-Teil 1-
Die Wachen der Stadt hatten zu kämpfen, die Händler drückten in die Stadt. Der Weg zum Tor war voll, eine lange Schlange hatte sich mittlerweile gebildet. Viele der Leute fluchten, doch die Soldaten mussten ihre Pflicht erfüllen. Jeder Wagen wurde flüchtig nach unerwünschten Passagieren durchsucht, und ob verbotene Kräuter zwischen dem Handelsgut waren. Kaum einem fiel die Nonne auf, welche mit ihrem Seesack aus der Stadt lief. Keiner fragte sie nach ihren Papieren, man hatte besseres zu tun. So manch Händler auf seinen Karren sah der Geistlichen hinterher, schüttelte aber nur den Kopf. Alleine umherziehen, das war selbst für eine Nonne nicht ungefährlich. Sie ahnten ja nicht, wer unter der Kluft war.
IIlene atmete auf, nur nicht zu schnell laufen! Nur keine Aufmerksamkeit erwecken. Bestimmt würden irgendwo die Spitzel hocken, alles beobachten. Die Attentäterinnen waren nicht dumm und ziemlich hartnäckig. Jetzt durfte sie sich keine Fehler erlauben.
Izual hatte ihr die Sachen gegeben, und in einer dunklen Ecke hatte sie die Kluft übergeworfen. Es war sehr ungewohnt, so herumzulaufen, die Leute reagierten ganz anders als sonst. Nickten einem zu, grüßten freundlich. Ansonsten grüßten sie nur die Männer der Stadt, legten ihren ganzen Charme in das Lächeln. IIlene hasste das, manchmal war es fast wie ein Spießrutenlauf, wenn sie einkaufen ging. Aber einen Vorteil hatte die Sache, bei den männlichen Händlern bekam sie meist alles billiger...
Der Seesack war schwer, und drückte ihr in die Seite. Außerdem war es heiß in den schwarzen Kleidern, sie schwitze überall. Zu gerne hätte sie diese Kapuze abgenommen, doch dann wäre ihre Tarnung nichts mehr wert. So stapfte sie missmutig den steinigen Weg entlang, neben ihr rumpelten die Karren der Händler vorbei. Das Klappern der Hufe, das Rufen der Ochsenführer lag in der Luft, hier und da schepperte es auch, wenn jemand ein Schlagloch erwischte. Am Straßenrand konnte sie sogar jemanden mit einem Radbruch sehen. Fußgänger gab es kaum, sie kämpfte sich meist alleine durch den Staub der Karren. Der Wald war nicht mehr fern, in seinem Schatten würde es angenehmer sein. IIlene legte an Geschwindigkeit zu, je eher sie dort war umso besser!
Endlich, nach einiger Zeit erreichte sie die ersten Bäume. Die Händler, welche aus dem Wald kamen, waren dagegen froh, endlich draußen zu sein. Hier lauerten überall Banditen, die überall zuschlagen konnten. IIlene machte dies keine Angst, sie hatte die Kralle griffbereit im Seesack. Sollte jemand kommen, würde er sein blaues Wunder erleben.
Die Sonnenstrahlen tanzten durch das Grün der Blätter, zauberten ein Lichtspiel in der pollenreichen Luft. Insekten brummten gemächlich durch die Luft, Ab und an rumpelte eine Gruppe Karren über den wurzelreichen Waldweg. Sie alle sahen der vermeintlichen Nonne hinterher, IIlene entschied, dass es wohl besser sei, ihre Kluft bei nächster Gelegenheit loszuwerden. Bloß wo?
Das Rauschen eines Flusses machte nach einiger Zeit auf sich aufmerksam. Eine gute Gelegenheit, die Kleidung würde aufs Meer rausgeschwemmt, ohne irgendwelche Spuren zu hinterlassen. In einem unbeobachteten Moment sprang die junge Frau von dem Waldweg ab, huschte zwischen den Bäumen hindurch. Immer wieder blieb der Rock irgendwo hängen, IIlene war völlig ungewohnt, in solch weiter Kleidung herumzuschleichen. Schließlich erreichte sie den kleinen Fluss, sah sich genau um. Das Wasser lud ein, und IIlene überlegte, ob sie nicht ein Bad nehmen sollte. Die Hitze des Sommers machte ihr zu schaffen, vor allem in dieser schwarzen Kleidung. Zumindest diese würde sie jetzt endlich loswerden. Mit einem erleichterten Seufzen legte sie den Seesack an einen Baum, zog sich die verhasste Kleidung aus. Sorgfältig knotete sie alles zusammen, machte ein Bündel daraus.
Plötzlich wurde sie unruhig. Sie wusste, was das bedeutete, die junge Frau hatte im Laufe der Zeit ein Gespür dafür entwickelt, wenn sie angestarrt wurde. Noch knotete sie weiter, doch ihre Augen suchen das Ufer und den Waldrand ab. Also von hinten.
Langsam erhob sie sich mit dem Bündel, stand nur noch mit ihrem verschwitzen Unterkleid da.
"Da möchte man doch gleich Gott danken, dass er eine seiner Schwestern hier runtergeschickt hat", tönte plötzlich hinter ihr eine Stimme. IIlenes Herz krampfte sich zusammen, doch sie blieb ruhig. Zu oft war schon eine Wache aus dem Schatten getreten, mit der sie nicht gerechnet hatte. Langsam drehte sie sich um. Kalt lächelnd lehnte ein Mann an dem Baum, seine Kleidung war schmutzig und mitgenommen. Zwei Dolche steckten in seinem Gürtel, ein rotes Band hatte der Unbekannte sich um den Kopf gebunden. Der Seesack! Er stand knapp dahinter. Sie konnte noch zwei weitere Banditen erkennen, welche links und rechts von ihr aus dem Wald traten. Das Leuchten in ihren Augen bedeutete nichts gutes.
"Was wollt ihr?", fragte IIlene den Banditen vor sich. Dieser war offensichtlich erstaunt, dass die Nonne keine Angst zu haben schien.
"Nun, könnt ihr euch das nicht denken?", grinste dieser kalt, kam näher auf sie zu. IIlene überlegte fieberhaft, wie sie an den Seesack kommen sollte.
"Wir werden uns etwas mit dir amüsieren, wenn du leben willst, dann sei ruhig und gib keinen Laut von dir", zischte der Unbekannte, zückte einen seiner Dolche. Die zwei anderen kamen auch näher. Die Gedanken der jungen Frau rasten, doch sie fällte ruhig die Entscheidungen. Die Kerle hatten sie mit den Nonnenkleidern gesehen, sie konnte sie nicht mehr gehen lassen... ihren würde sicher keiner eine Träne nachweinen.
Als die drei nur noch eine Armlänge von ihr entfernt waren, stürmte sie plötzlich los. Das Bündel hielt sie vor sich, der Bandit schlug überrascht den Dolch in dieses. Mit einer raschen Bewegung zog sie den zweiten Dolch aus dem Gürtel und wirbelte einmal um ihre eigene Achse. Der erste Bandit konnte gar nicht reagieren, als der Stahl durch deine Kehle schnitt. IIlene packte den tödlich Verwundeten und wirbelte mit ihm herum, ließ ihn los. Die anderen Banditen wollten gerade zustechen, doch der Körper ihres Kameraden riss sie beide um. Wild schreiend fielen sie zu Boden, während die junge Frau zu ihrem Seesack stürmte. Routiniert riss sie ihre Krallen heraus, zog sie über den Oberarm.
Die zwei Banditen hatten sich mittlerweile aufgerappelt, starrten geschockt das Blut ihres Freundes an, welches an ihnen klebte. IIlene stürmte auf sie zu, die Arme nach hinten gewinkelt. Mit fließenden Bewegungen sprang sie in die Luft, landete vor den beiden Männer und rollte sich ab. Die Klingen der beiden zuckten durch die Luft, ihre fuhr von unten aufwärts hoch und schlitze einen der beiden auf. Wieder erklang ein Kreischen, die junge Frau achtete nicht darauf. Eine Rolle nach hinten machend wich sie dem nächsten Schlag des dritten aus. Doch sofort, als die Beine wieder den Boden berührten, ging sie etwas in die Knie, schoss nach vorne. Der Gesetzlose konnte gar nicht mehr reagieren, als der Stahl sich in seinen Bauch bohrte, er durch die Wucht nach hinten flog. IIlene setzte nach, noch während der Verletzte sich mit aschfahlem Gesicht die Bauchwunde ansah und dabei zu Boden fiel, zuckten die Krallen wieder vor und bohrten sich in den Schädel des Opfers.
Schnaufend stand IIlene auf, ihr Unterkleid war mit Blut beschmiert. Die langen Haare durch den Kampf wirr, langsam tropfte der Lebenssaft von dem Stahl an ihrem Oberarm. Zwei der drei waren tot, der Dritte würde bald verbluten. Sein Stöhnen lag in der Luft, Blut rann aus den beiden langen Schnitten in seinem Körper. Die junge Frau stand noch eine Weile da, dann schüttelte sie den Kopf. Gemächlich lief sie zu dem Bündel der Nonnenkleider, öffnete dieses wieder. Damit wischte sie sich ab, ritzte die Kluft auf. Dann schmiss sie die blutigen Fetzen zwischen die Banditen, packte die Klingen weg. Jetzt sah es so aus, als wäre hier ein Bandenkampf um diese Nonne gewesen, die Leichen der letzten beiden Banditen mussten allerdings weg. Die Wunden waren zu charakteristisch für die Krallen. So packte sie den ersten, zog ihn in den Fluss und stieß ihn hinein. Die Strömung würde sich seiner annehmen. Der zweite folgte, eine Blutspur hinter sich herziehend. Anschließend wusch sie sich selber, schmiss das Unterkleid weg. Anschließend huschte sie zum Sack, zog sich frisch an und hängte ihn wieder um. Noch einen Blick auf den blutbeschmierten Boden und auf den ersten Banditen werfend, dann eilte sie in den Wald. Der leere Blick des Unbekannten starrte immer noch verblüfft in den Himmel.
Jedes Knacken vermeidend trat IIlene durch den Wald, versteckte sich hinter den Bäumen. Sie achtete genau darauf, das niemand auf dem Weg war, als sie diesen betrat. Eilig fuhr sie sich noch mal durch ihr langes Haar und strich sich das schlichte Sommerkleid glatt. Unscheinbar, so sollte sie wirken. Eine unter vielen.
Weiter ging es über den Waldweg, das Bad und die leichte Kleidung trugen ihren Teil dazu bei, dass es nun angenehmer war. Nur der schwere Seesack, den würde sie nicht ändern können. Im Geiste ging IIlene noch einmal den Kampf ab. Fremde Männer hatten sie fast nackt gesehen, dieser Umstand ärgerte sie. Wahrscheinlich wie jede Frau auf dieser Welt. Reue für ihre Tat empfand sie nicht, diese Menschen hatte nichts anderes verdient. Ohne Ehre, ohne Mitgefühl, ohne Gewissen. Gnade konnten diese Banditen nicht von ihr erwarten. Die Routine hatte tiefe Spuren in ihr hinterlassen......
Stundenlang lief sie durch die Wälder, immer dem Weg folgend. In ihren Gedanken ließ sie die letzten Stunden nochmals geschehen. Sie konnte immer noch nicht glauben, was sie gerade machte, und wie sie dazu gekommen war. IIlene fragte sich, ob das alles nicht nur ein Traum war, einer unter vielen in den letzten Jahren. Anfangs war es schlimm, Alpträume waren ihr ständiger Begleiter in der Nacht. Andere töten zu müssen, das zerstörte sie innerlich. Stumpfte sie ab, ließ sie Nachts schreiend aus dem Bett schrecken. Es war furchtbar, und es dauerte, bis sie endlich damit leben konnte. Oft hatte sie sich vor sich selber geekelt, Selbstmord ging ihr immer wieder durch den Kopf. Und doch, sie hatte keine anderen Wahl gehabt. Die Bandenführer hätten sie zur Strecke gebracht, weil sie zu viel wusste. Über deren Identität, über die Unterwelt.... IIlene wurde ein Teil von ihr, wurde immer tiefer in sie hineingezogen. Längst hatte die junge Frau den Tag bereut, an dem sie ausgezogen war, um Rache zu nehmen. Er hatte sie in diesen Teufelskreis gebracht, aber anscheinend bot sich nun eine Chance, aus diesem zu entkommen. Wenn sie es schaffte. Zweifel plagten IIlene, eine ganze Sekte auslöschen.... ein Mensch alleine? War das überhaupt möglich?
Am späten Nachmittag konnte sie endlich Duncraig ausmachen, die berühmte Handelsstadt, welche immer im Schatten von Kingsport war. Es war eine relativ junge Stadt, gegründet von reichen Händlern, welche keine Handelssteuern in Kingsport zahlen wollten. Da die Stadt aber keinen Hafen hatte, konnte sie ihrem großen Vorbild nie gefährlich werden. Dennoch wurden hier viele Güter umgesetzt, um Kingsport zu entlasten.
Mitten auf einem kleinen Hügel befand sich die Stadt, geschützt durch eine dicke Stadtmauer. Duncraig war wohlhabend, viele reiche Bürger wohnten hier.
IIlene verließ den Wald, wurde wieder der Sonne ausgesetzt. Eilig marschierte sie trotz schmerzender Beine über den steinigen Weg, konnte sehen, wie viele Karren aus der Stadt strebten. Anscheinend war der Markt vorbei. Erschöpft erreichte die junge, verschwitzte Frau schließlich eines der Stadttore, wurde von dem Posten ohne Probleme durchgewunken. Was sollte schließlich an einer junge, hübschen Frau schon auszusetzen sein?
