Heramos
Guest
Der Weg zu ihr, wie ein Weg zum Paradies.
Der Weg war die Hölle.
Die Schlangen auf ihrem Körper verschwanden so rasch wie sie gekommen waren, ließen sie im Schlaf zurück und krochen wieder in ihr Versteck. Zischend, wie um das Schicksal der vergifteten Alja zu besiegeln, selbst die Luft mit Gift zu tränken. Hilflos lag sie da und verlor im Angesicht mit dem Tod doch keine Träne.
Corvin fühlte den gleichen Schmerz in sich, auch er war gebissen worden, doch er durfte nicht zu ihr, es war ihm verboten. Unfähig, den Blick abzuwenden, wünschte er sich, ihre Qual und seine alleine tragen zu können. Es war ihm verwehrt. Wieviel mehr Leid konnte man einem Menschen zufügen, als indem man ihm die Freiheit stahl? Er wurde verrückt vor Angst. Mehr und mehr Angst um seine Alja, seine einzige Liebe und sein einziger Trost. Der einzige Grund zu leben, und dieser wurde ihm genommen. Was kann ohne Grund sein?
Sie sah so blass aus in ihrem Todeskampf, doch noch immer wunderschön. Wenn sie nur jemand anderer wäre. Wer stand für ihr Schicksal? Corvin keuchte vor Angst um ihr Leben, während das Gift seinen Verstand mit ständig neuer Verwirrung füllte. Er wollte zu ihr. Er wollte zu ihr! Er war zu langsam. Noch ein paar mal zuckte ihr Körper... alles verzögerte sich, die Zeit... löste sich auf... erkennbar nur noch Bilder der Qual.
Alja verlor den Kampf.
Corvin fiel in tiefste Trance. Dieses Bild, das er sah, würde er es je begreifen? Seine Liebe wie eine Feder, einsam vom Himmel gefallen lag sie da. Blasser als zuvor, den Kopf weich in die Polster gedrückt, zur Seite geneigt. Es schien als strömten ihre Haare nun hervor, schmiegten sich auf den kalten Boden, flossen über ihre leblosen Arme. Zeichneten sie ein Bild ihrer letzten Momente? Es war um sie geschehen, ihr Tod eingetreten. Corvin schrie. Unendliche Wut und Verzweiflung übernahmen die Kontrolle über sein Dasein. Tot. Schleppenden Schrittes kam er auf Alja zu, das Gift ignorierend, das seine Verwirrung bewirkte. Wieder und wieder brüllte er im eigenen Todesrausch seine Verlorenheit heraus. Tot. Ein grauenvoller Schmerz bohrte sich durch seinen Körper und seinen Verstand, wollte ihn zerbrechen, ließ seinen Weg unendlich erscheinen. Er stolperte, fiel in Aljas erstarrte, verkrampfte Arme, welche ihn zum letzten Tanz baten. Tot. Corvin begriff nicht, er konnte nicht begreifen. Wo war das Leben hin, das eben noch in ihr gewohnt hatte? Ein Flug in die Vergangenheit... ein Traum, eine klägliche Bitte. In seinem Trancezustand ließ er seinen Blick über ihre Gestalt gleiten, verlor sich in immer größer werdender Fassungslosigkeit. Tot. Seine Tränen benetzten das weiße, unbeschreiblich schöne Gesicht der Frau, die zu lieben er so genossen hatte. Betrug! Beide waren sie betrogen worden. Corvin konnte nicht begreifen. Alja war tot! Sein Schrei verkam zu ersticktem Keuchen.
Dann veränderte sich etwas. Die wahre Folter begann erst jetzt. Leere drückte seine Gedanken zu Boden und füllte seinen Körper aus. Das Leben musste weichen, wurde in das tiefe Loch gesogen, welches mit dem Einzug in seine gepeinigte Seele begann.
Die Leere war stärker als der Schmerz, mit dem er ebenso zu kämpfen hatte, wie mit seinem eigenen Tod. Die Qualen waren vorbei, doch sie wurden nicht ersetzt und nicht erlöst. Bloß erdrückt. Das Gift verlor seine Wirkung. Corvins Gedanken schienen frei zu sein, und doch hielt sie etwas zurück. Erneut betrachtete er das jämmerliche Bild, das sich ihm bot. Er fühlte nichts, keine Liebe, keinen Zorn. Etwas hatte von seinem Selbst Besitz ergriffen. Und es wollte mehr. Mehr. Und immer mehr.
