14 - Ein neuer Verbündeter?
„Johnny, nicht wahr?“, sagte eine kalte, tonlose Stimme. Luther. Sein Gesicht zeigte keine Regung, während er mit dem Daumen die Pistole entsicherte. Die Mündung des Laufs zeigte genau zwischen meine Augen, dort, wo vor kurzem noch der Pfeil der Amazone hingezeigt hatte. Ich wagte nicht mich zu bewegen. Dies war nicht möglich. Ich war in Sanktuario. Hier
gab es einfach keine Pistolen. Schwerter, ja. Pfeil und Bogen, ja. Magie, ja. Aber Schusswaffen? Wie kam der Assassine in den Besitz einer verdammten Schusswaffe, dazu noch einer so modernen?
„Steh auf.“, sagte er und deutete mit der Pistole Richtung Wald. „Da lang.“
Meine Beine gehorchten auf der Stelle. Als ich mich so plötzlich erhob, wurde mir kurz schwarz vor Augen, Sterne blitzten und ich taumelte. Luther richtete die Pistole erneut auf mich.
„Los.“
Ich ging voran, durch das dunkle Unterholz. Am Fluss spendete der Mond noch genug Licht, hier aber flaute seine Macht zu einem kümmerlichen Lichtklecks ab.
„Halt.“
Seine Stimme klang immer noch ungezwungen ruhig. Kalt wie ein Gefrierfach. Ich blieb stehen und drehte mich zu meinem Entführer um. Der sank, völlig erschöpft, gegen einen Baum und seufzte laut auf. Ich war perplex. Doch sicher fühlen konnte ich mich deswegen nicht. Die Pistole war weiterhin genau zwischen meine Augen gerichtet und immer noch entsichert. Er konnte jederzeit abdrücken. Aber warum sollte er das überhaupt wollen?
„Also schön...“, sagte Luther gedehnt und sah zu mir mit seinen stechend grünen Augen auf. Auf seinen Lippen zeigte sich der sanfte Hauch eines Lächelns. Es schien, als hätte er eine Maske abgelegt. Eine Maske, die schon beinahe zu seiner Haut geworden war, ohne dass er es gemerkt hatte. Doch jetzt schien er froh darüber, sie endlich abnehmen zu können.
„Luther Underwood, 25 Jahre alt, Amerikaner mit Leib und Seele, wohnhaft in New York City im Staate New York, Beruf Polizist, ledig, keine Kinder.“, er betete es herunter wie das Vater Unser, als hätte er es schon vor Jahren vorbereitet und nur auf diesen Augenblick gewartet.
Gerade als ich dachte, er könnte mich nicht
noch mehr schocken, tat er es, ohne jeden Skrupel.
„W-w-wie bitte?“, stotterte ich. Ich starrte den Typen ohne Unterlass an.
„Du hast mich schon verstanden.“, erwiderte er. Wieder der Hauch eines Lächelns. Noch bitterer. Er betrachtete kurz seine Hände, sah die Pistole in der einen und ließ sie mit einer raschen Bewegung verschwinden. „Verzeih. Macht der Gewohnheit.“ Dann stand er auf und streckte mir die Hand entgegen.
„Luther Underwood.“
„Johnny...“
Wir schüttelten uns die Hände. Er drückte kräftig zu. Ein Handschlag unter Männern, dachte ich benommen. Von selbst hätte ich die Hand wahrscheinlich die nächsten Zehn Jahre nicht weggezogen. Also löste er diese Geste der Begrüßung auf. Als der Druck in der Handinnenfläche fehlte, schaltete etwas in mir um. Was hatte er eben gesagt?
„Sie... sie sind aus AMERIKA? Sie sind nicht von... von hier?“, fragte ich ungläubig.
