... Das ist Eurer, auf dem Papier rückwärts gelesen.“
Was sollte bloße Erde auch für einen Namen tragen, wenn nicht den des Beschwörers, dessen Macht sie beisammen hielt?
Er duckte sich und stürmte in den Regen vor. Wenigstens peitschte der nicht wie in Maros Heimat die Fäulnis aus dem sumpfigen Boden heraus und verbreitete Verwesungsgestank. Stattdessen verbreitete sich der Geruch des geschlagenen Korns der Felder in der ganzen Luft.
Am Haus des Bauern angekommen, pochte Maro an die Tür und wartete. Seine Hand ruhte auf der Dolchscheide am Gürtel. Niemand hatte gesagt, dass nicht bluttrinkende Dämonen hier Wohnstatt genommen hatten.
Ein Schatten trat ins Licht, das aus dem nahen Fenster im Erdgeschoss drang. „Hierher, Junge!“
Maro folgte dem Ruf und sah in das bärtige Gesicht eines Mannes, dem das Haar mehr grau als schwarz war. „Wir nehmen keine Flüchtlinge auf, und Knechte habe ich genug.“
„Flüchtlinge?“
„Von den anderen Höfen. Du kommst nicht daher?“
„Ich komme mit einem fahrenden Händler in die Mark.“
„Bestell deinem Herren, dass wir nichts kaufen. Wir haben gute Ernte eingefahren und genug Vorräte um den Winter zu überstehen – und das, was hier in den Ebenen umgeht, das überstehen wir auch.“
Hinter dem Mann klirrte Geschirr und Kinderstimmen nuschelten.
Eine ganze Familie in diesem verwünschten Landstrich.
„Euch wollen wir keine Waren aufdrängen. Wir suchen ein Lager von Kriegern, das hier vor einigen Tagen aufgeschlagen worden sein soll.“
„Krieger? Ha!“ Mit einem breiten Grinsen drehte der Mann sich um und winkte jemanden heran. „Arnim, der Junge hier sucht die Nonnen!“
Maro öffnete den Mund, um zu widersprechen, da trat an die Stelle des Alten schon ein junger Kerl mit wirrem Haar und einer Hühnerkeule in der Hand.
„Das Lager der Jägerinnen?“, fragte er und riss mit den Zähnen ein Stück des Huhns ab.
„Es soll hier in der Nähe sein, wie man mir sagte.“
„Ist es tatsächlich, ich bin daran vorbeigekommen. Nicht einmal einen Tag die Straße weiter runter. Aber, ich weiß nicht, was man dir gesagt hat. Krieger findest du da nicht.“
Dem nächsten Wanderer würde er nicht mehr so leichtgläubig begegnen...
„Wer schlägt dann ein Lager in dieser Gegend auf?“
„Nun ja, jemand hat die Schwesternschaft, der das Kloster an der Grenze zur Steppe gehört, von eben dort vertrieben.“
Nonnen? Was für ein Spiel hatte der Wanderer mit ihm gespielt?
„Und jetzt“, fuhr der Junge mit vollem Mund fort, „müssen die teuren Weiber in ihren Kutten im gleichen Dreck schlafen wie die wilden Tiere.“
„Dann bist du sicher, dass es nur dieses eine Lager gibt?“
„Ziemlich, zumindest in diesem Teil der Mark. Das Ding ist ein riesiges Palisadenungeheuer, daran läufst du nicht vorbei. Schon beeindruckend, dass die Damen es geschafft haben, sich eine Festung aus Baumstämmen zu bauen.“
Maro nickte. Er wendete sich schon ab, da zuckte in ihm eine Erinnerung hoch wie ein Blitzstrahl.
„Du weißt nicht zufällig, aus welchem Grund sie das Kloster verlassen haben?“
Der Junge lehnte sich mit den Ellenbogen auf das Fensterbrett und kaute weiter an seinem Hühnchen.
„Da hat jeder Hof seine eigenen Annahmen. Die Leute hier nehmen an, dass Steppenräuber das Kloster gestürmt haben. Um diese Jahreszeit reisen nicht genügend Kaufleute durch die Wüsten, also schlechte Beute für die Räuber. Vielleicht haben sie sich also ein anderes Ziel gesucht.“
Räuber... Etwas in Maro sträubte sich bei dem Gedanken. Vielleicht nur die Hoffnung. Die Hoffnung, dass es etwas Größeres als Räuber gewesen sein konnten.
„Was nimmst du8/i] an?“, fragte er.
„Tja, ich bin vor einigen Nächten mit zwei Tagelöhnern umhergezogen, und spät abends rüttelte mich der eine wach... Der Himmel hat gebrannt, weißt du. Als hätte jemand den Wald angezündet und das Feuer hätte sich nach oben gefressen. Ich hab mich umgedreht und weitergeschlafen. Aber wenn ich so daran denke – schon seltsam. Das ist in der Nacht gewesen, als die Schwestern aus dem Kloster raus mussten.“
Die Augen des Jungen starrten in eine unbestimmte Ferne, da erklang die Stimme des Bauern hinter ihm. „Dein Kohl wird kalt, und in Kupfer bekommst du den Teil deines Lohns jedenfalls nicht!“
Mit einem Schulterzucken wandte sich der Knecht ab. „Das wärs. Viel Glück auf deiner Reise.“
Auch Maro drehte sich um und kämpfte sich durch den Regenguss zu Gheeds Wagen zurück. Ein brennender Himmel? Wie passten die Geflügelten dazu, die Varn nicht wahrhaben wollte?

Die Armbrust auf dem Schoß, erwartete Gheed ihn auf dem Kutschbock.
„Haben sich ein paar Halunken gezeigt?“, fragte Maro.
„Du bist der Einzige bisher.“ Der Händler half ihm hoch und trieb die Ochsen wieder an. Die Hufe gruben sich in den aufgeschwemmten Boden der Straße. „Das ist doch der richtige Weg?“
„Wenn der Junge nicht gelogen hat. Einen halben Tag brauchen wir noch.“
„Hätte er einen Grund gehabt, uns zu belügen?“
„Sicher nicht. Aber er sagte etwas davon, dass wir in dem Lager keine Krieger finden würden... sondern nur die Nonnen des nahen Klosters.“
„Oho, nur weil die Schwestern des verborgenen Auges sich aus ihrem Kloster haben vertreiben lassen, heißt das nicht, dass sie wehrlos sind.“
„Ihr kennt sie?“
Gheed schüttelte den Kopf und legte die Armbrust wieder zurück in den Laderaum.
„Gehört habe ich von ihnen. Sie brennen sich eine Narbe auf die Stirn, das ‚verborgene Auge’, und auf hundert Fuß schießen sie einem Bären in die Pupille.“
„Also sind sie... keine Nonnen?“
„Waldläufer und Scharfschützen." Gheed lachte. "Aber du warst nahe dran. Ich hoffe, dass wir ins Lager kommen, ohne ein oder zwei Augen einzubüßen.“
„Das Risiko müsst Ihr wohl eingehen.“
Im Innern des Wagens lag mehr Reichtum, als jeder Mann und jede Frau seines Heimatdorfs je zu besitzen träumen würde. Säcke voller Gewürze verströmten betäubenden Duft, in Fässern schwappte Wüstenwein, das alkoholhaltige Getränk der Stadtwachen Lut Gholeins, Klingen und Panzer aus allen Teilen der Welt klirrten aneinander. Das alles würde sich in wenigen Tagen in Gold verwandelt haben, wie es bisher in jeder ihrer Stationen mit den geladenen Waren geschehen war.
„Was mich darauf bringt“, begann Gheed, „du hast noch kein Wort darüber verloren, weswegen du den Weg übers Meer und durch die Wüsten auf dich genommen hast.“
„Genügen Euch als Bezahlung für die Reise nicht mehr meine Dienste als Leibwächter?“
Nicht einmal Zered, Alan, die jungen Nekromanten, hatten verstanden, was ihn trieb. Ein Händler, den es im Leben nur nach dem Vermehren seines Goldes gelüstete, würde es noch weniger nachvollziehen können.
Er legte sich das Kompendium auf die Knie, das die einzige Erinnerung trug, die einen Wert besaß.
„Nur das Interesse eines alten Mannes, der gern Geschichten vom Leben hört“, sagte Gheed und blickte wieder geradeaus auf die Straße.
In den nächsten Stunden ließ der Regen nach, und Gheed hängte seinen Mantel zum Trocknen über eine der Ecken des Wagens, Maro nahm die andere. Dann kletterte er in den Wagen hinein und setzte sich dem Golem gegenüber. Mit den Fingern schlug er ein Kreuz vor dem Gesicht aus Erde. „Kehre zurück“, sagte er. Zugleich zog er seine Lebenskraft aus dem Lehmkörper langsam zurück. Der Riese erhob sich und stapfte zur hinteren Öffnung des Wagens, stieg hinaus.
„Was treibst du da hinten?“, fragte Gheed. „Du schickst Oram fort?“
Der Golem platschte in den Straßenmatsch und stapfte von der Straße in den nahen Wald. In einer Stunde würde alle Kraft wieder bei ihm sein, die er in seine Schöpfung gesteckt hatte. Maro kletterte zurück zu dem Händler.
„Erinnert Euch, wie Ihr den Mund nicht mehr zubekamt, als Ihr ihn zum ersten Mal sehen musstet. Wir wollen doch einen guten Eindruck bei den Schwestern machen.“
„Den machen wir sicherlich nicht, wenn du dieses Ding nicht von deiner Schulter nimmst.“
Maro sah erst Gheed an, dann den Schädel seines Vaters, der seine Rüstung am Oberarm zierte. Er biss die Zähne aufeinander.
„Hütet Euch, Händler“, zischte er.
„Gut, gut...“ Der Mann hob die Hände und neigte den Kopf.
Nein. Die letzte Order hatte er ausgeschlagen, aber dieses Andenken würde ihn begleiten. Er mochte seine Heimat verlassen haben, um ein Ziel zu verfolgen, das keiner der Totenbeschwörer begreifen würde. Aber doch war er einer von ihnen. Ein Nekromant.

