Gerne doch ... hab mir im Nach hinein viele Gedanken über diese Stelle gemacht, freut mich dass sie wenigstens einem gefällt. Und ich nehme das Kompliment dankend an (gerade von meinem erklärten Lieblingsschriftsteller im PlanetDiablo Forum), aber anhand der Reaktionen, oder eher der Nichtreaktionen kann man eigentlich immer noch sehen, dass es ja noch nicht so gut sein kann, wenn ich mir da andere Storys anschaue...
Aber ich glaube mittlerweile sehe ich es gar nicht mehr so richtig als Story an. Mir hat der Soap-Vergleich gar nicht so schlecht gefallen. Die weekly PlanetDiablo Soap "Chaos"- Staffel Zwei: Die Erben des Rings, heute folge X+Irgendwas, die Versuchung, große Gefühle, intelligente Gespräche... Naja, irgendsowas in der Art...
Aber Schwamm drüber, es ist ja noch nicht aller Tage Abend und ich hoffe ja mich noch ein ganzes Stück weiter entwickeln zu können.
Aber wie versprochen ... es geht weiter
Versuchung
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Den Schicksalsberg als Berg zu bezeichnen ist in der heutigen Zeit eher irreführend. Früher, als Harrogath noch ein kleines Dorf am Fuße des Barbarenmassivs war, konnte der Tempel des Schicksal ob seiner erhöhten Lage durchaus als Berg bezeichnet werden.
Über die Jahre hinweg hatte sich Harrogath aber so weit ausgebreitet, dass der Eingang zum Tempel des Schicksals heute am südlichen Ende Harrogaths lag.
So muss man nun eigentlich sogar Treppen hinabsteigen, um in die Haupthalle des Tempels zu kommen.
Dort lagerte das Herzstück dieser Welt. Der Schicksalsstein. Der Stein, der mit seiner gigantischen Ansammlung magischer Energie die Welt mit einem unsichtbaren Schutzschild umzog und dafür sorgte, dass sowohl Himmel- als auch Höllenkreaturen ihre natürliche Unempfindlichkeit gegen menschliche Waffen verloren, sobald sie diesen Planeten betraten.
Jeder der Vier konnte sich denken, was Bhaal hier wollte.
Auf dem Weg nach unten fanden sie auch die zum Schutz des Schicksalsberges abgestellten menschlichen und himmlischen Wächter, oder das, was von ihnen noch übrig war.
Sie gingen an den leblosen, verbrannten Überresten vorbei, ohne sich umzusehen. Es gab hier nichts, was sie tun konnten.
Bhaal hatte die Wächter mit dem Kopf nach unten aufgehängt, direkt vor und über dem Portal in die Haupthalle, sodass sie einen grotesken Kranz um das Tor bildeten. Einen Kranz aus Blut und Tod. Jeder der Vier verstand die morbide Anspielung auf das, was hinter dem Tor lauerte, es mit eigenen Augen zu sehen machte es aber noch viel grausamer.
Als sie sich auf etwa einen Meter dem Portal genähert hatten, glitt es mit einem dumpfen Dröhnen auseinander und gab den Blick auf die Hallen des Schicksal frei.
Das Bild war wie ein Faustschlag in die Magengrube.
Auf den ersten Blick glaubte Ryan erneut in die Kanalisation von Kurast zu blicken. Die Schicksalshallen schien den unterirdischen Gemäuern so ähnlich, dass, nein, auf den zweiten Blick waren sie ihr überhaupt nicht mehr ähnlich.
Das Bild in Ryans Kopf verblasste, doch dieser kurze Augenblick rief die Sehnsucht hervor. Die Sehnsucht nach den alten, friedlichen Zeiten, nach den Zeiten, in denen ihm alles so leicht vorgekommen war. Er wünschte sich nichts sehnlicher, als erneut in den Hallen der Assassini zu leben, seinem Tag der harten Arbeit und dem Training zu opfern und Nachts glücklich und zufrieden in seine Kissen zu sinken.
Es gab einmal eine bessere Zeit und die war ihm genommen worden.
So, oder so ähnlich erging es jedem der Eintretenden.
Elias schluckte und wischte sich mit dem Handrücken über die Augen.
Dann, kaum Sekunden später kam der Schrecken. Jedes grausame Detail ihrer Reise leuchtete vor ihren Augen, gerade kurz genug, um es zu identifizieren, um dann wie Neonreklame zu verblassen und neuen Bildern Platz zu machen.
Jedes Bild traf sie aufs Neue, führte ihnen aufs Neue die Sinnlosigkeit ihrer Existenz vor die Augen.
Leiden, aus nichts als Leiden hatte ihre Reise bestanden.