„Ja, Johnny. Seit 5 Jahren. Ungefähr. Meine Uhr...“, er schüttelte seinen Arm, der Mantel glitt nach oben, und an seinem Handgelenk tauchte eine sehr teuer wirkende, silberne Uhr auf. „Tja... stehengeblieben. Hat sofort den Geist aufgegeben, nachdem ich hier war. 5 lange Scheißjahre. Natürlich nicht durchgehend scheiße, aber wenn man alles zusammen nimmt...“, doch er brachte den Satz nie zu Ende. Stattdessen setzte er ernst hinzu, während er mich über den Rand seiner Brille hinweg ansah: „Bevor du fragst: Ich weiß es nicht.“
„Ich habe doch noch gar nichts gefragt...“
„Aber ich weiß, was du fragen
willst! Ich weiß nicht, warum ich hier bin. Ich weiß auch nicht, wie ich hierher gekommen bin. Und.... ich weiß nicht, wie man hier wieder weg kommt...“
Wie man hier wieder weg kommt...
„Wie man... hier wieder weg kommt...?“
„Ja. Du willst doch bestimmt wieder nach Hause, oder?“
Wollte ich das? Ich dachte ich hätte eine Entscheidung getroffen. Aber jetzt, wo dieser Typ vor mir stand, und mir weißzumachen versuchte, dass es überhaupt noch ein „Draußen“ gab, war ich mir nicht mehr sicher. Ich war nicht der Einzige. Es ging mir auf wie die Sonne an einem Sommermorgen. Ich war nicht... der Einzige. Der letzte verschissene Mensch in dieser Welt. Klar waren da noch Kale, Mana und Ara. Aber Luther war eine Verbindung zu etwas Bekanntem. Zu etwas Greifbarem.
In Kurast hatte ich für mich beschlossen, hier zu bleiben. Doch jetzt geriet dieses Konstrukt ins Wanken.
Luther winkte mich heran und ich gehorchte, ohne wirklich darüber nachzudenken. Hunderte, Tausende von Gedanken schossen mir gleichzeitig durch den Kopf, Widersprüchliche, Wahnwitzige, Lächerliche. Doch keiner von ihnen brachte mich der Antwort dieser Frage einen Schritt näher.
„Hmm...“, machte der Assassine, und sah mir stirnrunzelnd in die Augen. Sein Blick schien mich zu durchdringen, den hintersten Winkel meiner Seele erkunden zu wollen.
„Ich verstehe. Ob Du willst oder nicht, spielt aber eigentlich keine Rolle. Wir
müssen! Verstehst Du? Nein, vermutlich nicht.“
„Hören Sie...“, fing ich an, holte noch einmal tief Luft, setzte mich zu dem Schwarzgewandeten, mir eigentlich völlig unbekannten Typen, und begann zu erzählen. Alles, was mir in den letzten Tagen widerfahren ist. Was mein Leben daheim ausgemacht hatte, was mir gefehlt hatte, und was mir jetzt fehlt.
„Letztlich... bin ich erleichtert. Ja, man könnte sogar sagen, hoch erfreut, jemanden getroffen zu haben, den dasselbe Schicksal ereilt hat wie mich. Aber...“, und ich sprach die Frage aus, die mir schon seit Beginn der Konversation auf der Zunge gelegen hatte. „... gibt es wohl noch mehr? Von... uns?“
Luther schwieg einige Sekunden. Er schien tief in Gedanken versunken.
„Ja, genau das denke... besser gesagt, genau das
hoffe ich.“, erwiderte er schließlich.
„Lass uns zurückgehen.“ Seine Stimme hatte sich unmerklich verändert, weg vom melancholischen Unterton zu einem, ja, beinahe Optimistischen. Also gingen wir.
„Johnny.“
„Ja?“
„Wir suchen einen Weg nach Hause. Versprochen?“
Ich nickte nur. Meine Stimme hatte versagt.
Wie man sieht besitzen die Kapitel jetzt auch Überschriften, wobei ich dafür garantiert keinen Originalitätspreis gewinnen würde
Wie auch immer, viel Spaß mit diesem (kurzen) Kapitel.
mfg
Löffel