Tag 6
Griez war ein groß gewachsener Mann in mittleren Jahren mit breiten Schultern, militärischem Gehabe, einer schmalen, langen Nase, kühner Kinnpartie und einem dichten braunen Schnurrbart. Ein knappes Kopfnicken seinerseits entließ den jungen Mann, der die beiden Jägerinnen zu ihm hingeführt hatte und sich nun schweigend entfernte. Eine ganze Weile tat der Hauptmann der Söldnergilde nichts anderes, als die zwei jungen Frauen einschätzend zu mustern, dennoch fühlte Gwen förmlich die Autorität, die dieser Mann verströmte.
"Ihr seid also die neuen Rekruten?"
Gwen konnte lediglich zu einer leicht protestierenden Geste ansetzen, denn Griez wartete gar nicht erst eine Antwort ab, sondern sprach bereits weiter.
"Nein, nicht wirklich, ich weiß. Ihr hattet keine Ahnung, was euer Gang durch die Kanalisation für Folgen nach sich ziehen würde, habe ich nicht Recht?" Eine Art befriedigtes Funkeln trat in seine Augen, als er sah, dass beide jungen Frauen bestätigend nickten. "Woher ich das weiß? Jedermann in der Gilde redet darüber. Ihr seid hier derzeit das Gesprächsthema Nummer eins - und wie es aussieht, wird das wohl noch eine Weile so bleiben."
"Die gesamte Gilde weiß Bescheid?", fragte Gwen leicht bestürzt.
"Nur die wesentlichen Tatsachen", erklärte Griez. "Ich bin natürlich etwas besser im Bilde, aber ich bitte Euch dennoch, mir noch einmal die ganze Geschichte zu erzählen, junges Fräulein. In allen Einzelheiten."
Der Ton war freundlich, aber bestimmt. Aufmunternd sah er die blonde Jägerin an. Langsam begann Gwen zu berichten, bemüht, das verhängnisvolle Gespräch zwischen ihr und dem jungen Mann Wort für Wort zu wiederholen. Minuten verstrichen, in denen Griez ihr aufmerksam zuhörte, ohne sie auch nur einmal zu unterbrechen. Entgegen ihrer sonstigen Redseligkeit schwieg Elly ebenso die ganze Zeit über, was allerdings wohl eher an der gebieterischen Ausstrahlung des Hauptmanns lag. Als Gwen schließlich zum Ende kam, stieß ihr Gegenüber einen leisen, verblüfften Pfiff aus.
"Ihr habt
tatsächlich auf einer Herausforderung bestanden?"
"Ja...", gab Gwen kleinlaut zu.
"Weil dieser ungehobelte Kerl Euch dazu angestachelt hatte!", ließ Elly prompt verlauten.
"So?", entgegnete Griez. "Ehrlich gesagt, ist mir das gleich. Ich bin nicht hier, um zu diskutieren, ob einer von euch oder einer meiner Männer die Schuld an diesem ganzen Schlamassel trägt. Tatsache ist, dass ihr beide aufgrund eines... äußerst fragwürdigen Angebots unbefugt in unser Übungsgelände eingedrungen seid. Obendrein habt ihr die Kreatur getötet, die dort eigens für den Eignungstest zum Beitritt in unsere Gilde gehalten wurde." Er bemerkte die erstaunten Gesichter der Jägerinnen, erlaubte sich ein kurzes Lächeln und fuhr dann in erläuterndem Ton fort: "Nun, wir haben Teile der Kanalisation zum Übungsgelände umfunktioniert, weil sie sich einfach sehr gut dafür eignet. Natürlich haben wir alles mit der Stadtverwaltung gründlich besprochen und abgeklärt, die Bürger wurden gewarnt und wissen Bescheid, und zur Absicherung werden alle Eingänge genauestens überwacht - das heißt, alle bis auf den unten am Hafen, dort übernimmt meist die Flut diese Aufgabe."
Der Hauptmann wartete einen Moment, um den Jägerinnen Zeit zu geben, alles Gehörte aufzunehmen.
"Zu dem Eignungstest: Dieser sieht vor, zu überprüfen, ob ein Anwärter taktisch begabt und schnell lernfähig ist. Eine Chance, in unsere Gilde aufgenommen zu werden, haben nur diejenigen, denen es gelingt, das typische Kampfverhalten dieser Art Kreaturen von allein zu durchschauen - vom Töten war und ist nie die Rede."
