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--- das 2. diablo2.de foren-rpg ---

Die Sonne stand schon kurz vor dem Untergang und warf ihre letzten roten Strahlen über die Baumwipfel auf die kleine Gruppe, die am Wegrand lagerte. Es waren etwas mehr als ein halbes Dutzend Leute. Eine Frau mit schwarzem Haar schlief etwas abseits. Neben ihr saß ein Mann in einem grauen, zerfetzten Umhang vor einem kleinen Feuer, über dem auf einem Holzgestell ein kleiner Topf hing. In dem Topf kochte eine Brühe vor sich in, die Sungila aus einem erjagten Kaninchen gekocht hatte. Gerade erwachte Saphir, die neben ihm geschlafen hatte und richtete sich auf. Sungila warf ihr einen Blick zu und rührte dann wieder in dem Topf herum.
„Was kocht ihr da?“
„Was aus Kaninchen, Gewürzen und Wasser. Ich hab noch etwas Rotwein reingetan. Im Dorf lagen ein halbvolles Fass, an dem ich meine Schläuche gefüllt habe.“
„Ihr habt Rotwein? Könnt ihr mir etwas davon geben?“
„Sicher kann ich…“ Sungila griff in die Tasche, die neben ihm lag und holte einen Lederschlauch daraus hervor. Diesen reichte er der Magierin, die einen Zug daraus trank.
„Ihr könnt euch den Schlauch behalten. Ich hab noch einen mit Wein und drei mit Wasser. Fühlt ihr euch schon besser?“
„Ja. Ich habe leichte Kopfschmerzen“ Saphir sog die Luft durch die Nase ein. Bei dem Geruch des Essens fiel ihr ein, dass sie seit dem Anfang des Angriffs nicht mehr gegessen hatte, und sie fügte hinzu: „Und einen riesigen Hunger“
Sungilas Mundwinkel hoben sich zu einem Lächeln.
„Soll das heissen, ihr hättet gern was von der Brühe da“
„Wenn es euch nichts ausmacht.“
Sungila nahm zwei Löffel und Suppenschalen aus seiner Tasche. Saphir begann sich zu fragen, was ihr Gefährte nicht noch alles in seiner Tasche haben mochte, die beinahe geheimnisvoller war, als der ganze Waldläufer. Er füllte eine Schale und hielt sie der Elfin hin, die sofort nachdem sie den Löffel genommen hatte, gierig zu essen begann. Sungila tat es ihr gleich. Als der Topf leer war, nahm Sungila seine Pfeife heraus, stopfte sie und begann zu rauchen. Ein Seitenblick auf Saphir sagte ihm, dass die Elfin gerne noch etwas gegessen hätte, also holte er das Brot, den Käse und die Wurst heraus, die er im Dorf mitgehen hatte lassen. Die Magierin nickte ihm dankbar zu und begann mit einem ihrer Messer ihr Mahl fortzusetzen. Sungila fragte sich, wie viele Messer diese Frau wohl bei sich hatte. Eines musste sie bei sich haben, ihr Zeremoniendolch, den sie nur für die Ausübung ihrer magischen Fähigkeiten verwenden durfte. Dann hatten elfische Magier wie sie meist einen kleinen schwarzen Dolch, mit dem sie Attentate verüben konnte. Einen hatte er bei ihr gesehen, ein größerer silberner zum kämpfen, dann dieses Messer zum Essen schneiden und an ihrem Gürtel hing eine Machete, mit dem sie sich durch dichten Wald schlagen konnte. Sungila sog an der Pfeife und blies einen Rauchring in die Luft. Die Sonne war mitlerweile untergegangen und in der Ferne konnte man das Heulen der Wölfe vernehmen. Sungila packte den kleinen Topf weg und hieß Saphier, sich mit ihm zu den anderen zu begeben, damit man über das weitere Vorgehen diskutieren konnte, oder sich zumindest Geschichten erzählen und Heldenballaden singen konnte.
 
Iaiain: „Bist du dir sicher, dass das nötig war. Paladine gibt es doch sowieso genug“
Hristun: „Paladine gibt es sicherlich genug. Aber keine Paladine die Helden sind“
Iaiain: „Zu mindestens keine Paladine die Helden der richtigen Sache sind.“
Hristun: „Außerdem ist er gar kein Paladin mehr.“
Freyja: „Schuldig fühlt er sich trotzdem“
Hristun: „Jedenfalls sind wir ja wohl verpflichtet ihm zu helfen nach allem was er für unsere Sache getan hat.“
Seain: „Nach all dem was er UNFREIWILLIG für unsere Sache getan hat.“
Yessmo „Taten zählen mehr als Worte und Absichten.“
Tormaigh: „Stimmt so viele Paladine und Dämonen wie er uns an einem Tag aus dem Weg geschafft hat, hat manch einer von uns nicht in seinem ganzen leben zur Strecke gebracht.“
Curadhan: „Wenn ich dich darauf hinweisen dürfte wie viele Leute ich dafür bekehrt habe.“
Tormaigh: „Ja. Lauter dumme Bauern die mit Sicherheit nicht losgezogen sind um die Dämonen zu töten, die du hättest in der Zeit beseitigen können die du mit ihnen verschwendet hast.“
Curadhan: „Es geht nicht nur darum. Möglichst viele Feinde unsrer Sache zu töten.“
Tormaigh: „Vielleicht nicht aber das ist zweifelsohne der Teil der am meisten Spaß macht … gemacht hat.“
Ainu „Wenn ich euch darauf hinweisen dürfte das diese Diskussion nichts mit unserem eigentlichen Problem zu tun hat.“
Hristun: „Und außerdem ist es jetzt wohl egal, da wir ihn schon darauf angesprochen haben.“
Iaiain: „Vielleicht könnten wir und dann ja wenigstens darauf einigen den wegfahrenden Dorfbewohnern auch zu folgen wo wir ihnen unsere Hilfe doch schon angeboten haben …


Ainu schreckte aus seinen, oder besser ihren, Gedanken hoch. Und tatsächlich. Während er dem Streitgespräch, gelauscht hatte, hatten die Dorfbewohner schon die Reisevorbereitungen abgeschlossen. Und waren nun schon dabei die ersten Wagen wie besprochen in den Fluss zu lenken. Hastig stand ainu auf und begab sich zu ihnen.
Wie er erwartet hatte konnte seine Hilfe gut gebraucht werden, denn die wagen blieben trotz des sehr Flachen Flussbettes, einige Male stecken, doch sie wurden immer wieder schnell aus dem Schlamm befreit. Und so schlossen sich schon nach wenigen Minuten die hoch aufragenden Baumkronen des Waldes zu einem Dichten dach über ihnen zusammen.
Ainu konnte beinahe verstehen warum sich die Dorfbewohner so vor diesem Wald fürchteten, der ihnen doch eigentlich schon seit Jahrhunderten Schutz und Baumaterial liefern musste.

Iaiain: „Ich muss sagen, dieser Wald sieht beinahe so aus als könnten diese Dorftrottel mit ihren Geschichten recht haben.“
Freyja: „Mach dem Armen Jungen doch keine Angst.“
Taran: „Was heißt Angst machen. Zu meiner Zeit waren solche Wälder zwar nicht von Geistern voll, aber man konnte schon einigen Feen und ähnlichem begegnen.“
Freya: „Nur das deine Zeit nun schon ein paar hundert Jahre her ist.“

Ainu begann derweil sich seine Reisegefährten noch einmal näher anzuschauen. Neben dem Paladin der nun schon für einigen Streit gesorgt hatte entdeckte er noch einige andere die sich von den Dorfbewohnern und gewöhnlichen Turnierteilnehmern abhoben. Zum einen war da dieser alte weiße Mann der anscheinend ein Magier des Lichtes war. Wie stark er auf der Seite der Ordnung stand konnte man ihm zwar leider nicht ansehen. Doch konnte er nur hoffen das er nicht zu sehr auf dieser Seite stand, denn Yessmo Iaiain und einige andere waren darüber erstaunlich einstimmig, das er ein weitaus mächtiger Magier sei als es auf den ersten Blick schien.

Zu seiner Freude erkannte er auch einen Totenbeschwörer. Oder zumindestens jemanden der ein einer zu werden schien. Wenigstens eine Person die zumindestens ansatzweise auf der richtigen Seite stand. Jedenfalls hoffte er das. Er beschloss ihn zu beobachten.

Auch einen Bogenschützen entdeckte er, der sich anscheinend, gut mit dem Totenbeschwörer verstand. Nun so konnte er wenigstens davon ausgehen das er nicht zu sehr vom Gleichgewicht abwich, oder aber, dass der Totenbeschwörer weniger den Lehren Rathmas und damit dem Gleichgewicht folgte, als er hoffte. Jedenfalls schien dieser Bogeschütze ein großes Problem mit hellem Licht zu haben. Eine Sache die er sich merken sollte.

„Wölfe“

Der Schrei riss ihn urplötzlich aus seinen Gedanken. Und nicht nur ihn. Schon wenige Sekunden nach dem Schrei brach regelrechtes Chaos aus. Jeder schien entweder Flüchten zu wollen oder zog hastig seine Waffen.

„Deckt die Flanken, verdammt!“

Der Ritter schien anscheinend etwas Ordnung in diese Truppe zu bringen. Doch so wie ainu das sah, war er damit ziemlich erfolglos. Im Gegensatz zu dem Rest der immer noch und noch hektischer umherhastete, stand er ruhig da, Und blickte sich nach den Wölfen um.

Seain: „ Ich schlage vor wir warten erstmal bis sich die heiligsten Volltrottel in den Tot gestürzt haben und räumen dann die Reste auf.“
Freyja: „Wir sind doch mitgegangen um den Dorfbewohnern zu helfen. Also sollten wir ihnen auch helfen.“

Knurrend baut sich ein Wolf vor dem stillstehenden Ainu auf. Zähflüssiger Speichel rinnt ihm aus dem Maul, zwischen den gebleckten zähnen hindurch.

Seain: „Wenn wir warten sterben mit glück ein paar dieser heiligen Weltretter.“
Freyja: „Wenn wir warten sterben nur mehr unschuldige Dorfbewohner.“

Knurrend springt der Wolf vor und will nach Ainu schnappen der sich sehr zu seinem Erstaunen, einen halben Schritt weiter rechts befindet, als noch vor einem Moment, so dass seine Kiefer nur Luft zu schnappen kriegen.

Seain: „Es ist aber ein unserer Ziele so viele Diener des Ordnung oder des Chaos auszuschalten.“

Der Wolf beißt derweil in einen weiteren Happen frische Luft anstatt wie geplant in den Arm von Ainu.

Freyja: „Es ist unser Ziel, die Menschen von ihnen zu befreien. Und Tote kann man schlecht befreien.“

Wieder einmal schnappen die Kiefer des Wolfes zu. Und dieses Mal hat er sogar Blut im Maul, nur ist es das von einer Fliege und nicht das von Ainu.

Seain: „Menschen gibt es genug. `Heilige` zu viele.“
Freyja: „Wenn hier zu viele Heilige sterben, müssen wir den Trupp nachher alleine beschützen.

Ein weiteres Mal setzte der Wolf zum Sprung an, dieses Mal würde er endlich treffen, dessen war er sich sicher. Doch als er auch dieses Mal nur Luft zu fressen bekam, hatte er kaum noch Zeit sich zu ärgern. Noch bevor er auf dem Boden aufkam, fuhr Ainu´s Fuß in einem Halbkreis durch die Luft und traf mit einem trockenen knacken das Genick des Wolfes.
 
Ein Sirren dicht neben seinem Ohr ließ ihn zusammenfahren. Reflexartig wandte er seinen Kopf und sah den des Wolfes in das Gras fallen, von einem weiß leuchtenden Schwert vom Körper getrennt. Maelnars Kopf zuckte zurück, und den anderen Wolf fixierend, sprang er auf alle viere. Das andere Tier hatte beim Tode seines Artgenossen kurz gezögert, was ihm jetzt zum Verhängnis wurde. Zwei besonders starke Magiegeschosse zerfetzten seine Seite, legten die Knochen des Brustkorbes frei, und zuckend hauchte es sein Leben aus. Maelnar atmete erleichtert auf und drehte sich auf den Knien zu seinem Retter um, ein kurzes „Danke“ hervorbringend. Er erkannte ihn sofort – es war der alte Mann, der ihn in der Kirche geheilt hatte. Doch jetzt war Reoth wie verändert. Seine weiße Gestalt und das leuchtende Schwert strahlten Kraft und Entschlossenheit aus. Das war eine Seite, die Maelnar in ihm nicht erwartet hatte. Magie und Nahkampf, dies waren auch die beiden Kampfarten, die Maelnar ebenfalls anstrebte zu beherrschen. ‚Ich könnte gewiss eine Menge von Reoth lernen’, ging ihm durch den Kopf. Doch noch während er versuchte, seine Gedanken in Worte zu fassen, drehte sich Reoth um und wandte sich den nächsten Gegnern zu.

‚Naja, jetzt ist wahrscheinlich auch nicht die beste Zeit, um große Reden zu schwingen’, dachte Maelnar und erhob sich schwerfällig. In dem Augenblick sah er eine Person astschwingend auf sich zu kommen und dabei für ihn zunächst unverständliche Worte rufen. ‚Sind denn hier auch schon die Menschen in Raserei verfallen?’, fragte sich Maelnar und bereitete bereits einen Fluch vor, der den vermeintlichen Angreifer vertreiben sollte, da drang der Sinn der Sätze in sein Bewusstsein. Aufatmend ließ er seine Hände sinken und musterte den jungen Mann. Sein Gegenüber war anscheinend etwa so alt wie er selbst und war in eine schwarze Kutte gekleidet. Das war eigentlich Magierkleidung, und so wunderte es ihn, dass der Mann zu ihm mit der Bitte kam, den Ast zu entzünden. Andererseits mochte er auch nur die Kutte eines Magiers tragen und in Wirklichkeit mit Schwert oder Axt kämpfen. Allerdings konnte Maelnar keine derartigen Waffen entdecken. Seltsam.

Er schüttelte den Kopf und meinte dann zu seinem Gegenüber, der ihn erwartungsvoll ansah: „Tut mir leid, aber ich kann das nicht. Ich bin Totenbeschwörer und daher der Elementarmagie nicht mächtig. Aber ich komme gerne mit und helfe dir.“ Nach einem kurzen Händedruck und dem Austausch der Namen folgte er ihm zu einem der Wagen, wo mehrere Kinder aneinander geklammert hockten. Sie sahen ihn aus verquollenen, angstgeweiteten Augen an, und Maelnar fühlte einen Stich im Herzen. Das mussten Waisenkinder sein, da er keine Erwachsenen in der Nähe sehen konnte, die sich um diese Kinder kümmerten. Er warf Tim einen anerkennenden Blick zu und kniete sich nieder. „Ihr müsst keine Angst vor mir haben. Ich werde mit aufpassen, dass euch hier jetzt nichts geschieht.“ Er sah sich um. Nicht weit von ihm entfernt setzte der junge Mann, der ihm schon bei der Besprechung in der Kirche aufgefallen war, mit einem Fußtritt einen Wolf außer Gefecht. Weiter vorne, im dichtesten Getümmel, sah er sowohl Reoth, der mit seinem Schwert immer wieder eine Bresche in die Wolfsrudel schlug, als auch den Ritter, der mit lauten Befehlen eine Art Kampfordnung herzustellen versuchte.