In den Gassen der Stadt tobte das Leben, IIlene schlängelte sich durch die Karren und Leute. Gepflegt war es hier, man merkte den Wohlstand überall. Prächtige Häuser, viele Villen, Kanalisation und gute Straßen gab es hier. Zahlreiche Brunnen standen den Bürgern zu Verfügung, aus einem nahm sie erstmal einen tiefen Schluck. Ein Wirthaus, das würde sie erstmal brauchen. Eines, welches etwas abseits stand, bei dem man gleich in die nicht beleuchteten Gassen verschwinden konnte.
Nach kurzer Suche entdeckte sie in einer Nebengasse ein Aushängeschild. Zum Hirsch konnte man lesen, ein Wirthausname, der so oft verwundet wurde. IIlene schritt auf dieses zu, öffnete die Türe und trat ein. Sofort wurde sie von vielen Augenpaaren neugierig gemustert, aber das war die junge Frau schon gewohnt. Zielstrebig lief sie zum Tresen, hinter dem ein dicker Mann mit Schnauzer stand.
"Ich grüße euch, was kann ich euch bringen?", fragte er sie sofort freundlich.
"Im Moment nichts, danke. Habt ihr noch ein Zimmer frei?", fragte IIlene in abwinkend zurück.
"Natürlich, das Zimmer kostet 1 Silberling die Nacht. Frühstück ist mit dabei", nickte der Wirt.
"In Ordnung, das nehme ich", erwiderte sie nach kurzem Nachdenken.
"Wunderbar, wartet, ich hole schnell den Schlüssel", meinte der dicke Mann und verschwand kurz in einem Nebenzimmer. IIlene lehnte sich an den Tresen und beobachtete aus dem Augenwinkel heraus die anderen Gäste. Der Kleidung nach viele Händler, welche hier nach einen Arbeitstag noch einen zusammen tranken. Nichts besonderes, sah man von ihren lüsternen Blicken ab. Männer, sie dachten sicher immer nur an das eine.....
Der Wirt kam zurück, kam um den Tresen und wies ihr den Weg zum Zimmer. Eine Holztreppe ging es hoch, eng und knarrend. An den weißen Wänden hingen kleine Landschaftsbilder, der Dielenboden war mit dicken Teppichen belegt. IIlene erinnerte es an das Haus ihrer Oma, welche genauso lebte. Wie lange war das jetzt schon wieder her, als sie das letzte mal dort war? Jahre, sie zogen immer schneller ins Land.
Schließlich blieben sie vor einer Türe stehen, eine schmucklose Holznummer hing an der Türe. neun.
"Fühlt euch wie zuhause, wie lange wollt ihr bleiben?", fragte der Wirt und öffnete umständlich die Türe.
"Das weiß ich noch nicht, ich will mich hier umsehen. Ihr wollt sicher einen Vorschuss?", fragte IIlene ihn. Die Augen des Wirts blitzen kurz auf, sie kannte die Prozedur. Langsam stellte sie den Sack ab, kramte absichtlich lange in diesem herum. Natürlich wusste sie, wo der Goldsack war, aber es solle so aussehen, als würde sie ihr letztes Gold zusammensuchen. Das ersparte ihr unerwünschten Besuch in der Nacht. Schließlich drückte sie dem Wirt dann zwei Goldstücke in die Hand. Dieser bedankte sich und rief noch, sie könne jederzeit zu ihm kommen, wenn sie was bräuchte, bevor er die Treppe hinabstieg. Die junge Frau schleifte den Sack ins Zimmer, schloss die Türe hinter sich und lehnte sich dagegen. Danach schnaufte sie aus. Geschafft. Endlich Ruhe.
Ihr Blick glitt durch das Zimmer. Alles altbäuerlich, so konservativ das man nur durch den Anblick schon gähnen musste. Aber es war egal, IIlene hatte er nur vor hier zu schlafen, tagsüber hatte sie anderes zu tun.
Sie machte sich daran, ihre Sachen in den kleinen Schrank zu packen, doch wohin mit ihrem schwarzen Anzug und den Klauen?
Die junge Frau lief zum Fenster, öffnete dieses. Der Blick ging in einen Hinterhof, es schien so etwas wie ein Garten zu sein. Zahlreiche Leute waren dort zugegen, anscheinend hielt man dort gerade einen Schwatz ab. Sicherlich die Frauen von ein paar Händlern, die angrenzenden Häuser verstärkten diesen Eindruck. Die hatten den Tag über nichts anderes zu tun, den Haushalt erledigten die Bediensteten.
IIlene musterte die Häuser, genoss noch einmal ein paar Sonnenstrahlen, bevor sie wieder die Fenster zumachte. Also draußen verstecken war nicht drin. Gründlich durchsuchte sie das Zimmer, fand aber kein brauchbares Versteck. Schließlich entschied IIlene, sich die Sachen in einen kleinen Seesack, welchen sie mitgenommen hatte, auf ihre Suche mitzunehmen. Es war ziemlich sicher, dass ihr Zimmer von Gaunern durchsucht wurde, welche mit dem Wirt unter einer Decke steckten. Vor allem bei einer Frau, die hielt man für unvorsichtig. Sie kannte das zu genüge, traue niemanden in einer fremden Stadt....
Sich noch kurz in dem kleine Bad frischmachend, danach verließ die junge Frau das Zimmer und schloss ab. Doch bevor sie ging, klebte sie mit Spucke ein Haar an den Türspalt, darauf achtend, dass niemand im Gang war. So konnte man schnell feststellen, ob ungebetener Besuch im Zimmer war.
Mit einem Band hatte sie das lange Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden, das war bei der Hitze angenehmer. Wieder knarrte die alte Treppe unter ihrem Gewicht, keine guten Vorraussetzungen, um sich aus dem Haus zu schleichen.
In dem Lokal selbst gab sie den Schlüssel beim Wirt ab, sagte schnell etwas von in der Stadt umsehen und verschwand auch schon, bevor der Wirt noch was sagen konnte. Der würde sicher auch denken, was für ein komisches Mädchen, aber das war IIlene in dem Moment egal. Etwas ratlos stand sie vor der Türe und überlegte. Eine riesige Stadt, wo sollte sie mit der Suche anfangen?
Hatte Izual mal nicht von Angriffen auf die Kloster gesprochen? Vielleicht gab es hier ja eines in der Stadt. Zumindest fiel ihr im Moment nichts besseres ein.
So lief sie einfach los, strebte durch die kleinen Winkelgassen zurück auf die Hauptstraße. Es war immer noch viel los, desöfteren musste IIlene rasch zur Seite springen, um nicht über den Haufen gefahren zu werden. Wie in Kingsport, schoss ihr unweigerlich durch den Kopf.
Die Stadt war wirklich prächtig aufgebaut, die Fassaden der Häuser strotzen nur so vor liebevollen Details und Figuren. Beeindruckt lief die junge Frau umher, sah sich um. Immer wieder hielt sie Passanten an, fragte nach dem Weg zum Kloster. Eine ältere Dame konnte ihr schließlich den Weg beschreiben, und so folgte IIlene ihren Schilderungen. Das Kloster lag an der Stadtmauer, abseits des Trubels. Es war relativ klein, aber was anderes konnte man hier nicht erwarten. Dafür gab es hier viele Kirchen, in denen die frommen Brüder ihre Predigten hielten.
Eine kleine Mauer umgab das Kloster, in seinem Inneren waren die Unterkünfte und eine kleine Klosterkirche untergebracht. Der Schatten der Bäume lud zum Rasten ein, ein großer Brunnen stand mitten am Vorplatz. Kleine Kräuter- und Gemüsegärten waren an der Mauer angelegt, Mönche zupften gerade Unkraut. Andere liefen andächtig durch die Gärten, lasen in Büchern. Ein Bild der Idylle, im Gegensatz zu dem hektischen Treiben der Stadt.
IIlene schlenderte zum Brunnen, trank ausgiebig. Durst hatte sie, die Hitze war selbst um diese Zeit noch drückend. Ihre Augen sahen sich wieder um, Gedanken zuckten durch ihren Kopf. Wie jetzt weiter? Sollte sie einfach einen der Mönche fragen? Diesen Gedanken verwarf sie jedoch gleich wieder, zu auffällig. Vielleicht... gab es hier ja noch irgendwelche Spuren, irgendwas musste es doch geben.
IIlene löste sich von dem Brunnen, schritt auf die Klosterkirche zu. Neugierig musterte sie die Klosterfenster, bemerkte an einem Fenster das frische Blei. Das Fenster sah auch sonst neuer aus als die anderen, was war hier passiert?
Aufmerksam mustere sie die alten Mauern, die Zeit hatte ihre Spuren hinterlassen. Im inneren konnte sie die Mönche singen hören, ihre tiefen Stimmen lösten in ihr eine Gänsehaut aus. Es unterstich die Besonderheit dieses Ortes.
Die junge Frau umrundete die Kirche, sah sie genau an. Doch erst als sie wieder fast an der Front war, fiel ihr etwas auf. Ein heller Fleck im ansonsten dunklen Stein der Kirchenmauer. Neugierig lief sie vom Weg runter, und trat über den Rasen auf die Mauer zu. Der Stein war an der Stelle beschädigt, es sah so aus als, hätte man einen Streifen weggemeißelt. Nicht tief, aber hastig und nicht sehr ordentlich. Das passte nicht zu dem sonstigen Perfektionismus dieser Kirche.
"Kann ich euch helfen, junge Frau?", tönte es leben ihr, ein Mönch trat auf sie zu. Er war wohl im Garten gewesen, auf jeden Fall hatte IIlene ihn nicht bemerkt. In den Händen hielt er ein dickes Buch, ein goldenes Kreuz zierte den dunklen Einband. Wahrscheinlich eine Bibel.
Der Mönch trug die typische Kluft aus schlichten Leinen, ein Band diente als Gürtel. Sein Blick war nicht vorwurfsvoll, freundlich lächelte er sie an.
"Entschuldigt, wenn ich so einfach auf der Wiese laufe, aber ich bemerkte diesen Schaden an der Kirche und wollte nachsehen", entschuldigte sich IIlene vorsorglich.
"Das macht nichts. Ihr seid nicht von hier oder?", fragte der Mönch sie.
"Ja, wie kommt ihr darauf?", fragte sie zurück.
"Nun, dann wüsstet ihr sicher, was ihr vor euch habt. Ich will es euch erklären, vor ein paar Wochen wurden wir Opfer eines Überfalles. Die Unholde töteten viele unserer Brüder, zerstörten alles, was ihnen in die Finger kam. Erst als die Stadtmiliz anrückte, verschwanden sie ebenso schnell, wie sie gekommen waren. Es war grausam, und ich hoffe, dass die Übeltäter ihre Strafe vom Allmächtigen bekommen", erklärte der Mönch. Man sah ihm an, dass er unter den Erinnerungen litt, doch er schnaufte nur ein paar mal auf, blieb ansonsten ruhig.
"Wirklich? Wir furchtbar. Weiß man, wer das war?", fragte IIlene und spielte die Geschockte. Der Mönche schüttelte den Kopf.
"Nein, wir wissen es nicht", erwiderte er. Dabei blinzelte er unbewusst und sah kurz zur Seite. Sie wusste sofort das er log. Doch sie bohrte nicht nach, das war Bestätigung genug.
"Und die Angreifer haben die Mauer hier beschädigt?", fragte sie stattdessen unschuldig.
"Nein, das waren wir. Die Unholde hinterließen einen Schriftzug, welchen sie mit Blut auf diese Stelle schrieben. Wir mussten es wegmeißeln, die Zeit wird sich dem Stein annehmen und ihn bald wieder so erscheinen lassen wie die anderen. Ebenso werden die Narben in unseren Seele irgendwann verschwinden, durch den Trost, den uns Gott gibt", seufzte der Mönch.
"Darf ich fragen, was dort stand?", fragte Illene vorsichtig nach.
"
Obscuritas vos exstinguet!", antworte der Mönch und lächelte. Also doch! Sie waren hier. Trotz ihrer Freude ließ sie sich nichts anmerken und schaute ihn verwirrt an.
"Was?", fragte die junge Frau, tat so, als würde sie die Sprache der Alten nicht verstehen.
"Es ist besser, wenn ihr es nicht wisst. Gehabt euch wohl, möge das Licht mit euch sein", nickte der Mönch ihr freundlich zu. Dann drehte er sich um, stieg wieder auf den Weg und lief langsam zu den Unterkünften. IIlene sah ihm nach, heimlich lächelte sie in sich hinein. Er konnte ja nicht wissen, dass sie damals als junges Mädchen durch ihren Opa in dieser Sprache unterrichtet wurde. Anfangs mochte sie diese überhaupt nicht, schwer und kompliziert war die Sprache. Doch der Alte war gewieft, versteckte Früchte in seinem Garten und schilderte ihr in der Sprache, wo sie lagen. Später, da unterhielten sie sich in der Sprache der Alten, wenn niemand anderes mitbekommen sollte wie sie gerade über etwas lästerten. Es waren schöne Momente, und sein Tod hatte sie damals mitgenommen. Niemand lebte ewig, aber dennoch war der Verlust sehr schmerzhaft.
IIlene schlenderte durch die Gärten und dachte nach.
Obscuritas vos exstinguet ,Dunkelheit wird euch verzehren. Keine Frage, Obscuritas war hier. Doch wo?