Am Abend brachen die Wolken auf und gaben einen Himmel frei, an dem schon der Mond stand. Sonne hatten sie an diesem Tag nicht gesehen.
Vor dem Wagen tat sich eine Weggabelung auf, von der der Knecht kein Wort verloren hatte. Erst, als Gheed einen Münzwurf vorschlug, flackerte ein schwaches Licht hinter den Baumreihen. Die Ochsen führten sie vom Weg hinunter und um die Bäume herum.
Palisaden, wie es der junge Mann gesagt hatte. Fünf Schritt hoch ragten die angespitzten Stämme, stachen Stücke aus dem Halbrund des Mondes. Fackellicht erhellte die Ecken des Lagers und spiegelte sich wider auf dem Wasser des Flusses, der vor dem Tor dahinrauschte. Über das Wasser spannte sich eine Brücke aus geteilten, zusammengebundenen Stämmen.
„Sicher sieht das nicht aus“, murmelte Gheed.
„Für Euch ist es das auch nicht“, schallte ein Ruf von den Zinnen. Maro kniff die Augen zusammen und blickte nach oben. Aber wenn dort jemand stand, dann verschmolz er mit dem Nachthimmel. „Was ist Euer Begehr? Vier Pfeilspitzen sind auf Euch gerichtet, und vier Sekunden habt Ihr, Euch zu erklären. Zeigt Eure Hände.“
Maro tat als Erster von ihnen, wie befohlen.
Als bräuchte er seine Hände, um die Kräfte zu rufen, die Leben wie Tod bringen konnten.
Auch Gheed hob die Hände mit gespreizten Fingern nach oben.
„Haltet Eure Pfeile nur gut fest. Wir sind keine Dämonen, oder seht Ihr Flügel und Hörner an uns?“
„Die Dämonen dieser Ebenen sind nicht an diese Gestalt gebunden. Also rasch, was sucht Ihr hier?“
„Hartnäckig...“, murmelte Gheed, und sein Blick huschte zu Maro. „Wir sind gekommen, Euch im Kampf gegen welche Dämonen auch immer zu unterstützen!“
„Wie wollt Ihr das anstellen? Dünn wie ein Gerippe seid Ihr. Würden wir Euch ein Schwert in die Hand drücken, würdet Ihr es überhaupt heben können?“
„Ich bringe meine eigenen Schwerter mit, und ich biete sie Euch an – für einige Stücke Gold.“
„Ein Händler? Was habt Ihr noch geladen?“
Zu den Stimmen gesellte sich eine dritte hinzu. Der Wind verschluckte ihre Worte, doch kurz darauf öffnete sich das Tor. Eine Reihe aus Stämmen wurde nach unten gelassen und öffnete den Weg ins Lager. In der Mitte des Areals loderte ein Feuer, und beim bloßen Anblick durchlief Maro ein wohliger Schauer. Feuer, das ihn in den Nachtstunden wärmte, hatte er seit Tagen missen müssen.
„Scheint, als wären wir drin“, sagte Gheed.
Maro ließ die Hände sinken. Auf die Gefahr hin, dass ihm vier Pfeilspitzen die Stirn spalten würden.
„Treibt Eure Tiere an“, befahl die dritte Stimme, „wir wollen Euch im Lager haben, bevor jemand anders das offene Tor nutzt.“
Der Wagen rumpelte über die Brücke und passierte den Eingang. Dahinter lehnte Kriegerin mit zurückgebundenen Haaren an einem Wachturm. Die Nase hing ihr so schief im Gesicht, als hätte ein Hammerstoß sie verschoben.
„Jemand?“, fragte Gheed.
Die Kriegerin machte eine wegwerfende Handbewegung.
„Wilde Tiere, Landstreicher mit zuviel Selbstvertrauen und Dolchen im Gürtel... Ihr solltet Ihnen längst begegnet sein auf dem Weg in diesen Teil des Landes.“
„Zweifellos, ja. Deshalb, so dachte ich mir, wäre hier sicher Bedarf an meinem Angebot.“
Hinter dem Wagen knarzten die Stämme, als sie wieder vor das Tor gewuchtet wurden. Damit wäre auch der Rückweg verschlossen, wenn diese Kriegerinnen sich dafür entschieden, für Gheeds Waren nicht zu zahlen. Maro verschränkte die Arme vor der Brust. Die Blicke der Frau neben ihm kreuzten seine einen halben Herzschlag lang.
Das Feuer warf sein Licht auf eine Anzahl von Zelten, die sich ohne Ordnung darum sammelten. Die Zeltwände flatterten unter den Böen, die durch das Lager fuhren.
Was auch immer der junge Knecht angenommen hatte, in dieser Bastion trug jedes Mädchen und jede Frau einen Bogen über den Rücken gespannt.
Die mit der gebrochenen Nase leitete Gheeds Wagen um die Zelte herum und zu einem freien Hang an der nördlichen Palisade. Die Räder rumpelten über Steine, und Äste zerbrachen unter ihnen. Aus den Zelten strömten die Kriegerinnen zu dem Wagen. Auf ihrer Stirn trugen nur die wenigsten ein Zeichen, und vor allem nicht eingebrannt, wie Gheed erzählt hatte, sondern mit dunkler Farbe aufgetragen.
Als der Wagen hielt, hatten sich bereits Dutzende darum geschart, und Gheed eilte sofort vor die Menge.
„Geduld, Geduld! Und selbst wenn jede ein Krummschwert aus neredischem Stahl will, so werden die Klingen doch reichen.“
Maro sprang vom Kutschbock hinunter und schob sich durch das Gewimmel von Körpern. Erst in einigen Schritten Distanz hielt er an. Ein Andrang wie bei den Trödlern, wenn sie bewegliche Holztiere anboten und die Kinder sie umringten.
„Ihr seid nicht sein Sohn, nicht wahr?“, fragte jemand neben ihm. Eine Kutte, dunkel wie die Nacht, verdeckte ein Gesicht voller Falten und Flecken des Alters.
„Nein. So schlimm haben es die Götter mit mir nicht gemeint.“
„Und doch seid Ihr mit ihm in dieses verfluchte Land gereist?“
„Es ist nicht verfluchter als das meine.“
„Dann habt Ihr nicht von dem Verderben gehört, das hier sein Spiel treibt.“
„Woher wollt Ihr wissen, dass es in meinem Land nicht ähnlich ist?“
Die alte Frau schlurfte um ihn herum, und ihre Schritte schlurften auf dem Gras. Er drehte sich zu ihr um. Sie nahm die Kapuze ab, und graues Haar fiel bis zu den Schultern herab – auf ihrer Stirn zeigte sich das Symbol des Auges, eingeprägt mit Feuer. Die Alte legte eine Hand auf den Schädel, den er an der Schulter trug.
„Ich kenne Euer Land sehr gut, Nekromant.“ Ein Kribbeln lief ihm den Arm hinab. Dass selbst in dieser Ferne jemand von seiner Kaste wusste. „Lasst mich Euch in mein Zelt einladen. Ihr habt nicht den günstigsten Zeitpunkt für Eure Reise gewählt.“
Die Kriegerin, die befohlen hatte, das Tor zu öffnen, hielt sich ebenfalls abseits der Gruppe um Gheeds Wagen. Ihr Blick lastete auf ihm.
„Gut, gehen wir.“
Sie passierten das Lagerfeuer, auf das Mädchen Scheite schichteten. Die Alte führte Maro zu einem Zelt, das über die anderen ragte, und schlug den Eingang beiseite.
„Ohnehin könnte der Regen jederzeit wieder einsetzen. Ein feuchtes Land habt Ihr“, murmelte er und trat ein. Felldecken verbargen das Gras unter ihren Füßen, und eine angenehme Wärme strahlte von der Mitte des Zeltes aus.
Die Alte setzte sich auf eine Holzkiste vor einem Regal mit Töpfen und Gläsern, in denen Pflanzen und Tiere in Flüssigkeit schwammen.
„Nicht feuchter als Eures“, sagte sie.
„Ihr wart schon einmal dort?“
Maro sah sich um und zog sich schließlich einen Hocker heran.
„Gelesen habe ich davon.“
„Auch von den Nekromanten?“
„Sicher“, sagte sie und kicherte. „Genug, um zu wissen, dass dies hier kein Ort für einen der Euren ist. Nicht jetzt.“
„Ihr habt selbst gesagt, dass es ein... Verderben gibt, und die Leute ringsum erzählen sich Geschichten von Briganden in großer Zahl.“
„Tun sie das?“, fragte die Alte und hob eine Braue. Die Runzeln wanderten in ihrem Gesicht umher. „Sie machen sich ihre eigenen Geschichten, die sie glauben können. Das haben sie schon immer getan.“
„Vielleicht. Aber nicht alle. Einer erzählte mir davon, dass der Himmel brannte, vor wenigen Nächten.“
Die alte Frau sank ein Stück nach vorne und nickte.
„Natürlich hat der Himmel nicht gebrannt. Aber er ist ein Spiegel für die Flammen geworden, die auf der Erde gewütet haben...“
„Auch sollen geflügelte Wesen gesehen worden sein. Was ist, hängt das zusammen?“
Diesmal schüttelte die Alte ihren Kopf und lächelte traurig.
„Geflügelte haben uns nicht aus unserem Kloster vertrieben.“
Sondern? Maros Herz pochte gegen seine Brust, seine Stimme sank zu einem Flüstern herab. „Wer dann? Keine Räuber?“
Die Alte lehnte sich weit zurück, als drücke eine unsichtbare Macht sie nach hinten.
„Es heißt, ihr Nekromanten könntet in den Auren lesen, Leben und Tod erkennen, und auch – Spuren Eurer eigenen Magie.“ Plötzlich flatterte die Zeltwand hinter ihr und Schritte platschten auf der feuchten Erde davon. „Nicht einmal vor meinem Zelt haben sie Respekt. Wer auch immer gelauscht hat, in wenigen Minuten wird das gesamte Lager wissen, was Ihr seid.“
„Ich kann mir schlimmeres Leid vorstellen. Aber Ihr habt Recht, wir können in die Welt der Geister hineinblicken, wenn wir die Augen schließen.“
„Dann habt Ihr nichts gesehen, als Ihr am Kloster vorübergekommen seid?“
Wahrlich, es genügte nicht, Bücher über die Magie zu lesen.
„Das zweite Gesicht ist eine Gabe, die unseren Verstand strapaziert. Normalerweise rufe ich es nicht herbei, um damit die Schönheit einer Landschaft zu betrachten. Bitte sagt mir, was Ihr wisst.“
„Nun, die Kräfte, die jetzt in unserem Kloster herrschen, sind die der Nekromantie. Die Flammen am Himmel stammten von einem Brand in unseren Höfen. Doch die Eroberer, sie trugen kein Fleisch mehr auf den Knochen. Versteht Ihr, wieso es ein schlechter Zeitpunkt ist, uns zu besuchen?“
Maros Gedanken überschlugen sich. Er runzelte die Stirn. Skelettkrieger? Ohne einen Herren konnten diese hirnlosen Diener keinen Schritt tun. Aber seit Jahren hatte kein Nekromant mehr die Dschungel verlassen. Einzig Kräfte, die jenseits von Tod, Leben und der Erde selbst standen, konnten hier ihr Zeichen hinterlassen haben.
„Nein“, sagte er langsam, „ich verstehe nicht. Ihr steht einer Macht gegenüber, die Ihr nicht begreift. Könnt Ihr nicht jede Hilfe gebrauchen, die sich anbietet?“
Das erste Mal senkte sich etwas in die Züge der Alten, das er als Abscheu verstand. Die ganze Zeit hatte es unter der Oberfläche gelegen.
„Die Hilfe eines Nekromanten? Im Lager hier werdet Ihr kein Vertrauen finden. Selbst in diesem Moment hält sich jemand auf unserem alten Friedhof auf und entweiht die Toten, indem er sie aus der Erde ruft. Niemand kann sagen, ob es einer ist, der sich, wie Ihr, mit Schädeln schmückt, oder, ob er etwas... noch Dunkleres ist.“
Und niemand konnte sagen, ob es nicht Maro war. Aber er war nicht gekommen, um Freundschaften zu schließen.
„Was also wollt Ihr von mir?“
„Der Händler wird nicht ewig im Lager bleiben. Steigt zurück in seinen Wagen und verlasst dieses Land auf dem schnellsten Wege.“
„Es mag Euer Lager sein, aber es ist nicht Euer Land.“
„Doch sind wir noch immer die Wächter der Grenze. Und auch zu Eurem eigenen Besten solltet Ihr meinem Rat folgen.“
Maro stand so abrupt auf, dass der Schemel umstürzte.
„Was mein eigenes Bestes ist, kann ich sehr wohl selbst entscheiden. Wenn Ihr mich aufhalten wollt, schafft etwas anderes her als Worte.“
Auch die Alte erhob sich, und ihre Augen glühten mit einem Mal wie brennender Bernstein. Ein Schwall aus Wärme ergoss sich in den Zeltraum, als fegte ein Wüstenwind herein.
„Ihr fordert einen Ausgang, der nicht in Eurem Sinne ist, Nekromant.“
„Dann bin ich bereit, ihn hinzunehmen.“
Eine Sekunde lang noch stierten die Bernsteinaugen in seine, dann zog die alte Frau sich die Kapuze wieder über den Kopf, und Schatten fielen über ihre Lider.
Maro wandte sich ab und schlug die Plane am Zelteingang beiseite.
„Ihr habt mir nicht einmal Euren Namen genannt, junger Zauberer.“
„Es genügt Euch doch, zu wissen, dass ich ein Nekromant bin. Oder habe ich etwas missverstanden?“
Er trat zurück in den Duft des Regens und in die Kälte der Nacht.
Es wäre auch zu leicht gewesen, wenn er Verbündete statt Feinden gewonnen hätte.
Die Kriegerinnen um das Feuer richteten ihre Blicke auf ihn. Zwei spuckten vor ihm aus, als er an ihnen vorüberging. Erst unter denen, die abseits des Geschehens standen, Brennholz mit Planen bedeckten und Gheeds Wagen umliefen, fand er eine, die ihm den Weg zum Friedhof beschrieb. Er nickte und bedankte sich. Bis zum Morgen würde die Nachricht die Runde gemacht haben und niemand würde ihm mehr irgendeinen Weg beschreiben.
Die letzten Kriegerinnen entfernten sich von Gheeds Wagen, und Maro kletterte von hinten in den Laderaum. Auf dem Boden saß der Händler, der Münzen von Haufen zu Haufen schob.
„Silber zu Silber und Gold zu Gold.“
„Dass Ihr Euch wie ein Geier vorkommen müsst, habe ich Euch schon einmal gesagt, oder?“
„Diese Vögel haben einen viel zu schlechten Ruf.“ Gheed teilte mit der Handkante den Haufen aus goldenen Münzen und schob eine Hälfte zu Maro hinüber. „Ich übrigens auch. Das hier soll deine Bezahlung sein, du hast lange genug warten müssen.“
Maro schöpfte eine handvoll der Münzen und ließ sie wieder zurück auf den Haufen rauschen. „Damit ich etwas habe, dass ich bei Euch ausgeben kann?“
„Du kannst versuchen, dein Gold den Schwestern anzubieten. Aber besonders beliebt scheinst du nicht zu sein...“
„Also habe ich keine Wahl, seht Ihr.“
„Das ist noch nicht alles gewesen.“ Mit einer Hand langte Gheed nach einer der Kisten voller Waffen und zog sie heran. „Ich weiß zwar nicht, an welchen Ort du gehen willst oder was du suchst, aber das Messer da an deiner Seite schneidet nur totes Fleisch. Du wirst etwas brauchen, dessen Klinge länger ist als die Finger deiner Hand. Such dir etwas aus.“
Ein Geschenk des geizigen Händlers? Maro rutschte an die Kiste heran, in der sich Schwerter Schneide an Schneide stapelten.
„Es gibt keinen Haken?“
„Traust du mir so wenig?“
Ja, tatsächlich, und noch weit weniger, dachte er.
„Ihr habt vorhin neredischen Stahl erwähnt. Kann ich eine solche Waffe haben?“
„Das willst du nicht, Junge.“ Gheed tastete sich über die Klingengriffe in der Kiste und zog schließlich ein Schwert heraus, das nur eine Schneide besaß und dafür gut einen Fuß länger als ein gewöhnliches Langschwert war.
„Die Waffe sieht gut aus.“
„Interessantes Kriterium. Bei Frauen mag das Aussehen deine Wahl rechtmäßig beeinflussen, aber hier... Sieh, es geht das Gerücht, dass neredischer Stahl besonders robust ist. Sonst könnten die Schmiede nicht eine solch lange Klinge riskieren.“
Maro nickte. „Klingt vernünftig.“
„Die Realität ist die: Die Neredier benutzen den gleichen Stahl wie alle anderen Schmiede. Ihre Klingen brechen im Kampf. Weil sie zu lang sind.“
„Und niemand hat das bisher entdeckt?“
„Oh, mit Sicherheit. Aber diese Entdeckung ist keine billige. In den meisten Fällen wird sie die Entdecker den Sieg im Kampf und das Leben gekostet haben.“
Maros Miene verdüsterte sich. „Ihr verkauft den Schwestern Klingen, die ihnen irgendwann zwischen den Händen zerbrechen werden?“
Der Händler gab einen düsteren Blick zurück und machte sich daran, die Münzhaufen in Säckchen einzusortieren. „Hör her, Maro. Wir sind einen Monat lang miteinander gereist, und das ist länger, als es bisher jemand anders in meiner Gesellschaft ausgehalten hat. Du hältst mich für einen Betrüger und Ausbeuter, und du hast damit vielleicht recht. Aber weißt du, was Armut ist?“
Maro schwieg. Armut? Dazu hätte er wissen müssen, was Besitz war. Doch ein Dach und genug zu Essen hatte er immer gehabt.
„Ich will es dir sagen, Maro. Du isst das, was die Leute in Seidengewändern in die Gassen geworfen und auf das die Hunde gepisst haben. Du trinkst Wasser aus fremden Kübeln, alle zwei Tage erwischen sie dich und geben dir mit der Rute zu fressen.“ Gheed krempelte seinen Ärmel bis zur Schulter hoch, und unter dem Gewand kamen Narben zum Vorschein, die von Tigerpranken hätten sein können. „Wenn der Monsun kommt, schläfst du in hochgeschwemmten Abwässern, und zur Zeit der Herbststürme schläfst du überhaupt nicht, weil der Sand, der von den Dünen herangetrieben wird, dir die Haut wie mit Sandpapier abreibt.“ Das erste Mal glühten die Augen des Händlers. So, wie sie nicht einmal glühten, wenn Münzen in seinen Fingern klirrten. „Deine Schwester trinkt Salzwasser aus dem Hafen und wacht nicht mehr auf, dein Bruder will Medizin von den Ärzten für dich stehlen, und Tage später ist es sein Skelett, an dem die Lehrlinge den Aufbau des Menschen studieren. Und du, du lernst zu töten und zu stehlen und zu betrügen, und eines Tages hast du genug beisammen, dass du dich auf den Basar neben die Leute in den Seidengewändern hocken und mit ihnen um viele, viele Goldstücke feilschen kannst. Meine Kinder werden diese Wirklichkeit nicht kennenlernen. Wenn ich genug Säcke voll Gold habe, dass ich nie wieder auf Handelsreise muss, dann nehme ich mir eine Haremsdame, und es wird ein Märchen sein. Ein Märchen, Maro.“ Die Waffen klirrten aufeinander. Gheed grub tief in der Kiste, und seine Hände trugen blutige Kratzer, als er einen Krummsäbel über den Kopf hob. „Das hier ist eine gute Klinge. Sie ist ideal für dich, versuch sie. Weniger Reichweite als ein Langschwert, und du wirst damit eher hauen als stechen. Aber wenn du die Schneide am Körper deines Gegners hast, ist es nur ein Ruck zur Seite und du hast ihm die Bauchdecke geöffnet.“
Maro nahm die Waffe entgegen. Ein Zittern durchlief ihn, die Bilder aus Gheeds Geschichte hallten in ihm wider. Er musste die zweite Hand dazunehmen, um die krumme Klinge halten zu können.
„Ja“, sagte er. "Verstehe."
„Ein großes Falchion, von meiner Zeit als Söldner. Irgendwann hast du genug Kraft in den Armen, um das Schwert einhändig zu führen. Jetzt mach, dass du aus meinem Wagen kommst, unser Vertrag ist heute abgelaufen.“
Gheed reichte ihm eine lederne Scheide zu der Waffe und verschränkte dann die Arme.
Mit dem Schwert und einem Beutel voller Gold im Arm rutschte Maro hinten aus dem Wagen hinaus.
„Danke“, sagte Maro. In Gheeds Blick las er nichts mehr. Vielleicht sah er in die Vergangenheit, oder in die Zukunft.
Er schnallte sich die Scheide am Lederriemen über die Schulter und zurrte ihn fest.
Noch vor dem Morgen würde er zum Friedhof aufbrechen.
Ein Schritt weiter, weiter auf Evra zu.
Feiner Regen kitzelte ihn im Gesicht. Er krempelte sich die Ärmel bis zum Ellbogen hoch und suchte sich eine Stelle mit gut durchweichter Erde in der Nähe der Palisade. Dann gab er einen Teil seiner Lebenskraft ab und grub seine Hände in die Erde, die unter seinem Griff schmatzte. Er formte einen Fuß, ein Bein, eine Hand, einen Arm – einen Körper.