"Verflucht! Was ist das für ein Tod? Wer ist tot? Bin ich es, der doch nur ihren Tod beweint, statt das Schicksal selbst auf mich genommen zu haben? Ich fühle nichts für sie, die mir so viel bedeutet. Ich fühle nichts! Wer ist tot?"
Eine Entscheidung festigte sich in seiner einsamen, fast schon endgültig gelösten Seele. Er würde nicht sterben, nicht wie es sein Meister gebot, denn den Willen hatte er nicht verloren. Und wenn er tausend Jahre um sein Selbst kämpfen müsste, hergeben würde er es nicht. Lieber würde er ewig leiden, als zu dem Stein zu werden, den er so hasste. Corvins Entscheidung war gefallen.
Der Schmerz war stärker als die Leere. Er würde es für immer sein.
Der Gepeinigte beugte sich vor, um Alja einen letzten Abschiedskuss auf die Stirn zu geben. Er hatte ihr eine zweite Chance gewünscht, doch niemand hatte sie ihr gewährt. Vom Schwindel leicht verwirrt richtete er sich auf und suchte. Er fand. Der Stein, das Symbol seiner Gefangenschaft, die Ketten daran, welche seine Füße umfassten. Er hatte ein Ziel, er kannte den Weg, nun würde er ihn beschreiten und sein Schicksal für immer verändern. Weißglühende Wut füllte den Raum aus.
Der Stein zerbrach geräuschlos. Das Zeichen seiner Unterwerfung.
Corvin schrie vor sengendem Schmerz.
Chin Pey blickte sich um. Er stand auf der Lichtung, neben ihm ein Wagen mit verängstigen Kindern. Um den Aikidoka herum lagen einige Wölfe, oder eher verschiedene Teile von ihnen. Der Kampf schien zu Ende, Pey konnte ihn nicht sehen, aber jemand begann mit klarer Stimme laut, ruhig und deutlich Anweisungen zu erteilen.
Muss der Paladin sein, dachte er, erleichtert, dass die restlichen Zivilisten nun in Sicherheit zu sein schienen.
Als er den Kindern unter dem Wagen einen beruhigenden Blick zuwarf, wurde seine Miene weicher, auf der vorher straff gespannten Haut erschienen hunderte Lachfalten, und seine Augen versprühten nicht länger die Gewißheit unausweichlichen Todes, sondern Ruhe und Gelassenheit. Ohne hinzusehen säuberte er seine Klingen am Fell der Wölfe und schob sie wieder in den Gürtel.
Um seine Vorstellung beim Befehlshaber des, wie es schien, zusammengewürfelten Haufens von Flüchtlingen würde er sich später kümmern, im Moment musste erst einmal das Chaos des Kampfes beseitigt werden und dieser hatte bestimmt alle Hände voll zu tun. Er holte seinen Flachmann mit Reiswein hervor und trank einen langsamen Schluck, behielt den scharfen Alkohol lange im Mund, und schien mit jeder Geschmacksknospe seiner Zunge auf den vollen Genuss zu kommen. Als er schließlich geschluckt hatte, öffnete er die genießerisch geschlossenen Augen und begann ins Dickicht des Waldes zurück zu schreiten.
Er hoffte, das kein Wolf seine zurückgelassenen Rationen und vor allem nicht seine Pfeife zerstört hatte. Um den kunstvoll gefertigten, schwarzen Langstab, der von oben bis unten mit Mithrilnieten beschlagen war, machte er sich keine Sorgen, den würde kein Wolf kleinkriegen.
Als er den Treck hinter sich gelassen hatte, und in die Geräusche des Waldes eintauchte, nahm er den Splitter eines Schreies wahr. Ein Knirschen erklang, begleitet von einem leichten Rauschen. Sofort ging Pey in Kampfhaltung und spähte mit nun wieder angespannten Zügen in die Richtung der Geräuschquelle. Er schlich voran, setzte Fuß vor Fuß. Irgend etwas vor ihm alarmierte all seine Sinne, die in unzähligen Gefechten geschult worden waren.