Der Wagen mit den Kindern stand ziemlich am Ende des Zuges. An einer Seite des Weges öffnete sich der Wald bereits in die Lichtung, doch an der anderen Seite war das Dickicht des Waldrandes nur wenige Schritte entfernt. Hier hörte es Maelnar immer wieder rascheln, und plötzlich brachen zwei Wölfe hervor. Ein Aufschrei aus einer Kinderkehle lenkte ihn kurzzeitig ab, doch dann feuerte er kurz nacheinander zwei der Energiespitzen auf die Gegner ab. Einer der Wölfe wurde am Kopf getroffen und brach sofort zusammen, doch der andere wurde nur leicht am Bein verletzt. Maelnar schaffte es gerade noch, einen Fluch zu wirken, dann sprang der Wolf ihn an. Aber er war durch den Fluch geschwächt, und Maelnar wurde nur ein paar Schritte zurückgeworfen. Den langsamen Bissen des Wolfes mühelos ausweichend, stach er mit seinem Stab zu, und auch dieses Tier sank tödlich getroffen zusammen.

Maelnar verschwendete keine Zeit und lief zum Grasstreifen zwischen Waldrand und Wagen. Sich niederkniend konzentrierte er sich und begann dann eine Beschwörung zu wirken, die ihn zwar einiges an Kraft kosten, doch weitere Angriffe aus dieser Richtung abwehren würde. Sowohl den Wolf, der sich aus dem Wald kommend auf ihn stürzen wollte, als auch den lautlos anfliegenden Pfeil, der diesen tötete, bemerkte er nur nebenbei. Er hätte den Wolf nicht abwehren können, so tief war er im Wirken des Spruches versunken. Nach einigen Atemzügen hörte Maelnar ein Grummeln im Waldboden, und langsam hob sich eine Knochenwand aus der Erde. Seine beschwörenden Worte wurden lauter, und mit der wachsenden Wand erhob auch er sich. Schließlich, als die Wand etwa Brusthöhe erreicht hatte, stoppte Maelnar die Beschwörung mit einem unnatürlich klingenden Laut. Schweiß lief ihm das Gesicht herab, und ein plötzlicher Schwindelanfall ließ ihn schwanken. ‚Hoffentlich habe ich mich nicht wieder überanstrengt’, dachte er und hielt sich am Wagen fest. Er blickte sein Werk an. Auf einer Länge von mehr als fünf Schritten waren Knochen verschiedenster Tierarten kreuz und quer miteinander verbunden. Nun, das würde die Wölfe wohl erstmal abhalten.

Er rieb sich die Augen, die Erschöpfung machte sich nun doch ziemlich heftig bemerkbar. Sein Blick glitt zu den Kindern. Diese schienen jetzt fast mehr Angst vor ihm als vor den Wölfen zu haben. Maelnar seufzte. Das war das Problem mit der Totenbeschwörerkunst – dass viele Menschen diese Magie, noch mehr als andere Arten, nicht verstanden und ihr mit Ablehnung oder Angst begegneten. Doch er hatte keine Wahl gehabt, und das war noch eines der kleineren Übel gewesen. Mit Mühe setzte er sich auf eine Ecke der Ladefläche und schaute sich um. Die Überraschung über den Angriff hatten die Menschen wohl überwunden, und wo immer Wölfe aus dem Dickicht brachen, wurden kurz sie darauf wieder zurückgeschlagen. Zahlreiche Kadaver lagen bereits auf der Lichtung, doch die Tiere schienen wie besessen immer wieder anzugreifen. Maelnar erblickte seinen Golem nicht weit von ihm entfernt, wo er sich behände zwischen Wölfen und den Beinen der Menschen umher bewegte und die Tiere mit seinen Schlägen ablenkte und verlangsamte, was die Kämpfer geschickt ausnutzten. Von seinem Platz aus konnte Maelnar weder erkennen, ob es Opfer unter den Menschen gab, noch sah er eine Spur von Ugo. Doch war er sich sicher, dass der Pfeil vorhin von ihm gekommen war, und im Stillen dankte er ihm dafür.

Maelnar schreckte auf, als er eine Hand auf seiner Schulter fühlte. Er blickte in das Gesicht von Tim, der ihn fragte, ob alles in Ordnung mit ihm wäre. „Nur ein bisschen erschöpft“, murmelte Maelnar. Er überlegte. Viel würde er nicht mehr ausrichten können, und die Müdigkeit zerrte ziemlich stark an ihm. Er fasste einen Entschluss: „Ich werde mal noch etwas für unsere Sicherheit tun und mich dann etwas ausruhen. Kannst du mir mal helfen, den toten Wolf da herzuschaffen?“ Mit vereinter Hilfe schleppten sie den Kadaver herbei, und Maelnar kniete nieder. Er begann, einen Zauber zu wirken, doch nach den ersten Bewegungen brach er ab. Vielleicht war es doch keine so gute Idee, ein Totem zur Abschreckung zu erzeugen. Da würden wohl nicht nur die Wölfe, sondern auch die Pferde und die Kinder das Weite suchen. Er kramte im Gedächtnis nach einem anderen Spruch, und als er sich für einen entschieden hatte, schloss er die Augen. Nach kurzer Zeit erhob sich aus dem Kadaver ein Geisterwolf. Obwohl halb durchscheinend, zeugten doch die spitzen Zähne und die gelblich glimmenden Augen von seiner Gefährlichkeit. Er lenkte den Wolf zur freien Fläche neben dem Wagen. Diese Beschwörung hatte Maelnar beinahe den Rest gegeben, und schwer atmend sank er auf den Boden neben dem Karren nieder. Er winkte Tim herbei und meinte: „Ich bin ziemlich kaputt, brauche erstmal was Ruhe. Der Wolf und der Golem sollten die Angreifer erstmal abhalten. Falls doch einer durchkommen sollte und ich eingeschlafen sein sollte – ich lade gerade meinen Stab mit dreien von diesen Magiegeschossen auf, die du vorhin gesehen hast. Einfach auf den Gegner richten und mit der Kraft deines Willens abschießen. Aber Vorsicht, die Dinger sind auch für Menschen tödlich.“ Maelnar lehnte sich an das Rad, den Stab locker in der Hand haltend. Eigentlich war es verboten, einem anderen Menschen die Möglichkeit zur Ausübung von Magie zu geben. Doch irgendwie hatte er im Gefühl, dass er nichts Falsches getan hatte. Und wer sollte über ihn richten?
 
Langsam aber doch konnte Corvin fühlen, wie seine Kräfte nachließen. Schon zwei Tage lang hatte er weder zu Essen noch zu Trinken bekommen, allein und ungeschützt auf offenem Feld. Da er kein besonders erfahrener Reisender war, wusste er auch nicht, wo er etwas finden konnte, geschweige denn wo sich die nächste bewohnte Gegend befand. Dann, vor wenigen Stunden erst, war dieser Wald vor ihm aufgetaucht. Auf gut Glück hatte er ihn betreten, in der Hoffnung, einen Bach und wilde Beeren oder Tiere zu finden. Dem war nicht so. Trotz vollkommener Orientierungslosigkeit und stetig steigender Erschöpfung ging er dennoch weiter, denn seine Schwäche und all sein Pech bedeuteten noch lange nicht sein Ende. Niemals erlaubte er sich, aufzugeben. Eher würde er sich selbst verspeisen, bevor er endgültig zugrunde ging.
Die ganze Zeit suchte Corvin die Umgebung nach auffälligen Unterschieden ab. Dank seiner ihm eigenen Kraft sah er auf gewisse Weise besser als ein Mann mit gesunden Augen, denn er sah keine Bilder, sondern fühlte die Strömungen und Schwingungen, die ständig um ihn herum flossen und vibrierten. Ihm entging selbst die geringste Bewegung nicht. Er konnte sogar zwischen Stein und Holz unterscheiden, oder zwischen Messern und Schwertern. Seine größte Begabung lag darin, eine Situation genauestens abschätzen zu können. Gefahr konnte er meilenweit fühlen. Doch all dies gelang ihm nur, sofern er nicht gerade von seiner Kraft anderweitigen Gebrauch machte, alles auf einmal konnte er nicht tun. Formen, Größen und Farben waren ihm ein Rätsel. Aus diesen Gründen hatte er gewisse Probleme, sich in ihm neuen Gegenden zurecht zu finden, und er brauchte viel Zeit oder eine Menge Kraftaufwand, um die gewonnenen Eindrücke richtig einschätzen zu können. Man könnte also sagen, dass er vielmehr durch den Wald taumelte, als ihn zu durchwandern, da dies nicht sein typischer Lebensraum war. Er hatte noch nie zuvor mit so vielen, völlig zufällig verteilten Hindernissen zu kämpfen gehabt. Aus irgend einem Grund fühlte er sich hier so verloren, wie er es seit seiner Gefangenschaft nicht mehr erlebt hatte.
Plötzlich verhakte sich sein linker Fuß und er fiel zu Boden. Er hatte eine Baumwurzel übersehen, kaum erkennbar unter all dem Laub. Sollte ihn doch die Natur auch noch verhöhnen, es machte ihm nichts aus. Als er aufstehen wollte, spürte er eine weitere Wurzel am Fersenansatz seines festhängenden Fußes. Verärgert richtete er seine Gedankenströme nach hinten, um die "Falle", in die er geraten war, näher zu begutachten. Und was erkannte er da? Es war keine zweite Wurzel, es war ein und dieselbe! Sie hatte sich um seinen Fuß geschlungen und wand sich nun langsam, aber zügig ein weiteres Mal drumherum! Was für ein tückischer Baum, er musste verhext sein! Corvin verfluchte den Verlust seiner rechten Hand, es wäre sicher ein Leichtes gewesen, die störrische Wurzel auseinanderzubiegen. Mit einem verärgerten Knurren, das seiner eigenen Unaufmerksamkeit galt, stoppte er mithilfe einer Gedankenmauer die Schlingbewegung und fischte nach einem Tropfen seines eigenen Schmerzes. Diesen träufelte er auf die Aura der Wurzel, woraufhin sie sich schnell wieder zurückzog und in ihre alte Position zurückfiel.
Corvin stand auf. Ärger, nichts als Ärger in diesem Wald. Er hatte die kurze Pause genutzt, um noch einmal nach Getier und fließendem Gewässer zu suchen, doch abermals erfolglos. Nur Wind und Blätter bewegten sich. Er musste hier heraus.
Wenige Schritte später, nachdem Corvin sich wieder auf den Weg machte, hörte er ein Heulen. Er blieb stehen und lauschte. Ein Hund? Nein, wilde Tiere. Hierzulande hießen sie Wölfe. Das Geheule klang eindeutig schmerzvoll. Und es gesellten sich noch mehr Geräusche dazu.
Unmöglich, er hätte es früher fühlen müssen! Niemals hätte er so viele Schwingungen auf einem Fleck übersehen können! Außer...
Endlich verstand Corvin. Dieser Wald war tatsächlich verhext! Es war die einzige Erklärung. Irgend eine Macht, die stärker war als seine Gedankenkraft, musste seine Orientierung völlig zunichte gemacht haben. Soweit es ihm bekannt war, war dies der oberste Grund für die Entstehung von Hexenwäldern. Sie ließ arglose Wanderer - und seien sie noch so erfahren - zuerst den klaren Verstand, dann die Hoffnung verlieren.
Corvin lachte. Ja, er lachte. Ausgerechnet eine Ausgeburt der Macht, gegen die er vor gar nicht all zu langer Zeit zu kämpfen gehabt hatte, hielt ihn nun zum zweiten Mal gefangen. Lächerlich. Er war stärker als dieser billige Fluch, der über dem Wald hing. Er hatte bloß nicht damit gerechnet, sonst wäre er niemals in solch eine verworrene Situation geraten.
Corvin wiederholte den einfachen, gedanklichen Prozess, den er schon viele tausendmal angewandt hatte, und blockte die Ströme, die seine Verwirrung bewirken sollten, mit einem simplen Bann ab. Er atmete auf. Endlich konnte er wieder klaren Verstandes weiter gehen. Und endlich hatte er ein Ziel, denn er hatte großen Hunger.
Die Wölfe würden nicht lange auf ihn warten müssen.
 
Wie lange war er jetzt in diesem "Versteck"? Nach der Sonne zu urteilen, die sich dem Horizont bereits näherte, schon mehr als zwei Stunden. Fengcarn wusste nicht einmal, warum er wartete. Ohne einen Auftrag war sein eigentliches Ziel Larthe, ein kleines Dorf weiter westlich gewesen, in dem alljährlich ein Turnier stattfand. Und jetzt saß er hier, in den Wipfeln eines Baumes, und beobachtete die kleine Gruppe, die keine Meile weit weg in der Nähe eines Feuers rastete. Wieso war er nicht einfach an ihnen vorbeigegangen? Das waren keine Dämonen und sie schienen auch sonst nicht sonderlich gefährlich, aber irgendetwas hinderte ihn daran, einfach auf ihren Lagerplatz zuzugehen. Sein ursprünglicher Plan war, den Einbruch der Dunkelheit abzuwarten und sich dann langsam heranzupirschen. Aber diese unbequeme Position war keine Minute länger auszuhalten. Also setzte der hagere Mann seinen Hut auf, schob sich langsam von dem dicken Ast, auf dem er saß, herunter und fiel schließlich hinab ins dichte Gras. In der Hocke verharrend spähte Fengcarn zum Feuer hinüber. Hatten sie ihn bemerkt? Unwahrscheinlich, falls nicht zufällig jemand gerade seinen Baum beobachtet hatte. Wie nun weiter? In gebückter Haltung ließ es sich kaum an das Lager heranschleichen, dazu war das Gras zu niedrig. Also warf er sich auf den Boden und begann, nur wenige Meter von der Straße entfernt auf die ominöse Gruppe zuzukriechen.

