Takhisis
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Der Titel wird noch überarbeitet, den find ich nicht so toll, was den Rest der Story angeht, das lasse ich euch entscheiden^^ Aber wenn ichs jetzt nicht poste, dann schreib ich nicht weiter (wie bei so vielen angefangenen Storys...). KLA ist immer gern gesehn
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"Timothy! Was machst du hier? Hatte ich dir nicht gesagt, du sollst Holz holen? Du bist wirklich zu nichts zu gebrauchen! Was soll ich nur mit dir machen?" Eine stämmige Frau, bäuerlich gekleidet, blickte auf einen Knaben herunter. Dem Anschein nach mochte er sechs oder sieben Sommer zählen, er war mager und schmächtig, sein Haar war strähnig blond und hing ihm auf die Schultern hinab. Trotz seiner geringen Größe waren seit seiner Geburt jedoch bereits zehn Jahre vergangen. Er hatte seinen Blick auf die Füße gesenkt, nicht wagend, die wütende Frau, die allem Anschein nach seine Mutter war, anzusehen. Wenn sie böse wurde, dann richtig und Timothy wusste, das Abendmahl würde heute wohl ausfallen für ihn. "Wenn du schon nicht in der Lage bist, die einfachsten Handgriffe zu machen, dann mach dich wenigstens anderweitig nützlich und hol deinen Vater, der Nachbar sagt er sitzt schon wieder in der Kneipe in Harrogath und sucht sich Streit. Brongar! Sei doch so gut und bring du das Holz herein, der junge Herr hier scheint zu gut für solch niedere Arbeiten.
Ein grosser und kräftiger Junge kam heran, er mochte 15 Sommer erlebt haben, und grinste Timothy gehässig an. "Jaja, das muss die Größe sein, das Holz scheint mir doch etwas schwer für dich." Timmy, wie ihn seine wenigen Freunde nannten, war die Sticheleien seiner älteren Brüder gewohnt und mühte sich, sie nicht zu beachten. Manchmal jedoch, wenn es Nacht war und still in den Hügeln um Harrogath, dann dachte der Knabe über sein Leben nach und ihm kamen die Tränen. Er wünschte sich nichts sehnlicher, als wie seine Brüder helfen zu können, groß und stark, geschickt im Umgang mit dem Pflug. Doch er war bereits nach wenigen Schritten erschöpft wenn er bei der Aussaat helfen sollte. Niemand hatte sich erklären können, warum der Knabe so schwächlich war. Schon direkt nach der Geburt hatte die Hebamme festgestellt, dass etwas nicht stimmte mit dem Jungen. Seine Schreie waren nicht laut und kräftig wie die der anderen Säuglinge sondern leise und heiser. Das Baby bewegte sich nur spärlich und konnte erst spät den Kopf heben. Die Hebamme war oft zu Besuch gekommen in den ersten Monaten, da sie Schlimmstes befürchtete. Ein Säugling konnte von einer Minute auf die andere sterben und der kleine Timothy schien kaum kräftig genug zum Trinken. Doch allen Erwartungen zum Trotz überstand er den ersten Winter, die gefährlichste Zeit für einen Neugeborenen, da in den kalten Monaten durch die mangelhafte Ernährung die Muttermilch nicht so reichhaltig war. Die Mutter, Anny, hatte den Knaben länger als normal gestillt aus Angst, er könne zu schwach werden. Trotzdem entwickelte er sich nur langsam, war kleiner als alle anderen Babys seines Alters, lernte zu Krabbeln, als andere Kinder bereits die ersten Schritte taten.
Noch immer war Timothy zu klein und zu schmächtig für sein Alter, doch seine körperlichen Unzulänglichkeiten schien er durch hohe Intelligenz wettmachen zu wollen. Als er fünf wurde durfte er zum ersten Mal mit nach Harrogath zum Markt. Dort schien er Gefallen an dem alten und verrückten Cain zu finden, der ihm sicherlich zwei Stunden lang die schrecklichsten Geschichten über vergangene Zeiten erzählte, bevor die Helden nach Harrogath kamen und das Böse, das den Namen Baal trug, besiegten. Doch diese Zeit war längst vergangen, 50 Ernten waren eingebracht worden seit jenen Tagen und nur die Alten erinnerten sich noch an den Schrecken. Timothys Vater war jung gewesen, erst 15, als das Böse besiegt worden war, doch er hatte schon gekämpft, mit seinem Schwert hatte er etliche Ungeheuer vernichtet und manchmal, wenn er genug getrunken hatte um die Zunge zu lösen, doch zuwenig um nicht mehr reden zu können, dann erzählte er Timothy von seinen Heldentaten.
Nach seiner ersten Begegnung mit Cain besuchte Timothy ihn so oft es nur ging, doch die Arbeit auf dem Hof liess ihm wenig Zeit. Cain lehrte ihn, zu lesen und zu schreiben, etwas das kein einfacher Bauer vermochte, nur einige Händler und Gelehrte in der Stadt. Anny hatte oft gesagt, er sollte lieber kräftiger werden und lernen, die Ochsen vor den Pflug zu spannen statt sich mit solchem Unsinn abzugeben. Denn was sollte ein zukünftiger Bauer schon schreiben? Doch Timothy liess sich nicht abhalten und mühte sich mit den komplizierten Zeichen ab, bis er sie beherrschte. Er mochte klein sein, aber er konnte mit der Feder umgehen, etwas das seinen Brüdern wohl auf ewig verschlossen bleiben würde, mochten sie noch so stark sein.
Timothy machte sich auf den Weg. Es war für ihn kein Vergnügen, seinen Vater aus der Kneipe zu holen. Die Leute sahen seinen Vater dann mitleidig an und oft genug hatte Timothy gehört wie sie sagten, mit solch einem verkümmerten Sohn könne man verstehen, dass der Alte seinen Kummer ersäufen müsse. Timothy liess sich nie etwas anmerken, doch solche Reden waren wie ein Dolchstoß in sein Herz für ihn. Er war sich bewußt, dass er anders war, aber verkümmert? Als sei er ein Krüppel? Einer seiner Brüder, Wolfram, hatte einmal im Mitleid gesagt, ein Knabe könne sich erst spät richtig entwickeln und obwohl er klein wäre könne er in die Höhe schiessen wenn er erst älter sei. Er hatte damals draussen auf einem Stein vor dem Haus gesessen und bitterlich geweint, weil andere Kinder ihn grob gehänselt hatten. Sein Bruder war zu ihm gekommen und hatte ihn trösten wollen, doch dann war Brongar erschienen und hatte gesagt, er habe noch nie davon gehört, dass sich so etwas mit der Zeit legen könne und er sei der Meinung, Timothy würde auf ewig ein kleiner Nichtsnutz bleiben, der zur Hofarbeit nicht taugen würde. Seit diesem Tage hatte Timmy seine Tränen unterdrückt. Auch wenn er hoffte, dass Wolfram Recht haben mochte, so wusste er doch tief in seinem Herzen, dass Brongar wohl die Wahrheit gesprochen hatte.