Wenig später fand er den Grund seiner Unruhe. Eine Gestalt hing in einer Gruppe Akaziensträucher, die bösartige Dornen tief im Fleisch ihres Opfers eingegraben hatten.
Sie zuckte, und schien sich zu regen, hing dann aber wieder still da. Der alte Krieger, dessen Hände sofort zu den Waffen geschnellt waren, entspannte sich wieder etwas.
"Schönes Haar," murmelte Chin mit einer, bei ihm sehr seltenen, Spur von Neid in der Stimme, als er aufs Haupt der hilflos dahängenden Gestalt blickte, das geradezu überwuchert war mit einer langen lockigen Mähne, die, von wunderbar kräftiger orangeroter Farbe, durch die Durchmischung mit schwarzen, mehr als fingerdicken Strähnen komplettiert wurde.
Er trat von hinten in Kampfstellung an die merkwürdige Figur heran, von der er kaum mehr als einen schwarzen, ziemlich mitgenommenen Ledermantel erkennen konnte.
Das Gefühl von Gefahr blieb, wie glühende Klingen schnitt es in alle Sinne des alten Kriegers. Deshalb blieb er vorsichtig und prüfte den Puls mit der linken, die andere Hand hatte das Kama lautlos unter dem Gürtel hervorgezogen. Der Herzschlag ging schwach, aber regelmäßig. Er befreite die Person, ein Mann, mit einigen präzisen Schnitten von dem Busch, in dem er hing. Dabei fiel ihm auf, dass derjenige wohl mehr durchgemacht haben musste, als einem gewöhnlichen Mensch zu ertragen angedacht war. Seine Hände waren verstümmelt, die Rechte fehlte gar ganz. An der linken fehlte ein Finger, ein anderer schien gebrochen, aber es war keine allzu frische Verletzung. Die Gestalt trug Hosen, die ebenfalls aus Leder zu sein schienen. Pey bemerkte keine Waffen, jedoch fielen ihm die ungewöhnlichen Stiefel des Bewußtlosen auf. Sie glänzten Metallisch und schienen auch die gleiche Festigkeit zu besitzen. Über dem Gürtel, der aus Kettengliedern bestand, fiel sein Blick auf einen seltsam deformierten Oberkörper, der nur aus Narben zu bestehen schien. Der Alte zog die meisten Dornen aus dem Körper des Verletzten, nicht ohne ihn dabei weiter zu untersuchen. Dabei fiel ihm ein Seltsames Symbol auf, das sich in die Haut des Brustkorbs eingebrannt zu haben schien. Um dem armen Kerl keine weiteren Schmerzen zu bereiten, ließ der erfahrene Chin Pey seine Finger davon.
Der Kopf des Mannes war wohl das außergewöhnlichste. Er war mit einer Unzahl von Narben verstümmelt, seine Augenhöhlen waren tot und dunkel. Dieses Antlitz bildete einen seltsamen Kontrast zu den Haaren, die wie ein Rahmen ein Bild umgaben, das manch Geringeren wohl zur Flucht bewogen hätte. Der milde erstaunte Pey dachte sich, dass er hier mehr vor Augen hatte als einen gewöhnlichen Landstreicher. Vorsichtig hob er den seltsam leichten Körper auf seine trotz Alter ungebeugten Schultern, erhob sich und begann in die Richtung der Lichtung zu schreiten. Da hörte er ein Rascheln hinter sich. Seine Kriegersinne hatten ihn nicht getäuscht!
Ein Wolf schoß auf die beiden zu, und Chin, der sein zweites Kama ebenfalls wieder weggesteckt hatte, kam in arge Bedrängnis. Instinktiv lies er sich komplett in seine Krieger- Sinne hineinfallen und reagierte.
Das linke Bein kam hoch, das rechte ebenfalls, und mit Schwung warf sich der Ostländer rücklings zu Boden. Der Wolf machte einen letzten Satz und setzte zum Sprung an.
