Kapitel 3 – Frohe Botschaft
„Freut euch, Mephisto ist besiegt! Der Griff des Großen Übels um dieses Land ist gebrochen! Äh...wir haben gewonnen!“
Du bist so ein himmlischer Redner.
Wäre auch nicht meine Aufgabe als Golem, oder? Und denk nicht, dass ich vergesse, dass du mir eine Erklärung schuldest. Eine ganze Menge Erklärungen, um genau zu sein.
Natürlich nicht. Jetzt kümmer dich um die da.
Eine Masse an Menschen hat sich zu mir umgedreht, deren Aufmerksamkeit ich mit meinem ersten Ausruf gewonnen habe. Sie sind auf dem Leuchtturmplatz versammelt, überall sind Fackeln aufgestellt, viele sehen extrem übermüdet aus, und haben so eindeutige Zeichen von Stress und Anspannung in ihrem Gesicht, das sogar ich sie lesen kann.
Obwohl es stockdunkel ist, abgesehen eben von den Fackeln. Es ist Nacht? Ich muss kurz überlegen...ja, wirklich. Im Kerker des Hasses hatte ich jegliches Zeitgefühl verloren, aber wir waren tatsächlich lange genug da unten. Was machen all die Leute da? Überhaupt keine Zeit, mir etwas mehr zu überlegen, als was der Zweite mir geraten hat...
Als ich ankam, herrschte gespenstische Stille, die nur von leichtem Murmeln unterbrochen war; sehr ungewöhnlich für eine so große Menge an Leuten. Jetzt, da ich hinter allen auf dem Wegpunkt erschienen bin, ist es kurz so still, dass man eine Stecknadel zu Boden fallen hören könnte – im Dschungel. Die bis jetzt aufgestaute Spannung erreicht einen fulminanten Höhepunkt...
Und explodiert. Unzählige, unverständliche Rufe ertönen. Die Menschen strömen heran, versuchen, mich zu packen, schreien Fragen. Ich weiche zurück, bis ich an der Ummauerung des Platzes lande. Ich versuche verzweifelt, die Fragen zu beantworten – ja, es geht dem General gut, sonst würde ich doch nicht existieren, Mephisto ist wirklich tot, es besteht keine Chance, dass er wieder aufsteht, ich weiß nicht, ob der Dschungel jetzt verschwinden wird...aber es ist hoffnungslos. Die Leute sind hysterisch. Hoffentlich zertrampeln sie sich nicht in ihrem Verlangen, Informationen von mir zu bekommen...
Da teilt sich auf einmal die Menge vor mir, und Deckard Cain steht vor mir. Er hebt die Hände, dreht sich zu den Leuten um, und bittet die Nahestehenden, die verstummen, ihre Hinternachbarn zum Schweigen zu bringen.
Es dauert etwas, aber endlich ist Ruhe. Dann dreht er sich zu mir um.
„Also, Golem...das Wichtigste zuerst. Ich gehe davon aus, dass mit deinem Meister Alles in Ordnung ist?“
Ich emuliere ein Schulterzucken.
„Es geht ihm ganz gut dafür, dass er in der Hölle ist.“
Neeeeiiiiiin...
Ein Keuchen geht durch die Menge. Deckards Augen weiten sich. Ich hebe schnell eine Hand.
„Moment, Moment...er lebt, sonst wäre ich doch nicht hier, oder? Die Sache ist nur...wir konnten die Großen Übel nicht davon abhalten, ein Portal in die Hölle zu öffnen. Wir sind hinter ihnen her, darum befindet er sich gerade...unten.“
Vielleicht solltest du mir das Reden überlassen.
Vergiss es.
Wobei es schon sehr blöd war, den Witz zu machen, ich gebs ja zu.
Deckard seufzt erleichtert.
„Ich hatte ehrlich befürchtet, dass ihr schnell genug gewesen sein könntet...ich wage stark zu bezweifeln, dass ihr gegen die drei Brüder auf einmal gewinnen hättet können.“
„Wenn wir sehr schnell gewesen wären...nein, vergebliches Denken. Was zählt ist, dass Mephisto tot ist. Das heißt, sein Körper ist gebrochen, die Vernichtung des Seelensteins steht noch aus.“
Deckard sieht sich um.
„Golem, ich denke, wir sollten das in etwas privaterer Umgebung besprechen.
Ich nicke. Der Horadrim-Weise dreht sich zur Menge.