In Harrogath herrschte reges Treiben, wie immer zur Herbstzeit, wenn die Ernten eingefahren wurden. Händler preisten noch spät ihre Waren an, denn solange das Licht der Sonne ausreichte, um zu sehen, kamen auch Kunden. Der Marktplatz war gefüllt mit Marktständen, deren Besitzer lautstark den Vorteil ihrer Produkte herauszustellen versuchten, um ihre Konkurrenz auszustechen. Dicke Bäuerinnen gingen mit Körben von Stand zu Stand und feilschten um die Preise der Waren, die sie kaufen wollten. Kinder rannten zwischen den Leuten umher und so manch eines bettelte um eine Zuckersache. Hühner flatterten aufgeregt, wenn ein vorbeikommender Mensch sie bei ihrem Mahl störte und so mancher Hund bellte den rennenden Kindern nach. Es roch nach Gewürzen, exotischen Ölen, die ein Händler an reiche Adlige verkaufte. Gebratene Hühner und Schweine liessen einem das Wasser im Mund zusammenlaufen. Ein Händler präsentierte erlesene Stoffe, die eine Frau wie Anny wohl nie tragen würde, nur die Adligen konnten sich derartiges Luxusgut leisten.
Obwohl Timothy es eigentlich mochte, wenn Markttag war, er hatte keine Augen für das bunte Treiben und keine Ohren für die Marktschreier. Er hielt sich am Rande und schlängelte sich durch die Menschen, den Blick fest auf sein Ziel gerichtet, das Gasthaus "Harrogath's Inn". Er schlüpfte an einem angetrunkenen Abeiter vorbei in die Gaststube. Qualm liess ihm kurze Zeit die Augen tränen, die Luft war stickig von Pfeifenrauch und Biergestank. Alle Möbel im Gasthaus waren grobschlächtig aber stabil, so manch eine Schlägerei hatten sie schon aushalten müssen. Der Boden war schmutzig, wohl keine Frau würde hier mit Wasser und Seife noch etwas ausrichten können. Umgestoßene Bierkrüge, blutige Nasen und heruntergefallenes Essen hatten ihre Spuren hinterlassen, nicht nur der Boden sondern auch Tische und Stühle waren betroffen. So manch ein Hocker hatte repariert werden müssen weil er als Waffe zweckentfremdet worden war, Spiegel und Fensterglas gab es schon lange nicht mehr. Das Essen wurde in Holzschalen mit einem Holzlöffel serviert, die Ausgabe von Messern war dem Wirt schlicht zu gefährlich geworden. Auch hatte so mancher tönerner Bierkrug eine Schlacht in der Wirtsstube nicht überstanden, denn wenn Arbeiter und Bauern getrunken hatten, so kam es schnell zu Streit und hier in Harrogath war eine Schlägerei nichts Ungewöhnliches, um die eigene Meinung durchzusetzen.
Schnell hatte Timothy seinen Vater entdeckt. Der riesige Barbar hatte sich vor einem Bauern aus der Nachbarschaft aufgebaut und brüllte ihn an. Der Junge war nicht sicher, worum es ging, seines Vaters Zunge schien ihm nicht mehr so gut zu gehorchen. Doch Timmy blieb keine Wahl als dazwischenzugehn, bevor sein Vater ausholen würde. Hierbei war seine körperliche Unzulänglichkeit jedoch sein Vorteil, denn kein Barbar würde jemals einen Wicht wie ihn schlagen aus Angst, ihn dabei umzubringen. So stellte er sich also zwischen seinen Vater und den anderen Bauern und fragte mit piepsiger Stimme, so schwächlich wirkend, wie es ihm nur möglich war: "Papa, bitte Papa, kannst du mich nach Hause bringen? Es wird schon dunkel und ich fürchte mich im Wald..." Natürlich hatte Timmy keine Angst vor dem Heimweg, sein Vater wäre ohnehin nicht in der Lage, ihm zu helfen, sollte etwas geschehen, doch mit diesem Trick hatte er so manches Mal den alten Bruno aus der Kneipe gelockt. Auch dieses Mal hätte es sicher funktioniert, wenn nicht Timmy ausgerechnet heute der Grund für den Streit gewesen wäre. Der Nachbar Hilmar hatte sich nämlich über den schmächtigen Knaben lustig gemacht und Bruno damit aufgezogen, er sei schon lange kein richtiger Mann mehr, wenn er nur so etwas zu zeugen vermochte. Daraufhin hatte Bruno Hilmar gesagt, er sei immer noch mehr Mann als dieser, da er zumindest in der Lage gewesen sei, überhaupt einen Sohn zu zeugen im Gegensatz zu seinem Nachbarn, der nur fünf Töchter hatte. Das alles konnte Timmy allerdings nicht ahnen und seine Frage nach Schutz auf dem Heimweg und das folgende Gelächter von Hilmar liess denn das Faß überlaufen und Bruno stürzte sich wutentbrannt auf sein Gegenüber, seinen Sohn zur Seite stoßend. Im Nu war eine handfeste Schlägerei im Gange und Timothy hatte Mühe und Not, sich in eine Ecke zu drängen und dort niederzusinken um nicht aus Versehen einen Bierkrug oder einen Tritt abzubekommen. Plötzlich packte ihm eine kräftige Hand auf die Schulter, der Wirt stand über ihm und zog ihn hinter den Tresen. "Komm Junge, geh schon heim, wenn das hier vorbei ist, lasse ich zwei Männer deinen Vater nach Hause bringen, du kannst hier nichts mehr tun." Dann fügte er noch etwas verlegen hinzu: "Es ist nicht deine Schuld, das musst du mir glauben, sie haben nur einen Grund gesucht. Es ist die schlechte Ernte dieses und letztes Jahr, zu viele Bauern bangen um ihr Getreide, denn es fault schon auf den Feldern. Sie suchten nur einen Grund zum streiten. Du musst dir deshalb keine Vorwürfe machen mein Sohn." Tränen standen Timothy in den Augen, als der Wirt ihn durch die Hintertür hinausschob. Der Junge ging gesenkten Hauptes Richtung Tor und machte sich, immer noch mit den Tränen kämpfend, auf den Heimweg.
Lornar schimpfte bereits seit er und Jonker die Stadt verlassen hatten. Bruno war ein grosser Mann und schwer noch dazu. Doch er selber konnte kaum noch laufen, Alkohol und ein kräftiger Schlag mit einem stabilen Hocker auf den Hinterkopf hatten ihm diese Fähigkeit fast gänzlich geraubt. Aber sie beide schuldeten dem Wirt noch einen Gefallen und nun mussten sie Bruno heimbringen und der Weg bis zum eigentlich recht nahen Hof konnte sich doch schon hinziehen. Sie hatten gerade den Wald erreicht, als sie einen grauenerregenden Schrei hörten, der nicht einmal mehr menschlich schien. Lang zog er sich hin und Entsetzen stand den beiden sonst recht beherzten Barbaren in den Augen. Sie liessen den schweren Bauern fallen und rannten zurück nach Harrogath.
