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[Story] Dunkle Zeit

barb@work

Guest
Hallo an alle Forenuser...
Bevor sich irgendjemand fragt, wo der gute alte barb geblieben ist:D präsentier ich euch doch mal lieber die Ergebnisse dessen, was mir in den letzten Monaten durch den Kopf geschwirrt ist...
Aber gleich eine Warnung, es ist viel mehr true-Fantasy als die letzten Geschichten... Sozusagen ein Schritt zurück in die Anfangstage...
Aber jetzt erst mal viel Spaß beim Lesen....


Dunkle Zeit


Teil Eins
Des Kriegers Erwachen






„Wenn die Sonne selbst sich erhebt um mit feurigem Odem die ewigen Eiswüsten des Nordens zu schmelzen, die Dunkelheit, die sich dort verbirgt mit ihren gleißenden Strahlen zu verbannen, dann, ja dann ihr Menschen, nehmt euch in Acht, dann ist sie angebrochen, die Dunkle Zeit.“


Achtes Buch der Prophezeiungen, Kapitel 23


„Ich weiß nicht, wann es begann, diese Kälte, diese unglaubliche Kälte. Ich sitze an einem Feuer, doch ich verspüre seine Wärme nicht mehr. Die glühenden Zungen lecken über meine Haut, verbrennen meinen Körper, meine Haare, aber ich verspüre nur eisige, klirrende Kälte. Keine Liebe, keine Freundschaft vermag den eisigen Panzer, der mich zu umgeben scheint, zu durchdringen. Mein Freund, ich glaube, bald ist es mit mir vorbei.“

Tagebuch des Barons von Antkart


„Der Tod ist letztendlich nichts weiter als ein neues Kapitel in einem Buch, in dem du leider nicht mehr mitspielen darfst.“

Unbekannter Verfasser

„Die schärfste Waffe des wahren Krieges ist sein Verstand.“

Volksmund


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Einleitung

Die Sonne brannte unbarmherzig heiß in jenen Tagen und verwandelte die fruchtbare Erde im Flussdelta Iljards zu braunen, harten Klumpen.
Nur die Stadt Darheimsgard an der Mündung der Flüsse Iljard und Darheim erhob sich mit ihren dicken, trutzigen Mauern trotzig gegen die Sonnenglut, die das Königreich heimsuchte.
Die einst so grünen Haine der Ländereien aber färbten sich langsam gelb wie reifes Korn und die Flüsse führten immer weniger und weniger Wasser.
Es war wirklich ein außergewöhnlicher Sommer, der das Königreich dieses Jahr heimsuchte. Die Luft flirrte, als hätten sich die Drachen selbst aus den alten Geschichtenbüchern erhoben, um die Welt mit ihrem flammendem Odem zu überziehen und nicht wenige Propheten sahen in diesen Dingen die Vorzeichen einer mächtigen Prophezeiung, die dem Land Tod und Schrecken versprach.
Es waren, so sagten sie, die Vorboten der Dunklen Zeit.

Ulthar stand mit gespreizten Beinen auf den Feldern seines Vaters und rammte den Spaten tief in das vertrocknete Erdreich. Die sengende Sonne machte ihm schwer zu schaffen.
Kurz hielt er inne und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Seine Arme juckten, als ob er sie in Brennnesseln gesteckt hätte und glänzten noch dazu rötlich, doch auch das kam wohl von der Sonne.
Langsam ließ er den Blick über das bearbeitete Stück Land gleiten. Es war erbärmlich wenig, was er geschafft hatte. Aber das war auch kein Wunder – bei diesen Temperaturen.
Hinter dem kleinen Stück Brache, auf dem er arbeitete, lagen die Rübenfelder, die längst nicht mehr so voll und saftig aussahen wie noch vor wenigen Tagen, und - in einiger Entfernung das Bauernhaus, in dem Ulthar lebte.
Seine dicken, weißgetünchten Mauern versprachen eine erfrischende Kühle, die ihm hier draußen nicht einmal die großen Schatten der Bäume spenden konnte. Ulthar sehnte sich nach dem Moment, da die Sonne die Spitzen der Bäume berührte um sie in ein rotglühendes, feuriges Licht zu tauchen. Doch bis dahin gab es noch viel zu tun, wenn er die Arbeiten, die ihm aufgetragen waren, wirklich schaffen wollte.
Er wandte sich wieder dem Spaten zu, aber schon nach wenigen Stichen merkte er, dass ihm die Lust am Umgraben nun doch vollständig verloren gegangen war.
Wieso musste auch unbedingt er, der kleine und schmächtige Ulthar diese Knochenarbeit machen, während Marco, sein Bruder auf den Nebenfeldern aussäte?
Ausgerechnet Marco, der so ungeschickt war, dass sicher wieder die Hälfte der Samen im Graben oder auf den Wegen landen würde, anstatt in den Furchen.
Ulthar seufzte. Er mochte die Arbeit auf den Feldern nicht besonders. Viel lieber saß er in den schützenden Wänden des Hauses und las die Bücher, die auf den Regalen standen. Es war für Bauernsöhne in diesen Zeiten nicht unbedingt üblich eine Schulbildung zu bekommen, aber Ulthars Vater hatte schnell gemerkt, dass in diesem Junge mehr steckte, als ein gewöhnlicher Bauer und er gab sich alle Mühe, ihn zu seinem Nachfolger zu erziehen, damit er eines Tages die Geschäfte auf dem Hof würde übernehmen können.
Ulthar verscheuchte die Gedanken verärgert und schalt sich selbst einen Tor, in dieser Hitze auch noch zu fantasieren, anstatt seine Arbeit zu beenden, da sah er Marco in einiger Entfernung auf ihn zulaufen, die kräftigen Arme wild durch die Luft rudernd.
Ulthar überprüfte verwirrt den Stand der Sonne, aber für das Ende der Arbeit war es noch viel zu früh. Die Sonne hatte den Zenit noch nicht lange überschritten.
Es sei denn, sie hätten heute eher frei.
Ulthar griff sich den Spaten und ging seinem Bruder entgegen.
Marco schien schon eine ganze Weile gelaufen zu sein, denn sein nackter Oberkörper wirkte ölig von Schweiß und auch seine Haare funkelten nass im Sonnelicht.
Ulthar wollte gerade zu einer Grußformel ansetzen, als ihn Marco atemlos unterbrach:
„ Vater lässt uns rufen. Er will mit uns sprechen.“
Ulthar runzelte die Stirn:
„ Weißt du, worum es geht?“, fragte er, aber Marco schüttelte nur verneinend den Kopf.
„ Das Hausmädchen ist auf die Felder gekommen und hat es mir gesagt. Mehr weiß ich nicht.“
Ulthar zuckte mit den Achseln, lud sich den Spaten auf die Schultern und ging seinem Bruder nach.