Pey schaffte das Kunststück, den Bewußtlosen ganz sanft abzusetzen, loszulassen und selbst auf den Händen aufzukommen. Er stieß sich sofort abermals ab, um auf die Füße zu kommen, federte aus der Landung heraus nach vorne. Als er über dem Verletzten war, kam es zur Begegnung mit dem Wolf, der es anscheinend auf ihn abgesehen hatte. Mit dem Zeigefinger drückte Pey gegen den Kiefer des Wolfes, duckte sich unter dem, wie er registrierte, gequält aufheulenden Tier weg und stieß den Ellenbogen nach oben, direkt unter die Rippen des Monstrums. Die Landung des nun, ebenso wie der Gerettete nach wie vor, ohnmächtigen Tieres verlief reichlich unelegant. Chin bemerkte, das sein Kiefer total zerstört zu sein schien und musste an die Stiefel des Verletzten denken. Sein Gesicht verzog sich zu einem anerkennenden Lächeln. Der erfahrene Krieger überprüfte den Zustand des Patienten routiniert und nahm dann ein dünnes, aber stabiles seidenes Seil von schwarzer Farbe aus seinem Kimono.
Wenig später kam er mit dem Bewußtlosen, den er wieder auf den Schultern hatte, auf die Lichtung und lies den Wolf ein Stück vor einem der Wagen liegen. Auf dieser Seite des Zuges hielt sich im Moment niemand auf, was Pey nur recht war. Es hätte nur zu unangenehmen Fragen geführt. Vorsichtig lies er den immer noch bewußtlosen Menschen direkt neben dem Gespann von seiner Schulter gleiten und kniete sich neben ihn.
Dann wollen wir dich mal wecken, dachte er. Er hatte die Vermutung, das der Geselle übersinnlich begabt oder ein Magier war. Kein normaler Blinder begab sich alleine in einen Wald, und trat dann schon gar nicht Wölfen das Maul zu Brei.
Meister Chin Pey zückte sein Fläschchen, der Reiswein, eigentlich einen starker Schnaps, enthielt. Er nahm einen genießerischen Schluck, den er zu zelebrieren schien, wie üblich.
Dann setzte er dem Unbekannten die Flasche an die Lippen und flößte ihm einen Schluck ein.
Die Wirkung war überwältigend. Der Mann schoss hoch, hustete und röchelte. Dann schien er sich plötzlich zu beruhigen und drehte ganz langsam Zollweise den Kopf nach links, bis des Alten Blick in die Leere der beiden Augenhöhlen fiel. Die Sinne Peys schienen zu schwinden, all seine Existenz konzentrierte sich auf diese zwei Löcher in einem zerstörten Gesicht. Etwas derartiges hatte er nie erlebt, und es faszinierte ihn derart, dass er sich noch weiter in die Verbindung hineinfallen lies. Der Blick des Unbekannten war aus toten Höhlen intensiver als jeder Blick, dem Pey vorher standgehalten hatte. Er schien sich bis in die tiefsten Tiefen seiner eigenen Seele zu brennen und floß wie glühendes Blei durch sein Selbst. Plötzlich spürte der Krieger einen sengenden Schmerz und fand sich, urplötzlich in die Wirklichkeit zurückgeworfen, auf dem Boden liegend wieder, ebenso das verstümmelte Wesen neben ihm. Sie richteten sich auf, und der andere schien ihn nicht mehr zu bemerken. Er versuchte aufzustehen und fiel fast sofort wieder kraftlos zurück. Sogleich war Chin neben ihm und stützte ihn sanft, den Geplagten kaum berührend. "Finde deinen Fokus." flüsterte er dem anderen ins Ohr, der allerdings immer noch keine Notiz von ihm nahm und unsicheren Schrittes um den Wagen herum davon ging.
Pey seufzte. Da hatte er, kaum zehn Minuten nach einem Kampf, mal wieder ordentlich zu Denken bekommen. Er nahm einen Schluck Reiswein und ging nun endlich sein Gepäck holen. Später würde er sich vorstellen und auf den Wolf hinweisen, falls er bis dahin nicht bereits gefunden sein würde. Nun jedoch sehnte er sich nach seiner Pfeife.
