Nacht ohne Sterne
Endlich... nach tagelangem Siechtum allein in meiner abgedunkelten Kammer, fühle ich zum ersten Mal wieder Lebenswillen in mir.
Verfluchte Drogen, denke ich sarkastisch und wünschte nur, mein eigenartiger Horrortrip wäre tatsächlich auf die Einnahme gewisser Substanzen zurück zu führen.
Doch ich bin mir recht sicher, dass Atmas Bier abgesehen von Wüstenstaub, Haarschuppen und Kamelpisse nichts enthielt, was ich nicht erwarten würde und auch das erwartete ich.
Als ich meine ersten Schritte im hellen Sonnenlicht tue, scheint mir, als erblicke ich die Welt zum ersten Mal in all ihren Farben.
Noch etwas wackelig, doch entschlossen mache ich mich auf den Weg in die große Schankstube, wo bereits Atma und Fassel auf mich warten.
Atma grinst mir fröhlich entgegen - seit ihr kleines Untotenproblem beseitigt ist, quillt sie geradezu über vor guter Laune und die Zecher erfreuen sich unregelmäßigem Frei-Bierausschanks - und ruft mit lauter Stimme: "He, da ist ja unser Dornröschen. Und? Wieder auf den Beinen, ja? So ein Pech, der gute Fassel hier hatte sich schon auf seinen vorzeitigen Ruhestand gefreut. Stattdessen muss er sich jetzt darauf vorbereiten wieder von dir durch alle möglichen und unmöglichen Sandgruben gescheucht zu werden." sie begleitet die Worte mit einem Kopfschütteln; Fassel stöhnt vernehmlich auf und schlägt die Hände über dem Kopf zusammen, doch ihrer beider Gesichter strafen die Worte und Gesten Lügen - ich freue mich.
Es tut gut Freunde zu haben.
"Ja so leicht werdet ihr mich nicht los und wenn mein eifriger Beschützer jetzt noch lernt seine Augen offen zu halten, beim Wache schieben, werde ich vielleicht auch noch die nächsten Tage überleben."
Mein Blick ruht liebevoll auf dem Söldner, während er mir das unschuldige Lächeln eines Kindes schenkt, woraufhin ich belustigt die Augen verdrehe.
Nach diesem friedlichen Zwischenspiel fühle ich mich bereit für die nächste Herausforderung.
Immer noch steht uns bevor das Grab des Tal Rasha zu finden und unser einziger Anhaltspunkt ist, dass es irgendwo in der Wüste liegen muss... wunderbar!
Genausogut könnte ich Charsi auf die Suche nach ihrer guten Erziehung schicken oder Geglash fragen, wo er sein Gehirn gelassen hat.
Während ich diese Gedanken denke, kommen in mir Bilder der grobschlächtigen, doch unter der Schale (und dem Ruß) sanftmütigen Schmiedin in den Kopf und mir fällt auf, dass ich in Luth Golein bisher keine einzige Fraue getroffen habe, die ich als attraktiv bezeichnen würde.
Nicht, dass es eine Rolle spielte - Atma war vor rund 30 Jahren bestimmt ein heißes Eisen *kicher*
So nun aber ruhe im Saal! Endlich konzentriere ich mich wieder auf die Wirklichkeit und gemeinsam nehmen wir den nächsten Wüstenabschnitt in Angriff: Die vergessene Stadt.
Ich fragte mich schon, warum man sie die "Vergessene" nennt und nicht etwa "die Verlorene" oder etwas ähnlich Unheimliches.
Für mich klingt das mehr, als wäre man einfach weggegangen und hätte sie ... vergessen, bei der Planung der Trinkwasserversorgung jedenfalls, denn diese vertrocknete Leiche zu meinen Füßen hätte zu Lebzeiten bestimmt einen guten Schluck vertragen können, ganz zu schweigen von einer guten Feuchtigkeitscreme.
Lachend versetze ich dem verschrumpelten Körper einen tritt und gehe weiter.
Da plötzlich... ich weiss nicht wie, ich weiss nicht warum, doch mir wird auf einmal schwarz vor Augen!
Was zum...? Schockerstarrt steh ich dort im Dunkeln... Eiseskälte überkommt mich, meine Finger scheinen am Bogen festgefroren, ich spüre, wie mein Geist dünn durch meinen Kopf schwebt, eilig daraus zu entfliehen.
Dann spüre ich eine starke Hand an meinem Arm - Fassel!
Ich schrecke auf, zurück in der Realität, doch es ist immer noch finster wie die Nacht - was ist nur geschehen?
Auch Fassel blickt verstört, doch aufmerksamer als ich deutet er mit der Hand in den Himmel; und ich sehe.
Die Sonne ist verschwunden, man sieht ihre Umrisse noch irgendwie, doch ein gewaltiger Schatten hat sich davor geschoben.
Mich fröstelt, schnell wende ich den Blick ab.
Als ich noch darüber nachsinne, wie wir jetzt den Rückweg finden sollen, wenn ich nichtmal die Wand zehn Meter vor mir deutlich sehen kann, ertönt rings um uns her ein grässliches ab und an wogendes Stöhnen und Krächzen.
Instinktiv rücken wir näher zusammen und starren angestrengt in die Dunkelheit eines warmen Sommertages, unfähig die Finsternis mit unseren Blicken zu durchdringen.