Das Bauernhaus umfing sie mit einer sanften, wohltuenden Kühle, die Ulthar wohlige Schauer über den Rücken jagte. Es war eine schlichte, aber robuste Fachwerkkonstruktion mit einem Strohdach und weißgetünchten, dicken Wänden, die von außen fast schon festungsartig wirkten, aber genau diese kräftigen Mauern verwehrten sowohl Kälte als auch Hitze zuverlässig den Zutritt zu den Wohnstuben..
Der wuchtige Stil der Außenmauern setzte sich auch im Inneren fort. Die wenigen Möbel waren handgefertigte Stücke, bäuerlicher Machart. Klobig, aber robust funktional.
Es war nicht so, dass die Familie ärmlich lebte, aber einen besonderen Luxus konnte sich in diesen Tagen eben niemand leisten und selbst wenn dem nicht so wäre, so wäre Ulthars und Marcos Vater der letzte gewesen, der ihn sich geleistet hätte.
Er hatte seine Söhne stets dazu erzogen, mit allem, was sie besaßen sparsam umzugehen, immer etwas für schlechte Zeiten zurückzulegen und allem Luxus abzuschwören und bis zu diesem Zeitpunkt hatte die Familie damit gut überleben können.
Die Sonne schien durch die Fenster und ließ die kleinen Staubkörnchen im Licht tanzen und, eingehüllt in den Duft von Holz und Stroh, fühlte sich Ulthar in diesem Moment geborgen und glücklich wie selten in seinem Leben.
Von dem offenen Dachboden klang ein leises Husten, dass den Vater ankündigte. Mit seinen fünfundfünfzig Jahren galt er unter den Bauern schon als Methusalem und man sah ihm jedes Jahr seines Lebens an. Er lief stets gebückt und hinkend, seitdem ihm ein durchgegangenes Pferd fast die Beine zerschmettert hatte. Sein Haar war schlohweiß und der Gram unzähliger Niederlagen in seinem langen Leben hatte tiefe Furchen in sein Gesicht getrieben. Nachdem ihm zuerst die ältesten Söhne und dann die Frau gestorben waren, hatte man ihn selten lächeln sehen.
Dennoch schmunzelte er heute, als er die beiden ungleichen Brüder in der Stube stehen sah.
Der große, breitschultrige Marcos, der Ulthar fast um zwei Haupteslängen überragte und Ulthar dessen Kopf so voller Wissen war, dass er vor lauter Gedanken manchmal einfach mit offenen Augen wegträumte. Sie waren ein ungleiches Paar und trotzdem hielten sie zusammen wie Pech und Schwefel.
Er war stolz auf seine Söhne.
„ Meine Jungen.“, er hinkte langsam die Treppe hinab und kam auf sie zu. „ Für euch ist heute ein großer Tag.“.
Vorsichtig griffen die etwas zittrigen Hände nach den Fingern seiner Söhne.
„ Ihr habt die Ausbildung auf meinem Hof abgeschlossen und ich habe vor dem Stadtrat meine Zustimmung gegeben, euch volljährig zu sprechen.“
Es gelang ihm nicht ganz die Traurigkeit zu verbergen, die sich hinter seinen Worten verbarg, wie ein Räuber im Schatten. Er nickte ihnen zu. Ulthar und Marco hatten von seiner Entscheidung gewusst, aber es war trotzdem ein erhabenes Gefühl, die Worte, die sie so oft von anderen gehört hatten, endlich selbst zu hören.
„ Es ist nun an euch, auf Wanderschaft zu gehen und einen Beruf zu lernen. Auch ich habe Lehrlinge bei mir aufgenommen, aber ich hoffe, dass wenigstens einer von euch zu mir zurückkehren wird, um den Hof zu übernehmen. Sonst lasten alle Hoffnungen auf den Schultern des kleinen Rico. Und ich befürchte, diese Schultern sind noch zu schwach um eine solche Bürde zu tragen.“
Langsam ging er zu einer großen Eichenkiste, öffnete sie ächzend und zog zwei kleine Beutel hervor.
„ Nun habe ich heute nicht umsonst jedem von euch eine besonders schwere Aufgabe gegeben.“, fuhr er fort. „Ich wollte euch damit zeigen, dass ihr zwar schon viel gelernt habt, aber dass es immer noch etwas geben wird, dass ihr noch nicht könnt. Behaltet diese Worte stets im Kopf. Kein Mensch ist perfekt, nur der, der das weiß, ist wirklich weise.“. Er machte eine lange Pause als müsse er nachdenken, was er noch zu sagen habe, dann lächelte er wieder. „Und nun, genug der langen Worte. Hier habt ihr eine kleine Unterstützung für die Reise, meine Söhne.“
Ulthar zuckte unter diesen Worten fast unmerklich zusammen.
„ Danke Vater.“. Sagte Marco.
„ Danke.“. Murmelte Ulthar verschämt.
„ Ich werde euch morgen auf den Feierlichkeiten offiziell verabschieden, für den Rest des Tages aber habt ihr frei. Genießt diese letzten Stunden eurer Jugend.“
Marco wollte noch etwas sagen, aber sein Vater hob beschwichtigend die Hand.
„ Keine Worte jetzt. Nichts soll den Augenblick stören, indem die Söhne der Väter selbst zu Männern werden, Marco. Das solltest du wissen. Geht. Beide.“
In seinen Augen glitzerte eine kleine Träne und auch seine Stimme wirkte plötzlich brüchig und schwach, sodass sich Marco und Ulthar schnell umdrehten und das Haus verließen.
Sie hatten beide einen Kloß im Hals. Ihr Vater war immer der gewesen, der Niederlagen leicht weggesteckt hatte, der die Familie zusammengehalten und ihnen Kraft gegeben hatte, wenn sie nicht mehr weiter wussten. Ihn so traurig und kraftlos zu sehen, war ein schwerer Schlag für sie. Sie hatten es beide gespürt, als er ihre Hände ergriffen hatte. Dieser Mann hatte nicht mehr lange zu leben. Von nun an konnte jede Stunde seine Letzte sein.
„ Zum Sonnenuntergang am Stadttor.“, sagte Marco leise, bevor er sich langsam umdrehte und in den hinteren Teil des Hauses ging, um seine Sachen zu packen.
Das Leben musste weitergehen, hatte ihr Vater sie stets gelehrt. Was auch immer passiert, das Leben muss weitergehen.
Ulthar blieb noch eine Weile vor der Tür stehen.
Der Wind raschelte leise in den Bäumen und hier im Schatten war es sogar angenehm kühl, aber trotzdem fanden seine Gedanken keine Ruhe. Er atmete tief ein und aus, aber sie rasten trotzdem weiter, wie gehetzte Tiere.
Er lebte schon so lange bei Marco und seiner Familie, dass er es selbst manchmal vergaß, aber es gab immer wieder Momente in denen er sich daran erinnerte, dass er eigentlich nicht in dieses Haus gehörte. Nicht einmal in dieses Land.
Er kam aus den Norden aus Antkart, dem Königreich des Frostes, aber dass war alles, was er über seine Kindheit wusste. Jegliche Einzelheiten dieses Lebens waren hinter grauen Schleiern des Vergessens verborgen, hinter denen immer wieder ein Gesicht, oder ein Bild aufblitzte.
Aber diese Erinnerungen waren weder schön noch aufschlussreich, sodass Ulthar versuchte, sie zu vergessen, so schnell es nur ging.
Nur ein Gesicht tauchte immer wieder, wieder und wieder aus den Schatten. Ein bärtiges, doch junges Gesicht voller Dunkelheit mit rotglühenden Augen die ihm nachts den Schlaf raubten. Augen, die kein Mensch jemals sehen sollte und die erst recht niemand besitzen durfte, Augen aus denen die Verdammnis schrie und die jeden, den sie trafen in unendliches Leid und Verderben stürzten.
Allein die Erinnerung ließ ihn frösteln. Die Hand in seiner Hosentasche umschloss vorsichtig das einzige Stück, dass ihm aus dieser Zeit geblieben war.
Er holte ein kleines Stück Holz hervor und blies vorsichtig hinein.
Seine Finger fanden wie von selbst die kleinen Löcher, so wie sie es stets taten und eine leise, klagende Weise zog über die friedliche Landschaft, an deren Horizont sich die Sonne langsam dem Untergang neigte.


So, vielen lieben dank an alle, dies bis hierher geschafft haben!
Liebe Grüße, bis bald... barb
 
Hallo Barb,

sehr schöner Anfang einer hoffentlich langen Geschichte.
Bin mal gespannt was de mit den Beiden vorhast. Was sie erlernen unud erleben sollen.