Brought to you by: ETBrooD & Heramos
Der Weg war die Hölle.
Die Schlangen auf ihrem Körper verschwanden so rasch wie sie gekommen waren, ließen sie im Schlaf zurück und krochen wieder in ihr Versteck. Zischend, wie um das Schicksal der vergifteten Alja zu besiegeln, selbst die Luft mit Gift zu tränken. Hilflos lag sie da und verlor im Angesicht mit dem Tod doch keine Träne.
Corvin fühlte den gleichen Schmerz in sich, auch er war gebissen worden, doch er durfte nicht zu ihr, es war ihm verboten. Unfähig, den Blick abzuwenden, wünschte er sich, ihre Qual und seine alleine tragen zu können. Es war ihm verwehrt. Wieviel mehr Leid konnte man einem Menschen zufügen, als indem man ihm die Freiheit stahl? Er wurde verrückt vor Angst. Mehr und mehr Angst um seine Alja, seine einzige Liebe und sein einziger Trost. Der einzige Grund zu leben, und dieser wurde ihm genommen. Was kann ohne Grund sein?
Sie sah so blass aus in ihrem Todeskampf, doch noch immer wunderschön. Wenn sie nur jemand anderer wäre. Wer stand für ihr Schicksal? Corvin keuchte vor Angst um ihr Leben, während das Gift seinen Verstand mit ständig neuer Verwirrung füllte. Er wollte zu ihr. Er wollte zu ihr! Er war zu langsam. Noch ein paar mal zuckte ihr Körper... alles verzögerte sich, die Zeit... löste sich auf... erkennbar nur noch Bilder der Qual.
Alja verlor den Kampf.
Corvin fiel in tiefste Trance. Dieses Bild, das er sah, würde er es je begreifen? Seine Liebe wie eine Feder, einsam vom Himmel gefallen lag sie da. Blasser als zuvor, den Kopf weich in die Polster gedrückt, zur Seite geneigt. Es schien als strömten ihre Haare nun hervor, schmiegten sich auf den kalten Boden, flossen über ihre leblosen Arme. Zeichneten sie ein Bild ihrer letzten Momente? Es war um sie geschehen, ihr Tod eingetreten. Corvin schrie. Unendliche Wut und Verzweiflung übernahmen die Kontrolle über sein Dasein. Tot. Schleppenden Schrittes kam er auf Alja zu, das Gift ignorierend, das seine Verwirrung bewirkte. Wieder und wieder brüllte er im eigenen Todesrausch seine Verlorenheit heraus. Tot. Ein grauenvoller Schmerz bohrte sich durch seinen Körper und seinen Verstand, wollte ihn zerbrechen, ließ seinen Weg unendlich erscheinen. Er stolperte, fiel in Aljas erstarrte, verkrampfte Arme, welche ihn zum letzten Tanz baten. Tot. Corvin begriff nicht, er konnte nicht begreifen. Wo war das Leben hin, das eben noch in ihr gewohnt hatte? Ein Flug in die Vergangenheit... ein Traum, eine klägliche Bitte. In seinem Trancezustand ließ er seinen Blick über ihre Gestalt gleiten, verlor sich in immer größer werdender Fassungslosigkeit. Tot. Seine Tränen benetzten das weiße, unbeschreiblich schöne Gesicht der Frau, die zu lieben er so genossen hatte. Betrug! Beide waren sie betrogen worden. Corvin konnte nicht begreifen. Alja war tot! Sein Schrei verkam zu ersticktem Keuchen.
Dann veränderte sich etwas. Die wahre Folter begann erst jetzt. Leere drückte seine Gedanken zu Boden und füllte seinen Körper aus. Das Leben musste weichen, wurde in das tiefe Loch gesogen, welches mit dem Einzug in seine gepeinigte Seele begann.
Die Leere war stärker als der Schmerz, mit dem er ebenso zu kämpfen hatte, wie mit seinem eigenen Tod. Die Qualen waren vorbei, doch sie wurden nicht ersetzt und nicht erlöst. Bloß erdrückt. Das Gift verlor seine Wirkung. Corvins Gedanken schienen frei zu sein, und doch hielt sie etwas zurück. Erneut betrachtete er das jämmerliche Bild, das sich ihm bot. Er fühlte nichts, keine Liebe, keinen Zorn. Etwas hatte von seinem Selbst Besitz ergriffen. Und es wollte mehr. Mehr. Und immer mehr.