Man könnte es fast als Ironie des Schicksals bezeichnen, dass Fengcarn Travis noch am Leben war. Erst in der Nacht vor zwei Tagen war er nach tagelanger Suche in der Wildnis auf das Versteck von Zyntris, seiner Zielperson, getroffen. Dieser gerissene Meuchelmörder war fast ein Kollege Fengcarns, aber dieser Aspekt spielte nur kurz eine Rolle, wenn man die enorme Summe betrachtete, mit der die Ablieferung des lebendigen Zyntris in Dor Gulin belohnt werden würde. Weiß der Geier, warum sie ihn lebendig wollten, letztendlich würde er ja doch gehängt werden. Aber derlei Kleinigkeiten, die einen Kopfgeldjäger nicht einmal etwas angingen, interessierten letztendlich doch nicht.
Aber Fengcarn hatte nicht mit einem Empfangskomitee gerechnet. Ihm blieb gerade noch die Zeit, einen Blick auf das Lagerfeuer zu werfen, da war eine kleine, gedrungene Gestalt auch schon von dem nahen Baum herunter gesprungen und mit zwei Riesensätzen auf Fengarns Rücken gelandet. Diesen warf es zu Boden und noch ehe er auch nur den Dolch aus dem Ärmel ziehen konnte, spürte er eine kalte Klinge im Nacken. "Verdammt" war der erste Gedanke, während er in völliger Stille verharrte. In den Träumen hatte der Tod immer anders ausgesehen ...
Ein leises Surren. Und auf einmal brachte der Mann auf seinem Rücken, der wohl gerade einen verächtlichen Satz an sein Opfer richten wollte, nur ein jämmerliches Röcheln hervor. Der Druck der Klinge an Fengcarns Hals ließ nach. Dieser griff sofort nach der Hand, riss sich herum und - sah fassungslos auf das Bild, das sich ihm bot. Die von Überraschung geprägten Züge von Zyntris, durch das Lagerfeuer mit grotesken Schatten überzogen, und der aufgerissene, blutige Mund ließen keinen Zweifel - der Mann war tot. Ein Pfeil steckte in seinem Hals. Ein sauberer Todesschuss von hinten hatte ihn durchbohrt. Fengcarn ballte die Fäuste: Schon wieder diese verdammten Assassinen! Auch wenn man ihn gerade vor dem Tod gerettet hatte, es ging ums Prinzip. Überall mischten sich diese Weiber ein und der Tod von Zyntris ließ den Erwerb eines neuen Mantels in weite Ferne rücken. Und zu guter Letzt war die Mörderin selbst mit Sicherheit schon längst im Dunkel des nahen Waldes verschwunden. Fengcarn setzte sich seufzend ans Lagerfeuer und dachte nach. Nach kurzer Zeit lachte er leise auf: Was für eine Ironie! Vom Feind gerettet! Eigentlich noch schlimmer, als vom Feind bestohlen zu werden, kam es ihm in den Sinn ...
Im Osten erschien bereits der erste Schimmer des Morgengrauens.


Eine Stunde später, die Sonne schickte sich gerade an, blutrot vom Tag Abschied zu nehmen, war Fengcarn auf die Entfernung heran, die er für "noch ungefährlich" hielt. Er konnte jetzt all die Gestalten erkennen, die sich in der Nähe der Flammen aufhielten. Da war ein heruntergekommener, kränklich wirkender Mann, der sich am Feuer mit einer schwarzhaarigen, ganz in blau gekleideten Frau unterhielt, die nach Magierin aussah. Wenn man nur ihr Gesicht erkennen könnte ... Etwas abseits entdeckte er ein paar muskelbepackte Typen, für dergleichen er noch nie viel übrig hatte. Nichts im Kopf und noch nicht einmal unter Alkoholeinfluss eine Hilfe bei der Informationsbeschaffung. Und dann fiel sie ihm auf - diese schwarz gekleidete Frau mit den Klauen und dem Schwert. Ganz kurz zuckte seine Hand, doch er beherrschte sich gleich wieder. Ha, jetzt war ihm klar, wieso er zunächst ferngeblieben war! Eine Delegation der Konkurrenz befand sich in der Nähe, höchstwahrscheinlich die gleiche, die ihm vor wenigen Tagen das Geld vom Rücken geschossen hatte. Zwar konnte er keinen Bogen entdecken, aber Fengcarn musste herausfinden, ob seine Vermutung stimmte.
Doch zunächst warf der Kopfgeldjäger einen Blick auf den Rest der Gruppe. Eine schlanke, fast zierliche Frau mit silbernem Haar und blauer Lederrüstung stufte er als weitere Magierin ein. Und dann dieser Kerl mit dem Zopf im Gesicht. So was Geschmackloses! Auf einmal war da ein unerklärlicher Drang, den Dolch zu zücken und ... er verwarf diese Idee gleich wieder. Fengcarn war, als hätte er diesen Elfen schon einmal irgendwo gesehen, er konnte ihn aber nicht genau einordnen. Dieser Sache müsste man später auch noch auf den Grund gehen. Zunächst war es aber an der Zeit, Kontakt aufzunehmen.

Fengcarn stand auf, zog den Mantel fester um den Körper, schlang das rote Tuch erneut um den Hals und vergewisserte sich, dass Schwert und Dolch an ihren angestammten Plätzen waren. Zwar wirkten diese Leute nicht unbedingt feindselig, aber es war eine Assassine in der Nähe. Natürlich konnte sie nicht wissen, wer er war oder welcher "Arbeit" er nachging, doch Vorsicht war schon immer besser als Nachsicht oder ein Pfeil im Hals. Schließlich begann er, langsam auf das Feuer zuzuschreiten. Niemand schien davon Notiz zu nehmen, was ihm noch stärker das Gefühl gab, diese Leute würden ihm nicht gefährlich werden. Dennoch lag seine Hand auf dem Heft seines Schwertes, als er sich laut mit tiefer, unnatürlich rauer Stimme bemerkbar machte: "Seid gegrüßt, Reisende. Darf ich mich zu euch setzen?"
 
Norolind hatte sich ein Stück vom Rest der Gruppe entfernt. Die Sonne ging bereits unter. Gedankenverloren saß er am Waldrand und sah den letzten Strahlen hinterher, die über die Baumwipfel fielen. Irgendwie hatte dieser Anblick etwas Magisches. Etwas das auch den grobschlächtigsten und abgestumpftesten Menschen in tiefster Seele berührte. Sehnsüchtig und von Schwermut geplagt sah er in den, von den letzten Sonnenstrahlen dieses Tages rot gefärbten Himmel. Unzählige Erinnerungen an die damalige Zeit kehrten auf einmal wieder. Erinnerungen die in Vergessenheit geraten zu sein schienen, waren auf einmal wieder greifbar nah. Seine Hand bewegte sich unbewusst zu seiner Manteltasche. Diese Bewegung brach er jedoch abrupt ab als er dies bemerkte. Er wollte das Amulett jetzt nicht sehn. Das würde den Schmerz nur stärken.

Er sah kurz herüber zum Lagerfeuer an dem der Rest der Gruppe saß. Saphir saß zusammen mit einem etwas zerlumpt aussehenden Mann am Feuer. Sein Blick blieb wieder einen Augenblick an ihr hängen, wurde aber von Norolind mit aller Gewalt gelöst. Er hatte seine Pflicht erfüllt und sie sicher zur Kirche gebracht als sie noch im Dorf waren. Er hoffte nun das sich dieser Mann, wer auch immer er war, nun um ihre Sicherheit kümmern würde. "...es wäre nicht richtig gewesen. Ich wäre nur ein Risiko für sie..." Dachte Norolind bevor er sich selbst aus diesen Gedanken riss. Es wäre wirklich nicht richtig gewesen. Erinnerungen mögen für einige Zeit verloren gewesen sein, doch seine Liebe würde niemals erlischen. Roya war die einzige, die er jemals liebte und die er jemals lieben würde oder könnte. Niemals mehr könnte er wieder dieses Gefühl empfinden, das er am Tag der ersten Begegnung mit ihr hatte. Den Ausdruck ihrer Augen würde er nie vergessen. Als wenn sie all ihr Sehnen und Sein in diesem Augenblick gefunden hätte. Genau wie er all dies in ihr gefunden hatte. Niemals könnte er diesen ersten Augenblick vergessen, so wie er die letzten gemeinsamen Minuten nie vergessen könnte.

Norolind versuchte die Tränen zu unterdrücken und ließ seinen Blick weiter durch die Gruppe schweifen als ihm auffiel, wie sich ein unbekannter Kerl Selbiger näherte. Er trug einen großen braunen Hut, der einen Schatten auf sein Gesicht warf und einen Mantel in der gleichen Farbe. Norolind musterte den Unbekannten sorgfältig als er sich der Gruppe am Lagerfeuer näherte. Er wusste nicht einzuschätzen ob von dem unerwarteten Besucher eine Gefahr ausging, oder ob er nur zufällig dieser Wege ging. Norolind beobachtete den Fremden eine Weile. Am Lagerfeuer blieb er stehen und sagte irgendetwas, das Norolind aus dieser Entfernung allerdings nicht verstehen konnte. Auffällig war nur die kehlig raue Stimme des Mannes. Norolind war sich jetzt ziemlich sicher, dass von diesem Kerl keine Gefahr ausging und so verlor er schnell das Interesse an dem Treiben am Lagerfeuer.

Er griff in seinen Beutel, der neben ihm lag und kramte kurz darin herum. Nach einiger Zeit holte er einige Dinge heraus die nur noch entfernt an Essen erinnerten. Zwei halbe Brote, von denen eines einige verkohlte Stellen hatte, was auf dessen Herkunft schließen ließ, einen handtellergroßen Laib Käse und ein großes Stück Räucherspeck, welches beim Angriff auf das Dorf mit Sicherheit eine Menge mehr Rauch abbekommen hat, als es normalerweise der Fall war. Norolind besah sich kurz das verkohlte Stück Brot und versuchte hinein zu beißen. Nach dem dieser Versuch schmerzhaft an der hartgebrannten Kruste scheiterte, warf er das Brot über die Schulter und griff nach dem zweiten Stück, dessen Härte die Grenze der Erträglichkeit mit Sicherheit auch schon vor einigen Tagen überschritten hatte. Norolind griff nach seinem Säbel und schnitt, da er kein anderes Messer zur Verfügung hatte, damit ein Stück Brot ab. Die Klinge glitt mit Leichtigkeit durch den Brotlaib. Anscheinend schien er doch noch nicht so alt zu sein wie Norolind vermutete. Ein Biss in die abgeschnittene Scheibe brachte jedoch schnell die Ernüchterung. Zwar war es bei weitem nicht so hart wie das erste, doch hatte Norolind schon recht viel zu tun um es zu kauen. Er hätte sich eben lieber nicht auf eine Klinge verlassen sollen, die mit Leichtigkeit ein Haar spalten konnte.

Nachdem Norolind seine Mahlzeit verzehrt hatte, lehnte er sich etwas zurück und sah weiter sehnsüchtig in den Himmel, um langsam aber sicher in einen von allen Anstrengungen des Tages erlösenden Schlaf zu fallen.
 
Saphir warf Sungila einen Blick zu. Der Waldläufer schien gedankenverloren über etwas nachzugrübeln, wobei er gemächlich an einer hölzernen Pfeife sog. Die Elfin fragte sich, was wohl hinter dem undurchdringlichen, wettergegerbten Gesicht verborgen lag. Sie dachte darüber nach, ob er dieses Leben freiwillig gewählt hatte, oder ob er in gewisser Weise dazu gezwungen wurde. Ihr blick fiel auf ein silbriges Kettchen, mit einer Rune daran, und sie fragte Sungila, was sie bedeutete. Sungilas Augenbrauen hoben sich überrascht, als Saphir ihn ansprach. Sogleich hatte er sich jedoch gefasst und antwortete:
„Ich war früher, auf meinen Wanderungen längere Zeit zu Gast in einem Druidenhain. Dort haben mich die Älteren viel gelehrt, zum Beispiel mit meinen Fähigkeiten umzugehen, und den Fluch, der mir anhaftet, als Gabe zu sehen. Diese Rune soll mich vor Bösem beschützen, und mir dabei helfen, mich nicht außer Kontrolle geraten zu lassen.“
„Was für einen Fluch meint ihr?“
„Oh? Ihr wusstet es gar nicht. Nun, ich bin ein Werwolf“
Sungilas Mundwinkel hoben sich zu einem Grinsen, als die Elfin zusammenzuckte.
„Keine Angst. Ich bin weitgehend ungefährlich. Nur zu Vollmond solltet ihr Abstand halten. Ich…still…da kommt jemand“
Sungila und Saphir schienen sich keinen Zentimeter zu bewegen und verzogen keine Miene, doch Sungila nahm unter dem Umhang seinen Kampfstab in die Hand und Saphir zog eines ihrer Messer unter dem schwarzen Mantel aus dem Gürtel. Wenig später trat ein Mann mit Hut und Mantel an das Feuer und stellte die Frage, ob es ihm gestattet wäre, sich zu setzen. Die beiden Gefährten atmeten auf und ließen ihre Waffen unbemerkt zurück gleiten. Sungila erhob seine Stimme:
„Wenn ich mich wo hinsetzen will, setze ich mich hin, und wer mich daran hindern will, schließt Bekanntschaft mit meiner Faust.“ Er bot dem Fremden seine Hand an. „Mein Name ist Sungila, meine Begleiterin hier trägt den Namen Saphir. Setzt euch zu uns, und wenn es nur für eine kurze Zeit ist.“
 
Tim blickte zunächst auf den Stab in seiner Hand und dann auf den Mann, der ihn ihm gegeben hatte. Mealnar hatte sich an das Rad eines der Wagen gelehnt und die Augen geschlossen.
Tim fragte sich, wie man in einer solchen Situation an Schlaf denken konnte. Doch was immer dieser Totenbeschwörer da angestellt hatte, mußte ihn ziemlich erschöpft haben. Der junge Mann sah sich um und schaute sich die Mauer aus Knochen näher an, die einen Teil des Lagers gegen den Wald abschirmte. Man konnte dahinter deutliches Knurren und Scharren vernehmen und von Zeit zu Zeit wackelte sie auch etwas, doch sie schien zu halten. Von dieser Seite drohte also keine Gefahr. Fürs erste zumindest.
Also galt es, die andere Seite zu sichern. Tim sah sich um und konnte eine kleine Gestalt erkennen, die zwischen den Beinen der noch verbliebenen Wölfe herumwuselte, ihnen in die Hinterläufe schlug und sie behinderte. Dieses Wesen schien auch zu Mealnar zu gehören, denn es entfernte sich nie weit von seinem Ruheplatz. Wie herrlich wäre es doch jetzt, wenn er, Tim, auch magische Kräfte hätte. Er würde den Wölfen Flammenkugeln entgegenschleudern und sie so vertreiben. Er würde ihre Schwänze in Brand stecken, so dass sie in panischer Angst davon laufen würden.
Doch er war leider kein Magier, würde nie einer werden, das hatte man ihm in mehreren Akademien versichert.
Da entsann er sich des Stabes in seiner Hand. Mealnar hatte gesagt, dass sie drei der magischen Geschosse enthielten, die Tim ihn schon auf die Wölfe hatte abfeuern sehen. Er mußte sich nur darauf konzentrieren und dann

*ZOSCH*

Eines der Geschosse hatte sich aus dem Stab gelöst und zischte nach schräg oben ins Blätterdach davon. Es gab ein leises Knirschen und ein Regen aus Blättern und kleinen Ästen rieselte aus einem Baum herunter.
Anscheinend waren auch magische Artefakte nicht dafür bestimmt, von Tim benutzt zu werden. Vorsichtig schlich er sich zu Mealnar hinüber und legte den Stab sachte an seine Seite. Dabei bemühte er sich an etwas anderes als diesen Stab zu denken.
Seine Gedanken wanderten zu Nasha. Wo mochte sie wohl sein? Ob es ihr noch gut ging? Seit dem Morgen vor der Kirche hatte er sich nicht mehr gesehen. War es wirklich erst einen halben Tag her? Ihm kam es vor wie eine halbe Ewigkeit.
Doch für solch sentimentale Gedanken war jetzt keine Zeit. Arbeit mußte getan werden. Wenn sich niemand fand, der es schneller konnte, mußte er eben auf die altbewährte Weise ein Feuer in Gang bringen. Er spuckte in die Hände, kramte Feuerstein und Stahl aus der Tasche und machte sich an die Arbeit.
Die Knochenwand im Rücken und einen handlichen Knüppel neben sich kniete er nieder und versuchte, ein paar Reisigzweige in Brand zu setzen. Dabei schaute er immer wieder auf. Doch im Moment schien keine akute Gefahr zu drohen.
Fieberhaft arbeitete er weiter.
 
