Kann es sein, dass heute schon wieder Update-Tag ist? Ja, ist es:
[color=#FFFFF]Kapitel II - Teil 2[/color]
„Tot. Wir haben Ba’al besiegt, aber dann war sie nachlässig. Etwas hat uns angegriffen und sie stürzte den Weltenstein hinab. Sie hat einen Fehler gemacht und musste die Konsequenz dafür tragen. So ist es eben.“
Qua-Khek war immer wieder überrascht, wie eiskalt diese Frau war. Damals, als sie hier ankamen, hatte er sich schon über die Emotionslosigkeit der beiden Frauen gewundert.
Und noch mehr hatte es ihn gewundert, dass sie das Lager miteinander teilten und auch sonst sehr eng zusammenhingen. Mit Bedauern dachte er an die kleine, zierliche Mellilah. Schade, dass so ein hübsches Ding nun zerschmettert an der Wurzel des Weltensteins lag.
Qua-Khek räusperte sich etwas verlegen und sprach Naeemah wieder an: „Nun, Kriegerin, ihr werdet sicherlich so schnell wie möglich heimkehren wollen. Falls ihr dafür irgendetwas benötigt, sei es Proviant oder Ausrüstung, so wendet euch ruhig an die Bevölkerung von Harrogath. Ihr habt so viel für uns getan, dass es uns eine Freude sein wird, euch vorzeigbar auszurüsten. Für einen äußerst günstigen Preis könnte ich euch sogar einen Söldner zur Seite stellen. Es gibt immer wieder Barbaren, die in ihrem Leben gerne mal eine Reise unternehmen wollen.“ Qua-Khek schüttelte den Kopf über die sonderbare Barbarenjugend. Er verstand nicht, warum man von hier weggehen sollte. Was gab es dort schon, was es hier nicht gab?
„Danke für euer großzügiges Angebot, Ältester, aber ich glaube, ich reise schneller allein...“,
und unauffälliger, fügte sie in Gedanken hinzu, „ aber ich werde mich hier wirklich mit Ausrüstung versorgen müssen, nachdem Malah fast meine gesamten Rüstungsgegenstände fortwerfen musste.“
Qua-Khek verkniff sich die Frage, ob sie überhaupt stark und ausdauernd genug sei, um die schweren Barbarenrüstungen zu tragen. Denn selbst die Lederrüstungen, die Larzuk aus der Haut großer Bestien herstellte, hatten ein beträchtliches Gewicht.
Er beschränkte sich darauf, den Arm zu heben und sich kräftig am Kopf zu kratzen.
Igitt.
„Oh mein Gott, sind die ihre Flohplage immer noch nicht losgeworden... Wen wundert es, wenn sich die gesamte Belegschaft der Burg nur einmal in der Woche 3 Schüsseln mit geschmolzenem Schnee teilte, um sich zumindest notdürftig sauber zu machen“, fuhr es Naeemah blitzartig durch den Kopf, „sieh bloß zu, dass du hier schnell rauskommst!“ Mellilah und sie hatten Tage in der Kälte des Berges verbringen müssen, um die lästigen Plagegeister, welche sie sich während ihres kurzen Aufenthaltes in Harrogath zugezogen hatten, mit ausgedehnten Anwendungen eines gelben, grässlich stinkenden Krautes und minutenlangen Schneebädern loszuwerden.
Vielleicht sollte sie sich doch lieber erst später mit Rüstungen versorgen... nicht auszudenken, was für eine Schande, wenn sie dieses Ungeziefer daheim einschleppen würde!
Gedanklich stellte sie sich schon einmal eine Liste an Gegenständen zusammen, die sie auf ihrer Heimreise benötigen würde.
Außerdem wollte sie noch Anya fragen, in welcher größeren Barbarenstadt - lächerlich... Stadt... dieser Haufen aufeinander gesetzten Hinkelsteine reichte längst nicht an die kunst- und prunkvollen Paläste und Moscheen ihrer Heimatstadt heran und verdiente nicht einmal ansatzweise die Bezeichnung Stadt - Barbarenfestung die nächste Karawane in Richtung Lut Gholein, der Hauptumschlagsplatz für alle Wüstenstädte, abreiste.
Etwas gereizt überquerte sie den Burghof in Richtung Anya. Dabei war sie immer bemüht, möglichst den höchsten Punkt der Matschberge und -türme zu treffen, da diese meist leicht gefroren waren und erst nach wenigen Sekunden ihrem Gewicht nachgaben.
So überwand sie mehr hüpfend als gehend die Kloake.
Anya besaß ihren eigenen gepflasterten Eingang. Dort stand sie auch meistens, wie auch heute, um die Sonne zu genießen.