Ein paar kleinere Rechtschreibfehler sind drin, aber sie stören nicht weiter.
Überraschend kam auf einmal der Umschwung das der Ulthar garnicht in diese Familie gehört hat. Mußte ich nochmal lesen um den Faden nicht zu verlieren.

Gruß
euer Frechkerl
 
... ist aber eine gute Erklärung dafür dass die Brüder so ungleich sind :D
Wobei, bei meinem Bruder und mir... :rolleyes:

Ja, melde mich hiermit zurück als Barb-Leser in alter Tradition! Ich bin immer wieder baff wie gut du geworden bist mit der Zeit. Dieser Anfang hat schon so viele schöne Momente und Beschreibungen!

auf bald
Saturn
 
wie was, barb ist in den 2 Jahren die ich nicht da war noch besser geworden?

Frechheit ;P

Dann werd ich mal die Vorlesung mit Geschichte lesen verbringen (:


[edit]

Sehr schöner Einstieg, lässt alles offen, aber verrät gerade genug um die Phantasie des Lesers anzuregen, 2 kleine Tippfehler hab ich gesehen:

feuriges Licht zu tauchen. Doch bis dahin gab es noch viel zu tun,

das h sollte da noch hin ;)

Sie hatten beide einen Kloß im Hals. Ihr Vater war immer der gewesen

ater? du meinst Vater oder? ;)
 
Gefällt mir bis jetzt sehr gut - ich bin eher fan der klasischen fantasy deshalb finde ich diesen stil besser, als den, den du sonst benutzt hast.

Du hast hin und wieder mal nen buchstaben vergessen ansonsten aber alles super. Es macht auf jeden Fall lust auf mehr.
 
Wenn ich mir dir deine Anfänge und den Text jetzt so gegenüberstelle... wirklich ein ganz anderer Stil. Natürlich ist es noch zu früh um eine Kritik zu verfassen, aber der Anfang ist sehr sauber geschrieben und hat in meinen Augen keine großen Kritikpunkt drin. Es fehlt ihm noch etwas Eigenständigkeit, aber wie gesagt... ist ja erst der Anfang *schmunzel*

Bin mal gespannt wie du das weiterführen willst, und was du aus den Motiven machst.
 
Heyho, schön dass sich so viele alte Leser eingefunden haben, es ist doch immer wieder schön Bekannte wieder zu treffen...
Aber natürlich auch an alle neuen Leser ein ganz großes Hallo...

Ich muss leider gestehen, dass ich der Geschichte gleich erstmal einen schweren Start verpasst habe und *ähm* vor lauter Vorfreude und Jubellaune eine alte Version hochgeladen habe... Asche auf mein Haupt. Es ist jetzt nicht wahnsinnig viel anders geworden, hier und da habe ich den Satzbau und die Beschreibungen ein bisschen glücklicher gelingen lassen und die Rechtschreibfehler sind draußen. Nur die erste Seite ist zusätzlich eingefügt, um als "Stimmungsheber" zu dienen. Danke für euer Verständnis (solltet ihr das haben:D )

Zum Kritikpunkt von Frechkerl... Ich habe zunächst versucht, in Zusammenhang mit Ulthar die direkte Nennung von Vater/Bruder etc. zu vermeiden, das hätte aber sehr seltsam geklungen und so finde ich passt es ganz gut zusammen mit den Gefühlen, die Ulthar für seine "Leihfamilie" hat.

Danke für die vielen Lobe, ich fühle mich geschmeichelt...