Fackeln erhellten den Wald, sicherlich 50 Mann hatten sich aufgemacht, herauszufinden, woher der Schrei stammen mochte. Der Sohn des Schmiedes war es, der die anderen rief, denn er hatte etwas entdeckt. Die Männer drängten sich um ein Bündel, dass zwischen den Wurzeln einer uralten Eiche lag. "NEIN" Bruno war inzwischen wieder einigermassen nüchtern und stürzte zu dem auf dem Boden liegenden etwas. "Nein, nein, mein Sohn, nein, was ist geschehn, er ist tot, es ist mein Sohn..." Tränen füllten seine Augen, Verzweiflung schwang in seiner Stimme mit. "Lasst mich vorbei!" Die alte Anya drängte sich durch die Umstehenden. Sie war die letzte, die in der Heilkunde bewandt war, unter der Fittiche von Malah, die bereits seit langer Zeit die irdischen Städte verlassen hatte, hatte sie gerlernt. Anya hatte Timothy auf die Welt geholfen, so wie allen Kindern der Gegend, denn sie war die einzige Hebamme. Mehr als ein Barbar wurde von ihr zur Seite gschubst und schliesslich kniete sie bei dem Knaben. "Er ist nicht tot, er atmet noch, aber er ist sehr schwach." - "Aber seine Augen sind offen, wenn er leben würde und das Bewusstsein verloren hätte, dann würde er doch nicht die Augen offen haben...." Bruno schien verzweifelt. "Doch, er lebt noch, aber nach dem, was Lornar und Jonker sagten und nach dem, was ich hier sehen kann, muss ihm etwas unbeschreiblich Grausames geschehen sein." Nun, wo Anya es sagte, bemerkten es auch die anderen Barbaren. Der Junge hatte weit aufgerissene Augen, was auch immer er gesehen hatte, es musste furchtbar gewesen sein, so furchtbar, dass es seine Haare hatte weiß werden lassen. Keiner konnte sagen, was es gewesen sein mochte. Die Kleider des Kindes waren regelrecht zerfezt und unzählige kleine Wunden, scheinbar gerissen von Klauen und scharfen Zähnen, bedeckten den Körper.
Timothy lag auf seinem Strohsack, Anya kniete seit Stunden schon neben ihm und suchte ihn aus seinem Zustand zu reissen, doch vergeblich. Der Junge lag dort, wie man ihn gebettet hatte, noch immer die Augen weit offen, der Atem nur langsam und schwer. Anny stand neben ihm und weinte leise Tränen, Wolfram und Brongar hatten versucht, die Mutter zu trösten, doch es war vergeblich. Tief in seinem Herzen weinte auch Brongar, machte sich Vorwürfe für jede Bosheit, die er seinem kleinen Bruder hatte zukommen lassen. Er war der Älteste, er hätte da sein müssen, um seinen schwachen Bruder zu schützen. Wolfram liefen Tränen über die Wangen, normalerweise hätte Brongar ihn gehänselt, doch nun beneidete er seinen Bruder um die Fähigkeit, noch zu weinen, etwas das er selber vor langer Zeit verlernt hatte. Obwohl er über Timothy gelacht hatte, obwohl er keine Stichelei ausgelassen hatte, so war der Knabe dennoch sein Bruder und er hatte ihn nicht nur gern, sondern fühlte sich verantwortlich für ihn. Er hatte seine Pflichten vernachlässigt, hatte den Jungen nicht beschützt und das nagte an ihm.
Bruno saß in der Stube, den blick stur nach vorne gerichtet. Seit sie angekommen waren, seit er das kleine Bündel auf seinen Armen seiner Frau übergeben hatte, saß er nun hier und schien seine umgebung nicht mehr wahrzunehmen. Eine Flasche Schnaps stand vor ihm, doch er hatte sie nicht angerührt. Er hatte den Jungen alleine gelassen, er war nciht bei ihm gewesen weil er sich unbedingt hatte mit Hilmar anlegen müssen. Er als erwachsener Mann, er als Krieger hätte nichts geben dürfen auf die unüberlegten Worte seines Nachbarn. Er hätte Größe zeigen müssen und seinen kleinen Sohn beschützen, statt sich in eine sinnlose Schlägerei zu stürzen. Wäre er dagewesen...ja wäre er nur dagewesen. In seiner Jugend hatte er gekämpft. Er war stark und mächtig gewesen, im Dienste einer Magierin. Er hatte sie und ihre Gefährten begleitet und sich mit ihnen Baal gestellt. Sie hatten gesiegt und man hatte ihn in Harrogath als Helden gefeiert. Doch mit der Zeit hatte er erkannt, dass das ruhige Leben eines Bauern einfach nicht sein Leben war. Er hatte getrunken, doch immer noch in Maßen, um seinen Kummer herunterzuspülen. Er war kein guter Bauer gewesen und das wusste er auch. Doch er hatte einen Hof, den er seinen Söhnen vermachen konnte. In dieser Zeit brauchte man keine Helden mehr. Ja, er war ein guter Kämpfer gewesen. Er hatte die Magierin geschützt, sich in die Reihen der Ungeheuer gestürzt, damit sie Zeit hatte, ihre Magie zu wirken. Er hatte neben dem Paladin gekämpft, hatte ihn unterstützt und die Amazone gedeckt, die aus der zweiten Reihe eine Salve Pfeile nach der anderen verschossen hatte. Jeder Schlag von ihm hatte einen Dämonen das Leben gekostet. Doch sein Weizen wuchs schlecht und seine Kühe gaben wenig Milch und so hatten seine Söhne früh den hof übernommen, denn er taugte nicht für dieses Leben. Doch dann wurde Timothy geboren und noch im Mutterleib hatte sein Vater ihm erzählt, wie er den Jüngsten zum Krieger machen wolle, wie er ihm die Fertigkeit mit dem Schwerte beibringen würde, so wie sein Vater es einst mit ihm gemacht hatte. Doch er wurde enttäuscht, denn der Knabe hatte nicht einmal die Kraft, ein Schwert zu halten, ganz zu schweigen davon, es zu schwingen. Nach Timmys Geburt hatte Bruno bekommen, sich wirklich zu betrinken. Tagein, tagaus, immer war er in der Wirtsstube und ertränkte seinen Kummer. Immer leichter konnte man ihn reizen und immer öfter prügelte er
sich. Nein, er war kein junger Mann mehr, oftmals lag er bewußtlos auf dem boden und ein Jüngerer stand über ihm. Er konnte nicht mehr kämpfen, seine Muskeln waren verfettet durch den Alkohol und das ewige Herumsitzen. Seine Söhne kümmerten sich um den Hof damit die Familie nicht hungerte. Er war ein schlechter Bauer, ein schlechter Ehemann und ein schlechter Vater. Und nun hatte es den kleinen Timothy getroffen, der doch ganz unschuldig war, der nie einer Fliege etwas zuleide getan hätte. Der sich nicht hatte wehren können.
