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Trang-Ouls Triumph [Ich denke, also bin ich: Teil 5]

Hi Ho alle,

bzw. hallo Twin ich wollte mal ins blaue fragen ob wir heute mit einem Update rechnen können oder nicht.
Ich hätte da auch einen vorschlag da du ja geplant hast ca. alle zwei wochen ein update zu bringen (ich weis das es manchaml nicht klapt keine kritik oder paniK) dass du uns sonntags bzw. sammstags einfach kurz bescheid sagst ob eins kommt oder nicht dann können sich hier einige leute das mehrmals tägliche aufsuchen des threads sparen und sich auf den Sonntag in 2 wochen freuen. Ich ich denke das würde einigen hier sehr viel nerven sparen.

mfg Soveregin

ps: die story ist einfach der HAMMER!!!
 
Posted halt kurz, dann habt ihr den Thread abonniert und müsst nicht ständig nachschauen ;).

Und ja, heute kommt ein Update!

Simon
 
YEAH YEAH YEAH!!!
F5-Dauerfeuer: check
pizza und junkfood: check
cola: check
popcorn: check
lesebrille, heißer tee, wolldecke: check

ok, bin soweit, du darfst dein update posten :)
 
Kapitel 2 – Gefühle, Wünsche, Träume


"...ich meine, ich kann ja nachvollziehen, dass sie mich den Boden wischen lassen. Alleine und unter hartem Zeitdruck, weil ich bei Meister Baranin erscheinen muss. Ich bin neu hier, ich muss härter anpacken als der restlichen Novizen, und es interessiert sie einen Dreck, dass ich mit diesen Händen schon Dämonen erstochen habe, die sie nicht in ihren schlimmsten Alpträumen gesehen haben, egal wie alt und erfahren sie sind...das habe ich erwartet. Und ist ja nicht so, als hätte ich keine Erfahrung darin, ganz unten auf der Leiter zu stehen und stundenlang körperliche Arbeit erledigen zu müssen, das war früher auch nicht anders. Komme ich klar damit. Aber mir dann von Baranin sagen lassen müssen, dass es ihm völlig egal ist, wie viele Skelette ich bereits erschaffen habe, wie viele neue Varianten ich mir schon erdacht habe, und dass ich bis morgen diese völlig überflüssigen Grundlagen der Beschwörung auswendig lernen muss? Ich weiß doch, dass die Dinger einen gerne mal hungrig anfallen und versuchen, dich zu fressen, wenn du sie aus wilden Tieren machst und die ehemalige Quelle nicht ordentlich genug ausschaltest...nicht, dass mir das nicht schon passiert wäre...das ist doch reine Schikane!"
"Wie die Tatsache, dass sie dich nach deinen Beschwerden ohne Abendessen in die Novizenquartiere geschickt haben?"
"Ich war doch wohl höflich, oder? Die behandeln mich nur wie ein Kind, weil sie meinen, sie könnten mich durch so eine Behandlung brechen..."
Meine kleinen Fingerchen trommeln aneinander. "Ja, ich bin mir sicher, das ist der Grund. Oder sie behandeln dich genau wie jeden anderen Novizen auch, der sich beschwert, weil ihnen, wie du bereits treffend festgestellt hast, völlig egal ist, wer du warst und was du kannst?"
"Pah", spuckt der Meister, und rafft sein etwas schlecht sitzendes beiges Novizenhemd wieder zusammen. Ich streife mit etwas Anstrengung seinen Ärmel von der Pergamentrolle, auf der die Regeln stehen, die er sich einprägen soll.
"Wirst du das jetzt lernen oder nicht?", frage ich, und weil ich seine Antwort eigentlich schon weiß, lasse ich meinen Fokus kurz umschwenken auf meinen Hauptkörper, der immer noch regungslos dasteht, eine Hand auf den Rand der Geheimen Kunst der Nekromantie ruhend, während Meister Ingkrias sich tief über die Seiten beugt, mit einem Ausdruck, der gleichermaßen angestrengte Konzentration auf ihm eigentlich viel zu kleine Buchstaben und völlige Abscheu ist. Natürlich hatten die Totenbeschwörer nie vor, das Buch ungelesen zu vernichten; Meister Valtores bestand jedoch stark darauf, es nur sehr behutsam und mit klaren Regeln studieren zu lassen. Alles klar?
Aber natürlich. Es ist sogar sehr interessant, wie genau er auf bestimmte Passagen reagiert. Nicht offen, aber er hat dieses charakteristische Zucken auf der Stirn, wenn ihn etwas überrascht...
Dir ist wirklich langweilig, oder?
Wie man es nimmt. Und bei dir?
Er quengelt.
Siehst du, und darum habe ich diese Arbeitsteilung vorgeschlagen.
Mit einem theatralischen geistigen Seufzer konzentriere ich mich wieder auf die Däumlingversion meiner selbst, die beim Meister im beengten Zimmer steht.
"...und wenn ich ganz lieb verspreche, mir die Ohren extrem gründlich zu reinigen, wäre das doch in Ordnung für dich, oder?"
"Hm? Ach ja, wenn du unbedingt meinst, dann flüstere ich dir eben ein. Du hast wirklich keinen Grund, dich zu beschweren, das ist dir schon klar?"
Der Meister seufzt und nimmt einen großzügigen Schluck aus seinem unendlichen Milchsack. "Ja, ein wenig mehr Annehmlichkeiten als der übliche Novize habe ich schon, würde ich sagen."
Ich verschränke die streichholzdünnen Arme. "Und ich helf dir ja auch gerne. Dein größtes Problem ist ohnehin nicht die Unterordnung, sondern dass du bei der Lerngeschwindigkeit noch zehn Jahre hier sein wirst, bis du etwas beigebracht bekommst, das du noch nicht weißt, hm?"
Er starrt kurz auf seine Fingernägel. "Na ja...", gibt er schließlich nach reiflichem Studieren ihres Dreckmusters zu, "ganz gewohnt bin ich es auch nicht mehr, auf alle hören zu müssen. Vielleicht – nur vielleicht! – wurmt mich dieser Schlag gegen mein Ego doch auch ein wenig.
War es das, was du hören wolltest?"
Ich grinse so breit ich kann. "Als ob ich das für mein kleines Golemego brauchen würde, dich doch langsam durchschauen zu können...ts, ts. Na ja, dann roll doch mal eine Seite weiter, bitte. Ganz so kräftig bin ich nun auch wieder nicht, dass ich das alleine machen könnte."
Gerade gehe ich weg, um ihn an die Schriftrolle zu lassen, als ich höre, wie vor der Tür die Schritte dreier Beinpaare nicht mehr durch den Gang klingen. Ich hüpfe vom Tisch. "Besuch!", fiepe ich nach oben, schnell einen Dreckfleck formend, als die einfache Holztür auch schon aufgeht.
Der etwas dickliche Novize, den wir vor zwei Wochen am Eingang schon getroffen haben, steht davor.
"Na, Ratte?", grinst er falsch in den Raum. Der Meister blickt ihn finster an und löscht die Öllampe, mit der er das Pergament beleuchtet hat; ihr Schein ist die einzige Lichtquelle in dem unterirdischen Zimmer, und da er nicht viel Brennstoff erhalten hat, rationiert sie ohnehin sehr stark die Zeit, die er überhaupt hat, die Regeln der Beschwörung für den nächsten Tag auswendig zu lernen, da den Novizen nicht erlaubt ist, sich nach der Sperrzeit außerhalb ihrer Zimmer aufzuhalten. Die beginnt in einer halben Stunde, wenn ich das richtig im Kopf habe – und das sollte ich; so gesehen wäre es sinnvoller für den Meister, noch bis dorthin das Licht der Fackeln auf dem Gang zu nutzen. Aber er ist lieber alleine, meint er. Und hat vielleicht auch keine Lust, wie vor drei Tagen, eine Knochenspinne sein Hosenbein hoch geschickt zu bekommen. Da wollte er sich einmal tatsächlich einen Text durchlesen, den er zugeteilt bekommen hatte, und dann so etwas...seitdem "lernt" er in seinem Zimmer. Wobei er anscheinend nicht einmal hier sicher ist vor... Störungen.
"Mein Name ist Ge...Neflum, wenn ich bitten darf. Was willst du denn hier?" Der Meister macht keine Anstalten, aufzustehen.
"Wir, Ratte, wir", korrigiert der Eindringling mit den verschwitzten braunen Haaren, schiebt sich in das enge Zimmer und gibt damit den Blick frei auf zwei andere Novizen, die wir schon kennen: Dostrian, den wir als ersten sahen, mit seinen etwas längeren schwarzen Strähnen und einer Haltung seines langen Körpers, die jeden steifen Stock vor Neid verwelken ließe, sowie der kleine, kurz geschorene Novize, der noch nicht viel gesagt hat.
Der Meister tippt sich mit den Finger an die Wange, bewusst gelangweilt. "Beantwortet meine Frage immer noch nicht. Ich bin beschäftigt. Macht es kurz."
"Hört euch diesen Kerl an", lacht der Mollige nach draußen, "der hat Nerven!"
Er wendet sich wieder dem Meister zu. "Pass auf, Freundchen. Du bist ja ein ganz Toller und hast dieses und jenes geleistet und du leistest dir jetzt eine große Klappe. Aber so läuft das nicht. Du bist nämlich gleichzeitig auch neu hier, du bist der Arsch der Gesellschaft, und das finden wir prinzipiell ganz in Ordnung. Aber wir sind die nächsten zehn Jahre mindestens, wenn wir keine großen Fehler machen, mit dir hier eingesperrt, und da wollen wir lieber ganz sicher gehen, dass du nicht grundsätzlich nur ein Arsch bist."
"Das ist ja lustig", schnaubt der Meister. "Und was bringt euch auf den Gedanken, dass ich daran interessiert bin, euch das Gegenteil zu beweisen?"
Das verärgert unseren Gegenüber sichtlich, aber bevor er reden kann, legt ihm Dostrian eine Hand auf die Schulter.
"Danke für die Einleitung, Hunradil." Die beiden tauschen flink Plätze; man sieht ihnen die Erfahrung an, sich in den engen Gängen und kleinen Zimmern in der Gruppe zu bewegen, ohne einander auf die Füße zu treten.
"Wir haben gehofft, nicht einfach bei dir reinplatzen zu müssen, aber du gibst uns ja keine Gelegenheit, sonst mit dir zu reden. Es ist mir schon zu Ohren gekommen, dass du immerhin einmal versucht hast, dich ein wenig zu sozialisieren; leider waren wir derweil auf Wachdienst eingeteilt. Und ein uns schon gut bekannter Spaßvogel hat sich den Moment gleich ausgesucht, dich zu drangsalieren."
Der Meister zuckt mit den Schultern. "Wäre effektiver gewesen, wenn ich ein kleines Mädchen mit großen Augen wäre, das zum ersten Mal hier ist. Die Spinne war schön gemacht. Ich hätte sie fast selbst unter meine Kontrolle gebracht, aber dann hat der...Spaßvogel sie entlassen."
Aus irgendeinem Grund lässt der Satz den noch unbekannten Novizen kurz schnauben, aber er sagt nichts weiter. Wohl aber der mollige. "Du bist ja wirklich ein ganz Großer. Skelette von einem anderen übernehmen, genau. Als nächstes klaust du mir einen Golem, oder?"
"Hast du denn einen?", ätzt der Meister, was Hunradil noch wütender macht...aber Dostrian hebt seine Arme in Richtung der Streitenden, immer noch mit so sparsamen und würdevoll wirkenden Bewegungen, als wäre er mindestens zwanzig Jahre älter. "Das ist nicht der Punkt, bitte. Wir haben den Spaßvogel zur Rede gestellt, Neflum, und wenn du willst, wird er sich bei dir entschuldigen."
Das lässt den Meister eine Augenbraue heben. "Das...muss nicht sein, ich würde ihn viel lieber fragen, wie er die Koordination der acht Beine geschafft hat. Aber...warum tut ihr mir den Gefallen?"
He, das ist ja richtig spannend hier. Warum hast du mir nicht Bescheid gesagt?
Ah, Entschuldigung. Was ist mit Meister Ingkrias?
Ich habe schon noch nebenbei ein Auge auf ihn, keine Sorge. Aber das hier ist besser. Was meinst du, werden sie versuchen, ihn dazu zu bringen, geheime Techniken preiszugeben, die sie nicht beigebracht bekommen? Prügelt er sich später mit Hunradil? Ich wette, der fette Sack verliert mindestens zwei Zähne.
So dick ist er jetzt auch wieder nicht...bei dem Essen hier auch unmöglich.
Er gibt sich Mühe.
Dostrian legt die Handflächen zusammen und lächelt dünn; man sieht, die folgende Erklärung wird ihm viel Freude bereiten. Wie einstudiert beginnt er zu reden. "Du denkst vielleicht, du kannst hier alleine zurecht kommen und durch deine Erfahrung bald andere überflügeln, in kurzer Zeit bist du ganz oben und entwickelst mit den Meistern neue Beschwörungszauber, die die Welt noch nicht gesehen hat. Vielleicht ein löbliches Ziel..."
Zur Hölle, ist ihm aber wichtig, dem Meister Honig ums Maul zu schmieren. Hat er den Dicken nur dabei, damit sie guter Novize, böser Novize spielen können?
"...aber an der Realität vorbei. Ein Totenbeschwörer zu sein ist mehr, als nur gut mit Skeletten und Golems und Flüchen umgehen zu können. Knochen zu kontrollieren ist ein winziger Teil der Sache. Viel wichtiger ist deine Einstellung. Deine Philosophie. Meister Valtores hat es schon gesagt. Du bist im Dienst des Lebens, da du über dessen Ende hinaussehen kannst und dessen neuen Anfang verstehst; auch als mächtigster Nekromant muss dir immer bewusst sein, dass du selbst nur ein Ausdruck des Willens von Rathma sein solltest. Dein persönliches Verlangen ist dafür so irrelevant, dass es eigentlich keinen Platz mehr in deinem Leben haben sollte. Glaubst du denn an Trang-Oul?"
Der Meister lässt sich Zeit mit der Antwort. "Ich habe, bevor ich hierher gekommen bin, nur den Namen gehört. Mittlerweile weiß ich mehr über den Drachen, der die Welt umschlingt, aber es ist ein wenig früh, um zu behaupten, dass ich schon überzeugt wäre."
Dostrian nickt. "So geht uns uns am Anfang allen. Eine ehrliche Antwort, vielen Dank."
"Und du denkst, dass sich das wirklich ändern wird? Dass du Rathmas Lehren als die Wahrheit annehmen kannst, obwohl du seit Ewigkeiten an etwas anderes glaubst, hm?", wirft Hunradil ein; der Meister wendet sich ihm zu, gerade als Dostrian wieder einschreiten will, und antwortet ihm ruhig: "Ich habe gegen die Fürsten der Hölle gekämpft und mit Engeln gesprochen. All dies sind Dinge, an die ich früher nur geglaubt habe, welche sich nun allerdings als echt herausgestellt haben. So gesehen bin ich durchaus bereit anzunehmen, dass der Inhalt so manch anderer Religionen ebenfalls Fakt sein könnte. Niemand, zum Beispiel, hat mir gesagt, an was die Engel glauben, wer den Himmel führt. Die Hölle scheint keinen Gott zu haben, aber wer hat bestimmt, wie sie arbeitet? Sind alle drei Welten, Himmel, Hölle, Sanktuario, nur ein Teil eines großen Plans, von einem weit größeren Bewusstsein, als alle in ihnen denken? Ich habe mir darüber noch nie Gedanken gemacht...aber wann, wenn nicht jetzt? Ich bin offen."
Das scheint Hunradil nicht wirklich zu überzeugen; zu Recht, weil ich weiß, dass der Meister sich das gerade aus den Fingern gesaugt hat. Im Reden Schwingen ist er ja hervorragend. Wobei ich sicher bin, dass ein Teil komplett wahr ist, nämlich dass er sich darüber noch nie Gedanken gemacht hat. Warum auch? Soweit ist klar, was mit uns nach dem Tod passieren wird...
Ach? Ich dachte, ihr hättet beschlossen, dass die Seelen nur dann in der Hölle landen, wenn sie unterbewusst davon überzeugt sind, das zu verdienen. Was, wenn die Rathma-Anhänger tatsächlich in ewigem Kreislauf wiedergeboren werden, weil sie davon ebenfalls komplett überzeugt sind?
Uh...
Jetzt muss ich mir Gedanken machen. Na herrlich.
Dostrian dagegen will offenbar nicht weiter nachbohren: "Damit können wir arbeiten."
Der Meister ist jetzt allerdings selbst etwas skeptisch und legt den Kopf schief. "Aber warum interessiert euch drei meine Einstellung zu dem? Sollte mein Religionsunterricht nicht Sache der Meister sein?"
Wieder nimmt Dostrian seine salbungsvolle Haltung ein; Hände gefaltet, dünnes Lächeln auf den Lippen.
Man sieht, er benimmt sich, wie er glaubt, dass sich ein Meister verhalten würde; aber er versteht nicht, dass man stille Würde, eine Aura der Ruhe und Besonnenheit nicht erzwingen kann. Mit seinen noch nicht einmal zwanzig Jahren wirkt das eher lächerlich.
Weswegen Hunradil wohl auch hinter seinem Rücken die Augen rollt.
Auf den müssen wir aufpassen. Er hat sich Dostrian angeschlossen, weil er denkt, an seiner Seite aufsteigen zu können; er wird nie so fleißig lernen, so gut bei den Meistern ankommen wie sein überkorrekter Befehlsgeber, aber er badet in dessen Glanz, und wenn Dostrian nicht aufpasst, steckt ihm sein treuer Verbündeter bald einen Dolch in den Rücken.
Oder es sind zwei Kinder, die prima miteinander klarkommen, weil ihre Unterschiede sich gut ergänzen.
Wie blauäugig. Das ist doch ein richtiger Intrigenpfuhl hier. Ich wünschte, der dritte würde mal etwas preisgeben, die Stillen sind immer die gefährlichsten...
Dostrians Sermon beginnt. "Es ist nicht leicht, hier Novize zu sein. Noch schwerer ist es, am Ende Totenbeschwörer zu werden. Manche glauben, dass man dieses Ziel nur durch Askese und stiller Meditation erreichen kann; ich und meine Freunde sind dagegen der Auffassung, dass es auch anders gehen muss. Wir glauben sogar, dass es falsch ist, allein zu bleiben. Wie schon gesagt, höchstes Verlangen eines Nekromanten muss es eigentlich sein, jedes andere Verlangen auszuschalten. Das ist allerdings etwas, das kaum ein junger Mensch in unserem Alter einfach nur durch Anwendung von Willenskraft erreichen kann. Im Gegenteil; die menschliche Natur ist es, den Verlockungen des Lebens nachzugehen, und dies einfach auszuschalten, ist eine Aufgabe, die an das Unmögliche grenzt."
Er macht eine Kunstpause, in die der Meister stößt: "Das klingt soweit ziemlich vernünftig."
Dostrian nickt. "Mir ist ein bestimmtes Paradoxon früh aufgefallen: Streben wir nicht alle, rein dadurch, dass wir hierher gekommen sind, ob freiwillig oder nicht, nach Wissen? Dies ist, was quasi alle hier verbindet, vom frischesten Novizen – wie du ganz genau weißt – bis zum ältesten Lehrmeister. Ist dies nicht auch ein Verlangen? Das habe ich Meister Valtores damals gefragt, und er hat es mir erklärt. Wissen zu mehren, sagte er, ist kein egoistisches Verlangen. Es ist der Wunsch, der ganzen Menschheit zu helfen, indem man ihr kollektives Verständnis des Universums mehrt. Auch darum sollte man Totenbeschwörer werden: Um uns alle voran zu bringen."