Und wenn es Momente des Glücks gegeben hatte, so waren sie von neuem Leid überschattet gewesen, dass dieses Glück ins tiefste verdarb.
Schon konnte Ryan die flüsternde Stimme in seinem Kopf hören, die ihm sagte, dass es für alles ein Ende gäbe, als die Welt einen Ruck machte und endlich in die Wirklichkeit zurück glitt.
Sie standen am Eingang einer fünfeckigen Halle, die in ihren Ausmaßen so gewaltig war, dass man das gegenüberliegende Ende nur mit Mühe noch erahnen konnte. Dutzende von schweren Säulen ragten in die Höhe, um eine gemauerte Steindecke zu halten. Die einzige Lichtquelle war der Schicksalsstein, der frei schwebend in der Mitte der Halle rötlich pulsierte.
Jeder von ihnen hatte schon einmal Abbildungen des Selben gesehen, doch wie so oft übertraf die Wirklichkeit jede photografische Darstellung bei weitem.
Der Stein schien ungeheuer lebendig, wie ein liedloses Auge, dass durch die Dunkelheit spähte. Nicht unbedingt Böse, doch auch weit davon entfernt gut zu sein. Alles in allem war er wohl so groß wie ein mittleres Einfamilienhaus – und wenn man beachtete, welche Macht selbst ein faustgroßer Seelenstein besaß, so war klar, mit welchen Kräften sie hier zu tun hatten.
Der Stein war nicht glatt geschliffen, sondern wies unzählige Vertiefungen und Furchen auf, Abermillionen kleiner Zacken bedeckten die unregelmäßige Oberfläche und jede von ihnen spann einen Faden der Macht, die das Zimmer fast schon stofflich durchsetzte.
Jeder Atemzug trug die Aura des Steins mit sich, dessen Abstrahlung noch bis in die hintersten Tiefen des Universums zu spüren sein mussten.
Erst langsam verdrängte das allgegenwärtige Grauen wie schwarze Schleier das ehrfürchtige Staunen, dass sie ergriffen hatte.
Zug um Zug schien das strahlende Licht schwächer zu werden und einer neuen Dunkelheit Platz zu machen, die sich körperlos zwischen den unzähligen Schatten der Säulen bewegte.
Dort wo die Schatten am tiefsten waren konnte man fast meinen die Dunkelheit als großes, düsteres Ungeheuer zu sehen, dass mit reißenden Klauen und Fängen auf jeden wartete, der ihr zu nahe kam.
Doch Bhaals Thron war leer.
Der König der Dunkelheit war nicht hier. Noch nicht.
Jede weitere Sekunde brachte neue Dunkelheit mit sich, langsam begannen sie zu zucken, zu wimmern - bis die Angst begann von ihnen abzuprallen, wie von einem Schutzschild.
Ryan spürte, wie sich Doro und Elias neben ihm strafften. Er spürte ihren Kampf gegen den Willen sich umzudrehen und zu verschwinden. Sie waren nur Menschen, nicht dafür geschaffen, sich diesem Schrecken auszusetzen, doch die Verantwortung verlangte es von ihnen. Es war ihre Aufgabe, die Apokalypse zu verhindern und Milliarden Menschenleben zu retten.
Die Frage nach der Gerechtigkeit dieser Auswahl stand von der einen auf die andere Sekunde nicht mehr zur Debatte. Sie hatten ihren Weg bis hier gekämpft. Ob auch das Schicksal, Fügung, Glück oder ihr Verdienst war, war ebenso zweitrangig, wie die Frage, ob sie es schaffen konnten.
Sie waren hier, sie waren es, die es bis hierhin geschafft hatten - und es lag an ihnen, den Weg zu Ende zu gehen, welch Schicksal auch immer an dessen Ende liegen musste.
Ryan ergriff die Hände seine Nachbarn und fühlte den dankbaren Druck mit dem seine Freunde zugriffen.
Zum ersten Mal seit dem Ende Diablos fühlte er erneut, wie die Liebe einer unglaublich heißen Woge gleich durch seinen Körper raste und tobte, wie sie ihn mit neuer Kraft erfüllte, das Zittern zum Schweigen brachte und es ihm ermöglichte endlich den Kopf zu heben und der Gestalt ins Gesicht zu blicken, die längst vor sie getreten war, um das Schicksal der Welt zu fordern.
„ Willkommen im Zentrum meiner Sterblichkeit, ich sehe, ihr seid bereit.“
Auch Bhaals Anblick überraschte Ryan. Es war unübersehbar Bhaal, der Dämonenlord und doch war er anders, als Mephisto und Diablo.
