So, ihr Lieben. Sieben Tage sind um, hier ist der erste Teil des zweiten Kapitels:
Kapitel 2
Aarrrgh! Zur Hölle damit! Kommt dieser verdammte Schmerz denn nun auch vor dem Aufwachen? Habe ich denn nun keine Ruhe mehr?
Als Antwort auf ihre Gedanken rollte sich ihr ausgemergelter Körper instinktiv zur Seite, bittere Galle hustend.
„Nun, meine Liebe, schön, dass ihr wach seid, aber meine Schuhe wollte ich eigentlich noch etwas länger tragen.“
In dem beschmutzten Schuh steckte ein nicht minder schmutziger Wollsocken.
Hustend würgte sie ein „Verzeiht mir, Malah.“ hervor.
„Kindchen, was habt ihr nur getan? Habt ihr euch vergiftet? Ich hätte hier ein hervorragendes Gegengift zur Verfügung...habt ihr Interesse daran, Naeemah?“
„Lasst nur, es ist nichts. Ich habe unterwegs ein paar Beeren gegessen, die sind mir wohl nicht so gut bekommen“, Naeemah schlug den Blick nieder.
Malah warf ihr einen kritischen Blick zu, während sie den Unrat von ihren Schuhen und dem Boden entfernte. Sie wussten beide nur zu gut, dass es auf diesem verdammten Berg nichts gab, was auch nur im Entferntesten an Beeren erinnerte.
Die Heilerin schlurfte den Kopf schüttelnd davon, wohl um weiter im Inneren ihrer Behausung nach verletzten oder kranken Bewohnern der Burg zu sehen.
Viel hatte sich nicht verändert. Die längste Wand des Hauses wurde immer noch von einer Reihe aus Schränkchen und Kommoden belagert, die kleine und große Tiegel, Töpfchen und Döschen mit sonderbaren Flüssigkeiten und Pasten enthielten.
Der Geruch von getrockneten Kräutern schwebte im Raum, verdeckte aber nur spärlich den Geruch von ungewaschenen, menschlichen Leibern.
Selbst die Bewohnerin dieses Hauses sah noch ziemlich unverändert aus. Malahs Gesicht war mit Furchen und Falten durchzogen. Ihre pergamentartige Haut war mit den typischen bräunlichen Altersflecken überzogen und auch ihr schlurfender Gang verbarg ihr Alter nicht. Aus dem Gesicht ragte eine gewaltige, knöcherne Hakennase, aber trotz allem strahlte das Antlitz des Hutzelweibchens viel Sympathie und Wissen aus. Silbergraue Haare traten spärlich unter der dunkelbraunen Fellkapuze hervor und ringelten sich wie kleine Bänder über ihrer eingefallenen Brust.
Ihr Kleid war von Flecken durchzogen, rostrote Blutflecken beherrschten das Bild, aber auch grünliche Flecken von Kräuterpasten waren darauf zu finden.
Ihre eigentlich wollweiße Schürze war auch vielfarbig durchwirkt, da Malah sich oft ihre Hände während der Behandlung Kranker daran abwischte.
Alles in allem wirkte ihre Erscheinung recht schmuddelig und unordentlich.
Es stimmte in gewisser Weise, eigentlich war sie schmuddelig. Aber hier in der Kälte, in Ermangelung des fließenden Wassers, versuchten alle Bewohner so gut es ging sich und ihre Kleidung wenigstens einigermaßen sauber zu halten.
Dieses Bemühen war selten von Erfolg gekrönt.
So war es nicht verwunderlich, dass die Burg gegen Ende des Winters immer schlimmer stank und von Ungeziefer befallen war.
Eben jetzt teilte der spezifische Geruch Naeemah mit, dass sich Malah ihr aus den hinteren Räumen des Hauses näherte. Ihre Schürze hatte wieder ein paar neue, prächtig-gelbe Flecken abbekommen.
Naeemah wollte gar nicht wissen, woher die wieder stammten.
Malah bückte sich, auf ihren Stock gestützt, so gut es ging, zu ihr herunter: „Ich habe deine Kleidung leider zum größten Teil wegwerfen müssen. Das Meiste war so zerfetzt, dass selbst Anya es mit ihren Nähkünsten nicht hat retten können. Aber sie hat ein paar alte Sachen von sich herausgesucht und Larzuk hat noch ein Paar Handschuhe und einen Gesichtsschutz gespendet, die du haben kannst.“
Naeemah nickte nur. „Hier stelle ich dir etwas Brot und Suppe hin, falls du Hunger bekommst und hier ist ein Eimer, falls du wieder...“ die alte Frau musterte die Kriegerin. Sie sah dünner aus, die Wangen eingefallen und das schwarze Haar hatte an Glanz verloren. Ihre blasse Haut wirkte noch fahler und das kräftige Rot ihrer Lippen wirkte so vollkommen deplatziert. Die Rippen traten deutlich hervor und auch die Wirbelsäule zeichnete sich klar ab.