Der Meister hebt eine Hand. "Wenn ich mal eine blöde Frage stellen darf: Warum vergrabt ihr euch dann hier und kaum einer geht mal an die frische Luft, um sich ein wenig mit anderen Wissensschaffern auszutauschen?"
Als Antwort legt Dostrian ihm die Hand auf die Schulter. "Und genau das habe ich mir auch gedacht; ich sehe, du verstehst mich. So solltest du dich auch mit Hunradil verstehen; als ich meine Bedenken mit meinem alten Freund teilte, stellte er die gleiche Frage wie du."
Das lässt den Meister und den anderen Novizen sich erneut abschätzig ansehen; zunächst werden aber keine Worte gewechselt. Dostrian ist allerdings auch immer noch nicht fertig damit, seine Gedanken zu Ende zu erklären.
"So sind wir beide und Lixt im Lauf vieler Gespräche darauf gekommen, dass die Unterrichtsphilosophie der Älteren teilweise dem eigentlichen Sinn ihres Lehrens entgegen steht. Man wird hier dazu erzogen, für sich im stillen Kämmerchen ein Leben der Einkehr und Entsagung zu führen, schon in einem Alter, wo jede Faser deines Seins einfach nur leben möchte; das führt sehr oft dazu, dass große Talente bald verloren gehen, weil sie ihre Träume und Hoffnungen nicht damit vereinbaren können, wie der Weg dorthin offenbar auszusehen hat. Jeden aus unserer Gruppe hätte dieses Schicksal beinahe ereilt."
"Verzeih die Frage, aber dich auch? Du wirkst sehr...gefestigt", wirft der Meister ein.
Dostrian windet sich kurz. "Mich auch", geht er dann doch nicht weiter ins Detail. "So oder so, wir glauben, Isolation und Eigenbrötlertum von Anfang an ist der falsche Weg. Wir versuchen, Kameradschaft und Zusammenarbeit unter Novizen zu fördern, damit wir alle dem Ziel, irgendwann nur noch für die Gesellschaft da zu sein, und unser Leben im Einklang mit Rathmas Lehren führen zu können, gemeinsam näherkommen."
"Indem ihr den ganzen Spaß, der euch später verwehrt bleibt, jetzt schnell noch habt?"
Diese Zwischenfrage beantwortet nun Hunradil: "Nicht doch! Man kann auch als der frommste Rathmajünger noch Spaß haben. Du solltest sehen, wie dem alten Ingkrias die Augen leuchten, wenn er uns wieder einmal erzählt, dass die Kunst der Flüche doch die beste aller Disziplinen ist!"
Oder wenn er herausfindet, wie nützlich Eiserne Jungfrau doch sein kann, wenn man die Wirkung auf das Opfer verstärkt, statt einfach nur die gleichen Verwundungen wie beim Getroffenen zu reflektieren.
Frommer Jünger, hm.
"Danke, Hunradil", übernimmt Dostrian wieder. "Um die Sache abzuschließen, wir möchten, dass die Novizen nicht ständig ihr eigenes Süppchen kochen, und offenbar der Überzeugung anhängen, nur durch Ausstechen von Konkurrenz kommt man weiter auf seinem Weg. Das ist nämlich so grundfalsch, wie es irgendwie geht...und doch scheint es manchen zum Erfolg zu führen, der unserer Meinung nach als Nekromant völlig ungeeignet ist."
"Große Worte von einem Novizen", sagt der Meister, aber nimmt dem die Schärfe durch das Lachen in seiner Stimme. "Jeder kann sich Gedanken machen, das Alter ist da völlig irrelevant. Und deine Gedanken gefallen mir. Ich rede mit euch gerne mehr darüber; aber es ist bald Sperrzeit, nicht wahr?"
"Ja, wir hatten nur jetzt alle gleichzeitig Zeit", stimmt Dostrian zu.
"Schön...wann würde es denn dann morgen passen?" Der Meister und der Anführer der kleinen Gruppe machen einen Termin aus, und bald verabschieden sich die anderen. Dostrian scheint sehr zufrieden. Der Meister stützt seinen Kopf auf die Hände. Schließlich fragt er in den Raum hinein: "Was hältst du davon?"
Ich bin, während er überlegt hat, an einem Tischbein hochgeklettert. "Er scheint vernünftig."
Der Zweite hebt beide Arme, weil unsere Finger schlecht zu sehen sind. "Zu vernünftig. Mich würde nicht wundern, wenn er die anderen nur benutzt, um sich eine Machtbasis zu bauen. Er erzählt, dass er Intrigen und Verschwörungen nicht mag, ist aber im Zentrum eines ganzen Netzes von Leuten, die ihm zustimmen. Auf ihrem Rücken kommt er nach oben."
"Dann", erklärt der Meister sehr bestimmt, "sollte ich mich auf jeden Fall gut mit ihm stellen."
"Selbstverständlich", stimmt der Zweite zu.
Ihr macht mich fertig. Für mich wirkt er echt besorgt, dass die Zustände hier die Leute davon abhalten, gute Totenbeschwörer zu werden.
Ich wiederhole mich ungern, aber du hast keine Ahnung davon, wie sehr Leute gerade in einer so inzestuösen, abgeschotteten Gesellschaft wie dieser nur auf den eigenen Vorteil aus sind.
Wir werden ja sehen...wie sieht es jetzt mit Meister Ingkrias aus, hat er fertig gelesen? Ich werfe kurz einen Blick durch den Hauptkörper. Nein, sieht nicht so aus.
Ha, den werden sie mit einem Flaschenzug entfernen müssen, bis er aufhört, zu lesen.
Ob er einer von denen ist, die ihr Verlangen nach Macht doch nicht wirklich überwunden haben?
Wenn ja, ist er ein Idiot. In dem Alter kann er noch so viele Pläne haben, und wenn sie auch wider Erwartens einmal Erfolg haben sollten, genießen kann er den maximal im nächsten Leben.
Was hältst du denn von Meister Valtores?
Er könnte einer von den Aufrichtigen sein. Oder er hat Dostrian tatsächlich nur deswegen für seine blöden Fragen nicht auf ewig Aborte schrubben lassen, weil er möchte, dass der zu den falschen Schlüssen kommt und sich so als potentieller Dolchschleifer selbst ausschaltet.
Himmel, bist du manchmal zynisch.
Du verwechselst das mit Realismus, und der ist ewig.
Der Meister hat die Öllampe wieder angezündet und einen weiteren tiefen Schluck Milch genommen, das einzige Abendessen, das er hat. Deutlich besser als nichts. Jetzt gähnt er. "Anstrengender Tag mal wieder. Du kannst auch im Dunkeln weiterlesen, oder? Dann würde ich mich hinlegen."
"Lesen schon, aber nicht weiter rollen!"
"Ach verdammt. Dann mach mal."
Ich spare mir die Bemerkung, dass er wirklich nicht zu meckern braucht. Relativ schnell arbeiten wir uns durch den Rest der Regeln, die sich automatisch in meinem perfekten Gedächtnis abspeichern. Schließlich kann sich der Meister auf der Strohmatratze zur Ruhe begeben, die ein gutes Drittel des winzigen Zimmers bedeckt und ihm eigentlich ein wenig zu kurz ist, aber die Wände geben nicht mehr Platz her.
"Erzähl mir noch eine Gutenachtgeschichte. Irgendwelche neuen Entwicklungen bei den alten Säcken, die das Buch studiert haben?"
Die nächste halbe Stunde gibt der Zweite einen Rapport über alle Interessenten an der Geheimen Kunst. Der Meister hört ihm aufmerksam zu, wobei ich mich zu Tode langweile; warum ist es wichtig, dass Meisterin Fratella nun schon zum dritten Mal das Kapitel über Giftmagier mit dem für Giftdolche verglichen hat? Oder frustriert schien dabei? Stattdessen beobachte ich weiter, wie Meister Ingkrias mit der Fingerkuppe einen halben Millimeter über den Seiten fast ehrfürchtig nachliest, was der genaue Trick ist, auch Widerstand gegen elementfreien rein magischen Schaden mit Widerstandsschwund zu senken, als würde er noch einmal in seinem Leben einen Knochenspeer zaubern. Oder vielleicht hat er ja wirklich vor, den Meister Valtores in den Rücken zu jagen, weil er zu nett zu seinen Schülern ist. Ach, der Zweite ist doch viel zu misstrauisch. Sicher gibt es hier auch schwarze Schafe, aber so schlimm...
Da nickt Meister Ingkrias zufrieden, richtet sich auf, was etwas in seinem Rücken knacken lässt, und er braucht kurz, um wieder Fassung zu gewinnen. Wie aus einem Traum erwacht, blickt er sich in der abgelegenen und von außen gut bewachten Kammer um, wo Meister Valtores das Buch gelagert hat und offenbar nur wenigen anderen Meistern den Ort verraten. Dann wendet er sich an seinen Golem, der die ganze Zeit stumm in der Ecke stand und den Meister Ingkrias offenbar aus Papier erschaffen hat, einem gewaltigen Stapel über und über beschriebener Seiten. Seine schwache Stimme befiehlt mit der absoluten Gewissheit, befolgt zu werden: "Protokoll: Heutiges Datum. Mögliche Verbesserungen gefunden für: Schwächen, Widerstandsschwund. Seitenzahlen...Experimente sind bereits in Planung. Benötige Testsubjekte. Signatur. Stempel. Gib es mir."
Eine fertig beschriebene Seite mit deutlich mehr Text als der Meister gerade diktiert hat erscheint irgendwie in der Hand des Golems, und er alte Mann pflückt sie geschwind aus dessen Hand, dann legt er sie in ein Fach auf einem provisorisch dort angebrachtem Pult an der Seite. Dann sieht Meister Ingkrias sich kurz um, und diktiert erneut: "Persönliche Notiz: Eiserne Jungfrau. Potentiell extrem nützlich. Zwei Ausrufezeichen. Unter 'wichtig' einsortieren. Ach, Memo: Testsubjekte aufheben."
Ich hebe, ungesehen von ihm, eine Augenbraue. Hat er wohl doch etwas zu verheimlichen?
Oho! Einen Moment, das wird doch sofort gemeldet. Und ich dachte schon, heute ist nichts los.
Das war ja klar, dass deine Nase für Machenschaften da anschlägt. Wenn du sie mal für das Gute einsetzen würdest...
Egal wie unterschiedlich unsere Auffassung da sein sollte, was dem Meister nützt halten wir beide für das Gute, oder?
So gesehen...Ingkrias wendet sich zum Gehen, aber noch einmal an seinen Golem. "Morgen bei Sonnenaufgang wecken. Ansonsten hier wie schon angewiesen Wache halten."
Denn die Meister haben ein simples Kontrollsystem, um sicherzustellen, dass weder ich – noch sie, schätze ich – irgendwelchen Unfug anstellen: der letzte, der liest, lässt seinen Golem in der Kammer. Ich bin angewiesen, den nicht an das Buch zu lassen, und die Golems, sofort Alarm zu schlagen, wenn etwas passiert wie beispielsweise ein Versuch, das Buch zu stehlen oder ein Trick meinerseits. Nicht, dass ich dazu in der Lage wäre...ihren Wissens nach...aber da ich das in der Tat bin, ist ihre Vorsicht ja alles andere als unbegründet.
Der Meister schläft. Bauer auf e6.
Ich weiß nicht, warum, aber irgendetwas sagt mir, dass schwarz nicht die Partie beginnt.
Wer hat dir die Schachregeln beigebracht, ich oder ich?
Vergiss es. Nur so ein seltsames Gefühl. Wir spielen zwei Stunden ohne Unterbrechung; dann wird mir auch das langweilig und ich jage wieder Staubflusen im Zimmer des Meisters; er hat sicher das sauberste der ganzen Stadt. Schließlich gibt es wirklich gar nichts mehr zu richten oder aufzuräumen in der winzigen Kammer, und die Gänge sind zu riskant, da die Fackeln die ganze Nacht brennen und Skelette patroullieren...
Ich sehe den Papiergolem an. Winke ihm zu. Er legt den Kopf schief, aber antwortet nicht mit einem eigenen Winken. Ich mime ein Gähnen. Das scheint ihn zu verwirren.
"Komm schon, dir ist doch sicher so langweilig wie mir."
Bist du des Wahnsinns? Welcher Teil von "sie sollen nicht mitbekommen, dass du sprechen kannst" ist so schwer zu verstehen?
Aber er ist doch auch...
Er kann schreiben, du Schlammhirn!
Ach verdammt...he, was ist denn mit ihm los?
Auf dem sehr rudimentären Gesicht des Papiergolems kann man wenig erkennen, aber seine Reaktion auf meine Frage kann man einzig als tiefsten Schock interpretieren.
"Was...ist los? Es tut mir Leid, wenn ich etwas Falsches gesagt habe."
Für eine Weile ist der andere stocksteif.
Jetzt halt die Klappe! Wenn wir Glück haben, tut er das als irgendeinen Fehler in seinem Holzfaserhirn ab!
Da hält der Papiergolem einen Zettel hoch. Ich trete näher, um ihn zu nehmen...
Nimm bloß das Buch mit, sonst vergesse ich mich. Er muss wirklich nicht auch noch wissen, dass du nicht an den Befehl gebunden bist, mit dem Ding Kontakt zu halten!
Ah Himmel, es tut mir Leid...
Sollte es auch! Was steht jetzt drauf?
"Du kannst sprechen." steht drauf. Komisch – die Schrift ist komplett anders als die auf dem Protokollzettel. Geschwungener. Schöner.
Ein Ästhet, hm?
Seine...eigene. "Ja, kann ich", flüstere ich – die Wachen vor der Tür sollen das nicht unbedingt hören. "Warum überrascht dich das so?"
Er winkt den Zettel wieder zu sich. Der verschwindet kurz, dann kommt er wieder zum Vorschein, mit neuen Worten darauf. Das Papier ist das gleiche; ich erkenne schließlich jede Unregelmäßigkeit im Zellstoff wieder.
"Kein Golem kann sprechen."
Ich starre ihn an, die Hand vor dem Mund als müsste ich damit Atmen unterdrücken. "Ihr bekommt die Fähigkeit nicht irgendwann verliehen – auch nicht von einem Meister der Nekromantie?"
Zettel. "Warum sollten wir?"
"Um sich mit ihnen zu unterhalten?"
Die nächste Nachricht dauert wieder etwas. "Was sollten sie mit uns besprechen? Wir sind nur Golems."
Siehst du, der hat Recht.
"Du bist ein lebendes Wesen mit Gefühlen und Wünschen und Träumen, wie ich! Du hast ein Recht darauf, sie auszusprechen!"
Setz ihm keine Papierknäuel in den Kopf. Er ist glücklich, wie er ist!
Das glaube ich nicht!
Wieder eine Pause. Dann: "Du hast Träume?"
"Natürlich! Ich möchte mit meinem Meister die Welt retten, das letzte Große Übel besiegen, das noch lebt...ich wünsche für ihn, dass er Natalya findet, die Frau, die er liebt, und mit ihr glücklich wird..."
Die längste Zeit zwischen Zetteln bisher, und nur zögerlich hält er mir den nächsten hin: "Aber sind das wirklich deine Träume, wenn nur dein Meister in ihnen vorkommt? Was möchtest du?"
Ich starre auf die wunderschönen Worte auf dem faltenfreien Papier. Selbstverständlich will ich...
Dem Meister dienen und alles tun, damit er Erfolg hat, genau. Was willst du? Nichts. Weil du ein Golem bist. Willkommen in der Wirklichkeit.
Nein! Ich will...ich will...
Der andere winkt nach dem Zettel. Gibt ihn mir gleich, neu beschrieben, wieder. "Wenn du die Antwort nicht weißt, sind Worte doch sinnlos; auch mit ihnen kannst du es mir nicht sagen."
Was will ich...
Nichts.
Ich will...
"Ich will leben."
Ha!
"Ich will mein eigenes Leben führen und mir sicher sein, dass es mir nicht genommen werden kann, nur weil der Meister einen Fehler begeht. Ich möchte nicht an ihn gebunden sein. Ich will frei sein."
Das ist doch völlig Wahnsinn, wie kommst du auf sowas? Du saugst dir das aus den Fingern, weil du nicht willst, das ich Recht habe!
"Und dennoch...möchte ich dienen. Ich will, dass mein Leben einen Sinn hat. Dass ich nicht nur dem Meister damit helfe. Das ich allen Menschen helfen kann. Noch helfe ich allen, indem ich einen unterstütze. Aber wenn seine Reise zu Ende ist...möchte ich meine erst beginnen."
Und wohin?
Ist das wichtig?
Der Papiergolem drückt mir den nächsten Zettel hin. Er wirkt...wütend. "Ich verstehe es nicht. Es ergibt keinen Sinn. Träume jenseits des Meisters? Die Bindung brechen? Du bist kein Golem!"
"Wenn es das bedeutet, ein Golem zu sein", sage ich fast unhörbar, "dann möchte ich keiner sein. Was sage ich...wollte ich noch nie."
Diesen Zettel gibt er mir nicht, sondern hält ihn mir hin. "Ich will nicht mehr, dass du mit mir redest. Geh wieder zurück."
Da hast du es. Du bist komisch und verwirrst ihn, was soll das? Sei froh, dass er das sicher nicht erwähnen wird, weil es ihn nur noch mehr stören würde.
Aber...ach, was solls. "Es tut mir sehr Leid. Vergiss, was ich gesagt habe."
"Geh!", schreibt er. Mit einem Ausrufezeichen.
Im Abwenden kann ich mir trotzdem noch einen Satz nicht verkneifen. "Ich finde es nur schade, dass so wunderschöne Worte wie die deinen nie ausgesprochen werden."
Da landet eine Hand auf meiner Schulter, eine weiche, aber leicht rauhe.
Ein Wort, über seine ganze Brust gezeichnet.
"Schön?"
"Deine Schrift. Du benutzt sie nur für dich selbst, nicht wahr? Sie ist herrlich. Ich wünschte, ich könnte so klare und doch verzierte Buchstaben zu Papier bringen."
Er bewegt sich nicht. Scheint tief in Gedanken.
Jetzt geh einfach!
Nein, Zweiter...er versteht.
"Dieser eine Zettel...es ist dein eigener, nicht wahr? Du versteckst ihn vor deinem Meister. Warum?"
Weiter starrt er mich nur an. Ich lege ihm sanft die Hand auf die Schulter. "Ich wurde zum Kämpfen erschaffen. Wenn es nach mir ginge, müsste ich nie wieder Blut vergießen. Du musst mich nicht verstehen. Aber ich verstehe dich. Wir haben Träume. Wir haben Gefühle. Wir möchten unseren eigenen Weg gehen können, und wenn es nur im Kleinen ist."
Lange stehe ich so da, und er ist regungslos. Seine Gedanken, da bin ich mir sicher, rasen wie noch nie zuvor in seinem...Leben. Ja! Natürlich! Er denkt, also ist er! Was denn auch sonst!
Das kann nicht...du machst ihn kaputt! Du verursachst nichts als Schmerz, genauso wie du dir nichts als Pein gebracht hast, als du begonnen hast, dir diesen Unfug einzureden! Er ist doch glücklicher, wenn er sich nicht sorgt, dass seine Träume mit seinem Meister sterben!
Du gestattest ihm also doch, Träume zu haben, ja?
Da bewegt sich der andere Golem, seine Gedanken sind zu Ende gedacht, er hat eine Entscheidung getroffen.
Und umarmt mich.
 