"Verflucht! Was ist das für ein Tod? Wer ist tot? Bin ich es, der doch nur ihren Tod beweint, statt das Schicksal selbst auf mich genommen zu haben? Ich fühle nichts für sie, die mir so viel bedeutet. Ich fühle nichts! Wer ist tot?"
Eine Entscheidung festigte sich in seiner einsamen, fast schon endgültig gelösten Seele. Er würde nicht sterben, nicht wie es sein Meister gebot, denn den Willen hatte er nicht verloren. Und wenn er tausend Jahre um sein Selbst kämpfen müsste, hergeben würde er es nicht. Lieber würde er ewig leiden, als zu dem Stein zu werden, den er so hasste. Corvins Entscheidung war gefallen.
Der Schmerz war stärker als die Leere. Er würde es für immer sein.
Der Gepeinigte beugte sich vor, um Alja einen letzten Abschiedskuss auf die Stirn zu geben. Er hatte ihr eine zweite Chance gewünscht, doch niemand hatte sie ihr gewährt. Vom Schwindel leicht verwirrt richtete er sich auf und suchte. Er fand. Der Stein, das Symbol seiner Gefangenschaft, die Ketten daran, welche seine Füße umfassten. Er hatte ein Ziel, er kannte den Weg, nun würde er ihn beschreiten und sein Schicksal für immer verändern. Weißglühende Wut füllte den Raum aus.
Der Stein zerbrach geräuschlos. Das Zeichen seiner Unterwerfung.
Corvin schrie vor sengendem Schmerz.
Chin Pey blickte sich um. Er stand auf der Lichtung, neben ihm ein Wagen mit verängstigen Kindern. Um den Aikidoka herum lagen einige Wölfe, oder eher verschiedene Teile von ihnen. Der Kampf schien zu Ende, Pey konnte ihn nicht sehen, aber jemand begann mit klarer Stimme laut, ruhig und deutlich Anweisungen zu erteilen.
Muss der Paladin sein, dachte er, erleichtert, dass die restlichen Zivilisten nun in Sicherheit zu sein schienen.
Als er den Kindern unter dem Wagen einen beruhigenden Blick zuwarf, wurde seine Miene weicher, auf der vorher straff gespannten Haut erschienen hunderte Lachfalten, und seine Augen versprühten nicht länger die Gewißheit unausweichlichen Todes, sondern Ruhe und Gelassenheit. Ohne hinzusehen säuberte er seine Klingen am Fell der Wölfe und schob sie wieder in den Gürtel.
Um seine Vorstellung beim Befehlshaber des, wie es schien, zusammengewürfelten Haufens von Flüchtlingen würde er sich später kümmern, im Moment musste erst einmal das Chaos des Kampfes beseitigt werden und dieser hatte bestimmt alle Hände voll zu tun. Er holte seinen Flachmann mit Reiswein hervor und trank einen langsamen Schluck, behielt den scharfen Alkohol lange im Mund, und schien mit jeder Geschmacksknospe seiner Zunge auf den vollen Genuss zu kommen. Als er schließlich geschluckt hatte, öffnete er die genießerisch geschlossenen Augen und begann ins Dickicht des Waldes zurück zu schreiten.
Er hoffte, das kein Wolf seine zurückgelassenen Rationen und vor allem nicht seine Pfeife zerstört hatte. Um den kunstvoll gefertigten, schwarzen Langstab, der von oben bis unten mit Mithrilnieten beschlagen war, machte er sich keine Sorgen, den würde kein Wolf kleinkriegen.
Als er den Treck hinter sich gelassen hatte, und in die Geräusche des Waldes eintauchte, nahm er den Splitter eines Schreies wahr. Ein Knirschen erklang, begleitet von einem leichten Rauschen. Sofort ging Pey in Kampfhaltung und spähte mit nun wieder angespannten Zügen in die Richtung der Geräuschquelle. Er schlich voran, setzte Fuß vor Fuß. Irgend etwas vor ihm alarmierte all seine Sinne, die in unzähligen Gefechten geschult worden waren.