Ein sehr frühes Kapitel. ;)
21 Seiten, das ist jetzt schon sehr, sehr nah am Fantasy-Standard. Ich bin zufrieden.
Ansonsten ist das Kapitel für mich aber eher ein Übergang gewesen. Übergang zu solchen Kapiteln, die mir mehr Spaß machen werden. ;)
Wie war das Lesen? Meiner Meinung nach hängt dieses Kapitel hinter dem letzten zurück. Aber das kann auch deswegen sein, weil es nicht soviel Krach-Bumm gibt und ich mich ohne Krach-Bumm nicht ausgelastet fühle.
Für Rechtschreibfehler entschuldige ich mich schon einmal, auch im Voraus für weitere Kapitel. Als Autor entkommen beim Durchlesen ziemlich viele Sachen, für die man sich danach an den Kopf fasst. Siehe "in zurück ins Kerzenlicht". :D
Aber vielleicht könnt Ihr mir sagen, wie meine Dialoge sind?
Als ich vor ein paar Jahren angefangen habe, zu schreiben, da waren die meine große Schwachstelle. Hat sich alles hölzern angehört, als würden Puppen miteinander reden...
 
Zuletzt bearbeitet:
echt schönes kap:)

vor allem die "gute seite gheeds" :D

du umschreibst manche sache echt schön;)
 
Also ich find das Kapitel gut und auch die Länge passend.

Ich denke eine Story braucht auch Handlung und "Tiefe" und kann nicht nur aus "Krach-Bumm" bestehen weil das sich sonst irgendwann wiederholt und langweilig wird - sprich Kapitel wie dieses müssen einfach sein und die andere Seite von Gheed ist ja auch mal interessant.
 
Das Kapitel ist nicht ganz so mitreißend wie die davor, dass konnte man aber auch nicht erwarten. Action ist immer spannender als Dialoge, aber so ruhigere Kapitel find ich genauso wichtig.

Die Dialoge find ich gut, klingen überhaupt nicht hölzern.
 
Bin ja froh, dass das letzte Kapitel so gut aufgenommen wurde.
Cleglaw, kannst du sagen, was genau ich da deiner Meinung nach schön umschrieben habe? Ich frage nicht, weil ich mir noch doller auf die Schulter klopfen will. :D Ich würde nur gerne wissen, was ich schon kann, damit ich mich besser einschätzen kann.
Jyroshi, du hast Recht... Gerade im Fantasy-Bereich sind wahrscheinlich auch langsamere Kapitel erlaubt. Ich lese gerade Hardebuschs "Trolle", und der lässt es ja auch gemächlich zugehen. Aber ich tendiere für mich selbst immer eher in die Thriller-Richtung, wenn es an Spannung geht.
Auch schön, dass die Dialoge nicht mehr nur aus Holz bestehen, Esme. ;)
Hier nun das nächste Kapitel, bis jetzt das Kürzeste. Das, was dann danach kommt, wird wieder eine ganze Woche in Anspruch nehmen, denke ich.

V Reise mit dem Dämon

Vega ziepte ihr an den Haaren und fädelte eine neue Holzperle auf.
„Geht es nicht auch ohne diese Dinger im Haar?“, fragte Jilis.
„Alle schmücken sich, um unserer Herrin die Gunst zu erweisen. Was sollen die anderen denken? Tyreé - was soll die denken?“
Jilis sah sich im Zelt nach einem Ausweg um. Die von den vielen Kerzen stickige Luft quälte sich durch ihre Atemwege.
„Tyreé denkt nur darüber nach, wie sie mir mindestens die Nase, bestenfalls den Kiefer brechen kann.“
„Heute Abend sollte sie das nicht. Beim Weihefeuer sind die Schwestern Eins vor der Herrin des verborgenen Auges.“
Perlen klapperten neben ihrem Ohr, und Vega knotete zwei Strähnen zusammen. Was das an Zeit rauben würde, die Haare wieder zu lösen.
„Eins werden, das funktioniert am Besten mit bunten Perlen im Haar?“
„Versuch, nicht soviel darüber nachzudenken. Es ist eine besondere Nacht, und die erfordert besonderen Schmuck.“
„Den habe ich längst.“ Sie drehte den Kopf zur Seite, um den Schnitt an ihrem Hals ins Blickfeld zu bekommen. Die Wunde war zu Narbengewebe erstarrt und zog sich jetzt als weißer Streifen von der Schulter bis fast zu ihrer Wange hinauf. „Ist das nicht seltsam, dass ich das Zeichen der Herrin verliehen bekomme für die Anzahl der Feinde, die ich niedergestreckt habe – und dann muss ich mir die Haare bunt machen, um den Lohn entgegenzunehmen?“
Vega griff in das Holzkästchen und hielt Jilis eine Hand voll Perlen unter die Nase.
„Schau, du darfst wählen. Welche Farbe?“
„Verstehe, die Gefangene kann sich die Art ihrer Folter selbst aussuchen.“
Vega lachte, dass die Perlen Jilis über den Schoß regneten. Sie lachte mit. Aber in ihren Gedanken fehlte das Lachen von Falke. Sie schloss die Hand um die Schachfigur in ihrer Tasche.
„Vega“, sagte sie, „ich will hier raus. Meine Hände haben Schwielen von den Stämmen, die ich bearbeitet habe. Jetzt sitze ich in dieser Festung gefangen, die ich selbst mitgeholfen habe zu bauen. Das dient dem Verborgenen Auge nicht, hier herumzulungern.“
„Aber jeden Tag schickt Kaschya neue Späherinnen los. Ich bin sicher, dass sie dich aus dem Lager lässt, sobald sie mehr weiß.“
„Mehr weiß?“ Jilis schlug auf die Kiste neben sich, und das Kästchen mit den Perlen sprang hoch. „Sie weiß, dass Untote in unseren Hallen hausen und, dass jemand die Gräber auf dem Friedhof entweiht – und vielleicht noch mehr, das noch nicht bis zu uns gedrungen ist. Was will sie noch wissen?“
Wieder ziepten ihr Vegas Finger an den Haaren, und neue Perlen rutschten auf ihre Strähnen. Bald würde ihr Kopf vor Holzschmuck so schwer sein, dass sie sich im Stehen den Nacken verspannte.
„Bis über das Moor hinaus ist doch noch keine Späherin gekommen. Wir wissen nicht, was dahinter–“
„Also senden wir jeden Morgen eine weitere aus, damit die Schwesternschaft langsam zerrinnt?“
Vega legte ihr die Hände auf die Schultern und rüttelte an ihr.
„Du hast sicher einen besseren Vorschlag, dann trag ihn Akara vor. Du siehst sie doch gleich, wenn sie dir das Auge auf die Stirn zeichnet.“
„Ja, ich habe einen besseren Vorschlag. Genug mit dem Spähen, und ich schnalle mir morgen den Bogen über und vertreibe von unserem Friedhof, was bei den Höllen auch immer sich dort niedergelassen hat.“
Sie stand auf und stellte sich Vega gegenüber. Die Perlen der letzten, noch nicht verknoteten Strähne regneten auf den Boden hinunter.
„Das wirst du nicht“, sagte Vega und folgte mit dem Blick den Perlen, die über die Felle am Boden kullerten.
„Doch. Und ich werde aus dem Ding herauspressen, das dort haust, was mit unserem Kloster geschehen ist.“
Vega drückte die Fingerspitzen gegeneinander.
„Eine andere Schwester könnte das tun.“
Mit einem Seufzen legte Jilis ihr eine Hand auf die Schulter.
„Ich weiß, wie ungern du den Bogen in die Hand nimmst, und wie ungern du es siehst, wenn ich es tue.“
Vega schluckte und legte die letzten Holzperlen zurück in das Kästchen.
„Trotzdem wirst du gehen?“
„Einer muss. Außer mir wird es keiner tun.“ Ein Gewicht legte sich ihr auf das Herz und drückte es zusammen. „Wir haben zu lange nicht gejagt. Viele werden es verlernt haben, aber ich kann es noch.“
„Wenn du das glaubst.“
Vega sah sie nicht an.
„Ich muss jetzt hinaus. Danke. Für die Perlen.“
Sie hielt kurz an einem der metallenen Spiegel am Zeltausgang an. Die Holzperlen glitzerten wie in Farbe getauchte Sterne. Nur Vega wusste, wieviele Anteile der Beerensäfte es brauchte, um sie so strahlen zu lassen.
Dann strich sie die Zeltwand beiseite und trat zu den anderen.
Das Feuer brannte hoch wie zwei Männer, und rund herum stapelten sich Hölzer zum Nachlegen. Um die Flammen herum bildeten die, die sich am Unglückstag bewährt hatten, einen Kreis. Nicht einmal zehn Gesichter, und nur Tyrees erkannte sie in der Dunkelheit.
Als sie hinzukam, wichen zwei Schwestern zur Seite und machten ihr Platz. Eine Bewegung ging durch den ganzen Kreis, bis alle wieder den gleichen Abstand zueinander hatten.
Akaras Gestalt war vor der Helligkeit des Feuers ein schwarzer, wabernder Fleck. Die Flammen knisterten und schickten Funken über sie hinweg.
Jilis' Inneres erzitterte. Mit Falke hätte sie hier stehen sollen. Keines von den untoten Monstren hätte sie erwischt, wenn sie nicht auf der Wachstube geblieben wäre. Sie hätten gemeinsam den Weg hinunter in die Bibliothek gemacht, hätten Marika retten können, vielleicht sogar Kerill. Falke und Jilis, die Raubvögel. Sie hätten gemeinsam vor diesem Feuer gestanden und die erste Segnung empfangen.
Um sie herum erscholl der Gesang, aus dem größeren Kreis, der den kleinen der Gesegneten umgab. Stimmen, klar wie ein Morgen auf den endlosen Steppen, die keinen Nebel kannten. Unzählige Male erprobt in den Chorgesängen der Kathedrale.
Jilis schlug den Blick nieder, bis das Lied verklungen war.
Akaras Schatten löste sich vom Feuer und ging die Reihen ab, in der Hand das Töpfchen, in dem die Farbe sich befinden musste. Sie tauchte zwei Finger in das Gefäß und zeichnete auf die Stirnen der Schwestern Lider, Iris und Pupille mit schwarzer Farbe. Ihr Mund sprach die Segensformel, im ewig gleichen Rhythmus.
Die Finger drückten sich auf Jilis Stirn, und in Gedanken verfolgte sie die Bewegungen. Das verborgene Auge. Wasser konnte die Farbe nicht mehr abwaschen. Blut konnte es, sagten manche.
„Die Herrin des Auges blickt auf dich, und durch sie blickst du nun auf die Welt.“
Der Wind strich ihr kühl über die noch feuchte Farbe. Akara vollzog das Ritual an den Übrigen, und die Stille löste sich. Die Schwestern lächelten wieder, blickten einander an. Jilis blickte ins Feuer, bis schwarze Flecke vor ihren Augen tanzten.
Die erste Segnung änderte nichts. War nicht jede von ihnen bereit, das Leben für die Schwesternschaft zu geben?
„Komm in mein Zelt, Jilis.“ Akaras Gewand flatterte neben ihr. „Wir haben etwas zu bereden.“
Und das, wo sie am Morgen hatte aufbrechen wollen...
„Sehr wohl“, sagte sie.