Gab es hier vielleicht noch andere Beweise? Doch die junge Frau schüttelte den Kopf, die Sekte würde sicher peinlich genau darauf achten, nichts zurückzulassen, was sie verraten könnte. Blutritter, wie diese Krieger wohl aussahen? Sie konnte überhaupt nicht einschätzen, wie gefährlich diese waren. Wehrlose Mönche niedermetzeln, das verlangte kein großes Geschick. Und dennoch, man sollte nie einen unbekannten Feind unterschätzen.
Sollte sie die anderen Kirchen noch aufsuchen und sich dort nach Hinweisen umsehen? Das fragte IIlene sich die ganze Zeit. Doch, was würde es bringen? Außer eilig beseitigten Schäden würde sie wohl nichts vorfinden. Verdammt, sie brauchte einen Ansatz für ihren Hebel, um die Sekte auszuhebeln. Doch wo sollte sie diesen finden?
Ein alter Mönch kam auf einem Krückstock den Weg entlanggekeucht. Man sah ihm an, dass ihm das Laufen schwer fiel. In der Hand hielt er ein paar Blumenstöcke, welche er vorsichtig in seiner anderen Hand trug. Er tat IIlene sofort Leid, und sie schritt auf den Alten zu. Sie wusste von ihrem Opa, wie mühsam das Leben in diesem hohen Alter sein konnte.
"Kann ich euch helfen?", fragte sie ihn freundlich, und der Mönch sah auf.
"Das wäre sehr nett von euch, junge Frau", meinte dieser dankbar und übergab ihr die Blumenstöcke. Sie schnupperte daran, erfreute sich am Duft der Blüten.
"Wollt ihr die hier in den Gärten pflanzen?", fragte IIlene ihn, als sie langsam weiterliefen.
"Nein, leider nicht. Sie sollen das Grab eines Bruders schmücken, welcher bei dem Angriff ums Leben gekommen ist", antworte der Alte traurig. Sie schluckte.
"Es tut mir Leid, das wusste ich nicht", entschuldigte IIlene sich. Doch der alte Mönch winkte ab.
"Woher solltet ihr das auch wissen. Er sitzt jetzt sicher an der Seite meines Herren und ist glücklich", meinte er dann freundlich zu ihr. Ein zynisches Grinsen huschte über das Gesicht von IIlene. Genau das hatte der Pfarrer ihr auch gesagt, als ihr Opa, und später die Eltern tot waren. Welch Trost für jemanden, der nicht richtig daran glaubte, für den war es eher blanker Hohn.
"Ihr scheint diese Meinung nicht zu teilen?", fragte sie der Alte plötzlich. Er schien es mitbekommen zu haben. Sie seufzte.
"Wisst ihr, in meinem Leben sind so viele Dinge passiert... was ihr gesagt habt, das habe ich schon zu oft zu hören bekommen", sagte die junge Frau dann.
"Nun, gibt es einen anderen Trost als diese Vorstellung?", fragte der Mönch, während sie aus dem Kloster traten.
"Nur den, dass sie nicht mehr leiden müssen", antwortete IIlene.
"Für eine Frau in eurem Alter seid ihr ziemlich desillusioniert", meinte der Mönch bedauernd.
"Wie schon gesagt, ich habe schon zu viel erlebt, als dass ich mir noch Illusionen machen dürfte. Es tut nur weh...", meinte IIlene. Doch, ein Erzengel hatte ihr ein kleinen Lichtblick gegeben, aber wer wusste schon, ob er auch sein Wort halten würde? Oder ob sie dieses Unterfangen überhaupt überleben würde? Es war alles so verrückt, war das Hoffnung, was sie verspürte? Schon ewig hatte sie dieses Gefühl nicht mehr gespürt.
"Ein Mensch braucht Illusionen, seine Träume. Ohne diese kann er in dieser Welt nicht überleben", sagte der Alte und sah sie an.
"Da mögt ihr Recht haben", erwiderte IIlene schulterzuckend.
"Es gibt nur eine Gewissheit, und das ist Gott. Alles andere ist nur pure Phantasie, jeder Mensch sieht sie anders. Nehmt die Welt, jeder sieht sie in seinen Augen anders. Für manche ist sie wunderschön und einmalig, andere sehen sie als Strafe an. Nur die Liebe und der Glaube vereinen uns alle, aber auch der Hass und die Gier. Und es kommt auch vor, dass der Glaube missbraucht wird, die Liebe ebenso. Nichts ist wie es scheint. Jeder Mensch braucht in diesem Chaos einen Haltepunkt, etwas, zu dem er aufsehen kann, an den er glauben kann. Ich... ich glaube an das Licht, an Gott. Auch ihr, so verbittert ihr auch sein mögt, ihr glaubt auch an etwas. Ich weiß nicht an was, aber es ist auch egal.
Was unterscheidet euren Glauben von meinem? Beide dienen zu unserem Trost, um uns einen Halt zu geben. Gott hat viele Gesichter, kann viele Formen annehmen. Alles was uns Trost und Glück spendet, das ist er. Für jeden Menschen anders, und doch ist er für alle da", sagte der Alte heiter. IIlene musste lächeln.
"Eine schöne Vorstellung, die ihr habt, ich beneide euch darum", meinte sie dann ehrlich.
"Mein Kind, auch ich habe im Laufe meines Lebens viel gesehen, darunter auch viel Leid. Ohne meinen Glauben wäre ich nicht das, was ich heute wäre. Also kann es so schlecht nicht gewesen sein. Ich habe Menschen Gutes getan, habe viele Mitbrüder, welche sich um mich kümmern. Wahrlich, ich bereue nichts. Und sollte ich einmal sterben.... dann werde ich ja sehen, was mich erwartet", nickte der Alte und zwinkerte ihr zu. Die junge Frau lachte kurz auf und schüttelte den Kopf.
"Ihr erinnert mich an meinen Opa, er war auch so eine Frohnatur", sagte IIlene.
"Ältere Herrschaften neigen halt dazu, mit ihrem wirren Geist die Dinge wesentlich leichter zu sehen als andere", zuckte der Mönch mit den Schulter, die Ironie war nicht zu überhören.
Schließlich erreichten sie den Friedhof. Er war neben dem Kloster angelegt, eine ehrfürchtige Stille herrschte hier. IIlene folgte dem Alten zu einem frischen Grab, und übergab ihm wieder die Blumen.
"Junge Frau, ich danke euch für eure Hilfe. Gehabt euch wohl, und ich hoffe, ihr findet in euren Leben noch die Freude, nach der ihr strebt", verabschiedete er sich von ihr.
"Lebt wohl, ich hoffe, ihr habt noch viele glückliche Jahre vor euch", nickte IIlene ihm zu.
"Das liegt nicht an mir", winkte der Mönch ihr schmunzelnd zu. Die junge Frau schlenderte wieder nachdenklich an den Gräbern vorbei, lass nebenher die Inschriften. Viele frische Gräber gab es hier, wahrscheinlich die der toten Mönche.
Der große Friedhof wies die unterschiedlichsten Gräber auf, vom schlichten Holzkreuz bis zum Marmorstein gab es hier alles. Wieder kam sie an ein aufwändiges Grab, wer hier wohl lag. Julius von Augstein, erst letztes Jahr gestorben. Die Stadt dankte ihm für seine Dienste, sicher ein hoher Beamter oder gar ein Mitglied des Bürgerrats. Gerade wollte IIlene weiter, da fiel ihr was am Rand des Grabsteins auf. Der Rand war mit einem Muster verziert, aber ganz oben stand was im Muster drin. Sie beugte sich etwas vor, um die Schrift zu lesen. Requiescat in pace. Er oder Sie ruhe in Frieden. Komisch, das hatte sie bisher sonst nirgends gesehen... wer zierte den seinen Grabstein mit der Schrift der Alten?
IIlene blinzelte, dann kam ihr eine Idee. Schnell huschte durch den Friedhof, besah sich die Grabsteine. Unter den normalen Bürgen war nirgends eine Inschrift dieser Art, nur bei den Gräbern der Reichen tauchte diese immer in dem Muster versteckt auf. War das Zufall? Oder ein letzter Gruß der Sekte, welche diese Schrift beherrschte?
Eilig zog sich IIlene ein Stück Papier und etwas Kohle aus ihrem Seesack und schrieb die Namen ab. Immer darauf achtend, dass sie niemand beobachtete. Am Schluss hatte sie eine Liste mit ein paar Namen, allesamt hatten sie diese Inschrift am Grabe. Wenn sie jetzt noch rausbekam, wer diese Personen waren..... war da nicht eine Bibliothek? Diese hatte dich sicher ein Register ihrer Bürger, zumindest war das in Kingsport so. Gedanken rasten durch ihren Kopf, sollten diese Leute wirklich hohe Posten in dieser Stadt gehabt haben, dann wäre ihr Verdacht vielleicht sogar bestätigt?
Eilig rollte sie die Rolle zusammen und huschte vom Friedhof. Sie musste zu der Bibliothek, die Zeit drängte. Es würde nicht mehr so lange dauern, bis diese zumachen würde. Und es gab noch viel zu tun.
Passanten sahen der junge Frau nach, wie sie durch die Gassen eilte. Manche schüttelten den Kopf, andere fluchten, wenn sie fast von ihr überrannten wurden. Doch das war IIlene egal, durch die Menschenmassen suchte sie sich ihren Weg. Die Zeit rann ihr zwischen den Fingern hindurch wie feiner Sand, unaufhaltsam. Schließlich erreichte sie noch das große Gebäude. Außer Atem blieb IIlene in der großen Halle stehen und sah sich um. Überall Regale mit Bücher und Rollen, verteilt auf zwei große Stockwerke. Selten zuvor hatte die junge Frau so viele Schriftstücke an einem Ort gesehen.
Immer noch nach Luft schnappend lief sie zu einer der Aufsichten und fragte wo das Bewohnerregister der Stadt sei. Die Aufsicht runzelte etwas die Stirn, doch dann zeigte sie IIlene wo die Registerschränke waren. Wenige waren es nicht, und IIlene verdrehte erstmal die Augen. Das würde dauern.....
Es wurde schon Abend, und die meisten Gäste waren aus der Bibliothek schon draussen, als bei Kerzenschein immer noch eine junge Frau an einem Tisch saß. Um sie herum auf der Tischplatte verteilt Schriftrollen, welche sie genau durchlas. Schließlich entdeckte sie, was sie suchte und übertrug es auf ihre kleine Liste. Danach lehnte IIlene sich zurück, rieb sich die Augen. Wie lange sie hier saß, keine Ahnung. Aber jetzt hatte sie alle beisammen.
Man konnte von Glück reden, dass dieses Register einigermaßen geordnet war. Dennoch befanden sich viele Rollen nicht am richtigen Platz, waren wahrscheinlich von schlampigen Besuchern vertauscht worden. Aber dergleichen hatte sie schon geahnt. Zudem, die Mühe hatte sich gelohnt. Stolz überflog sie nochmals die Liste, hinter jedem Namen stand jetzt alles, was sie wissen musste. Und sie hatte Recht, alle Toten bekleideten hohe Ämter hier in der Stadt. Der jüngst Verstorbene war sogar Bürgermeister, eine Lungekrankheit hatte ihn dahingerafft.
IIlene bemerkte, wie die Aufsicht sie beobachtete, wahrscheinlich wollte sie endlich zumachen. Die junge Frau stand auf, räumte die Rollen weg und schnappte sich den kleinen Seesack. Die eigene Rolle hatte sie zuvor unauffällig darin verschwinden lassen.
Zügig verließ sie die Bibliothek, und kaum war sie aus der Tür getreten, konnte sie hören, wie diese abgeschlossen wurde. Wahrscheinlich hatten die Angst, dass sie noch was vergessen haben könnte. Bei dem Gedanken musste sie schmunzeln.
Ein Magengrummeln erinnerte sie daran das sie heute noch nichts gegessen hatte. Nun, in dem Gasthaus würde es sicher etwas geben. Daher rückte sich IIlene noch mal den Seesack zurecht und lief dann los. Der Himmel hatte sich rot gefärbt, längst war die Sonne hinter dem Horizont verschwunden. Bedienstete liefen durch die Stadt und entzündeten Laternen an den Häuserwänden. Prächtig gekleidete Herrschaften liefen durch die Straßen, sicher auf den Weg zu irgendeinem Lokal oder um sich im Theater zu unterhalten. Aber auch so manch Trunkener war schon um diese Zeit auf den Straßen unterwegs, wurde aber bald freundlich und bestimmt von einer Stadtwache nach Hause gebracht.
IIlene schlenderte durch die hellen Gassen, besah sich die Gaukler und Sänger in der Straße, welche für einen Entlohn ihre Kunst darboten. Ihre Töne hallten durch die Stadt, und die junge Frau musste sich beherrschen, nicht mitzutanzen. Sie liebte doch Musik so, wie lange hatte sie nicht mehr getanzt? Vielleicht.... wenn das alles mal vorüber war, dann würde sie sich wieder diese Unterhaltung gönnen.
"Darf ich bitten?", tönte es plötzliche neben ihr. IIlene fuhr herum, sah einen adrett gekleideten jungen Mann. Er deutete eine Verbeugung an und hielt ihr die Hand hin. Etwas nervös lächelnd winkte sie ab, doch der Fremde schien sich nicht so leicht abwimmeln zu lassen. Eher sie es sich versah, hatte er schon ihre Hüfte umarmt und die Musiker setzten ein. IIlene spielte ein paar Momente mit dem Gedanken sich einfach loszureißen, aber sie gab nach. Zudem, wie sie bald merkte, der Fremde ein vorzüglicher Tänzer war. Er sah adlig aus, aber warum würde sich ein blaublütiger mit einem schlichten Mädchen wie ihr abgeben?
