Triumph
Es war ein herrliches Gefühl.
Der Turm war zwar erfüllt von einer erstaunlich klaren Luft - auch wenn die Staubschicht auf dem Boden darauf hinwies, das seit Ewigkeiten niemand mehr dieses Gebäude betreten hatte, so war es keineswegs stickig oder modrig -, doch füllte Baals Anwesenheit seine Umgebung unmittelbar mit einer besonderen Atmosphäre:
Blut, Hass, Feuer, das lag alles fühlbar und dennoch nicht greifbar in der Luft.
Die Untergebenen Baals schwärmten sofort aus, so dass er in dem ersten Gewusel den Überblick verlor und nicht wusste, wohin er sich wenden sollte. Die kunstvoll behauenen Wände gaben keinen Hinweis, wo das Zentrum des Turms – dort vermutete er seinen Herrn - liegen könnte.
So eilte er einer Gruppe Todesfürsten hinterher, nur um festzustellen, dass sich diese in einer Sackgasse mit ein paar Succubi und Entweihern versammelten. Baal war nicht dabei. Er kehrte wieder um, auch, weil der Todesfürst, der ihm am Eingang durch seinen Tritt fast die Rippen gebrochen hätte, ihn verächtlich und äußerst unfreundlich gemustert hatte.
Kurze Zeit darauf hatte er sich in dem weitläufigen Gebäude hoffnungslos verlaufen. Doch gab er die Hoffnung nicht auf, er wusste, dass Baal mit ihm hier in diesem Turm sein musste. Eine breite Treppe führte zur nächsten Ebene, hier hoffte er seinen Meister zu finden.
Er begegnete Rudeln von Ausgeburten der Hölle, die durch von Entweihern ausgestoßenen Drohwürmern langsam den letzten Rest an Verstand zu verlieren drohten und bald alles angreifen würden, was sich bewegte, die eigenen Artgenossen nicht vollständig ausgeschlossen. An manchen Stellen brach der Boden auf und lieferte eine Vorschau auf das, was man in der Hölle erwarten konnte.
Hin und hergerissen zwischen der Vorfreude auf seinen Herrn und der Qual, ihn nicht zu finden, blieb er mitten in einem größeren Saal stehen und schrie seine Pein hinaus. Wie als Antwort hörte er ein entferntes Fauchen, das von einer Treppe kam. Er rannte hin, sprang die Treppen entlang und erreichte eine weitere Ebene, die gefüllt war mit dem niederen Adel der Hölle.
Waren die drei Großen Übel Diablo, Mephisto und Baal unbestreitbar die Könige der Hölle und galten die Niederen Übel Andariel, Duriel, Belial und Azmodan als der Hochadel, so waren die hier versammelten Todesfürsten, Ritter der Verdammnis und des Vergessens, Höllenhexen und wie sie alle hießen gewiss der gleich darauf folgende Rang.
Voller Ehrfurcht verlangsamte er seinen Schritt und ging in die nächstbeste Richtung.
Dieses Stockwerk war eindeutig kleiner als die vorangegangenen. Trotzdem hatte er die in allen vier Himmelsrichtungen liegenden Eckzimmer betreten – nicht ohne sich demütig wieder entfernt zu haben, nachdem er überall nur mit hochmütigen oder gar spöttischen Blicken begrüßt worden war -, bevor er seinen Fuß in einen prächtigen Thronsaal setzte.
Auf einem Podest stand Baal und betrat ein rötlich schimmerndes Portal, ein Riss im Gefüge der Welt, ein rotes Oval, dass in die Schwärze führte. Er konnte gerade noch den Arm heben und ein klägliches „na“ von sich geben, da war Baal verschwunden.
Er setzte sich verzweifelt gegen eine der prächtigen Säulen und versank in seiner Verzweiflung. Die ihn umgebenden hochgestellten Dämonen ignorierte er völlig, sein Herr und Meister hatte sich ihm entzogen!
Es kam ihm wie eine Ewigkeit vor, da hörte er von der Treppe her Kampfeslärm. Langsam hob er ungläubig den Kopf und vernahm immer wieder den Todesschrei einer Höllenhexe, das Dahinscheiden eines höllischen Ritters oder wie ein Todesfürst in seinem eigenen Höllenfeuer verging.
Er stand auf und griff unschlüssig nach seiner Waffe, die neben ihm auf dem Boden gelegen hatte. Er war nur ein Gefallener, wie sollte er etwas aufhalten können, das derartige Höllenwesen besiegen konnte? Die umgebenden Dämonen schienen jedoch gelassen das zu erwarten, was da auf sie zu kam. Nur vereinzelt verließ ein Monster mit einem vor Vorfreude grausam lächelnden Gesicht den Thronsaal.