Timothy kämpfte. Sie versuchten ihn festzuhalten, von dem Licht fortzuzerren, doch er wollte nicht aufgeben. Er spürte Kräfte aus seinem tiefsten Inneren emporsteigen, ungeahnte Stärke und es gelang ihm, sich loszureissen. Er stolperte vorwärts, doch immer mehr Kreaturen kamen aus dem Nichts und versperrten ihm den Weg. Er hörte seine Mutter weinen, er hörte die alte Anya, die nach ihm rief. Er wollte antworten, doch seine Zunge liess sich nicht lösen und so kämpfte er sich weiter vorwärts. Doch die kleinen Dämonen, die um ihn herumsprangen, ihn mit spitzen Messerchen malträtierten und ihn mit Feuerkugeln bewarfen dass ihm schwindelte, hinderten ihn, schienen ihn zu besiegen. Da hörte er eine kräftige, machtvolle Stimme, die ein Wort sagte, dass er nicht verstand. Eine weisse Kugel traf einen der Dämonen, der mit einem Schrei zusammenbrach. Dann, ein zweites Wort und aus der Leiche des Ungeheuers erhob sich ein Skelett und stürzte sich auf einen weiteres Ungetüm, diesmal ein kleines rotes Wesen, das ständig irgendwelche grausigen Kampfschreie ausstiess. Wieder das erste Wort und ein weiterer Dämon wurde von einer dieser weissen Kugeln niedergestreckt. Und auch hier liess die Stimme ein Skelett aus der Leiche emporsteigen. Timothy wurde ganz ruhig, er fühlte die Stimme, die mehr und mehr Kugeln auf die Gegner niedergehen liess und immer neue Skelette erschuf. Er öffnete den Mund, er hörte seine eigene Stimme, kräftiger als je zuvor. Eine Kugel aus weissem Licht schoss aus seinen Fingern und vernichtete einen der Angreifer. Und auf sein Wort hin erhob sich ein Skelett aus der Leiche und kämpfte für ihn.
Nur ein Wort, ein einziges. Kraftvoll ausgesprochen. Anny und ihre beiden Ältesten sahen auf, erschaunt. Doch Anya erfasste das Grauen. Eine Gänsehaut erfasste sie und breitete sich über ihrem Körper aus. Ja, sie hatte es schon einmal gehört, als sie gefangen war im Eis und eine Gruppe Helden sie befreite, die Gruppe, mit der Bruno unterwegs gewesen war. Und sie hatte nie vergessen, was sie gesehen hatte.
Bruno hörte es und erinnerte sich. Der Schrecken, als Tal`iem, einer der Helden, mit denen er unterwegs war, zum ersten Mal in seiner Gegenwart ein Skelett aus der Leiche eines gefallenen Gegners auferstehen liess. Die Kälte, die damals von ihm Besitz ergriffen hatte, als er das Unvorstellbare gesehen hatte. Das Grauen, als er begriff, warum sie Tal`iem Totenbeschwörer nannten.
Der Junge verstand. Die Worte schienen ihm vertraut, als hätte er sie in einem anderen Leben bereits gesprochen. Es kam ihm leicht über die Lippen, immer mehr Skelette dienten ihm und immer stärker wurden die Kugeln, die er seinen Gegnern entgegenschleuderte. Er wusste nicht, wie er hierhergekommen war, er erinnerte sich nicht, was ihn im Wald wiederfahren war, er wusste nur, er musste dieses Licht erreichen. Immer näher kam er ihm, immer deutlicher wurde es. Ein Dämon nach dem anderen fiel unter den Schlägen seiner toten Diener. Doch dann, aus dem Schatten, näherte sich ein geflügeltes Ungeheuer, grösser und stärker als alle anderen Dämonen, die er besiegt hatte und ihm folgten weitere. Timothy liess eine Kugel aus seinen Fingern schiessen doch auch eine weitere konnte den neuen Dämon nicht vernichten. Und dessen Artgenossen kamen näher. Seine Skelette stürzten sich auf den neuen Feind, doch ein Feuerstoß liess die Hälfte von ihnen zu Asche zerfallen. Da hörte er wieder die Stimme, lauter, deutlicher und ein Wesen aus Feuer erschien und stürzte sich auf den Gegner. Timothy ahmte die Worte nach und ein Wesen aus Metall stieg aus der Waffe eines bereits toten Dämons empor und kämpfte. Unter den Schlägen der beiden beschworenen Kreaturen ging der Dämon schliesslich nieder und die Stimme sprach erneut ein Wort. Der Dämon erhob sich, jetzt jedoch schwarz und kalt, und stürzte sich in den Kampf mit der nahenden Gruppe Ungetüme. Nach und nach fielen die neuen Gegner, doch dann zerfiel der beschworene Dämon zu Staub und die Wesen aus Feuer und Metall wurden besiegt. Timothy spürte die Angst in sich aufsteigen, doch er beherrschte sich und wiederholte, was die Stimme gesagt hatte. Ein neuer Dämon erhob sich schwarz vom Boden und mit jedem Wort von Timothy wurde ein weiterer Toter wiedererweckt. Dann hatte er gesiegt. Er stand vor dem Licht und sah seine Mutter, Tränen auf den Wangen. Er erblickte sich selbst, auf dem Stroh liegend, mit weit aufgerissenen Augen. Timothy trat durch das Licht in den Raum und eine unvorstellbare Kraft zog ihn zu seinem dort liegenden Körper. Dann wurde es dunkel.
Anya sah, wie der kleine Junge auf dem Strohsack seine Augen schloss. Sein Atem wurde ruhig und gleichmässig, doch sein Gesicht blieb blass und seine Haare weiss. Sie hörte ein Geräusch an der Tür und erblickte Bruno, wie er seinen Sohn anstarrte, ja, er wusste was sie auch gesehen hatte, was sie gehört hatte und was sie verstanden hatte. Denn er hatte es auch gesehen und er hatte verstanden. Er wusste, sein Sohn würde niemals stärker werden, niemals eine Waffe selber führen, niemals wieder die roten Wangen haben, die ein Knabe nach angestrengtem Laufen bekam. Er hatte die Magierin begleitet und mit ihr Tal`iem. Er kannte das Wort, dass sein Sohn ausgesprochen hatte. Anya und Bruno hatte beide das Böse gesehen, hatten dagegen gekämpft. Sie beide hatten eine schreckliche Ahnung, unausgesprochen hing sie im Raum und beide wussten, auch der andere hatte diesen Gedanken.