„Anya!“
Überrascht blickte diese auf. Sie mochte ein kluge Frau sein, aber ein feines Gehör hatte sie nicht und so war ihr nicht bewusst, dass sich ihr jemand näherte.
Kein Wunder, dass Nihlatak, dieser Stümper, sie entführen konnte. Sie ist zu nachlässig...
Träge blinzelte Anya sie aus ihren braunen Augen an.
„Ah, mein Held“, erwiderte sie scherzhaft, „was kann ich für euch tun, Naeemah? Habt ihr euch von den Strapazen der Reise erholt? Malah lies verlauten, dass ihr nicht wohl seid und auch schwere Verluste erlitten habt. Ach, es tut mir so Leid um Mellilah, sie war eure Freundin, es muss schwer für euch sein!“ Besorgt legte Anya ihre junge Stirn in Falten. Sie meinte ehrlich, was sie sagte. Dafür plapperte sie aber auch gleich weiter: „Wisst ihr, ich habe alles mögliche getan, um eure Rüstung zu retten. Aber schlussendlich war das ja auch mehr Loch als Leder – und die Kunst, Löcher zusammenzunähen beherrsche ich leider noch nicht! Wollte ihr vielleicht einmal in mein Angebot schauen? Heute morgen kam just eine Warenlieferung aus dem Tal, eventuell ist etwas für euch dabei, was meint ihr?“
„Danke für dein Angebot, Anya, aber ich werde demnächst abreisen. Ich möchte vor allem schnell reisen und jede Rüstung, jeder Gegenstand mehr wird mich behindern.“ Bewusst war sie nicht auf Anyas Beleidsbekundungen eingegangen. Naeemah hatte einfach keine Bestrebung mit Leuten, die sie kaum kannten, über Mellilah zu reden.
Sie wollte ja selber nicht daran denken.
„Vielleicht kannst du mir aber anderweitig weiterhelfen, Anya“, Naeemah sah sie prüfend an, „ich suche eine Karawane, die mich in die Wüste bringt oder zumindest eine, mit der ich Lut Gholein erreichen kann.“
„Hm“, nachdenklich fuhr sich Anya durch ihr schwarzes Haar und zog die kleine Stupsnase kraus. Angestrengt starrte sie auf den Boden und überlegte.
„Hm, die nächste Karawane geht in zwei Tagen von der Nachbarstadt Nhakata aus. Es ist nicht weit, wenn du morgen gleich losgehst, immer den Bergpfad herunter, dann wirst du rechtzeitig da sein, wenn du schnell genug bist. Ich glaube, sie zieht nach Lut Gholein. Soweit ich weiß, wollte der Oberbefehlshaber von Nhakata Damaszenerstahl aus Lut Gholein importierten. Ich denke, du wirst dich bestimmt der Karawane anschließen können. Ich weiß nicht, warum wir auf einmal Damaszenerstahl brauchen... irgendwie seltsam.“
Naeehma nickte. „Danke Anya, Nhakata kenne ich, dort bin ich auch auf der Hinreise angekommen... entschuldige mich, ich werde mich nun etwas zurückziehen.“
Mit einer kleinen Verbeugung verabschiedete sich Naeemah von Anya, die ihr noch etwas nachwinkte.
„Seltsame Sitten haben diese Südländer“, dachte Anya und musst unwillkürlich lachen.
Die Sonne verschwand zur Zeit erst sehr spät hinter den Bergen um Harrogath. Durch die nördliche Lage der Festung erleuchtete das Himmelsgestirn einen Tag im Jahr vollständig mit ihrer milden Kraft.
Und wenn sie dann ganz malerisch hinter den Bergen versank, tauchten sich die schneebedeckten Gipfel in ein feuriges Licht, das wild verschlungene Bänder aus sanft funkelndem Licht, mal Blau, Violett oder auch in blutigem Rot über das Firmament schickte.
Aurora Borealis...
Das Polarlicht gehörte zu den schönsten Dingen, die Naeemah gesehen hatte. Und sie hatte schon viel gesehen. In ihrer Ausbildung hatte sie einige Haschisch-Phantasien gehabt, die ihr wie das Paradies auf Erden deuchten. Doch diese waren einfach nicht real.
Wenn hier dann noch der Abendstern zusammen mit dem Polarlicht am Himmel stand, musste sie unwillkürlich an Mellilah denken. Das exotische Aussehen des Polarlichts war auch ihr zu eigen gewesen, die schlanken Lichtbänder der Erscheinung erinnerten an Mellilahs zarte Silhouette, der schwarze Himmel wie ihr Haar und der Abendstern strahlte, wie es nur ihre hellblauen Augen konnten.
