Kapitel 89 – Ringbindung
Ich reibe meine Hände aneinander, aber es hilft Nichts: Duriels Augen sind viel zu klebrig. Der Meister gibt dem Unterleib der massigen Made einen Tritt, der noch ein wenig mehr von der abdominalen Flüssigkeit ausspeit, die schon fast die ganze Kammer füllt, sodass wir stets knöcheltief im Schleim stehen. Wieder wagt sich eine der blinden, weißen Larven zu sehr in meine Nähe und wird zertreten. Ähnliche Exemplare stecken je zu dritt in den Öffnungen des großen, braunen Schädels unseres toten Peinigers; er war recht kreativ, als es darum ging, ein passendes Ende für den fetten Bastard zu finden, das muss man ihm lassen, und in der Eile...
Es hat auf jeden Fall eine Menge Spaß gemacht. Egal, wie anstrengend es letztlich war.
Oh, und dem Himmel sei es gedankt, dass es so anstrengend war, die Kontrolle über meinen Körper behalten zu können! Wenn das nicht im Weg gestanden wäre, hättest du doch nie freiwillig mich wieder führen lassen, oder?
Rate mal.
Ich hasse dich. Und in Zukunft kannst du es dir abschminken, dass ich im Affekt an dich abgebe!
Mir fällt das Stirnrunzeln des Meisters auf.
„Macht es dir etwas aus, ihn etwa hier vorsichtig aufzuschneiden und ein wenig zu kramen?“
Er deutet auf eine Stelle an Duriels großen Körpersack, die, sehe ich jetzt auch, zu dick ist. Ich blicke meine ohnehin versauten Hände und Füße an, zucke mit den Schultern, und setze mit einem Fuß einen sauberen Schnitt.
Ohne, dass ich nachsetzen muss, fallen ein völlig durchnässtes Stück Papier und ein glitzernder Metallgegenstand heraus. Der Meister tritt vor...und ergreift das Blatt. Das überrascht mich jetzt schon – es ist die richtige Wahl, Informationen sind grundsätzlich wichtiger als ein...Ring, sehe ich, als ich ihn aufhebe...aber dass er über das Glitzern hinwegsehen kann – ein Schnauben unterbricht meine Gedanken.
„Das ist ja eine Stadtportalsrolle! Was für ein Unfug! Wobei...komm mal näher und pass auf, wer weiß, wo die hinführt...KoKoMal!“
Das Papier blubbert ein wenig, als es sich auflöst...aber das Tor in die Ferne öffnet sich problemlos – ich bin bereit...
Eine bekannte Ansicht tut sich vor uns auf: Lut Gholeins Portalplatz.
„Natürlich, dass es irgendwohin führt, wo es interessant ist, wäre auch zu offensichtlich, nicht? Aber gut, so können wir hier wieder weg, und falls...falls es uns jetzt doch noch erwischt...kann man uns folgen.“
Ich starre auf das blaue Oval. Sicherheit so nah.
„Wir müssen gleich weiter, nicht wahr?“
Der Meister nickt.
„Diablo ist bei Baal. Das eben war nur der Türsteher.“
Ich schlucke, aber er starrt schon eine Wand an – die rechts von der, in der sich der Eingang in die quadratische Kammer aufgetan hat, als der Horadrim-Stab seine Blitze aussandte. In ihr ist ein Durchgang, durch den fahles Licht scheint, und ich bin mir recht sicher, dass er vorher nicht da war...Duriels Todesheulen ließ uns die halbe Decke auf den Kopf fallen, aber das war offensichtlich nicht der Lautstärke geschuldet, sondern dem Öffnen dieser Tür, die tiefer in die Eingeweide des Grabes führt.
Ich hebe den Meister hoch, und er zieht mich nach. Nur zwei Schritte sind wir gegangen, als mir etwas auffällt.
„Wir nehmen keine Skelette mit?“
Er sieht mich an.
„Siehst du hier Leichen?“
„Duriels...“
„Vergiss es, aus dem Vieh mach ich kein Gelee-Skelett. Hast du Angst?“
Ich starre geradeaus. Duriel hat uns gehörig durch die Mangel gedreht, meinen Körper und Geist fast komplett gebrochen, und er ist nur ein niederes Übel gewesen, und alleine...was soll uns in den Händen von zwei großen Übeln erwarten?
„Ja. Ja, ich bin froh, keine Hosen zu haben, sonst wären die jetzt voll.“
Der Meister grinst, aber verlangsamt seine Schritte kein bisschen.
„Das ist gut! Ich mag Ehrlichkeit, wie du weißt. Wenn wir schon dabei sind...du hast Duriel gesagt, dass wir ihm Lut Gholein liefern könnten, oder?“
Jetzt bleibe ich stehen, als mir Schuld eine kalte Faust in den Magen rammt. Er geht auch nicht weiter, mich schief ansehend. Ich lasse den Kopf hängen.
„Meister...ich...“
“Nenn mich nicht Meister.“
Er tritt zu mir und legt mir die Hand auf die Schulter.