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"Timothy! Was machst du hier? Hatte ich dir nicht gesagt, du sollst Holz holen? Du bist wirklich zu nichts zu gebrauchen! Was soll ich nur mit dir machen?" Eine stämmige Frau, bäuerlich gekleidet, blickte auf einen Knaben herunter. Dem Anschein nach mochte er sechs oder sieben Sommer zählen, er war mager und schmächtig, sein Haar war strähnig blond und hing ihm auf die Schultern hinab. Trotz seiner geringen Größe waren seit seiner Geburt jedoch bereits zehn Jahre vergangen. Er hatte seinen Blick auf die Füße gesenkt, nicht wagend, die wütende Frau, die allem Anschein nach seine Mutter war, anzusehen. Wenn sie böse wurde, dann richtig und Timothy wusste, das Abendmahl würde heute wohl ausfallen für ihn. "Wenn du schon nicht in der Lage bist, die einfachsten Handgriffe zu machen, dann mach dich wenigstens anderweitig nützlich und hol deinen Vater, der Nachbar sagt er sitzt schon wieder in der Kneipe in Harrogath und sucht sich Streit. Brongar! Sei doch so gut und bring du das Holz herein, der junge Herr hier scheint zu gut für solch niedere Arbeiten.
Ein grosser und kräftiger Junge kam heran, er mochte 15 Sommer erlebt haben, und grinste Timothy gehässig an. "Jaja, das muss die Größe sein, das Holz scheint mir doch etwas schwer für dich." Timmy, wie ihn seine wenigen Freunde nannten, war die Sticheleien seiner älteren Brüder gewohnt und mühte sich, sie nicht zu beachten. Manchmal jedoch, wenn es Nacht war und still in den Hügeln um Harrogath, dann dachte der Knabe über sein Leben nach und ihm kamen die Tränen. Er wünschte sich nichts sehnlicher, als wie seine Brüder helfen zu können, groß und stark, geschickt im Umgang mit dem Pflug. Doch er war bereits nach wenigen Schritten erschöpft wenn er bei der Aussaat helfen sollte. Niemand hatte sich erklären können, warum der Knabe so schwächlich war. Schon direkt nach der Geburt hatte die Hebamme festgestellt, dass etwas nicht stimmte mit dem Jungen. Seine Schreie waren nicht laut und kräftig wie die der anderen Säuglinge sondern leise und heiser. Das Baby bewegte sich nur spärlich und konnte erst spät den Kopf heben. Die Hebamme war oft zu Besuch gekommen in den ersten Monaten, da sie Schlimmstes befürchtete. Ein Säugling konnte von einer Minute auf die andere sterben und der kleine Timothy schien kaum kräftig genug zum Trinken. Doch allen Erwartungen zum Trotz überstand er den ersten Winter, die gefährlichste Zeit für einen Neugeborenen, da in den kalten Monaten durch die mangelhafte Ernährung die Muttermilch nicht so reichhaltig war. Die Mutter, Anny, hatte den Knaben länger als normal gestillt aus Angst, er könne zu schwach werden. Trotzdem entwickelte er sich nur langsam, war kleiner als alle anderen Babys seines Alters, lernte zu Krabbeln, als andere Kinder bereits die ersten Schritte taten.
Noch immer war Timothy zu klein und zu schmächtig für sein Alter, doch seine körperlichen Unzulänglichkeiten schien er durch hohe Intelligenz wettmachen zu wollen. Als er fünf wurde durfte er zum ersten Mal mit nach Harrogath zum Markt. Dort schien er Gefallen an dem alten und verrückten Cain zu finden, der ihm sicherlich zwei Stunden lang die schrecklichsten Geschichten über vergangene Zeiten erzählte, bevor die Helden nach Harrogath kamen und das Böse, das den Namen Baal trug, besiegten. Doch diese Zeit war längst vergangen, 50 Ernten waren eingebracht worden seit jenen Tagen und nur die Alten erinnerten sich noch an den Schrecken. Timothys Vater war jung gewesen, erst 15, als das Böse besiegt worden war, doch er hatte schon gekämpft, mit seinem Schwert hatte er etliche Ungeheuer vernichtet und manchmal, wenn er genug getrunken hatte um die Zunge zu lösen, doch zuwenig um nicht mehr reden zu können, dann erzählte er Timothy von seinen Heldentaten.
Nach seiner ersten Begegnung mit Cain besuchte Timothy ihn so oft es nur ging, doch die Arbeit auf dem Hof liess ihm wenig Zeit. Cain lehrte ihn, zu lesen und zu schreiben, etwas das kein einfacher Bauer vermochte, nur einige Händler und Gelehrte in der Stadt. Anny hatte oft gesagt, er sollte lieber kräftiger werden und lernen, die Ochsen vor den Pflug zu spannen statt sich mit solchem Unsinn abzugeben. Denn was sollte ein zukünftiger Bauer schon schreiben? Doch Timothy liess sich nicht abhalten und mühte sich mit den komplizierten Zeichen ab, bis er sie beherrschte. Er mochte klein sein, aber er konnte mit der Feder umgehen, etwas das seinen Brüdern wohl auf ewig verschlossen bleiben würde, mochten sie noch so stark sein.
Timothy machte sich auf den Weg. Es war für ihn kein Vergnügen, seinen Vater aus der Kneipe zu holen. Die Leute sahen seinen Vater dann mitleidig an und oft genug hatte Timothy gehört wie sie sagten, mit solch einem verkümmerten Sohn könne man verstehen, dass der Alte seinen Kummer ersäufen müsse. Timothy liess sich nie etwas anmerken, doch solche Reden waren wie ein Dolchstoß in sein Herz für ihn. Er war sich bewußt, dass er anders war, aber verkümmert? Als sei er ein Krüppel? Einer seiner Brüder, Wolfram, hatte einmal im Mitleid gesagt, ein Knabe könne sich erst spät richtig entwickeln und obwohl er klein wäre könne er in die Höhe schiessen wenn er erst älter sei. Er hatte damals draussen auf einem Stein vor dem Haus gesessen und bitterlich geweint, weil andere Kinder ihn grob gehänselt hatten. Sein Bruder war zu ihm gekommen und hatte ihn trösten wollen, doch dann war Brongar erschienen und hatte gesagt, er habe noch nie davon gehört, dass sich so etwas mit der Zeit legen könne und er sei der Meinung, Timothy würde auf ewig ein kleiner Nichtsnutz bleiben, der zur Hofarbeit nicht taugen würde. Seit diesem Tage hatte Timmy seine Tränen unterdrückt. Auch wenn er hoffte, dass Wolfram Recht haben mochte, so wusste er doch tief in seinem Herzen, dass Brongar wohl die Wahrheit gesprochen hatte.