Kapitel Eins

Die Nacht hatte sich wie ein schweres, dunkles Tuch über das Land gelegt, an dem die Sterne wie unregelmäßige, kleine Kristalle glitzerten. Die Bäume ringsumher waren nur noch als schwache, fast konturlose Schatten wahrnehmbar, die mit dem schwarzblauen Ton des Himmels zu verschmelzen begannen. Die kleine Lichtung inmitten des Waldes wurde schwach von dem Glimmen des beinahe niedergebrannten Feuers erhellt. Die rotglühenden Äste waren schon seit langem von weißen Ascheflecken bedeckt, die immer wieder knackend in die Höhe geschleudert wurden.
Es roch nach dem Duft von verbranntem Holz und kochendem Harz. Ein tiefer, geheimnisvoller Duft.
Ulthar lag auf dem Rücken und lauschte dem Knacken des Feuers während er in den wolkenlosen Sternenhimmel schaute. Es war längst nicht das einzige Geräusch, dass die Wälder erfüllte, doch bei weitem das Behaglichste, denn es versprach Wärme und Schutz vor wilden Tieren, die die Hitze des Feuers fürchteten.
Die Wärme der Glut streichelte sanft über seine Wangen und er schätzte, dass es noch eine ganze Weile dauern würde, bis das Feuer niedergebrannt und die Kälte der Nacht die Oberhand gewinnen würde.
Trotzdem lag eine dicke Jacke aus Schaffell neben ihm, auch, um sein Schwert in der einfachen Scheide aus Lederriemen vor Tau und Reif zu schützen. Alle Jungen in der Gegend hatten den Umgang mit dem Schwert schon in frühester Jugend gelernt, denn in den Wäldern rum um Darheimsgard lebten mehrere große Wolfsrudel und auch die eine oder andere Diebesbande tauchte hin und wieder aus dem Schatten der Bäume aus, um arglose Bürger zu überfallen.
Er fühlte sich behaglich hier auf dieser Lichtung und gerade deshalb wunderte er sich, dass er in eben diesem Moment an das Damals denken musste.
Missmutig stieß er den Gedanken beiseite und räusperte sich.
„ Nun ist es soweit...“, sagte er.
Neben ihm erklang ein Rascheln, als sich Marco aufsetzte und nach seiner Jacke griff.
„ Wie meinst du das?“, fragte er.
„ Unsere Volljährigkeit.“, antwortete Ulthar. „ Wir können die Gehöfte der Väter verlassen und unseren eigenen Weg gehen. Ein seltsames Gefühl.“
Ulthar sah aus den Augenwinkeln, wie sein Freund stumm nickte. Er brachte es nichts übers Herz, ihn genau anzusehen. Sie hatten dieses Thema stets gemieden, denn sie mochten sich, seit dem Moment, da sie sich kennen lernten, aber sie wussten beide, dass sie zu verschieden waren, als dass ihre Wege auch weiterhin dem gleichen Pfad folgen könnten.
Ulthar musterte Marco. Er hatte da typische Aussehen der Südländer. Von den krausen, schwarzen Haaren über die haselnussbraunen Augen, bis hin zu der bronzenen Haut passte alles. Nur seine Statur hob ihn von den Anderen ab. So war er groß gewachsen und hatte breite, kräftige Schultern, ganz im Gegensatz zu der eher schmächtigen Gestalt seiner Landsleute. Der ganze Körper strotzte nur so von Kraft, die ständig eingesetzt werden wollte und die sich auch öfters gegen den Willen des Kopfes ihren Weg bahnte.
Ulthar war der perfekte Gegensatz zu ihm. Er war klein und schmächtig mit glatten, blonden Haaren. Nicht einmal die heiße Sonne des Südens hatte es geschafft, seine Haut zu bräunen. Sie war gelber geworden, mehr aber auch nicht.
Mühsam riss er sich von dem Gedanken los. Er war schon wieder dabei in seine Gedankenwelt davon zu fliegen.
„ Wohin werden dich deine Schritte führen, Ulthar?“, fasste Marco seine Gedanken zusammen. Ulthar zuckte mit den Schultern. Diese Worte waren bitter. Sie schmeckten nach Abschied, Abschied von so Vielem. Marco, seiner Jugend, einer glücklichen Zeit. Verloren und zerronnen im Mahlstrom der Zeit.
„ Ich werde bei den Tischlern und den Schreibern fragen, ob sie noch Platz für einen Lehrling haben.“
Marco grinste „ Der Bücherwurm. Das passt natürlich.“.
Ulthar versuchte zu lächeln, aber es misslang. Wieder räusperte er sich.
„ Und selbst?“.
Marco fixierte ihn vorsichtig, bevor er antwortete:
„ Ich werde zu den Stadtwachen gehen. Als Schwertkämpfer.“.
Ulthar nickte und nahm sich das letzte Stück Brot, dass noch an der Feuerstelle lag.
„ Das habe ich mir gedacht.“
Schweigend kaute Ulthar auf dem Brotstück und hing seinen Gedanken nach, während Marco mit seinem Schwert spielte.
„ Ausgerechnet du Marco – und ausgerechnet die Miliz. Glaubst du, dass das .... das Richtige für dich ist?“, fragte er schließlich zögernd. Marco zog seine dichten Augenbraunen zusammen und hob überrascht den Blick.
„ Es ist seit meiner Kindheit mein Traum, Schwertkämpfer zu werden, wie du eigentlich wissen müsstest, Ulthar...“, antwortete er schließlich.
Ulthar kratzte sich am Hinterkopf.
„ Ja, sicher, ich weiß doch. Aber die Miliz? Willst du wirklich dein ganzes Leben auf den Stadttoren herumlaufen und einem brüllenden Gardisten gehorchen?“, versuchte er schließlich seine Bedenken vorsichtig zu formulieren.
Nun war es an Marco, abwehrend die Achseln zu zucken.
„ Man muss Kompromisse eingehen, Ulthar. Und außerdem stehen dunkle Zeiten bevor, wenn die Gerüchte stimmen, die die Händler zu uns bringen, sehr dunkle Zeiten. Die Stadt braucht Menschen wie mich um euch zu beschützen...“
Marco biss sich auf die Zunge, aber es war zu spät.
Der Gedanke war ausgesprochen. Das war es, wovor Ulthar Angst gehabt hatte. Die Trennung, die Distanz, das Gefühl, wieder einmal unterschiedlichen Ständen anzugehören.
„ Ich wollte nicht...“ versuchte Marco die Situation zu retten, aber Ulthar wehrte diesen Versuch ab.
„ Ist schon in Ordnung.“
„ Nein, ehrlich...“
„ Es ist in Ordnung.“, wiederholte Ulthar seine Worte und war über den harten Klang seiner Stimme überrascht.
Das Feuer war niedergebrannt, viel schneller, als er gedacht hatte und so griff er nach seiner Jacke, als ihn eine Bewegung innehalten ließ. Ein grauer Schemen huschte am Waldrand entlang. Beinahe hätte er nach seiner Waffe gegriffen, als ein wohlbekanntes Bellen ertönte.
„ Gaius!“, rief Marco, sichtlich erfreut über die Ablenkung und sprang auf. „ Mögen deine Schritte zahlreich und deine Stunden glücklich sein, mein Freund!“.
Gaius sprang Marco aus vollem Lauf an und warf ihn fast um. Selbst der starke Marco ging in die Knie und streichelte das graue, borstige Fell, während der Hund ihm das Gesicht ableckte. Die Szene war so drollig, dass auch Ulthar unwillkürlich lächeln musste.
„Wie kann man einem Hund nur den Namen eines Kriegsherren geben?“, fragte er schließlich.
Marco war so beschäftigt, sich mit Gaius zu balgen, dass er gar nicht zum Antworten kam. Schließlich machte er sich los, packte den letzten vollen Krug und rief Ulthar zu: „ Trinkt noch etwas Apfelwein mit mir, oh großer Nordmann, auf dass ihr eure Sorgen über den Morgen vergesst. Und wir die letzten glücklichen Stunden in Freiheit genießen können.“
Ulthar verzog spielerisch entsetzt das Gesicht und wich zurück:
„ Pah Apfelwein, welch Gesöff. Nichts kann es mit dem edlen Honigwein des hohen Nordens aufnehmen. Gezeugt im süßen Schoße der Wintergöttin fließt er hinein in den Mund des Barbaren. Und auf ein Wort, Edelmann, eure Redekünste machen mich speien.“
Marco verneigte sich spöttisch:
„ Nun, wenn der Herr solch exquisiten Geschmack hat, so braucht er wohl einen dicken Geldbeutel, den er aber leider nicht hat.“.
Ulthar lachte: „ Gib her du Lump.“, und nahm einen tiefen Schluck.
Marco wandte sich wieder dem Hund zu, der ihn noch einmal ansprang, wohl in der Hoffnung auf ein neues Spiel. Ulthar wusste es nicht, doch würde es eben dieses Bild sein, dass sich in sein Gedächtnis einbrennen würde, als der letzte Eindruck seiner Jugend, das letzte Bild des unschuldigen Friedens.
„ Wer hat dich Stromer denn freigelassen?“, fragte er den Hund, der ihn scheinbar aufmunternd ansah. Gaius begann ängstlich zu winseln.
„ Hey, was ist denn los?“, fragte Marco besorgt.
Gaius sprang ein paar Schritte über die Wiese und drehte sich dann auffordernd um.
„ Da stimmt doch etwas nicht.“, murmelte Ulthar.
„ Lass uns lieber nachsehen, was er hat.“
Mit einem Schlag war es da. Dieses Gefühl als würde ihm ein glühendes Schwert in den Rücken gerammt. Düstere Schwärze raste durch Ulthars Kopf, kleine, dürre Spinnenbeine krochen durch seine Gedanken. Tastend, suchend.
Ulthar wirbelte herum, aber da war nichts. Nur eine leise Stimme, die in seinem Kopf schwang.
Zu früh, noch viel zu früh.
„ Ulthar, was ist los?“, Marco schlug ihm auf den Rücken. Ulthar drehte sich entsetzt um.
„ Lass uns schnell laufen, Marco, schnell, ich fürchte etwas passiert hier. Etwas Schreckliches.“
Marcos Blick irrte zwischen dem Hund und Ulthar hin und her. Angst flackerte in seinem Blick, seine Lieder zitterten.
Dann rannten sie beide wie auf Kommando los, dem Waldrand und damit der Stadt entgegen.
Die Zweige peitschen ihnen unbarmherzig ins Gesicht und die Dornen rissen kleine, brennende Wunden in ihre Gesichter, aber keiner von beiden erlaubte es sich auch nur eine Sekunde, seine Schritte zu verlangsamen.
Die Stimme in Ulthars Kopf war zwar längst verklungen, doch hatte selbst ihr Nachhall ein dumpfes, bösartiges Gefühl hinterlassen, eine dunkle Leere in deren hintersten Ecken sich das Böse versteckt hielt und lauernd wartete.
Sie hatten den Stadtrand noch längst nicht erreicht, als ihnen der Geruch in die Nasen drang. Es war der trockene Geruch eines großen Feuers, dass in ihrer unmittelbaren Nähe brannte – und da war noch was, ein Unterton, noch unbestimmbar, doch anwesend.
Wenige Schritte weiter sahen sie den rötlichen Schein, der durch das dichte Laub der Bäume hindurch drang. Flackerndes, oranges Licht, dass die Schatten in Aufruhr brachte.
Als sie durch die letzten Büsche brachen, da warf sie das Bild vor ihren Augen endgültig zu Boden.
Darheimsgard brannte. Aber es war nicht irgendein Feuer, dass die Stadt heimsuchte, nicht einmal die Feuersbrunst, die aus mangelnder Vorsicht die Wälder Iljards immer wieder heimsuchte, nein, dass hier war ein Inferno, dass einzig und allein einen Zweck erfüllte: Die Stadt auszurotten.
Weiße Hitzewände bahnten sich ihren Weg durch die Straßen und vernichteten alles, was sich ihnen in den Weg stellte, orangene Feuersäulen explodierten aus den Überresten zerstörter Häuser, durchschnitten den Nachthimmel und ließen einen Funkenregen über der Stadt niedergehen.
Das Feuer gab sich nicht einmal mehr Mühe, natürlich zu wirken, nein, es schien, als wären die Flammen selbst ein Lebewesen, eine gigantische Kreatur, geschaffen aus unglaublicher Hitze, deren unzählige Arme gierig in die Stadt hineingriffen, um ihr das Leben auszusaugen.
Berstende Häuser und verbrannte Leiber waren die Opfer in diesem Kampf, der sich vor Ulthars Augen abspielte und dann erst erlaubte es ihm sein Bewusstsein, den Geruch zu identifizieren.
Es war der Geruch von verkohlten Leibern. Überall auf den Straßen lagen Menschen, manche aus den Häusern hervorgeschleudert, andere, die panisch vor dem Feuer zu flüchten versucht hatten, aber sie alle hatte das Feuer mit unbarmherziger Präzision niedergestreckt. Egal ob Mann oder Frau, Kind oder Erwachsener, sie alle lagen tot da und die Flammen schälten ihnen langsam die Haut von den Knochen.
Es war dieser Anblick, diese kochenden Leichen und der unbeschreibliche Geruch, der von dem Feuer ausging, der Ulthar und Marco schließlich das Bewusstsein raubte.