„Naeemah, wo ist Mellilah?“
Sie schreckte hoch. Lange her, dass man sie beim Namen genannt hatte. „Tot“, presste sie hervor, „wir sind auf dem Rückweg überrascht worden. Ich weiß nicht genau, was es war. Ich konnte ausweichen, aber sie war nicht schnell genug. Nur, weil diese gottverdammte Portalrolle nicht mehr funktioniert hat!“ Naeemah ballte die Fäuste und starrte Malah in ihr runzliges Gesicht.
Diese sah sie erschrocken an. „Mein Beileid, Naeemah. Es ist nicht schön, wenn man seine Gefährtin verliert“, sie machte eine kurze Pause, „ Ich weiß, es ist vielleicht noch etwas früh, aber Qua-Khek wollte dich sehen. Wenn du nicht möchtest, dann sage ich ihm, dass du noch krank bist.“
„Nein, schon gut, ich werde gleich gehen.“ Sie löffelte hastig noch etwas Suppe und aß etwas Brot, dann zog sie schnell ihre neuen Kleider an und huschte hinaus.
Die Kälte traf sie wie ein Schlag. Schnell zog sie den Pelzvorhang, welcher als Malahs Haustür fungierte, zu und hastete die Stufen hinunter, quer über den Burghof, auf Qua-Kheks Behausung zu.
Der Boden des Hofes war mit einer grau-braunen, matschigen Masse, einem stinkenden Gemisch aus menschlichen und tierischen Exkrementen und Schnee, bedeckt, so dass er sehr glitschig war.
Bloß nicht fallen, egal was du tust, fall bloß nicht in diesen Mist hier. Der Ekel überfiel sie hinterrücks. Schwer von dem unfassbaren Gestank des Hofes getroffen, geriet sie ins Schwanken. Instinktiv griff sie in Richtung Treppengeländer. Dieses war aber von der anhaltenden Nässe so aufgeweicht und mit einer dünnen Schicht Moos bedeckt. Ihre Hand glitt ab, fand schließlich aber Halt an der Wand. Eiskalt und feucht fühlte sich der große Quader an, der sie davor bewahrte, in die widerliche Masse am Boden zu gleiten.
Die eine Hand an der Wand, die andere auf dem Knie gestützt stand sie da und rang nach etwas Luft. Kleine Lichtfunken tanzten vor ihren Augen einen munteren Reigen.
Langsam fühlte sie sich besser. Noch in der stützenden Position verharrend, begann sie, die Umgebung zu betrachten.
Im Grunde hatte sich nicht viel verändert, seit sie aufgebrochen war, um Ba’al zu vernichten. Die Mauern der Trutzburg ragten immer noch hoch in den Himmel, obwohl sie sich wirklich wunderte, wie derartig grob behauene Steine aufeinander zu ruhen kommen konnten. Hätte es ein Architekt in ihrer Heimat gewagt, auch nur einen einzigen Stein dieser Qualität anzuliefern, so wäre er nicht nur den Auftrag, sondern wohl auch seine Zunge losgeworden.
Das gewaltige Fallgitter des Burgtores bestand aus dicken, schmucklosen Eisenstreben. Es erfüllte zweifelsohne seinen Bestimmung, aber es war unschön und simpel. Barbaren schienen nur Sinn für Zweck, nicht für Kunst und Schönheit zu haben.
Selbst der Burghof war nicht mehr als zweckdienlich: quadratisch, mit strahlenförmig ausgehenden Abflussrinnen, die sich am Burgtor trafen, um den flüssigen Schmutz und Unrat gleich aus dem Hof hinauszuleiten. Leider gab es hier auf Grund der niedrigen Temperaturen kaum flüssigen Unrat und einmal davon abgesehen waren die Rinnen sowieso mit Moos und Flechten verstopft.
Direkt rechts neben dem Tor hatte der Älteste Qua-Khek seine Behausung. Eigentlich hätte er ob seiner sozialen Position eine bessere Bleibe verdient, aber der alte Kriegsherr beharrte darauf, weil er den jungen Wachhabenden, die das Tor sichern sollten, wohl nicht ganz vertraute.
Etwas weiter links neben dem Eingangsbereich hatte Nihlatak gewohnt. Mellilah hatte diesen Verräter mit ihren Fallen zur Strecke gebracht. Naeehma selber war auf Grund der schier endlosen Flut von Nihlataks Untergebenen nicht an ihn heran gekommen.
So hatte sie sich darauf beschränkt, Mellilah zu schützen. Nihlataks Tod war seine gerechte (?) Strafe für die Entführung Anyas und das Paktieren mit Ba’al.
Spinnenweben zierten nun den Eingang von Nihlataks Haus.
