Schmerzhafte Erfahrungen
Tscha hatte ein merkwürdiges Gefühl.
Micayas Körper in seinen Armen fühlte sich großartig an, aber abgesehen von seinen eigenen Empfindungen, von dem was
sein Körper ihm mitteilte, war da noch etwas anderes.
Etwas, wie ein leichtes Echo in seinem Kopf...
Es war schwierig sich darauf zu konzentrieren, oder auch nur einzuordnen, was es war.
Es irritierte – aber in gewisser Weise verstärkte es nur seine eigene Lust.
Bis mit einem Mal die Angst nach ihm griff.
Tscha setzte sich ruckartig auf.
Micaya, die noch immer auf seinem Schoß saß, vor ihm griff nach seiner Kehle.
__„Wenn Du jetzt rüber gehst, brauchst Du nicht wieder zu kommen.“
Ihre Stimme war ruhig, aber ihr Blick war hart und der Griff ihrer kleinen Hand schmerzte.
Aber die Angst war verschwunden, ersetzt durch eine Intensität, die seinen Körper nicht kalt ließ...
Als er erschöpft zurücksank, fühlte er Micayas Gewicht, und wie sie ihre Ellenbogen auf ihn stützte.
Mühsam öffnete er die Augen.
Die Frau sah ihn mit einem leicht schrägen Lächeln an.
__„Ist es soo schwer zu ertragen, wenn Deine Schwester auch mal sowas hat? Und: bevor Du fragst: ich kann sie nicht fühlen. Aber Amaion hat mich teilhaben lassen.“
Tscha verzog das Gesicht.
__„Sie hatte Angst! Und Du weißt...“
Micaya schnaubte.
__„Ich weiß, dass Amaion durchaus dazu fähig ist, eine Frau
alles vergessen zu lassen. Und, hat er ihr weh getan? Nein? Wo ist dann Dein Problem?“
Der Druide schwieg.
Er hatte keine Antwort – eigentlich hatte sie ja Recht, aber der Gedanke, dass dieser alte Mann Morwen berührte...
Irgendwann übermannte ihn die Erschöpfung.
Micaya beobachtete, wie die Atemzüge des Mannes langsam und ruhig wurden, dann stand sie auf und zog sich an.
Leise verließ sie den Raum, um ein paar Türen weiter in das Zimmer zu schlüpfen, das Joreth alleine bewohnte.
Der Necromancer war wach, und er setzte sich langsam auf, als sie den Raum betrat.
Es war relativ hell – auch wenn die Sonne noch nicht aufgegangen war, leuchtete der tiefstehende Mond doch erbarmungslos in den Raum und offenbarte in grausamer Weise Micayas verkniffenen Gesichtsausdruck.
Joreth schwang die Beine aus dem Bett und griff nach seiner Kleidung.
Er nickte der Frau zu.
__„Frühstück?“
Die Assassin nickte.
__„Fantastische Idee...“
Gemeinsam gingen sie nach unten.
Ein Tritt gegen die Tür des Wirts signalisierte dem, dass es Zeit war aufzustehen.
Aus der Küche drang der Duft von frischem Brot und Brötchen – die Dienstboten waren bereits wieder bei der Arbeit, gerade weil sie wussten, dass zumindest ein Teil der gut zahlenden Gäste der Taverne oft recht früh auf den Beinen Waren.
Der Wirt war durchaus bedacht, seine Gäste zufriedenzustellen...
Micaya und Joreth setzten sich, während sich zu dem Duft des Brotes der nach Kaffee, gebratenem Speck und Eiern gesellte.
__„Was ist passiert, kleines?“
Joreth legte Micaya den Arm um die Schulter.
Die Antwort kam von der Tür.
__„Das dürfte ich gewesen sein. Tscha hat es gefühlt, nichtwahr? Und er dürfte nicht begeistert gewesen sein...“
Langsam ging Amaion zum Tisch und setzte sich.
Micaya lächelte schwach.
__„Solltest Du nicht bei Morwen sein?“
Der Necromancer zog die Schultern hoch.
Seine Finger spielten nervös mit einem kleinen, mit magischen Zeichen verzierten Stein.