„Ihr habt Alle gehört, was passiert ist. Das lange Warten hat ein Ende, und unsere Hoffnungen sind nicht zerstört worden, sondern haben sich zur Gänze erfüllt. Der Herr des Hasses ist nicht mehr, es ist ein Grund zur Freude! Erzählt es Allen, die schon nicht mehr genug Hoffnung hatten, um hier zu warten, und feiert! Es scheint, als ob der General dabei nicht zugegen sein kann, also freut euch in seinem Namen umso mehr!“
Die Menge zerstreut sich etwas, als Viele den Zurückgebliebenen die frohe Kunde überbringen. Deckard führt mich brüsk durch die Masse von Leuten. Da drängelt sich Meschif heran.
„Golem, ich bin so froh, dich heil zu sehen...ich wusste, dass auf dich Verlass ist! Vielen, vielen Dank für Alles, ich kann es gar nicht genug ausdrücken...“
Mir ist die ganze Situation leicht peinlich.
„Ist nicht so, als ob ich das alleine oder in dem Maße verdient hätte...“
„Doch! Doch, das hast du. Ha, Devaks Gesicht, wenn ich ihn wecke...ich kann es kaum erwarten! Bleibst du bei uns? Du wirst mit einem Festmahl nicht allzuviel anfangen können, aber...“
„Bitte, Meschif...sag Devak Bescheid, aber ich...ich weiß gerade nicht, wo mir der Kopf steht, in Ordnung? Vielleicht habe ich später Zeit.“
Etwas enttäuscht nickt der Kapitän und verzieht sich. Schon meint der Nächste, mit mir reden zu wollen...hat der Meister sich so gefühlt, als er von der Menge gefeiert wurde in Lut Gholein? Nein...er genießt solche Augenblicke womöglich. Hastig verziehe ich mich an Deckards Seite, der mit wenigen Worten die Fragesteller beschwichtigt. Ich habe das Gefühl, dass das noch eine sehr lange Nacht wird...aber dafür habe ich ja um einen Körper gebeten, der nicht müde wird.
Wenn dein Geist mal müde wird, helfe ich gern.
Hör bitte einfach auf zu reden.
Kurz darauf sind wir in Deckards spartanischer Hütte. Ein paar Leute versuchen, an der Tür zu lauschen, aber er verscheucht sie freundlich. Dann setzt er sich hin und bedeutet mir, das Gleiche zu tun. Ich bin vorsichtig, um seinen Stuhl nicht zu verkratzen.
„Also, Golem...ich würde dir etwas zu trinken anbieten, aber das ist wohl keine gute Idee. Kann ich dir sonst etwas Gutes tun?“
Ich tue so, als würde ich meine Schläfen massieren.
„Schon in Ordnung...etwas Ruhe ist Alles, was ich brauche. Reden ist kein Problem.“
„Freut mich. Dem General geht es wirklich gut?“
„Er schläft.“
„Dann geht es ihm gut.“
Ich grinse innerlich. Dann hole ich, ebenfalls nur in Gedanken, tief Luft.
„Nun denn, ich denke, ich sollte erzählen, was genau passiert ist...“
Etwas später bin ich fertig damit, die Ereignisse wiederzugeben. Derweil dringen schon die Geräusche von fröhlichen Menschen an mein Ohr – ich bin mir sicher, dass uns ein ganz schönes Fest erwarten wird, wenn wir hinausgehen. Ein seltsamer Schmerz des Bedauerns erfüllt mich – nicht nur daraus geboren, dass ich im Moment nicht dabei sein kann, sondern auch daraus, dass ich wohl nie bei so etwas dabei sein werde. Zumindest nicht so, wie es Menschen tun...
Ich schiebe den Gedanken von mir. Ich bin nun einmal ein Golem, das hat auch seine Vorteile.
Und doch versuchst du immer wieder, dich wie ein Mensch zu benehmen...ist das nicht eine seltsame Dichotomie?
Muss...Zweiten...ignorieren...
Deckard reibt sich das Kinn. Dann legt er mir die Hand auf die Schulter.
„Du hast also den Herrn des Hasses in einer Hand zerquetscht.“
„Nun...so richtig unter Kontrolle hab ich mich nicht gefühlt dabei...“
„So oder so, das bedeutet, dass du alleine ein Großes Übel umgebracht hast. Es ist eine Tat, die ihresgleichen lange suchen kann, aber womöglich nie findet. Ich bin unglaublich stolz auf dich, Golem.“
Ich ziehe mich etwas zusammen. Deckard lächelt milde.
„In der Richtung wirst du sicher noch mehr zu hören bekommen. Gewöhn dich schnell daran. Ich denke, dir wird der Ruhm sicher nie zu Kopf steigen – du bist viel zu gut für so was – aber du darfst dir gerne eingestehen, dass es eine ganz große Leistung war, die du da vollbracht hast.