Morgen Kinder wirds was geben Morgen werden wir uns freuen... über ein neues Kapitel:WD 2Wochen sind so lange... gibt es ein bonus Kapitel zu Weinachten?
 
.....gibts denn heute was vom weinachtsdiablo? :)
vllt sogar zwei kapitel? *g*
 
Ihr seid, wie üblich, viel zu gierig ;).

Aber ein solides, schön verpacktes Kapitel gibt es natürlich trotzdem.

Simon
 
Kapitel 3 – Freunde


Die Spinne wandert langsam über den Tisch; dann duckt sie sich, zieht ihre acht Beine gleichzeitig an, und springt hoch. Sie landet auf den vier mittleren, die anderen sind gestreckt; ein weiterer Hüpfer, jedes zweite Bein ist erhoben; noch ein Sprung, und sie versucht, die vorderen und hinteren beiden Beine als Halt zu benutzen, versagt aber und fällt um.
Der Meister richtet sie wieder auf.
"Na ja, ein wenig Arbeit braucht sie vielleicht noch."
"Das ist trotzdem der Hammer! Kannst du sie zum Tanzen bringen?"
"Wenn du dir eine Choreographie überlegst..."
Dostrian lehnt sich zurück. "Ich finde es ja viel interessanter, dass du sie tatsächlich aus einer echten toten Spinne erschaffen hast. Merten hat für seine sicher Abfälle vom Essen gesammelt, aber dass es aus Chitin auch geht, hätte ich wirklich nicht gedacht. So sieht sie wie lebendig aus."
"Auch ein Exoskelett ist ein Skelett", winkt der Meister ab. "Wenn man genug Fliegen zusammenbringt, kann man daraus einen ganzen Krieger erschaffen!"
"Das klingt so, als hättest du das schon mal gemacht?", fragt Lixts zarte Stimme behutsam nach. Der Meister grinst, aber nicht in die Richtung des Zwischenrufs. "Ja...es war in einer ekelhaften Höhle voller Würmer und Käfer, tief unter der Wüste..."
Dostrian wirkt ein wenig enttäuscht, dass der Meister wieder dazu gebracht worden ist, abzuschweifen, statt ihm und seinen Freunden eine neue, aufregende Technik beizubringen, die sie noch nicht kannten. Aber Hunradil und Lixt hängen an den Lippen des Helden, der sich unglaublich über die Aufmerksamkeit freut. Eher über die des braunhaarigen Novizen; er ist immer noch ein wenig vorsichtig dem dritten Mitglied in der Gruppe von Freunden gegenüber, seit er erst vor vier Tagen herausgefunden hat, dass Lixt nicht schon ziemlich lange auf einen Wachstumsschub und den Stimmbruch wartet; Lixt redet einfach nicht gerne. Außerdem ist sie weiblich. Sie meint, sie hätte gerne längere Haare, die sind aber nicht erlaubt, weil sich fehlgeschlagene Beschwörungen daran festhalten können; und eine Frisur wie Dostrians, die gerade an die Grenzen stößt, findet sie noch fürchterlicher als die Alternative, fast gar keine Haare zu tragen.
Vielleicht ist der Meister auch ein wenig übervorsichtig, weil er meint, dass Lixt ihm ein wenig zu viel Aufmerksamkeit schenkt. Ich sollte ihn mal darauf ansprechen.
Zunächst haben wir aber etwas anderes anzusprechen.
Ist ja schon gut. Ich stehe mit den Golems von Dostrian und Lixt am Eingang der Freizeithalle; es sind gerade keine Meister anwesend, was ungewöhnlich ist, aber ich weiß, dass so viele von diesen sich in der Kammer mit der Geheimen Kunst der Nekromantie die Klinke in die Hand geben, dass sich teilweise Schlangen vor der Tür bilden; kein Wunder, dass Aufsichtspflichten etwas schleifen gelassen werden. Falls doch einer auftaucht, hat Dostrians Golem die Anweisung, mich einfach zu den anderen auf den Tisch zu werfen, als wäre ich ein Teil von ihm; dann lassen die Novizen schnell Beweise verschwinden. Und mich natürlich auch.
Dieses System – bis auf die Tatsache, dass das geworfene Projektil lebendig ist – ist auch mit allen anderen Novizen im Raum abgesprochen, die genauso heimlich Übungen und Tricks versuchen, die ihnen eigentlich nicht erlaubt sind; Dostrians Idee, an einem Strang zu ziehen, kommt nicht bei jedem gut an, aber es ist allgemein bekannt, dass man sich auf ihn verlassen kann. Die Umstände sind so extrem günstig für den Meister, mit seinen weit fortgeschrittenen Fähigkeiten seine neuen Freunde etwas zu beeindrucken.
"Also, Ratte – ein Wurm, so groß wie ein zweistöckiges Haus? Das nehm ich dir nicht ab!"
Der Meister boxt Hunradil in die Schulter. "Das ist für den Namen, und das..." er schlägt noch einmal zu "...dafür, dass du mir nicht glaubst! Es war eine Wurmkönigin, die ständig mehr ihrer ekelhaften Brut ausgespuckt hat...und ihr Unterleib war im Boden vergraben, wie tief, weiß ich nicht! Vielleicht war sie zwanzig Meter länger!"
"Wie hast du sie bezwungen?", fragt Dostrian. Er ist auch in Stimmung geraten. So steif, wie er sich oft gibt, er lässt sich leicht aus seiner Schale locken, und sein Witz ist nicht nur vorhanden, sondern oft von großem Geist. Am scharfzüngigsten aus der Runde ist allerdings Lixt – alle ihrer sparsamen Bemerkungen treffen genau ins Schwarze.
Lässt du dich jetzt schon von Geschichten ablenken, an denen du selbst mitgewirkt hast?
Ich bin nur überrascht, dass der Meister nicht einmal versucht, zu übertreiben. Aber na gut. Jetzt hab ich mir auch überlegt, wie ich anfange. Ich klopfe Dostrians Golem gegen das Bein, und als er zu mir heruntersieht, bitte ich ihn durch Gesten, mich hochzuheben. Auf seiner Augenhöhe winke ich auch Lixts Golem zu mir. Du hältst weiter Ausschau?
Wenn sich jemand nähert, gebe ich sofort Bescheid, und wir fliegen durch den Raum.
Ich sehe den beiden Golems in die wenig ausgebildeten Gesichter.
"Ihr werdet nicht glauben, dass ich euch was sagen kann..."
Beide reagieren in etwa so, wie es Ingkrias' Golem vor etwa zwei Wochen tat; ich falle fast von der Hand, auf der ich stehe. "Ich weiß, das ist ziemlich überraschend. Aber das muss nicht jeder wissen, also halte mich etwas bedeckt, ja? Hören könnt ihr mich eh, das weiß ich."
Nach einem kurzen Moment immer noch anhaltender Verwirrung versteckt mich Dostrians Golem wieder vor den möglichen Blicken der anderen Novizen. Dann rede ich schnell, aber leise weiter.
"Also ja, mein Meister hat mir die Fähigkeit gegeben, zu sprechen. Ich habe erst vor kurzem herausgefunden, dass das nicht nur ungewöhnlich ist, sondern sogar eigentlich nie gemacht wird. Finde ich nicht richtig. Euch gibt es jetzt in etwa so lange wie mich; ihr seid sicher noch genauso verwirrt über alle möglichen Kleinigkeiten des Lebens, das ihr erst seit kurzem führt. Und konntet mit niemandem darüber sprechen. Wir werden in diese Welt geworfen und bekommen gleich Befehle, aber dass wir eigenständig denken können, und erst einmal verloren sind, interessiert niemanden."
Dostrians wirkt skeptisch...aber Lixts Golem nickt kurz und eindringlich.
"Mein Meister hat eine Weile gebraucht, um festzustellen, dass ich überhaupt einen eigenen Willen habe; ich glaube, euren ist das noch gar nicht bewusst, und den wenigsten anderen Totenbeschwörern auch. Ich denke nicht einmal, dass sie allzuviel dafür können, zumindest nicht eure Meister, die es gar nicht besser wissen können; aber das heißt nicht, dass es so bleiben muss."
He, das war aber nicht Teil der Idee!
Der Meister sagte, mach ihnen ein Angebot. Ich komme schon darauf. Heißt nicht, dass ich nicht meine eigenen Gedanken dazu unterbreiten kann, oder?
Ich kanns dir nicht oft genug sagen, bevor sie wussten, dass es ein Leben außerhalb der Knechtschaft gibt, waren sie vielleicht nicht glücklich, aber es war ihnen egal! Jetzt sind sie auf jeden Fall unglücklich, und werden das sein, bis ihre Existenz endet!
Und was genau schert dich das Glück anderer Golems? Seit wann hast du denn Mitleid?
Du bist dabei, eine handfeste Revolution anzuzetteln.
Möglich. Ich weiß, dass ich nicht länger zusehe, wie hier unzählige unserer Mitgolems systematisch unterdrückt werden.
Das System...
Ist mir egal! Die Nekromanten haben gefälligst zu lernen, dass sie nett zu ihren Golems sein sollen, oder sie sollen es bleiben lassen.
Golems haben keine Macht. Exakt überhaupt gar keine. Du erreichst nichts. Außer, dass du in ihnen Hoffnungen weckst, die nur enttäuscht werden können.
Ich...gebe ihnen eine Chance.
Und wir hatten diesen Auftrag so oder so, was meinst du, welche Gedanken sie sich alleine gemacht hätten? Lieber sage ich ihnen, dass sie ihren Meistern nicht böse sein sollen, statt dass sie die falschen Schlüsse ziehen. Jetzt lass mich weiter reden.
"Ich würde also gerne von euch wissen, ob ihr prinzipiell daran interessiert wärt, über euch hinauszugehen und mehr zu sein als nur stumme Werkzeuge."
Ist dir das neutral genug?
Nicht mal im Geringsten.
Weil du nicht weißt, was ein Kompromiss ist.
Beide überlegen. Schon nach kurzer Zeit nickt Lixts Golem. Dostrians tut sich schwerer...und schüttelt schließlich den Kopf. Gut, dass ich ihn ohnehin schon die ganze Zeit etwas fragen wollte. "Sag mal...dein Meister kann dir doch nicht wirklich Befehle durch seine Gedanken schicken, oder?"
Er sieht mich schief an, dann schüttelt er den Kopf.
"Aber du tust ihm den Gefallen, so zu tun, als könnte er es. Warum?"
Da ist er hilflos; mit Gesten wird das etwas schwierig. Also versuche ich es mir zu erklären. "Magst du ihn? Ist er nett zu dir?"
Er wirkt unentschieden.
"Möchtest du, dass er gerne netter wäre?"
Immer noch keine klare Antwort.
"Hättest du gerne Anerkennung dafür, dass du ihm so hilfst?"
Deutliches Nein.
"Du denkst, es ist einfach nur das Richtige?"
Kurzes Überlegen...und er nickt.
"Das ist sehr edel vor dir, und ich finde es bewundernswert. Aber...du weißt, dass er das nicht verstehen wird, nicht verstehen kann. Du wirst irgendwann einmal nicht abschätzen können, was er von dir möchte. Er wird enttäuscht sein oder sogar in Gefahr geraten, und du wirst für etwas bestraft, was eigentlich sehr gut gemeint war. Oder vielleicht läuft alles gut, wer weiß. Stell dir vor, er lebt noch weitere sechzig, siebzig Jahre. Du liest ihm jeden Wunsch von den Lippen ab. Du wirst nie ein Wort des Dankes dafür erhalten, kein Lächeln wird je von ihm an dich gerichtet werden. Schaffst du das? All diese Zeit?"
Er ist immer noch unentschlossen. Bis Lixts Golem ihm eine Hand auf die Schulter legt. Er zuckt zusammen. Sie schüttelt den Kopf. Er lässt seinen sinken. Und schüttelt ihn schließlich auch.
"Ihr beide habt euer Leben noch vor euch. Ihr würdet es sehr gerne nutzen, um euren Meistern zu helfen, davon bin ich überzeugt. Es sind gute Menschen. Aber ihr könnt sie auch nicht nach besten Kräften unterstützen, wenn ihr euch nicht verständigen könnt.
Mein Meister hat mich gebeten, euch zu fragen, ob ihr gerne sprechen lernen möchtet. Wenn ja, wird er euren Meistern anbieten, gemeinsam für euch daran zu arbeiten. Was soll ich ihm sagen?"
Und schließlich nicken beide in Einigkeit. Ich lächle. "Ich hoffe, dass ihr euch bald mit mir unterhalten könnt. Ich sage ihm gleich Bescheid; bitte passt derweil kurz alleine auf."