"Ich wusste doch gleich, dass ihr tanzen könnte, ich hab es euch angesehen", grinste der Fremde.
"Darf ich erfahren, wer ihr seid?", fragte IIlene ihn.
"Ist das so wichtig? Genießen wir beide doch einfach diesen Tanz, lassen uns von ihm tragen. Nur das zählt", lächelte der Mann. Sie schaute ihn etwas verdutzt an, erwiderte aber nicht. Warum nicht, das war ihr gerade recht, wenn er ihren Namen nicht erfuhr.
So tanzten beiden auf der Gasse, zahlreiche Leute sahen zu. Nur wenige schlossen sich ihnen an. IIlene verfluchte in dem Moment den Seesack, er war doch ziemlich lästig. Aber der Fremde ließ sich dadurch nicht behindern, und erst als die Musik aus war, ließ er IIlene los.
"Ich danke euch für den Tanz", nickte er und drehte sich dann um, verschwand in der Menschenmenge. IIlene blieb etwas überrumpelt stehen, doch dann fing sie sich wieder und zog ärgerlich von dannen. Wie ein Mädchen hatte sie sich verhalten, wahrscheinlich war sie auch noch rot geworden. Und doch, innerlich musste die junge Frau zugeben, dass es schön war. Wenn auch ungewöhnlich.
Nach der ungewollten Tanzeinlage gelangte sie schließlich wieder zu ihrem Gasthof und trat ein. Es war voll, dicker Rauch von den Pfeifen lag in der Luft. Widerlich, IIlene hasste sie. Deshalb trat sie vor zur Theke und suchte Blickkontakt mir dem Wirt. Dieser bemerkte die junge Frau und kam auf sie zu.
"Was könnt ihr mir zu Essen anbieten?", fragte sie ihn gegen den Lärm der Taverne an.
"Braten und Gemüse", erwiderte der dickliche Mann.
"Bringt mir bitte eine Portion hoch auf mein Zimmer, danke", deutete sie ihm an, nickte ihm zu und verschwand aus der Taverne. Dort auf der Treppe hustete sie erstmal, schüttelte den Kopf und stieg hoch. Es knarrte wieder bei jeder Stufe, so als schienen die Treppenstufen zu protestieren.
Vor ihrer Zimmertüre angekommen kontrollierte IIlene erstmal ihre kleine Sicherung. Das Haar war zwischen dem Türspalt eingeklemmt, also hatte sie doch wieder Recht. Etwas missmutig öffnete die verärgerte Frau die Türe und trat ein. Es war immer noch warm in dem Zimmer, und dunkel. Zeit, ein Feuer im Kamin zu entfachen.
Mit dem Zündsteinen war IIlene mittlerweile geübt, bald stachen die ersten kleinen Flammen aus der Glut. Während sich das Feuer immer weiter vergrößerte, öffnete sie das Fenster, um die kühlere Abendluft reinzulassen.
Ein Klopfen an der Türe ließ sie sich aufsetzen, es war der Wirt mit dem Essen.
"Ihr zieht es wohl vor, alleine zu essen?", fragte dieser grinsend und stellte die Platte auf den kleinen Tisch.
"Ich hasse Pfeifenrauch, nur deswegen", meinte IIlene und zuckte mit den Schultern.
"Kann ich verstehen. Guten Appetit, bringt das Besteck einfach morgen früh mit runter", nickte der Wirt uns schloss die Türe hinter sich.
IIlene legte Wert auf ein gutes Essen. Es gab nicht viel im Leben, was sie als normal betrachten konnte, aber das gehörte dazu. Und deshalb war es ihr auch so wichtig.
Die Kost war nicht umwerfend, aber zufriedenstellend. Was sollte man hier auch anderes erwarten, dämpfte sie selber ihre Erwartungen.
Nach dem Essen schloss sie die Türe ab und setzte sich vor dem Kamin auf den Boden. Mit dem Rücken gegen das Bett lehnend besah sie sich ihre selbstgeschriebene Rolle. Das Licht tanzte durch den Raum, angetrieben durch die unruhigen Flammen. Die Namen der Betreffenden immer wieder durch den Kopf gehend lassend saß die junge Frau da und überlegte. Wer waren die Menschen hinter den Namen? Waren sie tatsächlich alle Mitglieder bei der Sekte? Wie konnte sie das jetzt herausfinden, da sie alle tot waren?
IIlene sah nochmals die Todesdaten an. Vielleicht waren sie ja regelmäßig, was auf eine Art Opferung hinwies? Doch selbst nach langem Durchprobieren und Gedankenspielen, es war kein System erkennbar. Anscheinend waren alle eines natürlichen Todes gestorben.
Das einzige, was wirklich auffiel, war der Tod des Bürgermeisters, vor nicht allzu langer Zeit. Bei ihm war die Chance am größten, dass sie noch Spuren finden konnte. Und zudem wusste sie auch von ihm als einziges sicher wo seine Arbeitstätte war: Im Rathaus. Je mehr IIlene nachdachte, umso sicherer wurde sie, dass sie diesem einen Besuch abstatten sollte. Doch zuvor hatte sie noch etwas zu tun. Lange saß sie da, lernte die Namen und Todesdaten auswendig. Bis sie es sicher innehatte. Dann warf sie die Rolle ins Feuer, wo diese knisternd verbrannte. Keine Spuren hinterlassen, das hatte ihr bisher immer den Hals gerettet.
IIlene zog sich um, schlüpft in ihren schwarzen Lederanzug und band sich die Haare mit dem schwarzen Tuch zu einem Zopf. Anschließend band sie sich noch das Tuch ums Gesicht, so das nur die Augen hervorstachen. Die Kleidung hängte sie ordentlich an den Stuhl, zerwühlte noch das Bett. So sah es aus als wäre sie nur einen Moment raus, oder sie konnte vorgeben, schlafzuwandeln. Eine Ausrede fiel ihr immer ein.
Die Kralle als letztes am Oberarm befestigend, dann trat sie leise aus dem Zimmer. Niemand da. Wieder klebte IIlene ein Haar an den Türrahmen, schlich zum anderen Ende des Wirthauses. Dort öffnete sie ein Fenster, sprang raus in den Garten und verschwand in die Nacht.
Duncraig war schlimm, fast überall brannten diese verdammten Laternen. Meist musste sie sich durch die kleinsten Gassen schlagen, immer in einen Ecke drückend wenn jemand kam. Dadurch kam sie nur langsam voran, es war halt schlecht geplant. Normalerweise ließ sie sich mehr Zeit, suchte sich tagsüber einen Weg und plante alles sorgfältig. Aber das hier war eine Ausnahme, es musste schnell gehen. Dafür musste man halt solche Probleme in Kauf nehmen.
Dennoch schaffte sie es zum Rathaus, welches sich in der Nähe der Bibliothek befand. Sehr zu ihren Missfallen musste sie feststellen, dass der ganze Platz rund um die Gebäude beleuchtet war. Und es waren noch genug Leute unterwegs, einfach durchrennen war unmöglich. Was tun?
Suchend fuhr ihr Blick die Gasse entlang, bis sie schließlich ein Gitter vorfand. Die Kanalisation. Mit einigen Mühen wuchtete IIlene das Gitter zur Seite, ließ sich in den Schacht gleiten und spreizte die Beine, um sich so an den Wänden abzustützen. Keuchend schob sie so das Gitter wieder an seinen Platz, ließ sich dann den Schacht runterrutschen. Zu ihrem Glück hatte es die letzten Tage nicht geregnet, daher war hier kaum Wasser. Aber dafür lag auch der Unrat hier, es stank bestialisch. Aber es half nichts, sie musste durch. Sich die Nase zuhaltend, mit der anderen Hand vorsichtig durch die Dunkelheit tastend ging es vorwärts. Zahlreiche Abzweigungen folgten, und oft stand sie unter einem anderen Gitter und lauschte, ob oben viel los war. Schließlich erreichte sie ein Gitter, an dem nichts los war. Flink stemmte sich IIlene den Schacht hoch, stützte sich wieder ab und schob das Gitter zur Seite. Stille. Nach ein paar Minuten streckte sie den Kopf raus, sah sich um. Wieder eine Nebengasse, aber wo, das wusste die junge Frau nicht. Dennoch kletterte sie aus dem Schacht, brachte das Gitter wieder an seinen Platz. Begierig die frische Luft einsaugend schlich sie weiter, bis sie endlich wieder wusste, wo sie war. Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht, auf der anderen Seite des Platzes... inmitten der wichtigen Gebäude.
Ein Brunnen lud zur Säuberung ein, leise nutzte sie diese Chance. Ansonsten würde man sie zehn Meilen gegen den Wind riechen....
Das Rathaus war ein großes Gebäude, sehr aufwendig verziert, soweit man es im Dunkeln einschätzen konnte. Alle Fenster im Erdgeschoss waren vergittert, das hieß, sie musste irgendwie oben rein. Doch im Laufe der Zeit wusste IIlene, wo sie zu suchen hatte. Die Regenrinne war immer ein guter Punkt, um nach oben zu klettern, und auch diesmal fand sie diese an einer der Ecken des Hauses. Sich nochmals aufmerksam umsehend, dann griff sie nach dem weichen Metall und zog sich rauf. Anschließend hangelte sie sich auf einen der Fenstersimse, besah sich das Fenster. Abermals huschte ihr ein Lächeln über der Gesicht, das war leicht zu öffnen. Anscheinend hatten die Erbauer gedacht, mit den Gittern unten wäre alles genug abgeriegelt.
Sie zog ein kleines Instrument heraus, steckte es zwischen die beiden Fensterrahmen. Ein geübter Ruck, und das Fenster sprang auf. Wieder dankte sie im Geiste Walre, einen Gauner, den sie in den ersten Wochen kennengelernt hatte. Er hatte ihr gezeigt, wie man Schlösser knackte und Fallen entschärfte. Im Gegenzug erledigte sie einen Auftrag für ihn, er schuldete einem Bandenchef noch Geld. Alles lief bestens, bis zum Ende der Ausbildung. Das Problem an der Sache war, er wusste wer sie war. Und das konnte sie nicht zulassen, er wäre ein Sicherheitsproblem geworden.....
Darum gab sie der rachelüsternen Bande einen anonymen Tipp. Walres Leiche fand wenig später in seinem Versteck. IIlene brach es damals das Herz, aber in der Unterwelt durfte man sich keine Fehler erlauben. Walre hätte sicher gegen gutes Geld irgendwann geplaudert, und dann wäre sie anstatt ihm dran gewesen.
Vorsichtig stieg IIlene ein, schloss das Fenster hinter sich. Es war dunkel, das fahle Mondlicht spendete kaum Licht. Regale und Schreibtische konnte man hier erahnen, leise schlich die junge Frau über den schlichten Dielenboden. Das Zimmer des Bürgermeisters, das galt es zu finden. Ihre Augen gewöhnten sich langsam an die dunkle Umgebung, die hellen Fackeln draußen hatten sie ziemlich geblendet.
Keine Wachen, zumindest hatte IIlene bisher noch keine bemerkt. Hätte sie auch gewundert, wer würde denn bitte ins Rathaus einbrechen wollen? Hier gab es nichts von Interesse, die ganzen wichtigen Dokumente wurden sicher wie in jeder anderen Stadt an einem sichern Ort unter Verschluss gehalten. Wahrscheinlich bei der Stadtmiliz.
Nach kurzer Suche fand sie schließlich die kleinen Zimmer an der anderen Seite des Hauses. Welches nun dem Bürgermeister gehörte, war relativ leicht herauszufinden, es war sicher das größte.
Es war sogar noch einfacher, es gab nur ein Zimmer am Ende des Raumes, welches abgeschlossen war. Auch hier war die Türe in ein paar Augenblicken offen, und IIlene trat in einen größeren Raum. Durch das Fenster kam genug Licht, dass sie den großen Schreibtisch erkennen konnte, und die Bücherregale an den Wänden. Zwei Farne standen zudem in den Ecken neben dem Fenster, das hatte die junge Frau bisher noch nicht gesehen. Was ihr zudem gleich auffiel, waren die dicken Vorhänge. Die kamen wie gerufen. Eilig zog sie diese zu, entzündete dann einen der beiden Fackelständer mitten im Raum. Zögerlich, als würde sie gegen die Dunkelheit ankämpfen müssen wurde die Flamme größer und erhellte den Raum zusehends. Geschwind zündete IIlene noch die zweite Fackel an, wartete einen Moment, bis auch diese richtig brannte.
Nun, da war sie nun. Etwas ratlos sah sie sich in dem Raum um, wo anfangen? Der Schreibtisch bot ein paar Schubladen, welche ebenfalls abgeschlossen waren. Dort fing sie an. Doch darin fanden sich zu ihrer Enttäuschung nur unwichtige Sachen wieder. Nutzlose Papiere aller Art, die ihr nicht weiterhalfen. Meist irgendwelche Mitteilungen und Rechnungen von diversen Gilden.
Frustriert seufzte IIlene auf. Es wäre auch zu schön gewesen. Die Bücherregale, vielleicht enthielten sie etwas? Doch diese zu durchsuchen... das würde dauern. Doch es half nichts.
Immer wieder gähnend, die Bücher durchrüttelnd, ob irgendwelche Zettel darin waren, kurz durchblätternd, so stand sie vor den Regalen. Nichts. Aus Frust schlug sie einmal gegen ein Regal. Es gab einen Knall, IIlene sprang erschrocken zur Seite. Dann bemerkte sie ein Buch auf dem Boden, aufgeschlagen. Es musste wohl runtergefallen sein, aus irgendeiner Bücherreihe. Fluchend hob IIlene es auf, drehte es um und erstarrte. Da wären Sätze in der Sprache der Alten verfasst! Die junge Frau schaute sich nochmal den Einband ab, die Bibel hatte sie doch vorher schon einmal in der Hand gehabt? Wie konnte sie das übersehen?