Ich sehe schon, du willst wieder darauf hinweisen, dass es nicht alleine du warst. Stimmt, denn wenn du und dein Meister zusammenarbeitet, könnt ihr offenbar wirklich Alles schaffen. Lob gebührt euch trotzdem individuell, und im Übermaß. Bei ihm hingegen...bin ich ehrlich gesagt ganz froh, dass er gerade nicht hier ist. Denn er ist durchaus der Typ, dem zu viel davon zu Kopf steigen könnte. Bis jetzt ist er nicht gerade gnädig behandelt worden von der Öffentlichkeit, aber Mephistos Tod ist ein Erfolg, der unmöglich von der Hand zu weisen ist. Er würde frenetisch gefeiert werden, und ich habe wirklich Angst davor, wie er darauf reagieren würde.“
Ich verziehe die Augenbrauen in Sorge.
„Ja...da habt Ihr wohl Recht. Ich weiß aber nicht, wie man so etwas verhindern könnte.“
Deckard seufzt.
„Kann man nicht. Es ist aber wohl besser, dass er sich vorerst noch voll auf seinen weiteren Weg konzentrieren kann. Du bist dir ja auch im Klaren darüber, dass es noch lange nicht vorbei ist.“
„Wenn dem so wäre, würde ich womöglich versuchen, so gut, wie ich kann, mitzufeiern. Mit dem Meister.“
„So ist das wohl.“
Er starrt kurz durch mich hindurch.
„Ihr habt also Tyrael da unten wieder getroffen.“
„Ja, und er ist immer noch so arrogant und unnahbar wie zuvor.“
„So würde ich das nicht einmal ausdrücken...“
Deckard hebt entschuldigend eine Hand.
„Siehst du, es ist nie einfach, mit Tyrael zu arbeiten. Ich muss das wissen, immerhin bin ich der letzte noch lebende Mensch außer dem General, der das getan hat. Seine Vision, die Aufgabe, der er sich verschrieben hat – es ist unglaublich beeindruckend. Du musst bedenken, dass er gegen klare Regeln des Himmels verstößt, indem er den Menschen direkt hilft. Ein Erzengel sollte eigentlich der letzte sein, der gegen Auflagen seines direkten...Vorgesetzten verstößt, denkst du nicht? Trotzdem tut er es, und wenngleich er das niemals zugeben würde, bin ich mir sicher, dass es ihm eine Menge Ärger eingebracht hat. Nicht, dass ich verstehen würde, welche Art von Ärger, aber definitiv...Ärger.“
Ich hebe die Augenbrauen. Deckard redet weiter.
„Das hat natürlich Nichts mit seinem Benehmen zu tun. Dieses ist voll darin begründet, dass er ein Erzengel ist. Sein ganzes Dasein ist prinzipiell so weit von unserem menschlichen entrückt, dass es ein Wunder ist, dass wir ihn überhaupt ansehen können, ohne wahnsinnig zu werden.“
„Das hat mit den Übeln bisher auch ganz gut funktioniert.“
„Die ursprünglich menschliche Körper benutzen, um sich hier zu manifestieren.“
„Ihr habt da natürlich einen Punkt.“
„Worauf ich hinauswill...es ist nicht einmal so sehr, dass wir Tyrael nicht verstehen. Tyrael versteht auch uns nicht.“
Ich fasse mir ans Kinn.
„Das hat er in etwa auch so gesagt...“
Deckard, überraschenderweise, lacht kurz.
„Wenn er das offen zugibt, muss dein Meister ihn wirklich irritiert haben! Was hat er denn zu ihm gesagt?“
Meine Fingerspitzen klopfen nervös aufeinander.
„Dass er...extrem sauer auf Tyraels Art ist?“
Deckard presst die Lippen aufeinander.
„Ja, er ist etwas empfindlich, wenn man ihn darauf anspricht. Glaub mir, er will wirklich nur unser Bestes.“
„Es ist schwer, das zu sehen.“
„Die Gründe, warum du es anders siehst, hast du ja lang und breit dargelegt...eine Schande, das mit Marius. Eine wirkliche Schande.“
„Wie hätte ich Eurer Meinung nach denn anders handeln sollen?“
Der Horadrim-Weise weicht etwas zurück und hebt beide Hände.
„Nein, Golem, das war überhaupt kein Vorwurf. Du hast zweifelsohne deinen Meister gerettet, das war genau die Situation, über die wir gesprochen haben, und eine andere Wahl blieb dir wirklich nicht. Allein dafür sollte dir eigentlich mehr Dank gebühren als dem General. Aber...so hättet ihr Baal entscheidend schwächen können. Das könnte durchaus noch große Probleme bereiten in der Zukunft...“
Nervös trommle ich auf meinen Stahlschenkel.