An Akaras Zelt haftete ein Geruch, wie sie ihn nicht kannte. Nicht greifbar, nicht benennbar, nicht einmal hervorstechend – aber fremd.
Die Oberin winkte sie herein und lächelte, dass die Falten in ihrem Gesicht sich wie ein Gebirgsmassiv verschoben.
„Du wirst das Zeichen des Auges mit Stolz tragen, das hoffe ich.“
„Seid sicher.“ Jilis tastete nach ihrer Stirn. An ihren Fingerspitzen blieb keine Farbe haften. Dann würde sie ab jetzt ewig erkennbar sein als Kriegerin im Dienste der Herrin des Auges.
„Früher ist das Auge ein Zeichen dafür gewesen, dass wir unermüdlich über die Grenzpfade der Mark wachen.“
„Jetzt ist es das nicht mehr?“
„Oh doch“, sagte Akara und stellte den Tonkrug mit der Farbe zurück in ein Bretterregal, „doch in diesen Tagen hat das, was wir außerhalb der Grenzen halten sollen, diese längst überschritten.“
Jilis ballte die Fäuste.
„Dieses Übel ist über eine andere Grenze gekommen. Nur mit Schwertern und Bögen können wir es zurückschicken! Akara–“
Eine Handbewegung der Oberin unterbrach sie.
„Du denkst, dass ich von den Flammen und der schwarzen Magie spreche, die unser Kloster genommen haben. Aber heute Nacht ist jemand in unser Lager gekommen. Er hat davon gesprochen, dass er uns helfen will. Noch vor dem Morgen wird er aufbrechen, vermute ich.“
Jilis lächelte wie irr. Konnte es sein, dass sie...
„Du wirst mit ihm gehen, Jilis.“
„Ja, Oberin“, sagte sie.
Nun musste sie nicht mehr das ganze Gewicht der Verantwortung tragen. Einen Befehl der Oberin würde selbst Vega akzeptieren müssen.
Sollte der Reisende sein, wer er wollte. Wenn er ihr einen Aufbruch rechtfertigte, kam er nur gelegen.
„Es wird vielleicht nicht ganz so sein, wie du denkst. Der, mit dem du reisen musst, ist kein Mensch wie wir.“
„Ein Dämon aus der Unterwelt, nehme ich an?“
Sie lächelte noch immer. Akara überging ihre Worte.
„Er stammt aus den Dschungeln von Kejistan. Ein Nekromant.“
Ihr Herz setzte aus, und ihre Lippen formten ein Wort.
Was?
Vor sich sah sie Knochenarme sich aus dem Boden hervorgraben, und über ihnen die Arme eines Mannes, der sie wie Marionetten führte. Mit diesem Mann würde sie reisen müssen.
„Akara, das ist... unmöglich!“
Wer sagte ihr, dass nicht er den Schrecken über dem Kloster entfesselt hatte?
„Findest du? Er wird nicht auf dich warten, deshalb sei morgen früh zeitig am Tor, lange bevor die Sonne steigt.“
„Aber es ist ein Nekromant, Akara! Er ist mit denen im Bund, die uns alles genommen haben! Weiß Kaschya davon?“
Akara schüttelte den Kopf und tippte sich zwischen die Augen.
„Ragte ihm dann nicht schon ein Pfeilschaft hier heraus?“
„Dann sorge ich dafür, dass wir uns bald einen hübschen Schaft in seinem Schädel betrachten können! Drei Höllen!“
Ihre Hand zitterte um den Dolchgriff, die Ältere umschloss sanft ihre Finger.
„Ich hege die selben Befürchtungen und Zweifel wie du. Deshalb habe ich dich ausgewählt. Geh mit ihm, und wache über jeden seiner Schritte mit den Augen eines Adlers.“
Sie schob Akaras Hand beiseite.
„Und wenn er die Toten zu sich ruft und auf mich hetzt?“
„Dann gib ihm deinen Schaft zwischen die Augen.“
In Jilis Bauch kochte der Zorn.
„Wenigstens das.“
„Aber wenn du es ohne Blutvergießen anstellen kannst, wenn du ihn nur verdächtige Dinge tun siehst, dann gib mir Bescheid.“
Jilis presste die Fäuste aneinander.
„Ich beuge mich Eurem Befehl, Akara.“
Eine Bestimmung der Oberin abzulehnen, dazu noch in der Nacht der Segnung... Akara, wie geschickt sie den Moment gewählt hatte.
„Das erwarte ich. Es geht um Sicherheit und Schutz der Schwesternschaft.“
Und wer schützte sie davor, dass sie im Schlaf von Knochenhänden erwürgt wurde?
„Habt Ihr noch einen Rat?“
Oder noch einen wahnsinnigen Befehl?
„Bereite dich vor, Jilis. Wir wissen nicht, was für eine Reise der Nekromant antreten wird. Aber er wird vorhaben, den Friedhof zu besuchen.“
„Da hätte ich nichts anderes erwartet. So viele Leichen auf einem Haufen, an denen er sich vergehen kann.“
„Ein Händler hat sich in unserem Lager niedergelassen. Wenn du dich ausrüsten willst, stellen wir dir das nötige Gold.“
Jilis zog das Messer und einen Pfeil aus ihrem Köcher.
„Ich trage die Waffen der Schwesternschaft. Wenn ich einen Feind niederstrecken muss, dann mit dem Bogen, den mir meine Geburt bestimmt hat.“
In Akaras Gesicht trat ein Lächeln.
„Du ehrst unseren Gemeinschaft, Jilis. Keine außer dir hätte ich geschickt.“
„Ihr hört von mir, Akara.“
Sie schlug die Zeltplane beiseite.
Eine zweifelhafte Anerkennung war das.
Noch Viele der Schwestern umstanden das Feuer und schwatzten. Jilis suchte sich einen Platz direkt an der Feuerstelle, abseits der anderen. Einige wenige Regentropfen fielen und knisterten in den Flammen.
Akara war die Letzte, die noch Kenntnis der vollen Lehre des verborgenen Auges besaß. Dennoch... dadurch kam Ihr nicht das Recht zu, sie auf eine Höllenfahrt mit Dienern des Feindes zu schicken.
„Jilis?“, fragte ein Schemen neben ihr. Vega trat aus der Dunkelheit, die Arme vor der Brust um ein weißes Tuch verschränkt. „Ich habe dir etwas mitgebracht.“
„Mitgebracht? Woher? Bist du in der Zwischenzeit in den Bergen gewesen, Falken schießen?“
„Nein“, sagte Vega und knuffte sie in die Seite. „Da du doch aufbrechen willst... bin ich bei diesem Händler gewesen. Sieh dir das an.“
Jilis empfing das mit Tuch umwickelte Ding, ohne den Blick von den Flammen zu nehmen.
„Wiegt schwer. Du weißt doch nicht einmal, was Akara zu meinem Vorschlag gesagt hat. Oder ob ich ihn überhaupt gemacht habe.“
„Ich weiß aber, dass du gesagt hast, du würdest morgen früh gehen. Egal, was Akara gesagt hätte...“
„Leider ist sie mir zuvorgekommen und hat einen anderen Plan.“
Sie riss das Tuch herunter und warf es in die Flammen. Es legte sich auf die Holzscheite und wurde von den Rändern her pechschwarz.
Jilis hielt ein einseitig geschliffenes Schwert. Die Klinge war viel zu lang, und die Ornamente des Griffs schabten an den Schwielen ihrer Hände.
Vega blickte sie erwartungsvoll an.
Mit beiden Händen führte Jilis die Waffe, ging zwei Schritte, bis sie frei stand. Dann jagte sie die Waffe in zwei Aufwärtshieben hoch, wirbelte mit Rückhandschlägen einen Kreis aus silbernem Glanz um sich und ließ die Klinge in rascher Folge in Richtung des Lagerfeuers zucken, dass die Funken zur Seite stoben.
Sie ging zurück zu Vega und hielt das Schwert senkrecht vor sich.
„Und?“
„Keine Balance.“ Jilis ließ die Spitze vor sich in den feuchten Erdboden gleiten. „Die Klinge trudelt wie eine besoffene Ente.“
„Oh“, sagte Vega und legte die Hand an den Schwertgriff. „Es ist nicht gut?“
Jilis seufzte. „Ich kann nicht noch mehr mit mir herumschleppen. Akara will, dass ich mit einem Nekromanten reise... der vermutlich nicht mit mir reisen will. Ich muss schnell sein können.“ Sie strich sich durch die Haare und blieb an den Perlen hängen. „Die hier brauche ich auch nicht mehr.“
„Ich kann sie dir-“
Jilis zog ihr Jagdmesser, tastete nach den Knoten im Haar und durchtrennte sie, einen nach dem anderen. Die Perlen fielen zusammen mit einigen Haarsträhnen auf die Erde nieder. Endlich wieder frei.
„Es ist ein ganz schlechter Zeitpunkt, Vega. Ein ganz schlechter.“
„Verstehe“, sagte Vega so leise, dass ihre Stimme fast vom Prasseln des Regens auf dem Feuer übertönt wurde. „Du weißt, was du tust. Wie immer, oder?“
„Manchmal weiß ich nicht, was ich tue. Aber irgendwie sitzen am Ende immer alle Knochen noch an der richtigen Stelle.“
Sie breitete die Arme aus und umschloss die Jüngere. Kleine Schwester. Die den Kampf fürchtete.
Dann würde sie für zwei kämpfen.
„Diesmal hoffentlich auch.“
„Ich gebe acht. Mein Wort.“

Bis zur Ruhestunde sprachen sie nicht mehr. Aber als Jilis sich in ihrem Zelt wieder erhob, lange vor dem Morgengrauen, da fand sie ein verschnürtes Päckchen neben der schlafenden Vega. Als sie es anfasste, wärmte es ihr die Hände, und ein Duft von gebratenem Fleisch stieg heraus.
Sie klemmte es sich unter den Arm und stieg so langsam aus dem Zelt, wie es möglich war, Köcher und Bogen auf dem Rücken, Messer im Gürtel.
„Mein Wort“, flüsterte sie und kämpfte sich dann durch den Regen, über den Hof mit dem erloschenen Feuer.
 
Zuletzt bearbeitet:
Beim Weihefeuer sind die Schwestern sind Eins vor der Herrin des verborgenen Auges

da ist 1 sind zuviel:) (hinter die schwestern)

was ich meinte war eig so die gesammtsituation von allem;)

auch dieses kap ist wieder ganz toll geworden (nur der moment der verwunderung als der nec erwähnt wurde hätte vllt nen gaanz kleines bisschen vertieft werden können:D:D:D)
 
ich war schon fan deiner spielbericht :) und die story ist auch echt gut. weiter so :top:
 
Weiter so!
Hast nen neuen Leser.