Er hatte beim Rennen die Schuhe verloren, aber das war unwichtig, selbst die Schmerzen hatten ihre Bedeutung für ihn verloren, jetzt, da er über die steinigen Wege hastete. Es war alles egal, selbst der Tod war in diesem Moment als mögliches Ende ihrer Reise nichtig und unwichtig.
Er war selbst erstaunt über seine Zustand. Es war, als könne er sich von außen betrachten, als wäre er ein Akteur in einem Schauspiel über sich selbst.
Er konnte beobachten, wie Etwas in ihm starb. Vielleicht war es seine Jugend, vielleicht die letzten Reste von Werten wie Liebe und Nachsicht. Der blanke Hass brannte in ihm auf. Der schwarze Samen der Stimme war auf fruchtbaren Boden gefallen und hatte Etwas entfacht, dass ihn selbst verzehren würde, wenn er nicht vorsichtig war.
Es war ein Gefühl, als würde er nach Hause kommen. Er war diesen Weg schon tausend Mal gegangen, wenn er von der Stadt aus zu dem Bauernhaus ging und wie immer versuchte ihn eine behagliche Stimmung zu empfangen, doch diese Situation hatte nichts Behagliches an sich.
Das Haus sah zwar von Weitem unversehrt aus, aber keiner der Beiden glaubte auch nur eine Sekunde daran, dass dieser Schein der Wahrheit entsprechen könnte.
Es war die ganze Szene, die diesem Gedanken etwas Lächerliches verlieh. Als würde die Sonne heute nur dunkles Licht aussenden, dass den Bäumen das Aussehen schemenhafter, düsterer Wächter gäbe, die sie mit bösartigen Blicken musterten und deren Wurzeln sich wie Schlingen um ihre Füße wanden, um sie vom Betreten des Hauses abzuhalten. Als hätten sich die Tiere und Pflanzen abgesprochen, keinen Laut mehr von sich zu geben, um diese unheimliche Stille zu schaffen, die das Fließen des Blutes in den Adern zu einem donnernden Orkan werden ließ.
Noch immer flogen sie auf das Haus zu. Ihre Lungen schienen von glühenden Speeren durchbohrt, aber es gab keine Möglichkeit, die Schritte zu verlangsamen.
Keuchend umklammerte Ulthar die rissige Steinmauer. Sein Blick wurde unscharf und sein Magen wehrte sich gegen die Überanstrengung. Mit einem Mal war er sich all der Schmerzen bewusst, die er empfand, kein Schauspieler auf einer Bühne, sondern einzig und allein er selbst. Er fiel auf die Knie, unfähig sich aufrecht zu halten.
Es waren Marcos starke Arme, die ihn wortlos aufrichteten und ihm halfen, die Füße in Richtung des Tores zu setzen, dass sie wie ein schwarzer Schlund anstarrte.
„Wir sollten da nicht rein gehen...“, sagte Marco dann aber leise und tonlos. „Das ist nicht für unsere Augen gedacht“.
Ulthar nickte. Er spürte es auch. Dieses lauernde Böse, das aus jedem Winkel dieses Hauses drang, wie infizierter Schleim, dass die Luft durchsetzte und in den Lungen ätzte.
Aber da war noch mehr.
Die undurchdringliche, bösartige Schwärze versprach mehr als nur einen Blick in die Fratze des Wahnsinns und die Abgründe des menschlichen Geistes, nein, was ihn so anzog, so faszinierte, das war das Versprechen, das Versprechen, welches die Mauern ihm zuraunten.
Er wusste, dass er in diesem Haus ein weiteres Puzzleteil des Rätsels finden würde, das ihm seine Vergangenheit aufgab, dass er hier Antworten bekommen würde, auf all die Fragen, die ihn Nacht für Nacht heimsuchten und ihm den Schlaf raubten.
„ Ich muss.“ Antwortete Ulthar flüsternd.
Seine Hände tasteten über die raue Mauer, während seine Füße raschelnd durch das Glas strichen. Er konnte die Stimmen hören, die ihn lockten, einzutreten und die, die ihn eindringlich warnten, aber er achtete nicht auf sie. Alles, was er tat, tat er bewusst, nach seinem Willen.
Er hielt nicht an, schaute nicht zurück, auch nicht, als er durch das Tor ins Innere des Hauses trat.