Ich bin ja immer noch davon überzeugt, dass der Meister nicht einfach einen Schalter von gut auf böse in seinem Hirn umgelegt bekommen hätte, wenn er den Schwächling einfach aufgeschlitzt hätte.
Nein, kein Schalter. Das würde implizieren, dass er wieder hätte zurück gekonnt von dieser Entscheidung. Mehr eine Klippe, von der zu springen ich ihn gerade noch abhalten konnte. Aber je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr stellt sich mir eine andere Frage...
„Wirklich, mich wundert, warum Baal sich seinen Seelenstein nicht einfach angeeignet hat. Wenn Mephisto Marius tatsächlich zu uns geführt hat, um eine Falle zu legen, dann wussten die Übel doch, wo er sich befindet.“
„Das ist eine gute Frage, Golem. Ich kann nur raten hier – grundsätzlich ist es so, dass Baal seinen Seelenstein nicht braucht, denn der war ja rissig. Seine Seele ist längst fest in Tal Rashas Körper entkommen, sodass höchstens noch ein mildes Echo in dem Stein zurückgeblieben sein sollte. Aber garantiert ist es vorhanden, sodass Baal nie seine volle Stärke erreichen kann, solange der Stein nicht mit ihm vereint ist. Ich denke, das ist der eigentliche Grund, warum Tyrael Marius losgeschickt hat, um den Stein zu zerstören – sodass Baal nie diesen Teil seiner Kraft zurück erlangen kann.“
„Das würde ja bedeuten, dass es prinzipiell gar nicht elementar wichtig war, dass Marius Erfolg hat.“
„Richtig. Es hätte euch nur sehr geholfen, wenn er den Seelenstein in der Höllenschmiede hätte zerstören können, bevor ihr euere unvermeidbare Konfrontation mit Baal habt – denn das würde diese viel einfacher machen. Wenn man allerdings bedenkt, dass ihr auch Mephisto in seiner vollen Stärke besiegen konntet, ist es nicht einmal unmäßig schlimm, dass der Seelenstein nicht sicher ist. Und solange Marius ihn, wo auch immer er ist, versteckt hält...kann Baal nicht stärker werden.“
Ich halte mir den Kopf fest.
„Warum wollte er dann überhaupt, dass Marius ihn aus Tal Rashas Brust zieht?“
„Tal Rasha wusste ja immer, dass er verlieren könnte, was er letztlich ja auch tat. Darum fesselten wir ihn, aber gegen seine magischen Fähigkeiten waren Ketten nutzlos. Also nutzten wir die intrinsische Energie des Steins, um ein starkes Anti-Magie-Artefakt daraus zu erzeugen...sodass sein Mana quasi konstant leer gehalten wurde, solange er in seiner Brust streckte.“
Meine Hand fährt vor den angedeuteten Mund.
„Das heißt, wenn der Meister den Stein genommen hätte...“
„...wäre er gegen Mephisto komplett hilflos gewesen, ja. Wollte er ihn denn nehmen?“
„Er war fast besessen davon!“
„Dann ist die Absicht der Großen Übel klar. Er sollte chancenlos sein, wenn Mephisto ihm erklärte, dass er längst auf ihrer Seite war durch den Mord an Marius.“
Ich fühle mich, als müssten kalte Schauer meinen Rücken hinunterlaufen.
„Aber davor hast du ihn ja bewahrt, Golem. Marius ist kein Zauberer, also sollte der Stein eigentlich harmlos für ihn sein...vielleicht findet er seinen Frieden, wo immer er jetzt ist. Irgendwann müsst ihr den Stein finden, aber vielleicht fällt Baals körperliche Hülle, bevor ihr das tut, und ihr könnt euch in aller Ruhe um die Zerstörung kümmern.“
„Sehen wir dann...jetzt kümmern wir uns erst einmal um Mephistos Seelenstein. Ist dieser denn gefährlich?“
„Ich müsste ihn mir ansehen. So bald als möglich. Kann ich denn per Wegpunkt in die Bastion des Himmels reisen, oder müssen wir einen anderen Weg nehmen?“
Ich brauche kurz, um seine Frage zu verarbeiten.
„Ihr wollt...nach da unten?“
„Natürlich. Ich habe versprochen, euch auf euerer schweren Reise immer zur Seite zu stehen, und das bedeutet auch, euch wenn nötig in die Hölle zu folgen. Es ist nun nötig. Wenn ihr weiter alleine mit Tyrael reden müsst, werdet ihr sonst alle drei wahnsinnig! Und ich denke, der General könnte generell etwas geistigen Beistand benötigen nach Allem, was ihr durchgemacht habt, nicht, dass ich dir das nicht zutrauen würde...“
„Das ist...“
Ich breite meine Arme aus.