Der Blick, der auf den beiden jungen Frauen ruhte, wurde durchdringend.
"Oh", machte Gwen.
"Ja, genau das war auch das Erste, was mir dazu eingefallen ist, als ich von der ganzen Sache erfuhr", pflichtete ihr Griez bei. "Normalerweise werden Anwärter stets von einem erfahrenen Gildenmitglied begleitet, um so ungewollte Unfälle auf beiden Seiten zu vermeiden." Seine Mundwinkel zuckten leicht, doch sonst verriet sein Gesicht keinerlei Regung. "Und bezüglich dieser 'Wir-haben-ein-Monster-in-der-Stadt'-Geschichte... - Kauft ihr fremden Leuten denn
alles ab?!"
Gwen spürte deutlich, wie sie rot anlief. Elly schaute zwar leicht störrisch drein, doch scheinbar fehlten ihr die Argumente, um etwas zu entgegnen.
"Wäret ihr beide also
nicht erst heute in Lut Gholein eingetroffen, und wären zudem wichtige Informationen
nicht absichtlich zurückgehalten worden, so hätte es jetzt ausgesprochen böse Folgen für euch gehabt", verkündete Griez ernst.
"Und... in diesem Fall?", fragte Gwen hoffnungsvoll.
Der Hauptmann schwieg einige Sekunden, ehe er antwortete: "In diesem Fall... Geschehen ist geschehen, würde ich meinen - was nicht heißt, dass ihr jetzt aus der Sache heraus seid. Ihr habt einen Schaden angerichtet und werdet dafür aufkommen müssen... Ich habe auch schon die passende Aufgabe für euch."
~*~ ~*~ ~*~
Grimmig sah Gwen zu den Gegnern, Zurückgekehrte - gelblich gefärbte Skelette - mit Säbel und Schild in den Händen. Ein Stück hinter ihnen konnte die junge Frau mit dem Inneren Auge die schakalköpfige Kreatur ausmachen, die im Schatten einer Säule verweilte.
Mit einer Hand wischte Gwen über ihre Stirn und warf einen kurzen Blick zu Elly hinüber. Die Lippen zusammengepresst, eine Hand krampfhaft um das Bogenholz geschlossen, fixierten die Augen ihrer Freundin die untote Horde. Sie musste erschöpft sein, ohne Zweifel, denn seit kurzem verspürte Gwen selbst nun das vertraute Ziehen in den Armen, bekannt aus der Zeit während ihrer Ausbildung, wenn sie wieder einmal zu lange mit dem Bogen geübt hatte.
Kein Wunder, dachte sie. Fast ununterbrochen wurden sie und Elly in Kämpfe verwickelt, seit sie diese Grabstätte betreten hatten. Anstürme von Zurückgekehrten, die einfach kein Ende nehmen wollten. Leere Kreaturen - jener Kreatur in der Kanalisation ähnelnd -, die ihre gefallenen Skelette mühelos aus den knochigen Überresten wiederauferstehen ließen. Wüstenflügel, Fledermäuse mit orange-brauner Flughaut, die lautlos an der Decke hingen und unangenehme kleine Schockstöße freisetzten, wenn sie sich zu sehr gestört fühlten. Sogar Sarkophage, die bis zu ihrer Zerstörung unaufhörlich Vertrocknete Leichen heraufbeschworen. Nicht, dass einer der Gegner für die beiden Jägerinnen eine echte Herausforderung gewesen wäre, aber all diese großen und kleinen Kämpfe hatten an ihrer Kraft gezehrt.
Die Zurückgekehrten kamen näher, doch Gwen wartete ab und bewegte sich erst im letzten Moment. Ihr Schwert pfiff durch die Luft, mit der ganzen Kraft ihrer Arme geschwungen, und schlug Säbel und Knochen beiseite.
Ein kurzer Warnschrei ließ sie aufblicken. Die Leere Kreatur hatte den Schutz der Säule verlassen und bewegte sich nun, die Füße sehr weit nach außen gestellt, mit ganz kleinen, trippelnden Schritten, jedoch in einer eindrucksvollen Geschwindigkeit auf die beiden zu. Allerdings schien sie mehr Interesse an Elly zu zeigen und schenkte der anderen jungen Frau keinerlei Beachtung. Es geschah zu unerwartet, als dass die Bogenschützin darauf reagieren konnte. So gelang es ihr nicht, ganz auszuweichen, als die dreifingrige Klaue nach ihr schnappte.