Erschöpft schritt Saraina unter den Bäumen entlang, ein Kind auf dem Arm, das andere an ihrer Seite. Helles Sonnenlicht fiel durch die Baumgipfel, warf sich ständig verändernde Muster auf den Boden und ließ den Waldrand umso dunkler und unheimlicher erscheinen, doch sie war in Gedanken versunken und hatte keine Augen dafür. Sie befanden sich auf der Reise nach Dor Gulin. Nein, es war wohl eher eine Flucht vor den Dämonen, weg aus ihrem zerstörten Dorf. Nur wenige Bewohner hatten sich rechtzeitig in Sicherheit bringen können, viele waren bei dem unerwarteten Angriff ums Leben gekommen.

Der Karren mit den Verletzten vor ihnen schaukelte über den schmalen Waldweg. Jede Erschütterung ließ die Menschen darauf aufstöhnen. Saraina fühlte jedes Mal mit ihnen, lag doch an einer Seite mit Lasubin eine der Personen, die ihr vertraut und wichtig waren. Er war ihr Schwager, und im Gegensatz zu ihrem Mann war er aus dem Kampf mit den Dämonen zurückgekehrt. Ihr traten die Tränen wieder in die Augen, als sie sich an den Moment erinnerte, als Lasubin in die Kirche getragen wurde und sie ihn nach ihrem Ehemann fragte. Obwohl sein Bauch durch einen tiefen Schnitt fast aufgeschlitzt worden war und er große Schmerzen leiden musste, so schien die wahre Pein erst bei dieser Frage zu entstehen. Seine Augen waren dunkel, als er ihr mitteilte, dass Myrtin nicht mehr am Leben war. Schon vorher hatte Saraina ein seltsames Gefühl verspürt, doch in diesem Moment schien ihr Sein einer großen Leere zu weichen. Sie war neben Lasubin auf den Boden gesunken, stumm immer wieder den Kopf schüttelnd, und hatte ihn mit tränenerstickter Stimme nach den Umständen von Myrtins Tod gefragt. Doch Lasubin konnte oder wollte ihr nicht viel sagen, und schließlich war sie aufgesprungen und zur Kirchenpforte gerannt. Hätte einer der Kämpfer sie nicht aufgehalten, sie hätte versucht, sich mit bloßen Händen durch die Dämonen zu wühlen, um ihrem Mann zu suchen. Schließlich war sie in einer Ecke zusammengesunken und in wirre Träume abgeglitten, bis…

„Mama, müssen wir noch lange laufen?“, fragte eine helle, doch müde Stimme an ihrer Seite. Saraina erwachte aus ihren Erinnerungen und sah zu ihrer Tochter hinab, die mit ihren großen braunen Augen zu ihr aufschaute. „Nein, mein Schatz, ich glaube nicht“, antwortete sie und streichelte ihr über die Wange. Ein Blick zur Sonne sagte ihr, dass es um die Mittagszeit herum sein musste. Weiter vorne schien sich der Wald zu einer Lichtung zu öffnen. „Wir werden bestimmt bald eine Rast machen.“ In Gedanken hoffte sie, dass die Kämpfer, die den Zug anführten, sich dessen bewusst waren, dass die meisten Menschen und besonders die Kinder hier nicht sehr ausdauernd und kräftig waren. Bisher hatten sich die Abenteurer nicht eben viel um das Befinden der Dorfbewohner geschert. Immerhin hatten sich etliche als Begleitschutz zur Verfügung gestellt, auch wenn Saraina vermutete, dass das versprochene Gold einen wichtigen Grund dafür darstellte.

Sie änderte die Lage von Diazon, des kleinen Nachbarssohnes, der in ihren Armen liegend eingeschlafen war, da ihr die Hand taub zu werden drohte, und schloss zum Wagen mit ihrem Schwager auf. Dort prüfte sie die Verbände von Lasubin und musste erschrocken feststellen, dass sich ein Teil der Wunde wieder geöffnet hatte. Sie sah sich nach dem Heiler um, der schon vorher um die Verletzten gekümmert hatte. Dieser kam bereits auf sie zu, und Saraina setzte zum Reden an: „Mein Herr…“ Doch der alte Mann machte sich sofort an die Arbeit, ohne auf sie zu achten. Kurz darauf nickte er und war wieder verschwunden. ‚Was soll’s, Hauptsache, er konnte helfen’, dachte Saraina bei sich und begann, nach einem prüfenden Blick auf Lasubin wieder in Gedanken zu versinken.

Doch mit einem Mal war es mit der Ruhe vorbei. In den Gebüschen am Waldrand zu rascheln, und kurz darauf brachen rudelweise Wölfe hervor. Der Zug stoppte abrupt, und wildes Geschrei und Gerenne von den Dorfbewohnern und Kämpfern setzte ein, als die Tiere begannen, die Menschen zu attackieren. Saraina war in dem ausbrechenden Chaos zuerst wie zur Salzsäule erstarrt, doch dann übernahm irgendein Charakterzug von ihr die Kontrolle. Sie zog ihre Tochter zum Wagen mit den Verletzten, bedeutete ihr, sich dort hinter dem Wagenrad zu verstecken, und legte dann Diazon daneben ab. Rasch richtete sie sich auf und zog in einer fließenden Bewegung ihren mit mehreren Juwelen verzierten Langstab vom Wagen – keine Sekunde zu früh, denn schon hatten sich zwei struppige Wölfe vor ihr aufgebaut und knurrten sie angriffslustig an.

‚Warum greifen die nur eine solch große Gruppe an’, schoss ihr noch durch den Kopf, doch für mehr Gedanken blieb ihr keine Zeit, denn schon griff das erste Tier an. Mit ziemlich viel Mühe wehrte sie die Attacke ab und landete einen Glückstreffer auf der Schnauze, was den Wolf abdrehen und sich einen andere, leichtere Beute suchen ließ. Saraina versuchte, dieselbe Stelle auch beim zweiten Wolf zu treffen, doch der war schneller, wich dem Schlag aus und biss sich in dem Stab fest. Mit aller Kraft versuchte sie, den Stab wieder frei zu bekommen, doch die Kiefer hatten sich wie Schraubstöcke um das Holz geschlossen. Ihre Arme begannen bereits zu erlahmen, und kalte Angst kroch den Rücken herauf. Sie schaute sich verzweifelt nach einer Person um, die ihr helfen könnte. Allerdings waren alle Krieger gerade mit sich selbst beschäftigt. In dem Moment sah sie aus den Augenwinkeln eine kleine braune Gestalt auf sich zu schießen, die dem Tier zwei rasche Schläge verpasste und danach wieder in dem Getümmel verschwand. Saraina war beim Erscheinen des Wesens zunächst erstarrt, wusste sie doch nicht, ob es Freund oder Feind war. Doch als sich der Biss um den Stab lockerte, besann sie sich wieder und riss ihre Waffe los. Zähne schabten auf Holz, und mindestens einer brach mit einem trockenen Knacken ab. In einer flüssigen Bewegung holte sie Schwung und ließ den Stab seitlich an den Kopf des Tieres krachen. Der Wolf jaulte auf, als sein linkes Ohr verkohlte und Flammen über sein Auge züngelten. Benommen und mit schwankendem Gang suchte er das Weite, nur weg von diesem fürchterlichen Gegner. Saraina ließ ihn ziehen, war sie doch selbst ziemlich erschöpft von diesem kurzen Gefecht, und positionierte sich mit wenigen raschen Schritten neben dem Wagen, vor ihren Kindern. ‚Ich habe den Angriff der Dämonen überlebt und dabei das verloren, was mir am wichtigsten in meinem Leben war’, dachte sie zitternd. ‚Da werde ich nicht zulassen, dass so ein paar dahergelaufene Wölfe mir auch noch das nehmen, was mir geblieben ist!’
 
Ugo tat es irgendwie leid, auf die Wölfe schiessen zu müssen. Tiere waren nicht gut oder böse, und der Angriff der Wölfe musste von irgendetwas anderem ausgelöst worden sein, aber nicht von den Tieren selbst. Kein Wolf käme auf die Idee, eine Menschenherde Mittags und in dieser unkoordinierten Art und Weise anzugreifen.
Aber was half alles Mitleid, seine eigene Rasse musste in diesem Fall verteidigt werden, und der Pfeil traf, noch bevor der Wolf den Familienvater anspringen konnte, der sich schützend vor Frau und Söhne aufgebaut hatte.

Von seiner Position auf einem niedrigen, starken Ast einer Eiche hatte Ugo eine gute Übersicht auf das Debakel vor ihm, und dazu noch freie Schussbahn überall hin. So musste er wenigstens nicht mmer warten, bis sich im Chaos eine Menschenlücke auftat und er endlich den Pfeil losschicken konnte. Nur war das Stehen etwas schwierig: Die dicken Sohlen seiner Stiefel schützten zwar herrlich vor Bodenfrost und sahen einfach stattlich aus, aber Untergrundgefühl hatte er damit keines, und das machte es ihm äusserst schwer, mit den unbiegsamen Sohlen auf dem Ast zu balancieren.
Er legte einen neuen Pfeil auf, überzog dabei aber den bogenführenden Arm zu weit nach unten. Sofort kam er ins Taumeln, als die plötzliche Gewichtsverlagerung sich an ihm rächte. In einer unmöglichen Rollenbewegung schwenkte er seinen Schwerpunkt herum, jetzt taumelte er aber nach hinten. Den Bogen hielt er schon lange nicht mehr gespannt.
Als er sich endlich wieder gefangen hatte und stabil stand, waren inzwischen sowieso schon genug Scharmützel kreuz und quer entstanden, dass selbst aus seiner Vogelperspektive kein Pfeilschuss noch sicher war. Vielleicht konnte er anderweitig behilflich sein. Also packte Ugo seinen Bogen wieder auf den Rücken, steckte den aufgelegten Pfeil in den Köcher zurück, und sprang vom Ast. Keine Sekunde zu früh, denn von irgendwo her krachte prompt ein weißes, magisches Irgendwas in den Baum über ihn. Blätter segelten diversen Holzplittern hinterher zu Boden.
"Jetzt geht es wohl richtig los" murmelte Ugo mit eingezogenem Kopf.

Er schlich sich nach links um das Schlachtfeld herum, auf der Suche nach einer günstigeren Schussposition als der alten, als ihm die Gestalt Maelnars ins Auge fiel, der am Boden lag. Schon wieder bewusstlos, der Arme?
Neben ihm hockte ein Halbstarker, der sich mit allen Kräften bemühte, einen kleinen Holzhaufen zum Brennen zu kriegen.
Feuer im Wald zu machen?! Nun gut, hier war alles so feucht, dass wohl kaum der gesamte Forst in Flammen untergehen würde. Und die Wölfe würden sich vielleicht genug vor dem Feuer fürchten, um endlich zu fliehen.
Aber so würde sich das noch ewig hinziehen!
Ugo machte einen Satz über eine seltsam weißliche Barrikade (was ist das denn für ein Zeug?) und marschierte in Eile auf den dahockenden Jungen zu, während er hinter dem Rücken im Reisebeutel nach Zunderbüchse und Feuerstein kramte.
Beides hielt er dem jungen Mann vor die Nase, der am Boden über seinem Holzhaufen hockte.
"Ich puste, du machst Funken!" befahl er mit einem Augenzwinkern.
 
Während Tim eifrig damit beschäftig war, mit seinem Feuerstein Funken auf einen kleinen Haufen Reisig zu schlagen und dabei hoffte, dass er dadurch ein Feuer zustande bekommen würde, hatte er schließlich doch vergessen, auf seine Umgebung zu achten.
Plötzlich sah er einen Schatten auf dem Boden direkt vor sich. Er blickte auf und sah einen mittelgroßen Mann mit schwarzen Locken und sonnengebräunter Haut, der ihn mit einem schiefen Grinsen ansah. Er hielt ihm eine Zunderbüchse entgegen.

"Ich puste, du machst Funken"

Tim nahm die Büchse dankbar entgegen. "Wunderbar, damit sollte es wesentlich schneller gehen. Habt vielen Dank. Mein Name ist übrigens Tim, und wie heißt ihr?"

Während er sprach, holte er ein gutes Stück Zunder aus der Dose und legte es auf den Boden. Der Fremde ging mit geschmeidigen Bewegungen in die Hocke und beugte sich dann herunter, um die aufkeimenden Flämmchen mit seinem Atem zu unterstüzen.
Eilig fing Tim an Funken zu schlagen, doch der Erfolg wollte sich nicht so recht einstellen. Doch dann plötzlich sprang ein Funke in den trockenen Zunder. Sofort gab es eine Stichflamme und die beiden Männer sprangen überrascht zurück.
Doch dann fassten sie sich wieder und begannen, trocknes Reisig und kleinere Äste aufzuschichten.
"Ihr habt da aber wirklich Zunder von allererster Qualität, mein lieber Freund." sagte Tim zu dem Neuankömmling, während er weiter Holz nachlegte.
Langsam wuchsen die Flämmchen zu einem richtigen Feuer.
War es ihm nur so vorgekommen, oder war die anfänglich Stichflamme leicht grünlich gewesen?
 
