Zähne zeigen
Amaions Blick wanderte über die Anwesenden.
Der Necromancer runzelte die Stirn, dann winkte er Tscha mit einer kleinen Kopfbewegung zu sich herüber.
__„Ich weiß nicht, ob es gut ist, wenn Du versuchst, auf Deine Schwester aufzupassen. Jedenfalls solltest Du es nicht so auffällig tun. Wenn sie Micaya nur ein wenig ähnlich ist, wird sie, sobald sie es mitbekommt, Dir erklären, dass sie gut auf sich alleine aufpassen kann. Und das mit schmerzhaften Fußtritten, Ellenbogenhieben, Faustschlägen oder einem Messer in der Wand hinter Dir bekräftigen...“
Er beugte sich vor und flüsterte den Rest.
__„Ich sage nicht, dass sie keine Hilfe braucht, sorge nur dafür, dass sie es nicht merkt, und passe gut auf sie auf, gerade, weil sie es nicht will...“
Tscha verzog sein Gesicht zu einem schmerzlichen Grinsen.
Er hob sein Hemd an und legte eine große blau-rot-gelbliche Verfärbung frei.
__„Das ist vom letzten Mal.“
Er rieb sich leicht über die noch immer schmerzende Stelle.
__„Aber dieser Simon gefällt mir wirklich nicht. Und wenn er seine Finger nicht von ihr lässt, werde ich sie ihm alle abschneiden – einzeln!“
Nun war es an Amaion, das Gesicht zu verziehen.
__"Und wie willst Du sie dran hindern, ihre Finger nach
ihm auszustrecken? Ich bin lange genug mit Micaya unterwegs gewesen um zu wissen, das ihresgleichen nur das tut, was sie will, und dass sie sich durch nichts in der Welt davon abhalten lassen."
Tscha warf seiner Schwester einen vorsichtigen Blick zu.
Dann wanderten seine Augen zu Simon.
__„Er sollte aufpassen.“ knurrte er und seine Augen funkelten.
__„Sieh ihn Dir doch an, diesen mickerigen Burschen! Er spielt in einer ganz anderen Liga als Morwen. Und das kann allerhöchstens eine kleine kurzzeitige Geschmacksverirrung sein, mehr nicht!“
Es folgte eine scheinbar endlose Pause.
Schließlich fuhr der Druide fort.
__„Ich habe schon so viele Menschen verloren, ich möchte nicht auch noch meine Schwester verlieren, gerade, weil es noch nicht lange her ist, dass ich sie gefunden habe...“
Amaion zog eine Augenbraue hoch.
__„Wie Du meinst. Die Frage ist nur, ob sie der gleichen Meinung ist...“
Damit ließ der Necromancer den Druiden stehen und setzte sich an den Tisch.
Tscha warf Simon einen weiteren bösen Blick zu.
Dann folgte er Amaion zum Tisch.
Morwen musterte ihren Bruder misstrauisch.
__„Tscha, Du schmiedest nicht zufälligerweise schon wieder Pläne, wie Du mich am besten überwachen kannst?“
Der Angesprochene versuchte, möglichst unschuldig auszusehen.
__„Würde ich so etwas tun?“
__„Ja, definitiv!“
Morwens Stimme klang so giftig wie das Messer, das Simon und Shar'Tel vor kurzem verletzt hatte.
Tscha stand auf.
__„Ok, wenn Du mich hier nicht haben willst, dann geh ich eben!“
Er setzte sich auf die Treppe und warf Simon und Morwen abwechselnd bitterböse Blicke zu.
Micaya sah Amaion fragend an.
Der Necromancer legte den Arm um ihre Schulter (was ihm seinerseits einen bösen Blick von Tscha einbrachte) und flüsterte ihr etwas ins Ohr.
Der Blick der Assassin wurde ernst.
Sie sah ihre Freundin an.
__„Morwen, Dein Bruder scheint einen ziemlich üblen Hass auf Simon entwickelt zu haben. Und wenn Du ... ein gewisses Interesse an ihm hast, könnte das gefährlich sein. Du solltest Vorsichtig sein.“
Das Gesicht der Jüngeren wurde feuerrot, während sie schüchtern auf den Boden schaute.