In Harrogath herrschte reges Treiben, wie immer zur Herbstzeit, wenn die Ernten eingefahren wurden. Händler preisten noch spät ihre Waren an, denn solange das Licht der Sonne ausreichte, um zu sehen, kamen auch Kunden. Der Marktplatz war gefüllt mit Marktständen, deren Besitzer lautstark den Vorteil ihrer Produkte herauszustellen versuchten, um ihre Konkurrenz auszustechen. Dicke Bäuerinnen gingen mit Körben von Stand zu Stand und feilschten um die Preise der Waren, die sie kaufen wollten. Kinder rannten zwischen den Leuten umher und so manch eines bettelte um eine Zuckersache. Hühner flatterten aufgeregt, wenn ein vorbeikommender Mensch sie bei ihrem Mahl störte und so mancher Hund bellte den rennenden Kindern nach. Es roch nach Gewürzen, exotischen Ölen, die ein Händler an reiche Adlige verkaufte. Gebratene Hühner und Schweine liessen einem das Wasser im Mund zusammenlaufen. Ein Händler präsentierte erlesene Stoffe, die eine Frau wie Anny wohl nie tragen würde, nur die Adligen konnten sich derartiges Luxusgut leisten.
Obwohl Timothy es eigentlich mochte, wenn Markttag war, er hatte keine Augen für das bunte Treiben und keine Ohren für die Marktschreier. Er hielt sich am Rande und schlängelte sich durch die Menschen, den Blick fest auf sein Ziel gerichtet, das Gasthaus "Harrogath's Inn". Er schlüpfte an einem angetrunkenen Abeiter vorbei in die Gaststube. Qualm liess ihm kurze Zeit die Augen tränen, die Luft war stickig von Pfeifenrauch und Biergestank. Alle Möbel im Gasthaus waren grobschlächtig aber stabil, so manch eine Schlägerei hatten sie schon aushalten müssen. Der Boden war schmutzig, wohl keine Frau würde hier mit Wasser und Seife noch etwas ausrichten können. Umgestoßene Bierkrüge, blutige Nasen und heruntergefallenes Essen hatten ihre Spuren hinterlassen, nicht nur der Boden sondern auch Tische und Stühle waren betroffen. So manch ein Hocker hatte repariert werden müssen weil er als Waffe zweckentfremdet worden war, Spiegel und Fensterglas gab es schon lange nicht mehr. Das Essen wurde in Holzschalen mit einem Holzlöffel serviert, die Ausgabe von Messern war dem Wirt schlicht zu gefährlich geworden. Auch hatte so mancher tönerner Bierkrug eine Schlacht in der Wirtsstube nicht überstanden, denn wenn Arbeiter und Bauern getrunken hatten, so kam es schnell zu Streit und hier in Harrogath war eine Schlägerei nichts Ungewöhnliches, um die eigene Meinung durchzusetzen.
Schnell hatte Timothy seinen Vater entdeckt. Der riesige Barbar hatte sich vor einem Bauern aus der Nachbarschaft aufgebaut und brüllte ihn an. Der Junge war nicht sicher, worum es ging, seines Vaters Zunge schien ihm nicht mehr so gut zu gehorchen. Doch Timmy blieb keine Wahl als dazwischenzugehn, bevor sein Vater ausholen würde. Hierbei war seine körperliche Unzulänglichkeit jedoch sein Vorteil, denn kein Barbar würde jemals einen Wicht wie ihn schlagen aus Angst, ihn dabei umzubringen. So stellte er sich also zwischen seinen Vater und den anderen Bauern und fragte mit piepsiger Stimme, so schwächlich wirkend, wie es ihm nur möglich war: "Papa, bitte Papa, kannst du mich nach Hause bringen? Es wird schon dunkel und ich fürchte mich im Wald..." Natürlich hatte Timmy keine Angst vor dem Heimweg, sein Vater wäre ohnehin nicht in der Lage, ihm zu helfen, sollte etwas geschehen, doch mit diesem Trick hatte er so manches Mal den alten Bruno aus der Kneipe gelockt. Auch dieses Mal hätte es sicher funktioniert, wenn nicht Timmy ausgerechnet heute der Grund für den Streit gewesen wäre. Der Nachbar Hilmar hatte sich nämlich über den schmächtigen Knaben lustig gemacht und Bruno damit aufgezogen, er sei schon lange kein richtiger Mann mehr, wenn er nur so etwas zu zeugen vermochte. Daraufhin hatte Bruno Hilmar gesagt, er sei immer noch mehr Mann als dieser, da er zumindest in der Lage gewesen sei, überhaupt einen Sohn zu zeugen im Gegensatz zu seinem Nachbarn, der nur fünf Töchter hatte. Das alles konnte Timmy allerdings nicht ahnen und seine Frage nach Schutz auf dem Heimweg und das folgende Gelächter von Hilmar liess denn das Faß überlaufen und Bruno stürzte sich wutentbrannt auf sein Gegenüber, seinen Sohn zur Seite stoßend. Im Nu war eine handfeste Schlägerei im Gange und Timothy hatte Mühe und Not, sich in eine Ecke zu drängen und dort niederzusinken um nicht aus Versehen einen Bierkrug oder einen Tritt abzubekommen. Plötzlich packte ihm eine kräftige Hand auf die Schulter, der Wirt stand über ihm und zog ihn hinter den Tresen. "Komm Junge, geh schon heim, wenn das hier vorbei ist, lasse ich zwei Männer deinen Vater nach Hause bringen, du kannst hier nichts mehr tun." Dann fügte er noch etwas verlegen hinzu: "Es ist nicht deine Schuld, das musst du mir glauben, sie haben nur einen Grund gesucht. Es ist die schlechte Ernte dieses und letztes Jahr, zu viele Bauern bangen um ihr Getreide, denn es fault schon auf den Feldern. Sie suchten nur einen Grund zum streiten. Du musst dir deshalb keine Vorwürfe machen mein Sohn." Tränen standen Timothy in den Augen, als der Wirt ihn durch die Hintertür hinausschob. Der Junge ging gesenkten Hauptes Richtung Tor und machte sich, immer noch mit den Tränen kämpfend, auf den Heimweg.
Lornar schimpfte bereits seit er und Jonker die Stadt verlassen hatten. Bruno war ein grosser Mann und schwer noch dazu. Doch er selber konnte kaum noch laufen, Alkohol und ein kräftiger Schlag mit einem stabilen Hocker auf den Hinterkopf hatten ihm diese Fähigkeit fast gänzlich geraubt. Aber sie beide schuldeten dem Wirt noch einen Gefallen und nun mussten sie Bruno heimbringen und der Weg bis zum eigentlich recht nahen Hof konnte sich doch schon hinziehen. Sie hatten gerade den Wald erreicht, als sie einen grauenerregenden Schrei hörten, der nicht einmal mehr menschlich schien. Lang zog er sich hin und Entsetzen stand den beiden sonst recht beherzten Barbaren in den Augen. Sie liessen den schweren Bauern fallen und rannten zurück nach Harrogath.