Ihre eigenen Gegner ignorierend, eilte Gwen auf ihre Freundin zu und schickte die Leere Kreatur mit ein paar gezielten Hieben zu Boden. Dann kümmerte sie sich um die restlichen Zurückgekehrten und suchte anschließend mit dem Inneren Auge das Gebiet nach möglichen weiteren Monstern ab. Als sie nichts entdecken konnte, wandte sie sich Elly zu, die ihre Verletzung am linken Unterarm betrachtete.
"Alles in Ordnung?"
Elly schnitt eine Grimasse, während sie mit einer Hand vorsichtig die Wunde untersuchte. "Es ist nur ein Kratzer", meinte sie, verzog aber leicht das Gesicht, als ihre Finger eine empfindliche Stelle berührten.
Hastig trat Gwen an sie heran und half ihr, die Wunde notdürftig zu verbinden. Der Schnitt war nicht sehr tief, aber trotzdem hatte sich bereits ein dünner roter Streifen darauf gebildet.
"Tut mir leid, dass Ihr mit in dieser Angelegenheit drinsteckt", murmelte sie.
"Oh, kommt schon! Ihr müsst Euch nicht ständig dafür entschuldigen", entgegnete Elly energisch. "Ich bin immer für ein gutes Abenteuer zu haben, das wisst Ihr doch. Außerdem", fügte sie hinzu, als Gwen immer noch leicht bedrückt dreinschaute, "hätte es uns
sehr viel schlimmer erwischen können, wenn dieser Gilden-Hauptmann nicht so nachsichtig gewesen wäre."
Sie richtete sich etwas höher auf, verschränkte die Arme vor der Brust und sprach dann in fast perfekter Nachahmung von Griez' kräftigem Ton:
"Da ihr die Eigenarten unserer Kreatur in der Kanalisation nun kennt, dürftet ihr keine größeren Schwierigkeiten mehr mit ihren schwächeren Abarten haben. Diese Leeren Kreaturen, wie wir sie nennen, nisten sich gerne in alte Grabstätten ein, vermehren sich mit rasanter Geschwindigkeit und stören obendrein noch die Ruhe der Toten - es ist eine Plage. Zieht also in den nächsten Tagen los zu einer solchen Grabstätte in der Nähe der Stadt und befreit sie von dem ganzen Gesindel."
Nun musste Gwen doch lächeln. Sie erinnerte sich gut - nicht nur, weil alles erst einen Tag zurücklag. Als der junge Mann in der Taverne eingetroffen war, hatte Elly ihr Temperament einmal mehr nicht zügeln können; vor allen Gästen waren diese beiden aneinander geraten und hatten somit für ausreichend Nahrung für Klatsch und Tratsch in nächster Zeit gesorgt - wo sie selbst Aufmerksamkeit doch so sehr hasste. Nach ihrem Gespräch mit Griez hatten sich die Jägerinnen dann genötigt gesehen, Deckard Cain über die ganze Sache aufzuklären, und daraufhin einen sehr, sehr langen Vortrag von ihm über die korrekten Verhaltensweisen als Besucher eines fremden Ortes zu hören bekommen.
"Wir machen uns nicht besonders gut, richtig?", bemerkte sie dann.
"Nein", widersprach Elly, "Ihr schlagt Euch prächtig, wirklich. Ich bin hier diejenige, die leicht überfordert ist." Rasch wechselte sie das Thema, noch ehe Gwen darauf antworten konnte. "Was mich aber schon die ganze Zeit beschäftigt... Warum haben die Leute in der Taverne so merkwürdiges Zeug über diesen Kerl zu Euch gesagt? Ich meine, so ganz grundlos werden sie das kaum gemacht haben."
"Haltet Euch von ihm fern, wenn Euch Euer Leben lieb ist..."
"Darüber bin ich mir nicht klar", sagte Gwen. "Seltsam ist es allerdings schon... Lasst uns jedoch später darüber nachdenken. Je früher wir hier mit unserer Arbeit fertig werden, desto früher können wir auch von diesem Ort verschwinden."