Wenig später fand er den Grund seiner Unruhe. Eine Gestalt hing in einer Gruppe Akaziensträucher, die bösartige Dornen tief im Fleisch ihres Opfers eingegraben hatten.
Sie zuckte, und schien sich zu regen, hing dann aber wieder still da. Der alte Krieger, dessen Hände sofort zu den Waffen geschnellt waren, entspannte sich wieder etwas.
"Schönes Haar," murmelte Chin mit einer, bei ihm sehr seltenen, Spur von Neid in der Stimme, als er aufs Haupt der hilflos dahängenden Gestalt blickte, das geradezu überwuchert war mit einer langen lockigen Mähne, die, von wunderbar kräftiger orangeroter Farbe, durch die Durchmischung mit schwarzen, mehr als fingerdicken Strähnen komplettiert wurde.
Er trat von hinten in Kampfstellung an die merkwürdige Figur heran, von der er kaum mehr als einen schwarzen, ziemlich mitgenommenen Ledermantel erkennen konnte.
Das Gefühl von Gefahr blieb, wie glühende Klingen schnitt es in alle Sinne des alten Kriegers. Deshalb blieb er vorsichtig und prüfte den Puls mit der linken, die andere Hand hatte das Kama lautlos unter dem Gürtel hervorgezogen. Der Herzschlag ging schwach, aber regelmäßig. Er befreite die Person, ein Mann, mit einigen präzisen Schnitten von dem Busch, in dem er hing. Dabei fiel ihm auf, dass derjenige wohl mehr durchgemacht haben musste, als einem gewöhnlichen Mensch zu ertragen angedacht war. Seine Hände waren verstümmelt, die Rechte fehlte gar ganz. An der linken fehlte ein Finger, ein anderer schien gebrochen, aber es war keine allzu frische Verletzung. Die Gestalt trug Hosen, die ebenfalls aus Leder zu sein schienen. Pey bemerkte keine Waffen, jedoch fielen ihm die ungewöhnlichen Stiefel des Bewußtlosen auf. Sie glänzten Metallisch und schienen auch die gleiche Festigkeit zu besitzen. Über dem Gürtel, der aus Kettengliedern bestand, fiel sein Blick auf einen seltsam deformierten Oberkörper, der nur aus Narben zu bestehen schien. Der Alte zog die meisten Dornen aus dem Körper des Verletzten, nicht ohne ihn dabei weiter zu untersuchen. Dabei fiel ihm ein Seltsames Symbol auf, das sich in die Haut des Brustkorbs eingebrannt zu haben schien. Um dem armen Kerl keine weiteren Schmerzen zu bereiten, ließ der erfahrene Chin Pey seine Finger davon.
Der Kopf des Mannes war wohl das außergewöhnlichste. Er war mit einer Unzahl von Narben verstümmelt, seine Augenhöhlen waren tot und dunkel. Dieses Antlitz bildete einen seltsamen Kontrast zu den Haaren, die wie ein Rahmen ein Bild umgaben, das manch Geringeren wohl zur Flucht bewogen hätte. Der milde erstaunte Pey dachte sich, dass er hier mehr vor Augen hatte als einen gewöhnlichen Landstreicher. Vorsichtig hob er den seltsam leichten Körper auf seine trotz Alter ungebeugten Schultern, erhob sich und begann in die Richtung der Lichtung zu schreiten. Da hörte er ein Rascheln hinter sich. Seine Kriegersinne hatten ihn nicht getäuscht!
Ein Wolf schoß auf die beiden zu, und Chin, der sein zweites Kama ebenfalls wieder weggesteckt hatte, kam in arge Bedrängnis. Instinktiv lies er sich komplett in seine Krieger- Sinne hineinfallen und reagierte.
Das linke Bein kam hoch, das rechte ebenfalls, und mit Schwung warf sich der Ostländer rücklings zu Boden. Der Wolf machte einen letzten Satz und setzte zum Sprung an.