„...Danke.“
Deckard neigt den Kopf.
„Es ist das Mindeste, was ich tun kann.“
Ich nicke.
„Gut, dann...müssen wir aber einen anderen Weg nehmen. Tyrael meinte, dass die Wegpunktverbindung...schwierig wäre, wenn ein Mensch damit reist. Das Portal im Kerker unten sollte aber sicher sein.“
„Dann werde ich meine Sachen packen für eine kleine Reise. Es wäre nett, wenn du Aschara Bescheid geben könntest, dass ich gehe, sonst sucht sich mich noch. Von Ormus verabschiede ich mich persönlich, schickst du mir den vorbei, falls du ihn siehst? Ansonsten...in einer Stunde am Wegpunkt? Wenn das genug Zeit für dich ist, um Alles zu erledigen, weswegen du hier bist.“
„Moment, Moment...wollt Ihr nicht schlafen?“
„Schlafen kann ich in der Bastion.“
„Sicher? Wir haben sie spontan Festung des Wahnsinns getauft, allein wegen der Aussicht.“
Wieder lacht Deckard herzlich.
„Ziemlich passend...aber ich sah schon Schlimmeres. Also, bis in einer Stunde dann! Oder möchtest du noch etwas mit mir bereden?“
„N...nein. Ich denke an Ormus und Aschara...“
Damit begebe ich mich hastig nach draußen.
Man muss es dem alten Mann lassen, er hat mehr Rückgrat als nahezu alle jüngeren Leute.
So etwas darfst du gerne öfter sagen...
Tatsächlich feiert man hier draußen. Alkohol fließt in Strömen. Die Leute umarmen sich überall, lachen, es ist, als wäre ein Band zerschnitten. Etwas hatte sich der Druck auf die Köpfe der Menschen schon gelöst, als wir den Gidbinn zurückbrachten, aber das war ein müder Abklatsch dessen, was nun vor sich geht. Sie sind...entfesselt. Gelegentlich stürzt Jemand auf mich zu, um kurz innezuhalten und mir dann ungeschickt die Hand anzubieten, um sie zu schütteln – wobei eine Frau mich so fest drückt, dass ich Angst habe, dass die Dornen auslösen – aber grundsätzlich sind die Leute entweder zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um mich groß zu beachten, oder haben doch keinen wirklichen Draht zu meiner Golemform. Meschif und Devak halten mich kurz auf – ich muss ihnen Alles erzählen, was passiert ist, sagen sie – was ich ihnen verspreche sofort zu tun, sobald ich erledigt habe, was zu tun ist. Zuerst mache ich Ormus ausfindig. Er steht an seinem üblichen Platz, aber statt trüb zu brüten, ziert ein breites Grinsen seinen kahlen Kopf, während er das Treiben vom Rande aus beobachtet. Ich grüße ihn freundlich. Er verbeugt sich tief vor mir.
„Ormus ist stolz darauf, dich und deinen Meister kennengelernt zu haben, Golem. Ich muss dir erneut dafür danken, was ihr beide für Ormus getan habt, das Unwichtige vor heute und das für uns Alle so unglaublich Wichtige von heute Nacht.“
„Sehr gern geschehen, Ormus. Äh, ich würde gerne weiter plauschen, aber ich bin gerade ziemlich beschäftigt. Deckard wollte mit dir sprechen, es geht um einen Abschied...er wird mit uns weiter ziehen.“
„Dann werde ich diesem Wunsch sofort nachkommen. Ormus wünscht dir alles Gute für die Zukunft, wenn wir uns nicht wiedersehen sollten.“
Ich verbeuge mich zum Abschied und mache mich zu Aschara auf.
Die Kaserne ist leer. Offenbar hat nicht einmal die strenge Zuchtmeisterin heute ihre Söldner unter Kontrolle halten wollen. Ich brauche aber nicht lange, um sie zu finden – sie steht am Rand der Feier auf dem Leuchtturmplatz, wo gerade ein ganzes Schwein gegrillt wird, und sieht mit wachen Augen dem Ganzen zu. Zwei von ihren Leuten stehen in Uniform neben ihr, der Rest ist in zivil über die Menge verteilt. Vanji ist einer der Eisenwölfe, die nicht mitfeiern dürfen...immer noch Strafdienst? Devak prostet ihm hämisch aus der Menge zu, was ihn rot anlaufen lässt.