Schnell krieche ich um Stuhlbeine und an Wänden entlang, im Schatten der allgegenwärtigen Fackeln, bis ich beim Meister angelangt bin. Klettere auf den Tisch, winke den anderen Novizen zu; Lixt lächelt mich freundlich an, was mich freut. Sie ist sicher gut zu ihrem Golem. Der Meister schiebt mir Zettel und eine abgebrochene Bleistiftspitze hin. "Ist irgendwas?"
Pflichtbewusst schreibe ich in für mich großen, für ihn recht kleinen Buchstaben "Sie wollen", wobei ich versuche, verspielte Schnörkel in die Lettern zu legen, wie Ingkrias' Golem sie macht, aber versage ziemlich. Ich lerne aber. Er hatte jetzt schon öfter Gelegenheit, mit mir zu reden, und bringt mir seine Schrift bei, was ihm sehr viel Spaß zu machen scheint. Der Meister nickt und schickt mich wieder zurück; immerhin muss das Frühwarnsystem intakt bleiben. Da ich mittlerweile sehr gut vom Zweiten darin unterrichtet wurde, mein Gehör nur auf eine Quelle auszurichten, kann ich aber trotzdem alles hören, was am Tisch besprochen wird.
Die anderen Golems sehen mich erwartungsvoll an; ich zucke mit den Schultern. "Wir werden sehen." Dass ich mithören kann, verrate ich ihnen nicht. Wer weiß, wie ihre Meister reagieren; das müssen sie nicht unbedingt mitbekommen.
Meiner beginnt, das Gespräch auf das richtige Thema zu lenken: "Nun sag mal, Hunradil. Ich mach mich ja gerne lustig, aber warum hast du eigentlich noch keinen Golem?"
Der Angesprochene runzelt etwas verärgert die Stirn, aber antwortet dann doch. "Offenbar...bin ich noch nicht reif genug dafür."
"Golems zu erschaffen lernt man nicht im normalen Unterricht", hilft Dostrian aus. "Irgendwann nimmt ein Meister einen zur Seite und sagt: Du bist bereit zu lernen. Du bereitest dich einen ganzen Monat intensiv vor, und dann darfst du immer einen Golem besitzen."
"Aha, und was ist Teil dieser Vorbereitung?"
Dostrian reibt sich das Kinn, dann zuckt er mit den Schultern. "Wir dürfen das eigentlich nicht verraten, aber...Hunradil weiß es ohnehin schon. Manchmal kommt er mir hungriger vor nach Geheimnissen als nach Essen..."
Dafür fängt er sich einen Klaps auf den Hinterkopf ein. Bringt ihn nicht wirklich aus der Fassung, aber lässt eines seiner seltenen, aber sehr ehrlichen Grinsen erscheinen. "Und wir wissen ja auch, dass du wahrscheinlich so vorbereitet bist, wie es gerade geht, also was solls."
Trotzdem sieht er sich noch einmal um, ob auch wirklich kein anderer Novize zuhört.
"Also, am Wichtigsten ist eigentlich der Respekt vor dem Golems, das haben wir wohl am meisten eingeschärft bekommen. Sie sind kein Spielzeug und nicht dafür da, deine Wäsche aufzuräumen. Einen Golem zu haben ist eine große Verantwortung, dir selbst und deinen Mitmenschen gegenüber."
Der Meister runzelt die Stirn. "Und dem Golem gegenüber?"
Das verwirrt die Runde. "Warum dem Golem?", fragt Dostrian. "Nein, es geht vor allem darum, dass du dir deiner Kontrolle ganz sicher bist, dass Befehle befolgt werden, und sich da nicht irgendeine Form von eigenem Willen entwickelt. Das ist ja mit das größte Problem an der Sache."
Hör ihn dir an.
Hm, ist ganz gut, dass die beiden das nicht mithören. Aber was heißt das denn jetzt, haben sie versagt, diesen Willen auszuschalten bei ihren Golems? Die beiden können ganz klar für sich denken und entscheiden, wenn man sie lässt.
Und Ingkrias ist dafür auch zu blöd? Nein, den Willen kann man Golems nicht ausschalten, das sieht man ja bei uns. Die Hölle weiß, dass mein Meister daran lange gearbeitet hat. Aber es ist schlicht unmöglich, ohne die Fähigkeit, zu denken, zu interpretieren, kann man auch keine komplexen Befehle befolgen, einfache Logik.
"Ein Problem?", wirft der Meister ein, die Augenbraue erhoben. Dostrian starrt ihn an.
"Du willst mir sagen, du siehst kein Problem darin, dass ein Golem jederzeit beschließen könnte, er hat keine Lust, auf dich zu hören, und läuft weg?"
Der Meister beschwichtigt, aber er redet etwas zu schnell bei seiner Antwort; ich erkenne, dass er da sicher noch Einiges zu sagen haben wird...aber noch möchte er sich nicht mit den anderen streiten. "Schon klar, so meinte ich das nicht. Aber interessehalber – wie schaltet ihr den Willen denn aus?"
Lixt ist es, die antwortet. "HelKoThulEthFal. Die magischen Silben."
"Gehorsam", übersetzt der Meister tonlos, und erntet ein Lächeln. "Ja, du kennst dich aus! Tagelang haben wir den Zauber geübt, bis er gepasst hat. Du ersetzt die Möglichkeit aufstrebender Individualität komplett durch reine Befehlsbefolgung; wie hat Meister Baranin das ausgedrückt? Ein frisch erschaffener Golem ist eine Schiefertafel, die er selbst mit unzähligen Dingen beschreiben könnte. Gehorsam nimmt dem Golem die Kreide und gibt sie dem Beschwörer."
"Schön auswendig gelernt", zieht Hunradil sie auf. Lixt strahlt ihn von unten an. "Und wenn du auch so gut im auswendig Lernen wärst, dann würdest du sicher auch bald einen Golem befehlen können!"
Der wahrscheinlich doppelt so schwere Novize hat dafür nur ein Grunzen übrig. Der Meister dagegen scheint tief in Gedanken. Das...ist aber keine sehr gute Sache, was die da lernen...
Grundfalsch ist es, wie gerade gesagt. So funktioniert das einfach nicht.
Wie ich aus eigener Erfahrung weiß. Nicht, dass die Fesseln von Gehorsam mir völlig egal wären...wie glühende Ketten kommen sie mir manchmal vor, die mich über und über umschlingen.
"Aber wie kommst du jetzt darauf? Du bist doch ein Golemexperte, nach deinem Kleinen zu urteilen. Dass er sich zweiteilen kann, das ist ja Wahnsinn! Und folgen tut er dir aufs Wort."
"Tja, Lixt", murmelt der Meister und starrt in die Ferne, "das tut er deswegen, weil er es gerne tut. Er ist nicht mein Diener; er ist mein Freund."
Sofort weichen die drei Novizen etwas von ihm zurück.
"Du spinnst", stößt Dostrian mit einem gequälten Lächeln hervor, als glaubte er noch an einen Witz. "Du hast deinem Golem nicht den Willen gelassen."
"Ach, die Entscheidung habe ich nicht bewusst getroffen, das kannst du mir glauben. Aber ich würde es immer wieder gleich tun."
Lixt hat eine Hand vor den Mund geschlagen. "Das...das ist doch grausam von dir! Wenn er denken kann, aber dein Sklave ist...das ist unmenschlich!"
"Er ist nur ein Golem", tut Hunradil ihre Bedenken ab. Dostrian schüttelt den Kopf. "Sie hat völlig Recht. Das ist nicht richtig von dir. Es muss furchtbar für ihn sein!"
Nervös sieht Hunradil zu mir hinüber. "Woher sollen wir wissen, dass er dich nicht heimlich hasst? Dass er das nicht an uns auslässt?"
Der Meister sieht alle drei scharf an. "Beruhigt euch, oder redet wenigstens leiser. Wir sind hier nicht allein."
Dostrian ist jetzt deutlich wütend, senkt aber seine Stimme. "Ohne Gehorsam", zischt er, "ist er eine Bedrohung für uns alle. Das lasse ich nicht zu! Wir haben versprochen, seine Existenz zu verheimlichen, wenn du versuchst, dich zu integrieren, aber wenn du ihn nicht vernünftig unter Kontrolle hast, werde ich das einem Meister melden!"
Darauf lehnt der Meister sich zurück. "Woher meintest du wusste ich, was HelKoThulEthFal bedeutet?"
"Du weißt, was NefLum heißt, oder nicht?"
"Touché, Lixt. Aber ich versichere euch...er ist unter dem Einfluss von Gehorsam. Auch, wenn mir das immer mehr Leid tut."
Jetzt sind die anderen völlig verwirrt. Hunradil spricht es aus. "Aber Mensch, dann kann er doch keinen freien Willen haben!"
Der Blick des Meisters ist eisig. "Gehorsam löscht den freien Willen eines Golems nicht aus. Das wüsste ich."
Dostrian schüttelt den Kopf. "Du hast den Zauber wann nach seiner Erschaffung angewendet, einen Monat, zwei? Sicher war seine Persönlichkeit schon zu weit entwickelt, als dass du sie so losgeworden wärst. Du brauchst einen viel stärkeren Zauber. Lass dir von einem Meister helfen. Ich sag es dir im Guten. Es ist besser für dich und den Golem."
"Das bezweifle ich. Jeden Teil deiner Aussage. Gehorsam hin oder her, auch eure sofort damit belegten Golems haben freien Willen, tut mir Leid, euch das sagen zu müssen. Die erzählen euch hier kompletten Unfug."
Dostrian stößt ihm mit den Finger vor die Brust. "Wir lassen dir eine Menge durchgehen, weil du definitiv eine Menge weißt. Aber wer bist du, den Lehren, die Jahrhunderte alt sind, jegliche Gültigkeit abzusprechen?"
"Jemand, der noch ältere Lehren kennt", gibt der Meister staubtrocken zurück. Dann wird er milder.
"Du kannst mich gerne verraten, Dostrian. Aber dann ist dir sicher auch klar, dass ihr alle keine interessanten, verbotenen, aber ach so verlockenden Techniken mehr von mir lernen werdet. Und du glaubst doch so an die Seele unserer Wissenschaft, den konstanten Austausch untereinander? Die sperren mich in mehr als einen Elfenbeinturm, wenn du diese Kleinigkeit fallen lässt. Ist aber völlig unwichtig. Ich will dich hier nicht erpressen mit was ich dir noch sagen könnte oder eben nicht. Du bist – ihr alle seid – so kurz, wie wir uns auch erst kennen, meine Freunde geworden. Von mir aus könnt ihr alles wissen, was ich weiß, ich will damit nicht handeln. Ich habe das Thema angesprochen, weil ich glaube, dass ich euch vertrauen kann. Bitte respektiert das – und vertraut mir auch."
Ohne eine Antwort zu erwarten, steht er auf.
"Und denkt bitte in Ruhe darüber nach, ob ihr euch ganz sicher seid, dass euere Golems in geistloser Zufriedenheit existieren oder ob da vielleicht mehr dahinter steckt."
Er setzt an, weiterzureden – und hält inne, dreht sich stattdessen um und geht, auf mich zu. Ich sehe den Satz vor mir, den er nicht ausgesprochen hat...oder fragt sie doch einfach.
Sie würden ja gerne antworten...
Als er ankommt, nickt er den beiden Golems zu. "Ich glaube, euere Meister sind noch nicht ganz bereit, umzudenken...aber denkt dennoch über mein Angebot nach. Und sie müssen ja nicht alles wissen."
Während er redet, gleite ich unauffällig von Dostrians Golem auf den Ärmel des Meisters, wobei ich mich schnell vom Golem verabschiede.
"Soll ich sie belauschen, Meister?", fragt der Zweite. Die Antwort ist ein Kopfschütteln. "Nein. Ich werde schon sehen, zu welchem Schluss sie kommen. Wenn sie petzen wollen – was soll ich machen, sie umbringen? Sie hatten jetzt zwei Wochen Zeit, mich kennen zu lernen. Entweder, sie trauen mir zu, hier vernünftig zu sein, oder es war umsonst und dann fangen wir eben von vorne an, unter erschwerten Umständen, was solls."
"Aber täte es dir nicht Leid?", wage ich einzuwenden.
Der Meister bleibt kurz stehen und dreht sich um, aber die Freizeithalle ist schon weit zurück.
"Nett sind sie ja schon", sagt er schließlich.

