Ich hatte endlich einmal genug Zeit um den Rest des Kapitels zu schreiben und einige Stellen zu überarbeiten. Ich hoffe die doch recht hoch gesteckten Erwartungen hiermit nicht zu enttäuschen. Kommentare jeglicher Art sind außerordentlich erwünscht.
Kapitel 2: Hüllen und Hallen
Um wieder langsam auf das eigentliche Thema zurückzukommen, dieser spezielle Held hatte sich an die Vorschriften gehalten - eine gute Entscheidung - denn sonst wären die Monster, mit denen er sich in diesem Moment beschäftigen musste, sein vermutlich geringstes Problem gewesen (das Amt für Heldenfragen hatte einen Hang zu recht finalen Reaktionen auf die Nichteinhaltung ihrer Vorschriften). Er trug folglich einen Hut - ebenfalls eine gute Entscheidung - aber dazu später mehr. Erleichtert wurde diese (nämlich die Entscheidung) immerhin durch den Umstand, dass der besagte Helm ein echtes Kunstwerk war. Die Rüstung stand dem in nichts nach. Ein kunstvoll gearbeiteter und sichtlich schwerer Brustpanzer bedeckte den Oberkörper, eine nicht minder massive Plattenpanzerung schützte die Arme. Wie auch der Helm, war die Rüstung tiefschwarz gefärbt und gab allenfalls einen schwachen Schimmer des Lichtes wieder zurück, das sich unvorsichtigerweise in seine Nähe begab. Auf die Hände zulaufend fand der Übergang zu den Handschuhen dann auch fast unmerklich statt, sie passten sich perfekt in das Gesamtbild ein, auf den ersten Blick konnte durchaus der Eindruck gewonnen werden, es handele sich vom Kopf über die Brust bis zu den Händen um ein einziges Stück Metall.
Zu den Beinen hin wurde hingegen deutlich, wo dem Helden das Geld ausgegangen war oder es ihm einfach am Sinn für das nötige Quäntchen Ästhetik mangelte: Die Füße wurden von wenig mehr als einem Fetzen Leder umschlossen, dem selbst der leicht bläuliche Schimmer keinen Anstrich von würdevollem Aussehen mehr verleihen mochte. Hätte man mit dem Helden eine Diskussion über sein Schuhwerk begonnen, wäre man mit wenig sinnvollen neuen Informationen aus ihr herausgegangen. Im Wesentlichen waren seine in blinder Sympathie meist als "Stiefel" betitelten Schuhe im Winter zu kalt und im Sommer zu warm, Blasen entzündeten sich in Geschwindigkeiten, die höchstens noch von der des Lichts übertroffen wurden, jeder Stein - und deren gab es genügend - wurde direkt und praktisch ungepolstert an den zuständigen Fuß weitergeleitet. Der genaue Grund also, weshalb der Held seine Schuhe mit dieser Vehemenz zu verteidigen wusste, blieb unklar - es sollte auch in Frage gestellt werden, ob er ihm selbst wirklich klar war.
Sein Schwert, er hatte sich von den Vorschriften ausgehend für ein Zweihandschwert entschieden, war fast so groß wie er selbst, was nicht nur im Vergleich mit einem Zwergen außerordentlich groß war. Allgemein vermittelte die Klinge dem Betrachter den Eindruck, sie auf keinen Fall näher kennen lernen zu wollen und gab dem gesamten Auftreten des Helden eine Bestimmtheit, der man sich nur mit einem sehr hohem Selbstvertrauen oder sehr schlechter Selbsteinschätzung in den Weg stellte. Dies war freilich beabsichtigt, denn, wie schon erwähnt, legte es der vermeintliche mutige Kämpfer darauf an, Konflikten soweit möglich aus dem Weg zu gehen.
In Bezug auf die Kleiderordnung für Helden sollte, wie vorher angekündigt, noch auf ein spezielles Detail hingewiesen werden, denn die Pflicht bei Nichtbesitz eines Helms den Besitz einer Flasche Parfum nachweisen zu müssen, mag zunächst seltsam erscheinen. Sie war jedoch, ganz im Gegenteil, sehr gut überlegt und ausgesprochen vorteilhaft. Der typische Held, hier kann man durchaus auch den speziellen Held dieser Erzählung heranziehen, wanderte oft ziellos umher, teils war er auf einem Auftrag tagelang unterwegs und trotz aller diesbezüglich eingereichter Beschwerden durch die Gewerkschaft der Helden und Retter des Vaterlandes waren die sanitären Einrichtungen in der Wildnis nach wie vor ausgesprochen schlecht ausgebaut. Entsprechend selten gelang es also einem Helden, sich zu duschen, zu baden, von regelmäßigem Zähneputzen ganz abgesehen. Das wiederum führte dazu, dass Helden in aller Regel nicht nur fettige, sondern auch außerordentlich übelriechende Haare hatten. Um die Allgemeinheit hierdurch nicht über die Maßen zu belästigen wurde ein Helm vorgeschrieben, andernfalls aber der Besitz eben einer Flasche Parfums, das selbstverständlich dazu diente, den Geruch zu überdecken. (Ein weiteres Resultat der katastrophalen hygienischen Verhältnisse waren astronomisch hohe Zahnarztrechnungen - und der Ausbruch einiger Seuchen, aber das war eigentlich nur ein kleiner Nebeneffekt.)