Fackeln erhellten den Wald, sicherlich 50 Mann hatten sich aufgemacht, herauszufinden, woher der Schrei stammen mochte. Der Sohn des Schmiedes war es, der die anderen rief, denn er hatte etwas entdeckt. Die Männer drängten sich um ein Bündel, dass zwischen den Wurzeln einer uralten Eiche lag. "NEIN" Bruno war inzwischen wieder einigermassen nüchtern und stürzte zu dem auf dem Boden liegenden etwas. "Nein, nein, mein Sohn, nein, was ist geschehn, er ist tot, es ist mein Sohn..." Tränen füllten seine Augen, Verzweiflung schwang in seiner Stimme mit. "Lasst mich vorbei!" Die alte Anya drängte sich durch die Umstehenden. Sie war die letzte, die in der Heilkunde bewandt war, unter der Fittiche von Malah, die bereits seit langer Zeit die irdischen Städte verlassen hatte, hatte sie gerlernt. Anya hatte Timothy auf die Welt geholfen, so wie allen Kindern der Gegend, denn sie war die einzige Hebamme. Mehr als ein Barbar wurde von ihr zur Seite gschubst und schliesslich kniete sie bei dem Knaben. "Er ist nicht tot, er atmet noch, aber er ist sehr schwach." - "Aber seine Augen sind offen, wenn er leben würde und das Bewusstsein verloren hätte, dann würde er doch nicht die Augen offen haben...." Bruno schien verzweifelt. "Doch, er lebt noch, aber nach dem, was Lornar und Jonker sagten und nach dem, was ich hier sehen kann, muss ihm etwas unbeschreiblich Grausames geschehen sein." Nun, wo Anya es sagte, bemerkten es auch die anderen Barbaren. Der Junge hatte weit aufgerissene Augen, was auch immer er gesehen hatte, es musste furchtbar gewesen sein, so furchtbar, dass es seine Haare hatte weiß werden lassen. Keiner konnte sagen, was es gewesen sein mochte. Die Kleider des Kindes waren regelrecht zerfezt und unzählige kleine Wunden, scheinbar gerissen von Klauen und scharfen Zähnen, bedeckten den Körper.
Timothy lag auf seinem Strohsack, Anya kniete seit Stunden schon neben ihm und suchte ihn aus seinem Zustand zu reissen, doch vergeblich. Der Junge lag dort, wie man ihn gebettet hatte, noch immer die Augen weit offen, der Atem nur langsam und schwer. Anny stand neben ihm und weinte leise Tränen, Wolfram und Brongar hatten versucht, die Mutter zu trösten, doch es war vergeblich. Tief in seinem Herzen weinte auch Brongar, machte sich Vorwürfe für jede Bosheit, die er seinem kleinen Bruder hatte zukommen lassen. Er war der Älteste, er hätte da sein müssen, um seinen schwachen Bruder zu schützen. Wolfram liefen Tränen über die Wangen, normalerweise hätte Brongar ihn gehänselt, doch nun beneidete er seinen Bruder um die Fähigkeit, noch zu weinen, etwas das er selber vor langer Zeit verlernt hatte. Obwohl er über Timothy gelacht hatte, obwohl er keine Stichelei ausgelassen hatte, so war der Knabe dennoch sein Bruder und er hatte ihn nicht nur gern, sondern fühlte sich verantwortlich für ihn. Er hatte seine Pflichten vernachlässigt, hatte den Jungen nicht beschützt und das nagte an ihm.
Bruno saß in der Stube, den blick stur nach vorne gerichtet. Seit sie angekommen waren, seit er das kleine Bündel auf seinen Armen seiner Frau übergeben hatte, saß er nun hier und schien seine umgebung nicht mehr wahrzunehmen. Eine Flasche Schnaps stand vor ihm, doch er hatte sie nicht angerührt. Er hatte den Jungen alleine gelassen, er war nciht bei ihm gewesen weil er sich unbedingt hatte mit Hilmar anlegen müssen. Er als erwachsener Mann, er als Krieger hätte nichts geben dürfen auf die unüberlegten Worte seines Nachbarn. Er hätte Größe zeigen müssen und seinen kleinen Sohn beschützen, statt sich in eine sinnlose Schlägerei zu stürzen. Wäre er dagewesen...ja wäre er nur dagewesen. In seiner Jugend hatte er gekämpft. Er war stark und mächtig gewesen, im Dienste einer Magierin. Er hatte sie und ihre Gefährten begleitet und sich mit ihnen Baal gestellt. Sie hatten gesiegt und man hatte ihn in Harrogath als Helden gefeiert. Doch mit der Zeit hatte er erkannt, dass das ruhige Leben eines Bauern einfach nicht sein Leben war. Er hatte getrunken, doch immer noch in Maßen, um seinen Kummer herunterzuspülen. Er war kein guter Bauer gewesen und das wusste er auch. Doch er hatte einen Hof, den er seinen Söhnen vermachen konnte. In dieser Zeit brauchte man keine Helden mehr. Ja, er war ein guter Kämpfer gewesen. Er hatte die Magierin geschützt, sich in die Reihen der Ungeheuer gestürzt, damit sie Zeit hatte, ihre Magie zu wirken. Er hatte neben dem Paladin gekämpft, hatte ihn unterstützt und die Amazone gedeckt, die aus der zweiten Reihe eine Salve Pfeile nach der anderen verschossen hatte. Jeder Schlag von ihm hatte einen Dämonen das Leben gekostet. Doch sein Weizen wuchs schlecht und seine Kühe gaben wenig Milch und so hatten seine Söhne früh den hof übernommen, denn er taugte nicht für dieses Leben. Doch dann wurde Timothy geboren und noch im Mutterleib hatte sein Vater ihm erzählt, wie er den Jüngsten zum Krieger machen wolle, wie er ihm die Fertigkeit mit dem Schwerte beibringen würde, so wie sein Vater es einst mit ihm gemacht hatte. Doch er wurde enttäuscht, denn der Knabe hatte nicht einmal die Kraft, ein Schwert zu halten, ganz zu schweigen davon, es zu schwingen. Nach Timmys Geburt hatte Bruno bekommen, sich wirklich zu betrinken. Tagein, tagaus, immer war er in der Wirtsstube und ertränkte seinen Kummer. Immer leichter konnte man ihn reizen und immer öfter prügelte er
sich. Nein, er war kein junger Mann mehr, oftmals lag er bewußtlos auf dem boden und ein Jüngerer stand über ihm. Er konnte nicht mehr kämpfen, seine Muskeln waren verfettet durch den Alkohol und das ewige Herumsitzen. Seine Söhne kümmerten sich um den Hof damit die Familie nicht hungerte. Er war ein schlechter Bauer, ein schlechter Ehemann und ein schlechter Vater. Und nun hatte es den kleinen Timothy getroffen, der doch ganz unschuldig war, der nie einer Fliege etwas zuleide getan hätte. Der sich nicht hatte wehren können.