Gerade als er meinte, es nicht mehr aushalten zu können, kam Baal durch das Portal zurück. Baal überblickte die Szenerie und lachte dann ein Lachen, das ihm eine Gänsehaut den Rücken hinauf und wieder hinunter schickte. Ölig und zugleich kratzend wie von Rauch aus der Hölle, mit weit entfernten Echos und doch so nahe, als stünde der Herr der Zerstörung direkt hinter der eigenen Schulter.
Kaum war das Lachen verklungen, da erfasste ihn eine unglaubliche Zuversicht. Nun war er wieder mit Baal vereint, keine Macht dieser Welt konnte sie nun aufhalten!
Da betrat etwas den Thronsaal. Er konnte es nicht genau erkennen, denn es huschte schattengleich herein und war fast sofort hinter einer der Säulen verschwunden. Die anderen Dämonen der Hölle schienen es nicht bemerkt zu haben, denn sie blieben alle an Ort und Stelle und machten keine Anstalten, die auf einen bevorstehenden Kampf hätten schließen lassen.
Er wollte gerade den Arm heben und eine Warnung ausstoßen, da kam eindeutig ein Gegner durch die verzierte Toröffnung in den Thronsaal. Ein Mensch, ein Mann mit roten Haaren und mit einer Rüstung, die aussah, als wolle sich der Mann in einem Wolfspelz verbergen. Der Mann blutete bereits aus kleineren Wunden und machte einen etwas erschöpften Eindruck, doch als er die versammelte Höllenschar sah, straffte er sich und... schien zu wachsen! Seine Rüstung schien mit seinem Körper zu verschmelzen, nein, er selber wurde zu dem, was seine Rüstung dargestellt hatte: ein Wolf, ein aufrecht stehender, prankenbewehrter, hünenhaft großer Werwolf, der bedrohlich seine Zähne fletschte!
Die Succubi heulten auf und die Todesfürsten eilten dem Feind mit gebleckten Zähnen und vor Kampfeslust wedelnden Schwingen entgegen, da fuhr ein Blitz quer vom Eingang mitten in die Brust des vordersten Todesfürsten, spaltete sich beim Treffer auf und erfasste eine ganze Gruppe der abwartenden Höllenhexen.
Wenige Schritte hinter dem ehemals menschlichen Werwolf stand eine Menschenfrau mit blondem Zopf und wog einen Wurfspeer prüfend in ihrer Hand. Neben ihr stand eine andere Frau, in vollem Harnisch, mit einer mächtigen Pike bewaffnet. Sie schimmerte in einem seltsamen Licht und sah auf eine merkwürdige Art ätherisch aus, als sei sie nicht von dieser Welt.
Der getroffene Todesfürst und seine Gruppe warfen sich brüllend den Feinden entgegen, während die bis dahin passiven Ritter des Vergessens ihre Hände rieben und unheilvolle Kugeln dazwischen aufleuchteten; die wenigen Ritter der Verdammnis bildeten vor ihnen eine abwehrende Phalanx. Die Höllenhexen schwebten mit brennenden Augen an den Seitenwänden dem Eingang zu, um den Eindringlingen in den Rücken zu fallen und ihre durch den Kettenblitz gestorbenen Schwestern zu rächen. Seltsamerweise gingen dabei zwei der Höllenhexen wie aus dem Nichts getroffen zu Boden und krümmten sich schmerzverzerrt, als ob ein unsichtbarer Mörder ihnen einen Dolch in die Seite oder den Rücken gerammt hätte.
Die rasenden Todesfürsten hatten die kampfbereiten Menschen schon fast erreicht, da betrat der letzte menschliche Feind den Thronsaal: kein eindrucksvoller, muskelbepackter Kämpfer, kein Mann in glänzender Rüstung mit schützendem Schild, sondern eine schmächtige Frau mit langen, wehenden, schwarzen Haaren. In den Händen hielt sie einen knorrigen Stab mit einer schimmernden Kugel am oberen Ende, ansonsten war sie unbewaffnet.
Wie auf Kommando traten die Kämpfer vor ihr zur Seite und eine gewaltige Kugel aus Frost und Eis raste von der Dunkelhaarigen auf die Reihe der Todesfürsten zu.
Der durch den Kettenblitz geschwächte Todesfürst barst bei der ersten Berührung dieser Frostsphäre unmittelbar in Myriaden von Eissplittern, die anderen umstehenden Fürsten wurden von einem Schauer aus Eisnadeln überschüttet und bewegten sich wesentlich langsamer, als wären sie eingefroren und kämpften gegen die erstarrende Kälte. Sofort begannen der Werwolf und die Pikenträgerin ihr blutiges Handwerk, die andere Frau mit dem Wurfspeer trat hingegen einen Schritt zurück und deckte die Zauberin.