Mittlerweile war Ruhe eingekehrt auf dem Schlachtfeld. Die Beschreibung dessen Zustand würde wiederum Anlass für Diskussionen über Jugendfreiheit bieten. Genau deshalb wird sie nicht übersprungen, sondern in allen Einzelheiten ausgeführt:
Der Sand war von Blut getränkt, das Orangegelb der Wüste war durch ein dunkles Rot ersetzt worden. Eigentlich konnte kaum noch von Sand die Rede sein, vielmehr hatte sich eine Art blutiger Matsch gebildet. An manchen Stellen erinnerten abgeschlagene Körperteile, zersplitterte Köpfe und Gedärme an die Schlacht, die hier noch bis vor kurzem getobt hatte und ein bedrohlich wirkender Berg von Leichen türmte sich in der Mitte auf. Zwischen den zerfetzten und grausam verstümmelten Körpern lagen vereinzelte Morgensterne, Knüppel, Breitschwerter, Lanzen, Äxte, Gasphiolen und sonstige Gebrauchsgegenstände. Die Luft war schwanger von schwefelartigen Dämpfen, die den der Verrottung überlassenen Körpern entstiegen. Jede nicht durch tägliche Massenmorde geschulte Nase hätte beim Einatmen sofort und endgütlig den Dienst quittiert (Praktischerweise war der Geruchssinn des Heldens ihm bei einer anderen Schlacht durch einen Schlag auf den Hinterkopf abhanden gekommen.).
Der Held indessen, war bereits weiter gezogen, bevor der Geruch des Fleisches und des vergossenen Blutes die ersten Geier anlocken würde. Dank seiner Panzerung war er unverletzt aus dem Kampf hervor gegangen. Zu diesem Zeitpunkt war sein Gehirn gerade sehr beschäftigt, die Geschehnisse zu verarbeiten. Es tat dies mit großer Sorgfalt und der üblichen Verfahrensweise, die darin bestand, die entsprechenden Daten zu katalogisieren, zu ordnen - und anschließend zu löschen. Auf Dauer ließ sich nur so der geistige Zustand eines Helden verhältnismäßig stabil halten.
Von einigen unnötigen Gedanken befreit, nutzte der Held nun die Gelegenheit mit dem forzufahren, was er für die sinnvollste Lösung in seiner Situation hielt: er ging weiter. Er hatte wenig Lust, den kleinen Zwischenfall mit den örtlichen Behörden auszudiskutieren, die ohnehin nicht viel Wert auf freie Meinungsäußerung legten, also entschied er, dass die Wüste zwar trocken und unwirtlich, dies aber dennoch die potentiell deutlich angenehmere Alternative war.
Nach mehreren Stunden fortlaufenden Schreitens, deren Beschreibung allenfalls zur Länge, nicht aber zum Gehalt dieser Geschichte beitragen würden, erreichte er schließlich einen Ort, dessen Beschaffenheit durchaus außergewöhnlich war, denn nicht nur bot sich dem Betrachter ein perfekt erhaltenes Relikt altägyptischer Architektur dar, er war auch durch einen Obelisken flankiert. Dem Helden entging allerdings mangels ausreichender architektonischer Bildung die Ironie des genannten Baustils im Hinblick darauf, dass Ägypten einige Universen westlich lag.
Rein objektiv handelte es sich im wesentlichen und soweit das auf den ersten Blick beurteilt werden konnte, um eine Art Eingang, der recht einladend wirkte. Allerdings hätte vermutlich jeder schattige, kühle Eingang zu diesem Zeitpunkt und bei ähnlichen Temperaturen einladen gewirkt. Dem ersten Impuls Folge leistend durchschritt der Held das Tor und begann seinen Abstieg in die kühle Sicherheit, die in der Dunkelheit am Ende der Treppen zu erwarten war.
Nach einigen Minuten unten angekommen, zeigte sich zunächst, dass der Besitzer dieser Räumlichkeiten auf Licht und, was sich nach Anzünden einer Fackel heraus stellte, auf eine Putzhilfe verzichtet hatte. Den ersteren Umstand aus dem Weg geräumt sah sich der Held nun dennoch außerstande auch die Ordnungsmißstände zu beheben, da er dafür, nach eigener Ansicht, ohnehin überqualifiziert war. Er verlegte sich auf konsequente Nichtbeachtung seiner Umgebung und folgte dem langen Gang, der sich am Fuße der Treppe offenbarte und eine weitere Temperaturreduktion verhieß.