Mellilah war die einzige Al Shama mit blauen Augen, die Naeemah kannte. Das mochte daran liegen, dass Mellilah die einzige Angehörige des Stammes der Al Shama war, die sie je gesehen hatte. Und eine Zweijahresreise nach Hangzhou wollte sie sich wirklich nicht wegen ein paar blauer Augen antun.
Die Shamaesen lebten im Fernen Osten von Sanktuario, ein karges aber doch abwechslungsreiches Land. Im Flachland beherrschten die Reisfelder das Bild, ewig bis zum Horizont dehnte sich das brackige, stinkende Wasser mit den dünnen Halmen der Pflanzen. Viele Menschen arbeiteten auf den Felder, allesamt verhärmt, dürr und von der unbarmherzigen Sonne fast verbrannt. Notdürftig versuchten sie sich mit großen, geflochtenen Hüte vor den Strahlen zu schützen, trotz allem war ihre Haut bereits dick und ledrig wie alte Tierhaut.
Der Norden das Landes war mit großen Wäldern bewachsen, hohe Bäume, die bis in den Himmel wuchsen. Sah man auf den Feldern bis zum Ende des Horizonts, so erkannte man in den nördlichen Landstrichen nicht ein mal die Hand vor Augen vor lauter Bäumen. Künstler und Geistliche hatten hier ihren perfekten Lebensraum geschaffen, Schreine und Klöster sprossen wie Pilze aus dem Boden, große Herrschaften errichteten nur zu gern ihre Schlösser auf den Spitzen der sanften Hügel.
So unterschiedlich das Land und die Art der Menschen auch anmuten musste, so hatten sie doch alle etwas gemeinsam: die helle, fast gelbliche Haut, das ebene, schwarze Haar und die typische, kleinen geschlitzten Augen, welche es ihnen ermöglichten, trotz der großen Helligekeit gut sehen zu können.
Klein und zierlich von Wuchs, mit flachen Gesicht und kleiner, eleganter Nase, so kannte man das Volk der Al Shama. Berühmt waren sie für ihren Erfindergeist, die Heil- aber auch die Kampfkunst. Sie schmiedeten ähnlich gute Schwerter wie die Vorfahren Naeemahs, bevorzugten aber längere, schmale, nur leicht gebogene Klingen. Unbezahlbar und unglaublich scharf waren sie, wenn man sie bei einem der alten Meister erstand, die ihre Klingen noch in langwieriger Handarbeit fertigten.
Naeemah blieb noch länger unter dem Himmel stehen, als die Lichterscheinung schon längst abgeklungen war, sie fror zwar erbärmlich auf den Zinnen der Trutzmauer, aber sie genoss noch einmal die frische, kühle und saubere Luft, die von den Bergen herunterwehte. Wenn sie nur daran dachte, wieder hinunter in den Burghof zu müssen...
Aber wenn man mal etwas frische Luft erwischte, so war sie doch allemal besser, als die Luft daheim. Dort war die Luft schwer und hitzig, permanent angereichert mit einem rot-gelben Staub, den der Wind aus der Wüste herbeitrug. In der Nähe der Oase gab es auch kaum eine ausreichende Kühlung, eher wurde die Luft zusätzlich noch schwül.
Aber das war sie ja gewohnt. Sie wunderte sich sowieso, warum sie nicht schon längst erfroren war. Drei Lagen Pelzkleidung hatten sie und Mellilah sich zu anfangs unter ihre engen Rüstungen quetschen müssen. So waren sie nur sehr langsam voran gekommen. Nach und nach hatten sie dann eine Lage nach der anderen ablegen können, aber so ganz hatten sie sich nie an die Kälte gewöhnt, die einem die Gliedmaßen empor kroch und nach dem Herzen griff.
Erschrocken riss sie sich aus ihren Gedankengängen. Sie musste aufhören, gedanklich so abzuschweifen. Das war gefährlich! Am Ende erlitt sie das gleiche Schicksal wie Mellilah... Sie war sich immer noch nicht sicher, was sie genau an diesem schicksalhaften Tag gesehen hatte. Vor ihrem geistigen Auge sah sie noch, wie Mellilah rannte, rannte wie der Wind. Und hinter ihr, aus dem zersplitterten Weltenstein, da trat etwas hervor. Groß und dunkel, ein Schatten, und wie ein Raubvogel glitt er auf Mellilah zu. Sie machte sich keine Sorgen, denn sie wusste, dass Mellilah durch ihren Geschwindigkeitszauber schneller rennen konnte, als jede Macht der Welt. Genau in diesem Moment jedoch verlor der Zauber seine Wirkung. Mellilah war wohl auf Grund des Sieges über Ba’al nachlässig gewesen und hatte vergessen den Zauber vorsorglich noch einmal zu sprechen. Naeemah hatte ihr noch laut eine Warnung zu geschrieen, damit sie schnell den Zauber nachsprach und dem Schatten entkommen konnte.
