Momente der Ewigkeit
Simon starrte leer auf die umklammerte Tischplatte. Da saß er, einem Mädchen gegenüber, wie schon öfter zuvor, und einmal mehr war er sich bei so vielen Dingen unsicher, dass ihn allein ihr Durchgehen in Gedanken komplett paralysierte. War sie überhaupt in seinem Alter, oder täuschten ihn ihre kleine Statur und ihre makellose Haut? Hatte sie womöglich schon Jemand, dem sie versprochen war? War der Necromancer, der sie vorher ihm so nahe gebracht hatte, womöglich mit ihr bekannt? Was würde er davon halten, wenn Simon...
Nein, beschloss er. Dieses Mal würden ihn doch keine sinnlosen Zweifel davon abhalten, endlich sein Glück wenigstens zu suchen zu beginnen, geschweige denn, es zu finden!
Ja, lass dich nur nicht von Zweifeln abhalten oder gar von mir. Ich bin dein Verbündeter in der Hinsicht! Vertraue dem gleichen Motiv...
Und da war der Grund, warum Simon wirklich zögerte: Es lag doch nicht an kindischen Zweifeln, die er doch sowieso längst besiegt hatte - oh Selbsttäuschung? Nein! - es lag einzig und allein an seinem ganz besonderen Problem...
Deine Motive sind es doch gerade, denen ich nicht vertraue, Yawgmoth...
Wie schade, denn ich lasse es einfach nicht länger zu, dass du dich zierst. Sei dankbar.
Und noch während Simon in Gedanken eine Antwort formulierte, hatte sich seine rechte Hand schon auf Morwens gelegt. Wo sie, als er begriff, was er - oder besser: er - Yawgmoth! - getan hatte, sofort geschockt erstarrte. Simon seine Augen auf und seinen Blick von der Tischplatte hoch, und er traf auf Morwens, die pfeilschnell ihren Kopf hatte herumfahren lassen, als sie seine Berührung spürte.
Simon war sprachlos, zerrissen von äußerem Entsetzen, innerer Wut und seinen ohnehin andauernd widersprüchlichen Gefühlen...da wandelte sich jedes Gefühl gleichzeitig mit Morwens Ausdruck in Erstaunen, denn dieser wurde - zu einem Lächeln. Nichts anderes trübte in diesem kurzen, sich von Augenblicken zu Ewigkeiten dehnenden Moment seine Gedanken, sogar Yawgmoth schwieg, die Folgen seiner so geringen Bewegung unbeteiligt durch Simons auf Morwen fixierte Augen beobachtend.
Diese beendete die Ewigkeit, als sie ihr Lächeln ohne eine Veränderung von schön zu schrecklich wandelte, allein durch die von ihren Worten erzeugte Spannung.
„Hast du dich durchgerungen, Simon? Oder mit wem spreche ich gerade? Nun, was auch immer...Jeder von euch hat jetzt zwei Möglichkeiten, entweder, du traust dich, meine Hand richtig zu nehmen, statt sie nur zu berühren, oder du nimmst deine und enfernst sie in den nächsten zwei Sekunden vom Tisch. Ansonsten..."
Ihre freie Hand hob eines der Messer, die Simon vor Kurzem erst kennengelernt hatte, und ließ es vor seiner Nase über dem Tisch schweben.
Simon blieb unbewegt, kämpfend nicht mit dem Dämon in sich, sondern mit sich selbst, und langsam begann Morwens Lächeln, zu schwinden...
Nein, dies durfte nicht geschehen. Eine schnellere und unüberlegtere Entscheidung hatte Simon noch nie in seinem Leben getroffen, und sie stand längst felsenfest, als er seine linke Hand langsam zur Tischplatte hob, damit seine rechte packte und von Morwens Hand entfernte...und noch bevor er sehen konnte, ob ihr Lächeln nun Befriedigung oder gar Enttäuschung weichen würde, legte er seine Linke fest auf ihre Hand.