Es war, wie immer, wenn sich die Vergangenheit aus den tiefen Winkel des Vergessens erhob. Es waren nur lose Fetzen, die sein Auge und sein Herz berührten. Bilder, zusammenhangslos, leer. Voller Grauen und doch abstrakt. Er sah brennende Städte, sah tote Menschen, sah Plünderer und Mörder, aber Etwas war anders dieses Mal.
Sonst hatte er Angst vor den Bildern gehabt, Furcht und Schrecken, aber dieses Mal traf ihn der Schmerz, dieses Mal fühlte er etwas, das über nacktes Grauen hinausging. Er spürte den Verlust – unzuordenbar, aber ständig präsent.
Er kannte diese Leute...
Aber das war auch schon alles. Fast war Ulthar enttäuscht, als die Visionen verschwanden und der nackten, grausamen Realität Platz einräumten.
Er stand inmitten der Stube. Noch immer flutete das Sonnenlicht durch die Fensterscheiben, noch immer tanzte der Staub in den gebrochenen Lichtbündeln und noch immer roch es nach Stroh und Holz , aber die subtile Art mit der die unbekannten Mörder diese Szene verfälscht hatten, war grauenhafter als jedes Blutbad.
Es reichten nur wenige Blutspritzer an den Fensterscheiben, um die eindringenden Strahlen rot und bösartig zu färben. Dieses Licht gab dem Raum eine unheimliche Tiefe, die er vorher noch nicht besessen hatte. Die Schatten waren dunkler, durchsetzender und ließen Ulthar frösteln.
Er wusste es, er kannte das Geheimnis dessen, was sich in seinem Rücken verbarg. Aber er wehrte sich dagegen. Er wünschte sich, er wäre nicht in das Haus gegangen, wünschte sich er hätte auf Marco gehört und wäre mit ihm auf der Wiese geblieben.
Aber es war zu spät. Es gab keine Möglichkeit der Realität zu entkommen. Langsam drehte er sich um.
Als er die ausgeweidete Leiche des Vaters sah, der dort an die Mauer gekreuzigt war, war es mit seiner Beherrschung vorbei.
Es war, als wäre er nun selbst Teil eines Alptraums geworden, als hätte er die Grenzen der realen Welt überschritten und wäre in die Abgründe eines Traumas gestürzt.
Doch was weitaus schlimmer wog als allein diese Bilder, das waren die Erinnerungen, die sich nun aufmachten.
Er sah sich selbst, wie er vor den Toren Darheimsgards gestanden hatte, ausgelaugt und müde nach einer wochenlangen Wanderungen durch die umliegenden Wälder, ohne Erinnerungen an die Zeit, die hinter ihm lag, erinnerte sich, wie die Wachen ihn ob seiner zerschlissenen Kleider und seiner zerschrammten, narbigen Haut ausgelacht und fortgeschickt hatten.
Er war weitergetaumelt, eben den Weg entlang, den sie gerade hinter sich gebracht hatten und war dort zusammengebrochen, unfähig sich zu bewegen, oder auch nur um Hilfe zu rufen.
Dann sah er das Gesicht dieses Mannes vor sich. Er hatte ihn aus wachsamen, aber dennoch freundlichen Augen gemustert und dann begonnen mit ihm zu sprechen. Er hatte ihn, den abgerissenen Fremden mit dem seltsamen Äußeren bei sich wohnen lassen, hatte ihm Kleidung und Essen gegeben und ihn ausgebildet. Er hatte ihn behandelt, als wäre Ulthar sein eigener Sohn – und spätestens nach dem Tod der beiden Ältesten war er für den alten Mann auch genau Das geworden.
Und jetzt war er wegen ihm getötet worden.
Ulthar schritt langsam auf den Körper zu. Auf der Kiste neben der Leiche konnte man noch einen blutigen Fußabdruck des Mörders erkennen, aber das war Ulthar egal. Er stieg vorsichtig auf das Möbelstück und begann mit ganzer Kraft an den Pfeilspitzen zu ziehen, die seinen Vater an die Wand nagelten.
Das Blut, das aus den Wunden quoll war noch warm und vermittelte eine Illusion von Leben, das der Körper niemals wieder besitzen würde.
Ulthars Gefühle waren wie abgestorben, alles Denken war verstummt, seine Handlungen waren rein mechanisch. Alles was er fühlte war die Leere, die der Verlust dieses Menschen in ihn riss und einen Hauch tiefster Trauer.
Das Sonnenlicht überflutete seine Augen, als er wieder aus der Tür trat, seinen Vater auf den Armen tragend. Die Helligkeit schmerzte die empfindlich gewordenen Augen, aber Ulthar erlaubte sich nicht, sie zu schließen. Er wollte jeden Moment, den er noch mit seinem Vater verbringen konnte, bewusst erleben.
Er legte die Leiche vor Marcos Füße, kniete sich daneben und schloss ihr sanft die Augen.
„Sie haben ihn umgebracht, Bruder.“. Sagte er dumpf und tonlos.
Marco ging ebenfalls vor dem leblosen Körper auf die Knie und ergriff die kalten Hände.
„Ich schwöre dir Vater, dass diese Tat nicht ungesühnt bleiben wird. Wir werden uns auf den Weg machen, Ulthar und ich. Wir werden die Mörder finden und wir werden deinen Tod rächen. Das schwöre ich bei meinem Leben.“
Er senkte langsam sein Haupt und Ulthar nickte.
Die Stimmung hatte etwas feierliches an sich, wie der Wind leise durch die Bäume raschelte und die Grashalme dazu brachte, sich zu Ehren des alten Mannes zu verneigen. Kein Vogelzwitschern störte die Ruhe der Prozession, mit der die beiden Söhne Abschied nahmen, Abschied von dem Mann, der ihnen in ihrem Leben am meisten bedeutet hatte.
„ Auch ich gebe dir diesen Schwur“, Ulthars Stimme zitterte, als er das letzte Wort über die Lippen presste „Vater“.

Es dauerte bis weit in den Abend hinein, bis sie es geschafft hatten, ihren Vater zu beerdigen, denn weder Ulthar noch Marco hatten die Kraft, noch einmal in das Haus zu gehen und eine Schaufel zu holen, was sie dazu zwang, die ganze Arbeit mit bloßen Händen zu verrichten.
Keiner von ihnen sprach auch nur ein Wort, bis der Leichnam in der Erde verschwunden war. Jeder hing seinen eigenen, ganz persönlichen Erinnerungen hinterher und gedachte dem Andenken das der Vater hinterlassen hatte.
Danach suchten sie die umliegenden Felder und Wege ab und bargen die Leichen der Knechte und Mägde. Man hatte ihnen die Kehlen durchgeschnitten und sie dann achtlos liegen lassen. Zehn Menschen waren auf diese Weise hingerichtet worden – alle die auf dem Hof gearbeitet hatten.
Nur einer fehlte noch.
„ Wir müssen Rico finden.“. Sagte Marco. „ Wenn er auch tot ist, verdient er es mit seinem Vater beerdigt zu werden.“
Ulthar nickte stumm, wohlwissend, dass es sinnlos war, weiter zu suchen. Sie hatten mehrmals das ganze Gelände durchstreift, hatten jedes Versteckt durchforstet, dass sie kannten und noch immer kein Anzeichen gefunden, dass auf den Verbleib ihres kleinen Bruders hindeutete.
Mittlerweile war es Nacht geworden, was die Chancen noch geringer werden ließ, den Jungen aufzuspüren. Es konnte ihnen nur noch ein Wunder helfen.
Gerade wollte Ulthar wieder auf die Felder zulaufen, als er den spitzen Schrei Marcos hörte, der in die andere Richtung gegangen war.
„ Ulthar, komm, schnell!“. Schrie er.
Ulthar sah auf den ersten Blick nicht, was sein Bruder gemeint hatte, aber dann schälte sich aus dem dunklen Gewirr am Boden etwas Kleines hervor.
Ein dunkelgrüner Schuh aus weichem Filz – Ricos Schuh.
Wie zur Antwort auf diesen Fund trat der Mond hinter den Wolken hervor und beleuchtete die Szene mit seinem fahlen, weißen Licht.
Plötzlich war der Erdboden von einer wirren Unzahl Spuren übersäht. Stiefel, Hufe alles vermischte sich auf dieser kleinen Fläche.
„ Sie müssen ihn mitgenommen haben“ Stieß Marco hervor. Und deutete mit seiner Hand in nördliche Richtung. Und tatsächlich verliefen die Spuren eindeutig dorthin.
„ Wir müssen ihnen hinterher.“. Fuhr er fort, aber Ulthar schüttelte den Kopf.
„ Marco, das ist sinnlos. Wir können sie jetzt nicht verfolgen.“
„ Warum nicht.“ Marco fuhr herum und funkelte Ulthar böse an. „ Willst du sagen, dass du es nicht kannst, oder dass du es nicht willst.“
„ Es wäre sinnlos.“ Sagte Ulthar ruhig und deutete in die Richtung der fliehenden Banditen. „ Sie haben jetzt mindestens einen Tag Vorsprung – mit Pferden. Wir sind zu Fuß, unser Schuhwerk ist kaputt und wir könnten spätestens nach einem Tag nicht mehr laufen. Wir haben keine Rüstung und nur unsere Schwerter. Hier sind Spuren von mindestens fünf Pferden. Selbst wenn wir sie erreichen, würden sie uns abstechen wie Schweine.“
Marco schüttelte trotzig den Kopf:
„ Und was willst du tun? Hier stehen und warten, bis die königliche Garde vorbeikommt? Verdammt es ist unser Bruder.“ Marco stampfte trotzig mit seinem nackten Fuß auf den Boden.
„ Nein“ Wieder schüttelte Marco den Kopf und zeigte diesmal in die entgegengesetzte Richtung. „Wir werden morgen früh mit dem ersten Hahnenschrei nach Darheimsgard gehen und zusehen, dass wir in den Trümmern eine Rüstung und vielleicht sogar Pferde – Vor allem aber Schuhe bekommen und werden ihnen dann nachreiten. Auf Pferden haben wir die verlorene Zeit nach spätestens einem halben Tag aufgeholt.“
„ Aber es ist unser Bruder Ulthar – Wir müssen ihm helfen.“
Ulthar setzte sich auf den nackten Fußboden.
„ Wir helfen ihm aber nicht indem wir sterben. Meinetwegen geh doch, wenn du unbedingt sterben möchtest.“
Mit diesen Worten legte er sich auf die Seite und schloss die Augen.
Es dauerte nur kurze Zeit, als ein Rascheln ankündigte. Dass auch Marco sich hingelegt hatte.