Er war schön. Nicht in irgendeiner modegebundenen Ansicht hübsch, aber doch von einer brutalen Schönheit, wie es ein Raubtier nur sein konnte.
Es erinnerte Ryan an ihre erste Begegnung mit einem Engel. Auch Tyrael war schön gewesen, aber von einer unendlich friedlicheren, glücklicheren Schönheit.
Bhaal erinnerte eher an die Schönheit, die auch manche Waffen innehatten. Präzision, kalte technische Perfektion, jede Faser des stofflichen Körpers ihres Gegenübers war auf Kampf und Vernichtung ausgerichtet, jede Muskel seines Körpers zeugte von einer Kraft und Gewandtheit, die unüberwindlich war.
Er war der Übergang vom Menschen zu einer anderen Lebensform. Er hatte Tal Rascha nicht vernichtet, sondern seinen Körper assimiliert, ihn durchsetzt und zu etwas anderem werden lassen. Etwas, dass nicht die plumpe Hässlichkeit der Hölle besaß, nicht die unerreichbare Distanz eines Himmels- oder Höllenfürsten, sondern etwas viel Vertrauteres, Gefährlicheres.
Seine Haut wirkte alt, fast wie Pergament, dass Jahrtausende überstanden hatte, um seine Informationen zu bewahren. Die Tätowierungen des Magiers waren auf den Armen noch zu erkennen, doch waren sie von einem düsteren, violetten Glühen durchzogen, dass jede alte Macht die sie enthielten pervertierte und ins Gegenteil verkehrte. Über seine Haut trug er eine lange, schwarze, metallisch glänzende Kutte, deren Kapuze sich über seinem Gesicht schloss.
Die Gesichtszüge wiesen keine Klarheit auf. Sie schienen von einer wirbelnden Schwärze umgeben, die nur hin und wieder einen Blick auf das frei gaben, was sich darunter verbarg.
Ein überraschend menschliches Gesicht.
Seine ganze Gestalt schien von einem Leuchten erfüllt zu sein, einer innere Erkenntnis, das absolute Gegenteil himmlischen Wesens.
Erst jetzt wurde es deutlich, was der Name Luzifer, Lichtbringer, bedeutete.
Licht, als Erkenntnis. Erkenntnis in der Hinsicht, dass der Mensch im Licht allein nicht leben kann, dass er die Dunkelheit ebenso braucht und dass der Pfad menschlichen Lebens sich immer nur zwischen Licht und Dunkelheit bewegen kann und niemals ganz auf der einen Seite.
Ryan konnte nicht anders, als dieses ehrliche Bekenntnis Bhaals, zum einen Teil menschlichen Lebens zu sein und doch zum anderen immer den Versucher zu spielen, der versuchte den menschlichen Geist, die Seele, wenn man es so sagen wollte, in seine Fänge zu bekommen, zu bewundern.
Es war eine entwaffnende Ehrlichkeit, die der Versucher ihnen entgegen brachte und das, bevor überhaupt ein Wort von ihnen gesprochen war.
Bhaal saß auch nicht auf seinem Thron. Er war ihnen auf einer Stufe entgegen getreten, hatte die schwarzen, zerfetzten Schwingen hinter seinem Rücken gefaltet und schien darauf zu warten, dass sie das Gespräch begannen.
Obwohl Ryan wusste, dass dies alles nur ein psychologischer Trick war, verfehlte es seine Wirkung nicht.
Bhaal war gefährlicher als Mephisto und Diablo zusammen. Wo diese beiden nur dumpfe Schlächter und Schläger waren, da war Bhaal die Intelligenz, im wahrsten Sinne der Kopf der Hölle, der die anderen dirigierte.
Er war der einzige der Drei, der es geschafft hatte über seine natürliche Existenz als das Urböse hinaus eine höhere Stufe zu erreichen.
Er hatte die Menschen beobachtet und hatte sich auch etwas von ihnen angenommen und mit diesem Schachzug alle seine Gegner ausgebootet.
„ So ist es endlich so weit. Das finale Gefecht zwischen der Menschheit und der Hölle.“ Brach Jukka schließlich das Schweigen.
Bhaal stand ruhig da, wie eine Statue aus einem glänzenden Metall, Quecksilber vielleicht. Nur seine Kutte und seine Schwingen schienen von einem unsichtbaren Wind bewegt hin und her zu wanken.
Sein Gesicht schien abgewandt, zu Boden gerichtet, als er nun das Wort erhob.
„ Nun, ob es final ist, steht noch in weiter Zukunft, Jukka und die Frage, ob es ein Gefecht gibt ebenso.“
Doro trat einen Schritt nach vorn.