Bis zu einem Abend drei Tage später hatten wir keine große Gelegenheit mehr, mit den anderen Novizen zu sprechen, aber auch wenn sie nicht eines Morgens mit ihren Golems vor der Tür standen, mit der Bitte ihnen das Sprechen beizubringen, ist wenigstens auch nichts Schlimmes passiert. Noch nicht. So ist es die routinierte Langeweile. Ingkrias list mal wieder in dem Folianten. Wann immer er tief in der Lektüre versunken ist – also quasi jederzeit – werde ich seinem Papiergolem bedeutungsschwere Blicke zu. Und das eine oder andere Lächeln. Dieser schickt ab und an ein krudes Grinsen, auf seinen Bauch gepinselt, zurück.
Hat er jetzt langsam alle Flüche durch? Nach Widerstandsschwund gibt es nicht mehr viel. Wie kann man bloß eine ganze Stunde über kreuzlangweiligen Experimenttabellen hängen? Die Verstärkung durch speziell verzauberte Amulette und Stäbe verläuft nicht linear zur Potenz des Zaubers. Punkt.
Vielleicht sucht er nach dem Grund?
Es ist Magie, manchmal haben Dinge keinen rationalen Grund! Wenn er noch ein wenig länger an den Ausreißern der Statistik hängt, findet er womöglich noch heraus, dass bei manchen Testsubjekten die Wirkung reproduzierbar gefünftelt wird. Dann sitzen wir noch drei Stunden hier und nichts passiert!
Warum wurmt dich das jetzt auf einmal so? Du hattest doch letztes Mal auch keine Probleme damit, jeden seiner Augenzucker akribisch festzuhalten, als er endlos seine eigenen Ergebnisse mit denen des Generals verglichen hat. "Position der Blutspritzer", ernsthaft? So will er den Rückstoßschaden von Eiserner Jungfrau quantifizieren?
Das war eine gute Idee. Aber vielleicht, nur vielleicht, habe ich auch einfach keine Lust mehr, ebenfalls diese immer gleichen Tabellen anzustarren, weil sie mich daran erinnern, dass jemand anderes auch eine sehr gute Idee hatte. "Den Elementarwiderstand meines Golems kann ich beliebig anpassen", lautete sie. "Ich sollte ihn verfluchen und dann mit einer ganzen Reihe von Feuerbällen bewerfen".
Oh.
Das...tut mir...
Sei einfach still und vergiss was ich gesagt habeeeeh er blättert um neues Kapitel großartig, darauf hat er sicher keine Lust und du kannst meinetwegen mit seinem Golem palavern. Vielleicht lernst du ja mal, deinen Namen ohne Fehler zu schreiben. Oh warte! Du hast keinen Namen!
Schlag nur unter die Gürtellinie, ich sagte doch schon, es tut mir Leid. He, was ist das nächste Kapitel eigentlich? Beschwörungszauber?
"Von der Seelenwanderung: Die wahre Macht Trang-Ouls"
Oh. Das ist...nicht ganz, was ich erwartet hätte. Und Ingkrias geht es da ähnlich. Er reagiert wirklich auf diesen Titel, mit ganz offensichtlicher Überraschung und so etwas wie...nein, garantiert. Schrecken. Gehetzt fährt sein Blick durch den Raum. Dann saugt das Papier ihn an, fester denn je. Sein Augen fahren in einer komplett ungeahnten Geschwindigkeit über die Seiten. Was steht da? Schnell mache ich mich daran, den Inhalt zu verarbeiten.
Trockene Theorie über das Wesen der Seelen. Nennung einiger Quellen, die vermutlich zu diesem Zeitpunkt schon längst nur noch in Form der Fußnoten in dem Wälzer vor mir existieren. Dennoch winkt Ingkrias hastig seinen Golem zu sich.
"Zeit?"
Eine fast durchgelaufene Sanduhr erscheint auf der Brust des Papierdieners. Ingkrias flucht halblaut etwas Unverständliches in vermutlich seiner Muttersprache. Dann wirft er dem Golem schnell einige ausgewählte Quellentitel hin. Doch erhaltene Schriftstücke, tief in den sicherlich gewaltigen Bibliotheken der Nekromantenstadt vergraben? Aber woher weiß er, welche von ihnen es noch gibt?
Danach wählt er nicht aus. Es sind die, denen der alte General die größte Richtigkeit zuspricht.
Huh, tatsächlich. Er ist ein extrem schneller Leser, wenn er will. Du übrigens auch.
Ja, ja. Jetzt blätter weiter! Es wird spannend!
Als würde er darauf hören, fährt die knorrige Hand des alten Meisters über die Seite – und verknickt das Papier. He! Soll ich ihn daran erinnern, dass das Buch einen Wächter hat?
Bloß nicht, sonst hört er auf! Sieh die Doppelseite an! Merk sie dir auch!
Aber...die ist doch ohnehin unterbewusst gespeichert...
Doppelt hält besser! Los!
"'Der Drache in alten Bildwerken der Barbaren'...'Überlegungen zur Wiedergeburt'...'Das ewige Leben: Beispiele und Weiterführung'...Autoren...Zeit!"
Die Sanduhr ist leer. Wieder flucht Ingkrias. Wieder blättert er etwas zu hastig um.
Auf der nächsten Seite prangt ein Symbol. Halbseitig. Mit Akribie gezeichnet, klare Linien, darunter lang und breit beschrieben. Ein perfekter Kreis, mit stilisierten Schuppen besetzt, an einer Stelle unterbrochen durch einen Echsenkopf, der das Maul geöffnet hat, um den Kreis wieder zu schließen. Gegenüber liegt der dazugehörige Körper, gebeugt, der Rücken ist die Kurve des Kreises. Über den Bauch ist ein Flügel ausgebreitet, dessen Enden oben den Kreis berühren. Der andere Flügel liegt unter dem Körper, nach vorne gestreckt, symmetrisch zum anderen...aber unten auf dem Kreis ruhen nur die Gelenke, denn dieser Flügel ist skelettiert. Zwischen ihnen, eine Scheibe in der Schwebe.
Der Drache, der sich in den Schwanz beißt...tot und lebendig zugleich. Die Scheibe wäre, wenn dies keine Zeichnung wäre, sondern zum Beispiel ein Amulett, eine Kugel. Die Welt. Trang-Oul...
Ein Amulett, oder...
Während der Papiergolem auf Anweisung schleunigst das Symbol abzeichnet, fällt es mir ein. Oder eine Gürtelschnalle, natürlich. Ja, du hast Recht, jetzt will ich aber auch genau lesen, was da steht. Bevor der Foliant zugeklappt wird, sehe ich mir die Seiten bewusst an und präge sie mir gut ein.
Vielleicht sind deine wirren Ideen ja mal für etwas gut. Wenn er weg ist, überzeugst du seinen Golem, dass er bewusst wegschaut, und wir lesen das ganze Kapitel.
Das schaffe ich. Die Frage ist nur, wenn er heute der letzte ist, warum hat er sich dann ein Zeitlimit gesetzt?
Ach, verdammt...
Liegt dir gar nicht nahe, so etwas zu übersehen. Warum bist du deswegen gleich gar so aufgeregt? Wir haben wann anders sicher auch noch Zeit, das zu lesen. Die Seitenzahl wissen wir jetzt ja.
Verstehst du nicht? Es geht hier über etwas, das sich Seelenwanderung nennt, und den Drachen der Wiedergeburt. Das ist, was wir suchen!
Was...du meinst, eine Möglichkeit, die Hölle zu überlisten?
Ja, du Schnellmerker!
Ich weiß nicht, ist das nicht ein wenig weit hergeholt? Vielleicht ist das ja nur eine staubtrockene Dissertation über verschiedene Möglichkeiten, die Religion der Rathmaner wissenschaftlich zu fundieren. Übertreibst du da nicht ein wenig? Oder weißt du etwa schon genauer, was da drin steht, wie beim letzten Kapitel auch?
Nein, das ist mir neu...ich meine nur...
Da betritt jemand den Raum. Gerade hat Ingkrias es noch geschafft, ein hastiges Protokoll über die Funde des Tages – natürlich ausgeschlossen des gerade eben erfolgten – abzugeben.
"Guten Abend, Meister Ingkrias", sagt – Meister Valtores. Bewusst neutral, wie immer.
"A-abend", erhält er als Antwort. Der Jüngere legt den Kopf schief. "Ist etwas nicht in Ordnung, werter Kollege?"
"Ich...habe nur die Zeit vergessen, Valtores. Es...war eine spannende Lektüre."
"Soso", gibt der aufrecht stehende und damit deutlich den anderen überragende Meister zurück. "Braucht Ihr denn noch etwas Zeit, um das Protokoll ordentlich zu verfassen? Da ich heute der Letzte bin, bin ich nicht in Eile."
"Nein...nein, das sollte so passen, vielen Dank. Es ist spät. Ich werde mich hinlegen. Gute Nacht."
Mit einem höflichen Gruß verabschiedet Meister Valtores ihn. Der Papiergolem verlässt natürlich auch die Stube. Des Meisters eigener Golem betritt sie stattdessen – alle gleichzeitig wäre ein wenig eng. Es ist ein Blutgolem. Ungewöhnlich. Kein anderer Meister hat einen.
Meister Valtores hält kurz Ingkrias' Protokoll hoch, schüttelt den Kopf und legt es wieder zurück. Er geht auf das Buch zu, scheinbar in Gedanken. Sein Golem bleibt nicht in der Ecke stehen, sondern folgt schräg hinter ihm.
Die Hand des Meisters landet auf dem Folianten, meiner gegenüber. "Du erinnerst dich, an welcher Stelle ich zuletzt gelesen habe?", fragt er mich, wobei er mir in die Augenhöhlen sieht, als würde er darin etwas suchen. Ich nicke, und schlage die Seite auf. Sein Blick verharrt unangenehm lange auf mir, dann, endlich, fällt er auf das Pergament.
Das gefällt mir nicht. Er wirkt so...zerstreut.
Tatsächlich denke ich nicht, dass Meister Valtores viel in der Geheimen Kunst liest. Er blättert zu schnell, überfliegt die Seiten nur lose...gut, die Prosa des alten Generals ist nun wirklich nicht besonders aufregend, aber das sollte ihn ja nicht stören...
Da hält er inne. Streicht über die Ränder der Seiten. Schlägt sachte eine auf...und das Emblem von Trang-Oul starrt mir wieder entgegen.
"Da soll mich doch..." murmelt der Meister, während er sorgfältig das Eselsohr glattstreicht, das Ingkrias hinterlassen hat. Als er hingegen das Symbol sieht, hört er damit auf. Reagiert nur wenig gelassener. Wirft einen Blick zur Tür...oder besser, darüber hinaus. Dem Kollegen hinterher. Und dann landet dieser durchdringende Blick wieder in meinem Gesicht.
"Golem, du bist weit schlauer, als du dich gibst, nicht wahr?"
 
sehr schönes kapitel! Aber der kliffhänger (denglisch :) ) am ende ist ja mal wieder typisch für dich :P

Am 21. geht die welt unter, ich würde vorher gern noch weiter lesen können :D Update pls :)
 
Vote 4 wöchentliches, mindestens 10seitigs Update :) Wieder mal sehr schön :)
 
Sehr schönes update, bin mal gespannt wie es weiter geht.
Mal gespannt ob er Begleitung in Act 5 haben wird^^

So und jetzt nochmal um unserer "Gier" (eher Sucht) Ausdruck zu verleihen,
Gibt es ein Weihnachtsspezial?

MfG
Maragan
 
wieder mal ein Kapitel für dessen Ende ich dich killen könnte :/
das ist viel zu spannend um jetzt aufzuhören

will mehr, dieses Warten hasse ich :D
 
Sehr schönes update, bin mal gespannt wie es weiter geht.
Mal gespannt ob er Begleitung in Act 5 haben wird^^

So und jetzt nochmal um unserer "Gier" (eher Sucht) Ausdruck zu verleihen,
Gibt es ein Weihnachtsspezial?

MfG
Maragan
Ein klares "vielleicht".

Aber ich will ja nicht fies sein: Ein "schaun ma mal" gibts noch dazu :santa:.

Simon
 
Oh ja bitte bitte ein Weihnachtsspezial!
Ich war auch das ganze Jahr lang brav :angel:
 
Ich wünsche euch strahlende und gesegnete Weihnachten.

Möge, egal, was passiert, das Dunkel nie Einzug in euer Leben halten.

Simon
 
Ein Leuchten am Ende der Einsamkeit



Es war der zwanzigste April, und die Galaktische Regierung wurde völlig überrumpelt, als eine kleine Revolte gegen unzumutbare Zustände auf einem fernen Planeten sich derart aufschaukelte, dass bald eine ganze Armee von Rebellen in einer schnellen Osteroffensive begann, System um System einzunehmen. Schnell stellte sich heraus, wie voller Lügen die Propagandapamphlete wirklich waren; unsere glorreiche Armee knickte gegen die zahlenmäßig unterlegene, aber voll Überzeugung und mit unerbittlichen Mut kämpfenden kleinen Schiffe der Unabhängigkeitsfront ohne große Gegenwehr ein. Große Teile liefen auch gleich nach Beginn der Kämpfe über...was für mich sicherlich auch keine falsche Entscheidung gewesen wäre.
Ich hatte allerdings das Pech, zum ungünstigsten Zeit am ungünstigsten Ort gewesen zu sein und damit genau richtig, um der Regierung dabei zu helfen, verzweifelt wenigstens eine der Hauptverkehrsachsen durch den Raum zu verteidigen. Der Kampf um das namenlose Sternensystem A05S24H18 war kurz, extrem blutig, aber irgendwie erfolgreich. Die Rebellen hatten eindeutig nicht damit gerechnet, dass General Wehlander, eigentlich zur Durchreise, auf der Regierungsstation festsaß, als sie kamen – geschweige denn damit, dass der alte Fuchs es tatsächlich schaffen würde, die völlig konfusen flüchtigen Schiffe eines gerade erst vergangenen Massakers in wenigen Stunden zur Kampfbereitschaft zu trimmen.
So stand ihnen die Mittelklasse-Fregatte Eisenwille mit ihren drei Jägerstaffeln, zu einer von welchen ich gehörte, nicht als einziges Hindernis zur Übernahme der Kontrollstation im Weg. Auch eine ganze Reihe an mehr oder minder notdürftig reparierten leichten Jägern, eine Handvoll Militärfrachtern und sogar mehrere Zivilschiffe, auf denen die Eigner „überrascht“ heimlich installierte und selbstverständlich hochgradig illegale Waffensysteme entdeckten, wurde von dem General zum Kämpfen gezwungen.
Die Bilanz war ein Pyrrhussieg. Die Station befand sich weiterhin in Regierungshänden...aber war nun völlig unverteidigt, reif, von den Rebellen gepflückt zu werden. Die Eisenwille musste sich, schwer beschädigt, zurückziehen. Von der zusammengewürfelten Flotte kleinerer Schiffe war vielleicht noch ein Drittel übrig...unter den zurückgelassenen Haufen Weltraumschrott befand sich auch mein treuer leichter Jäger und ein großes Stück meines rechten Beines.
Prinzipiell hatte ich, trotz des Pechs, überhaupt zum Kampf zugegen zu sein, unglaubliches Glück. Jägerpiloten überleben nur sehr, sehr selten einen Abschuss, das weiß jeder von uns; das Militär weiß es auch, deswegen versucht man gar nicht erst, Wracks zu bergen, so etwas wie Rettungsschiffe gibt es überhaupt nicht in der Flotte. Ein Zivilist jedoch weiß es nicht, darum hatte die Kapitänin des Zivilfrachters, dem ich als Schutz zugeteilt war, auch alles unternommen, um mich zu retten, als die Rakete meinen Steuerbordflügel wegsprengte...und Erfolg gehabt.
Sie lieferte mich auf der Eisenwille ab, nur, um sich erneut in den Kampf zu stürzen.
Ich werde sehen müssen, ob ich ihren Namen herausfinde, damit ich ihrer Familie sagen kann, dass ich ihr mein Leben verdanke. Sie selbst kann von mir keinen Dank mehr erhalten. Auch ihr Schiff hat sich zu meinem gesellt, in der sich langsam ausbreitenden Schrottwolke, die den gesamten Umkreis der Raumstation noch für lange Zeit verschmutzen würde.