__„Sie schläft. Tiefer und ruhiger, als sie es in den letzten Monaten je getan hat... ich wollte nur einen Schluck trinken.“
Eine schweigsame Dienstmagd stellte eine dampfende Kanne auf dem Tisch ab, von der ein dem Necromancer durchaus bekannter Duft ausging.
__„Dein Beruhigungstee?“
Micaya nickte.
__„Den brauche ich jetzt.“
Amaion lächelte.
__„Kann ich Dir eine Tasse davon abschwatzen?“
Die Assassin zog die Schultern hoch. Dann griff sie aber nach dem Stein in seiner Hand.
__„Darf ich?“
Der Mann überließ ihr den Gegenstand.
Interessiert musterte Micaya die Zeichen, dann gab sie dem Mann den Zauber zurück.
Amaion stand auf.
__„Ich bin – später wieder da...“
Damit verschwand er nach oben.
__„Hoffentlich verlässt er sich nicht zu sehr darauf...“
Micayas stimme war ausdruckslos.
__„Hm?“
Sie zog eine Kette aus der Tasche, dessen silberner Anhänger die gleichen geschwungenen Linien und magischen Zeichen zeigte wie Amaions Stein.
__„Es ist ein Zauber, der eine Schwangerschaft verhindern soll, aber er funktioniert nicht – wenn bei einem der Beteiligten der menschliche Anteil zu klein ist. Bei mir hat er drei mal versagt.“
Joreth nickte, wieder ein Puzzleteil, das vor Jahren einmal gefehlt hatte.
__„Also doch. Es war recht am Anfang, als ich Amaion entwischt bin und er mich gesucht hat. Er sagte, Du seist krank.. Der kleine Mann?“
__„Sag ruhig Zwerg, er selber nutzt diese Bezeichnung. Durin war da, um mich zu heilen – und zu trösten. Mein Körper war nicht bereit für das Kind eines Dämons...“
Joreth nahm die Frau sanft in den Arm.
Er fühlte ihren Schmerz und konnte ihn nachvollziehen – auch er hatte einst ein Kind verloren.
__„Das erste waren die Zwillinge, das ist klar, Gwyn hat keinen Tropfen menschlichen Blutes in sich. Dieses Mal – bin ich das Problem. Es gibt einen Vorgang, der nennt sich Anpassung, und die meisten Menschen, die mit drachenartigen Kontakt haben, durchlaufen ihn irgendwann. Bei mir – es fehlt nicht viel, und auch ich hätte Schuppen... Was Amaion anbelangt...“
Sie brauchte den Satz nicht fortzuführen.
Die beiden aßen, langsam und schweigend, bis irgendwann Amaion wieder auftauchte, Morwen fest an sich gedrückt, während die junge Assassin strahlte, als habe sie das erste Mal in ihrem, Leben die Sonne aufgehen sehen.
Amaion hatte seine Zurückhaltung aufgegeben, da es nicht mehr
nötig war, so wie sich Morwen an ihn drückte, hätten die beiden Mara und Asanriel sein können, die ja auch keine Sekunde lang ohne die Berührung des jeweils anderen auskamen...
Morwen aß mit herzhaftem Appetit, und Amaions zärtliche Berührungen zauberten Farbe in ihr sonst so blasses Gesicht.
Joreth sah durchaus zufrieden aus – er
hatte seinen Bruder oft genug darauf hingewiesen, dass die junge Assassin nur lernen musste, an ihrem Schmerz vorbeizusehen, und dass
das dann beide glücklich machen würde.
Micaya dagegen musterte die beiden mit gemischten Gefühlen.
Einerseits freute sie sich für beide, sie war froh, die Menschen, die sie liebte, glücklich zu sehen.
Andererseits war da Tscha – und der war eindeutig nicht glücklich mit der Angelegenheit.
Als hätte er diesen Gedanken vernommen, erschien der hochgewachsene Druide.
Seine Stimme war leise, aber der grollende Unterton war genauso eine Drohung wie die freigelegten Eckzähne und die schlitzförmig verengten Augen.
__„Ich habe Dir gesagt, Du sollst Deine dreckigen Finger von meiner Schwester lassen!“
Amaion stand auf.
Er stellte sich mit verschränkten Armen vor dem größeren, massiver gebauten Mann und fixierte ihn seinerseits.