Seine Rechte zögerte kurz...aber diesmal sprach Simon für die Assassine gegenüber deutlich hörbar direkt zu Yawgmoth, aus dem linken Mundwinkel murmelnd...
“Wenn du versuchst, mir die hier auszuspannen, dann begeh ich Selbstmord...“
Sein rechter kräuselte sich zu einem öligen Lächeln.
"Solange wir uns einen Körper teilen, und du irgendwann zur Sache kommst, kannst du ihr Händchen halten, solange du willst..."
Simon beschloß, dies unkommentiert zu lassen; es war eine Stunde der schnellen Entscheidungen. Wenn Morwen ihn bisher nicht an Yawgmoths Verhalten gemessen hatte, dann würde sie das auch in Zukunft nicht tun, und ein Streit mit dem Feind in sich zu diesem Zeitpunkt wäre einfach...mehr als ungünstig.
Morwen hob ihre linke Augenbraue.
"Nun, ich schätze, das stellt einen klaren Sieg dar...Simon."
Sie brauch den Augenkontakt, um sich einmal in der Runde umzusehen.
"Warum sitzen wir eigentlich in der Mitte der Taverne und unterhalten alle?"
Morwen stand auf und zog Simon an der Hand hinter sich her zu einem Ecktisch.
"Ich hasse es, wenn mich alle Männer so anstarren."
Ihr scharfter Blick zurück an die Theke verriet ihr, dass die meisten Starrer in genau diesem Moment absolut keine Lust hatten, sie anzusehen - außer Joreth, der sie angrinste...nein, er grinste in sich hinein, während er sie weiter unverholen musterte. Simon hatte, als sie stehen geblieben war, um ihren Blick nach hinten zu werfen, seine Hand von ihrer gelöst, seine vor Kurzem noch felsenfeste Überzeugung längst erodiert, und sich, aus irgendeinem Grund erschöpft, auf einen Stuhl fallen lassen...und schon war Morwen abgelenkt, aber vielleicht war das ganz gut so, er brauchte erst einmal Zeit, um seine Gedanken zu ordnen, seine Entschlossenheit wieder zu finden...
"Wir könnten ja uns erstmal nett unterhalten..."
Morwen drehte sich um, Joreth nach einem letzten eisigen Blick ignorierend und Simon auf seinen Kommentar hin zunickend. Ohne Worte setzte sie sich ihm gegenüber...als seine Miene sich in Wut zu verzerren begann.
"Misch dich
nicht in meine Angelegenheiten!"
"Bitte
wie?"
Morwen war von Simons Ausruf mehr als nur überrascht, dieser jedoch schlug sich schnell die Hand vor den Mund und senkte seinen Kopf, wieder die Tischplatte anstarrend. Nach einer Weile hob er ihn wieder, kleinlaut.
"Tschuldige. Selbstschelte. Mal wieder. Himmel, wie ich es hasse."
Sie seufzte erleichtert.
"Ach, ist doch nicht so schlimm - eher lustig."
Simon blickte sie entsetzt an.
"Es ist die
Hölle!"
"Ja, aber Schadenfreude ist doch immer die schönste Freude, findest du nicht?"
Sie lächelte geheimnisvoll. Simons linke Gesichtshälfte begann, sich wieder zu entspanne, sogar ein wenig zurückzulächeln - aber die rechte grinste breit und böse, was dem ganzen einen höchst sinistren, weil schiefen Charakter gab. Morwen wich ein wenig zurück. Simon schaute leicht verzweifelt.
"Es ist wirklich nicht einfach, ein normales Gespräch zu führen, wenn er immer dazwischenfunkt..."
"Wir wärs, wenn wir ihn einfach ignorieren?"
Er hielt sich demonstrativ den Kopf.
"Er kann leider auch in Gedanken zu mir sprechen...und mich macht das langsam wahnsinnig..."
"Ich weiß da ein gutes Mittel."