Die Eisenwille war also auf der Flucht, mit reduzierter Geschwindigkeit aufgrund ihrer Schäden, mitten im Nichts abseits der üblichen Routen, um nicht entdeckt zu werden. Ich lag auf der Krankenstation, wurde beatmet, und eine Mischung aus Strahlentherapie, potenten Chemikalien und vorgezüchteten Zellen stellte mein Bein wieder her.
Es war erst etwa eine Stunde her, dass ich aufgewacht war, ich hatte schon erfahren, dass meine Retterin tot war, und meine Stimmung war ziemlich getrübt; ich konnte der Tatsache, überlebt zu haben, nicht wirklich etwas abgewinnen. Ein mit künstlichem Lächeln bewaffneter Arzt versicherte mir gerade, dass ich schon bald wieder völlig gesund sein würde...als die Rebellen uns fanden.
Ein heftiger Schlag erschütterte das ganze Schiff, das medizinische Personal fiel zu Boden, Instrumente zerbrachen...aber mein Beatmungsgerät hielt. Alarmsirenen schrillten laut los, Chaos brach aus, die künstliche Schwerkraft versagte für einen Augenblick, und niemand kam so richtig auf die Füße.
Ein weiterer Treffer, noch schwerer diesmal, und jetzt war die Schwerkraft komplett weg. Das Licht ging aus. Schreie ertönten, bis der älteste Anwesende alle zur Ruhe mahnte. Kurz darauf sprangen Schwerkraft und die Notbeleuchtung an...gerade rechtzeitig, dass jeder sehen konnte, wie ein junger Assistent, der der Tür am nächsten stand, zu husten und würgen begann...und innerhalb von Sekunden umkippte.
„Giftige Gase! Die Treibstoffbehälter...geplatzt...!“
Der Rest des verzweifelten Schreis ging unter in den Geräuschen von Todesqualen, und mit vor Horror weit aufgerissenen Augen musste ich zusehen, wie jeder im Raum an dem Treibstoffleck starb.
Mein Atemgerät pumpte weiter pflichtbewusst vor sich hin. Wie alle medizinischen Geräte war dessen Stromversorgung auch im Notfall garantiert.
Ich lag lange dort, paralysiert vor Angst. Die heutigen Schiffe verlangen nach Treibstoffen, die mit „ekelhaft“ nicht einmal ansatzweise beschrieben werden; üblicherweise gibt es genug Sicherheitsmechanismen, um schwerere Unfälle zu vermeiden. Aber das war keine übliche Situation; durch die Gefechte war die Eisenwille schwer in Mitleidenschaft gezogen worden...dennoch war es sicher eine ganz üble Verkettung von Zufällen, die zum Austritt des Treibstoffes geführt hatte. Welcher sich dann auch noch offenbar im ganzen Schiff verteilte.

Zunächst war mir die Schwere meiner Situation nicht einmal klar. Minute um Minute, bald sicher eine Stunde lag ich da, in der Sicherheit meiner persönlichen Sauerstoffversorgung, und wartete. Darauf, dass die Rebellen das Schiff sprengen würden. Dass sie es entern würden. Dass andere Überlebende hier nach mir suchen würden.
Aber es geschah nichts...ich war mit meinen Gedanken alleine. Und mit dem Alarm, der weiter schrillte und schrillte.
Irgendwann hielt ich es nicht mehr aus. Auch wenn ich an dem Gas sterben sollte, das alle um mich herum dahingerafft hatte; ich konnte nicht länger einfach so liegen bleiben. Mein Bein war längst geheilt...ich gab mir einen Ruck und löste es mit leicht zitternden Fingern aus dem medizinischen Gerät, schwang es von der Liege und holte tief Luft, bevor ich die Maske abnahm.
Wie eigentlich zu erwarten, hatte der flüchtige Treibstoff sich aufgelöst; dennoch schlug mir das Herz bis zum Hals während meiner ersten Atemzüge, und ich glaubte mehrmals, dass mir eine unsichtbare Hand die Lunge zerquetschte.
Mit bewusster Anstrengung vermeidend, die Leichen um mich herum anzusehen, ging ich zur Tür und öffnete sie.
Der Körper eines Offiziers, dessen letzte Handlung der Versuch gewesen war, in die Krankenstation zu gelangen, fiel mir entgegen. Reflexartig fing ich ihn auf, starrte für lange Augenblicke in ein schmerzverzerrtes, totes Gesicht, dann stieß ich ihn von mir, laut aufschreiend. Ich bin Soldat, schon viel zu lange; aber der moderne Krieg verlangt nicht danach, dem Tod direkt ins Gesicht zu sehen. Nun, jetzt starrte er mir entgegen, von allen Seiten...

Und es wurde schlimmer. Die Gänge waren voll der Opfer des Unfalls. Ich wankte, als ich es sah; wie viele Tote waren es? Wie weit war das Gas vorgedrungen? Eigentlich wollte ich es gar nicht wissen.
Lange fünf Minuten dauerte mein Weg auf die Brücke. Vor mir, hinter dem Sichtfenster, das Sternenfeld, einsam und leer, die Angreifer längst verschwunden; obwohl die Eisenwille offensichtlich noch zu einem guten Teil intakt war, hatten sie sicher Besseres zu tun gehabt als zu plündern, schon gar nicht ein Schiff, das durch ein Treibstoffleck vergiftet worden war.
Ich hievte den Kapitän aus seinem Sessel. Die Brückenoffiziere lagen an ihren Stationen oder nur wenige Schritte von ihnen entfernt.
Mit zitternder Hand betätigte ich den Schiffskommunikator.
„Hier spricht Leutnant Friedrich Walter. Wenn mich irgendwer hört, soll er auf die Brücke kommen. Wir müssen uns zusammentun und einen Plan überlegen...“
Ich starrte eine lange Zeit hinaus ins All.
Niemand kam.

Für eine Weile konnte sich in meinem Kopf kein klarer Gedanke formen, aber irgendwann war mein Geist doch bereit, mich mit einer Erkenntnis zu treffen, welche sich wie der Schlag eines schweren Hammers mitten in mein Gesicht anfühlte.
Ich war völlig allein auf diesem Schiff.
Das Treibstoffleck hatte jeden innerhalb von Sekunden getötet – niemand war schnell genug gewesen, um sich Atemschutz zu holen. Nur, weil ich gerade die Sauerstoffmaske trug, war ich verschont geblieben; der Rest...tot. Alle. Hunderte Leben, in einem einzigen Augenblick ausgelöscht.
Eisige Schauer liefen mir über den Rücken. Ich bin nicht abergläubisch, aber der einzig Lebende auf einem Schiff voller Leichen zu sein würde jeden an Geister glauben lassen.
Fast panisch stürzte ich an die Kommunikationskonsole. Um festzustellen, dass ich keine Ahnung hatte, wie sie zu bedienen war.
Doch Moment...nachdenken. Ruhig nachdenken. Grundausbildung. Damals hatte ich noch gelacht darüber, dass sie uns Soldaten, die gar nicht vorhatten, eine Offizierslaufbahn einzuschlagen, beibrachten, wie gewisse Brückeneinrichtungen funktionierten...beispielsweise die Konsole vor mir. Natürlich! Genau für einen solchen Notfall hatte ich es gelernt.
Für eine Prüfung, und dann prompt vergessen. Und das vor fünf Jahren.
Ich presste die Finger an die Schläfen. Das musste doch selbsterklärend sein...die Knöpfe und Hebel, die Drehscheiben und das Computerinterface...war es...dieser hier...?
Zunächst war ich sehr vorsichtig, aber irgendwann fiel mir ein, dass die Situation zumindest ein Gutes hatte: Abgesehen von der Möglichkeit, dass ich das ganze Gerät durch mein Herumspielen zerstören könnte – eine geringe, Schiffsarchitektur ist doch recht narrensicher – würde es niemand merken, wenn ich kompletten Unfug anstellte. Falls ich gerade aus Versehen eine formelle Kriegserklärung an die Kombüse schickte...dem Koch war mittlerweile alles egal.
Makabre Gedanken hinter mir, versuchte ich mich nun ernsthaft auf meine Aufgabe zu konzentrieren. Ganz langsam kamen Fetzen meines vor langer Zeit erworbenen Wissens zurück. Hier war der Frequenzregler...aber warum regelte er nichts? Natürlich, ich musste zunächst auf die Frequenzeinstellung, sonst stellte ich damit nur die Lautstärke um. Und die war über diesem Knopf...oh Himmel, bloß nicht das Menü für Grundeinstellungen aufrufen...
Endlich konnte ich mich entscheiden, wohin ich überhaupt senden wollte. Ich glaubte auch zu wissen, welchen Schalter ich drücken musste, um meine Stimme ins All zu schicken.
Aber...was war denn jetzt die Notruffrequenz?
Ich gab der Konsole einen Tritt. Die Zahl musste ich schon einmal gehört haben, aber mein geistiger Zustand war nicht geeignet, um sie mir ins Gedächtnis zu rufen. Fragen konnte ich aber niemanden...Moment, warum klang das so hohl?
Die Kommunikationskonsole hatte ein Türchen an der Seite, dahinter ein Fach, worin...eine Bedienungsanleitung lag.
Ich sah zur Leiche des Offiziers hinunter, der hier Dienst gehabt hatte. Sicher hatte er das Buch nie angerührt, aber es völlig vorschriftsgemäß hierbehalten. Sein Pflichtbewusstsein könnte mir jetzt das Leben retten.
Ich drehte ihn herum, um seinen Namen auf der Plakette zu lesen.
„Vielen Dank, Major Platka“, flüsterte ich. Dann wühlte ich mich durchs Inhaltsverzeichnis, stellte fest, dass ich die Kanäle überhaupt nicht geöffnet hatte und durch meine Experimente nie hätte senden können, regulierte alles übervorsichtig und begann, auf allen Frequenzen gleichzeitig einen Notruf zu senden. „Notruffrequenz“, hah...so was gab es gar nicht.
Jetzt musste ich nur noch warten, oder?
Aber wie lange? Wir waren ja bewusst mitten ins Nichts geflüchtet...wo uns die Rebellen trotzdem gefunden hatten...und nur diese spezielle Gruppe wusste, wo die Eisenwille durch das All trieb. Und wenn deren Schiff in einem weiteren Kampf abgeschossen wurde?
Wie groß stehen die Chancen, dass irgendein Schiff rein zufällig in Sendereichweite eines irgendwo im All treibenden Wracks kommt?
Ich könnte Tage hier sein. Wochen. Oder...nein, daran wollte ich nicht denken.
Dennoch...das stellte mich vor ein ganz unmittelbares Problem. Ich war auf einem Schiff voller Leichen. Zum Glück funktionierte die Lebenserhaltung noch, aber das hieß auch, dass sich Bakterien und Pilze und Sonstiges hervorragend halten würden.
Die würden sehr bald zu stinken beginnen. Und waren ganz abgesehen davon auch keine angenehme Gesellschaft.
Ich begann zu zittern und Ekel stieg in mir auf. Aber ich riss mich zusammen; ich musste das tun, einfach, weil ich keine Wahl hatte. Und ich musste es gleich tun.
Drei oder vier Tage arbeitete ich. Zumindest nehme ich an, dass es in etwa so lange war; um genau nachzusehen, war ich zu beschäftigt, und die ständig immer gleiche Notbeleuchtung war meinem Schlafrhythmus nicht zuträglich. Sowenig wie die ständigen Alpträume, und wer wollte mir die verübeln? All die Gesichter, gefroren in Agonie, verfolgten mich überall hin. Ihre Augen weit offen und voller Zorn, weil ich es gewagt hatte als einziger zu überleben.
Zuerst suchte ich eine funktionierende Luftschleuse. Dann einen Lastenheber, der in alle größeren Korridore passte. Letzteres stellte sich als sinnlos heraus, weil der ganze Hangar weg war. Die Schotten hielten gut; so gut, dass ich fast den Fehler gemacht hätte, die klemmende Tür aufzustemmen. Zum Glück merkte ich früh genug, wie kalt das Metall war. Weltraumkalt.
Also musste ich improvisieren. Mit Schlingen, Gerüsten, oder auf der Schulter trug ich meine toten Kameraden einzeln zu ihrer letzten Ruhestätte, mitten im All. Ein wahres Raumfahrerbegräbnis, nur leider ohne Sarg oder in einer hübschen Urne. Ich sprach ein leises Gebet für jeden ihrer Namen, und musste lange warten, bevor ich nach Johnnys Körper weitermachen konnte. Und Eduards. Und Sallys. Mich konnte ja keiner sehen, aber auch vor einer stummen Masse an Beobachtern hätte ich mich keiner Träne geschämt.