Bei genaueren Durchblättern fiel auf, dass nur ein Kapitel, die Genesis, in der Sprache der Alten verfasst war. Der Rest, der war in der heutigen Sprache verfasst. Merkwürdig.
Zudem, mache Sätze waren von einem Unbekannten unterstrichen.
"in principio creavit deus caelum et terram terra autem erat inanis et vacua et tenebrae erant super faciem abyssi"
"im Anfang schuf Gott die Himmel und die Erde und die Erde war Ungrund und Urschlund und Finsternis überm Antlitz des Abgrunds", murmelte sie vor sich hin.
Was war an dem Satz so herausragend? IIlene las ihn noch mal. Obscuritas war die Dunkelheit, vielleicht wollte er die Bedeutung der Finsternis hervorheben? Als Anfang von allem?
Weiter unten war noch ein Satz angestrichen:
"et divisit lucem a tenebris"
"und es schied Gott zwischen dem Licht und zwischen der Finsternis", flüsterte IIlene wieder. Schon wieder Finsternis, anscheinend war ihre Ahnung richtig. Was war an dem Satz wichtig? Das Gott Licht und Dunkelheit getrennt hatte? Irgendwie musste dieser Punkt dem Markierern wichtig erscheinen.
Für den nächsten Satz musste sie etwas blättern.
"dixit ad Noe: finis universae carnis venit coram me repleta est terra iniquitate a facie eorum et ego disperdam eos cum terra."
"Und es sprach Gott zu Noah: Das Ende allen Fleisches kam vor mein Antlitz, denn erfüllt ist die Erde von Frevel aus deren Antlitz, und sieh mich: verderben will ich die Erde", übersetzte IIlene im stillen. Gott will die Erde verderben. Gott spaltet Licht und Dunkelheit. Gott als Herr des Lichts, der die Erde verderben will. Dunkelheit war der Urzustand von allem. Die junge Frau fielen diese Schlagworte ein, schnell suchte sie den nächsten Satz:
"et delebo omnem substantiam quam feci de superficie terrae"
"und wischen will ich alles, was entstand, was ich gebildet habe, vom Antlitz der Erde", ging ihr Flüstern durch den Raum. Alles vernichten? Das wurde oben schon einmal erwähnt. Weiter untern ging der nächste:
"sensus enim et cogitatio humani cordis in malum prona sunt ab adolescentia sua"
"denn der Sinn des Herzens des Menschen ist böse von Jugend an", hieß dieser.
Sollte das eine Rechtfertigung sein? Dunkelheit, Finsternis der Anfang von allem, das jeder Mensch diese Dunkelheit noch in sich trug? Die Dunkelheit, welche von Gott als Böse beschrieben wurde? Oder war die Dunkelheit stolz drauf, bösartig zu sein?
IIlene war etwas verwirrt, aber langsam formte sich eine dunkle Vorahnung über die Denkweise der Sekte in ihrem Kopf.
"Et emisit eum dominus deus de paradiso voluptatis ut operaretur terram de qua sumptus est eiecitque Adam et collocavit ante paradisum voluptatis cherubim et flammeum gladium atque versatilem ad custodiendam viam ligni vitae."
"Und es schickte ihn Gott aus dem Garten von Wonne: zu bearbeiten den Acker, aus dem er genommen wurde, von dort, und er vertrieb den Menschen und er siedelte an vor dem Garten von Wonne die Cherubim und Lodern des Schwertes, des sich wendenden, zu hüten den Weg zum Baum des Lebens", lautete der letzte markierte Satz. Matt lies sie das Buch sinken. Gott wurde hier nur durch seine negativen Handlungen beschrieben, das er die Menschen immer bestrafte. Weil sie, für seinen Begriff, böse Dinge machten. Doch es schien so, als wäre die Dunkelheit dafür verantwortlich, die in jedem von uns steckte. Und nur das Licht dieses als böse zu sehen schien. Das es in Wahrheit aber ganz natürlich sei, weil jeder aus ihr entstanden ist. Zuerst war die Dunkelheit da, dann das Licht. War das die Denkweise?
Was hatte Izual gesagt, die Anhänger gaben sich den irdischen Freuden hin. Das passte. IIlene zwinkerte, das machte sie immer wenn sie nervös wurde. Jetzt erkannte sie die Denkweise der Obscuritas, erkannte ihren Inhalt. Das Licht ist das Übel, welches uns unterdrückt. Weil Dunkelheit in jedem von uns steckt, wir alle aus ihr entstanden sind. Und wir daher auch das tun dürfen, was Gott als böse ansieht. Weil er für das Licht, den Unterdrücker steht.
Die junge Frau begann zu ahnen, dass diese Einstellung sehr gefährlich war. Zusammen mit Geschick, die Schwächen der Kirche auszunützen, nebst fähigen Krieger war diese Sekte gefährlich. Wenn sie sogar schon bis hierher ihre Korruptionstentakel ausstrecken konnte... wem gehörte die Bibel überhaupt?
IIlene schlug den Einband auf, bemerkte einen Namen am Rand: Julius von Augstein.
"Ich hab dich", murmelte IIlene leise.
Es wurde Zeit dem Haus von Augsteins mal einen Besuch abzustatten. Die Adresse hatte sie im Kopf, und hier im Zimmer hing ein schöne Karte der Stadt. Ein Geschenk der Händlergilde, so stand es am Rand. Nachdem sie den Ort gefunden hatte löschte IIlene schnell die Fackeln und öffnete die schweren Vorhänge. Niemand auf dem Platz, es schien keiner etwas bemerkt zu haben.
Leise eilte sie aus dem Zimmer, durch die Regale zu dem Fenster. Dort stieg sie wieder raus, schloss es hinter sich und sprang in den Hof. Elegant rollte sich die junge Frau ab und huschte über den Platz zur nächsten dunklen Ecke. Die Kanalisation wollte sich IIlene diesmal sparen, noch mal durch die Kloake... darauf konnte sie verzichten.
IIlene bemerkte einen Schneiderladen, den steuerte sie an. Etwas später lief eine junge Frau mit einem großen Umhang durch die Gassen von Duncraig. Die Haare hatte sie geöffnet, die Anzug und die Klauen versteckte sie geschickt unter dem Stoff. Es durfte sie diesmal bloß keiner zum tanzen auffordern, ansonsten würde die Sache auffliegen.
Suchend strich sie durch die Gassen, suchte die Straße. Es wunderte die junge Frau nicht das diese mitten im Nobelviertel lag, damit hatte sie gerechnet. Umso besser, die Villen waren etwas abgeschottet von den Gassen. Nicht so wie bei den Reihenhäusern in der Innenstadt, wo der Nachbar gleich alles mitbekam.
Wie ein Schatten huschte IIlene über die Mauer und versteckte sich im Garten. Erstmal die Lage erkunden. Die Villa war nicht besonders groß, gut zu überblicken. Das Mondlicht spiegelte sich in den Fenstern, kein Licht war zu sehen. Schienen alle zu schlafen. Umso besser, sie wollte die Bewohner nicht töten wenn es nicht nötig war.
Nach einer Weile löste sie sich aus dem Schatten eines Baumes und schlich zum Haus. Kurz vor den Mauern der Villa konnte sie plötzlich einen leisen Schrei innen vernehmen. Verdammt, was war das?
Vorsichtig umschlich IIlene weiter das Haus, ihre Sinne waren hellhörig. Da, eine Türe... sie stand offen. Die junge Frau fühlte, das Schloss war noch intakt. Das musste ebenfalls ein Profi gewesen sein. Also hieß es vorsichtig sein.
IIlene sah in den Vorraum, konnte nichts außergewöhnliches sehen. Plötzlich oben im ersten Stock gepolter, etwas splitterte. Die junge Frau eilte in das Haus, lautlos huschte sie die Treppe hinauf. Das gefiel ihr nicht, was war hier los?
Wieder splitterte Glas, irgendjemand rief etwas. IIlene erreichte die öffnete Türe eines Zimmer, sah vorsichti hinein. Das Zimmer entpuppte sich als großen Saal, sie konnte zwei Schatten ausmachen welche mitten im Raum standen. Fad im Mondschein blitzen die Dolche auf, IIlene Herz setzte fast aus. Gleichzeitig bemerkte sie eine Gestalt auf dem Boden. Und irgendwo am anderen Ende des Raumes schrie jemand auf. Wieder krachte etwas, Scherben rutschten über den Boden. Die zwei Gestalten in der Mitte wichen aus, liefen weiter. IIlenes Augen verengten sich zu Schlitzen, diese Bastarde. Meuchelmörder, der Abschaum der Unterwelt. Sie zögerte keine Sekunde als sie nach vorne stieß, lautlos durch den Raum jagte. Der erste Meuchelmörder schien sie noch zu bemerken, konnte aber nicht mehr reagieren als die Klauen in deinen Rücken schlugen. Mit einer Aufwärtsbewegung schlitze sie ihm den Nacken und Hals auf, ein Schrei ging durch den Raum. Mit einer flüssigen Bewegung erwischte sie auch den verdutzten zweiten, röchelnd ging er zu Boden. Damit hatte er anscheinend nicht gerechnet. IIlene beugte sich über den röchelnden, besah sich seine Kleidung und Ausrüstung. Kein Zweifel, das waren Profis. Dennoch, auch ihnen würde keiner eine Träne nachweinen.
IIlene konnte ein leichtes wimmern aus einer der Ecken des Raumes vernehmen. Langsam erhob sie sich, ließ die sterbenden zurück und lief angriffsbereit in Richtung des Geräusches. Dann sah sie das Mädchen im Nachthemd in der Ecke kauernd, sie völlig verängstig anschauend. IIlene schätzte das sie ungefähr in ihrem Alter war, holte mit den Klauen aus. Keine Zeugen. Doch plötzlich, Erinnerungen schossen ihr in den Kopf. Plötzlich stand sie wieder in ihrem Wohnzimmer, die Leichen der Eltern auf dem Boden liegend. Die Angst, sie konnte sie wieder spüren. Das Blut in den Raum, sie konnte es riechen. Fast automatisch warf sie einen Blick auf die Leiche in dem Raum. Es war eine alte Frau, ebenfalls im Nachthemd.
"Bitte, tu mir nichts!", stotterte das Mädchen unter Tränen, drückte sich mehr in die Ecke. IIlene hob nochmals den Krallenarm, senkte ihn dann aber. Nein, sie konnte nicht. Das Mädchen war wie sie damals, sie Hemmungen waren zu hoch. Sie tat ihr Leid, ein Gefühl welche sie schon lange nicht mehr verspürt hatte. Doch... was sollte sie jetzt mit dem Mädchen machen? Einfach verschwinden?
"Wer bist du?", fragte IIlene das Mädchen, welche zusammenzuckte. Die Blonden Strähnen hingen schweißverklebt im Gesicht, ihre großen grünen Augen musterten sie ängstlich.
"Marie.... Marie von Augstein. Bitte tötet mich nicht, ich habe euch doch nichts getan!", stotterte sie wieder.
"Ist das da drüben deine Mutter?", fragte IIlene wieder, zeigte auf die ältere Frau. Das Mädchen nickte nur langsam. Die junge Frau überlegte.
"Weißt du wer diese Kerle waren?", bohrte sie dann weiter nach.
"Nein", kam die knappe Antwort von ihr, unterstrichen von einem schnellen Kopfschütteln. IIlene löste sich von dem Mädchen, lief wieder zu den Gestalten. Einer lebte noch, doch bei jedem Atemzug rasselte die Lunge. Sie sah ihn an.
"Wer hat euch geschickt?", fragte sie ihn emotionslos.
"Verrecke Miststück!", keuchte der Meuchelmörder.
"Nun, du kannst es mir sagen und ich erlöse dich von deinem leiden, oder ich lass dich hier langsam ausbluten. Wie findest du das?", fragte die junge Frau lauernd. Der Meuchler keuchte nur. IIlene wartete, sie hatte Zeit.
"Du Miststück", keuchte der Mann nochmals leise.
"Du hast es in der Hand", erwiderte sie wieder kalt.
"Ich weiß nicht wer der Auftraggeber war", sagte der Mann mit gebrochener Stimme. Er stöhnte zwischendurch, immer heftiger atmete er.
"Das glaube ich nicht, jeder Profi weiß wer sein Auftraggeber ist", meinte IIlene trocken. Der Mann schwieg. Sie bemerkt plötzlich einen Schatten hinter sich, es war Marie.
"Geh weg, das ist kein Anblick für dich", sagte IIlene und funkelte sie böse an. Doch die andere blieb stehen.
"Warum?", fragte sie nur, dumpf.
"Auftrag", keuchte der Mörder.
"Von wem?", bohrte IIlene nach.
"Die Genugtuung gönne ich dir nicht Miststück", stöhnte der Mann langsam.
"Ich kann auch anders. Sag es mir!", zischte die junge Frau. Der Meuchler keuchte nur. IIlene packte ihn, warf ihn auf den Rücken. Der Mann kreischte, hustete. Mit einer schnellen Bewegung hob sie ihre Krallen über dessen Unterleib und packte den Mann an den Haaren, zog ihn hoch. Er keuchte schnell, die Schmerzen ließe ihn wimmern.
"Siehts du wo ich meine Krallen habe. Willst du dir das wirklich antun?", fragte IIlene leise und schneidend. Der Meuchler keuchte, holte Luft.