Der Türrahmen sah auch ziemlich lädiert aus. Anscheinend hatten die Bewohner der Burg alles Nützliche aus Nihlataks Behausung hinausgeschafft und anderweitig verwertet. Im Grunde hatten sie Recht. Holz und andere Rohstoffe waren in dieser Höhe knapp, sie mit Karawanen und Lastzügen kommen zu lassen, kostete ein kleines Vermögen.
So waren auch die Straßen und Gassen von Harrogath nur notdürftig (wenn überhaupt) gepflastert. Naeemah hatte schon erlebt, dass ein Barbar nach einem ziemlich starken Regen auf der eingeweichten Strasse bis zu den Oberschenkeln im Matsch versank und sich nur mit Mühe wieder herausziehen konnte, wobei einer seiner Fellstiefel verlustig ging. Die Steine waren aber zu kostbar, um sie einfach auf den Boden zu werfen, und so war der Burghof der einzige Platz, der das Privileg der Pflasterung genießen durfte.
Harrogath selbst war auf einem einzigen großen Granitfelsmassiv des Berges erbaut. Restliches Umland bestand zum größten Teil aus Sand- und Kalkstein, welche sich in keinem Fall für den mächtigen Baustil der Barbaren eigneten. Der Kalkstein war nicht belastbar genug und wurde über die Jahre vom Regen hinweggeschwemmt, der Sandstein zerbröselte zu häufig unter den groben Instrumenten seines Bearbeiters - so mussten die Steine zum Bauen aus großer Entfernung herbeigeschafft werden.
Diese Handelszüge hatten aber auch schon lange nicht mehr ihren Weg nach Harrogath gefunden, denn kein Händler wollte es riskieren, die Belagerung von Harrogath zu druchstoßen. Zu groß war die Mühe und zu gering das Entgelt.
Anyas Haus lag schräg gegenüber von Nihlataks und grenzte somit auch an den Hof.
Allein schon am mehrstöckigen Bau des Hauses konnte man erkennen, dass seine Bewohner nicht gerade zu den Ärmeren gehörten, denn diese wohnten entlang der äußeren Mauern in kleinen Zelten aus Tierhäuten und wärmten sich an stark rußenden Feuern.
Anyas Haus war eines der wenigen, welches einigermaßen rechteckig behauene Steine hatte. Außerdem war es nicht aus Sandstein, sondern aus massivem Felsgestein errichtet. Die Fensterrahmen bestanden aus Hartholz, Naeemah schätzte, dass es Esche war.
Musste ein gutes Sümmchen gekostet haben, sich das Holz den verfluchten Berg hinaufliefern zu lassen.... Sogar Fensterläden hatte sich die Familie leisten können und es saßen einfache Fensterscheiben in den dicken Holzrahmen.
Weder Qua-Khek, Malah oder Larzuk konnten sich Glasfenster leisten. Ihre wenigen Fenster wurden mit einer feinen Schicht Tierhaut bespannt, welche in einem sehr komplizierten Verfahren von der Unterseite eines Balges gelöst würde. Nur spärlich fiel mattes Licht durch die Häute.
Gerade trat Qua-Khek aus seinem Haus. Der riesige Mann trug jeweils rechts und links einen mächtigen Holzeimer in der Hand und stampfte fast mühelos durch den Matsch zum Brunnen, welcher sich in der Mitte des Burghofes befand. Als er ihn erreichte, versuchte er, den Brunneneimer in den Schacht zu lassen. Vergeblich, denn der Frost der Tage hatte das Seil steif frieren lassen, so dass es sich keinen Zentimeter bewegen mochte.
Unwillig grunzte der grauhaarige Riese und schüttelte seine Mähne. Im spärlichen Sonnenlicht funkelte sein Haar silbern und sandte helle Lichtblitze ab.
Naeemah, inzwischen wieder einigermaßen erholt und an den unermesslichen Gestank gewöhnt, trat schnell zu ihm, in ihrer Hast zwei Stufen auf einmal nehmend.
„Nicht so schnell, Kriegerin, nicht, dass ihr wieder stürzt. Obwohl, im Vertrauen, es ist schon lange her, dass mir eine Frau zu Füßen lag!“ Der Barbar stimmte ein tiefes Lachen an. „Spart euch die Witze. Oder habt ihr mich nur zu euch rufen lassen, damit ihr lachen könnt, während ich mich hier zu Tode friere?“ Naeemah konnte mit dem ursprünglichen und doch recht rauen Humor der Barbaren nichts anfangen.
„Hm, nun, nein, natürlich nicht! Ich wollte euch nur noch einmal dazu beglückwünschen, dass ihr das schier Unmögliche erreicht und Ba’al besiegt habt. Und überhaupt...wo ist eigentlich eure Gefährtin?“, fragte der Kriegsherr der Barbaren erstaunt.