Pey schaffte das Kunststück, den Bewußtlosen ganz sanft abzusetzen, loszulassen und selbst auf den Händen aufzukommen. Er stieß sich sofort abermals ab, um auf die Füße zu kommen, federte aus der Landung heraus nach vorne. Als er über dem Verletzten war, kam es zur Begegnung mit dem Wolf, der es anscheinend auf ihn abgesehen hatte. Mit dem Zeigefinger drückte Pey gegen den Kiefer des Wolfes, duckte sich unter dem, wie er registrierte, gequält aufheulenden Tier weg und stieß den Ellenbogen nach oben, direkt unter die Rippen des Monstrums. Die Landung des nun, ebenso wie der Gerettete nach wie vor, ohnmächtigen Tieres verlief reichlich unelegant. Chin bemerkte, das sein Kiefer total zerstört zu sein schien und musste an die Stiefel des Verletzten denken. Sein Gesicht verzog sich zu einem anerkennenden Lächeln. Der erfahrene Krieger überprüfte den Zustand des Patienten routiniert und nahm dann ein dünnes, aber stabiles seidenes Seil von schwarzer Farbe aus seinem Kimono.
Wenig später kam er mit dem Bewußtlosen, den er wieder auf den Schultern hatte, auf die Lichtung und lies den Wolf ein Stück vor einem der Wagen liegen. Auf dieser Seite des Zuges hielt sich im Moment niemand auf, was Pey nur recht war. Es hätte nur zu unangenehmen Fragen geführt. Vorsichtig lies er den immer noch bewußtlosen Menschen direkt neben dem Gespann von seiner Schulter gleiten und kniete sich neben ihn.
Dann wollen wir dich mal wecken, dachte er. Er hatte die Vermutung, das der Geselle übersinnlich begabt oder ein Magier war. Kein normaler Blinder begab sich alleine in einen Wald, und trat dann schon gar nicht Wölfen das Maul zu Brei.
Meister Chin Pey zückte sein Fläschchen, der Reiswein, eigentlich einen starker Schnaps, enthielt. Er nahm einen genießerischen Schluck, den er zu zelebrieren schien, wie üblich.
Dann setzte er dem Unbekannten die Flasche an die Lippen und flößte ihm einen Schluck ein.
Die Wirkung war überwältigend. Der Mann schoss hoch, hustete und röchelte. Dann schien er sich plötzlich zu beruhigen und drehte ganz langsam Zollweise den Kopf nach links, bis des Alten Blick in die Leere der beiden Augenhöhlen fiel. Die Sinne Peys schienen zu schwinden, all seine Existenz konzentrierte sich auf diese zwei Löcher in einem zerstörten Gesicht. Etwas derartiges hatte er nie erlebt, und es faszinierte ihn derart, dass er sich noch weiter in die Verbindung hineinfallen lies. Der Blick des Unbekannten war aus toten Höhlen intensiver als jeder Blick, dem Pey vorher standgehalten hatte. Er schien sich bis in die tiefsten Tiefen seiner eigenen Seele zu brennen und floß wie glühendes Blei durch sein Selbst. Plötzlich spürte der Krieger einen sengenden Schmerz und fand sich, urplötzlich in die Wirklichkeit zurückgeworfen, auf dem Boden liegend wieder, ebenso das verstümmelte Wesen neben ihm. Sie richteten sich auf, und der andere schien ihn nicht mehr zu bemerken. Er versuchte aufzustehen und fiel fast sofort wieder kraftlos zurück. Sogleich war Chin neben ihm und stützte ihn sanft, den Geplagten kaum berührend. "Finde deinen Fokus." flüsterte er dem anderen ins Ohr, der allerdings immer noch keine Notiz von ihm nahm und unsicheren Schrittes um den Wagen herum davon ging.
Pey seufzte. Da hatte er, kaum zehn Minuten nach einem Kampf, mal wieder ordentlich zu Denken bekommen. Er nahm einen Schluck Reiswein und ging nun endlich sein Gepäck holen. Später würde er sich vorstellen und auf den Wolf hinweisen, falls er bis dahin nicht bereits gefunden sein würde. Nun jedoch sehnte er sich nach seiner Pfeife.
Brought to you by: ETBrooD & Heramos