Ein alptraumhaftes Gefühl an seiner Hand ließ Maelnar zusammenfahren und aus seinem dösenden Zustand erwachen. Von Grauen erfüllt blickte er an sich hinab. Doch auf seinem Handrücken hatte sich nur ein kleiner brauner Käfer nieder gelassen, der sich bei der Bewegung in die Lüfte erhoben hatte und nun im nächsten Gebüsch verschwand. Maelnar sah ihm mit gerunzelter Stirn hinterher, dabei rieb er sich gedankenverloren die Hand. Schließlich schüttelte er den Kopf. Mit einem raschen Rundblick überschaute er das Kampfgeschehen. Noch immer griffen die Wölfe an, zwar nicht mehr so zahlreich, doch noch immer verbissen, beinahe fanatisch. Der Ritter, oder Paladin, oder was auch immer diese Person war, hatte inzwischen so etwas wie eine Kampfesordnung hergestellt, und auch die Dorfbewohner hatten aufgehört, wie kopflos durch die Gegend zu rennen. Stattdessen kauerten sie nun ängstlich unter und neben den Wagen, falls sie nicht waffenfähig waren und sich gerade gegen die Angreifer verteidigten.
Neben Maelnar, im Gebüsch bei der Knochenwand, raschelte es hörbar, und hin und wieder konnte er kratzende und schabende Laute vernehmen. Als er genauer hinschaute, sah er mehrere Wölfe, die wohl im Schutze der überhängenden Zweige versuchten, den Wall zu unterhöhlen. Mit einem geistigen Befehl setzte er seinen Golem, der schon unruhig umher gelaufen war, und den Geisterwolf dorthin in Marsch. Das Rascheln wurde stärker, und hin und wieder wurde es von Knurren und anderen Lauten übertönt. Schließlich herrschte wieder Stille. Nach einer Weile tauchte nur der Lehmgolem wieder aus dem Gebüsch auf, sein Wolf blieb jedoch verschwunden. Auch die Verbindung, mit der das Geschöpf an ihn gebunden war, konnte er nicht mehr spüren. Nun, zumindest hatte es gute Dienste geleistet.

Stimmen in seiner Nähe nahmen Maelnars Aufmerksamkeit in Anspruch. Er erkannte Ugo und den jungen Mann namens Tim, der ihn vorhin um Hilfe angesprochen hatte. Beide versuchten anscheinend gerade, ein Feuer in Gang zu bekommen. Das wollte allerdings nicht so recht gelingen. Maelnar vermutete, dass das an dem Holz liegen musste, was wahrscheinlich ziemlich feucht war, wurde doch selbst jetzt nur der Boden des Weges von den Sonnenstrahlen erreicht.
Mit geschlossenen Augen und wieder an das Rad gelehnt, dachte er nach, wie er den beiden helfen konnte, auch wenn er nicht so recht wusste, wofür sie das Feuer brauchten. In Gedanken ging er sein Repertoire an Sprüchen und Flüchen durch. Allerdings fiel ihm auf die Schnelle kein geeigneter Zauber ein, da die meisten nur auf lebendige Materie oder denkende Wesen wirkten. Also versuchte Maelnar, sein Ziel anders zu erreichen. Er musste einen Spruch finden, der das Holz besser brennen lassen würde. Oder aber einen Zauber, der den Widerstand des Materials gegen Feuer senken würde?! So einen Fluch kannte er in der Tat, auch wenn dieser wohl noch nie auf etwas anderes als Dämonen angewendet worden war. Nun, einen Versuch war es wert. Er konnte sich ja auch selbst heilen, wieso sollte das nicht ebenfalls möglich sein?

Maelnar konzentrierte sich, so gut es ihm in seinem derzeitigen Zustand möglich war, und öffnete dann seine Augen. Darauf achtend, dass er nur auf das Reisig zielte und nicht aus Versehen mit dem Spruch auch seine beiden Gefährten traf – wollte er doch nicht deren Selbstentzündung riskieren – murmelte er die entsprechenden Worte. Sofort darauf schoss eine Stichflamme in die Höhe, was die zwei Männer an der Feuerstelle zurückfahren und Maelnar selbst zusammenzucken ließ. Doch als er sah, dass den beiden nichts passiert war, beruhigte sich sein Atem wieder, und ein Grinsen begann, sich auf seinem Gesicht breit zu machen. Hatte der Versuch also doch funktioniert. Zugegeben, die Reaktion war etwas heftig gewesen, aber vielleicht war das Holz eh schon nahe am Entzünden gewesen. Nun, jedenfalls hatten die beiden jetzt ihr Feuer. Er würde sich jedenfalls noch etwas ausruhen…
 
Der Morgen war herangebrochen, und Ayden saß auf dem Boden und hielt sich seine taub gewordene Hand. Er hatte bei dem Versuch Lilly zu wecken den Fehler gemacht und sanft an ihrer Schulter gerüttelt. Aus dem Schlaf gerissen hatte Lilly unbewusst einen glücklicherweise schwachen, aber dennoch schmerzhaften elektrischen Schlag abgegeben, der durch den direkten Kontakt in Ayden überging. Noch im Halbschlaf drehte sie sich zu ihm um.
„Guten Morgen. Was ist mit eurer Hand passiert,“ fragte sie mit verschlafener Stimme.
„Ich habe versucht euch zu wecken,“ antwortete er mit gequältem Lächeln, „und dabei habe ich einen Schlag von euch bekommen.“
„Verzeiht mir, aber das wollte ich nicht,“ sagte sie, „aber es ist besser mich nicht zu berühren wenn ich schlafe, im Schlaf habe ich keine Kontrolle über meine Kräfte.“
„Das habe ich gemerkt,“ erwiderte Ayden mit einem Lachen, „aber es ist ja nichts passiert, und meine Hand wird schon wieder, ich bekomme langsam wieder Gefühl.“
„Gut,“ entgegnete Lilly, gähnte herzhaft und stand auf, „ich könnte ein Pferd vertilgen, ich werde mich auf die Suche nach etwas essbarem begeben.“
„Passt auf euch auf, draussen könnten noch vereinzelte Dämonen lauern,“ rief er ihr hinterher, doch sie war schon beim Kirchentor angekommen. Als sie das Portal aufstieß stockte ihr kurz der Atem. Eine dicke Rauchwolke hing über dem kleinen Dorf, die meisten Gebäude ausser der Kirche und einigen wenigen Häusern standen in Flammen oder waren bereits ausgebrannt und überall lagen Leichen, menschliche und dämonische. Die Luft war angefüllt vom bestialischen Gestank von verbranntem Holz und verwesender und verbrannter Leichen. Der Kirchenvorhof bot das schaurigste Bild von allen. Hier lagen die meisten Leichen, vor allem dämonische, aber auch viele Menschen, Frauen, Männer, sogar Kinder. Etwa 20 Meter links von ihr lag ein schlafender Kämpfer mit einer Art Musikinstrument im Mund, in einiger Entfernung ging die Assassine, die ihr gestern in der Kirche aufgefallen war auf eine Gruppe von Menschen, augenscheinlich Söldner, zu. Einen Moment lang überlegte Lilly ob sie der Assassine nicht einen kleinen Blitz vom Himmel schicken sollte um das Problem ein für alle Mal aus der Welt zu schaffen, aber sie entschied sich dann dagegen. Sehr wahrscheinlich würde sie auf diese Entfernung nur die Söldnergruppe, nicht aber das Ziel töten, ausserdem war jeder Kämpfer für die bevorstehende Reise wertvoll.
Lilly trat aus der Tür ins Freie und ging den kleinen Hügel hinunter ins Dorf. Aus den Augenwinkeln sah sie noch wie ein großer Kerl, wahrscheinlich ein Barbar, die Assassine am Arm anfasste, aber sie kümmerte sich nicht weiter drum und ging weiter. Weiter von der Kirche entfernt sah das Schlachtfeld gar nicht mehr so grausam aus, obwohl vom Stadttor nur noch ein Krater übrig geblieben war und die Häuser auch zum Teil mit Blut besudelt waren. Wahllos betrat Lilly eines der wenigen Häuser die nicht vollständig abgebrannt waren, doch auch hier war nicht wirklich viel an eßbarem zu holen. In einem Schrank im oberen Geschoss des Hauses fand sie einen Laib Brot den sie in ihren Gürtel steckte, dann verließ sie das Haus wieder und machte sich auf den Rückweg in Richtung Kirche. Wieder musste sie über den grauenvollen Kirchenvorplatz, wieder stieg ihr der Gestank in die Nase und wieder war sie kurz davor sich zu übergeben. Doch sie nahm sich zusammen, schritt an den Leichen vorbei und betrat die Kirche.
In einer Ecke standen dichtgedrängt mehrere Krieger um eine Karte und diskutierten. Lilly gesellte sich zu ihnen, lauschte erst einmal ihren Ausführungen und begann dann sich an der lebhaften Diskussion über den besten Weg nach Dor Gulin zu beteiligen. Nach langem hin und her, in dem Lilly auf den Weg über die befestigte Strasse plädiert hatte einigte man sich darauf einen Spähtrupp, dessen Aufgabe es war falsche Spuren zu legen über die Strasse zu schicken, während der Hauptteil der Krieger die Verwundeten durch den Wald geleiteten. Lilly hatte sich dem Spähtrupp angeschlossen, da ihre Kräfte im Wald so gut wie nutzlos waren und sie sich wohler fühlte wenn sie die Zahl ihrer Gegner einschätzen konnte.

Nach Ende der Lagebesprechung begab Lilly sich wieder zu Ayden, der gerade damit beschäftigt war die Wunden eines schwer verletzten, etwa zehnjährigen Mädchens zu versorgen.
„Glaubt Ihr sie schafft es,“ fragte sie ihn mit schwerer Stimme.
„Ich weiß es nicht,“ entgegnete er, „doch wenn sie bis heute Abend überlebt stehen ihre Chancen nicht schlecht. Die Wunden sind tief und bösartig, und ich weiß nicht ob sie je wieder so laufen können wird wie früher, doch das wird der Preis sein den sie für ihr Überleben zahlen muss.“
„Ich werde sie in meine Gebete mit einschließen,“ sprach Lilly, „doch jetzt zu etwas anderem. Ich wollte mich von Euch verabschieden. Unser Trupp bricht jeden Augenblick auf, und wir werden uns erst vor Dor Gulin wieder sehen wenn alles gut läuft. Ich wünsche Euch Glück, ihr werdet es brauchen.“
„Ich danke Euch,“ erwiderte Ayden, „doch wünsche ich Euch auch Glück. Möge euer Mut eines Tages belohnt werden.“
Lilly trat einen Schritt an Ayden heran, legte ihre Arme um seinen Hals und gab dem verdutzen Heiler einen zärtlichen Kuss auf die Wange. Sie zog einen silbernen Ring mit einem kleinen, kostbaren, hellblauen Stein vom Finger und legte ihn ihm in die Hand.
„Dieser Ring soll Euch an mich erinnern falls mir etwas zustößt, und er soll euch beschützen. Falls ihr in Bedrängnis geraten solltet zieht ihn an und wartet was geschieht,“ sagte sie. Dann drehte sie sich um und verließ ohne ein weiteres Wort die Kirche durch das Portal, wo der Spurentrupp schon auf sie wartete. Ein kurzes Nicken von Lilly in Richtung der Assassine reichte, und der Trupp setzte sich in Bewegung.

Als die Sonne den Horizont mit einem majestätischen, roten Leuchten küsste beschloss die Gruppe zu rasten. Sie waren nur ein kleiner Haufen, aber fast unverletzt und hatten einen stattlichen Weg bis hierher zurückgelegt. Lilly hatte sich unterwegs die anderen Mitglieder des Trupps angesehen, und einige hatte sie wiedererkannt. Da war der Mann den sie am Morgen mit dem Musikinstrument gesehen hatte. Da war auch die Assassine, bei der sie immer noch ein mulmiges Gefühl beschlich, doch im Moment war sie sicher, soviel wusste sie. Genauso waren die Elfin, ein seltsam anmutender, zerlumpt aussehender Mann sowie verschiedene Männer die sie noch nie zuvor gesehen hatte.
Sie setzte sich leise neben den Mann mit dem Musikinstrument, der anscheinend schlief. Vorsichtig holte sie den Laib Brot aus dem Gürtelfach, zog ihren Dolch aus dem Stiefel und schnitt eine Scheibe des trockenen, aber dennoch eßbaren Brotes ab. Als sie das erste Stück des Brotes aß bemerkte sie dass der Mann neben ihr anscheinend doch nicht schlief.
„Ihr seht hungrig aus, darf ich Euch ein Stück von diesem Brot anbieten?“ fragte sie den Mann.
„Vielen Dank aber ich habe keinen Hunger,“ antwortete der Mann mürrisch und starrte weiter in den Himmel.
„Ihr müsst essen. Wir haben morgen einen weiten, anstrengenden Weg vor uns, wenn Ihr nicht esst werdet Ihr es kaum schaffen,“ entgegnete Lilly.
„Ihr braucht mir nicht zu erzählen wie man überlebt. Darin kenne ich mich bestens aus,“ erwiderte er, und warf einen flüchtigen Blick auf Lilly.
„Das glaube ich Euch, doch in diesem Fall irrt Ihr. Ich habe vorhin gesehen wie Ihr Euch mit Eurem Brot vergebens abgemüht habt. Ihr solltet meinen Rat befolgen wenn ihr weiterhin der Gruppe nutzen wollt,“ sagte Lilly mit deutlicher Stimme.
„Nun gut...*seufzt*..um Eure Sorgen zu zerstreuen nehme ich Euer Angebot an,“ erwiderte er mit dem Ansatz eines Lächelns.
Lilly schnitt ein weiteres, großes Stück von dem Brotlaib ab und gab es dem Mann, der es nahm und zu essen begann.
„Ich bin Lilly, meines Zeichens Magierin,“ begann sie, „und dürfte ich erfahren wer Ihr seid?“
„Mein Name ist Norolind. Meins Zeichens...ach vergesst es,“ brach der Mann ab.
„Nun gut. Kennt ihr die Streiter mit denen wir losziehen?“ fragte Lilly.
„Nun ich kenne sie nicht so gut wie ich es vielleicht gern wollte, aber ich bin es sowieso gewohnt nur auf mich gestellt zu sein. Warum fragt ihr?“ entgegnete er ihr.
„Ich frage aus reiner Neugier,“ sagte Lilly, „denn ich möchte schon wissen für wen ich vielleicht mein Leben aufs Spiel setze. Oder wer das Seine für mich riskiert.“
„Nun,“ begann er und holte Luft, „der Name dieser Frau dort drüben ist Saphir,“ sagte er und deutete auf die Elfe. „Ich hab an ihrere Seite gekämpft als das Dorf angegriffen wurde. Sie scheint mit eine sehr mächtige Magierin zu sein.“ „Ihr Name ist Aurora,“ fuhr er fort und deutete auf die Assassine. „Sie scheint der Attentäter-Gilde anzugehören. Der Rest ist mir unbekannt.“ Er näherte sich ihr etwas und sagte mit leiser, warnender Stimme: „Und nehmt Euch vor dieser Söldnertruppe in Acht.“
„Ich danke Euch,“ erwiderte Lilly, „Ihr habt mir sehr weiter geholfen. Doch nun sollten wir versuchen ein wenig Schlaf zu bekommen. Wir werden sehr früh wieder aufbrechen, jede Minute ist kostbar.“
„Ja...das sollten wir wohl,“ entgegnete Norolind.
„Ich wünsche Euch eine angenehme Nachtruhe,“ sagte Lilly noch, doch Norolind beachtete sie nicht mehr.