Eine unbeschreibliche Trauer hatte Besitz von ihm ergriffen, als sie sich Darheimsgard näherten. Sie standen auf einer kleinen Anhöhe, die es ihnen erlaubte, direkt auf die zerstörte Stadt herabzublicken. Der Wind wehte Ulthar ins Gesicht und blies ihm die Haare aus dem Gesicht. Er brachte den Geruch von verbranntem Holz und verkohlten Steinen mit sich, den die vergangene Stadt aussandte. Die Nebelschleier hatten sich noch immer nicht gelegt und verwehrten den genauen Blick auf die Stadt. Aber nicht einmal dieser gnädige Vorhang erlaubte es, die Stadt noch einmal vollständig, unzerstört vor dem Inneren Auge zu sehen.
Alles was ihr Leben ausgemacht hatte war tot. Ihr Vater, der Bauernhof, selbst diese Stadt war der Vernichtung anheim gefallen. Aber es war diese Abwesenheit jeglichen Lebens, die so sehr schmerzte. Kein Mensch war auf der Straße, kein Hund, nicht einmal eine Katze. Jedes Lebewesen war vernichtet von feigen Bastarden aus der Dunkelheit.
Ulthar atmete tief ein.
„Wir sollten dort runter gehen. Wir brauchen unsere Ausrüstung.“
Marco nickte und verzog das Gesicht vor Schmerz.
„ Es tut weh, die Stadt so zu sehen. Wer auch immer da getan hat, wird dafür büßen“ Marco schaute Ulthar direkt in die Augen, bevor er weiter redete „Wer glaubst du war es?“
Ulthar schaute Marco erstaunt an.
„ Woher soll ich das wissen?“
Marco rang lange nach Worten und schien mit jeder Sekunde unsicherer zu werden.
„ Ich weiß es nicht. Es ist nur so eine Ahnung. Deine Worte gestern, sie waren so bestimmt, als wüsstest du, was das hier zu bedeuten hat.“
Ulthar drehte sich im Gehen um und bemühte sich sein Gesicht so unbeteiligt wie möglich erscheinen zu lassen.
„ Du täuschst dich Marco, ich weiß es ebenso wenig wie du.“ Mit diesen Worten ging er durch das große Stadttor.
Als Ulthar sich umgedreht hatte zog Marco ungläubig die Stirn kraus.
In dem Moment, da sie Darheimsgard betreten hatten, war jeder Gedanke an das Wer und Warum verschwunden. Es war, als hätten sie eine Geisterstadt betreten, einen Hort der Toten, wie sie oft in alten Geschichten beschrieben wird. Der Nebel dämpfte jedes Geräusch, gab jedem Laut eine hohle, dumpfe Qualität, der ihn weit entfernt und tot erscheinen ließ. Die schwarzen Ruinen zu jeder Seite der Straße und die verkohlten Leiber auf dem Pflaster verstärkten diesen Eindruck noch um ein Vielfaches.
Unwillkürlich rückten Marco und Ulthar näher zusammen und legten ihre Hände auf die Waffen.
Am schlimmsten aber war, dass die Stadt in ihren Grundfesten noch zu erkennen war. Jedes zerstörte Haus, jeder Platz und jede Straße war mit Erinnerungen behaftet, die nun wieder aufkochten. Die düsteren Bilder aus der Gegenwart vermischten sich mit schönen, fröhlichen Erinnerungen aus der Vergangenheit, was die Situation noch trostloser erscheinen ließ.
Irgendwo knarrte ein Fensterrahmen oder eine Tür im Wind und ließ Marco zusammenzucken.
„Wo sollen wir anfangen zu suchen?“ Fragte er.
Ulthar zuckte gereizt mit den Schultern.
„ Was weiß denn ich? Du tust ja gerade so, als ob ich das schon mal gemacht hätte“ Gab er gereizt zurück „Wo gibt es denn in dieser Stadt Waffen?“
Marco nickte nach vorne.
„Bei der Stadtwache im Zentrum.“
Ulthar war verblüfft über die Einfachheit dieser Antwort und vergaß für einen Moment fast Angst zu haben, weil er sich über sich selbst ärgerte. Dann lief er aber umso schneller hinter seinem Bruder her.
Zum Stadtzentrum hin nahmen die Zerstörungen immer weiter ab. Scheinbar war das Feuer wirklich an den Festungsmauer der Stadt losgebrochen und hatte auf dem Weg in das Zentrum immer mehr an Kraft verloren.
Hier und da konnte man helle Flecken an den Gebäuden erkennen – Und als sie die Burg der Stadtwache fast erreicht hatten, sahen sie die Holztür, deren knarzendes Geräusch sie auf ihrem Weg begleitet hatte.
Ulthar drückte sie fest zu und wollte weitergehen, aber Marco packte ihn am Arm und zog ihn zurück.
„ Was?“ fauchte Ulthar leise.
Marco legte den Finger auf die Lippen.
„Hörst du es nicht?“
Ulthar lauschte angestrengt, aber außer dem sanften Seufzen des Windes in den Trümmern war da nichts, oder? Hörte er nicht ein leises Stöhnen?
Jetzt da er es einmal geortet hatte, wurde es immer deutlicher. Es kam von der Burg, oder zumindest von irgendeinem Ort ganz in ihrer Nähe.
„ Glaubst du das ist ein Überlebender?“ fragte er leise.
Marco zuckte mit den Schultern.
„ Es könnte auch eine Falle sein.“ Ulthar dachte nach.
„ Sollten wir ... dorthin?“ Fragte er dann. Marco musterte ihn scharf.
„ Natürlich, diese Schweine haben Rico entführt. Wir müssen da hin. Wir brauchen Waffen.“ Marco zog sein Schwert und umklammerte es mit beiden Händen „ Ich gehe. Du kannst meinetwegen hier warten.“
Einen winzigen Moment dachte Ulthar tatsächlich darüber nach, aber dann sah er Marcos Hände, die von der Gewalt mit der er das Schwert hielt schon weiß wurden und er wusste, dass er seinen Bruder nicht allein lassen konnte. Er schluckte und wischte sich den Schweiß von der Stirn.
„ Gehen wir, aber vorsichtig.“
Leise schlichen sie um die Trümmer eines eingefallen Hauses hinweg und drückten sich an die nächste Mauer. Stück für Stück schoben sie langsam ihre Körper nach vorn. Auch Ulthar hatte sein Schwert gezogen – Und die Spitze zitterte hektisch hin und her. Er war schon immer ein viel schlechterer Kämpfer gewesen als Marco.
Wieder erklang das Stöhnen. Nur diesmal war es viel näher. Wenn sie um die nächste Ecke gingen, mussten sie ihm direkt gegenüber stehen.
Ulthars nackter Fuß stieß gegen einen Stein, der mit einem schwachen Poltern zur Seite fiel. Marco wirbelte erschrocken herum und zeigte Ulthar eine drohende Geste. Dann war die Hauswand zu Ende. Mit einem einzigen Satz sprangen die beiden aus der Deckung. Zwei Schwerte zuckten fast synchron nach oben – Nur um sich kurz darauf wieder zu senken. Denn von dem, was sie sahen, konnte kaum eine Bedrohung mehr ausgehen.
Der Gardesoldat der Miliz lag, durchbohrt von unzähligen Speeren direkt vor dem Eingang der Burg. Seine Augen flackerten schwach und aus seinem Mund lief ein dünnes Rinnsal Blut.
Jede Gefahr missachtend lief Marco auf ihn zu.
„ Herr, was ist passiert?“. Rief er und strich dem Soldaten die Haarsträhnen aus dem Gesicht. Seine Haut war überzogen von drei dicken blutigen Schnitten, die noch immer frisch waren. Ulthars Herz krampfte sich zusammen bei dem Gedanken, dass dieser Mann schon fast zwei ganze Tage so lag. Er musste eine unglaubliche Willenskraft besitzen, dass er den Kampf gegen seinen Tod noch immer nicht verloren hatte.
Krampfhaft stieß der Soldat die Luft aus seinen Lungen und zog sie wieder ein. Das Blut in seiner Lunge ließ ihn röcheln, aber noch hatte er Kraft zum Sprechen.
„ Es war ... es waren so wenige, Räuber... Halunken. Aber der Eine... Er war wie der Teufel... Alles brannte...“ Die Augen des sterbenden Mannes rasten wie wild hin und her. Ulthar legte sanft seine Hand auf die Stirn. Das letzte Fieber hatte den Mann gepackt und würde in wenigen Augenblicken das Leben aus dem zerschundenen Körper pressen.
„ Ganz ruhig, Herr“ sagte er „Ihr habt es fast geschafft. Haben die Räuber irgend etwas gesagt.“
Der Atem des Mannes ging immer flacher und unruhiger und fast glaubte Ulthar, dass er die Kraft zum Antworten nicht mehr hatte, als der Soldat noch einmal den Mund öffnete.
„ Sie ... schrieen von einem... von einem Ungrud und... von einer Prophezeiung... Erlöst mich, Freunde... erlöst mich von diesem ... von diesem Schmerz.“
Ungrud...
Ulthar sah Marco überrascht an, als sich der Mann plötzlich trotz seiner tödlichen Verletzungen in die Höhe stemmte. Aus weit aufgerissenen Augen starrte er Ulthar an. Seine Hand umklammerte Ulthars Arm.
Ungrud....
„ Du, du! Ungrud...“ Seine Stimme brach ab, aber dann redete er erneut „Meine Frau, meine Frau und meine Tochter. Wo sind sie? Sind sie in Sicherheit?“
Ulthar drückte ihn sanft in eine liegende Position zurück. Er konnte sich vorstellen, welche Schmerzen dieser Mann erleiden musste, und darum konnte er nicht anders als zu lügen. Er konnte ihm nicht anders helfen. Niemand konnte das.
„Sie sind in Sicherheit.“ Flüsterte er und in seinen Augen glitzerte eine kleine Träne.
Die Gesichtszüge des Soldaten entspannten sich. Er sah aus wie ein Mann, der sich nach getaner Arbeit friedlich zur Ruhe legte.
„ Dann ist es gut“ Murmelte er „ Dann kann ich in Ruhe schlafen.“.
Nur noch kurz kam ein rasselnder Atemstoß aus den Lungen des Mannes, dann erschlafften seine Glieder.
„ Mögen deine Schritte zahlreich und deine Stunden glücklich sein, auch in den Welten hinter dem Horizont, Unbekannter.“ Flüsterte Marco und schloss die Augen des Toten.
Ulthar war benommen. Er konnte sich nicht bewegen. Die Worte des toten Soldaten hallten in seinem Kopf nach, wie ein Echo, nur dass sie vielmehr lauter als leiser wurden. Ungrud, Ungrud, irgendetwas sagte ihm dieser Name, aber was? Er wusste es nicht.
„Ulthar, wir müssen weiter...“ Sagte Marco fast schon flehend. Er kauerte kaum einen Meter neben seinem Bruder, aber er konnte ihn nicht berühren, konnte ihn nicht wachrütteln, wie er es am liebsten getan hätte. Etwas verängstigte ihn. Er hatte Ulthar noch nie so gesehen wie jetzt.
„ Was? Ja. Wir müssen wohl.“ Sagte Ulthar schließlich, als er erschrocken von seinem Denken auffuhr. Dann erhob er sich, blieb kurz stehen und dachte erneut nach. „Wir sollten ihn beerdigen.“ Sagte er schließlich. „ Er verdient ein angemessenes Grab.“
Marco schüttelte den Kopf.
„ Wir können nicht jeden Toten in der Stadt beerdigen. Das würde Wochen dauern. Bis dahin sind sie mit Rico über alle Berge.“
„Aber die alten Regeln verlangen es.“ Widersprach Ulthar trotzig.
„Ulthar.“ In Marcos Stimme schwang die Verzweiflung mit. Er glaubte mittlerweile fest daran, dass Ulthar dabei war, wahnsinnig zu werden.
„ Nein, Marco, nein, wir müssen ihn beerdigen.“
Marco war verzweifelt. Jede Minute, die sie hier verbrachten, verringerte die Chance, dass sie Rico lebend wiederfanden. Die Sorge um seinen kleinen Bruder pochte so stark in seiner Brust. Schließlich wurde sie übermächtig. Marco sprang nach vorn und schlug Ulthar mit der flachen Hand in das Gesicht. Ulthar strich erschrocken über den roten Abdruck auf seinen Wangen, während Marco beschämt den Blick senkte. Erst schien es, als würde Ulthar gar nicht reagieren, aber dann redete er wieder.
„ Danke.“ Sagte er aufrichtig und folgte seinem Bruder in die Burg der Stadtwache.