„Ah, Golem...du bist also doch nicht nur ein Überbringer unangenehmer Nachrichten. Wo hast du denn deinen Meister gelassen?“
„Kommt schon, Aschara, ihr habt sicher jedes einzelne Wort überbracht bekommen, das ich heute gesagt habe. Er ist im Moment ganz tief unten, aber das ist garantiert kein Dauerzustand.“
„Nach dem, was ihr vollbracht habt, führt der Weg im Zweifelsfall sicher nach oben. Wir werden sehen, ob er zurückkommt und mit mir reden kann, wenn er es tut. Die Meisten, die aus der Hölle zurückkehren, sind nämlich danach...tot.“
Ich wünschte, ich könnte humorlos grinsen.
„Tja. Ich soll Euch übrigens ausrichten, dass ein weiterer Mensch sich in den Schlund begeben wird. Deckard Cain folgt uns, um weiter mit Rat und Tat zur Stelle zu sein. Wobei...eher nur Rat, wenn ich es recht bedenke, was aber völlig ausreicht.“
„Ach, und das wollte er mir nicht selbst sagen?“
„Vielleicht hatte er Angst, dass Ihr ihm eine Eskorte aufdrängt, die Euch auch da unten noch informiert, was wir so Alles treiben?“
Sie fasst sich an die Brust. Die Schlange zischelt.
„Golem! Du verletzt mich.“
Ich zucke mit den Schultern.
„Ihr seid ein guter Mensch, aber ich bin heilfroh, endlich offen auf Dinge hinweisen zu können, die mich an Euch stören, ohne Konsequenzen für den Meister fürchten zu müssen. Er ist Eueren Klauen entkommen. Stellt Euch bitte eine herausgestreckte Zunge vor.“
Heeee, du wirst ja richtig.
Ihre Miene wird säuerlich.
„Klartext ist doch so etwas Erfrischendes. Mal im Ernst...da unten ist es sicher nicht wirklich gemütlich, mich wundert ohnehin, dass du so einfach hier reinspazieren kannst. Kann ich euch mit irgendetwas aushelfen, ausrüstungstechnisch?“
Ich lege den Kopf schief, etwas überrascht...aber na ja, sie ist ja ein guter Mensch.
„Da wären schon ein paar Dinge...“
Eine halbe Stunde später habe ich Alles, was ich brauche und noch ein wenig mehr. Haltbares Essen für eine Woche, ein Fass mit gutem Wein, eine Federmatratze – woher auch immer sie die gezogen hat – diverse Töpfe, Lappen, einige Sets Wechselkleidung, und natürlich die Truhe. Drei Eisenwölfe, die sich spontan bereit erklärt haben, mir zu helfen und dafür einen Teil der Feier zu verpassen, stehen als Träger bereit. Devak ist natürlich einer von ihnen, und Phaet. Den dritten kenne ich nicht persönlich.
Da taucht Hratli auf. Er verbeugt sich tief vor mir, etwas wacklig.
„Golem, welche Freude. Du und dein Meister, ihr habt so viel Licht über diese Menschen gebracht, dass man es kaum glauben kann. Wirklich, eine wunderbare Leistung.“
Ich habe das Gefühl, das wird jetzt entweder lustig oder tragisch. Sein leichtes Lallen kann beides bedeuten.
„Hratli, du willst doch etwas von mir. Bitte sag es mir, bevor du auf deiner eigenen Schleimspur ausrutschst.“
Seine Augenbrauen ziehen sich zusammen, und etwas blitzt in seinen Augen auf. Etwas Gefährliches. Noch ist es nicht wirklich lustig. Er streckt seinen Rücken durch. Die lange rote Robe wirkt lächerlicher denn je, jetzt, als er nicht mehr versucht, kriecherisch-schmierig zu sein. Das seltsame daran ist, dass er dennoch schmieriger ist als je zuvor.
„Wenn du meinst, Golem. Du erinnerst dich an eine Schuld, die für gewisse hochwertige Metallteile noch ausstand, die du zu Nägeln verarbeitet hast?“
Natürlich tue ich das – wie sollte ich auch nicht. Die verrosteten Abfälle waren auf keinen Fall das Gold wert, dass ich dafür gezahlt habe. Nicht lustig.