Morwen grinste wieder dieses enigmatische Lächeln, das Simon bereits das erste Mal, als er es gesehen hatte, vollkommen faszinierte. Dann packte sie Simon unvermittelt am Kinn, und trotz Reflexe, die das Zurückweichen gewohnt waren, rührte er sich nicht, als ihre starke Hand, weit stärker, als er war, es umfasste. Morwen zog Simons Kopf näher an ihren, seine Augen weiteten sich vor Überraschung - wobei seine rechte Gesichtshälfte sich halb öffnete, und eine Zunge schlangengleich über trockene Lippen fahren ließ...
Morwens Ohrfeige traf Yawgmoths Seite mit einem lauten Klatschen, und Simon schaffte es gerade so, auf dem Stuhl sitzen zu bleiben. Dann grinste er halb - ein volles Grinsen der linken Hälfte.
"Ahhhhh...aber du hast Recht, so bringt man ihn ganz gut zum Schweigen..."
Dann ließ er den Kopf schlaff fallen, weil sich ihm Alles drehte. Hinter ihnen brach Gelächter aus.
Morwen legte ihre Hand auf seine, was ihn sofort wieder genug zu Sinnen brachte, um zu hören, was sie ihm zuflüsterte.
„Ähm…ich glaube, wir fallen hier ziemlich auf...“
"Garantiert sind wir aufgefallen- immerhin hat gerade die ganze Taverne gehört, wie du mir eine gescheuert hast. Aber ich bin dir ja auch dafür dankbar - tut weh, aber Yawgmoth tut es weit mehr weh, ist seine Seite. So sollte er still halten..."
"...schön."
"Sollte er."
Unangenehmes Schweigen machte sich breit, Simon starrte auf Morwens Hand, die auf seiner lag.
"Muss ich dir sagen, dass ich nicht wirklich gut bei so was bin?"
Sie lachte laut auf.
"Nicht wirklich, nein - das merk ich auch so."
"Dann mach Ichs nicht. Morwen, ich weiß fast Nichts über dich, und ich hab jetzt so viel von mir erzählt - warum erzählst du mal nicht was von dir, während ich mich ein wenig...sammle?"
Morwens Gesicht versteinerte sich sekundenlang, ihr Lächeln schien ihr gerade aus ihrem Gesicht gefallen zu sein und sie wirkte plötzlich traurig, unendlich traurig. Diese Traurigkeit ließ sie auf eine seltsame Weise in Simons Augen noch viel schöner erscheinen, und er begann, ohne es zu merken, den Atem anzuhalten...
„Zu mir gibt es Nichts zu sagen.“
Kurz schloss sie ihre Augen und atmete einmal tief durch, worauf Simon endlich auch seinen angestauten Atem entließ, enttäuscht und erleichtert zugleich, denn sofort begann sich ihr Gesicht wieder zu erhellen.
„Ich möchte jetzt einfach nicht darüber reden!“
Sie brachte sogar ein schwaches Lächeln zustande. Simon erwiderte es, und er spürte, dass ein besonderer Moment sich erneut aufbaute wie statische Spannung im Raum, und er musste handeln, bevor sie sich in einem Desaster entlud...
Sag jetzt nichts Falsches...sag jetzt nichts Falsches...
Du versaust es doch eh. Lass mich.
Was würdest DU denn sagen?
Ich würde sagen: "Nun, hättest du Lust, mit mir kurz auf ein Zimmer zu gehen - gern auch länger?"
Das dachte ich mir. Wobei...?
Simon holte noch einmal tief Luft:
„Nun...wie wäre es, wenn wir unsere Unterhaltung irgendwo weiterführen, wo wir sonst Niemand damit stören...mal ganz davon abgesehen, dass die ständige Lärmkulisse
mich ein wenig stört? Ich kenne da ein nettes Plätzchen, unter einem Baum an der frischen Luft. Ist gerade echt schön draußen, wohl etwas Kühl…doch - wollen wir da weiterreden?“
Bitte bitte bitte...
„Ja, gerne...“