Die schiere Kraft und Masse der Todesfürsten in Kombination mit den Flüche webenden Rittern des Vergessens, unterstützt von den Höllenhexen und den Rittern der Verdammnis hätte wahrscheinlich ausgereicht, die Menschen zu besiegen, doch als die blonde Frau abermals einen Wurfspeer in die Menge schleuderte, der, bevor er die Hand verließ, sich wieder zu einem verzeigenden Blitz wandelte, musste er mit Entsetzen mit ansehen, wie die Hälfte der dämonischen Angriffswelle zusammenbrach.
Er wandte den Blick zu seinem Herrn und Meister, doch der ließ nur ein amüsiertes Lachen von seinem Podest hören.
Wieder raste eine Frostsphäre der dämonischen Schar entgegen, diesmal in Richtung der Ritter des Vergessens, welche aber von den mächtigen Körpern der Todesfürsten aufgefangen wurde, sehr zu deren Leidwesen. Die Nahkämpfer der Menschen streckten die fast bis zur Bewegungslosigkeit erstarrten verbliebenen Fürsten nieder und wandten sich den restlichen Verteidigern Baals zu, die Frau mit der Pike den Rittern und der Werwolf den Höllenhexen, von denen inzwischen zwei weitere dem unsichtbaren Angreifer zum Opfer gefallen waren.
Der Werwolf wütete wie von Sinnen unter den Succubi und stand bald blutbeschmiert in einem Kreis von Hexenleichen, nur ein, zwei dämonische Huren waren den grausamen Klauen entkommen.
Währenddessen hatten die Ritter des Vergessens sich auf die Pikenträgerin konzentriert und es tatsächlich geschafft, durch geschicktes Ausweichen, eifriges Fluchen und den Ritter der Verdammnis als letzte Verteidigungslinie, diese ätherische Frau in die Knie zu zwingen. Sie sank auf die Knie, hob ein letztes Mal ihre Waffe gen Decke und – verging in einem nebligen Leuchten! Die Ritter starrten noch verwundert auf das unerklärliche Verschwinden ihrer Gegnerin, als eine Frostsphäre und ein Blitz mitten in ihre Gruppe hineinfuhren. Mit einem ohrenbetäubenden Geräusch und unter unmenschlichem Kreischen fuhren die Ritter zur Hölle.
Die ganze Zeit über hatte er sich hinter einer der mächtigen Säulen versteckt und nur vereinzelt aus seiner Deckung hervorgelugt, gerade rechtzeitig immer wieder den Kopf einziehend, wenn ein Eissplitter oder ein Funken in seine Richtung raste.
Aus seinem Versteck heraus hörte er die letzten Todesschreie der höllischen Konkubinen Baals und sah, wie der Werwolf von den Leichen der Höllenhexen erschöpft zu der Seite des letzen verbliebenen Ritters schritt. Die Zauberin hatte ihren Stab müde und doch erwartungsvoll gehoben, die Speerfrau zielte schon auf den letzen Verbliebenen, da schälte sich aus dem Schatten hinter dem Ritter eine weibliche Gestalt, ganz gehüllt in schwarzes Leder, mit zwei gefährlich scharfen Klingen, die direkt aus der Hand zu entspringen schienen. Noch während der dämonische Ritter seine Waffe bereit zum letzten Kampf hob, durchfuhr seinen Hals eine der Klingen von hinten.
Genauso unheimlich, wie die Kämpferin in Schwarz aufgetaucht war, verschwand sie wieder.
Die siegreichen Menschen wandten sich alle langsam Baal zu.
Baal lachte nur, ölig und doch schneidend und hob dann seine Hand über den vor dem Podest liegenden Raum. Funken tanzten, verdichteten sich zu kleinen Kugelblitzen und platzen wieder auseinander in einem langsam wirren Reigen.
Und plötzlich waren sie da. Die Verdrehten Baals, unter der Führung von – Colenzo, dem Vernichter! Dies war die ganz spezielle Gattung Gefallener, die nur von Baal befehligt wurde, angeführt von dem wohl berühmtesten Gefallenenschamanen, den die Hölle kannte!
Er würde kämpfen, oh, ja, er würde kämpfen und seinen Mut vor Baal beweisen, er würde sich einen Namen machen und in die Geschichte der Hölle eingehen!
Er trat aus seinem Versteck, hob seine Axt und rief den Menschen „Naaa!!“ entgegen, welche etwas verwirrt zurückwichen und sich zu sammeln versuchten, da die Verdrehten sofort ausschwärmten und von allen Seiten wieder zurückströmten. Colenzo postierte sich zu Füßen seines Herrn, am Aufgang zu dem Podest, auf dem immer noch unbeirrt Baal und das rote Portal standen.