Bin schon gespannt ;)
 
Hallo,

hab deine Story bis hierhin jetzt auch durchgelesen. Das macht auf jeden Fall Lust auf mehr. Das erste Kapitel bzw. der Prolog hat ein bisschen abgeschreckt und ich habe mir x mal überlegt, ob ich denn wirklich weiterlesen soll. Irgendwann habe ich es doch getan und es nicht bereut. Finde ich toll, wie du den Hintergrund der einzelnen Charaktere formst und vertiefst.

Ich hoffe nur, dass du deine Story nicht dazu verwendest, einfach die Geschichte von D2 nachzuerzählen. Du hast mit deinem Prolog eh andere Charaktere eingeführt. Ein nacherzählen von D2 fände ich ein bisschen langweilig - zudem man auch alles bereits kennen würde.

Anderseits - dein Schreibstil ist gut und auch die Art, wie du Charaktere beschreibst (für Gheed gibts nen dickes +) - wenn ich mir den Vergleich mit Simons Story erlauben darf - "Stahles Spaltung" dann ist es auch eine wirklich gute Nacherzählung die auch in keiner Weise langweilig ist. Ach was rede ich... du machst das schon.

Deine Kapitellänge gefällt mir auch ganz gut. Wobei ich hoffe, dass du dich mehr an die Länge des ersten Kapitels orientierst. Die anderen sind irgendwie kürzer geworden.

lg, Gandalf
 
Ich hoffe nur, dass du deine Story nicht dazu verwendest, einfach die Geschichte von D2 nachzuerzählen. Du hast mit deinem Prolog eh andere Charaktere eingeführt. Ein nacherzählen von D2 fände ich ein bisschen langweilig - zudem man auch alles bereits kennen würde.
Mein Ursprungsplan ist tatsächlich nur gewesen, zur "Übung" mal die Geschichte von D2 nachzuerzählen. ;) Aber da ich ein weit größerer Freund von heroischer als von epischer Fantasy bin, haben sich dann schnell echte Charaktere ergeben. Von meinem Ursprungsplan sind noch einige Angelpunkte in der Geschichte übrig - aber nicht nur um ihrer selbst willen, die haben alle durchaus eine Funktion abseits von der, die sie in D2 haben.
Dass diese Angelpunkte aber die Spannung beeinträchtigen können, sehe ich ein. Bei meinen nächsten Versuchen werde ich etwas freier hantieren. :)
"Stahles Spaltung" würde ich aber nicht vergleichen mit meinem Projekt hier. TwinYawgmoths Geschichte ist sehr viel dichter erzählt, mutiger, avantgardistischer. Ich schwimme da eher auf dem Mainstream. Das erste Kapitel hatte vielleicht auch noch etwas Avantgardistisches, aber vor allem war es einfach zu fremdartig, wie ich jetzt einsehe. ;)
Zur Kapitellänge: So lang wie die ersten Kapitel werden sie nicht mehr werden, denke ich. Da hat es zu viele Leserstimmen dagegen gegeben, und meine Planung sieht jetzt auch eher kürzere vor. Der Inhalt ist natürlich nicht gekürzt!

Hi, X-ecut0r und balusos, schön, euch dabeizuhaben! :)
Wenn ihr Verbesserungsvorschläge habt, werft sie mir zu!

Cleglaw, beim Drüberlesen habe ich eingesehen, dass du Recht hast. Zuerst sollte zwar die Empörung und der Schock stehen, aber ein kleines "Was treibt einen dieser dunklen Künstler über die Kontinente in unsere Mark?" wäre sinnvoll gewesen. So fehlt irgendwas. Korrigiere ich beizeiten. Danke dir!
 
Ein schönes Kapitel und es verspricht wieder mehr action im nächsten wenn es raus in die Wildnis geht :)

Was mich allerdings etwas wundert ist, dass die Schwestern bei ihrer überstürzten Flucht aus dem Kloster wirklich noch die Zeit gefunden haben Holzperlen einzupacken und mitzunehmen.
Aber gut, vielleicht färbt Vega die ja nicht nur sondern schnitzt die auch oder sowas ;)
Ist nicht so, dass es wirklich stört, fiel mir nur ein als ich die Stelle gelesen hab
 
Dein Ruf wurde erhört, Jyroshi. :D
Leider komme ich einmal wieder mit einem unvollständigen Kapitel an, aber der Rest folgt bald.
Bei den Holzperlen musst du bedenken, dass die Schwestern schon Wochen in der "Freiheit" sind und auch schon wieder Handel getrieben etc. haben. Aber dein Einwand sagt mir, dass ich das nicht deutlich genug gemacht habe, ist also völlig berechtigt. :)