"Obscuritas", stöhnte er dann gequält aus. IIlene zuckte kurz zusammen. Dann hob sie ihre Krallen, ließ sie in den Schädel des Mannes krachen. Sein stöhnen hörte auf, er zittert noch mal, dann entspannte sich sein Körper. Kein Atem mehr. Obscuritas. Diese Wort hallten in ihrem Kopf nach. Also doch. Doch... warum? Warum schickten sie plötzlich einen Mördertrupp um die Augsteins auszulöschen?
IIlene bemerkte wie Marie über dem Körper ihrer Mutter lag, leise weinte. Warum war die Sekte plötzlich an ihrem Tod interessiert? Der Bürgermeister war doch schon seit einem halben Jahr tot?
IIlene versuchte die Puzzelstücke im Kopf zu ordnen, aber es gelang nicht. Da passte nichts zusammen. Einzig eine Tatsache war logisch, die Sekte hatte zwei Meuchler angeheuert damit der Verdacht nicht auf sie fiel. Ansonsten hätten sie wahrscheinlich die Blutritter geschickt. War das alles nur ein Zufall? Langsam wurde die Sache unheimlich....
Marie setzte sich auf, wischte sich die Tränenspuren aus den Augen und kam auf IIlene zu.
"Wer war das?", fragte sie immer noch matt, aber entschlossen.
"Keine Ahnung", log IIlene. Sie konnten den Hass in ihren Augen aufflammen sehen und erschrak.
"Mach nicht den gleichen Fehler wie ich", flüsterte sie kopfschüttelnd.
"Was für einen Fehler?", fragte die zitternde nach.
"Rache... es schadet nur mehr als es hilft. Denk nicht mal daran, du hast noch dein Leben vor dir...", fing IIlene an, wurde aber abrupt von Marie unterbrochen.
"Leben? Wer immer meinen Vater und meine Mutter auf dem Gewissen hat wird auch mich jagen! Was ist das für ein Leben, immer auf der Flucht? Jeden Abend mit der Ungewissheit einzuschlafen ob man morgen wieder aufwacht? Nein, du weißt was Obscuritas ist, sag es mir!", sagte Marie mit Tränen in den Augen, ihre Stimme bebte.
"Dein Vater?", fragte IIlene verblüfft nach. In dem Register stand das er an einer Krankheit gestorben ist.
"Ja, mein Vater. Es war Gift", erwiderte Marie.
"Woher willst du das wissen?", fragte IIlene.
"Ich habe es nachweisen können. Ich bin in der Alchemistengilde", flüsterte die andere mit gesenkten Blick.
"Wie nachweisen?", fragte die junge Frau etwas verwirrt.
"Es war an dem Abend wo mein Vater starb. Wir waren an seinem Krankenbett, versuchten ihn zu pflegen. Doch er hustete Blut, es rann ihm aus den Augen und der Nase. Ich wischte es immer wieder weg, damit der Arzt ihn behandeln konnte. Doch vergebens. Es war.... grausam. Ich.....", erzählte Marie, dann stockte sie kurz.
"Später erinnerte ich mich an das Blut, welches ich weggewischt hatte. Es war durch das Wasser verdünnt und eingetrocknet, aber ich wagte es trotzdem. Das Arzt hatte gemeint er hätte so ein Krankheitsbild noch nie gesehen, ordnete es aber einer seltenen Grippe zu. Ich glaube ihm nicht, und ich sollte Recht behalten. Im Labor konnte ich nach vielen versuchen den Nachweis erbringen das es Gift war. Ich erzählte meiner Mutter davon, und wir stellten Nachforschungen an", erzählte Marie weiter. IIlene verzog das Gesicht, das war ein großer Fehler. Jetzt wusste sie warum die Sekte plötzlich aktiv wurde.
"Ich fürchte.... die Mörder meines Vaters sind so auf uns aufmerksam geworden. Hätte ich gewusst was das für Folgen hat....", schluchzte Marie. Sie wusste nicht warum, aber auf einmal umarmte IIlene das Mädchen und strich ihm über den Kopf während es weinte. Was war nur mit ihr los, löste dieses Mädchen nur so viel in ihr aus weil sie sich selber in ihr sieht?
"Du hast keine Schuld, keine.....", flüsterte sie Marie zu. Sie wusste so wie gut wie es ihr im Moment ging.
Nach einer Weile löste sich das Mädchen mit verweinten Augen von der Auftragsmörderin und sah sie an.
"Ich will mit dir gehen", sagte sie dann ernst.
"Was? Vergiss es!", erwiderte IIlene als erste Reaktion erschrocken.
"Ich kann dir helfen. Und hier kann ich nicht bleiben, sonst erledigen sie mich auch noch!", sagte Marie verzweifelt. IIlene wollte schon etwas sagen, aber dann überlegte sie. Das Mädchen hatte einerseits recht, aber sie wollte sie auf keinen Fall noch tiefer in die Sache ziehen. Andererseits.... sie steckte tiefer drin als sie selber. Und vielleicht konnte sie ihr als lebende Zeugen helfen die Sekte hier zu finden.
Ein innerer Kampf tobte in der jungen Frau während sie das zitternde Mädchen im Nachtkleid ansah. Schließlich fasste sie einen Entschluss.
"Du hilfst mir die Verantwortlichen hier zu finden, dafür bringe ich dich hier raus in eine anderen Stadt. Dort kannst du ein neues Leben beginnen", sagte IIlene. Marie nickte.
"Pack das nötigste zusammen, wir treffen uns unten", seufzte sie und sah zu wie Marie aus dem Saal eilte. Was hatte sie nur getan?
Etwas später stand das Mädchen wieder im Türrahmen, angezogen und auch einen Seesack auf dem Rücken. Erschrocken bemerkte sie wie IIlene mit einer Fackel alles anzündete.
"Was machst du da!?", rief Marie.
"Beweise vernichten. Das sollte uns beiden etwas Zeit geben bis sie sich durch die Asche gewühlt haben", erwiderte die Angesprochene und setzte noch ein Bücherregal in Brand. Das Feuer spiegelte sich in den Augen von Marie, ebenso in den Tränen welche die Wange hinabliefen. IIlene rannte mit der Fackel in die anderen Zimmer, zündete alles an was brennbar war.
"Raus hier!", zischte sie und packte Marie am Arm. So rannten die beiden Frauen aus dem Haus, die Gasse entlang.
"Moment, da lang!", keuchte Marie und zeigte auf einen Straße.
"Warum?", fragte IIlene verwirrt, mühte sich ab den schweren Umhang um den Leib zu halten damit keiner etwas sah.
"Folge mir einfach!", erwiderte die andere und bog ab. IIlene fluchte still in sich hinein, was blieb ihr anderes übrig als ihr zu folgen?
Marie führte sie zu einem großen Haus, bleib keuchend vor der Türe stehen. Dann zückte sie einen großen Schlüssel und sperrte auf. Beide verschwanden durch die Türe, entzogen sich den Blicken der Leuten.
Zielsicher eilte Marie durch das dunkle Haus, stieg in den Keller und trat schließlich in einen der Räume. Dort schlug sie die Türe hinter IIlene zu und holte erstmal Luft. Es war dunkel, man konnte nichts sehen.
"Wo sind wir hier?", fragte IIlene etwas außer Atem.
"Alchemistengilde", erwiderte Marie schwer atmend. Dann lief sie im Dunklen neben die Türe, IIlene konnte hören wie sie irgendwas machte. Plötzlich gab es eine kleine Flamme, mit welcher Marie die Fackel an der Wand entzündete. Diese dann an sich nehmend entzündete sie die anderen hier im Raum. Jetzt erst sah IIlene das an den Wänden Regale mit unzähligen Glaskolben und Glasröhrchen waren. In ihnen waren Flüssigkeiten, in anderen Pulver. Dazu gab es hier noch Bücher, alle möglichen Pflanzenbestandteile und einen Labortisch. Auf diesem standen seltsam geformte Glasgefäße nebst einen kleinen, runden Tischkamin.
"Hier studiere ich normal", erklärte Marie am anderen Ende des Raumes, während sie die letzte Fackeln entzündete.
"Wie hast du das Feuer so schnell entfacht?", fragte IIlene nach.
"Ich hab einen Holzstab in eine spezielle, hochentflammbare Flüssigkeit getaucht und dann an der Fackel gerieben. Die Reibung hat ausgereicht um den Stoff in Brand zu setzen", sagte Marie und trat an den Labortisch.
"Beeindruckend", sagte die junge Frau nur und trat vor.
"Ich schätze.... so wie ich jetzt bin kann ich hier nicht rumlaufen, die Leute würden mir erkennen", flüsterte Marie.
"Das stimmt, wir sollten die Haare schneiden", erwiderte IIlene und nickte.
"Ich weiß was besseres. Wir färben sie um", meinte Marie nach kurzen Überlegen. Man sah ihr an das sie von den Ereignissen etwas überrollt wurden, die zitternde Hand verriet sie.
"Kannst du das?", fragte IIlene um sie bei Trat zu halten.
"Natürlich, das ist doch einfach!", sagte diese sofort und trat an das Regal. Dort holte sie zwei Glaskolben mit einem dunklen Pulver und einen mit einer klaren Flüssigkeit. In einen anderen Kolben mischte sie alles zusammen, bis eine dickflüssige Masse entstand.
"Normalerweise kann man fast alle Farbtöne hinbekommen, aber wir haben keine Zeit. Darum nehme ich nur Henna und Indigo und färbe die Haare schwarz. Kannst du mir helfen... ich....", sagte Marie, doch IIlene kam schon um den Tisch.
"Lass mich das machen, ich weiß das du im Moment keine ruhige Hand hast", erwiderte diese sanft.
Später trat Marie vor einen kleinen Spiegel und besah sich darin. War das wirklich sie? Es war so ungewohnt, diese dunklen Haare....
"Meinst du das geht so?", fragte sie dann IIlene. Diese stand mit verschränkten Armen am Labortisch und nickte.
"Ich denke so kann man es am Anfang lassen. Mit kurzen Haaren wäre es besser, aber wenn du nicht willst...", meinte sie dann.
"Nein, die bleiben. Ich.....", fing Marie wieder an, schwieg dann. Nicht weinen, nicht mehr ermahnte sie sich selber.
"Hör mal zu, du brauchst deine Gefühle nicht zu unterdrücken. Es bringt nichts, glaube mir. Diese Erfahrung habe ich auch schon machen müssen", sagte IIlene sanft und trat hinter sie.
"Ich weiß, bloß... ich komme mir so hilflos vor", schluchzte die andere.
"Das ist normal. Und das wird auch eine ganze Zeit andauern...", flüsterte IIlene hinter ihr. Mit einem Ruck löste sich Marie von dem Spiegel, holte einen Holzkasten mir Griff und öffnete diesen. Dann fing sie an kleine Ampullen mit Flüssigkeit in diesen zu stecken, man konnte die Halterungen für die zerbrechlichen Glasbehälter sehen.
"Was ist das?", fragte IIlene verblüfft.
"Wenn wir außerhalb des Hauses versuche machen oder einfach nur außerhalb gebracht werden haben wir diesen Kasten. Da drin sind die wichtigsten Stoffe und Instrumente", erklärte Marie.
"Und was machst du wenn mal etwas aufgebraucht ist?", fragte IIlene weiter.
"In fast jeder größeren Stadt gibt es Alchemistengilden, wo man die Stoffe nachkaufen kann. Ich habe genug Gold mitgenommen...", schluckte Marie nachdenklich.
Als diese endlich alles beisammenhatte löschte sie eilig die Fackeln und verließ mit IIlene das Haus. Unauffällig durch die Gassen liefen sie zurück zu dem Gasthof, nach Möglichkeit nicht auf den von Fackeln erhellten Straßen laufend.
Vor dem Gast hof hielten sie an.
"Gehe rein und verlange ein Zimmer, wie treffen uns bei Zimmer neun", nickte IIlene und verschwand hinter dem Gasthof. Marie wollte noch etwas sagen, doch sie kam nicht mehr dazu. Noch mal allen Mut zusammennehmend trat sie in die volle Taverne. Man konnte die Leute reden und grölen hören, es war laut und stickig hier drin. Marie sah sich etwas hilflos um, dick bepackt mit dem Seesack und dem Holzkasten in der Hand. Sie hatte so etwas noch nie gemacht und wusste nicht so Recht was nun zu tun sei. Schließlich trat sie an den Thresen, und der Wort kam auf sie zu. Erleichtert hörte sie wie er gegen den Lärm der Leute rief das noch was frei sei. Eilig drückte sie ihm etwas Gold in die Hand, er ihr im Gegenzug den Schlüssel. Er war ziemlich kurz angebunden, ein Tisch grölte nach mehr Met. Marie war es recht, so konnte sie schnell hier verschwinden.
Eilig verschwand sie durch die Türe in den Treppenhaus. Dort atmete sie durch, sah sich um. Licht von den Fackeln in der Gasse fielen durch das Fenster, zauberten unruhig tanzende Schatten an die Wand. Wie auch IIlene zuckte Marie beim knarren der Treppen zusammen, doch sie sagte nichts. Langsam schlich sie den Gang entlang, bis sie schließlich vor der Türe mit der Nummer neun stand. Zaghaft klopfte die unruhige Frau an, fast augenblicklich wurde die Türe geöffnet.
"Komm rein", flüsterte IIlene und zog sie rein. Dann blicken sich beiden an. Marie sah endlich das Gesicht von der Unbekannten, ihre Maske vor dem Gesicht war weg. Ihre langen Haare fielen wirr über die Schultern. Keine der beiden sagte etwas, bis schließlich die Auftragsmörderin blinzelte.