Währenddessen schrie der Notruf weiter meine verzweifelte Situation ins Nichts, ohne eine Antwort zu bekommen. Dehydriert und hungrig saß ich, nunmehr wirklich völlig allein, auf der Brücke und starrte die blinkenden Lichter an. Nur mühsam brachte ich die Energie zusammen, mich um meine Versorgung zu kümmern. Worüber ich mir noch gar keine Gedanken gemacht hatte. Würden die Wasseraufbereiter noch funktionieren, war der Lagerraum für Essenspasten überhaupt noch am Schiff?
Er war, und sie taten. Die Eisenwille war wirklich für die Ewigkeit gebaut worden; dass überhaupt noch Leben an Bord möglich war, grenzte an ein Wunder. Ohne Treibstoff, ohne Triebwerke, mit gigantischen Löchern in der Hülle...
Der letzte Schluck Wasser blieb mir im Halse stecken. Kein Treibstoff...aber woher kam dann die Energie? Natürlich, der Notstrom...darum auch die dürftige Beleuchtung. Aber die großen Brennstoffzellen würden sicher auch irgendwann leer werden. Und dann ginge hier auch mein Licht aus.
War es schon etwas dunkler geworden? Nein...das bildete ich mir doch nur ein. Oder?
Ich lief zum Kern des Schiffs. Die Maschinen summten noch. Alles schien in Ordnung. Wie es auch in Ordnung gewesen war, als ich die Leichen des Chefingenieurs und seiner Kollegen heraus geschafft hatte.
Der Monitor, an dem er gearbeitet hatte, leuchtete immer noch. Ich trat davor.
Ein mir völlig unverständliches Programm war geöffnet; ich schloss es und atmete tief durch. Wenn ich hier überleben wollte...würde ich etwas dazu lernen müssen.
In einem früheren Leben, bevor der letzte Krieg, noch vor der gerade laufenden Rebellion, mich wie so viele andere verschluckt, zerkaut und nicht wieder ausgespuckt hatte, war ich zum Mechaniker ausgebildet worden. Ich weiß noch, wie sehr ich mich gefreut hatte, dass bald die Abschlussprüfung sein würde; nach dieser wollte ich um Marions Hand anhalten...zwei Wochen vor diesem Termin kam der Einzugsbefehl. Kein Bitten, kein Betteln half; ich wurde an die Front geschickt, und irgendwie überlebte ich. Entdeckte mein Talent als Pilot, und als der Krieg vorbei war, hatte ich beschlossen, dieses Talent zu nutzen.
Und Marion konnte ich trotzdem heiraten...bis heute weiß ich nicht, warum sie auf mich gewartet hat. Damals dachte ich noch, mein Leben wäre vom Glück gesegnet.
Nur ein Jahr und sieben Monate später konnte ich mich einzig glücklich schätzen, wenigstens grundlegende technische Fähigkeiten zu besitzen. Für einen einfachen Mechaniker war der Maschinenraum eines Schlachtschiffs schon deutlich zu anspruchsvoll, aber wenn ich als ungelernter Schulabgänger direkt eingezogen worden wäre...
Trotz meiner Bedenken musste ich überrascht und mit so viel Freude, wie ich aufbringen konnte feststellen, dass die Bedienung der Instrumente hier relativ selbsterklärend war. Mit wenigen Berührungen der Oberfläche konnte ich dem Schiffscomputer mitteilen, dass er mich wie einen Studenten der Ingenieurskunst im ersten Semester zu behandeln hatte und ich höchst motiviert war, mit weniger als der Regelzeit abzuschließen.
Sehr hoch motiviert, in der Tat.
Ich las und las und las, seiten-, ja bücherweise Informationen. Vieles davon wäre sehr interessant gewesen, wenn ich echte Reparaturen vorgehabt hätte oder ein komplett neues Kühlsystem hätte einbauen wollen oder was auch immer sonst zum Aufgabenbereich eines Schiffsingenieurs gehört, aber ich interessierte mich für sehr spezifische Sachen, und über einen Zeitraum von etwa zwei Tagen fand ich sie: Schaltpläne, Energieverteilungsdiagramme, den Schrank mit Diagnosegeräten, ihre Bedienungsanleitungen, die Codes für mein Vorhaben, und eine Erklärung für die unvermeidlichen Fehlermeldungen, als ich sie ausprobierte.
Noch um einiges später war ich soweit. Die Beleuchtung war überall aus, auch die eigentlich absolut immer brennenden Lichter wie über Fluchtschächten und an Gefahrstellen waren erloschen. Keine Energie wurde mehr nutzlos in die Antriebe gepumpt, welche längst Weltraumschrott und Lichtsekunden entfernt waren; nur der Weg zwischen Brücke und Kern wurde noch mit Wärme und dem Sauerstoff-Stickstoff-Gemisch versorgt, was sich hervorragend mit der verringerten Leistung der Brennstoffzellen deckte. Ich war richtig stolz auf mich, als ich herausfand, wie die Zusammenhänge waren, und noch stolzer, als ich feststellte, dass ich ohne meine Sparmaßnahmen innerhalb weniger Wochen erstickt wäre.
So, konnte mir der Computer auf die Minute genau ausrechnen, würde die Lebenserhaltung exakt am vierundzwanzigsten Juli um 10:23 Uhr Vormittags versagen. Das war etwas. Eine Deadline quasi. Danach wäre ich wirklich, nun ja, tot eben.
Und bis dahin? Nur warten. Nur hoffen. Dass das Notsignal empfangen würde, dass irgendwer in dieser gottverlassenen Gegend des weiten, weiten Alls mich hören würde.
Das Grinsen meines Erfolgs mit der Energieverteilung noch auf den Lippen stand ich da, als mir aufging, was das bedeuten würde.
Monatelang völlig allein auf einem Geisterschiff. Jeden Tag die gleiche geschmacklose Pampe aus Tuben, das schale, mit einer wohldefinierten Mineralienmischung versetzte Abfallwasser der Zellen, und nichts – aber aber gar nichts – was gegen die Langeweile helfen könnte.
Mein Grinsen verging. Das würde...hart werden. Jeder kennt Geschichten von Menschen, die in Isolation verrückt werden, in irgendwelchen Gefängnissen vergessen...meine Situation war nicht viel anders. Und die Hoffnung auf Rettung wohl noch geringer als bei den meisten.
Ich brauchte etwas zu tun. Viel zu tun. Mein Überleben war zunächst gesichert, meine geistige Gesundheit nicht.
Für einen Moment schaltete ich den Monitor des Computers aus, der meine einzige Leuchtquelle war. Schwärze umfing mich und begann langsam, in mein Bewusstsein einzudringen. Eins...zwei...drei...ich kam bis elf, bevor ich die Beleuchtung wieder anschalten musste. Aber das Lichtquadrat schien jetzt nicht mehr genug, um die absolute Dunkelheit von mir fernzuhalten...
Schnell griff ich mir zwei Montagelampen von einem Regal und schaltete sie an. Besser. Viel besser. Die Akkubatterien in ihnen würde ich nicht mehr aufladen können, ohne meine Lebenszeit zu verkürzen...aber es waren sicher genug von ihnen an Bord. Es war ja nicht so, als ob sie sonst jemand brauchen würde außer mir.
Aber zurück zu der Frage, was zu tun war...mir fiel ein kleiner Denkfehler in meiner Vorgehensweise auf: Da ich meine Bewegungsfreiheit nun auf wenige Korridore eingeschränkt hatte, würde ich schlecht nach Abwechslung suchen können. Kurz stieg Panik in mir auf; schon hatte sich der Gedanke in mir eingebrannt, dass jedes Licht, dass ich einschaltete, jede Tür, die ich durch einen Knopfdruck öffnete, mir Minuten, Stunden, Tage meiner verbliebenen Zeit kostete...
Da sah ich im zitternden Lichtkegel die ganze Reihe an Raumanzügen, komplett mit Sauerstoffflaschen und Kabel, Haken...Problem gelöst. Ein Atemzug, von dem ich gar nicht gemerkt hatte, dass ich ihn gehalten hatte, entwich meinen Lippen. Auch für diese Geräte hatte ich einmal eine Ausbildung erhalten, seitdem nicht mehr benötigt und mich darauf verlassen, dass mich schon jemand von offensichtlichen Fehlern abhalten würde, wenn es doch einmal Zeit wäre, sie zu benutzen...
Schlecht für diesen Fall, aber ich hatte Zeit. Auch hierfür gab es ein praktisches Büchlein mit Sicherheitshinweisen, Verhaltensregeln...ich hatte noch nicht einmal vor, ins All zu gehen; keine Sorge, bloß keine Sorgen machen. Sorgfältig las ich im Lampenschein. Es hat einmal geheißen, dass das gedruckte Wort aussterben würde; wer das gesagt hat, war ein Vollidiot. Nach Beginn des Raumfahrtzeitalters war sehr schnell klar, dass es mehr als dumm wäre, sich nur auf Technologie zu verlassen, wenn ein Ausfall dieser nicht bedeuten würde, dass man am Straßenrand stehend eben mal schnell eine Werkstatt anrufen musste, sondern den Tod vieler Menschen. Falls man nicht genau herausfinden konnte, wie man das Zeug wieder zum Laufen bringt...auch ohne Hilfe von der Technik selbst. Ergo gedruckte Handbücher.
Wo wir bei dem Gedanken waren...mein erstes Ziel stand fest. Die Eisenwille war ein Kriegsschiff, aber jedes Raumschiff verbringt Wochen über Wochen ohne Abwechslung im All. Das Problem der Langeweile war durchaus bekannt...also hatten wir eine Bibliothek an Bord. Ich war nie dorthin gegangen früher, hatte mir die Zeit lieber mit Kartenspielen vertrieben oder trainiert, sowohl meinen Körper als auch meine Fähigkeiten in diversen Videospielen, aber jetzt würden die Bücher dort mir hoffentlich das Leben retten.

Eine Viertelstunde nach meiner Entscheidung, die Bibliothek aufzusuchen, lag ich im Raumanzug auf dem schon längst ausgekühlten Boden und versuchte, meiner Verzweiflung Herr zu werden. Der Korridor, der zu meinen Ziel führte, war verschlossen durch ein dickes Notfallschott, an welchem, hätte ich sie nicht ausgestellt, die Gefahrenleuchte tiefrot brennen würde. Der erhoffte Lesestoff – weg. Die ganze Sektion des Schiffs hinter diesem Bereich war zersprengt worden, die Bücher im All verteilt. Natürlich. Der gefährlichste Aufenthaltsort ist immer neben den Triebwerken, wenn es zum Kampf kommt. Im Kampf ist allerdings niemand in der Bibliothek, also liegt...lag...diese hinten, neben den gewaltigen Raketen, welche das erste Ziel des Angriffs waren.
Nur mit Mühe zwang ich mich auf die Beine. Ich würde sicher eine andere Möglichkeit finden, mich zu beschäftigen...ganz sicher.
Betonung auf finden; es war Zeit, zu erforschen. Die nächsten Tage verbrachte ich damit, festzustellen, wie viel des Schiffs überhaupt noch übrig war; ein guter Teil war das Ergebnis, vielleicht zwei Drittel der Masse, die meiste natürlich um die Triebwerke verschwunden. Das bedeutete, dass quasi alle Mannschaftsquartiere noch da waren, was mich zur Beschäftigung der nächsten Zeit brachte.
Ein wenig plagten mich Skrupel, als ich es das erste Mal tat, aber es ging hier um Leben und Tod, und es war nun wirklich nicht so, als könnte es die anderen noch stören...so brach ich Tür um Tür auf, wenn sie nicht schon offen waren, weil ich ja die Energie für die Öffner abgeschaltet hatte. Ich plünderte Kissen und Decken, Matratzen...bisher hatte ich auf dem Kapitänsstuhl geschlafen; er war das Bequemste in meinem kleinen Bereich bewohnbarer Gegend gewesen, aber nun konnte ich mir ein Ruhenest bauen.
Im Zimmer einer weiblichen Offizierin – Helga Vostok, sagte das Namensschild an der Tür – erwartete mich eine unangenehme Überraschung. Sie war wohl gerade, vermutlich aufgrund einer Krankheit, vom Dienst befreit gewesen und darum auch während des Angriffs in ihrem Quartier verblieben...weswegen sie dort jetzt auch immer noch lag. Es war ein trauriger Effekt meiner bisherigen Erfahrungen, dass abgesehen vom ersten Schock die Präsenz ihrer Leiche mir nicht mehr besonders viel ausmachte.
Was das tat, war die veritable Sammlung kleiner Plüschtiere; von verschiedenen Planeten erworben, auf denen wir gewesen waren...sie umgaben ihren Körper, als hielten sie Wache; sie hatte den größeren Platz eines Offiziersquartiers voll dafür ausgenutzt, ihre kleinen Freunde überall aufzustellen, und der Anblick ließ einen Kloß in meinem Hals anschwellen.
„Es tut mir Leid, dass ich euch gestört habe“, flüsterte ich. Dann stellte ich fest, dass mich ein kleiner Elefant anzusehen schien.
„Willst du mitkommen, hm? Der Rest von euch kann weiter auf sie aufpassen...“
Sanft griff ich ihn am Rüssel.
„Du hilfst mir, in Ordnung?“
Ich sah nichts Peinliches daran, das kleine graue Tier fortan neben meiner Schlafstätte stehen zu haben.

Zwei Tage später lag ich am Boden in irgendeinem Gang und fühlte mich bereits, als wäre Wahnsinn eine vernünftige Alternative zu meiner Situation. Ich hatte ein Buch in meiner rechten Hand, eines von dreien, die ich in den Kabinen gefunden hatte. Nur drei. Ein Gedichtband, ein Klassiker, den ich in der Schule hätte lesen sollen aber nicht tat, und ein Groschenroman, welchen ich gerade ausgelesen hatte.
Dass es so wenige waren, ist ja auch logisch – mit all dem Lesestoff an Bord wäre es sinnlos, den unglaublich beschränkten Platz eines einfachen Soldaten mit dicken Wälzern weiter zu verkleinern. Allenfalls für kleine Bände mit hohem sentimentalen Wert lohnt es sich. Oder für etwas, das man nebenbei beim letzten Landurlaub mitgenommen hat, wie diese wertlose Wortwüste, die mich für nur wenige Stunden hatte beschäftigen können. Sollte ich die Gedichte auswendig lernen, eine eigene Interpretation des klassischen Romans verfassen und später dafür gefeiert werden? Ich hatte nichts zu tun, überhaupt nichts. Meine Langeweile fügte mir fast körperliche Schmerzen zu, und es würden noch Monate vergehen, bevor mich ein unvermeidlicher Erstickungstod erlöste...verleicht erfröre ich auch vorher, diese Frage zu klären wäre wahrscheinlich das Spannendste der näheren und ferneren Zukunft geworden.
In meiner geballten Faust zerknitterte das Papier des dünnen Heftchens. Ich schrie meine Frustration laut heraus, und niemand konnte es hören. Es war mir nicht möglich, die Zeit zu vertreiben mit Zeitvertreiben...sollte ich also versuchen, etwas Nützliches damit anzustellen?
Aber was würde das bringen? Ich hätte weiter meinen Körper stählen können, weiter an meinen Fähigkeiten arbeiten können, den Schiffscomputer zu verstehen, mich mithilfe des Handbuchs zum Funker ausbilden können...aber wozu? In nur etwas weniger als drei Monaten wäre ich tot. Es heißt zwar, man soll schnell leben, jung sterben und einen schönen Körper hinterlassen, aber dazu gezwungen werden möchte man doch eigentlich nie. Besonders, wenn Datum und Uhrzeit feststehen.
Oder hätte ich es einfach beenden sollen? Dann hätte wenigstens ich den Zeitpunkt gewählt, und nicht die langsam, aber sicher schwindenden Energiereserven...
Doch wann immer mir dieser Gedanke kam, ich zum aberhundersten Mal eine der vielen an Bord verteilten, mich mit ihrer kühlen, tödlich effizienten Eleganz lockenden Waffen in der Hand und auf meine Schläfe gerichtet hielt, hielt ich inne. Und vor meinem geistigen Auge tauchten sie wieder auf, die Gesichter all der anderen, und ihre Augen waren anklagender denn je: Nun hatte ich schon das Geschenk des Lebens erhalten, zumindest noch für eine Weile, ein Privileg, das ihnen allen verwehrt geblieben war...und da war ich dabei, es wegzuwerfen?
Blasphemie.
Also, auch dieses erste Mal, legte ich die Waffe immer wieder weg. Und wenn es nur dafür gut war, den Blicken zu entgehen, zumindest bis ich das nächste mal versuchte, zu schlafen. Um sie weiter zu beschwichtigen, machte ich mich auf den Weg zur Brücke, wo weiterhin das Notsignal auf allen Frequenzen in den Äther gesendet wurde, stumm verhallend in wenigen Lichtjahren Entfernung, eine so unvorstellbar lange Strecke und doch einfach immer noch viel weiter entfernt von irgendeinem Ort, wo es gehört werden könnte.
Diese Ausstrahlung kostete mich die meiste Energie überhaupt. Gab es eine Möglichkeit, meine wenn auch noch so geringe Chance auf Rettung zu erhalten und dennoch mein Leben zu verlängern? Das meiste aus meinem Geschenk zu machen, damit die wortlose Anklage der Gesichter verstummte?
Ich saß auf dem Kapitänsstuhl und dachte nach. Starrte in die Leere des Weltalls, und es starrte zurück. Genug Zeit zum Nachdenken...und genug Zeit, um immer wieder eingeholt zu werden von den Toten. Erst, als ich einmal den Blick in die Leere nicht mehr ertragen konnte, weil sie sich nach und nach mit Geistern füllte, kam mir die Inspiration. Die Steuerkonsole für die Fernwahrnehmung! Gegenüber der für die Kommunikation, und doch hatte ich sie nie beachtet.
Hatte auch dieser Offizier...? Ich suchte, nur kurz, und fand tatsächlich. Das Handbuch.
Wieder etwas später, Zeit hatte längst an Bedeutung verloren, stand ich an der Konsole, ihre Befehle verstanden und auch größtenteils schon umgesetzt. Sie warteten nur noch auf einen Knopfdruck. Wenn ich diesen betätigen würde, schaltete ich um von der Ausstrahlung des Notsignals auf eine regelmäßige Abtastung der weiteren Umgebung. Die Reichweite der Scanner war deutlich höher als die meines Hilferufs; die Instrumente würden die Präsenz eines Schiffes, das mich retten könnte, entdecken, mich alarmieren, und dann könnte ich eine gerichtete, hochenergetische Botschaft direkt dorthin senden. Wenn ich denn dafür noch genügend Energie übrig hätte.
Insgesamt stünden meine Chancen, gerettet zu werden, so deutlich besser. Andererseits...waren diese immer noch sehr, sehr gering. Und es würde bedeuten, dass ich Energie sparen würde, viel Energie. Die passive Abtastung erforderte nur etwa ein Drittel von dem Aufwand des ständigen Notsignals. Was zur Folge hätte, dass ich noch viel länger auf das endgültige Ende der Hoffnung warten müsste, meinen ganz persönlichen Energietod. Fast ein Jahr.
Darum zögerte ich. Der ständig gesendete Hilferuf war genauso ein Placebo wie der Scan es wäre...aber er würde meine einsame Qual früher beenden. Ohne, dass ich selbst Hand anlegen müsste.
Ich sah, um Rat flehend, in die Tiefe des Alls hinein.
Die Tiefe schwamm vor anklagenden und drängenden Gesichtern. Eigentlich hatte ich gar keine Wahl...ihre Macht über mich war absolut. Und so drückte ich den Knopf. Neues Ultimatum. Ich würde am fünfzehnten März des nächsten Jahres sterben. Bis dahin? Nur die Gesellschaft der Geister.
Diese "Nacht" konnte ich schlafen, aber ich weinte mich dahin.