Die Verdrehten wuselten quer durch den ganzen Saal und boten so kein eindeutiges Ziel für die Attacken der Blitzwerferin oder der Eiszauberin, weswegen die erste geschleuderte Frostsphäre nur einen einzigen Verdrehten erfasste und ihn buchstäblich pulverisierte, während zwei oder drei andere Verdrehte sich sofort hinter die dicken Säulen zurückzogen und dort ihre blau gefrorenen Arme oder Beine rieben.
Colenzo hatte die Wirkung des Zaubers beobachtet und gleich darauf mit einem mächtigen Feuerball in Richtung der Menschenzauberin geantwortet. Diese musste sich mit einer Hechtrolle vor dem höllischen Feuer retten und anschließend mit ihrem Knorrenstab der auftauchenden Verdrehten erwehren. Auch die Frau mit dem Speer hatte kein Ziel ausmachen können und zeigte nun im Nahkampf, dass mit ihr durchaus nicht zu spaßen sei. Jeder Stoß und Treffer wurde von einem Funkenregen begleitet, der zwar nicht den sofortigen Tod bedeutete, jedoch jeden Verdrehten äußerst schmerzhaft traf, sobald er in ihren Gesichtkreis trat.
Der Werwolf hatte die missliche Lage seiner Mitstreiterinnen erkannt und verteilte mit rasend schnellen Prankenhieben den Tod unter denjenigen Verdrehten, die sich zu sehr auf die zwei Frauen konzentriert hatten.
Colenzo im Gegenzug schleuderte Feuerball um Feuerball aus der sicheren Entfernung und ließ zwischendurch die niedergestreckten Verdrehten wieder am Kampf teilhaben.
Er hatte sich die ganze Zeit etwas zurückgehalten und eher in der zweiten Reihe darauf gewartet, dass einer der Menschen einen törichten Ausfall machte und sich dadurch isolierte, insgeheim aber hatte er nach dieser mysteriösen vierten Schattenkämpferin Ausschau gehalten.
Er glaubte im Augenwinkel eine Bewegung zu sehen, da flog eine Art dreibeinige Apparatur an ihm vorbei und schlidderte in Richtung seiner Kameraden. Es lagen inzwischen vier oder fünf Verdrehtenleichen vor den kämpfenden Menschen, die langsam in eine Ecke gedrängt wurden. Er hatte schon gehofft, dass sie zwei Schritte zurückweichen würden und sich dadurch aller Bewegungsfreiheit beraubten, da taten sie ihm den Gefallen und kauerten sich von selbst in die Ecke.
Die attackierenden Verdrehten setzen den Sieg witternd über die Leichen ihrer Gefallenen Artgenossen nach, als etwas Entsetzliches passierte: die am Boden liegenden Kadaver blähten sich in einem Wimperschlag auf, bevor sie in einer gewaltigen Explosion vergingen. Zu allem Unglück verschoss die Apparatur, die anscheinend diese schreckliche Reaktion verursacht hatte, noch Blitze auf die Verdrehten, welche die Explosion und deren Druckwelle überlebt hatten. Die Menschen in der Ecke hatten sich wieder aufgerichtet und nutzen den gewonnenen Freiraum: erst fegte eine Frostsphäre den Verbliebenen entgegen, dann traf ein Blitz, der sich wieder in einen Kettenblitz spaltete, einen Verdrehten, der sich gerade wieder benommen erhoben hatte. Von der ganzen Schar der Verdrehten des Colenzo blieb nicht einmal ein Drittel am Leben und für Colenzo gab es höchstens drei Leichen, die seine restliche Sippe nach einer Wiederbelebung hätten verstärken können!
Entsetzt wandte er sich zu Colenzo und Baal und erhoffte irgendein Wunder.
Neben Colenzo tauchte die Schwarzgewandete wieder wie aus dem Nichts auf und stieß eine ihrer unterarmlangen Klingen quer durch den dürren Brustkorb, in der anderen Hand hielt sie neben der zweiten Klinge eine weitere dreibeinige Apparatur.
Colenzo hob noch den rechten Arm, Blut sprudelte zwischen seinen gelben Zähnen hervor, und brach dann mit einem Gurgeln zusammen.
Hass auf alles, was da war, brach sich in ihm Bahn und er öffnete seinen Mund, um mit einem wilden Schrei sich auf die Menschen zu stürzen. Da spürte er den Biss des Werwolfs in seinem Nacken, spürte, wie sein kleiner Nacken brach und zermalmt wurde, spürte, wie sein warmes Blut in den Rachen des Wolfes gesogen wurde, während vor seinen sich brechenden Augen die letzten Verdrehten Baals in einem Inferno aus Blitzen und eisigen Nadeln vergingen.
Und Baal stand dabei und lachte.