„ Was denn sonst, du Hurensohn.“
Bhaal breitete seine Arme aus, die Handflächen nach oben. Eine universelle Geste der Entschuldigung und Freundschaft.
„ Die Menschheit hat gesprochen.“, Bhaal redete zwar mit Doro, aber es war Ryan, den er fixierte ohne ihn anzusehen. „Ist das alles, was ihr zu sagen habt.“
Sein Ton war weder freundlich noch bösartig. Er besaß keine dämonische Kreischstimme, wie Mephisto und sie war auch nicht dem tiefen Grunzen Diablos ähnlich, nein auch sie war erhaben, majestätisch. Nur von fern war die unglaubliche Bösartigkeit und die Macht zu spüren, die von ihr ausging, wie radioaktive Wolken aus einem geschmolzenen Reaktor – und die dennoch tödlich waren. Viel deutlicher war die Anklage, die Bhaal gegen Doro erhob. Aber Doro ließ sich davon nicht beirren. An Jukkas Worte denkend, antwortete sie:
„ Was soll es sonst noch zu sagen geben. Worte sind unnütz. Lasst uns endlich kämpfen.“.
„ Seltsam, dass ihr das sagt.“ Bhaal hob den Kopf und schaute sie nun direkt an, musterte sie eindringlich. Doro konnte nicht anders, als ihren Blick zu senken. Es war unmöglich Bhaal ins Gesicht zu schauen, ohne einer grausamen Faszination zu erliegen „ Seid ihr es nicht gewesen, die die Dämonen immer verdammt habt, weil ihre einzige Existenz darin besteht zu töten. Hieltet nicht ihr euch immer für etwas Besseres, weil ihr ‚vernünftig’ seid und Probleme auch ohne Kampf lösen könnt. Hob nicht euch immer diese Erkenntnis über das tierische Dasein hinaus.“
Doros Widerstand bröckelte. Sie wusste, dass sie eigentlich nichts mehr sagen sollte, dass sie dieser geballten Macht höllischer Existenz auf dieser Ebene unterlegen war, aber trotz dieses Wissens, spürte sie den völlig irrealen Drang sich zu rechtfertigen. Mit eiskalter Stimme sprach sie weiter.
„ Es gibt Situationen in denen die Normailtät nicht gilt.“
Bhaal nickte. Aber auch dieses Nicken war anklagend und seine Schwingen spreizten sich einige Zentimeter, was ihn scheinbar wachsen ließ. Er schien größer, gefährlicher und doch strahlender als jemals zuvor.
„ Ich wusste, dass du das sagen würdest. Diese Formulierung gefällt mir. Nur, es gibt einen kleinen Haken daran.“
Fast unbeteiligt stellte Ryan fest, dass ihn diese Diskussion in den Bann zog.
„ Und welchen?“, blaffte Doro und hob drohend die Waffe.
Das war der letzte Satz, sagte sie sich immer wieder. Der letzte!
„ Nun, der Haken steckt in der Frage nach der Normalität. Was ist normal? Ist es normal, dass die Menschheit jeden Tag etwa fünfzig Tierarten endgültig ausrottet, ist es normal, dass sich Legionen von Wissenschaftlern damit beschäftigen, jeden Tag einen neuen Tod zu erfinden, ist es normal, dass überall auf dieser Welt Millionen hungernde Arbeiter von einer handvoll Reichen diktiert werden, die sich jeden Tag aufs Neue überlegen, wie sie die ihre Millionen noch vermehren können, obwohl sie mehr Geld haben, als sie jemals ausgeben können und denen ein Leben nichts bedeutet?“ Bhaal Stimme wurde immer wütender, während er weitersprach.