__„Warum habe ich nur den Eindruck, dass sich hier jemand in Angelegenheiten einmischt, die ihn nichts angehen?“
Morwen hatte sich ebenfalls erhoben und stand jetzt neben dem Necromancer, der seinen Arm um sie legte und sie kurz zärtlich an sich drückte.
Tscha griff nach Amaions Arm.
__„Ich sagte: Finger von...“
Weiter kam er nicht.
Wut sprühte aus Morwens Augen, während ihre geballte Faust vorwärts schnellte und ihrem Bruder das Nasenbein zerschmetterte.
Die Wut in den Augen des hochgewachsenen Druiden wurde zu Schmerz, und seine Hände versuchten vergeblich, den Blutstrom abzufangen, der ihm über Kinn und Brust lief.
Amaion war ruhig, aber gerade in dieser Ruhe lag etwas bedrohliches.
Er griff nach Morwens Händen und hielt sie fest, dabei sah er der Assassin die ganze Zeit in die Augen.
Als sie sich einigermaßen beruhigt hatte, wandte er sich Tscha zu
__„Du bist ein Narr. Kannst Du nicht Deinen eigenen Gefühlen vertrauen? Ich liebe Morwen – glaubst Du ich wäre irgendwie imstande, sie zu verletzen? Oder auch nur zuzuassen, daß ihr jemand weh tut?“
Damit wandte er sich ab, fasste Morwen an den Schultern und wendete sie in seine Richtung.
Ein Lächeln erschien auf ihrem Gesicht, und sie schlang willig die Arme um den Hals des Necromancer, als seine Lippen die Ihren berührten.
Sie drängte sich mit einer kaum gebremsten Wildheit an ihn, dann löste sie sich von ihm, nur um nach seiner Hand zu greifen und den Mann, der sich nicht sonderlich wehrte, in Richtung der Treppe zu ziehen.
Tscha blieb stehen, während noch immer Tränen und Blut in Strömen über sein Gesicht rannen.
Eine Hand legte sich auf die Schulter des Druiden, und Joreth drückte ihm ein Taschentuch in die Hand. Dann ging der ältere Necromancer schweigend zur Tür und verließ die Taverne.
Micaya verdrehte die Augen.
Sie führte Tscha zu einem Stuhl, dann ließ sie ihn dort sitzen.
__„Ich sehe zu, ob ich meine Tochter finde, die kann das in Ordnung bringen...“
Joreth fand Micaya vor Asanriels Tür stehend – mit leicht schiefgelegten Kopf.
__„Doch so eilig?“
Die Assassin zog die Schultern hoch.
__„Ich möchte nicht ... stören. Und Tscha hat es
verdient. Er kann ruhig auch noch ein Weilchen leiden. Aber was machst Du hier, warst Du nicht gegangen?“
Der Necromancer runzelte die Stirn.
__„Nur bis zur Hintertür. Micaya – ich wollte mit Dir reden.“
Die Frau wandte sich ab, aber er hielt sie fest.
__„Micaya,
was hast Du vor, wenn sich die Schwangerschaft nicht mehr verbergen lässt?“
Er fühlte, wie sie in seinen Armen zusammensackte.
__„Ich hatte vor, nach Arlorann zu gehen – von dort aus an einen anderen Ort, wo die Zeit noch weniger synchron läuft. Ich wäre ein paar Tage fort gewesen, das wäre kaum aufgefallen. Und Gwyn war schon den Zwillingen ein guter Vater, er hätte auch ein weiteres Kind von mir liebevoll aufgezogen...“
Joreth hielt sie fest und fühlte, wie die Tränen langsam durch den dicken Stoff seines Hemds sickerten.
__„Was ist dazwischengekommen?“
Es dauerte eine ganze Weile, bis sie bereit war zu antworten.
__„Mara...“
__„Mara ist eine wunderbare junge Frau, eine Tochter, auf die Du stolz sein kannst.“
Micaya wand sich aus den Armen des Necromancers.
__„Du verstehst es nicht, gerade das ist das Problem! Sie war ein Kind, als ich sie verließ, und jetzt... ich habe so viel verpasst, noch einmal könnte ich das nicht ertragen!“
__„Und deshalb wirst Du gehen.“
Die Assassin nickte langsam.