Sie packte den Rest des Brotes wieder in ihren Gürtel, steckte ihren Dolch weg und legte sich auf die Seite. Doch ihre letzten Gedanken galten Ayden, bevor sie in Morpheus Arme fiel.
 
Saraina

Wachsam neben dem Wagen stehend beobachtete Saraina den Verlauf des Kampfes. Die Verteidiger hatten sich mittlerweile gefangen, nicht zuletzt dank der Anweisungen des Ritters. Viele Wölfe lagen tot oder schwerstverletzt über die Lichtung verstreut. Den wütenden Angriffen der verbliebenen Tiere tat das allerdings keinen Abbruch. Als plötzlich der Geruch von Rauch ihr in der Nase stieg, stutzte Saraina; wo kam das her? Sie sah sich suchend um. Ganz in ihrer Nähe hatten zwei junge Männer es tatsächlich geschafft, mit dem feuchten Holz des Waldes ein Feuer zu entfachen. Da hatten die beiden eine guten Idee gehabt, mit brennenden Ästen würde es wahrscheinlich viel einfacher sein, die Tiere auf Abstand zu halten, denn wenn die vor etwas Angst hatten, dann würde das Feuer sein.

Als ihr Blick wieder zurück zum Kampfesgeschehen glitt, fiel Saraina eine kleine, gedrungene Gestalt auf, die zusammengekrümmt am Rand des Weges, im Schatten eines großen Busches lag. War das ein Kind, das dort lag? Warum war es nicht bei seinen Eltern? Sie musterte die Gestalt, doch auch bei genauem Hinsehen konnte sie nicht herausfinden, um wen oder was es sich handelte, dazu war einfach zuviel Schatten an dieser Stelle. Sollte sie die Gestalt retten und in die halbwegs sichere Nähe der Wagen holen? Dazu musste sie allerdings ihre Familie kurzzeitig allein lassen. Zwar konnte sie mit einem raschen Rundumblick keine offensichtliche Gefahr entdecken. Doch irgendetwas musste sie zur Verteidigung hier lassen, für den Fall der Fälle. Da fielen ihr wieder die beiden jungen Männer ein, und mit ein paar raschen Schritten stand sie vor ihnen. Nach ein paar rasch gewechselten Worten nahm sich Saraina eine der bereitliegenden Fackeln, kehrte zum Wagen zurück und drückte den brennenden Ast ihrer Tochter in die Hand: „Halina, du musst jetzt kurz tapfer sein und auf Diazon und deinen Onkel aufpassen. Da vorne neben dem Busch liegt jemand, was bestimmt ein Kind ist, und ich will nicht, dass ihm etwas passiert. Ich bin gleich wieder da.“

Sie drückte Halina nochmals fest an sich und ging dann mit eiligen Schritten in Richtung Waldrand, ihren Stab in einer Hand. Sie hörte Halina ihr noch etwas hinterher rufen, aber sie drehte sich nicht mehr um. Doch auf halbem Wege stockten ihre Schritte – das war bestimmt kein Kind, was dort lag. Sie erkannte jetzt eine Rüstung, die halb unter einem roten Umhang verborgen war, und auch der lange Bart deutete darauf hin, dass dies nur ein Zwerg sein konnte. Saraina zögerte, sollte sie ihn trotzdem retten? Mit einem raschen Blick zurück vergewisserte sie sich, dass bei Halina noch alles in Ordnung war. Nun denn, da konnte sie es wagen, sie war ja schon fast da. Als sie den Zwerg erreichte, umschlang sie seinen Oberkörper mit dem rechten Arm, unter seinen Armen hindurch greifend, und hob ihn an. Uff, der war doch etwas schwerer als erwartet. Langsam Stück für Stück rückwärts laufend machte Saraina sich auf den Rückweg, wobei die Beine des Zwerges auf dem Boden schleiften. Als sie nach einer kleinen Ewigkeit den Wagen erreicht zu haben glaubte, drehte sie sich um und erstarrte vor Schreck.

Sie hockte neben Diazon auf dem Boden unter dem Wagen und sah ihm zu, wie er eine Raupe immer wieder über einen Zweig kriechen ließ. Soviel war in den letzten beiden Tagen passiert. Zuerst hatte das Turnier begonnen, dann hatten böse Wesen das Dorf angegriffen, und schließlich waren sie auf diese große Reise aufgebrochen. Ihren Vater hatte sie seit gestern nicht mehr gesehen, und sie wusste nicht, wo er war. Aber vielleicht ging ja auch einer ihrer größten Wünsche in Erfüllung, vielleicht konnte Diazon für immer bei ihnen bleiben, und sie bekam endlich ihren lang ersehnten Bruder.
Plötzlich wurden sie von ihrer Mutter, die mit einem brennenden Ast vor ihr hockte, aus den Gedanken gerissen. Ihr Herz klopfte ihr bis zum Halse, als ihr aufgetragen wurde, auf Diazon und Onkel Lasubin aufzupassen. Endlich könnte sie auch etwas Nützliches, Wichtiges machen. Zögernd nahm sie die Fackel in die Hand, die Spitze mit den prasselnden Flammen weit von sich haltend. Über die Schulter ihrer Mutter hinweg schaute sie in die Richtung, in der das Kind liegen sollte, und entdeckte es beinahe im selben Moment. Wer mochte das sein? Ihre Mutter war schon ein paar Schritte entfernt, als ihr etwas auffiel. „Aber Mama…“, brach es noch aus ihr heraus. Das war doch kein Kind, sie konnte ganz deutlich eine Rüstung und einen Helm glänzen sehen. Doch ihre Mutter drehte sich nicht um, und sie war nun allein auf dieser Lichtung, inmitten fremder Menschen und bösartiger Tiere. Die Hand mit der Fackel begann zu zittern, als plötzliche Angst sie erfasste und ihr die Kehle zuschnürte. Und ihre Alpträume schienen wahr zu werden, als sie einen Wolf sich von der Seite nähern sah, der es ganz gewiss auf sie abgesehen hatte, so wie er sie mit seinen gelben Augen fixierte. Panisch sah sie sich nach Hilfe um, dabei fiel ihr Blick auf Diazon. Der Gedanke, ihn so rasch wieder zu verlieren, verdrängte mit einem Schlag einen Teil ihrer Furcht und ersetzte sie durch Entschlossenheit. Sie begann, mit der Fackel herumzuwedeln, erst langsam, dann mit immer mehr Schwung. Und sie schien damit Erfolg zu haben, denn der Wolf blieb stehen, seinen Blick auf das Feuer gerichtet. Doch dann begann er um sie herum zu schleichen, und ein bösartiges Knurren erklang aus seiner Kehle. Ihr Blick glitt, stumm um Hilfe rufend, immer wieder zu ihrer Mutter. Wann würde sie sich endlich umdrehen?


Der Blick ihrer Tochter fuhr ihr tief ins Herz. So voller Angst und Schrecken hatte sie sie noch nie angeschaut. Eilig ließ sie den Zwerg zu Boden gleiten und rannte los. Der Wolf bemerkte sie nicht, zu sehr war er auf ihre Tochter fixiert. Im Laufen holte sie mit ihrem Stab Schwung und ließ ihn mit aller Kraft auf das Tier hinunterfahren. Ein dumpfes Knacken erklang, und der Wolf brach mit einem herzzerreißenden Aufjaulen zusammen. Doch Saraina kannte jetzt keine Gnade, ein rascher und heftiger Stoß mit dem stumpfen Stabende fuhr in den Schädel und ließ das Tier zuckend sein Leben aushauchen. Sie ließ den Stab fallen und schloss ihre heftig schluchzende und zitternde Tochter in die Arme. „Ist ja gut, ich bin ja wieder da. Der Wolf kann dir nichts mehr tun.“ Für mehrere, lange Minuten hielt sie sie fest umschlossen und tröstete sie, streichelte ihr übers Haar und wischte ihr zärtlich die Tränen fort, und nahm dann auch Diazon, der ebenfalls hinzugekommen war, mit in die Umarmung auf. „Du warst sehr tapfer. Ich bin stolz auf dich.“ Das Lächeln, das sich jetzt langsam auf Halinas Gesicht ausbreitete, machte einige der Entbehrungen der letzten Tage in Saraina wieder wett.

Ihr Blick glitt zum Wolf, den sie gerade besiegt hatte. Sie entdeckte ein weggebranntes Ohr an seinem Kopf – das musste das Tier sein, das sie schon vorhin angegriffen hatte. Es hatte anscheinend nicht aufgegeben und nur auf einen günstigen Moment gewartet. Ein kalter Schauer lief ihr den Rücken hinunter, was hatte das Tier nur so angestachelt?
Sarainas Blick wanderte weiter zum Zwerg, der gerade aus seiner Ohnmacht erwachte. Jetzt konnte sie ihn ausgiebig mustern. Ihr fielen an ihm die hervorragend verarbeitete und schmuckvoll verzierte Rüstung und sein langer Bart auf, sowie der rote Umhang, der jedoch beim Transport über den Waldboden ziemlich gelitten hatte. Sie zuckte zusammen und musste beinahe gleichzeitig lächeln, als sie die nicht eben leise gestellte Frage von Diazon vernahm, was das für ein Wesen sei. Leise flüsterte sie ihm die Antwort ins Ohr, und dass er sein Gegenüber nicht lange direkt anschauen solle, da dieser das bestimmt nicht mögen würde.
Der Zwerg hatte sich inzwischen halb aufgerichtet und schaute etwas orientierungslos umher. „Arrghh“, stöhnte er und hielt sich dabei den Kopf, „was ist passiert? Was hat mich getroffen?“ Sein Blick blieb an Saraina hängen, die gerade zur Antwort ansetzte. „Das weiß ich leider auch nicht. Ich habe Euch dort vorne am Waldrand gefunden.“ Sie erhob sich. „Ihr seid am Kopf verletzt. Wenn Ihr erlaubt, werde ich mir Eure Wunde ansehen.“ Doch der Zwerg zuckte zurück: „Bleibt mir vom Leibe, Weib“, grummelte er und hob abwehrend eine Hand. Saraina blieb stehen und sah ihn prüfend an. „Ihr solltet das nicht auf die leichte Schulter nehmen, denn Ihr blutet aus der Wunde. Ihr könntet ernsthaft verletzt sein. Hier“, sie zog ein Tuch aus ihrem Beutel, „nehmt wenigstens dies hier und presst Euch selbst die Blutung ab.“ Zögernd nahm der Zwerg das Tuch entgegen und roch misstrauisch daran. Dann schien ihm etwas einzufallen, denn er ließ den Gegenstand sinken und schaute sich suchend um. „Wo ist mein Hammer?“ „Ich konnte leider nur Euch selbst retten. Eure Waffe liegt wahrscheinlich noch dort hinten im Gebüsch.“ Ihr Gegenüber grummelte etwas in seinen Bart, erhob dann sich schwerfällig und wandte sich um. Saraina vernahm noch so etwas wie ein gebrummtes Danke, bevor der Zwerg, ohne sich nochmals umzuschauen, schwankend die Schleifspur seiner Beine entlang ging. Nach kurzem Suchen zog er etwas aus dem hohen Gras am Waldrand und wandte sich dann dem Kampfesgetümmel zu, in dem er kurz darauf verschwunden war.
 
Nicht viel Zeit war vergangen, seit Corvin seine volle Kraft wiedererlangt hatte. Nachdem er sich vom lähmenden Bann des Waldes befreit hatte, konnte er mit jedem Schritt, den er tat, deutlichere Signale wahrnehmen. Ohne auch nur eine Sekunde zu pausieren, richtete er seine Konzentration auf jede vermeintliche Gefahrenquelle, tastete seine Umgebung nach jeder Verändung ab und wählte den sichersten Weg, vorbei an Bäumen, Wurzeln und sogar um scheinbar harmlose Äste herum. Er suchte nach dem höchsten Ort in direkter Nähe, um von dort aus seine gesamte Energie nutzen und jeden Wolf orten zu können, denn er hatte keine Lust ahnungslos in eine Falle zu tappen.
Endlich fand er, wonach er gesucht hatte - eine deutliche Steigung, bedingt durch harten Fels, nur wenige hundert Meter entfernt.
Am Ziel angekommen, prüfte der von Hunger getriebene Reisende erneut die Sicherheit seiner Position, sowie den Baum, hinter dem er sich zu verstecken suchte und kniete sich schließlich auf den erdigen Boden. Perfekt. Nichts blockte seine Gedankenströme, er hatte freie Bahn.

Nur wenige Sekunden später lag Corvin ausgestreckt auf dem Boden, als wäre er vom Schlag getroffen worden. In direkter Umgebung herrschte Totenstille, nichts rührte sich, als hätte die Zeit angehalten. Mehrere Minuten lang stand dieser kleine Teil der Welt still.
Dann, ganz langsam, fiel ein leicht gelblicher Nebel über die Landschaft, verteilte sich und füllte den gesamten Luftraum aus. Suchte nach Leben. Ein Wind kam auf und trieb die Nebelschwaden von der Erhöhung ab, hinunter, hinein in das Kampfgeschehen. Ein schwacher Geruch, der an Staub und Moder erinnerte, begleitete die Substanz auf ihrem Weg. Immer mehr breitete sich der Nebel aus und tastete alles ab, das seinen Weg kreuzte. Er schien überall zu sein, wie ein Echo in hohem Gebirge. Die Konturen des Waldes verschwammen sanft und puzzelten sich erneut zusammen, die Luft selbst schien für einige Momente zu vibrieren, sobald der Wind sie antrieb.
Wölfe. Immer mehr. Menschen. Sogar Elfen, und auch Zwerge. Verschiedenartigste Wesen überall. Sie kämpften um ihr Leben. Vögel, die die Flucht ergriffen und laut zwitschernd Alarm schlugen. Lärm. Schreie, in unbeschreiblicher Vielfalt. Blut und Schmerz in Massen. Angst. Zorn. Sogar Liebe, da und dort. Totales Chaos, ein brodelndes Gemisch von Empfindungen höchsten Ausmaßes, ausgehend von kriegerischen und sogar magischen Wesen aller Art. Was hatten Kinder hier zu suchen? Wahn und Leid drang hervor. Feuer. Vereinzelte Magie. Was trieb die Wölfe an?
Corvin spürte, wie er angesichts solch einer gewaltigen Flut von Informationen allmählich die Kontrolle verlor. Noch war er nicht in seiner Gefahrenzone, doch könnte er schnell abdriften und den Bund zu seinem Körper verlieren. Er befahl den Nebel zurück. Ebenso langsam wie dieser über das Schlachtfeld gezogen war, zog er sich wieder zurück, diesmal jedoch sammelte er sich direkt über Corvins Brust und verharrte dort als kleiner, giftgelb leuchtender Tropfen, wartete auf die Rückkehr seines Meisters.