„ Oder bezeichnest du es als Normalität, dass immer noch jeden Tag neue Kriegsherde schwelen, Menschen getötet, gefoltert, vergewaltigt werden, dass es Soldaten gibt, deren einzige Existenz es ist zu töten, um die fiktive Idee eines Landes oder Hoheitsterritoriums zu sichern oder zu erweitern? Weißt du was mich wirklich wütend macht? Diese unheimliche menschliche Arroganz, sich über alles zu erheben, sich selbst keine Meinung zu bilden, sondern einfach davon auszugehen, die Krone der Schöpfung zu sein – und wenn man ihnen den Spiegel vors Gesicht hält, dann flüchten sie sich in irrsinnige Ausflüchte, wie dem Abweichen von der Normalität, oder gehen achselzuckend weiter, verdrängen das Problem – und ihr wollt die Krone der Schöpfung sein. Ihr, die ihr euch umbringt, die ihr die Schöpfung ausrottet und noch darüber lächelt. Ihr seid armselig, armselig und verrannt in eurem Konsumdenken und Futterneid. Es müsste niemand Leiden, niemand sterben, wenn jeder von seiner Raffgier abrücken würde. Erst in friedlicher Koexistenz wärt ihr die Krone der Schöpfung, so seid ihr nicht mehr als Tiere. Und bildet euch bloß nichts auf euren Verstand und eure Logik ein, wenn ihr nicht so weit seid sie einzusetzen.“
Die letzten Worte brüllte er fast. Es war ein Orkan wütender Macht, die über sie hineinbrach. Für einen Augenblick offenbarte sich der wahre, der eigentlich Bhaal, doch nicht lange genug um das Bild fassen zu können. Erst als sich der Mahlstrom der Wut gelegt hatte, war es möglich wieder klar zu denken. Jukkas Warnung war eindeutig gewesen, aber Ryan schüttelte den Kopf. Er sah den arroganten Dämon vor sich und allein die Selbstverständlichkeit, mit der er über Menschen urteilte, die er gerade in gewaltigen Mengen hatte abschlachten lassen, brachte sein Blut derart in Wallungen, dass er einfach dagegen halten musste.
„ Und jetzt sag bloß noch, dass ihr Dämonen besser seid.“ Nur mit aller Willenskraft gelang es ihm, nicht vor Bhaal auf den Boden zu spucken, aber in Gedanken ließ er seiner Wut freien Lauf.
Bhaal wandte sich ihm vollends zu. Er ignorierte Ryans Wutausbruch und sprach ruhig weiter. Fast schon freundlich. Wie von selbst kam er einen Schritt näher – und schon zu diesem Zeitpunkt war niemand mehr fähig ihn daran zu hindern.
„ Das würde ich nie behaupten. Doch gebe ich eines zu bedenken. Hast du jemals versucht mit einem Dämon zu reden?“
„ Nein, dafür war mir mein Leben zu schade.“
Wieder überkam ihn das Verlangen, seine Faust in dieses unendlich tiefe Gesicht zu rammen, dass er nur erahnen konnte. Aber er war sicher, dass Bhaal mehr konnte als Schmerzen nur zu erahnen.
Bhaal lächelte. Er las Ryans Gedanken so leicht wie ein aufgeschlagenes Buch, aber er sagte nichts dergleichen. Diese Gewalt war es, die er brauchte, um sie zu brechen.
„ Auch das ist richtig Ryan, aber so lange du den Versuch nicht gewagt hast, kannst du nicht behaupten Etwas besseres zu sein, oder gar das Recht zu haben, die Dämonen zu töten...“
Ryan unterbrach Bhaal.
„ Aber ich muss mich doch verteidigen, oder nicht? Oder soll ich mich am Besten noch selbst schlachten um ihnen die Arbeit abzunehmen“ Der Hohn schwang noch überdeutlich in seiner Stimme mit, aber etwas in ihm, etwas in seinem Verstand bröckelte. Er hatte sich vorgenommen, nicht mit Vernunft zu agieren, sondern nur mit kalter, brachialer Wut, doch jetzt musste er entsetzt fest stellen, wie kläglich sein Versuch gescheitert war und er sich langsam von Bhaal in die Defensive gedrängt sah. Er selbst sah ddie Irrsinnigkeit seiner Entgegenung, aber Bhaal hielt sie ihm noch einmal direkt vors Gesicht.
„ Die Verteidigung mit Waffen ist nichts weiter als bloße Selbstjustiz, mein Freund und dass ist etwas, auf das der vielgelobte menschliche Verstand verzichten sollte. Hast jemals daran gedacht, dass es eine Koexistenz der Schöpfungen geben könnte? Eine gleichwertige Art, die mit dem Menschen existiert? Frieden muss immer von einer Seite ausgehen. Und wer sagt, dass wir das sein müssen, wenn der Mensch doch so vernunftbegabt ist???“
Auch Bhaals Stimme schwang wild von Hohn, bösartigem Hohn, wie eine Katze die mit einer Maus spielt, die doch längst weiß, dass sie dem Tod ausgeliefert ist.
Ryan trat noch einen Schritt nach vorn. Jukkas gemurmeltes „Vorsicht!“ hörte er gar nicht mehr, oder nahm es nicht war. Er musste diesen Schritt machen, um seine Selbstsicherheit zurück zu erlangen, die nun wie Putz von einer baufälligen Wand bröckelte.
„ Und was verlangst du? Dass wir uns freiwillig ergeben?“, fragte er trotzig.
Bhaal lachte. Es war ein raues, zutiefst böses Lachen, aber immer noch ein Lachen.