Doch die Zeit, die ich von bitteren Erinnerungen und schmerzvollen Visionen geplagt im finstersten Gefängnis meines Seins verbrachte, sind nicht völlig fruchtlos gewesen.
Meine Devise war schon seit jeher: Wenn du schon durch die Hölle gehst, kannst du unterwegs auch ein paar Blumen für Mutti pflücken - um sie ihr anschließend ins Gesicht zu schmieren.
In diesem Fall sind die Blumen ebenso schön, wie tödlich, von feuriger Hitze, als hätte ich die Flammen meiner Hölle mit mir gebracht, um sie jetzt in der Wirklichkeit zu entfesseln - und zum Teufel, ja das habe ich!
Tief in mir beschwöre ich den Hass, der mich verbrennt, lege meinen Pfeil auf die Sehne und feuere beides in Richtung der üblen Geschöpfe ringsum.
Für den Bruchteil einer Sekunde, sind in der grellen Explosion verrottende Körper zu sehen, dann gehen sie allesamt in Flammen auf, begleitet nur vom gepeinigten Winseln einer überlasteten Frau.
Mit einem keuchenden Atemzug löse ich meine Konzentration und der herbeigerufene Lockvogel erlischt; die Geräusche sind allesamt verstummt und Fassel blickt gleichmütig in die Reste der schwelenden Glut.
So ziehen wir weiter, durchstöbern die in Dunkelheit liegenden Ruinen der längst verfallenden Stadt, verbrennen, was sich uns entgegenstellt, oder sich auch nur zuviel bewegt, bis sich mit einer an Magie grenzenden Plötzlichkeit ein riesiger Tempel vor uns aus den Schatten schält.
Wie von Geisterhand geführt, fällt ein wenig Licht aus unbekannter Quelle auf den Tempeleingang; flankiert von hoffentlich überlebensgroßen Statuen von Schlangenwesen, die im kalten Zwielicht unheimlich anzuschauen sind.
Drognan hatte etwas gesagt über eine Schlangen Zivilisation und deren schwarzmagische Rituale, doch ich habe ihm nur mit halbem Ohr zugehört, erschien es mir doch nicht weiter wichtig.
Fassel weiss offenbar auch etwas, denn er sieht mit einem Mal sehr blass aus und wird noch bleicher, als ich mit festen Schritten auf den Eingang zu halte.
Er scheint fest davon überzeugt, das Tageslicht niemals wieder zu sehen - diese Überzeugung teile ich mittlerweile - und dieses Ding nie wieder zu verlassen - darüber sind wir geteilter Meinung.
Darum ritzt er mit seinem Speer ein deutliches Zeichen in einen Fels vor dem Tempel, damit man sich später an uns erinnert und weiss, wohin wir verschwunden sind.
Ich halte seinen Pessimismus für stark übertrieben, aber auch mir ist äußerst mulmig bei dieser Sache.
In den nächsten Minuten schleichen wir verstohlen durch die mit seltsamen Zeichen versehenen Hallen.
Unterwegs begegnen uns immer wieder große angriffslustige Schlangen, doch beschleicht mich das dumpfe Gefühl, diese Bestien bilden nicht das obere Ende der Nahrungskette in diesem Tempelkomplex.
Zu primitiv und tierhaft sind ihre Bewegungen, ihre kleinen verkümmerten Hände scheinen unfähig etwas wie das hier zu erschaffen und in ihren Augen blitzt nicht mehr als die listige Intelligenz wilder Tiere, ohne Ambition eine wirkliche Zivilisation zu gründen.
Alsdann wir eine schmale Treppe begehen und uns in einem großen, runden Saal widerfinden, sehe ich meine Befürchtungen jäh bestätigt: Versammelt um ein Podest, auf dem ein düsterer Altar trohnt, bewegen sich menschengroße Schlangen, die ihre Häupter aufrecht halten und sich offenbar in ihrer zischenden Sprache unterhalten.
Aus ihren Leibern strecken sich kräftige Arme mit schmalen Klauenhänden und ihre Gestik erinnert beinahe an menschliches Gebarden.
Nun, lange genug die Launen einer unberechenbaren Natur bewundert, schicken wir sie doch einfach gleich zu ihren Göttern, falls sie welche haben.
Trotz oder vielleicht gerade wegen ihrer augenscheinlichen Intelligenz, können auch diese Biester ein sich bewegendes, lebendes, atmendes Beutetier nicht von einem bloßen Standbild unterscheiden - gut für mich, weniger für sie.
Wie staune ich dann, als ich den heidnischen Altar der Schlangen mit meinen spottenden Tritten verwüste, das magische Artefakt an mich reiße und statt der erwarteten Erscheinung eines erbosten Viperngottes, das Dach über unseren Köpfen aufreißt und den Blick auf einen Himmel freigibt, der von strahlendem Sonnenschein erfüllt ist.
Zurück in der Stadt ist es blanke Ironie, dass mittlerweile der Abend dämmert und die Sonne schon wieder fort ist.
Doch ist es ein gutes Gefühl zu wissen, dass sie in ein paar Stunden wieder am Horizont aufgehen wird.
PS:
bin krank deshalb gibts wieder verzögerung