„Du meinst sicher die Schuld, die ich sogar noch mit Zinsen beglichen habe? Obwohl der Schrott, den du mir verkauft hast, in etwa ein Zehntel des Ganzen gekostet hätte, wenn du nicht ein wuchernder Monopolist wärst?“
„Höre ich da leichte Unzufriedenheit mit meinen immer hervorragenden Diensten? Wirklich, Golem, du bist extrem undankbar. Und ein nicht nur das – du hast auch noch jeglichen Anstand verloren. Wobei das ja schon völlig klar war an dem Tag, als du im Schutze der Dunkelheit in meine bescheidene Hütte schlichst, um mir diese Almosen hinzuwerfen, von denen du dachtest, sie wären genug, um deine Schuld zu begleichen. Tatsächlich hätte ich da Gnade vor Recht ergehen lassen...wenn du nicht meinen Schleifstein entwendet hättest. Denkst du, ich merke nicht, wenn ein Stümper sich an meinen Geräten zu schaffen macht? Wirklich...ich sollte dich höchstoffiziell dafür anzeigen.“
Das ist jetzt definitiv eher tragisch.
Devak verschränkt die Arme.
„Ich glaube, Ihr seid Euch über die Situation nicht ganz im Klaren, Schmied. Der Golem hat Euch einen Schleifstein gestohlen? Dieser Golem hat uns Alle gerettet, er und sein Meister!“
Hratli hebt einen Finger an die Lippen.
„Still, wenn die Erwachsenen reden, kleiner Söldner. Golem, du hast Unrecht begangen, und es geht mir hier ums Prinzip. Aber keine Sorge...ich bin gerne bereit, in meiner unendlichen Güte auch hier davon abzusehen, auf meinem Recht zu bestehen...wenn wir uns auf einen Vergleich einigen können. Es ist ja nicht so, als ob ihr in der Hölle groß Gold brauchen könntet, oder?“
Ich kann mich nicht entscheiden, ob ich ihn anschreien soll oder bei so einem Beispiel absoluten Versagens jeglichen Anstands zu weinen beginnen soll.
Devak legt Hratli einen Arm auf die Schulter.
„Hör mir mal zu, mein Freund. Deine Fahne sagt mir bis hier, dass du viel zu viel getrunken hast, und nur diesen Umstand kann man überhaupt als mildernd nehmen nach dem völligen Quatsch, den du gerade von dir gegeben hast. Warum gehst du jetzt nicht in Ruhe ins Bett und wir vergessen Alle, dass du je existiert hast?“
Hratli schubst Devak weg.
„Fass mich nicht an! Es geht hier um den Golem und mich, und er schuldet mir etwas! Du solltest mir helfen, oder steht ihr Eisenschoßhünde etwa nicht mehr für Recht und Gesetz hier?“
„Jetzt hör mir mal zu, du Sack Abschaum...“
Ich habe beschlossen, die Mitte zwischen Brüllen und Weinen zu finden.
Oh-oh.
Ich trete zwischen die Männer.
„Schon gut, schon gut. Devak, es ist eine Sache zwischen uns Beiden. Ich regle das.“
Damit wende ich mich Hratli zu.
„Du hast natürlich Recht, und ich entschuldige mich in aller Form. Es war nicht in Ordnung, dass ich den Schleifstein einfach so genommen habe, auch wenn ich ihn danach wieder zurück gelegt habe. Das dürfte ja seinen Wert verringert haben, nicht wahr?“
Ich winke Phaet zu mir und flüstere ihm etwas ins Ohr.
Oh, das wird großartig.
Der Eisenwolf rennt weg, um zu holen, worum ich ihn gebeten habe.
„Natürlich hat das seinen Wert verringert, Golem! Ich bin froh, dass du mich verstehst. Dafür musst du halt leider zahlen.“
„Ist ja gut. Ich habe Phaet nur gerade gebeten, einen Geldsack zu besorgen, denn du hast Recht, wir schulden dir eine Menge für deine selbstlosen Dienste, und wir brauchen das Gold wirklich nicht in der Hölle.“
„Also, Golem...“
Ich hebe beschwichtigend die Hände in Devaks Richtung.
„Devak, bitte. Er bekommt doch nur, was er verdient.“
Phaet ist wieder da und winkt hinter dem Rücken seines Kollegen. Ich nehme, was er mir gebracht hat, danke herzlich, und knie mich vor die Truhe.
„Dann wollen wir doch mal ein wenig auffüllen hier...“
Mit lautem Klimpern landet eine Hand voll Gold nach der anderen in dem Sack. Ich kann von hier sehen, wie Hratli fast das Sabbern anfängt. Nach kurzer Zeit schnüre ich das prall gefüllte Bündel zu und gebe es dem Zauberschmied in die Hand.