„ Du gefällst mir, Assassin. Aber verrate mir eines: Woher kommt dieser Hass auf mich und meine Kreaturen? Wofür kämpft ihr eigentlich?“
„ Wie wär’s damit: Wir kämpfen für die Menschheit und ihr Überleben.“, platzte Doro dazwischen. Sie spürte, wie weit Ryan seine Kräfte ausgeschöpft hatte. Warum gelang es niemand von ihnen eine Waffe zu heben und einfach zu feuern, um dieser ganzen Misere ein Ende zu setzen?
‚Vielleicht weil es sinnlos wäre? Nicht einmal hier könnt ihr ihn verletzen. Eine ausgewachsene Atombombe vielleicht. Aber ihr nicht.’ Meldete sich die nagende Stimme in ihrem Hinterkopf. Aber Doro wischte sie bei Seite. Sie würden dafür eine Lösung finden. Bhaal würde sterben.
Bhaal tat so, als müsste er nachdenken
„ Nun, das wäre eine Erklärung. Für die Menschheit, welch ein abstrakter Begriff. Ihr kämpft also für die Menschheit, die mordet, zerstört? Das glaube ich nicht. Kämpft ihr für Gott?“
Bhaal trat einen Schritt näher an sie heran, er stand jetzt fast direkt vor Ryan und Ryan fühlte, wie die schwarzen Tentakeln aus Bhaals Geist um ihn strichen, aber er widerstand der Versuchung zurück zu treten. Er würde Bhaal gegenüber keine Schwäche zeigen. Auch wenn er wusste, dass Bhaal Mittel und Wege kannte sie alle in Schrecken zu versetzen, blieb er stehen. Ein kindisches Spiel.
„ Kämpft ihr vielleicht nur gegen mich, weil eines Tages ein Engel zu euch spaziert kam und euch erzählt hat, wie böse ich bin?“, Doro wollte auffahren, doch Bhaal unterbrach sie mit einer herrischen Geste. „ Ich will euch etwas über Gott verraten. Gott braucht den Menschen als Machtquelle, um gegen mich und meine Kumpane zu kämpfen. Das wisst ihr schon. Und seht euch die Engel an, die sogenannten Gotteskreaturen. Was sind sie? Sind sie nicht perfekt ausgebildete Kämpfer? Was unterscheidet einen Engel von einem Dämonenlord? Auf dem Schlachtfeld würdet ihr keinen Unterschied sehen. Sie sind ebenso erbarmungslos und kaltherzig. Ich will euch eines sagen. Die Geschichte, die ihr kennt ist immer die Geschichte der Sieger. Gott hat den Kampf um die Religion gewonnen und seine Macht dahingehend ausgenutzt mich zu diffamieren. Aber wenn Gott an der Macht wäre, gäbe es keine friedliche Koexistenz zwischen den Schöpfungen. Die Engel würde euch gnadenlos in einer Kastengesellschaft beherrschen und jeder, der es wagte sich dagegen aufzulehnen würde der Gotteslästerung bestraft. Ihr kennt doch die Geschichten der Hexenjagden und Inquisition, oder? Das war das pure Gottesregime. Ein wahrhaft edler Grund dafür zu kämpfen.“
Jetzt erst antwortete Doro.
„ Es begann nicht mit dem Engel.“
Ryan fügte leise, aber mit kaum mehr unterdrückter Wut in der Stimme hinzu.
„ Für mich begann es eher mit deinen Kreaturen, die meinen Vater, meine Familie und mein ganzes Volk bestialisch niedergemetzelt haben. Ich weiß dass es einer von euch war, der das initiiert hat. Ihr wolltet den Ring.“
Bhaal breitete drohend die Schwingen aus, seine Kutte wehte nun noch stärker um seine Beine, als ob ein Sturm in ihm losgebrochen war. Immer und immer wieder sah Ryan kleine, fast unsichtbare Flammen um seine Füße aufzucken und seine Furcht vor diesem Wesen wuchs und wuchs.. Während Ryans Selbstsicherheit wie Butter dahinschmolz blieb Bhaal ruhig.
Er hatte längst das Ruder an sich gerissen und trieb die Diskussion mit aller Macht an den Abhang der Zerstörung.
„ Also war es doch der Hass, der euch auf Reisen geschickt hat.“
Endlich mischte sich auch Jukka in das Gespräch ein. Es kostete ihn eine enorme Überwindung dies zu tun, denn er wusste, dass er für die versteckten Werbungen des Ungeheuers viel anfälliger war als seine drei Kumpane. Aber er sah, wie bleich Elias geworden war und dass es an der Zeit war, die Diskussion zu ihrem Ende zu führen.