VI Teufelssöhne

Maro schüttelte sich den Schlaf aus den Gliedern und tippte dem Golem auf die Stirn. „Komm“, sagte er. Stumm und starr wie ein Felshaufen saß Oram da, aber mit dem Befehl richtete er sich auf. Die leeren Augenhöhlen richteten sich auf Maro, und die irdene Gestalt trottete um den Wagen des Händlers herum.
Das Schwert über den Rücken geschnallt, durchquerte Maro das Lager.
Hoffentlich sparten sich die Jägerinnen ihre Todesdrohungen bei Gästen, die ihr Lager verließen, und hoben sie sich auf für solche, die es betreten wollten.
Aber keiner der Schatten auf den hölzernen Zinnen regte sich, und selbst das Tor war geöffnet. Vor der Brücke blieb er stehen und sah sich um. Eine List? Würden sie Feuer geben, wenn er noch einen Schritt tat? Er befahl in Gedanken den Golem in seinen Rücken. So nah, dass die hünenhafte Figur ihn gänzlich vor Pfeilen schützen würde.
Die Brücke knarzte unter dem Schritt des Erdriesen – und hinter ihm knarrten die Stämme des Tors, das wieder verschlossen wurde. Bemerkt hatten sie ihn also.
Noch einige Schritte ging er im Schutz seines lebendigen Walls, dann befahl er den Golem zur Seite.
Die Dunkelheit machte es schwer, die Straße von den Wiesen zu trennen. Maro orientierte sich an den Meilensteinen, die den Weg säumten, oft von der Witterung bis zur Hälfte zerlegt.
Als er den dritten erreichte, zeigte sich schon ein glänzendes Band am Horizont. Aber das Licht genügte nicht, den Stein aus den Schatten des Waldes zu zerren, und auch nicht die dunkle Form, die darauf kauerte.
Maro legte die Hand an den Dolch. Er überlegte kurz und legte sie lieber auf den Griff des Schwertes, das auf seinem Rücken hing.
„Gebt Euch zu erkennen“, rief er. Die Wipfel der Weiden hingen so über den Pfad, dass er dunkel wie eine Höhle erschien.
Du stehst in dieser Schuld, dich zu erkennen zu geben. Du bist der Fremde“, antwortete eine Frauenstimme.
Eine der Dryaden, die Bäume bewohnten und Eindringlingen in ihrem Forst die Sinne verwirrten?
Maro ging weiter auf die Stimme zu, auf den Schatten am Meilenstein.
„Wenn du das weißt, dann musst du mich bereits kennen.“
Oder jedes einzelne Lebewesen, dass dieses Land bewohnt, dachte er. Einem der Naturgeister wäre das zuzutrauen.
Der Schatten am Meilenstein bewegte sich, formte sich zum Umriss eines Menschen. Maro ging noch näher. So langsam, dass Oram ohne Mühe mithalten konnte, stets nur einen Schritt neben ihm war.
„Kunststück. Unser Lager ist klein, und wenn jemand über die Kontinente zu uns reist, ist die Neuigkeit in einer halben Nacht in jedes Ohr gelangt.“
Ein Mädchen saß breitbeinig auf dem zerrütteten Meilenstein. Die Haare hingen ihr wie Flammen in Strähnen ungleicher Länge in die Stirn, und das Gesicht mochte kaum mehr Sommer als er gesehen haben. Auf ihrer Stirn prangte das dritte Auge, von dem Gheed gesprochen hatte, und das Mädchen trug die selben Lederrüstungen mit Nieten wie die Jägerinnen.
Hatten sie ihn nur entkommen lassen, um ihn hier umzubringen?
„Was wollt ihr noch von mir? Ich habe euer Lager verlassen und werde euch nicht länger behelligen.“
Das Mädchen spuckte aus und erhob sich von dem Stein, um ihm gegenüberzutreten.
„Aber mit dem Lager hast du noch nicht unser Land verlassen.“
„Das habe ich auch nicht vor. Aber genauso wenig habe ich vor, euch im Weg zu sein. Ich gehe meinen, ihr euren.“
Der Blick des Mädchens flammte auf und sie stieß ihn vor die Brust. Maro taumelte zurück, verlor das Gleichgewicht, tastete mit den Füßen vergeblich nach Halt in dem schlammigen Boden. Eine Hand, so breit wie sein Brustkorb, stoppte seinen Fall und richtete ihn wieder auf. Oram.
„Was für einen Weg ihr geht, das habe ich gesehen! Meine Freundin ist von einer Kreatur wie dieser in die nächste Welt geschickt worden!“
„Ein Golem?“, fragte er.
„Was für Namen diese Bestien auch tragen mögen. Belebt von Magie wie deiner. Nicht aus Erde, sondern Knochen. Kriegerskelette!“
Wie die alte Frau mit dem Brandmal es gesagt hatte.
„Aber kein Wesen, das wir beleben, handelt eigenmächtig. Es braucht immer einen Meister...“
„Ho“, machte die Jägerin und verschränkte die Arme, „welch Schicksalsfügung, dass ich hier einen vor mir habe. Ihr schändet die Toten und ruft sie aus den Gräbern, oder ist es anders?“
Maro biss die Zähne zusammen. Die aus Erde geformten Muskeln des Golems zitterten. Zurück, zurück.
„Es ist der Kreislauf, die Waagschale des Gleichgewichts. Unsere Magie ist nicht nur eine des Todes.“
„Hervorragend! Daneben auch eine noch eine des Verderbens und des Leids! Was habe ich in einer Nacht an Zerstörung gesehen...“
„Eine einzige Nacht ist nicht alle Nächte.“
„Was ist das für ein Blödsinn?“
„Du hast nur das eine Mal erlebt, nur die eine Seite kennengelernt.“
„Dann tu mir den Gefallen und erspare mir die anderen.“
Maro machte einen Schritt auf sie zu. Ihre Stiefelspitzen berührten sich beinahe.
„Ich bin nicht hier, um dir in einer Jahrmarktsposse zu zeigen, was ich aus Erde und Himmel herausrufen kann. Lass mich passieren.“
Diesmal wich die Kriegerin zurück, schnaubte und setzte sich wieder auf ihren Meilenstein.
„Tja, ich kann dir deinen Wunsch nicht erfüllen. Der Teufel weiß, ob du nicht zum Friedhof reist und noch mehr Tote ausbuddelst.“
Langsam atmete Maro ein und aus. Wie lange würde es noch dauern, bis sie den Bogen von ihrem Rücken nahm und die Hand in den Köcher zuckte? Kämpfen würde er, wenn sie es forderte.
„Also töte mich. Versuche es.“
Sie blies die Luft hörbar aus und lehnte sich mit den Ellbogen auf ihre Oberschenkel.
„Schön wär das, wenn es so einfach ginge. Dein Kumpel aus Matsch hätte ohnehin im Nu seine Finger um mich und würde mir den Magen aus dem Hals herauspressen. Aber ich bin nicht zu dieser drei Mal verfluchten Zeit aufgestanden, um zu kämpfen.“ Die Kriegerin blickte zu Boden, dann fügte sie hinzu: „Noch nicht.“
„Gut, dann kann ich wohl weiterreisen.“
Ohne Umschweife ging er an dem Meilenstein vorüber, Oram neben ihm einherstapfend. Welch seltsame Begegnung am Morgen. Dass man ihm auflauerte, um ihn und seine Kaste zu beschimpfen.
„Ja, kannst du“, sagte die Kriegerin. Als er sich umdrehte, war der Meilenstein leer, kein Schatten mehr auf ihm. Der Straßenschlamm ächzte auf, die Frauengestalt lief neben ihm, ohne ihn anzusehen. Er überragte sie um keine Fingerbreite. Größer als die Mädchen, die in seinem Dorf die Tische deckten und Töpferwaren verkauften.
„Weshalb läufst du mir dann nach? Willst du mir dabei helfen, die Toten zu schänden?“
Plötzlich trat ein ernster Zug in ihr Gesicht.
„Ich bin das Auge der Schwesternschaft, dummer Junge.“
„Und ich hätte dich für ihre Faust gehalten.“
Sie lachte auf und barg ihre Hände in den Hosentaschen.
„Nichts dagegen. Aber der Befehl der Oberin sagt etwas anderes. Ich soll einen dunklen Magier auf seiner Reise bewachen.“
„Oh, eine Leibgarde. Sehr umsichtig, aber–“
Abrupt blieb sie stehen verkrampfte die Hände zu Klauen.
„Keine Hoffnungen“, zischte sie, und ihm raste ein Schauer den Nacken hinunter. „Ich sehe deine Schritte, und wenn ich einen falschen sehe, dann wird es, bei den drei Höllen, dein letzter gewesen sein.“
„Was erwartest du von mir? Dass ich nichts Besseres zu tun habe, als wie ein Poltergeist durch Eure Wälder und Wiesen zu ziehen und Unheil zu stiften?“
Sie zuckte mit den Schultern und ging weiter.
„Der erste deiner Art wärst du nicht, der das versucht. Und sag, es ist doch eigenartig, dass in hundert Jahren ein Nekromant sich genau dann zeigt, wenn hier die Gräber plötzlich so seicht geworden sind, dass die Toten herausklettern.“
Wenn die Geschichten stimmten, und nicht nur den wirren Gedanken einer Gemeinschaft entstammten, die in einer Nacht des Entsetzens und der Verheerung aus ihrem Heim vertrieben worden waren... Es bedurfte nicht des Dufts der schwarzen Yata, um Dinge zu sehen, die es nicht gab.
„Mir ist es zunächst eigenartig genug, dass die Toten überhaupt über die Erde wandern. Ich will herausfinden, wieso sie das tun. Genau wie du.“
Wenn auch aus einem anderen Grund als du, dachte er.
„Das behauptest du zumindest.“
„Mehr kann ich im Augenblick schwer tun. Was erwartest du?“
„Dass mir dein Freund aus Erde nicht den Schädel eindrückt, sobald ich meinen Schlafsack ausgerollt und die Augen zu habe.“
„Du willst wirklich mit mir reisen“, murmelte Maro. Eine größere List hätte er sich selbst nicht einfallen lassen können.
„Was ich will ist unwichtig. Die Schwestern des verborgenen Auges verlangen es.“
„Also wirst du deine Pfeile nicht auf mich richten, wenn sich uns jemand entgegenstellt...?“
„...sondern auf den Jemand? Kommt ganz darauf an. Bilde dir nicht zu viel ein.“
Sie trug ein spöttisches Lächeln.
Keine Wahl.
Durch die Äste flimmerten die ersten Flecken Morgensonne hindurch und strichen über sie hinweg.
„Maro“, sagte Maro irgendwann.
„Jilis“, sagte die Kriegerin und starrte voraus in den Wald, und lange sagten sie nichts mehr.
Die Kälte kroch aus der feuchten Erde und wich der Wärme des Tages. Verstohlen sah Maro seine Begleiterin von der Seite an. Ob sie es bemerkte oder nicht – sie ging ungerührt neben ihm her, prüfte manchmal den Sitz eines schmucklosen Jagdmessers in ihrem Gürtel oder zog die Nase hoch und spuckte aus.
Eine weitere Klinge an seiner Seite konnte er gebrauchen, das ließ sich nicht leugnen. Auch, wenn das Mädchen keine Klinge trug außer dem schmalen Messer. Aber in ihren Schritten las er die Behendigkeit eines Raubtiers, einer Tigerin oder einer Perlennatter. Mit dem Messer allein würde sie ihm und seinem Schwert schon weit überlegen sein.
Bis zu einem gewissen Punkt würden sich ihre Ziele tatsächlich decken. Bis sie herausfanden, wer sich hinter den Truppen der Untoten verbarg... Dann musste er die Kriegerin abschütteln, auf die eine oder andere Art. Wenn sie es nicht vorher mit ihm tat – auf die eine Art.
Das Kompendium wippte in seinem Rucksack bei jedem Schritt an seinem Rücken. Er fühlte, wie die Seiten an der gepressten Yatablüte rieben, wie sie die Blüte eines Tages in ferner Zeit zerrieben haben würden. Bis dahin würde er die Blüte schon nicht mehr brauchen.
Plötzlich drängte sich ein Lächeln auf seine Lippen. Nein, bis jetzt gab es keinen Grund, die Hilfe der Kriegerin abzulehnen.
„Du starrst mich an und dann lächelst du wie ein Irrer“, sagte sie mit einem Mal. „Ich würde dich für einen Lustmolch halten, wenn ich dich nicht schon für etwas weit Schlimmeres halten würde.“
Bis zum Mittag ließen sie die Wälder hinter sich. Die Sonne kroch wieder hinter düstere Wolken und gab vor ihnen ein graues Land frei. Maro rastete nur, um seinen Wasserschlauch erneut zu füllen. Hatte er sich am Anfang noch gefragt, wieso die Kriegerinnen der Schwesternschaft keine Pferde besaßen – das Land hatte ihm die Frage beantwortet. Alle paar Meter in den durchweichten Böden einzusinken, war schon für einen Menschen hinderlich, wie viel dann erst für ein Pferd.
Jilis wartete in einer wilden Steinformation, bis er sein Wasser geschöpft hatte.
Sie diente einer Gemeinschaft. So, wie er es einst getan hatte. Die Nekromanten, die von Evra nichts verstanden, sie zu einem Namen machten, den sie in ihre Bücher schrieben und vergaßen. Einen winzigen Augenblick keimte in ihm die Frage auf, was wäre, wenn er nichts fände. Wenn die geflügelten Dämonen Orestars nur ein Hirngespinst der Bauern gewesen waren, und die wandelnden Skelette nur eine Ausgeburt der überreizten Geister der Schwestern. Wenn keine Höllenwesen im Kloster hausten, sondern nur eine Bande Unruhestifter...
Zurückkehren konnte er nicht.
„Heh“, sagte Jilis plötzlich neben ihm, „ich dachte schon, die Riesenwelse hätten dich verschlungen.“
„Nicht alle Wünsche gehen in Erfüllung.“
„Ja, zu schade. Hast du diese Spuren gesehen?“
Maro schüttelte einige Wassertropfen von seinem Schlauch und folgte Jilis Fingerzeig. Vor dem Horizont zeichnete sich ein grauer Schemen ab. Vier Mühlenflügel, die er schon am Vortag gesehen hatte, aus nächster Nähe. Diesmal standen sie still.
Jilis stieß ihn an. „Nicht am Himmel. Wo schaust du hin?“
Sie wies in das Gras neben ihnen. Mit Mühe erkannte Maro, dass einige Halme herabgedrückt waren.
„Das könnten auch meine Spuren sein.“
„Ganz sicher. Wenn du dich in ein Wesen mit zwei Zehen und gekrümmten Klauen daran verwandeln kannst. Nicht, dass ich dir das nicht zutrauen würde.“
Maro bückte sich neben der Spur und strich mit den Händen über die Halme. Zerdrücktes Gras, mehr war das nicht.
„Zwei Zehen, gekrümmte Klauen, das liest du aus dieser Wiese heraus? Wer beherrscht hier finstere Mächte?“
„Da muss ich mich nur kurz umdrehen, und ich weiß die Antwort.“
Sie drehte sich zu Oram um und winkte dem hirnlosen Geschöpf zu. Maro befahl den Erdriesen an seine Seite, und sofort wankte der los.
Die zerdrückten Gräser setzten sich auf der anderen Seite des Flusses fort. Schwer erkennbar, denn auch das Regenwasser zog die Halme nach unten.
„Hinterher?“, fragte er.
„Ich gehe dahin, wohin du gehst. Wenn du dort deine wahren Absichten enthüllst, ist mir das nur recht.“
Er seufzte. Eine kreuzdumme Frage war das gewesen.
Der Golem trat über den schmalen Flusslauf mit einem einzigen Schritt hinweg und formte über der Mitte des Gewässers seine Hände zu einer Schale. Maro setzte seinen Fuß hinein und sprang von dort auf die andere Seite des Flusses.
Die Augenhöhlen des Golems richteten sich auf die Kriegerin, Maro nickte ihr zu.
„Los.“
„Lächerlich“, sagte Jilis und spazierte einige Schritte zurück, die Hände in den Hosentaschen. Wie der Blitz wandte sie sich um und schoss geduckt auf den Fluss zu, stieß sich am Ufer ab und sprang. Mit einer Rolle kam sie auf der anderen Seite wieder auf die Beine und blickte zu ihm hoch. „Wir können weiter.“
Sie folgten den Abdrücken im Gras, und aus dem einen Klauenpaar wurden viele, die nebeneinander ihre Spur in die Wiesen gedrückt hatten.