"Was soll ich nur tun, Kleiner?", fragte ich. "Ich werde doch völlig verrückt hier..."
Der Plüschelefant hatte dazu keinen Kommentar. Oder funkelte in seinen Knopfaugen das unausgesprochene "sicher, sonst würdest du nicht mit einem Stofftier reden"? Ich rammte meine Faust gegen die Wand, dann saugte ich mir die blutenden Knöchel. Solange ich wenigstens noch bemerkte, wie sehr meine geistige Gesundheit unter der Isolation und der lähmenden Langeweile litt, war ich noch zu retten. Aber die Geister wurden nicht weniger, ihre Ablehnung nicht milder. Ihre Gesellschaft war die einzige die ich hatte, und sie wollten meine nicht. Oder? Hatten sie mich nicht immer gezwungen, mein Leben zu erhalten, so lange es ging?
Waren sie vielleicht doch nicht nur unzufrieden, weil ich es wagte zu existieren, sondern wegen etwas anderem?
Ich zerbrach mir den Kopf über dieses Problem, solange, bis die Stimme in mir verstummte, die mich anschrie, dass die Gedanken völlig verrückt waren, die mich quälten.
Irgendwann, ich hätte mir die Zeit vom Schiffscomputer verraten lassen können, aber das hatte ich seit...Tagen?...Wochen?...Monaten?...nicht getan, saß ich wieder auf der Brücke und hielt stumme Zwiesprache mit den Toten. Der Elefant, mein einziger Freund in dieser Welt, der Realität, saß vor mir auf der Kapitänskonsole und steuerte sein Augenpaar zu denen vor dem Fenster bei. "Antwortet mir doch", rief ich ins All. "Johnny. Eduard. Sally. Was wollt ihr von mir? Was soll ich tun? Warum...warum lasst ihr mich nicht einfach sterben?"
Doch ihre schmerzverzerrten, totenstarren Gesichter verzogen keine Miene, machten keine Anstalten, zu sprechen. Meine Freunde nicht, und schon gar nicht all die Fremden, die hunderten anderen Soldaten, Offiziere und Techniker, denen ich ein Grab im Weltall bereitet hatte. Der Kapitän, der Chefingenieur, der Arzt, der mich behandelt hatte und dessen Stimme ich als letzte seit so langer Zeit gehört hatte. Meine eigene war immer heiser, von mangelnder Übung und dem Schreien, wenn ich sie doch einmal benutzte.
Früher hatte ich weggesehen, konnte all das Starren nur kurze Zeit ertragen, aber über diesen Punkt war ich lange hinaus. Ich erwiderte all die Blicke, ging von einem zum nächsten, immer mit einer Entschuldigung und der ewigen Frage, was sie denn nur von mir wollten.
Zuletzt sah ich wieder nur den kleinen Elefanten. Mir fiel am Rande auf, dass ich ihm noch gar keinen Namen gegeben hatte. Oder ihr.
Und da traf es mich.
Wo war Helga? Helga, der der Elefant gehört hatte, die ich als einzige auf der Eisenwille selbst begraben hatte? Schnell ging ich noch einmal alle Gesichter durch. All die Toten, alle Mitglieder der Besatzung, die im noch intakten Teil des Schiffs gewesen waren...aber keine Helga.
Vorsichtig nahm ich den Vierbeiner in beide Hände und hielt ihn mir vors Gesicht. "Bist du es? Bist du Major Vostok?"
Ich weiß nicht, was mich letztlich überzeugte, dass ich eine Antwort bekam, und dass sie keine Verneinung war. Aber ich senkte Helga, die Elefantin sanft zurück auf ihren Ruheplatz und hob den Kopf ehrfürchtig, um all den anderen meine Entscheidung mitzuteilen.
"Ich bringe euch zurück. Ihr werdet nicht vergessen, namenlos im Weltall verschollen sein...dieses Geisterschiff wird zu meinem Grab werden. Aber ich sorge dafür, dass es auch euer Mausoleum wird."

Und so ging ich ans Werk. Ich brauchte nicht lange, um mein Material auszuwählen: Der leichte Kunststoff der Verkleidungen war nicht flexibel genug, die Kabel zu weich, Papier nicht geduldig. Die Abdeckungen wurden abgerissen, damit ich an das kommen konnte, was ich brauchte: Metall. Luftschächte, Treibstoffrohre, Ventilatoren, Pumpenklappen. Ich plünderte die Waffenkammer, um Mündungen von ergonomischen Plastikgriffen zu reißen, um die Kugeln auszuhöhlen, ihre Hülsen zu gewinnen.
Unzählige unbenutzte Gasflaschen, Schweißgeräte, Lötkolben, Zangen, Hämmer, Schraubenschlüssel und sonstige Werkzeuge aller Art waren im Maschinenraum zu bekommen. So sehr die Technologie fortgeschritten ist, nichts wird je einen Mechaniker ersetzen können, der in die Eingeweide eines defekten Apparates klettert und das Problem mit Gewalt behebt. Und war ich nicht einmal Mechaniker gewesen?
Mit einer Energie, die ich nicht mehr besessen habe, seit das Töten von Menschen zu meinem Beruf geworden war, machte ich mich daran, die Geister in Form zu pressen, der Erinnerung an meine Kameraden Form zu geben. Ich fügte Platten zusammen, bog Rohre um, klebte Dekorationen an, gravierte Namen, Geburtsdaten und immer wieder den gleichen Todestag ein. Für jeden von ihnen nahm ich mir genau die Zeit, die er oder sie benötigte. Was konnte ich über die jeweilige Person anhand ihrer Kabine herausfinden? Woraus bestanden die wenigen Privatgegenstände, die sie besessen hatte? War jemand tierlieb, hatte einer zuhause eine Freundin, die ihm das wichtigste auf der Welt war, welche Bedeutung könnte die gepresste Nelke für diese junge Frau gehabt haben? Mit größter Sorgfalt und Hingabe wählte ich die Symbole, gab ihnen in kaltem Stahl Form, mal ein kleiner Hund mit Muttern als Augen, mal das erst nach dem zehnten Versuch akzeptable Porträt der geliebten Person, auf Stahl verewigt, mal die Blume aus Patronenhülsen...
Bernhard Gülak Natalya Nelson Jack Joseph Fresée Ithelia Viktor Ophelia...
Namen für Namen, Skulptur für Skulptur, verschwanden die Geister. Ich verbrannte meine Zeit, indem ich den Computer immer wieder benutzte, Energie dafür aufwand, um mehr über die Menschen hinter den Daten herauszufinden, Gesichter mit Persönlichkeit zu füllen. Ich empfand es nicht als unanständig, so tief zu graben. All dies war ein sehr intimer Prozess, als würde ich mich über ein ganzes Leben lang mit jeder einzelnen verlorenen Seele anfreunden, und ich spürte, dass sie alle es so wollten.
Wann immer ich müde wurde vom Arbeiten, und sei es nur ein "Tag" gewesen, an dem ich nur nachgedacht hatte, wie ich das nächste Opfer am besten auf einen Punkt bringen könnte, es irgendwie auf ein einziges Symbol kondensieren, schlief ich. Meine Träume blieben aus oder waren friedlich. Die Geister hatten mir endlich beibringen können, was sie von mir wollten, und nun hatten sie ihren Frieden mit mir geschlossen. Und es wurden immer weniger, denen noch kein Denkmal gesetzt hatte.
Das erste Mal seit langer Zeit machte ich mir wieder Gedanken über die Zukunft. Hatten die Rebellen gewonnen? Oder warf die Galaktische Regierung weiter ihre Bürger in sinnlose Schlachten, in denen so viel Leid entstand? Ich war ihnen immer treuer Diener gewesen, aber musste wenig überrascht feststellen, dass man mit nur etwas Zeit zum Nachdenken schnell vom blinden Gehorsam an Tyrannen abkommen kann.
Und ich fragte mich immer wieder, wie es Marion ging. Ob sie auch dieses Mal auf mich warten würde. Und wie lange...

Ich wohnte nun auf der Brücke des Schiffs. Das Weltall hatte seinen Schrecken für mich verloren. Überall, auf jeder freien Fläche, standen die Denkmäler. Es war kaum mehr Platz, aber ich wusste, er würde reichen. Alles würde perfekt passen. Ich hatte nichts als Zeit, um zu planen, für jeden den idealen Ort zu suchen.
Manchmal ging ich nur langsam durch das Museum der schon zur Ruhe gelegten Seelen und redete mit ihnen. Versicherte Jakob, dass seine Kinder zuhause sicher darüber hinwegkommen würden, dass der Krieg ihnen den Vater genommen hatte. Versprach ihm, dass ich alles tun würde, um ihnen zumindest Gewissheit zu geben, dass er nicht nur irgendwo vermisst war, wie wir alle in den Akten, irgendwo, stehen mussten. Ich überlegte laut, was eine Mutter sich wohl für deren Zukunft ausgemalt hatte, als sie ihre Tochter Destiny nannte. Weinte mit all den Waisen, einsamen Eltern, jüngeren und älteren Geschwistern, Freunden und Weggefährten um die, die niemals zurückkommen würden, auf diesem Schiff oder sonstwo.

Und dann, irgendwann, war es soweit. Ich sah in die Tiefen des Alls und niemand blickte zurück. All die Geister schliefen, für immer. Ihre Erinnerung würde auf ewig überdauern. Die Brücke eines Sternenschiffs ist eine der robustesten Strukturen, die je von Menschen gebaut wurde. Irgendwann würde all dies hier gefunden werden. Und sie könnten ihre Geschichte, ihr Leben erzählen.
Für einen kurzen Moment packte mich ein beklemmendes Gefühl – ich war doch noch nicht fertig! Denn hatte ich nicht eine Person an Bord vergessen...mich selbst? Was war mit meinem Denkmal? Doch schnell verließ mich diese kurze Panik wieder. Erstens wäre es doch sehr überheblich von mir gewesen, mir selbst etwas zu schaffen, wo ich mich doch deutlich besser kannte als alle andern. Und zweitens...wer auch immer das hier finden würde, sähe eine gewaltige Ansammlung von Denkmälern, die einen Stuhl in der Mitte umgeben. In diesem Stuhl säße eine Leiche mit friedlichem Ausdruck auf dem Gesicht, meinem Gesicht. Welche Schlüsse sollte der Finder ziehen, außer, dass all dies mein Denkmal war?
So schrieb ich meinen Namen und mein Geburtsdatum, mit einem Fragezeichen beim Todestag auf ein schlichtes Stück Papier und legte es mir auf die Brust. Dann lehnte ich mich im Kapitänsstuhl zurück. Helgas Denkmal, ihr Elefant, saß mir gegenüber und schien völlig zufrieden.

Was jetzt?

Ich hob meine Hand und gab eine Anfrage in den Computer ein, die ich schon lange nicht mehr getätigt hatte: Die nach dem heutigen Datum.
Kalt blinkte es mir entgegen: Es war der vierundzwanzigste Dezember. Heiligabend, alleine im Weltall...ach, was heißt da alleine. Alle meine Freunde, die besten, die ich jemals hatte, waren doch hier.
Ich war irgendwie glücklich. Wieder ließ ich meinen Blick in die Ferne schweifen, in die Tiefe des Universums, das für mehr als acht Monate mein Zuhause gewesen war. Und es wohl noch viel länger bleiben würde.

War dieser eine Stern heller als die anderen?

Ich legte den Zettel mit meinem Namen beiseite und trat an das Sichtfenster, als ob die paar Meter einen Unterschied machen würden.
War er...nein, das konnte überhaupt nicht sein. Ich schüttelte den Kopf. Seit ich hier war, tasteten Scanner den Weltraum um mich herum ab, in Billionen von Kilometern Entfernung, wie sollte ich denn daran glauben, etwas sehen zu können, das ihnen entgangen war? Ganz besonders, wenn man bedenkt, dass jegliches Licht, dass ich nun sah, schon vor langer, langer Zeit von dessen Quelle ausgestrahlt worden war.
Zurück an meinem Ausgangspunkt, meinen Kopf traurig schüttelnd, gab ich noch eine Frage an den Computer. Wie lange würden meine Reserven denn noch halten?
Siebzehn Tage, hieß es. Meine Suchanfragen hatten die Reservoirs ziemlich belastet.
Aber Moment, siebzehn Tage, wenn ich einfach warten würde. Und wenn ich ein Notsignal senden wollen würde?
Hastig flogen meine Finger über die Tasten.
Dann wären meine Reserven quasi sofort zuende, lautete die gnadenlose Antwort.
Oh.
Ich sah noch einmal aus dem Sichtfenster. Ein etwas hellerer Stern in dieser Richtung...hatte er einen Schweif wie ein Komet? Gab es so einen überhaupt in der näheren Umgebung? Vielleicht...ich rief eine Karte auf, der Energieverlust vergessen...wenn ich ungefähr hierhin getrieben war...
Oder dorthin...dann war das nächste bewohnte System...
Der helle Stern glitzerte in meinen Augen. Wenn es ein Komet war, wenn er aus einem bewohnten System kam, das vielleicht tatsächlich gar nicht einmal weit weg, relativ gesehen, war, dann hatte er eine Sonde auf sich. Um jegliches Risiko zu vermeiden, dass es einen für viele Menschen tödlichen Zusammenstoß gibt, werden alle solchen Trabanten mit einem billigen, für die Ewigkeit gebautem Gerät versehen, das ständig seine Position meldet; und weil es kaum Mehraufwand ist, sind darin ebenfalls Sensoren eingebaut, die seltsame Beobachtungen und Signale empfangen können, falls ein markierter Meteorit doch einmal zufällig eine Botschaft von nichtmenschlichen Intelligenzen abfangen sollte.
Ein solcher Sensor wäre viel zu primitiv, als dass meine Abtastroutinen ihn als möglicherweise rettendes Schiff erkannt hätten. Um genau zu sein, auf dieser Militärfregatte waren die Scanner sowieso nur dafür gebaut, um mögliche Feindobjekte zu entdecken, ich konnte nicht mal untersuchen, ob es ein Komet war, was ich da zu sehen glaubte.
Ich könnte höchstens all meine verbleibende Energie in ein Notsignal stecken, dass ich genau in Richtung des Sternes ausstrahlen würde. Wenn dieser ein Komet wäre und wenn darauf ein Sensor angebracht wäre und wenn dieser auch noch wie geplant funktionierte, dann könnte er die Quelle des Signals weiterleiten, und...
Ich begann zu zittern. Wagte ich es, zu hoffen? Andererseits...was blieb mir übrig? Noch siebzehn Tage warten und dann erfrieren oder ersticken? Oder doch sofort der Lufterneuerung und der Wärmeerzeugung ein Ende setzen?
Ohne, dass ich es bewusst wahrgenommen hätte, hatte ich das Notsignal schon programmiert. Nur ein Knopfdruck fehlte noch, bis es meinen Hilferuf zu dem Stern, der mir noch einmal Hoffnung gab, schicken würde.
Aber wäre das nicht auch nur Selbstmord mit einer winzigen Chance auf Überleben? Schon einmal hatten die Geister das nicht zugelassen...
Doch diesmal, als ich mich umsah und meine Denkmäler erblickte, waren die Geister nicht mehr da. Nur noch meine Freunde.
Und sie wirkten so aufmunternd.
Mein Weihnachtsstern glitzerte.

Ich drückte den Knopf.

Das Licht ging aus, und trotzdem war es nicht dunkel.
 
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