Sie hätte es wissen müssen. Mellilah, drei Jahre jünger als sie selber, war einfach zu ungestüm, um zu verstehen, wann es besser war, sich wie alle anderen Anhänger ihrer Gesinnung in der Dunkelheit zu verstecken, um dann im richtigen Moment ins Licht zu treten, den finalen Schlag, einen einzelnen Schlag zu setzen.
Mellilah war anders. Obwohl sie sich nur auf die Wirkungsweise ihrer Fallen und Shuriken verlassen konnte, wenn Naeemah als Frontkämpferin fehlte, war sie sofort stehen geblieben, als sie den raubvogelartigen Schatten hinter sich sah. Sie hatte kurz überrascht gezögert, bevor sie ihre ersten Shuriken warf. Zu mehr kam sie aber auch nicht. Denn der fremdartige Schatten hatte sie blitzschnell erreicht, die Shuriken waren wirkungslos und glitten durch ihn durch, die klauenartigen Fortsätze packten Mellilah, hoben sie hoch in die Luft und kurz bevor er ein Loch in die Decke des Raumes stieß, löste er den eisernen Griff und Mellilah fiel, fiel tief hinab.
Naeemah sah sich selber zum Rand der Klippe stürzen, aber Mellilah war nicht mehr zu sehen gewesen und der Schatten war außerhalb ihrer Reichweite. Es war alles so schnell geschehen, dass sie nicht hatte eingreifen können.
Es beunruhigte sie immer noch, wenn sie an diese schemenhafte Erscheinung dachte. Als sie es damals zu ersten Mal erblickte, hatte sie das Gefühl, dieser Schemen entzog sich einfach der menschlichen Wahrnehmungsfähigkeit. Ständig schien er seine Form zu verändern, Naeemah hätte ihn nicht beschreiben können, wie er aussah, welche Form er annahm, selbst wenn ihr Leben davon abgehangen hätte.
Es war als waberte dieses undefinierbare Etwas mit Milliarden kleinster Partikel, glitt vorwärts, immer seine Form verändernd.
Es gruselte sie, wenn sie daran dachte. So etwas hatte sie noch nie gesehen. Und noch nie hatte etwas ihr so Angst gemacht.
Diablo war der reinste Schoßhund gegen dieses Ding gewesen, mit einem doch ganz aparten Aussehen und Ba’al, nun, der war einfach hässlich.
Aber dieses Etwas...
Sie hatte versagt – auf ganzer Linie. Sie hatte nicht nur ihren anvertrauten Schützling verloren, ihre beste Freundin, sondern auch ihre Partnerin, dem Teil ihrer selbst, welcher nun in unkontrollierten Momenten schmerzte und nach Genugtuung schrie.
Aber hatte denn Rache noch einen Sinn?
Sollte sich diese verdammte Welt doch alleine retten, was kümmerte sie es, wenn die Welt unterging und ins Chaos stürzte.
Sie hatte keine Lust mehr auf diesen verdammten Dreck. Sie würde heimkehren, in ihre winzige Hütte, und dort Haschisch rauchend auf das Ende der Welt oder auf Hassan Ibn Sabbahs Schergen zu warten. Sie war in einer gewissen Weise schon gespannt darauf, wer sie zuerst erreicht. Wen würde ihr alter Meister wohl zuerst schicken, um sie wieder zu den Waffen, Gift und Attentaten oder ihrem Tod zu rufen? Ihre Kolleginnen oder Neuanwärterinnen, die sich erst den Rang einer Assassine durch ihren Tod verdienen sollten, um danach größere und besser bezahlte Aufträge zu bekommen.
Sollte sie dann kämpfen oder sich ruhig wartend meucheln lassen? Nein, sie würde kämpfen, wenn sie an einem schnellen Tod interessiert wäre, könnte sie sich auch gleich eine der Klippen oder Gletscherspalten, die es hier zuhauf gab, hinunterstürzen. Dann würde sie eben noch einige mitnehmen. Der entflohene Schatten verhieß sowieso nichts Gutes. Sie schätzte, dass es bis zum Ende-der-Welt oder Übernahme-der-Welt-durch-das-Böse oder was-auch-immer nur noch zwei Wochen dauerte. Grundsätzlich gesehen – es war ihr egal.
Sollten doch andere rennen und sich bemühen, diese undankbare Welt wieder ins Gleichgewicht zu rücken.
Sie für ihren Teil würde morgen abreisen und sich die nächste Karawane in die Wüste schnappen.