"Ich bin IIlene. Auch bekannt als Saevitia", meinte sie dann um die Stille zu unterbrechen.
"Was bedeutet Saevitia?", fragte Marie etwas unsicher, ihr Blick fiel auf die Klauen auf dem Tisch.
"Wut", erwiderte die andere während sie sich den schwarzen Lederanzug öffnete.
"Bist du auch einen von ihnen?", fragte Marie und setzt sich auf den freien Stuhl.
"Nein, sonst hätte ich dich getötet", erwiderte IIlene. Ein zucken durchfuhr die andere.
"Was bist du dann, und was hast du bei uns gesucht?", fragte Marie weiter.
"Das ist eine lange Geschichte....", seufzte IIlene und verstaute den Anzug nebst den Klauen in den kleinen Seesack. Diesen versteckte sie dann unter dem Bett.
"Es würde mich trotzdem interessieren", flüsterte Marie. IIlene seufzte nur.
"Jetzt stell die Sachen in die Ecke und komm mal her", meinte sie dann. Marie folgte zögerlich, kam ebenfalls ins Bett.
"Also, pass auf Marie, ich erzähle dir von meinem Leben. Und ich hoffe du lernst daraus und machst nicht den gleichen Fehler wie ich....", fing die junge Frau an und erzählte alles. Marie hörte schweigend zu, man sah ihr an das sie mit sich selber kämpfte.
IIlene kam nicht weiter als bis zu dem Tod ihrer Eltern, bei ihren Schilderungen brach es aus Marie heraus und sie weinte bittere Tränen. IIlene nahm sie in die Arme, drückte sie an sich. Was hätte sie damals diesen Trost gebraucht, eine Schulter an der sie sich anweinen hätte können. So vieles hätte es erleichtert, wenigstens konnte sie diesem armen Ding so helfen. Und dennoch, IIlene kam sich hilflos vor. Nicht konnte sie tun um das Leid des Mädchens zu schlichten, dessen Welt eingebrochen war... wie bei ihr damals. Fest nahm sich die junge Frau vor Marie nicht den gleichen Weg wie sie einschlagen zu lassen, wenigstens etwas gutes wollte sie in ihrem Leben noch machen....
Der nächste Morgen brach an, die Sonne fiel durch das Fenster und kitzelte die zwei Frauen im Gesicht. IIlene war es, die zuerst brummend aufwachte. Sie hasste es, aufstehen. Sich aus dem gemütlichen, warmen Bett wälzen. Vor allem wenn die Nachts unterwegs war. Die Augen reiben bemerkte sie Marie neben sich, welche zusammengekauert neben ihr lag. Einen Moment fragte sich IIlene wer das sei, doch dann kamen ihr sofort die Erinnerungen hoch. Sie war es nicht gewohnt längere Zeit in anderer Gesellschaft zu sein, es war komisch.
Die junge Frau gähnte, überlegte sich ob sie Marie wecken sollte. Doch sie entschied sich dagegen, stieg langsam und vorsichtig aus dem Bett und ging ins Badezimmer. Eine Kanne mit Wasser stand da, und es roch noch frisch.
Nachdem sich IIlene gewaschen hatte sah sie im Spiegel hinter sich Marie stehen.
"Guten Morgen", meinte IIlene brummend, sie war morgens nicht besonders ansprechbar.
"Guten Morgen IIlene. Wegen gestern, es tut mir Leid das ich dich unterbrochen habe...", meinte Marie etwas schuldbewusst und lehnte gegen den Türrahmen.
"Sei nicht albern", erwiderte IIlene und trocknete sich das Gesicht ab. Schweigen. Keine von beiden wusste was sie nun sagen sollte.
"Hast du Hunger?", fragte die ältere schließlich mit einem ehrlichen lächeln.
"Ein bisschen...", druckste Marie raus.
"Dann würde ich vorschlagen wir ziehen uns an und gehen etwas essen", zwinkerte IIlene ihr zu. Bloß keine Trauerstimmung hochkommen lassen, sonst würde die Stimmung gleich wieder in Tränen versinken. Marie nickte, verschwand wieder im Zimmer. Die junge Frau sah aus dem Handtuch auf, besah ihr Spiegelbild. War es richtig was sie gemacht hatte?
Als IIlene wieder ins Zimmer kam war Marie schon angezogen und bürstete sich die schwarzen Haare.
"Du musst mir unbedingt einmal erklären was das für ein Zeug war gestern", meinte IIlene nach einen Seitenblick.
"Das Färbemittel?", fragte Marie nach.
"Ja. Das hätte ich schon oft brauchen können wenn....", fing IIlene an, stockte dann. Fast hätte sie im Plauderton mit ihr über ihre Arbeit geredet, äußerst unpassend.
"Wenn du ausziehst und andere Menschen erledigst?", beendete Marie dumpf den Satz. Wieder schweigen. IIlene merkte den befremdenden Blick, es wurde Zeit die restliche Geschichte zu erzählen. Das tat sie dann auch, während sie sich ankleidete. Bei dem Teil mit Izual schnappte Marie nach Luft.
"Willst du mich hochnehmen?", fragte sie irritiert.
"Nein, sicher nicht. Was meinst du warum ich mich sonst mit einer ganzen Sekte anlege, kein Mensch mit gesunden Verstand würde so ein Risiko eingehen", erwiderte IIlene ernst. Da musste sie jetzt durch, entweder sie gewann das Vertrauen dieses Mädchens, oder sie verlor es völlig.
"Nimm es mir nicht übel, aber das ist schwer zu glauben....", meinte Marie und lief ins Bad.
"Es hätte mich auch gewundert wenn du mir es gleich geglaubt hättest", zuckte IIlene mit den Schultern.
"Außergerechnet du, ich meine der Himmel persönlich bittet eine Mörderin um Hilfe. Wie...", tönte es aus dem Bad.
"Ich bin keine Mörderin!", entfuhr es IIlene wütend. Stille. Marie hatte einen äußerst wunden Punkt erwischt, und der jungen Frau tat der Ausbruch schon wieder Leid.
"Entschuldigung... es war nicht so gemeint. Es ist nur so.... es ist schwer mit dem fertig zu werden was ich bin. Es lange gedauert bis ich mich wieder ohne Abscheu um Spiegel ansehen konnte, nicht jeden Morgen mit dem Gedanken kämpfte meinem Leben ein Ende zu setzen. Es ist grausam so zu Leben, und es ist noch grausamer wenn man nicht den Mut hat es zu beenden. Einst war ich wie du, geborgen und glücklich. Alles habe ich verloren, in einer Nacht. Rache und gute Vorsätze waren meine Motive als ich auszog, was davon übriggeblieben ist siehst du ja. Das einzige was mich am Leben erhält ist der Gedanke mit meinem handeln Unschuldige zu schützen. Den Mördern, Schändern und Kriminellen zuvorzukommen bevor sie anderen Schmerzen zufügen... wie mir einst", sagte IIlene dumpf und leise. Wieder war eine zeitlang stille, bis Marie langsam aus dem Bad schaute.
"Glaub mir, ich weiß was du fühlst. Ich kann es so gut nachvollziehen. Es tut mir auch Leid das dein Leben diese Wendung vollzogen hat, irgendwie sind wir alle Opfer und Täter zugleich. Izual... wenn du daran glaubst das er dir Frieden schenken kann, ob es nun real ist oder nicht, denn gönne ich dir diesen Hoffnungsschimmer. Alles an was du dich klammern kannst. Das mehr als ich im Moment habe....", schluchzte Marie wieder, und IIlene nahm sie wieder in den Arm. Auch ihre Augen wurden feucht, obwohl sie innerlich dagegen ankämpfte. Die feine Kruste von alten Wunden reißen, das war schmerzhaft.
Die Türe öffnet sich, und zwei Frauen traten in den Gang. Beide trugen leichte Sommerkleider, wegen der Hitze welche schon am frühen Morgen spürbar war. Wieder schloss IIlene die Türe und klebte ein Haar an den Rahmen.
"Was machst du da?", fragte Marie interessiert.
"Nur eine Vorsichtsmaßnahme. Traue keinem, niemanden, nur so kannst du überleben", erwiderte die junge Frau.
"Das stimmt nicht. Nur wenn man anderen Leuten vertraut kann man richtig leben", schüttelte Marie den Kopf. IIlene musste schmunzeln.
"Damals habe ich auch so gedacht, aber heute weiß ich wie das Leben da draußen ist", meinte sie dann.
"In der Unterwelt mag das zutreffen, aber das ist doch kein richtiges Leben. Dauernd von den Schmerzen anderer Leben, immer in Frucht leben irgendwann selber Opfer zu werden. Alles meidet einen, nur die falschen Freude scharren sich um deine Person. Du spürst es, kannst aber nichts dagegen machen. Richtige Freude, richtiges Glück wird so jemand nie mehr im Leben verspüren können....", sagte Marie. IIlene runzelte die Stirn, sagte aber nichts dazu. Stattdessen liefen beide durch den Gang, die Treppe hinab in die Taverne.
"Guten Morgen die Damen, gut geschlafen?", fragte der Wirt hinter dem Tresen. Er putzt gerade einen Krug und stellte ihn danach in ein Regal.
"Ja, haben wir", erwiderte IIlene und setzt sich mit Marie an einen Tisch. Der dicke Mann kam auf sie zu.
"Kennen sie sich? Sie wirken so vertraut?", fragte er sie beide.
"Wir sind beide in der gleichen Lehre", antworte IIlene rasch.
"Interessant. Was für ein Zufall das sie sich hier beide treffen. Ich bringe gleich das Frühstück", grinste der Wirt uns verzog sich wieder pfeifend in einen Nebenraum. Unauffällig besah sich die junge Frau den Raum, es gab kaum Gäste. Wahrscheinlich zu früh, gegen Mittag würde sich das hier sicher ändern.
Also IIlene sicher war das niemand sie belauschen konnte beugte sie sich zu Marie rüber.
"Erzähle etwas über deinen Vater", flüsterte sie ihr zu. Die Angesprochene überlegte kurz.
"Nun, er war ein guter Mensch. Was willst du über ihn wissen?", fragte sie dann zurück. Eher IIlene etwas sagen konnte kam der Wirt wieder und setzt ihnen ihr Frühstück vor. Es war schlichtes Brot und Fleisch, dazu ein paar Eier. Dazu dann zwei Krüge mit trüben Traubensaft.
"Wenn sie noch was brauchen, sie wissen ja wo ich bin", grinste der Wirt wieder und tapste gemächlich zurück an seinen Platz. IIlene fing an ein Ei von der Schale zu befreien.
"Alles was interessant ist. Vor allem als er Bürgermeister wurde", flüsterte sie nebenbei. Marie nickte leicht, nahm sich eine Scheibe Brot und bestrich diese mit Rahm.
"Mein Vater war immer ein herzensguter Mensch, und er setzte sich für die anderen ein. Darum hatte er damals auch die Wahl gewonnen, zog ins Rathaus ein. Zuerst freute ich mich für ihn, aber seit de, Zeitpunkt hatte er kaum noch Zeit für mich und meine Mutter. Viel Arbeit war zu bewältigen, meist kam er spät Abends zurück. Und er veränderte sich...", erzählte Marie.
"Verändert? In wie fern?", bohrte IIlene weiter und biss in das gekochte Ei.
"Er wurde immer verschlossener, nervöse. Er versuchte es zu verbergen, aber ich merkte es trotzdem. Auch meine Mutter, es kam immer wieder zu Streits. Er ließ mich Abends plötzlich nicht mehr alleine zu der Alchemistengilde gehen, es sei zu gefährlich. Davor war es nie ein Thema für ihn. Ich dachte mir nichts groß dabei, hielt den Stress für die Ursache. Aber ich dachte auch, wenn mein Vater wieder abgewählt wird dann gibt sich das von selber. Aber.... wenn ich mir die Sache heute ansehe... es war schon seltsam. Als hätte er vor etwas Angst gehabt. So verstört....", meinte Marie und biss von der Brotscheibe ab.
"Ist dir was aufgefallen? Hat er plötzlich Dinge gemacht, die er vor seinem Amt noch nicht gemacht hatte?", fragte IIlene wieder. Das Mädchen kaute etwas bevor sie antwortete.
"Er ging in den letzten Monaten seines Leben in so eine komische Taverne. Anfangs selten... und wenn ich mich genau entsinne wirkte nach den Besuchen immer verängstigter. Er versuchte es durch übertrieben Frohsinn zu verdecken, aber man merkte es ihm an. Im Laufe der Zeit ging er immer öfters dort hin, er wurde ruhiger. Aber..... er ging immer regelmäßig da hin, achtete penibel darauf nie einmal nicht hinzugehen. Das war ihm sehr wichtig. Egal was er gerade tat. Selbst beim Hochzeitstag ging er hin, deswegen gab es einen heftigen Streit. Das weiß ich noch", erzählte Marie weiter, biss dazwischen immer wieder ab. IIlene dachte nach.
"Wie heißt diese Taverne?", fragte sie dann.
"Zum loderndem Schwert", erwiderte das Mädchen nach kurzen nachdenken. IIlene verschluckte sich fast an dem Saft.
"Und es schickte ihn Gott aus dem Garten von Wonne: zu bearbeiten den Acker, aus dem er genommen wurde, von dort, und er vertrieb den Menschen und er siedelte an vor dem Garten von Wonne die Cherubim und Lodern des Schwertes, des sich wendenden, zu hüten den Weg zum Baum des Lebens", flüsterte sie dann zu sich selber.