__„Amaion meint, er will Deinen Bruder im Auge behalten. Joreth wird ihm dabei helfen...“
Sie sah Morwens zweifelnden Blick und erklärte:
__„Die beiden kloppen sich zwar andauernd, aber sie halten zusammen. Wir können aber für nichts garantieren, so heftig wie Tscha reagiert. Ich wüsste mal gerne, warum er so extrem den bissigen Wachhund spielt...“
Sie warf einen Blick in die Runde.
__„Joreth hat seinen Grund Assassins zu hassen, seit ich die Geschichte kenne, wundere ich mich, dass er mich jemals in seiner Nähe toleriert hat. Aber er reagiert nicht so heftig. Andererseits kennt er Tscha von früher, vielleicht kennt er irgendwelche Hintergründe...“
Sie winkte den älteren Necromancer an den Tisch.
Morwen schüttelte traurig den Kopf.
__„Ich weiß es auch nicht, wir sind getrennt aufgewachsen wir haben uns erst kennen gelernt als ich schon etwas älter war und wir schon verstoßen waren. Vielleicht hat es was mit seiner Vergangenheit zu tun. ich Vermute mal ich muss ihm das einfach klar machen das er einfach zu viel des guten tut. Ich bin nicht mehr klein, und ich kann selbst entscheiden.“
__„Ihr redet von Tscha.“
Joreths Kommentar war keine Frage, sondern eine Feststellung.
__„Ihr solltet
mit ihm reden und nicht
über ihn...“
Mic seufzte leicht.
__„Wir versuchen dahinter zu kommen, warum er so übermäßig aggressiv auf Simon reagiert.“
Sie warf dem jungen Mann, der etwas verloren am anderen Ende des Raumes saß einen freundlichen Blick zu, dann zog sie eine Augenbraue hoch und zwinkerte.
Eine der beiden Persönlichkeiten schien reagieren zu wollen, die andere etwas dagegen zu haben.
__„Ich meine, er ist doch recht harmlos...“
Ein Ellenbogen stupste Amaion an, der sich mit einem leicht dämonischen Grinsen erhob. .
__„Ok, ich geh ja schon...“
Damit begab er sich zu Simon und setzte sich zu ihm.
Joreth hatte die ganze Geschichte genau beobachtet.
Jetzt setzte er sich auf den freigewordenen Stuhl, nicht ohne ihn – zu Tschas sichtlicher Erleichterung – ein Stück von Micaya weg zu rücken.
__„Ihr meint, er reagiert übertrieben.“
Micayas Lippen wurden zu einem schmalen Strich.
__„Er hat gedroht, ihn alle Finger einzeln abzuschneiden.“
Joreth begutachtete den hasserfüllten Blick des Druiden.
Er sah, wie sich die Nase leicht krauste und der Jüngere seitlich die Oberlippe leicht hochzog, was bei genauem Hinsehen die Eckzähne freilegte.
Er war sich fast sicher, stünde er jetzt neben Tscha, würde er ein leises Knurren vernehmen.
Nach einer Weile schüttelte der Necromancer langsam den Kopf, aber jetzt sah auch er ein wenig besorgt aus.
__„Das muss länger her sein, als ich ihn kenne. Er ist mal auf einen jungen Dieb losgegangen, der unserem Freund da drüben“ er wies mit dem Kopf auf Simon „nicht unähnlich war. Hätte ihm fast Kopf und Kragen gekostet, weil das zufälligerweise der Sohn des Schurkenkönigs war.“
Er hielt inne und sah Morwen an.
__„Du wusstest, dass er sich ne Zeitlang als Taschendieb durchgeschlagen hat? Er hat mir ganz gut Konkurrenz gemacht, hatte aber auch den Vorteil, dass er damals noch ein Junge war und seine Haarfarbe nicht ganz so auffällig wie meine ist...“
Morwen seufzte.
__„Ich habe es geahnt, dass er geklaut hat. Aber warum sollte er einfach auf ihn los gehen... Yawgmoth benimmt sich nicht gerade gut, aber er reagiert eindeutig über. Ich weiß nicht ob wir ihn fragen sollen oder ob er dann ausrastet...“
Joreth grinste spöttisch.