Als sie noch knappe fünfzig Schritt vom Haus entfernt waren, hielt Maro an. Die Fensterläden standen weit geöffnet, und aus dem Schornstein quoll Rauch. Kein Anzeichen, dass sich etwas verändert hatte, und die Windmühle mochte aus einem Grund still stehen, den jeder Bauer verstand. Nur er nicht.
„Hinten herum“, sagte Jilis.
Da waren noch die Spuren, die sich jetzt verteilten. Die Kriegerin folgte einem Strang, der um das Haus herum und selbst an der Scheune vorüber führte, nahe an die Mühle heran. Maro hielt sich nahe am Wasser, den Golem immer in seinem Rücken.
Schon aus der Ferne sah er es. Die Flügel der Windmühle waren gebrochen, das Pergament hing in Fetzen von den Holzgestellen hinunter. Jilis wartete auf ihn.
„Hat sich zum letzten Mal gedreht.“
„Als ich gestern hier vorübergekommen bin, haben sie sich noch bewegt.“
Er schauderte, und es war nicht des Windes wegen, der ihm durch die Kleider fuhr.
„Wahrscheinlich hatte sie da auch noch niemand zerschmettert. Zerstörung folgt dir. Nicht, dass ich überrascht wäre.“
Sie schlichen um die Mühle herum, in Richtung der Scheune. Entdecken würde sie ohnehin jeder, der nicht blind war und einen über zwei Schritt großen Riesen aus Erde nicht übersah. Aber zumindest das Geräusch ihrer Schritte mochte der Wind schlucken, der über die Wiesen ging.
Das Scheunentor war zu einer Seite auf die Erde herabgerissen und öffnete den Weg hinein. Der Geruch von Dung und Tierleibern drang zu ihnen heraus. Aber nicht ein einziger Laut. Nur der Wind, der im Stroh raschelte. Durch die Wolken fiel nicht genügend Sonnenlicht, um die Scheune zu erleuchten.
Maro wechselte einen Blick mit Jilis, dann trat er ein. Mit jedem Schritt wuchs ein Geräusch an. Erst ein Rauschen, dann ein Summen. Fliegen. Er hielt in der Mitte des Raums an. Die Augen einer Kuh starrten zu ihm. Der Tierkörper lag auf die Erde hingestreckt, das Muster aus schwarzer und weißer Maserung am Hals durchbrochen von einem roten Fleck. Die Wirbelsäule schimmerte durch das Fleisch hindurch.
„Bei den Höllen“, sagte Jilis hinter ihm, und die Farbe wich ihr aus dem Gesicht.
„Siehst du noch Spuren?“
Mit verzogener Miene schüttelte sie den Kopf. „Ich sehe verstümmelte Tierkadaver, das muss dir reichen.“ Sie schlug nach den Fliegen, die sich um die toten Tiere sammelten, bedeckte den Mund mit ihrer Hand.
Aus dem geöffneten Bauch der Kuh ringelten sich die Därme, und direkt daneben lag ein Lamm in seinem eigenen Blut, den Kopf so weit zurückgebogen, dass die Ohren ans Rückgrat stießen.
Knapp ein Dutzend Tiere, die mit ihrem Blut das Stroh und ihr Fell färbten. Alle mit durchgebissener, zerrissener Kehle.
Maro hob den Kopf eines Schweins an und starrte ihm in die Augen. Lange genug hatte er Leichen ausgenommen, präpariert, einbalsamiert. Die Jägerin hinter ihm wankte aus der Scheune heraus, wo auch Oram wartete.
Mit einem Zucken des Geistes wechselte Maro die Sicht, blickte ins Reich der Geister. Dumpfe Kühle umwehte ihn, und der Schädel des Schweines strahlte vor ihm im Licht der Astralwelt. Er verglich das Strahlen mit dem, das er selbst abgab. Die wabernden Lichtfäden fehlten, mehr nicht. Vor noch einem Tag musste das Schwein quicklebendig gewesen sein. Aber das hätte er sich auch denken können. Doch am Rande des Feldes seiner Wahrnehmung, hinter zwei Wänden aus Holz, brannten weitere Auren. Sie waberten. Lebendig.
Er kehrte zurück in die andere Wirklichkeit, und der Duft von süßer Verwesung hüllte ihn ein.
Jilis lehnte am Scheunentor, das Gesicht zu einer Grimasse verzerrt.
„Eure auferstandenen Skelette waren das nicht“, sagte Maro, „die würden nicht das Blut von Kühen und Hennen trinken.“
Unsere auferstandenen Skelette?“ Jilis Gesichtsfarbe ähnelte der des Himmels. Nur langsam floss wieder Farbe hinein. „Es gibt hier Wölfe in der Gegend, die Wälder wimmeln davon.“
Diesmal lächelte er.
„Wölfe mit zwei Krallen statt Pfoten?“
„Was weiß ich.“
„Wir werden sie gleich finden. Im Wohnhaus ist etwas, dem noch nicht die Kehle herausgerissen wurde.“ Er wies auf die Rauchschwaden über dem Schornstein. „Die Wölfe scheinen sich gerade eine Kohlsuppe zu erwärmen.“
„Halt den Mund“, zischte Jilis.
Maro löste den Dolch aus seinem Gürtel. Er schlich voran, auf das Bauernhaus zu. Was sich auch darin verbarg, es würde mehr Interesse daran haben, auch ihm die Kehle aufzureißen als mit ihm zu reden. In seinen Gedanken malte sich das Bild eines der Riesenaffen, die Panzerplatten auf dem Rücken trugen und deren Augen in der Dunkelheit rot wie Kohle glommen. Zwar hätte eine solche Bestie es nie über die Kontinente geschafft, doch dieses Land kannte größere Schrecken.
Die Tür war aus den Angeln gerissen worden. Er erstieg die Treppe und trat ein. Von allen Seiten strich der Wind durch Fenster, durch die Hintertür, und zwei der Läden klapperten gegen die hölzerne Wand.
Die Tischdecke hing nur noch an einer Ecke auf dem Esstisch, und auf dem Boden verteilten sich Scherben von Tellern, Milchkrügen, und die Dielen waren dunkel von aufgesogener Flüssigkeit. Die Säure der Milch hing in der Luft, aber darüber legte sich noch ein anderer Geruch. Eine Suppe kochte hier niemand. Er briet Fleisch.
Aus dem Kamin hingen die Fetzen eines Mantels, längst schwarz vom Feuer. Auch der Körper, den der Mantel umhüllte, war schwarz wie Kohle.
Jilis Schritte tappten hinter ihm die Treppe hinauf.
„Sieh es dir nicht an“, sagte er.
„Sehr fürsorglich von dir, aber ich habe mehr al–“ Sie drehte sich der Wand zu und knurrte wie ein Tier. „Verflucht...“
Auch Maro schluckte. Er hatte viele Körper brennen sehen. Aber die waren im Tode den Flammen übergeben worden, um die Reise der Seele zu erleichtern. Ob diese hier überhaupt bereits das Leben ausgehaucht hatten, bevor sie ins Feuer geworfen waren worden...
Zwei Türen führten aus dem Esszimmer hinaus, und eine Treppe in den nächsten Stock.
Maro gab den Befehl an Oram, die Treppe draußen zu bewachen.
„Wo soll hier noch etwas Lebendiges sein?“, fragte Jilis.
Genau, die Auren. Längst musste das Etwas, das sich im Haus verbarg, sie bemerkt haben. Er lauschte in die Stille hinein. Nur das Feuer knisterte.
Jilis verschwand in einer der Türen und beugte sich über eine Stelle am Boden, an der der Teppich zurückgezogen war.
„Lass uns nach den Vorräten sehen, einige mitnehmen und dann verschwinden“, sagte die Kriegerin. Sie griff nach irgendetwas auf dem Boden.
Maro rief das zweite Gesicht herbei. Die Welt aus weißen Schleiern umspülte ihn, gab seinen Blick frei. Er begriff. Die Luke zu der Vorratskammer. Jilis Finger schlossen sich um den Griff. Unter ihr flackerten die Auren wie ein Meer aus weißem Feuer. Maro zerrte sich zurück aus der Geisterwelt. Farbe floss wieder in die Umgebung. Zu spät.
„Nein!“, brüllte er. Sein Ruf wurde erstickt. Jilis öffnete die Luke, und Flügelschläge füllten die Luft. Sehnige Arme, rot wie wundes Fleisch, rissen ihr die Luke aus der Hand, brachen sie aus den Scharnieren und zerschmetterten sie an der Wand.
Ein Körper schoss aus dem Vorratskeller, blieb vor ihr in der Luft stehen. Zwei lederne Flügel auf seinem Rücken peitschten durch die Luft. Kein Mensch. Fingerlange Zähne standen in dem aufgerissenen Mund, dünn und spitz wie Nadeln. Dicht darunter presste sich Jilis Faust um den Hals des Ungetüms. Sie zog das Wesen aus der Luft, in einem Schwung um sich herum, dann rammte sie es in die Holzdielen, dass Bretterstücke und Nägel in die Luft spritzten.
Maro machte einen Schritt zurück. Solche Stärke.
Das Ungeheuer zuckte und seine Flügel scharrten über den Boden. In einer Krallenhand blitzte die Spitze eines Speers. Sie zischte in Richtung des Nackens der Kriegerin. Jilis duckte sich zur Seite weg und zog die Waffe weiter in die Wucht des Angriffs hinein, rammte sie der Kreatur ins Gesicht. Nadeldünne Zähne splitterten zur Seite und die Speerspitze drang durch Fleisch und die Bodendielen gleichermaßen hindurch. Gegurgelte Laute quälten sich aus der Kehle des Feindes. Eine Sprache von jenseits dieser Welt. Mit beiden Händen trieb Jilis den Speer tiefer, und als der Rote sich immer noch wand, drückte sie den Rest des Schafts mit einem Fußtritt durch ihn hindurch.
Die Flügel erlahmten, aber die Luft rauschte noch immer von Flügelschlägen.
„Noch mindestens sechs! Da unten!“, rief Maro ihr zu und deutete auf die geöffnete Luke. Schon griffen zwei Klauenpaare über den Rand der Luke hinaus und zogen rotglänzende Körper hoch.
Selbst voll aufgerichtet reichten die haarlosen Wesen ihnen nur bis zur Brust – aber als hätte das etwas über ihre Stärke ausgesagt.
Zwei Speere sirrten durch die Luft, gezielt auf Jilis. Sie entkam mit einem Hechtsprung zurück ins Esszimmer, die Wurfwaffen bohrten sich in den Boden hinter ihr und in den Brustkorb des Gefallenen.
„Das sind fünf zu viel für einen fairen Kampf. Hol deine verdammte Zauberei heraus, oder die werden uns ausnehmen wie Kaninchen!“
Maro löste sich aus der Starre, die ihn gepackt hatte, und zog Gheeds Säbel aus der Scheide auf dem Rücken. Schwerer, als er ihn in Erinnerung gehabt hatte.
„Ich weiß nicht, was du dir vorstellst, was ich für eine Magie herbeirufen soll.“
Im Raum mit der Luke zum Vorratskeller sammelten sich die Geflügelten. Es würde keiner der Übungskämpfe werden, bei denen die Gegner nur auf die Klinge des anderen zielten und ihm nach einem Sturz wieder hochhalfen.
Jilis schnaubte. Zwei der Dämonen brachen aus der Formation aus und stürzten sich durch die Tür hindurch auf sie, die Speere erhoben.
Mit einem Kniestoß warf sie den Esstisch um und sich selbst dahinter in Deckung. Ihre Hand packte Maro an der Schulter und zerrte ihn zu Boden. Ein Speer zischte dort entlang, wo er noch eben gestanden hatte, und bohrte sich in die Tür eines Geschirrschränkchens. Die zweite Speerspitze drang durch die Tischplatte, hielt eine Handbreit vor Maros Gesicht an. Kalter Schweiß brach ihm aus den Poren.
Jilis sprang wieder auf die Beine und schmetterte den Tisch mit einem Fußtritt in Richtung der Dämonen. Einer hing weit über dem schweren Geschoss in der Luft, den anderen sah Maro nicht. Die Tischplatte stieß mit einer Wucht in die Wand, dass aus den Fugen der Decke Staub herabrieselte. Ein schrilles Quieken verriet den Dämon, der zwischen Wand und Tisch geraten war.
„Raus hier!“, rief Maro.
„Raus? Dann fliegen sie uns davon und durchlöchern uns vom Himmel aus.“
Recht hatte sie.
Sie zeigte auf die Treppe, die nach oben führte. Für die fliegenden Kreaturen würde es kein Leichtes werden, ihnen im Flug durch den engen Gang zu folgen.
Augen, gelb wie Schwefel, starrten in seine. Der Dämon raste auf ihn zu, die Flügel zur vollen Spannweite ausgebreitet. Jilis Schritte eilten schon die Treppe hinauf.
Maro rollte sich zur Seite. Ein Schmerz gleißte auf seinem Rücken. Das Grinsen seines Gegners weitete sich, Blut klebte an der Speerspitze.
Als er sich hochstemmte, schoss der Schmerz erneut über sein Rückgrat. Sein Geist griff in die Astralwelt, streckte sich nach der Aura von Oram aus – aber da waren die brennenden Feuerzungen, die der Dämon abstrahlte. Ohne einen Befehl würde der Golem nutzlos sein, ein Haufen Erde, der zufällig die Gestalt eines Menschen hatte.
Der Geflügelte wirbelte den Speer über dem Kopf und keckerte wie ein Tier. Er griff erneut an. Ein Stoß ging über Maros Schulter hinweg, er wich zur Seite und umgriff seinen Säbel. Die Waffe wurde ein Blitz, der schräg über die Brust des Dämons raste. Maro setzte nach und drückte das fliegende Ungetüm mit der Schwertklinge in Richtung Boden. Die Flügel schlugen wild, peitschten um ihn und kratzten mit den winzigen Klauen daran über sein Gesicht. Schmerz war Nichts. Er zog den Geist eine Winzigkeit aus der Wirklichkeit zurück, bis das Leid des Körpers verblasste. Die Klauen huschten weiter über sein Gesicht und den Hals, doch ihre Berührung verblich zu einem Windhauch. In den Zügen des Dämons zeigte sich Entsetzen, seine Augen suchten die seiner teuflischen Brüder. Vier Augenpaare blickten aus dem Dunkel des Nebenzimmers zu ihnen, die Flügel schlugen ruhig.
Maro legte sein ganzes Gewicht auf die Klinge und drückte den Dämon zu Boden. Sein Rücken prallte auf die Holzdielen, und Maro setzte mit einem Stoß in die Brust nach. Die Schwertspitze stieß auf Widerstand, er drückte sie tiefer. Etwas zersplitterte, und der Dämonenkörper erschlaffte. Maro setzte einen Fuß auf den Toten und zog sein Schwert heraus.
„Worauf wartest du noch?“, kam Jilis Stimme von oben.
Er antwortete nicht. In die fünf verbleibenden Feinde kam Bewegung, sie segelten in den Raum. Sofort wandte Maro sich um, schlug einen Haken um den umgestürzten Tisch herum. Ein Speer zielte auf seine Brust, er warf sich auf die Knie und bog den Körper nach hinten. Die Spitze der Waffe strich durch sein Haar.
Am Treppengeländer zog er sich wieder hoch und rannte die Treppe nach oben. Holzsplitter steckten in seinen Hosenbeinen. Der Schmerz würde kommen, später. Hinter ihm quiekte eine der Kreaturen. Er drehte sich um, während seine Füße weiter die Stufen hochhasteten. Einer der haarlosen Schädel hing keinen vollen Schritt entfernt hinter ihm, und beide Hände des Wesens holten mit dem Speer zu einem Stoß aus.
Maro trieb sich an, schneller zu laufen. Es ging nicht. Der Speer zischte voran – ihm entgegen ein Pfeil, der sich in den angespannten Oberarm bohrte. Der Dämon kreischte auf, ein zweiter Pfeil durchschlug ihm eines der Schwefelaugen und ein dritter durchbrach seine Stirn. Die Flügel hinter sich herziehend, polterte der Kadaver die Treppe hinunter.
Maro machte die letzten Schritte. Licht brach in die Dachkammer von den Fenstern her, aber vor ihm ragte ein gewaltiger Schatten auf.