Wieder erwacht, atmete Corvin erst einige Male tief durch und rieb sich Beine und Arme, welche in den wenigen Minuten eiskalt geworden waren, bevor er nach getaner Arbeit seine Restenergie auf die zurückgebliebene Essenz richtete. Der Tropfen fiel direkt auf jene Stelle seiner Brust, an welcher der Stein plaziert war. Ein leichtes, kurz anhaltendes Brennen auf der Haut, dann war er verschwunden, mit Fleisch und Stein verschmolzen.
Corvins Kopf war voll mit den Dingen, die er während seiner körperlichen Abwesenheit gesehen und gefühlt hatte. Die Antwort auf die Frage nach dem Grund dieser doch recht großen Schlacht hatte er nicht finden können, das verwunderte ihn ein wenig. Auch jetzt konnte er sich beim besten Willen nicht denken, welchen Antrieb die Wölfe nun wirklich hatten, so einen großen Haufen Krieger und Magier anzugreifen. Und warum überhaupt an diesem Ort, in diesem verhexten Wald? Er erinnerte sich, während seiner Erkundung ein Dorf oder eine Stadt in der Nähe gefühlt zu haben. Eine Flucht? Wäre möglich. Aber vor was? Kein einziger Wolf hatte den Wald verlassen.
Corvin entschied, die Antwort auf seine Fragen erhalten zu wollen, also machte er sich wieder auf den Weg, zu dem Schlachtfeld, in die Gefahr. Er hatte zwar keine Waffe und keinen Schutz, und seine geistige Kraft war so gut wie aufgebraucht, doch eine Möglichkeit gab es noch, zwischen all den herumstreifenden Wölfen hindurch und zu den kämpfenden Flüchtlingen zu gelangen.
Glück.
 
„Vita…“ knurrte der Hauptmann, als er im Gehen über seine Schulter lugte und mit prüfendem Blick die Soldaten zählte. Er ließ seine Männer weitermarschieren und blieb stehen, um auf den letzten seiner Truppe zu warten. Noch nie hatte der Hauptmann einen dermaßen undisziplinierten Kämpfer in seiner Truppe, konnte auf ihn jedoch aufgrund anderer Fähigkeiten nie auf ihn verzichten. „Zum Glück sind normale Frauen gehorsamer… wo kämen wir da sonst hin?“ ging es ihm durch den Kopf, während er Vita kurz musterte. Sie wirkte wie ein Landstreicher in Rüstung. Einige helle Stellen auf dem Kettenpanzer reflektierten das Licht ihrer Fackel – diese Rüstung muss des Öfteren geflickt worden sein, im Gegensatz zum Waffenrock, der überall Risse aufwies. Das rote Kreuz war blass, die Stiefel ausgeleiert und der Helm sah aus, als wäre er auf einem Schlachtfeld aufgelesen worden.
Vita achtete nicht auf die Umgebung, sondern setzte gemütlich einen Fuß vor den anderen und schlenderte genau in den Hauptmann hinein. Zuerst wagte sie nicht, sich zu rühren, dann wich sie ruckartig zurück, stotterte etwas Unverständliches und schloss sich wieder dem Trupp an. „Vita!“ rief er ihr nach. Die Paladin drehte sich schnell um. „Ja, Hauptmann?“ – „Wenn ihr euren vollen Sold für diesen Marsch wollt, dann…“ – „Ich habe verstanden, Hauptmann.“ Ein Salut, dann gesellte sich Vita schnell in die Reihen der Soldaten.

„Halt! Hört ihr das?“ fragte der Hauptmann leise, aber mit aufgeregtem Unterton und gab den Soldaten ein Handzeichen, stehen zu bleiben. „Herr Hauptmann, dort hinten sind Lichter! Dort schreit jemand!“ Durch das Dickicht aus Ästen kam der Späher des Stoßtrupps und berichtete aufgeregt von dem, was er sehen konnte. „Das könnte es sein… Männer! Zieht die Waffen und hebt eure Schilde, wir werden nach dem Rechten sehen!“
Seufzend umklammerte Vita den Griff ihres Schwerts mit beiden Händen und achtete genau auf die Schritte der wabernden, humanoiden Wesen vor ihr, damit sie heute nicht noch einmal stolpern musste. Ihre Schritte, genau wie die der Soldaten, waren unsicher und zaghaft, weil keiner wusste, was auf sie zukommen würde.

Als sich der Trupp dem Kampf auf dreißig Fuß näherte und hinter ein paar Büschen versteckte, konnte Vita schon die angespannten Auren spüren und die Rufe und Schreie hören.
„Das… das sind ja Tiere! Wölfe!“ wunderte sich der Hauptmann und zog eine Augenbraue in die Höhe. „Hauptmann… da scheint etwas nicht zu stimmen…“ meinte ein Soldat und deutete auf die Kämpfer. „Ein normales Wolfsrudel wäre schon längst wieder geflüchtet… denke ich.“ Mit einem Blick, der aussagte, dass ihm das nicht wirklich geheuer war, nickte der Hauptmann. „Wir werden diesen Menschen helfen. Ich sehe eine Verteidigungslinie, also muss sich unter ihnen auch ein Anführer befinden. Die Götter stehen ihnen wohl bei… wir werden geschlossen auf sie zustürmen und an dieser Front unterstützen! Keine Fragen! LOS!“ Er stieß einen Schrei aus, und die anderen taten es ihm nach.
Wie aus heiterem Himmel sprangen knapp ein Dutzend Soldaten hinter den Büschen hervor, preschten gegen ein paar Wölfen und stellten sich mit gezogenen Waffen neben die Verteidiger, um sie mit allem zu unterstützen, was sie zu bieten hatten. Keine fragte, wer sie waren oder was sie hier suchten, sonder nur allgemeine Erleichterung machte sich breit. Und Hoffnung.
Mitten im Getümmel wurde Vita aus den Kampfesgedanken gerissen und schien um sich zu blicken. „Was…“ murmelte sie, ließ ihr Schwert fallen und sprang über einen Wolf hinweg hinter die Verteidigungslinie. Es war eine sehr starke Aura, die sie dorthin zog, und nun hatte Vita sie vor sich. „Ein Paladin…“ schoss es ihr durch den Kopf, bis sie merkte, was hier im Gange war. Der Paladin hatte keine Waffe und kämpfte verzweifelt am Boden mit einem dieser wild gewordenen Tiere um sein Leben.
„Du verdammtes Biest!“ Voller Rage warf sie sich gegen den Wolf und schlug wie besessen mit ihren Panzerhandschuhen auf den Kopf des Tieres ein. Der Wolf schien sich nach wenigen Schlägen nicht mehr zu wehren, doch sie hockte immer noch auf ihm und schlug immer und immer wieder auf ihn ein. Bis die Aura unter ihr erlosch.
 
Diese Wölfe waren wirklich verdammt zähe Biester. Auch wenn schon über die Hälfte von ihnen verwundet oder tot am Boden lag, zeigten die übrigen immer noch keinerlei Anzeichen, sich zurückzuziehen. Im Gegenteil, sie schienen nur noch aggressiver zu werden. Wirklich seltsam. War es vielleicht das, was die Dorfbewohner mit ‚verhext’ gemeint hatten? Oder hatten die Tiere einfach nur Tollwut? Nein, das war es nicht: kein Schaum vorm Maul, kein unkoordiniertes Verhalten.
Tatsächlich war ihr Verhalten sogar außerordentlich koordiniert: Zweier- und Dreiergruppen griffen jeweils einen Bewaffneten an, während sich einzelne Wölfe auf Kinder oder Verwundete stürzten. Nicht wenige der Dorfbewohner waren schon blutend und schreiend zu Boden gegangen und der Ritter hatte alle Hände voll zu tun, den Rest davon zu überzeugen, nicht voller Panik zum Dorf zurückzurennen.
Die hastig aufgestellte Verteidigungslinie vor einem der Wagen hielt zwar problemlos stand, aber es liefen noch genug einzelne Grüppchen von Leuten herum, besonders kopflose Eltern auf der Suche nach ihren Kindern und einige Kämpfer, die auf Anweisung des Ritters hin versuchten, beide in Sicherheit zu bringen.
Unter dem zweiten Karren versteckte sich auch noch jemand und daneben hatten zwei junge Männer offenbar einen kühlen Kopf bewahrt und ein Feuer entfacht, das die Wölfe hoffentlich noch eine Weile von ihnen fernhielt.
Abrupt wurde der Ritter aus seiner Situationsaufnahme gerissen, als plötzlich jemand vor ihm stand. Er identifizierte den keuchenden jungen Mann als Ulrich und bemerkte gleichzeitig, daß dieser ihm ein rostiges Schwert hinhielt. Unwillkürlich zuckte er zurück, was ihm ein Stirnrunzeln auf Ulrichs Seite einbrachte.
„Es ist zwar bestimmt nicht mit Eurer eigenen Klinge zu vergleichen, aber immerhin besser als gar nichts, oder?“
Der Junge wartete ungeduldig darauf, daß der Ritter nun endlich die Waffe nahm und selbst mitkämpfte, doch statt dessen trat dieser einen Schritt zurück, einen beinahe gequälten Ausdruck in den Augen. “Nein. Versteht mich nicht falsch, aber... ich kann nicht...“
Entschuldigung?“ Ulrichs Augenbrauen drohten, unter seinem Haaransatz zu verschwinden. „Wollt Ihr einfach dastehen und zusehen, wie wir alle niedergemetzelt werden? Oder seid Ihr Euch etwa zu fein, um die Drecksarbeit zu machen?“
Die Miene des Ritters verfinsterte sich augenblicklich und sein Blick bohrte sich in den des Jungen. „Jetzt hör mal gut zu, Kleiner: Ich habe meine Gründe, nur hier herumzustehen und du kannst verdammt noch mal froh sein, daß ich keine Waffe in der Hand habe, denn das würde für euch alle... würde euch allen entsetzlich leid tun.“
Er schluckte und schalt sich in Gedanken selbst. Er mußte verflucht vorsichtig sein mit dem, was er sagte, sonst würde noch jemand dahinterkommen. Andererseits: Vielleicht wäre das auch besser so...
Ulrich starrte ihn für einen Moment erschrocken an und öffnete gerade den Mund, um etwas zu erwidern, als er von einem blutgierigen Knurren abgeschnitten wurde. Zwei Wölfe waren urplötzlich hinter ihm aufgetaucht und setzten gleichzeitig zum Sprung an.
Fluchend stieß der Ritter Ulrich zur Seite und duckte sich in die andere Richtung weg, sodaß der Angriff ins Leere ging. Automatisch griff er nach dem zu Boden gefallenen Schwert, als er sich abrollte, doch seine Hand zuckte im letzten Moment zurück. Verdammt, das war knapp.
Die Wölfe hingegen kannten keine falsche Zurückhaltung und stürzten sich erneut auf ihre Gegner. Während Ulrich vollauf damit beschäftigt war, sich den ersten Wolf vom Leib zu halten, hatte es der andere geschafft, den Ritter erneut zu Boden zu werfen.
Blutbedeckte Fänge kamen nur wenige Zentimeter vor seinem Gesicht zum Stillstand, als der Ritter verzweifelt versuchte, sich die knurrende Bestie vom Hals zu halten. Geifer tropfte auf ihn hinunter, klauenbewehrte Pfoten drückten ihn wie ein Gewicht zu Boden und der heiße, faulige Atem des Wolfes ließ ihn fast ersticken.
Das Vieh war riesig und seine Augen strahlten einen derartigen ungezielten Haß aus, wie ihn der Ritter noch bei keinem Tier je gesehen hatte. Mit diesen Wölfen stimmte definitiv etwas nicht.
Diese Feststellung würde ihm jedoch wenig nützen, wenn er in den nächsten Sekunden zerfleischt wurde, und das struppige Biest über ihm schien nicht gewillt, sein Opfer so schnell aufzugeben...
Noch bevor er den Gedanken zu Ende geführt hatte, bemerkte er plötzlich eine schnelle Bewegung aus den Augenwinkeln und wenige Sekunden später wurde der Wolf abrupt zur Seite geworfen.
Dumpfe Schläge, gequältes Aufjaulen, noch mehr Hiebe. Danach war nur mehr das Keuchen eines Menschen zu hören, der gerade einen Wolf mit bloßen Händen erschlagen haben mußte. Naja, den Geräuschen nach zu urteilen trug er Panzerhandschuhe, aber trotzdem...
Schwer atmend setzte sich der Ritter auf und wollte sich schon bei seinem Retter bedanken, doch die Worte blieben ihm sprichwörtlich im Halse stecken. Er erstarrte. Rotes Kreuz auf weißem Grund.
Ein Paladin. Seine Vergangenheit hatte in schließlich doch eingeholt. Im denkbar ungünstigsten Moment natürlich.
Aber wie durch ein Wunder blieb die Kriegerin vollkommen ruhig. Durch das offensichtliche Henkersmal an seinem Hals und sein Aussehen, das ihr als Paladin bestimmt detailliert genug beschrieben worden war, mußte sie doch augenblicklich erkannt haben, wen sie vor sich hatte, doch sie zeigte praktisch keine Reaktion. Andererseits war das schwer zu sagen, da der Topfhelm, den sie trug, ihr Gesicht fast vollständig verbarg.
Langsam stand der Ritter auf, seinen Blick keine Sekunde lang von der Paladinkämpferin abwendend, doch nichts passierte. Absolut gar nichts. Sie mußte entweder starr vor Wut oder vor Überraschung sein, dessen war er sich sicher.
 