__„Kommt auf einen versuch an. Sollen wir es riskieren?“
Bevor nur einer darauf antworten konnte, war er aufgestanden und zu Tscha hinübergegangen.
Kurze Zeit später kamen beide zurück zum Tisch.
Joreth setzte sich zurecht und wies den Druiden freundlich aber bestimmt an, es ihm gleichzutun.
__„Die beiden Mädels hätten gerne ne Erklärung von Dir.“ meinte er.
__„Und ich bin der Meinung, dass Deine Reaktion auf Simon gewisse andere Dinge zurückzuführen ist. Ich erinnere mich da an einen kleinen Taschendieb...“
Tscha versuchte, aufzuspringen, aber Joreth hielt ihn fest.
Es wirkte fast grotesk, denn auch wenn der Ältere nicht viel kleiner war, so hatte Tscha doch einen etwas anderen Körperbau.
Nicht, dass er dick und massig gewesen wäre, aber er wirkte eben doch etwas kräftiger als der knochige, sehnige Necromancer, der ihn jetzt einfach mit einer Hand festhielt, als sei es nichts.
Jetzt jedenfalls gab er schnell auf und sah sich nur etwas gehetzt um.
__„Was wollt ihr von mir?“
__„Mhm,... mal überlegen... du willst ihm nuuuuuuuur alle Finger abschneiden wenn er mich noch mal berührt...“ antwortete Morwen lakonisch.
Tschas Augen funkelten.
__„Er hat kein Recht, Dich anzufassen! Und er hat Dich mit seinen Worten gekränkt!“
__„Wie kannst du so über mich bestimmen!“ fauchte Morwen zurück
__„Ich bin Alt genug um so was selber zu entscheiden, auch wenn meiner erste Reaktion vielleicht dumm war, und ich erkennen musste das es doch nicht das wahre war. Ich bin ein freier Mensch!“
Tscha wandte das Gesicht ab.
__„Solchen Menschen kann man nicht vertrauen, sie spielen ein falsches Spiel. Er würde dich nur benutzen...“
Morwen griff nach dem arm ihres Bruders.
Sie zwang ihn, sie anzusehen.
__„Woher weißt du das so genau Tscha? WOHER? SAG ES MIR“
Joreth fand, dass es an der Zeit war, sich einzumischen.
Er räusperte sich.
__„Ich hab Dir damals das Messer abgenommen, und Dir wahrscheinlich damit den Kragen gerettet. Du schuldest mir was.“
Tscha schüttelte den Kopf.
__„Das hat nichts mit jetzt zu tun!“
Ein trockenes Lachen des Necromancers kommentierte diese Aussage.
__„Oh, ich glaube schon, dass es damit etwas zu tun hat. Ich habe diesen Hass einmal in Deinen Augen gesehen – und ich hatte gehofft, das nie wieder zu müssen. Du kannst mir nicht ernsthaft erzählen, dass Du nur Deine Schwester beschützen willst – dafür kenne ich dich zu gut.“
Der Druide sah zu Boden.
Joreth lockerte seinen Griff, nur um den Anderen zu zwingen, ihn anzusehen.
__„Tscha, Du weißt, dass ich ein paar Geschichten erzählen könnte, von denen Du nicht so gerne möchtest, dass sie bekannt werden. Ich möchte Dir ja nicht drohen, alter Freund, aber dein Schwesterlein hat was besseres verdient, als dass Du ihr so wenig vertraust. Was Micaya anbelangt,
ich vertraue ihr, und das sollte genug sein, dass Du vor ihr sprechen kannst!“
Das entlockte dem Jüngeren ein tonloses Lachen.
__„Du sagst doch selber keinem, warum Du ihresgleichen so sehr hasst!“
Auf die darauf folgende Reaktion war er allerdings nicht gefasst.
Joreth lächelte.
Ein so friedliches und ungezwungenes Lächeln hatte Tscha bei ihm noch nie gesehen.
__„Ich habe inzwischen meinen Frieden damit gemacht, und Amaion und Micaya kennen die ganze Geschichte. Vielleicht erzähle ich sie Dir ja auch mal, wenn Du mir sagst, was Dir über die Leber gelaufen ist...“