__„Arlorann ist mein Zuhause – mehr als jemals ein anderer Ort es war.“
Vorsichtig nahm er sie wieder in den Arm.
__„Ich möchte Dich nicht verlieren, Micaya...“
Sie wollte das auch nicht, das konnte er fühlen.
Die kleine Frau klammerte sich an ihn, und auch, wenn er wusste, dass dies weder die Zeit noch der Ort davon war, so drängten seine Schritte doch unwiderruflich in Richtung
seines Zimmers.
Es dauerte ein Weilchen, bis Micaya doch an Asanriels Tür klopfte.
Kurze Zeit später öffnete sich die Tür wie von Geisterhand.
Mara saß neben Asanriel auf dem Bett, beide – wieder – voll bekleidet.
Die junge Frau musterte die beiden in der Tür stehenden Gestalten und rümpfte missbilligend die Nase.
__„Irgendwann wird er es
riechen. Meine Güte, ich rieche...“
Micaya unterbrach ihre Tochter.
__„Heute nicht, das ist der Grund warum ich hier bin. Morwen hat ihm die Nase gebrochen.“
Sie sah sich um.
__„Was die andere Sache betrifft...“
Maras Augen verengten sich schlitzförmig.
__„Raus!“ fauchte sie Joreth an.
Ihre Mutter hob die Augenbrauen, während der Mann die Tür hinter sich schloss.
__„Du kannst sicher sein, dass er lauscht.“
Eine sechsfingrige Hand fuhr durch grünschwarzes Haar, und das Lächeln enthielt leichten Spott.
__„Aber Du kannst so tun, als wüsstest Du es nicht, und somit ignorieren, was er weiß...“
Sie stand auf.
__„Du weißt, dass Du schwanger bist, also kann Deine Frage sich nur darauf beziehen, wer der beiden der Vater ist.“
Micaya nickte.
Ihre Tochter berührte kurz mit einer Hand ihren Bauch.
Dann verzog sie das Gesicht.
__„Ich würde mal vermuten: schlimmster Fall.“
__„Also Joreth.“
Mara schüttelte den Kopf.
__„Du scheinst zu Zwillingsschwangerschaften zu neigen, Már... und meine Brüder werden sich genetisch so stark voneinander unterscheiden wie von mir.“
Sie schlug mit der Faust gegen die Tür, bevor sie sie öffnete und vor ihrer Mutter her in Richtung Treppe ging.
Joreth war weit und breit nicht zu sehen, aber Micaya bezweifelte, dass sie ihn wahrgenommen hätte, als sie wie im Traum ihrer Tochter in den Schankraum folgte.
Nur am Rande nahm sie wahr, wie Mara irgendetwas zu Tscha sagte und dann leicht mit den Fingern das gebrochene Nasenbein berührte.
Tscha schrie auf, als die zersplitterten Knochen wieder an ihren ursprünglichen Platz glitten.
Der scharfe Schmerz lies nach, und Kühle breitete sich über seinem Gesicht aus.
Mara lies geplatzte Gefäße verheilen, während die Schwellung zurückging.
Als sie fertig war, war Tschas Nase gerader als vorher.
__„Das war nicht das erste Mal, dass irgendjemand Dein Riechorgan zerlegt hat, oder?“ kommentierte die junge Frau.
Der Druide verzog das Gesicht.
Er fasste nach seiner Nase – sie fühlte sich gut an, aber etwas stimmte nicht...
Mara nickte.
__„Der Geruchssinn wird in 1-2 Tagen zurückkehren. Ich musste ein paar Nerven blockieren – sonst wäre der Schmerz zu übel gewesen. Und das hat sich ein Wenig stärker ausgewirkt...“
_Már, die verengten Gänge durch frühere Verletzungen sind jetzt frei, er wird deutlich besser riechen, wenn die Nervenlähmung nachlässt...
Micaya schüttelte sich.
Sie wollte nicht darüber nachdenken.
Lieber ging sie jetzt zu Tscha, um ihn in die Arme zu schließen, zu trösten, und zu vergessen, wie wenig Zeit ihnen nur noch blieb.
Keinem der Anwesenden fiel auf, dass Joreth noch immer nicht zurückgekehrt war.