„ Nein, es war nicht der Hass auf dich, wir kämpfen für die Freiheit des Menschen von der Unterdrückung jeder Macht.“
Jetzt lachte Bhaal schallend. Die Flammen züngelten wild seinen Körper hinaus. Es war das schrecklichste Bild, dass Ryan sich in diesem Moment vorstellen konnte. Er trat einen Schritt zurück. Die letzte Bastion war gefallen. Im Geiste lag er vor Bhaal der triumphierend über ihm stand. Der letzte Ausfall war misslungen. Bhaal hatte gewonnen.
Schlimmer ging es nur noch Elias. Immer und immer wieder sah er Maria vor sich. Sah sie, sah ihre gespreizten Schenkel. Er hatte gespürt, dass sie schwanger war, aber das was zwischen ihren Beinen hervorkroch war nicht sein Sohn. Es war vielmehr gar kein menschliches Wesen. Eine Dämonenfratze grinste ihn höhnisch an, während es Marias Bauch zerriss, wieder und wieder, wieder und wieder, eine Endlosschleife des Schreckens.
Aber Bhaal begnügte sich nicht damit sie zu zerstören, nein er hob seine dämonischen Pranken, um sie noch zu zerquetschen.
„ Ihr kämpft für die Freiheit sagst du. Nun, dann möchte ich euch noch etwas verraten. Es gibt keine Freiheit. Niemals, nicht für den Menschen. Schaut euch an, ihr erbärmlichen Kreaturen. Ihr lebt in einer Gesellschaft und schon diese Gesellschaft bedeutet Unfreiheit. Ist euch wirklich noch nie aufgefallen, dass eine Gesellschaft immer die Unterdrückung der Masse durch einige Wenige bedeutet? Der, der das Geld hat, hat die Macht. Er kann Gesetzte erschaffen, die Ausbeutung legimitieren. Es gab schon Zeiten, in denen falsches Denken mit dem Tod bestraft wurde. Ist das deine Definition von Freiheit? Gesetzte, Repressivorgane, Überwachung?“
„ Was ist mit dem freien Willen? Existiert der auch nicht?“
Jukka spürte, wie sich tief in seinem Inneren etwas regte, etwas, dass genau so alt war wie Bhaal und von dem er gehofft hatte, dass es sich nie mehr regen möge.
„ Nicht in dem Maße, wie ihr es euch wünscht, meine Freunde. Der Wille des Menschen ist nur der Spiegel der Gesellschaft in der er lebt. Die Gesellschaft schreibt dir vor, was du zu wollen hast. Natürlich hat jeder Mensch zu jeder Zeit den theoretischen freien Willen sich von dieser Gesellschaft loszusagen und aus ihr zu verschwinden. Die Gesellschaft macht aber auch das Wesen des Menschen aus. Würdest du dich von ihr lossagen, käme das einer Vergewaltigung deiner selbst gleich. Könntest du das Freiheit nennen?“
Der Dämon riss an seinen Ketten, fetzte mit seinen Klauen durch Jukkas Geist, brüllte wie ein wildes Tier und versuchte die Gedankenmacht mit aller Kraft zu vernichten, die ihn gefangen hielt.
Es war nicht so wie früher, nein nichts blieb wie es war, im Angesicht des Teufels. Früher hatte der Dämon nur versucht Jukka zu beherrschen, jetzt trachtete er danach, ihn zu töten.
Trotz der quälenden Schmerzen fokussierte er einen klaren Gedanken und presste zwischen seine Lippen hervor:
„ So ist es unser freier Wille gegen dich zu kämpfen.“
Bhaal beugte sich drohend nach vorn.