"Was?", fragte Marie irritiert. Dich die junge Frau antwortete nicht, Gedanken zuckten durch ihren Kopf. Das musste der Schlüssel sein, diese Taverne. Wie frech von der Sekte diese Tarnung zu nehmen, sie mussten sich wirklich sicher fühlen. Konnten sie auch, nicht mal die Kirche ist ihnen auf die Schliche gekommen. Wie denn auch, die mächtigen der Stadt wurden bestimmt bedroht, erpresst. Wenn sie etwas sagen passiert ihren Angehörigen etwas. Das passte zu dem Verhalten von Maries Vater. Irgendwie schafften sie es dann diesen Leuten ihre Weltansicht aufzulegen, und hatten dadurch willige Handlanger. Gehirnwäsche, und die Opfer konnten aus Angst vor ihren Angehörigen nicht fliehen. Hatte keine Chance dem allen zu entkommen. Wie teuflisch....
"IIlene, was ist?", holte sie Marie wieder aus ihrer Gedankenwelt.
"Ich schätze wir sollten dieser Taverne mal einen Besuch abstatten", erwiderte diese dann und trank noch einen Schluck. Je mehr sie über diese Sekte herausfand umso unheimlicher wurde ihr diese Sache. Hoffentlich kamen sie da beide wieder heil heraus....
Etwas später waren zwei scheinbar normale junge Frauen mit kleinem Gepäck in den Gassen von Duncraig unterwegs. Scheinbar. Anders als bei den anderen lag ernst in ihren Gesichtern, fest und zielstrebig war ihr Schritt im Gegensatz zu den übrigen Passanten.
"Ich frage mich ob diese eine gute Idee ist....", meinte Marie plötzlich.
"Keine Angst, ich werde auf uns beide aufpassen", winkte IIlene ab.
"Das meinte ich auch nicht. Wenn sie mich nun erkennen, ich meine außer der meine Haare im Moment schwarz sind hat sich kaum etwas an mir verändert", sagte die nervöse junge Frau.
"Bleib ruhig. Wenn du dich unauffällig verhältst werden wir beide nicht auffallen. Die werden immer noch denken das du tot bist, also keine Angst. Wir sind nur zwei normale Gäste", versuchte IIlene sie beruhigen.
"Hoffentlich hast du Recht", flüsterte Marie.
Es dauerte, bis sie die Taverne gefunden hatten, sie lag etwas versteckt in einer Seitengasse. Mit klopfendem Herzen trat IIlene ein, Marie folgte ihr dichtauf. Doch zu ihrer Überraschung war dies auf den ersten Blick eine völlig normale Taverne. Hier unterhielten sich Menschen, lachten, tranken ihren Met oder Gewürzwein. Ihr Blick glitt durch den großen Raum, man konnte nichts besonderes entdecken.
"Guten Tag die Damen, Ihr seht etwas verwirrt aus. Kann ich Euch helfen?", bot sich ein Herr hinter der Theke an. Wahrscheinlich der Wirt.
"Zwei Met bitte", stotterte IIlene nach kurzem Zögern. Was besseres fiel ihr nicht ein, dabei hasste sie doch das Zeug.
"Kommt sofort", erwiderte der Wirt und holte zwei Krüge. Währenddessen ließen sich die beiden an einem kleinen, freien Tisch nieder.
"Meine Mutter hat mir immer verboten, Met zu trinken, sie meint, es würde nur den Geist vernebeln", sagte Marie etwas unsicher.
"Wenn es dich tröstet, ich trinke ihn normal auch nicht. Hab halt gerade nicht nachgedacht, was ich sage", entschuldigte sich IIlene.
"Schon gut. Ich muss es ja nicht trinken", erwiderte Marie und sah sich vorsichtig um.
"Sieht normal aus, findest du nicht?", fragte IIlene ihre Begleitung.
"Sehe ich auch so. Hast du was anderes erwartet?", fragte diese interessiert zurück.
Der Wirt brachte den Met, kassierte gleich und verschwand auch wieder. Marie schaute sich die trübe Flüssigkeit an.
"Das ist also Met?", fragte sie etwas enttäuscht.
"Was hast du denn erwartet?", kicherte IIlene, die Unwissenheit von ihr war irgendwie niedlich.
"Naja... dass es nicht so trüb ist", zuckte Marie mit den Schultern, nahm einen Schluck. Augenblicklich verzog sie das Gesicht und stellte den Krug ab.
"Pfuiii!", stieß sie leise aus während IIlene leise lachte.
"Siehst du, warum ich ihn auch nicht mag? Ein Gewürzwein oder Bier ist noch genießbar, dieses Zeug überlasse ich lieber den Liebhabern", zwinkerte ihr die Ältere zu.
"Mach dich nur lustig! Wir sind auch hier, um uns umzusehen, nicht, um uns zu betrinken", schmollte Marie leicht, aber nicht lange.
"Ist schon gut. Hast du die eine Türe da hinten neben dem Tresen gesehen?", flüsterte IIlene. Marie schüttelte den Kopf.
"Sie ist durch das Regal da versteckt", meinte IIlene und nahm einen Schluck. Sie hatte Durst, und deswegen war ihr im Moment egal, was da im Krug war. Aber auch sie verzog leicht das Gesicht.
"Das hast du gesehen?!", fragte Marie mir großen Augen.
"Nun, ich hab einen guten Lehrer gehabt. Abgesehen davon, es ist das einzige Regal hier, das fast leer ist, während die anderen voll sind. Ziemlich auffällig, wenn du mich fragst", grinste IIlene.
"Und wie sollen wir da rankommen? Ich denke, der Wirt wird da etwas dagegen haben, wenn wir da einfach hineinmarschieren", gab Marie zu bedenken.
"Um ehrlich zu sein... da bin ich noch am Überlegen...", dachte IIlene laut nach.
"Meinst du, der Wirt hat seine Metfässer im Keller stehen?", fragte Marie plötzlich.
"Sicher, wo den sonst?", blinzelte IIlene überrascht. Ohne ein Wort zu sagen zog Marie eine kleine Ampulle aus dem Ärmel und tropfte den Inhalt in ihre Metkrüge.
"Was ist das?", fragte die Ältere verblüfft.
"Riech mal am Met", grinste Marie.
IIlene hob den Krug, stellte ihn aber sofort wieder ab. "Oh meine Güte, das stinkt ja bestialisch!", schüttelte sie sich.
"Das ist ja auch Sinn der Sache", nickte Marie und winkte den Wirt heran.
"Ja? Habt Ihr noch einen Wunsch?", fragte dieser, nachdem er um den Tresen zu ihnen gekommen war.
"Ich weiß nicht, der Met ist nicht in Ordnung. Ihr solltet mal danach sehen", log Marie und setzte einen unschuldigen Blick auf.
"Wie? Mein Met ist in Ordnung!", winkte der Wirt ab, hob einen der Krüge an und roch. Seine Augen weiteten sich, und er hustete ein paar mal.
"Du meine Güte, was ist dann da drin? Das stinkt ja wie eine tote Ratte! Entschuldigt bitte, ich werde das zurücknehmen", nickte der Mann und nahm die zwei Krüge mit. Dann kippte er den Inhalt aus, verschwand durch eine Türe.
"Beeindruckend... und das lernt ihr auf der Akademie?", fragte IIlene überrascht.
"Nicht direkt, manchmal ergeben sich eben solche Mischungen", schmunzelte Marie.
IIlene sah sie das erste Mal lächeln, auch wenn es gleich wieder von Antlitz der jungen Frau verschwand.
"Los, deck mich ein wenig", flüsterte sie dann, und beide standen auf. Während IIlene zu dem Regal huschte, setzte sich Marie an den Tresen und machte sich so breit wie möglich. Keiner bemerkte, wie das Regal ein Stück in die Wand glitt, und ein Schatten darin verschwand. Marie atmete auf, jetzt hieß es warten... und sich eine Ausrede für den Wirt einfallen lassen.
Dunkelheit empfing IIlene, als die geheime Türe sich hinter ihr schloss. Schnell packte sie ihre Kralle aus dem Seesack und befestigte sie an dem Arm. In dem Kleid war sie zwar nicht so beweglich wie im Anzug, aber diesen konnte sie jetzt nicht anlegen. Sie nahm sich vor, vorsichtig zu sein und schlich tastend durch den Gang. Nach einer Biegung erleuchteten Fackeln den Gang, er wurde zudem breiter und höher. Er schien schon älter zu sein, zumindest erweckten die verbauten Steine den Eindruck. Es roch modrig, und der Rauch der Fackeln lag in der Luft. Alle Sinne angespannt, so schlich die junge Frau weiter. Was würde sie nun erwarten? Obscuritas hatte kein Gesicht, alles was sie bisher von der Sekte gesehen hatte, war dieses Wappen. Der Helm mit den wilden Hörnern, dem grimmigen Blick. Blutritter, waren sie auch hier? Diese Frage schoss ihr immer wieder durch den Kopf, ließ ihre Augen unruhig jeden Schatten mustern.
Langsam kam IIlene voran, bis sie schließlich an einem kleinen Torbogen ankam. Dahin schien eine Treppe zu sein, mehr konnte man noch nicht sehen. Leise drückte sie sich an die Wand, rutschte vor. Vorsichtig beugte sich IIlene etwas runter, schaute die Treppe hoch. Da oben war eine Türe. Verdammt, das hatte gerade noch gefehlt. Wer wusste schon, wer da hinter wartete?
Schritt um Schritt stieg sie die Treppe hinauf, schaute mit klopfendem Herzen durch das Schlüsselloch. Dahinter lag ein Raum, hell erleuchtet. Teppiche lagen auf dem Boden, die prachtvolle Inneneinrichtung ließ auf einen wohlhabenden Platz schließen. IIlene ärgerte sich, dass sie nicht um die Ecke sehen konnte, so wusste sie überhaupt nicht, was neben ihrem Sichtfeld lag. Wer dort womöglich auf sie lauerte.
"Was gibt es zu sehen?", flüsterte plötzlich eine Stimme hinter ihr. IIlene fuhr herum, holte aus.... Marie!
"Was zum Teufel... bist du wahnsinnig!?", zischte die junge Frau aufgebracht und packte die Verdutzte, stieß sie von der Treppe weg.
"Ich hab dir doch gesagt, du sollte in der Taverne bleiben!", sagte IIlene wütend.
"Hast du nicht, du hast nur gesagt, ich soll dich kurz decken", erwiderte Marie kühl.
"Ich dachte, das sei klar. Es ist zu gefährlich für dich, geh zurück!", schimpfte IIlene.
"Geht nicht, der Wirt ist sicher wieder am Tresen. Ich kann dir helfen", meinte Marie unbeeindruckt.
"Und wie? Willst du da nackt reinspringen und die Sektenmitglieder ablenken?", fragte IIlene sarkastisch. Die angesprochene lief kurz rot an, fing sich aber wieder.
"Nein, du bist nicht die einzige, welche ihre Sachen mithat...", grinste Marie und klopfte auf ihren kleinen Seesack. Es klirrte leise dabei.
"Ich dachte, da sind Kleidung und was zu Trinken drin?", fragte IIlene überrascht.
"Nein, ein paar Ampullen mit verschiedenen Füllungen", antwortete Marie knapp.
"Marie, wenn wir Pech haben, müssen wir kämpfen. Ich will nicht, dass dir da drin was passiert, bitte dreh um", sagte IIlene offen.
"Um dann irgendwann Abends von Auftragsmördern umgebracht zu werden? Nein IIlene, ich weiß zwar nicht, um was es hier geht, aber diese Sekte hat meine Eltern auf dem Gewissen. Ich will verhindern, dass anderen Mädchen das gleiche passiert...", erwiderte Marie fest, aber mit feuchten Augen.
"Verstehst du nicht, damals bin ich auch aus diesen Motiven ausgezogen, und jetzt sieh mich an! Bin ich nicht abschreckendes Beispiel genug!?", zischte IIlene gedämpft.
"Wenn wir nichts machen, wird die Sekte hier noch mehr Schicksale zerstören. Weißt du, wie schmerzhaft diese Vorstellung ist!?", sagte Marie mit einer Träne im Augenwinkel.
"Ich weiß es, verdammt, ich weiß es!", erwiderte die junge Frau mit zitternder Stimme.
"Dann lass es uns endlich hinter uns bringen. Wenn wir sterben, dann sind wenigstens die Schmerzen für immer weg", meinte Marie und senkte den Blick. Keine sagte etwas.
"Lass dich nicht vom Hass zerfressen wie ich. Du kannst dem allem noch entkommen und versuchen, ein normales Leben zu führen. Blut kann nicht mir Blut reingewaschen werden, diese Vorstellung ist falsch. Lass dich nicht von diesem Trugschluss leiten, er führt nur ins Verderben. Weißt du, wie viel ich geben würde, um noch mal an deiner Stelle zu sein? Um diesen Fehler nicht noch einmal zu machen, zuzulassen, dass aus dem Opfer von damals ein herzloses Monster wird?", flehte IIlene fast, sie wusste nicht mehr, was sie sagen sollte.
"Du bist nicht herzlos, sonst hättest du mich umgebracht!", Maries Blick schien sie zu durchdringen.
"Das habe ich nur gemacht, weil du mich so an mich erinnert hast...", flüsterte die Ältere.
"Dann kannst du verstehen, was mich bewegt, IIlene. Zusammen können wir es probieren, was haben wir zu verlieren?", fragte Marie dumpf. IIlene schwieg.
"Ich ziehe mich um", meinte sie dann resigniert und öffnete den Seesack. Marie sah nur schweigend zu, Gott alleine wußte, was diesem Mädchen durch den Kopf ging.
-Teil2-