„Weg da!“, brüllte Jilis, und Maro wich zur Seite. Die Kriegerin stemmte sich mit dem Rücken gegen einen der Balken, die das Dach trugen, die Füße drückte sie gegen die Rückseite einer Kommode. Das Möbelstück wankte, das Holz ächzte. Jilis ließ den Schrank noch einmal zu sich wippen. Maro verstand. Er stemmte sich mit der Schulter gegen die Kommodenwand. Jilis nickte ihm grimmig zu und rammte ihre Stiefel noch einmal nach vorn.
Einer der roten Schädel erschien im Treppenaufgang, da kippte die Kommode nach vorn. Maro stolperte in ein Spinnennetz hinein und wischte sich die klebrigen Fäden aus dem Gesicht. Mit Wucht ging die Kommode auf die Öffnung des Treppenaufgangs nieder, der Aufprall erschütterte den gesamten Dachboden. Der Dämonenkörper wurde begraben in einer Wolke von Staub und Holzsplittern.
„Ja!“, rief Jilis und ballte eine Faust. Der Staub tanzte im trüben Licht, das auf sie fiel, wie ein Sandsturm.
„Noch drei“, sagte Maro.
„Du hast noch einen bekommen?“ Jilis bückte sich über eine Kiste aus dunklem Holz hinweg zu ihrem Bogen. „Stimmt trotzdem nicht. Da draußen sind noch zwei, vielleicht drei, und sie zielen ihre Pfeile fast so gut wie meine Schwestern.“
In den Dachbalken und über die Wand dem Fenster gegenüber verteilt steckten die pechschwarzen Schäfte von knapp zehn Pfeilen.
Noch mehr Feinde.
Jilis setzte sich auf die Kiste und betrachtete ihn misstrauisch. „Dein verdammter Rücken... Ist da ein Pflug drübergezogen worden?“
„Ist es so schlimm?“
„Ich habe schon Männer bei kleineren Wunden in die Knie sinken sehen. Viel kleinere Wunden, bei viel größeren Männern.“
Plötzlich lag etwas Anerkennendes in ihrem Blick. Wenn sie gewusst hätte, welche Macht sich dahinter verbarg. Der Schmerz würde kommen. Unausweichlich.
„Im Moment kann ich mich noch aufrecht halten.“
„Dann schaff deinen Erdkumpanen her. Wenn die Biester durchbrechen, will ich hier nicht allein stehen.“
Maros Herz schlug wieder langsamer. Vielleicht konnte er jetzt scharf genug sehen, vielleicht bis vor das Haus.
„Ich brauche Ruhe.“
Jilis lachte.
„Dafür bist du hier am richtigen Platz.“ Sie erhob sich von der Kiste und zog ihr Messer. Geduckt ging sie unter dem Fenster hindurch und zu der umgestürzten Kommode. „Also gut, ich geb dir so viel, wie ich kann.“
Da Möbelstück wackelte, als besäße es ein Eigenleben, und das Holz im Innern knirschte. Wegbewegen können würden die Dämonen das Hindernis nicht, aber mit ihren Klauen mochten sie sich schlicht hindurchschlitzen.
An Jilis Oberarmen breiteten sich zwei Blutflecke auf dem Leder aus. Auch sie war nicht mehr so frisch, wie sie sich den Anschein gab. Zwei Pfeile lagen auf dem Dachboden. Unzerbrochen. Sie musste sich die Geschosse durch den Arm hindurchgeschoben und herausgezogen haben. Ihm schauderte.
Er setzte sich auf einen Stuhl mit zerrissenem Sitzkissen und konzentrierte sich. Die Welt sank in ein wild wogendes Meer aus Weiß und Silber. Eine Aura mit hoch brennender Lebensflamme, die sich gegen drei weitere unter ihr stemmte. Sie berührten sich beinahe durch das schwach leuchtende Holz der Kommode hindurch. Er hatte weniger Zeit, als er gedacht hatte. Rasch schlüpfte er aus dem Haus. Die riesenhafte Gestalt, deren Aura auch die seine war, hielt ihre Wacht vor der Tür. Er näherte sich und flüsterte: „Komm. Hilf. Hilf ihr.“
Seine Gedanken drangen in den irdenen Sklaven und setzten ihn in Bewegung.
In der Ferne auf der Heide leuchteten zwei weitere Auren. Die Bogenschützen, von denen Jilis gesprochen hatte. Ihre Auren leuchteten nicht wie die der anderen Flügelmänner, sie leuchteten überhaupt nicht wie etwas, das Leben in sich trug. Sondern wie Baum, wie Stein, wie Gras. Er war weit weg, und dennoch...
Eine Erschütterung schüttelte seinen Körper aus Fleisch und Knochen. Er sprang zurück, die Astralwelt verwischte zu einer einzigen leuchtenden Welle um ihn.
Der Schmerz katapultierte ihn zurück in seinen Körper. Ein glühendes Band lief ihm den Rücken hinunter. Sofort zog er seinen Geist ein Stück zurück, bis der Schmerz erlosch. Farbe floss in die kleine Dachstube. Rote Farbe. Die Wand der Kommode splitterte, und zwei der Dämonen schossen heraus. Ein Speer fuhr diagonal über Jilis Gesicht und zog eine blutige Spur hinter sich her. Die Kriegerin taumelte zurück und fluchte.
Maro sprang von seinem Stuhl auf und rannte dazu. Mit der stumpfen Seite der Klinge fing er einen Hieb ab, der auf die Brust der Jägerin gezielt war.
„Wo bleibt die Verstärkung?“, keuchte Jilis, die Hand vor das Gesicht gepresst. Vom Haaransatz her sickerte Blut. Sie hackte mit ihrem Messer ungezielt in die Luft, die Dämonen stoben mit Flügelschlägen zur Seite.
„Sollte längst bei uns sein.“
Maro hob das Schwert gegen die Angreifer, die um sie kreisten. Lange konnte er den Schmerzen nicht mehr fernbleiben, oder sein Geist würde sich vom Körper trennen. Die Kämpferin neben ihm hielt sich gebückt wie eine alte Frau. Der erste Kampf, in dem es nicht nur um Rangabzeichen und die Streitereien von Jungen ging, und er war dem Tod weit näher als je zuvor, selbst als in der Nacht der Initiation.
Plötzlich hielten die Dämonen inne, kniffen ihre Augen ohne Brauen zusammen als lauschten sie. Der dritte zog sich durch das Loch in der Kommode auf den Dachboden und breitete die Flügel aus. Nur erhob er sich nicht in die Luft. Ein Riss lief von oben bis unten durch das Holz der Kommode. Dann brach es. Eine Hälfte der Kommode raste in einen Haufen Unrat, zerschmetterte einen mannshohen Spiegel und warf Kerzenleuchter durch den Raum, die andere Hälfte rammte sich in die Außenwand und riss ein Loch hinein. Die Kommodenhälfte stürzte hindurch, und durch die Öffnung fiel Sonnenlicht auf Arme und Beine aus Erde. Eine Faust hielt die Beine des dritten Geflügelten gepackt, der mit Flügeln und Armen um sich schlug. Die zweite Faust schloss sich um Gesicht und Brust des Dämons, und dessen Gefährten starrten auf die Szene. Das Krachen der Kommode, die zehn Schritt unter ihnen zerbarst, übertönte das Knacken, mit dem die Hand aus Erde das Leben in dem Dämonenkörper zerquetschte. Oram öffnete die Faust, und ein Bündel aus Fleisch und vorstehenden Knochen rutschte die Treppe hinab.
Sein Ruf war nicht unerhört geblieben.
Maro setzte zu einem Schwerthieb gegen den Fliegenden vor sich an.
Plötzlich stolperte der Golem seitwärts, stieß gegen die niedrige Decke. Pfeile sprossen ihm aus der Hüfte, und jede Sekunde bohrte sich ein weiterer hinein und raubte ihm das Gleichgewicht.
„Halt die Flieger ab!“, sagte Jilis. Sie warf das Messer fort und zog ihren Bogen, trat neben das Fenster. Die verbleibenden Dämonen setzten zum Sturzflug an. Maro hackte nach einem mit dem Säbel und schlitzte ihm ein Stück des Flügels ab. Der Verwundete flog eine enge Wende und strampelte in der Luft. Das Ungleichgewicht seiner Flugglieder zerrte ihn in die Reichweite des Golems. Der Riese breitete die Arme aus und schlug die Handflächen zusammen. Knochen knirschten, und die Reste des fliegenden Kriegers platschten in den Staub des Dachbodens. Jilis ließ den zweiten Pfeil von der Sehne und wischte sich das Blut aus dem Gesicht, das ihr in die Augen lief. Der letzte Geflügelte holte mit dem Waffenarm aus. Maro sprang dazwischen und blockierte den Angriff mit der ganzen Breite seiner Klinge.
„Geschafft“, sagte Jilis und drehte sich um, ließ den Bogen fallen. Sie setzte dem Dämon ein Hieb vor das Kinn, dass der sich fast überschlug und um sein Gleichgewicht kämpfen musste. Oram erhob sich langsam aus seiner Ecke. Keine Pfeile mehr, die ihn aufhielten.
Maro trieb dem Rothäutigen den Schwertgriff in den Bauch und brachte ihn näher zu den Erdpranken des Golems. Die Kreatur kreischte auf und wandte den Kopf zu den Seiten. Jilis zog an Maro vorüber, drehte sich auf den Zehen einmal um die eigene Achse und schleuderte den Dämon mit einem Tritt hinüber zu Oram. Das Bündel aus Flügeln trudelte durch die Luft, aber plötzlich spannten sich die Flughäute wieder und der Riese griff ins Leere.
Jilis sank auf ein Knie hinunter.
„Er entkommt!“
Der Dämon hielt auf das Loch in der Wand zu und schlug eifrig mit den Flügeln.
Nein, entkommen würde er nicht.
Maro sandte einen Befehl an Oram, und der Gigant setzte mit zwei Schritten in Bewegung. Der Dämon tauchte ins Sonnenlicht, und der Golem ihm hinterher. Wie ein Kind, das einen Ball zu fangen versucht, warf er sich voran, riss Balken und Splitter aus dem Loch in der Wand und stürzte hinaus.
Maro hielt die Luft an. Ein dumpfer Aufschlag, dann folgte Stille.
Ein Ächzen brach aus ihm, als er sich auf eine der Gerümpelkisten niederließ. Er lebte noch. Das Mädchen, das vor ihm auf dem Boden kniete, auch.
„Hat er ihn?“, keuchte sie.
„Vielleicht.“
„Das reicht mir nicht.“
Zitternd richtete sie sich auf und ging hinüber zu ihrem Bogen neben dem Fenster. Jeden Augenblick würde sie zusammenbrechen, wie es mit jedem anderen menschlichen Wesen schon längst geschehen wäre.
Maro griff in die Astralwelt und zog Körper und Geist wieder zusammen. Vorsichtig. Schon bei der ersten Berührung stöhnte er auf. Der Schmerz lief seinen Rücken wie Feuer herab, und in seinen Beinen brannten die Holzsplitter. Mit einem Ruck ließ er Geist und Körper eins werden. Die Wunden glühten auf und rissen ihn an den Rand einer Ohnmacht.
Jilis hielt den Bogen in Händen und kauerte an der Wand.
„Ja, wegen diesen Momenten wünsche ich mir manchmal, dass Kämpfe gar nicht erst aufhören.“ Sie lachte heiser. „Verdammte Höllenbestien.“
„Aus der Hölle kommen sie, denkst du?“
„Ich weiß, das ist zu einfach gedacht.“
Eine Wärme in ihm überstrahlte den Schmerz kurz. Zu einfach gedacht, vielleicht. Aber von der Erde konnten diese Wesen nicht stammen. Etwas Unsagbares hatte sie berührt, vielleicht geschaffen. Etwas, das nicht in diese Welt gehörte, aber doch hier war. Etwas, das er finden musste.
„Zumindest sind es keine Toten“, sagte er.
„Was meinst du?“
„Das ist doch deine Idee gewesen, dass ein Nekromant durch das Land zieht und es mit seinen toten Armeen verwüstet.“
Jilis schnaubte. Den Arm um den Oberkörper geschlungen, schwankte sie zu ihm herüber.
„Dann habt ihr einen Pakt mit den niederen Reichen noch dazu geschlossen. Wo diese Viecher herkommen.“
Maro krümmte sich unter seinen Verletzungen, aber kurz hielt er sich aufrecht.
„Es ist am Einfachsten, das zu glauben, nicht wahr?“
Der Blick der Kriegerin wanderte durch den Dachboden, als suche sie etwas. Dann sah sie nach unten.
„Schnauze.“
Sie verstauten ihre Waffen wieder, und Maro schnitt Stücke von einer Mullbinde ab. Sie wuschen die Wunden mit Wasser aus einigen Kübeln aus und verbanden sie. Im Moment, in dem sich der Stoff über den Schnitt in seinem Rücken legte, brannte die Wunde noch einmal, dass es ihm die Tränen in die Augen trieb. Mit dem Rest des Wassers löschte Jilis das Feuer im Kamin, den Blick abgewandt von den Leichen.
Maro stieg über die Dämonenkörper und den zerschmetterten Esstisch hinweg in die Lagerluke. Das Fleisch hatten die Eindringlinge nicht verschmäht. Der Duft nach tierischem Fett füllte noch die Kammer, aber an den Haken hingen nur noch handballengroße Überreste, übersät mit den Spuren der Nadelzähne. Die Bestien mussten tatsächlich nur in das Haus eingedrungen sein, um sich den Wanst vollzuschlagen und den Hof zu verwüsten.
Maro wickelte einen Leib Brot, einen Topf gelbes Gelee und ein Käsestück in ein Handtuch und steckte es ein.
Jilis erwartete ihn hinter dem Haus, wo sie dem Golem die Pfeile aus der Seite zog. Der Riese ließ die Behandlung regungslos über sich ergehen.
„Wenn das bei uns auch so leicht ginge“, murmelte sie. Durch die Binden an ihren Armen sickerte das Rot hindurch.
Unter den Pranken des Golems sammelten sich im Gras die Überreste des letzten Geflügelten.
Selbst, wenn sie eines der Wesen lebendig bekommen hätten, in der quiekenden Sprache hätte es ihnen nichts verraten können.
Jilis zog den letzten Pfeil aus dem Erdkörper und wischte sich die Hände ab.
„Ich gehe nachsehen, ob ich meinen Köcher bei den beiden Bogenschützen etwas auffüllen kann.“
Maro nickte, und die Kriegerin entfernte sich über die Ebene, über die der Wind hinwegpeitschte. Ja, die beiden fremden Auren in der Ferne... Zu fern mochten sie gewesen sein und ihn in die Irre geführt haben.
Er strich die Pfeillöcher in Orams Leib zu und schulterte seinen Proviantsack. „Wir sind möglicherweise schon nahe dran...“, sagte er und sah hoch zu dem Golem. Was für eine Dummheit. Mit belebter Erde zu reden. Und immer, wenn er sein Werk ansah, dachte er an den Namen, den der Händler ihm abgerungen hatte. Oram.
Schon einige Minuten war Jilis im hohen Gras der Heide verschwunden. Maro ging auf und ab, spähte zu der alten Mühle hinüber. Seltsam, dass die Dämonen über die Wiesen gewandert und dort ihre Spuren hinterlassen hatten, statt den Weg in der Luft zurückzulegen.
Die Wunden glühten noch wie ein schwelendes Feuer in seinem Fleisch. Kurz dem Schmerz entkommen.
Er wechselte zur Astralsicht und studierte das Haus. Keine Auren mehr, die das Licht des Lebens in sich trugen. Aber hinter ihm. Jilis Lebensflamme brannte hoch, aber wie geschüttelt von einem Sturm. Als habe der Sturm aus der normalen Welt auch auf die zweite übergegriffen. Aber die zwei Auren neben der der Kriegerin brannten gleichmäßig. Gleichmäßig. Wie schon, als er sie das letzte Mal betrachtet hatte. Wie lebloses Material, aber nichts hatte sich verändert. Die Astralsicht trog nicht, niemals. Etwas dort war nicht, wie es sein sollte. Er riss sein Schwert aus der Scheide und rannte los, dem Wind entgegen.
 
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Hallo,

blöde Kliffhänger :motz: (schreibt man das so?)

kleiner Fehler:
Sie rasteten nur, um Maro rastete nur, um seinen Wasserschlauch erneut zu füllen.

lg, Gandalf
 
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