„Pass auf, ich weiß, wie du da unten gelitten hast, ich habs gespürt. Ich habe allerdings nicht die ganze Zeit sein Gesicht des Horrors über mir schweben gehabt und seine Nadelstichstimme die ganze Zeit in den Ohren. Denkst du, ich bin böse auf dich?“
Ich starre ihn an, und seine Augen sind klar, sein Mund verhärtet...und seine Hand zittert gegen meine Haut. Ich packe sie.
„General, du hättest jedes Recht dazu.“
Seine andere Hand gibt mir eine solche Ohrfeige, dass auf seiner Wange ein Abdruck aufblüht. Der durch die Grimasse der Wut auf seinem Gesicht sogleich verzerrt wird.
„Erzähl mir keine Scheiße! Ich lasse es nicht zu, wenn Leute über meine Freunde herziehen, und genauso wenig lasse ich es zu, dass die Freunde das selbst tun. Ja, du hast nachgegeben vor Folter, Verzweiflung und einem Bösen, das wir in einer solchen Form noch nie erlebt hatten. Ja, du warst anfangs schwach. Und? Ganz offensichtlich hast du standgehalten, sonst hätte er sich nicht um mich kümmern wollen, sonst hätten wir diesen Kampf nicht gewonnen, weil er über dich steigen musste! Ich war bereit, ihm Alles zu erzählen, was er will, bevor er anfängt, mir die Haut abzuziehen, Golem. Wenn dein Angriff von unten fehlgeschlagen wäre, hätte ich ihn auf Knien um Verzeihung angefleht, dass er mir nur mein Augenlicht nehmen soll und um Gottes Willen meine Finger in Ruhe lassen! Ich hätte meine Freunde verraten, um nach der Heilung nicht sämtliche Qualen erneut zu erleiden. Und erneut. Und erneut. Ich hatte noch genug Tränke im Gürtel für Stunden des Leids! Denkst du, das hätte ich ausgehalten? Oder du?“
Ich bin immer noch ein wenig betäubt, aber was er mir sagen will, dringt doch in mein dummes, kleines, unfähiges Gehirn. Die Schuld verlagert sich.
„General, es tut mir Leid. Es tut mir Leid, dass ich es mir erlaubt habe, an mir selbst zu zweifeln, schon wieder. Ich bin nur so schwach, wie ich mich sehe.“
Er klopft mir auf die Schulter.
„Das ist der richtige Geist! Wir gehen jetzt durch diese Säulen da, und finden heraus, was hier so rot glüht, und dann treten wir zwei Übeln so unglaublich in den Hintern, dass es raucht. Die mögen vielleicht Brüder sein, aber ich bezweifle, dass sie Freunde sind!“
Ich grinse.
„Vielleicht möchtest du dir diesen Ring noch ansehen, bevor es losgeht?“
„Ring? Welcher Ring?“
Hm, er hat sich doch nicht so verändert, wie ich dachte.
„Oh je...he, Informationen sind zwar wichtiger als Funde, aber die sollte man nicht komplett übersehen, was?“
„Ach, der Ring...zeig her.“
Wie er es wieder überspielt, dass er einen Fehler gemacht hat...als er sein schon lange nicht mehr benutztes Identifikations-Buch herauszieht, sieht er mich von unten an.
„Ich bin manchmal schon ein ziemlicher Vollidiot, was?“
In Ordnung, er hat sich geändert.
„Manchmal ist gut, Meister, aber Selbsterkenntnis ist der erste Weg zur Besserung, keine Sorge.“
Als das Papier sich um den Ring schlingt, lacht er auf.
„Du hast mich gerade verarscht? Du? Mich? Hab ich richtig gehört?“
Wäre nicht das erste Mal...gut, aber das erste Mal laut...ich nicke empathisch.
„Aus dir wird doch noch was Anderes als ein kalter Stockfisch. Nun sehen wir uns das an...“
Auf dem Pergament steht nur eine Zeile.
Verschießt Feuerblitze in begrenzter Anzahl.
„Ja wie...“
Der Meister steckt den Ring an seine linke Hand.
„So vielleicht?“
Als er die Hand hebt, formt sich plötzlich ein Flammenzylinder um den Finger, verdichtet sich vor dessen Spitze zu einem Geschoß, und fliegt blitzschnell auf eine Wand zu, woran es verpufft. Es ist in etwa...nein, genau gleich dem, das auch unsere Magier verschießen. Der Meister starrt seinen Finger an.
“Ich bin überrascht, dass es ihn nicht auch noch verbrannt hat. Wie nutzlos ist das bitte?“
Er will ihn abnehmen, aber ich halte ihn davon ab.
„Warte. Kostet es dich etwas, ihn dranzulassen?“
Seine Hand streicht affektiert über sein Haar, danach präsentiert er mir mit großer Geste und Augenaufschlag das Schmuckstück.
„Würde?“
„Lass ihn dran, da ist Nichts mehr zu zerstören.“
„Pf, na gut. Wir wollten Hintern treten, oder?“
„Ich geh voran, Meisteeer...“
Nur zwei Schritte bin ich durch das Säulentor gegangen, als ich stocksteif stehen bleibe.
Der Rest der Kammer ist unwichtig, als mein Blick allein von einem einzelnen Punkt angezogen wird. Es leuchtet...strahlend hell...und es ist wunderschön...
Es ist ein Engel...