~*~ ~*~ ~*~
Nach ihrer Rückkehr in die Wüstenstadt begann Elly, über Unwohlsein zu klagen. Es stellte sich heraus, dass die jungen Frauen das Pech hatten, auf eine Leere Kreatur mit giftiger Klaue gestoßen zu sein. Das Gift wäre zwar nicht stark, aber dennoch nicht zu unterschätzen, da jeder unterschiedlich darauf reagieren würde. Eine Weile blieb Gwen bei ihrer Freundin, überzeugte sich, dass sie gut umsorgt wurde, und machte sich dann allein auf zur Söldnergilde.
Ja, der Hauptmann wäre zugegen. Sie solle sich umgehend bei ihm melden, er würde sie bereits erwarten.
Kurze Zeit später stand Gwen in einem ungewohnt leeren Gang vor Griez' Arbeitszimmer. Sie war gerade im Begriff anzuklopfen, als sie Stimmen vernahm, die durch die Tür drangen und ihr nicht unbekannt waren.
"... übertrieben - und unnötig." Ruhig und kraftvoll. Der Hauptmann. "Dieses Mal seid Ihr zu weit gegangen."
"Findet Ihr?" Kontrolliert und mit einem Hauch von Spott. Der junge Mann mit den Bernsteinaugen. "Wo doch nichts Großartiges passiert ist?"
"
Wenn etwas passiert wäre--"
"Hätten wir es nie erfahren. Oder frühestens erst dann, wenn sie von ihren Leuten vermisst worden wären. Außerdem, was wäre schon groß dabei? Solche selbstgefälligen Idioten gehören aus der Welt geschafft."
"Ich kenne Eure abgrundtiefe Abneigung sogenannten 'Abenteurern' gegenüber..."
"Dann ist doch alles in Ordnung."
"... aber das entschuldigt nicht Eure eigenmächtige Handlungsweise. Arglose junge Mädchen - die sich im Übrigen auf ihrer ersten Reise befinden - so sehr zu provozieren, dass es Euch möglich wurde, sie auf unser Übungsgelände zu schicken und obendrein noch gegen unsere Kreatur antreten zu lassen - solch ein Verhalten ist inakzeptabel." Kurzzeitige Stille. "Von allen Mitgliedern der Söldnergilde erwarte ich, dass sie bei allem, was sie tun, in erster Linie an die Gilde denken - und deren Wohlbefinden. Alles, was ein Mitglied tut, beeinflusst den Ruf der Gilde." Ein kurzer, nichtssagender Seufzer. "Ihr werdet
nicht der Gilde verwiesen, meine Gründe dafür
habe ich Euch bereits genannt - doch ich kann und werde weitere derartige Aktionen nicht länger dulden. Haben wir uns verstanden?"
"Nein!" Die Stimme des jungen Mannes hob sich etwas. "Ich werde nicht eher damit aufhören, bis diese hochmütigen, selbstverliebten und wenig intelligenten Möchtegern-Abenteurer endlich gelernt haben, gewissenhaft und verantwortungsvoll zu Werke zu gehen. Oh, wie ich das hasse, wenn jemand denkt, er hätte Ahnung von dem, was er tut!"
"Deshalb seht Ihr es als Eure Pflicht an, während Eurer Dienstzeit in der Stadt unter den Neuankömmlingen nach potentiellen Abenteurern Ausschau zu halten? Um sie dann mittels irgendeiner Geschichte und ohne jegliche Vorwarnung auf unser Übungsgelände zu schicken, damit es, wenn alles 'gut' läuft, gar nicht erst zu einer Annäherung zwischen ihnen und unserer Gilde kommt?" Griez sprach nicht lauter, sondern durchdringend, intensiv.
"Denjenigen, die glimpflich davongekommen sind, wird die kleine Lektion gutgetan haben - der Rest ist genau da, wo er hingehört." Der gewohnt leicht spöttische Ton war zurückgekehrt. "Besser,
sie gehen drauf, als dass - aufgrund ihrer Dummheit und Ignoranz - einer von uns es später tut. Ich verstehe ohnehin nicht, was Euch dazu verleitet, als Hauptmann der Gilde so leichtfertig mit dem Leben Eurer Männer umzugehen."
Ein tiefer Atemzug. "Wäre es nicht langsam an der Zeit, jene Sache hinter Euch zu lassen?"
