Villeroy & Boch
Wenn die Tinktur der Nacht sich über das Abendrot ergiesst
der rote Fluss ewiger Sehnsucht durch die Welt fliesst
alles färbt
und nichts als Trauer und Schmerz vererbt
Wenn er versiegt
Geist und Körper siebt
was zählt, Anmut, Geld?
Willkommen in der schönen weissen Welt
so, dann wollen wir mal
, eigentlich schade, dass das thema schon genannt wurde, aber ich finde das gedicht so gelungen, dass ich noch was dazu sagen muss.
bereits der titel ruft im leser ein bild hervor, das von einer farbe geprägt ist: weiß, um nicht zu sagen klinisch rein und weiß. doch nicht nur die farbe, sondern auch eine gewisse kälte wird hier zum ausdruck gebracht, auch das thema "flüssigkeit", in diesem fall noch wasser, kann damit assoziiert werden.
in der ersten strophe werden dann die themen farben, temperatur und flüssigkeit wieder aufgegriffen. zunächst die "tinktur der nacht" (v. 1), die sich über das abendrot ergießt (was für ein bild!
), man kann förmlich der farbverlauf von orange/rot bis dunkelblau/schwarz sehen, das abendrot bildet außerdem einen starken kontrast zum im titel angedeuteten weiß, nicht nur farblich, sondern auch von der temperatur. in v. 2 setzt sich das thema "flüssigkeit" fort, hier ist vom "roten fluss ewiger sehnsucht" die rede, was recht unzweifelhaft eine metapher für blut ist, wenn nicht sogar für den menschen selbst, der sehnsüchtig/suchend (?) durch die welt fließt.
im dritten vers wird dann klar, dass es sich um blut handelt, denn der rote fluss "färbt" alles, auch das "villeroy & boch weiß" des titels. führt man die vorstellung, dass blut in ein waschbecken oder eine badewann fließt, wird zum einen das thema deutlich, zum anderen wird hier gleich mit zwei kontrasten gespielt: 1. die temperatur (warmes blut auf kaltem grund) und 2. die farbe (dunkles blut auf hellem grund). außerdem wird hier ein anderer gegensatz deutlich: leben und tod bzw. lebendig und tot. das blut, (körper)warm und rot steht dem kalten, leblosen weiß von villeroy und boch gegenüber.
der letzte vers der ersten strophe bietet demnach auch zwei lesarten: 1. alles leiden kommt durch leben (blut = leben -> vererbt schmerz und trauer) 2. blutvergießen im wörtlichsten sinne verursacht schmerz und trauer bei angehörigen und freunden.
die zweite strophe hat stark barocke züge, insbesondere der barocke vanitas-gedanke wird hier deutlich: alles ist vergänglich, alle schönheit und aller reichtum sind unnütz, sobald, um es in den worten des gedichts zu sagen, der "rote fluss ewiger sehnsucht [...] versiebt".
abgeschlossen wird das gedicht dann noch durch eine stark ironische aussage, wobei es für diese diverse intertexte gibt, u.a. shakespeares "the tempest", zolas "germinal", kiplings "the gods of the copybook headings" oder huxleys roman "brave new world". alternativ kommen natürlich auch modernere bearbeitungen in betracht, da möchte ich mich nicht zu weit aus dem fenster lehnen.
alles in allem ein meiner meinung nach sehr gelungenes gedicht, mal schauen ob ich noch zeit für die anderen finde.