„Fühlt sich das nicht gut an?“
„Himmel, ist das schwer...Golem, du bist ein guter Junge!“
„Natürlich bin ich das. Warte, ich binde ihn dir fest, damit du ihn nicht verlierst.“
„Das ist doch nicht...“
„Oh, ich bestehe darauf.“
Mit längst in solcher Arbeit trainierten Fingern knote ich das Lederband an seiner Robe fest. Er steht danach leicht schief – der Beutel ist wirklich schwer. Ich sehe ihn kurz an, dann schüttle ich den Kopf.
„Ts, ts...so kannst du doch nicht nach Hause gehen. Du brichst ja zusammen. Lass mich dir helfen.“
„Ich...“
Damit packe ich ihn um die Hüfte, werfe ihn mir über die Schulter und trage ihn davon. Phaet stößt Devak und dem anderen Eisenwolf in die Seite und bedeutet ihnen, mir zu folgen. Der überrascht aufschreiende Hratli zieht auch andere Blicke auf sich, und wir werden neugierig von einer Menge beobachtet, als ich ihn zu seiner Schmiede trage.
„Lass mich runter, Golem! Ich...ich kann alleine gehen!“
„So? Ich dachte mir, die Last deines Gewissens allein müsste dich zu Boden pressen, aber offenbar hast du jeden Funken Anstand schon lange verloren, also sollte das kein Problem sein.“
„Ich muss mich hier nicht...“
„Doch, du musst, halt dein Schandmaul. Ich kann dir nicht sagen, wie sehr du Dreckskerl mich anwiderst. Da sind ich und der Meister dabei, ohne etwas dafür zu verlangen, die Welt zu retten. Auf einer Mission, Mephisto zu töten, und womöglich auch noch seine Brüder. Und was tust du? Du verlangst Gold für Alles, was wir von dir brauchen, soviel Gold, dass wir fast pleite werden dadurch. Nicht einmal rostigen Abfall bist du bereit zu verschenken, oder einen Schleifstein auszuleihen. Der hat wirklich an dir genagt, was? Du hättest es jederzeit erwähnen können, aber nein, du lässt dir Zeit damit, bis du den 'Übeltäter' einmal alleine hast. Weil sein Meister dich wohl auch nur für den Gedanken verprügelt hätte, dass ich dafür Gold abdrücken muss. Aber ich bin für sowas viel zu nett. Dein Glück. Aber weißt du, was ich ganz nett finde? Jetzt, wo Mephisto tot ist, kann ich Typen wie dich aus vollem Herzen hassen, ohne Angst davor haben zu müssen, dem Bösen zu verfallen. Das ist Freiheit, findest du nicht?“
Wir sind auf einer Stegbrücke angekommen. Die Leute, die uns gefolgt sich, fangen schon an, Hratli wüst zu beschimpfen...da bleibe ich stehen. Eine gespannte Stille macht sich breit.
„Golem...du...lass mich runter! Wir können das Alles klären!“
„Klärung ist schon da, du Gierschlund. Du hast dein Gold, es hängt dir wie Blei am Gürtel. Ich lasse dir jetzt die Wahl. Du kannst das Gold wählen, wenn du willst. Mal sehen, ob deine Gier dich verdammt. Das ist jetzt wirklich deine Entscheidung.“
Damit werfe ich ihn, so weit ich kann, hinaus aufs Meer. Und das ist jetzt einfach nur lustig.
Pure Perfektion, sein Gesichtsausdruck. Ich hätte nicht gedacht, dass ich dich einmal ohne Ironie loben müsste für eine komplett richtig gehandhabte Situation.
Hratli taucht wieder auf, hilflos strampelnd. Das Gewicht des Goldbeutels zieht ihn nach unten...wie ich ihm ja sagte, es ist seine Entscheidung. Die Menge sieht ihm zu, mit Gusto sich daran labend, wie er immer noch nicht loslassen kann. Vielleicht ertrinkt er ja...es wäre nicht mehr als Selbstmord, wenn er den Beutel nicht absinken lässt. Oder er lässt seine Robe damit zu Boden sinken und rennt halb nackt nach Hause, unter den hämischen Blicken einer Masse von Menschen, die ihn hasst. Ist mir egal. Ich drehe mich um und gehe.
Devak rennt mir nach, die anderen Eisenwölfe sehen mit zu.
„Ich sollte dich dafür rügen, Golem...aber das war verdammt noch mal genau, was er verdient hat. Schade nur, dass es doch etwas teuer war...ich würde ihm zutrauen, dass er zu Sinnen kommt und einfach irgendwann nach dem Gold taucht, und das wäre wirklich nicht gerecht.“
Ich spreche ein Lachen aus, dessen Emotionslosigkeit gerade perfekt passt.
„Dann wird er sich sicher freuen, dass ich Phaet gebeten habe, vorher einen dicken Stein in den Beutel zu legen.“