"Oh, kommt mir
bitte nicht schon wieder damit", knurrte der junge Mann ungehalten. "
Ihr könnt mir nicht vorschreiben, wie und was
ich zu denken habe. 'Jene Sache' hat hiermit rein
gar nichts zu tun. Außerdem...
bin ich darüber hinweg."
Allmählich fühlte sich Gwen nicht mehr wohl in ihrer Haut. Sie hatte das Gespräch zunächst für eine einfache Standpauke gehalten, doch in den letzten Sätzen hatte es unleugbar eine leicht persönliche Note angenommen, und somit befand sie sich nun in einer peinlichen Lage. Da sich Griez und der junge Mann einbildeten, außer ihnen wäre niemand anwesend, fürchtete sie, ihren Unmut gegen sich zu entfachen, wenn die beiden ihre Gegenwart denn entdeckten. Vorsichtig, um kein Geräusch zu verursachen, verlagerte sie das Gewicht etwas und setzte behutsam einen Fuß zurück.
"Wie sagen sie Euch eigentlich zu, unsere beiden neuen Rekruten?"
Griez' Frage schien so ausgefallen, dass offenbar nicht nur Gwen einen Augenblick stutzen musste.
"Ihr - werdet sie - tatsächlich - aufnehmen?!"
"Sie
haben den Eignungstest bestanden - wenn Ihr so wollt." Eine leichte Heiterkeit hatte sich in die Stimme des Hauptmanns gemischt. "Trotz allem scheinen diese beiden einen... besonderen Eindruck auf Euch gemacht zu haben. Oder aus welchem Grund seid Ihr, nachdem Ihr sie in die Kanalisation hinuntergeschickt hattet, schnurstracks - Euren Posten vernachlässigend - zu mir gekommen, um ganz unaufgefordert Eure übliche Handlungsweise zu 'beichten'?"
"Sie sahen nicht so erfahren aus, als dass sie dort unten eine Chance gehabt hätten." Der junge Mann klang, als würde er sich verteidigen.
"Wirklich? Ich bin mir sogar absolut sicher, dass noch mehr in ihnen steckt. Ein fremdes Gebiet zu betreten, sich unbekannten Gegnern zu stellen, während eines Kampfes einen kühlen Kopf zu bewahren
und halbwegs heil aus einer brenzligen Situation wieder herauszukommen - das war saubere Arbeit! Nun, Ihr werdet mehr als genug Zeit haben, um das Potential Eurer Jägerin zu entdecken - oder gedenkt Ihr, Eure Abmachung mit ihr zu widerrufen?" Der junge Mann murmelte etwas Unverständliches, woraufhin Griez auflachte. "Richtig, ich vergaß. Nach der feurigen Vorstellung ihrer kleinen Bogenschützin habt Ihr ohnehin keine andere Wahl mehr - das heißt, wenn Ihr Euer Gesicht wahren wollt."
Gwen rief sich das Bild ins Gedächtnis, wie Elly, unbefangen und schlagfertig wie immer, die Würde des jungen Mannes dermaßen ankratzte, indem sie "das Wort eines Mannes" offen in Frage stellte, dass er mehr oder weniger gezwungen war, seine - aller Voraussicht nach nicht ernst gemeinte - Abmachung mit ihr vor allen Gästen der Taverne bindend zu wiederholen.
Völlig unerwartet schwang die Tür auf, und Gwen zuckte unwillkürlich zusammen. Sie verfluchte sich für ihre Unachtsamkeit; wieder einmal war sie so in ihre Gedanken vertieft gewesen, dass sie alles um sich herum vergessen und folglich das Ende des Gesprächs zwischen den beiden Männern nicht mitbekommen hatte.
Die bernsteinfarbenen Augen starrten sie an, brachten ihr Herz zum Rasen. Es herrschte Schweigen - spürbares Schweigen. Unfähig, den Blick von ihrem Gegenüber abzuwenden, registrierte die junge Frau jede Einzelheit seines Mienenspiels, und was sie sah, irritierte sie.
Eine leichte Verdrießlichkeit, eine Spur von Verwirrung, aber nichts von Zorn oder Erschrecken.
Dann brach der junge Mann abrupt den Blickkontakt ab, schob sich an ihr vorbei und ging raschen Schrittes fort. Gedankenvoll sah Gwen ihm nach, bis Griez' energische Stimme sie willkommen hieß.