Meister Chin Pey saß auf einem Felsen, nahm einen Schluck aus seinem Fläschchen und dachte nach. In der Haut seines Gesichts gruben sich immer neue Falten ein, wie es schien, als er sich langsam immer mehr konzentrierte. Er hatte die Kampfgeräusche gehört, die sich schon von weitem von den normalen Waldgeräuschen unterscheiden ließen. Sein greises Haupt neigte sich, als er resigniert dachte:
Schon wieder ein Kampf, den ich führen sollte und der dennoch nicht mein Eigener ist...
Er war eigentlich auf dem Weg nach Larthe gewesen, um sich das Turnier anzusehen, zu sehen wie bereit die Menschen in diesem Teil der Welt waren. Doch nun dies: Eine größere Gruppe, den Geräuschen nach zu schließen, und darüber hinaus Wölfe, die sie angriffen.
Jeder weis, das Wölfe solch eine Gruppe nicht angreifen, das hört sich nicht nach einem Kampf an, das ist eine Schlacht.
Seufzend zog er die Beine in den Lotussitz und vertiefte sich in eine Meditation, die Pfeife immer noch im Mund.

kurze Zeit später

Chin Pey stand auf und streckte sich langsam und präzise legte er sein Bündel weg, und den Langstab, der auch zum Tragen desselben diente, daneben.
Heute ist ein Tag der Klinge versicherte er sich selbst.
Er knotete die mit der Klinge nach unten hängenden Kamas von dem Seil ab, das ihm als gürtel Diente, der seinen schwarzen Kimono zusammenhielt. Danach schob er sie andersherum wieder in den Gürtel, sodass er sich schnell bewegen konnte, ohne sich die Beine abzuschneiden. Er legte seine Pfeife zum Bündel und begann langsam den wenige hundert Fuß langen Weg zum Kampfschauplatz zu bewältigen. Als er langsam voranschritt schien er sich zu verändern. Seine Schritte wurden federnder, der Blick aus seinen grauen Augen wurde stählern, eisig. Dieser Blick verhieß nicht den Tod, er stellte ihn fest. Die Falten wichen aus seinem Gesicht, als sich jeder Muskel in seinem Körper und auch Antlitz spannte, und es gewann immer mehr das Aussehen eines Totenkopfes. Langsam ging er auf den ersten Wolf zu der in den Kampf mit einem merkwürdig kleinen Golem verwickelt war, da nahm er wahr, wie neben ihm eine Gruppe Soldaten aus dem Dickicht sprang, sie waren wohl auf einem Weg gekommen, und nicht aus dem Herzen des Waldes wie Chin. Er schwenkte wieder nach rechts in den Wald, da diese schlagkräftige Truppe die Flanke wohl mühelos alleine sichern würden.
Der Ostländer sah, wie ein Mann unter dem Ansturm von drei Wölfen auf den Rücken geworfen wurde und sprintete mit einer Geschwindigkeit los, die für einen Mann seines Alters eigentlich hätte unmöglich sein sollen. Kein Laut kam über seine Lippen, nur gleichmäßiger Atem. Er war nur noch wenige Fuß von dem Gefallenen entfernt, da sprang ihn ein Wolf an. Ohne hinzusehen stieß er ihm Zeige- Mittel- und Ringfinger der rechten Hand, die zu einer Art Speer geformt waren, erst in die Kehle, dann, als es den Wolf unter der Wucht des Einschlags nach oben riss, verpasste er ihm im weiterlaufen einen Schlag mit dem Ellenbogen in die Rippen. Der Wolf fiel zu Boden und bewegte sich nicht mehr.
Pey sprintete weiter, schlug von unten gegen die Stiele seiner Kamas, die unter dem Strick herausschnellten, und ergriff sie.
Der Wolf schnappte nach der Kehle des Dorfbewohners. Panisch schlug er nach den zusammenkrachenden Kiefern, um sie auf Distanz zu halten. Sein Dolch aber lag mehrere Fuß entfernt im Dreck.
Urplötzlich ruckte der Kopf des Monstrums nach vorne, und der Bauer dachte schon sein Leben fände nun ein Ende, doch dann sah er, das zwei merkwürdig geformte Sicheln den Schädel des Biestes gespalten hatten, und ein merkwürdiger schwarzer Schemen über den toten Körper hinwegrollte.
Der Aikidoka hatte indess seine Kamas losgelassen, um sich die jeweils rechte beziehungsweise linke Vorderpfote der zwei anderen Wölfe zu greifen. Während seiner Vorwärtsrolle über den toten Wolf hielt er sie in einem eisernen Griff gefangen und überdrehte so die Gelenke. Ein trockenes Knacken hallte über die Lichtung und vermischte sich mit dem Kampfeslärm, als die Schultern der Tiere splitterten. Vor Schmerz jaulend wälzten sie sich am Boden. Der im Gleichgewicht wieder auf die Beine gekommene Chin hechtete nach rechts, und zertrümmerte dem liegenden Tier mit einem weiteren Faustschlag den Schädel.
Als er sah, das das zweite Tier, das langsam davonkroch sich einem Wagen näherte, unter dem er Kinder erblickte, verlor er keine Zeit.
Zwei große Schritte brachten ihn nahe genug an den Wolf heran, er nahm Anlauf und schlug einen Salto vorwärts. Sein ausgestrecktes Bein traf den Wolf mit der Ferse im Rücken, ein weiteres Knacken war zu hören und der Wolf lag still. Chin Pey stand auf, nachdem er elegant auf seinem Hinterteil gelandet war und ging zu dem völlig verblüfften Mann, der ihn nur anstarrte, als sei er ein Geist. "Wa..." Der alte Krieger lächelte, und ein warmer Ausdruck kam in seine Augen. Er legte dem Mann den Zeigefinger auf die Lippen, sah ihm noch einmal in die Augen und drehte sich um. Nachdem er seine Kamas geborgen hatte ging er weiter. Es gab Kinder zu beschützen.
 
Vita richtete sich auf und schien den Paladin durch die schmalen Schlitze ihres Helms zu mustern. "Werter Herr! Geht es euch gut? Seid ihr verletzt?" Während sie das sagte, strich sie die Handschuhe ab und ließ diese zu Boden fallen. Ihre Hände wanderten langsam am Oberkörper des Paladins nach oben und versuchten, sein Gesicht zu ertasten.
„Was zum...“ Erschrocken wich der Ritter ein paar Schritte zurück und wäre dabei fast über eine Wolfsleiche gestolpert, bevor ihm aufging, was die unvermutete Reaktion der Kriegerin bedeutete. Sie mußte blind sein.
Er unterdrückte einen erleichterten Seufzer. „Ich bin in Ordnung.“
Der dünne Blutsfaden, der aus seinem Schulterverband sickerte, widersprach ihm zwar, doch eine Blinde wollte er auch nicht an seine Wunde lassen.
„Wo kommt Ihr eigentlich so plötzlich her?“
"Dor Gulin" antwortete sie kurz und kniete sich auf den Boden, um ihre Handschuhe aufzulesen. "Wir wurden gesandt um Larthe auszukundschaften, weil ein Gelehrter eine unnatürliche böse Kraft spürte." Dann legte Vita eine kurze Pause ein. "Das selbe könnte ich eigentlich auch euch fragen..."
„Den Marsch nach Larthe könnt Ihr Euch sparen. Das hier sind die einzigen Überlebenden.“ Der Ritter hielt mitten in seiner ausholenden Bewegung inne, als ihm wieder einfiel, daß sie ihn ja nicht sehen konnte.
„Das Dorf wurde gestern von Dämonen geschleift.“
"Der Gelehrte hatte also recht... Verdammnis wird über uns alle kommen. Und für die Wölfe habt ihr auch eine Erklärung? Hängen sie mit diesem Vorfall zusammen?" Vita hatte die Frage kaum gestellt, da redete sie schon weiter: "Wir müssen auf alle Fälle in die Stadt! Dort sind diese Menschen sicher, und wir können das alles weiter untersuchen..." Sie nimmt ihre Armbrust vom Gürtel und spannt die Sehne. "Wenn es noch etwas gibt, dass ihr uns mitteilen müsst... dann sagt es dem Hauptmann. Ich bin nur ein gewöhnlicher Soldat."
Gewöhnlicher Soldat, natürlich. Immer der pflichtbewußte Paladin. „Eine Frage hätte ich noch, und zwar an Euch.“ Der Ritter räusperte sich und versuchte, so normal wie möglich zu klingen. „Seid Ihr die Vorhut einer Kompanie Paladine? Oder seid Ihr alleine hier?“
Wenn Vita noch sehen könnte, hätte sie dem Paladin einen sehr fragenden Blick zugeworfen. "Paladine? Nein mein Ritter, ich habe schon dermaßen lange keine Paladine mehr in meiner Nähe gewusst, sodass ich ihre kraftvolle Aura langsam zu vergessen schien..." Einen Bolzen in die Armbrust einlegend, fuhr sie fort. "Es ist wie ein Zeichen der Götter, dass ich endlich wieder auf einen treffe."
Er schluckte. Woher wußte sie... Auren? Nun, das erklärte, wieso sie trotz ihrer Blindheit bewaffnet war. Aber was wußte sie noch? Konnte sie etwa auch erkennen, daß...
„Es ist mir eine Ehre, Schwester“, sagte er schnell, um seine Unsicherheit zu überspielen. „Und ich danke Euch für Eure Hilfe, aber ich sollte wohl wirklich mit Eurem Hauptmann sprechen.“
Automatisch legte er in der traditionellen Respektbezeugung der Paladine die rechte Faust ans Herz, bevor er sich umwandte und das Schlachtfeld nach erwähntem Hauptmann absuchte.
Das plötzliche Erscheinen von dessen Truppe hatte das Ende des Kampfes wohl erheblich beschleunigt, doch der Ritter hatte keinen einzigen Wolf gesehen, der geflüchtet wäre - folglich mußten sie alle getötet haben.
Er runzelte die Stirn, während er auf einen der Neuankömmlinge mit den Insignien eines Hauptmannes zuging. Eine unnatürliche Kraft? In der Tat. Der Marsch nach Dor Gulin würde wohl doch nicht so einfach werden, wie er gedacht hatte.
 
Für einige Momente war der Kampfeslärm erneut angestiegen, was ihn auf einen konzentrierten Angriff der Wölfe schließen ließ, doch es dauerte nicht lange und es gab nichts mehr zu hören. Aller Wahrscheinlichkeit nach waren sie entweder tot oder sie hatten sich zurückgezogen. Er vermutete zwar ersteres, doch in gewohnt vorsichtiger Haltung bereitete er sich auf einen unerwarteten Zusammenstoß mit einzelnen, versprengten Wölfen vor.
Da Corvins Geisteskräfte beinahe vollkommen erlahmt waren, konnte er sich nur auf kleine Gebiete konzentrieren, daher richtete er seine verbliebene Energie nur noch auf den vor ihm liegenden Pfad und leicht begehbare Wege abseits davon. Viel war das nicht, doch wenn das Glück weiterhin auf seiner Seite stand, dürfte er auf die Art problemlos zu dem ziemlich großflächig verteilten Haufen Krieger stoßen können. Noch wenige hundert Meter, dann wäre er am Ziel.

Schon nach wenigen Schritten erhaschte Corvin das erste Anzeichen von menschlichem Leben. Schweiß und Blut nicht tierischer Natur drangen durch die klare Waldluft, weit war es also nicht mehr. Sofort änderte er seinen Kurs, ohne vorher seine Gedankenströme neu auszurichten. Ein grober Fehler.
Erschöpft wie er war, brauchte er zu lange, um ihn wieder gut zu machen, daher bemerkte er den nur leicht an den Rippen verletzten Wolf, welcher von der rechten Seite herangelaufen kam, erst viel zu spät. Die beiden realisierten die Situation in nahezu gleicher Sekunde, der Wolf jedoch hastete sofort los, um sich seine Beute zu sichern.
Corvin hatte keine Zeit, um die restliche Strecke auf Gefahren oder tückische Fallen zu prüfen, also rannte er zum ersten Mal seit Monaten völlig blind durch eine Gegend, in welcher sich der erdige Grund pausenlos veränderte. Es war ein grauenvolles Gefühl, an das sich der blinde Wanderer nur sehr ungern erinnerte. Er befand sich in leerem Raum, und doch gespickt mit tausend Fallen. Schon nach wenigen Metern hastiger Flucht spürte er seine Angst, auch nur einen weiteren Schritt zu tun, denn wenn er fiel oder ihm ein Hindernis egal welcher Art in den Weg kam, hatte er keine Möglichkeit sich abzustützen, was seinen Kopf in lebensbedrohliche Lage bringen würde. Er malte sich seine Chancen im Kampf gegen den Wolf aus. Nahezu keine, zumindest wenn man Optimist war.
Das Trappeln des Wolfes zerrte an seinen Nerven, wie das Klappern einer giftigen Schlange, die über seine Füße kroch.
Corvin rief lauthals um Hilfe, da er seinem Ziel nun nahe genug gekommen war, und im selben Augenblick geschah, was früher oder später hätte geschehen müssen - fast so schnell hastend wie der Wolf, der hinter ihm her war, verfing er sich in vollem Lauf in einem Haufen Büsche. Dornen stachen in seine Brust, doch er spürte sie kaum. Er hatte sich gnadenlos verheddert. Das Hecheln seines Verfolgers wurde hörbar und machte Corvin in aller Härte bewusst, wie lange er noch zu leben hatte. Einmal noch atmete er tief ein, dann hörte er, wie der Wolf zum Sprung in seinen Rücken ansetzte. Wie er sprang. Auf ihn zuflog. Wie er sein Maul bis zum Anschlag öffnete, die Pfoten weit von sich gestreckt.
Corvin traf eine Entscheidung, wie sie verzweifelter nicht sein konnte.
Den linken Fuß fest in den Boden gestemmt, schwang er sein rechtes Bein wuchtig in die Luft, hinein in den Fall des Wolfes. Das Glück fiel auf die andere Seite zurück. Mit einem lauten, peitschenartigen Krachen zerschmetterte der steinharte Stiefel den Unterkiefer der Bestie und beförderte sie durch die Wucht des Treffers, zusammen mit der eigens verantworteten Geschwindigkeit, weit über den im Dickicht Gefangenen hinüber, mitten in die dornigen Büsche hinein. Kein Jaulen war zu hören, vermutlich war es dem Wolf nun versagt. Corvin war völlig außer Atem und konnte sich noch immer nicht befreien, doch sein so plötzlich aufgetauchter Verfolger schien außer Gefecht zu sein. Zumindest gab er kein Geräusch mehr von sich. Vielleich war er sogar tot. Doch wenn nicht?
Hoffentlich hatte jemand seinen Hilferuf gehört, denn ohne jegliche Vorwarnung fiel Corvin in Ohnmacht und in die Knie.
Würde man ihn so gut versteckt hinter den Büschen finden, bevor der Wolf aufwachte, oder ein weiterer ihn fand?
 
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