„ Jetzt kommen wir der Sache näher. Der Wille gegen mich zu kämpfen. Der Wille mich nicht zu wollen. Richtig. Und dass ist das Geheimnis eures Untergangs. Ihr fragt euch, wie einer von euch sterben konnte, wo ihr doch alle so stark und mächtig seid. Ihr fragt euch, wie ihr jetzt schon zerschunden am Boden liegt, bevor der Kampf begonnen hat. Ich verrate es euch. Eure Kampfposition ist eine zutiefst Negative. Ihr kämpft nur noch gegen Etwas, ihr habt keine Ideale, keine positiven Ziele mehr vor Augen. Alles was ihr wollt ist Etwas nicht zu wollen. Aber vom Willen nicht zu wollen könnt ihr nicht leben, meine Freunde. Wenn euer Wille nur davon lebt gegen Etwas anzukämpfen und kein positives Ziel mehr vor Augen hat, verkümmert er und stirbt ab. Das macht euch schwach. Ihr habt keine Wünsche und Hoffnungen mehr für die es sich lohnt zu kämpfen. Ihr wärt die gefährlichsten Gegner, die ich jemals gesehen habe, doch nur der Negativität ergeben seid ihr schwach, wertlos. Dieser Anti-wille hat das Schweigen aufgebaut, dass euch fast alle den Kopf gekostet hätte. Als ihr gegen Diablo kämpftet, hattet ihr noch den Glauben an die Welt und an euch. Damals glaubtet ihr noch, dass es sich lohnt sie zu retten. Mephistos Niederlage hingegen war nicht viel mehr als Glück, Glück dass die Prophezeiung gegriffen hat, obwohl ihr sie nicht kanntet. Und nun steht ihr hier, eurem gefährlichsten Gegner gegenüber. Ihr habt keine Waffen gegen mich. Eigentlich seid ihr hoffnungslos, leergebrannt. Ihr wisst, dass ihr sterben werdet. Alles was euch voran treibt ist euer Hass gegen mich – und der wird euch zum Verhängnis werde. Denn euer Wille ist verkümmert, fast schon tot. Und auf den Wille etwas nicht zu wollen folgt leicht der Wille gar nichts mehr zu wollen, der tote Wille. Und dann gehört ihr mir.“
Sollte die biblische Geschichte war sein, das wurde ihnen in diesem Moment klar, so war es Bhaal gewesen, der vor Gott trat und ihn anklagte. Er war der gefallene Engel, der das Böse über die Welt brachte.
Und dennoch hatte er recht. Nicht erst jetzt merkte Ryan, wie ihn die Worte des Höllenkönigs faszinierten. Es wäre einfacher gewesen, wenn er einfach nur auf sie losgegangen wäre und sie von der Erde gefegt hätte. Dann hätte er ihnen die Entscheidung zu sterben abgenommen. So war es an ihnen zu entscheiden, ob sie mit wehenden Fahnen untergehen wollten, oder ob sie weiter leben wollten, nur unter einem anderen Banner kämpfend. Leise, nagende Zweifel hatte er noch. Hatte Bhaal nicht irgend etwas vergessen?
Er fragte sich, ob es wichtig gewesen war. Wahrscheinlich nicht.
Mit jeder Sekunde, die er darüber nachdachte, wurde er müder und willenloser. Von seiner Position als Verlierer blieb ihm nichts anderes übrig, als zu Bhaal hinauf zu schauen, der schillernd dort stand, eine engelsgleiche Gestalt, eine Wesen so voller Vernunft und Wissen, dass es gar nicht bösartig sein konnte. In ihm erwuchs der Wille sich endlich aufzurappeln, aus dem Dreck aufzustehen – und dieser Wille fegte den Willen gegen Bhaal zu kämpfen mit beängstigender Leichtigkeit hinweg.
Welchen Sinn hatte denn der Kampf noch? Zu verlieren? Zu sterben?
Erst jetzt merkte er, wie Recht Bhaal hatte. Er fühlte sich so schwach, leer und ausgebrannt. Und wenn er in die Zukunft sah, gab es noch ein Ziel? Höchstwahrscheinlich nicht. Keines für dass es sich zu sterben lohnte. Oder doch? Vielleicht war da doch noch etwas? Aber es schien nicht so.
Man musste jedes Problem von zwei Seiten betrachten – und bisher hatte ihm Bhaals ehrliche Antworten bedeutend besser gefallen als die herablassende Art der Engel.
Dunkelheit lullte ihn ein, drang durch seinen Geist, umklammerte ihn fester und fester. Die Wagschale neigte sich auf die dunkle Seite, mit jeder Sekunde mehr und mehr. Doch war es wirklich Dunkelheit? Das kam auf den Betrachter an. Vielleicht war auch nur das das Licht? Das Licht nachdem er sich gesehnt hatte, wie die Motte in der Nacht?
Er würde es probieren – Und wenn er verbrannte, so spielte es keine Rolle mehr, denn vor ihm stand eh nur noch der Tod und starrte ihn an, ein hämisches Grinsen auf den Lippen.
Er hatte die Wahl zwischen einem Tod für Nichts und der Chance endlich wieder für ein Ziel zu leben.
Er hatte sich entschieden.
Ja ich mag endlose Dialoge - und ich mag tragische Enden.
Dies hier ist aber noch (!) nicht das Ende.
Lasst euch überraschen...
Danke fürs Lesen, treue Leser
PS: Ja, ich sympathisiere (ein bisschen zumindest) mit Bhaal. Zumindest in diesem Kapitel. Im Großen und Ganzen gesehen ist er natürlich ein Riesenarsch