Timothy kämpfte. Sie versuchten ihn festzuhalten, von dem Licht fortzuzerren, doch er wollte nicht aufgeben. Er spürte Kräfte aus seinem tiefsten Inneren emporsteigen, ungeahnte Stärke und es gelang ihm, sich loszureissen. Er stolperte vorwärts, doch immer mehr Kreaturen kamen aus dem Nichts und versperrten ihm den Weg. Er hörte seine Mutter weinen, er hörte die alte Anya, die nach ihm rief. Er wollte antworten, doch seine Zunge liess sich nicht lösen und so kämpfte er sich weiter vorwärts. Doch die kleinen Dämonen, die um ihn herumsprangen, ihn mit spitzen Messerchen malträtierten und ihn mit Feuerkugeln bewarfen dass ihm schwindelte, hinderten ihn, schienen ihn zu besiegen. Da hörte er eine kräftige, machtvolle Stimme, die ein Wort sagte, dass er nicht verstand. Eine weisse Kugel traf einen der Dämonen, der mit einem Schrei zusammenbrach. Dann, ein zweites Wort und aus der Leiche des Ungeheuers erhob sich ein Skelett und stürzte sich auf einen weiteres Ungetüm, diesmal ein kleines rotes Wesen, das ständig irgendwelche grausigen Kampfschreie ausstiess. Wieder das erste Wort und ein weiterer Dämon wurde von einer dieser weissen Kugeln niedergestreckt. Und auch hier liess die Stimme ein Skelett aus der Leiche emporsteigen. Timothy wurde ganz ruhig, er fühlte die Stimme, die mehr und mehr Kugeln auf die Gegner niedergehen liess und immer neue Skelette erschuf. Er öffnete den Mund, er hörte seine eigene Stimme, kräftiger als je zuvor. Eine Kugel aus weissem Licht schoss aus seinen Fingern und vernichtete einen der Angreifer. Und auf sein Wort hin erhob sich ein Skelett aus der Leiche und kämpfte für ihn.
Nur ein Wort, ein einziges. Kraftvoll ausgesprochen. Anny und ihre beiden Ältesten sahen auf, erschaunt. Doch Anya erfasste das Grauen. Eine Gänsehaut erfasste sie und breitete sich über ihrem Körper aus. Ja, sie hatte es schon einmal gehört, als sie gefangen war im Eis und eine Gruppe Helden sie befreite, die Gruppe, mit der Bruno unterwegs gewesen war. Und sie hatte nie vergessen, was sie gesehen hatte.
Bruno hörte es und erinnerte sich. Der Schrecken, als Tal`iem, einer der Helden, mit denen er unterwegs war, zum ersten Mal in seiner Gegenwart ein Skelett aus der Leiche eines gefallenen Gegners auferstehen liess. Die Kälte, die damals von ihm Besitz ergriffen hatte, als er das Unvorstellbare gesehen hatte. Das Grauen, als er begriff, warum sie Tal`iem Totenbeschwörer nannten.
Der Junge verstand. Die Worte schienen ihm vertraut, als hätte er sie in einem anderen Leben bereits gesprochen. Es kam ihm leicht über die Lippen, immer mehr Skelette dienten ihm und immer stärker wurden die Kugeln, die er seinen Gegnern entgegenschleuderte. Er wusste nicht, wie er hierhergekommen war, er erinnerte sich nicht, was ihn im Wald wiederfahren war, er wusste nur, er musste dieses Licht erreichen. Immer näher kam er ihm, immer deutlicher wurde es. Ein Dämon nach dem anderen fiel unter den Schlägen seiner toten Diener. Doch dann, aus dem Schatten, näherte sich ein geflügeltes Ungeheuer, grösser und stärker als alle anderen Dämonen, die er besiegt hatte und ihm folgten weitere. Timothy liess eine Kugel aus seinen Fingern schiessen doch auch eine weitere konnte den neuen Dämon nicht vernichten. Und dessen Artgenossen kamen näher. Seine Skelette stürzten sich auf den neuen Feind, doch ein Feuerstoß liess die Hälfte von ihnen zu Asche zerfallen. Da hörte er wieder die Stimme, lauter, deutlicher und ein Wesen aus Feuer erschien und stürzte sich auf den Gegner. Timothy ahmte die Worte nach und ein Wesen aus Metall stieg aus der Waffe eines bereits toten Dämons empor und kämpfte. Unter den Schlägen der beiden beschworenen Kreaturen ging der Dämon schliesslich nieder und die Stimme sprach erneut ein Wort. Der Dämon erhob sich, jetzt jedoch schwarz und kalt, und stürzte sich in den Kampf mit der nahenden Gruppe Ungetüme. Nach und nach fielen die neuen Gegner, doch dann zerfiel der beschworene Dämon zu Staub und die Wesen aus Feuer und Metall wurden besiegt. Timothy spürte die Angst in sich aufsteigen, doch er beherrschte sich und wiederholte, was die Stimme gesagt hatte. Ein neuer Dämon erhob sich schwarz vom Boden und mit jedem Wort von Timothy wurde ein weiterer Toter wiedererweckt. Dann hatte er gesiegt. Er stand vor dem Licht und sah seine Mutter, Tränen auf den Wangen. Er erblickte sich selbst, auf dem Stroh liegend, mit weit aufgerissenen Augen. Timothy trat durch das Licht in den Raum und eine unvorstellbare Kraft zog ihn zu seinem dort liegenden Körper. Dann wurde es dunkel.
Anya sah, wie der kleine Junge auf dem Strohsack seine Augen schloss. Sein Atem wurde ruhig und gleichmässig, doch sein Gesicht blieb blass und seine Haare weiss. Sie hörte ein Geräusch an der Tür und erblickte Bruno, wie er seinen Sohn anstarrte, ja, er wusste was sie auch gesehen hatte, was sie gehört hatte und was sie verstanden hatte. Denn er hatte es auch gesehen und er hatte verstanden. Er wusste, sein Sohn würde niemals stärker werden, niemals eine Waffe selber führen, niemals wieder die roten Wangen haben, die ein Knabe nach angestrengtem Laufen bekam. Er hatte die Magierin begleitet und mit ihr Tal`iem. Er kannte das Wort, dass sein Sohn ausgesprochen hatte. Anya und Bruno hatte beide das Böse gesehen, hatten dagegen gekämpft. Sie beide hatten eine schreckliche Ahnung, unausgesprochen hing sie im Raum und beide wussten, auch der andere hatte diesen Gedanken.