Es war gut, dass Marco schon oft die Burg der Stadtwache besucht hätte, sonst hätten sie sich in dem Wirrwarr aus Gängen, Hallen und Plätzen sicherlich schnell verlaufen, denn die Burg sah zwar äußerlich relativ klein und bescheiden aus, doch führten ihre Treppen mehrere Stockwerke unter die Erde.
„ Seltsam, wie gut du dich auskennst, Bruder.“ Sagte Ulthar schließlich. Marco zuckte die Achseln, sah aber nicht zurück.
„ Als Anwärter für die Stadtwache musste ich schon mehrere Male hier her, um Botengänge zu erledigen und so. Da lernt man das System ziemlich schnell.“
Ulthar lächelte.
„Ich hatte mich schon gefragt, wo du manchmal an den freien Tagen warst. Aber jetzt wir mir natürlich Einiges klar.“
Marco blieb stehen und drehte sich zu Ulthar um, der hinter ihm lief.
„ Ja, ich verstehe. Aber ich wollte euch nichts davon sagen. Vater nicht, weil ich seine Hoffnungen zerstört hätte und dir nicht, weil ich wusste, wie du die Miliz hasst. Das war nicht richtig. Dafür entschuldige ich mich. Aber hör bitte auf, so zu sticheln. Jeder macht mal einen Fehler.“
Ulthar nickte und fügte vielsagend hinzu.
„Und jeder hat seine Geheimnisse.“ Er seufzte.
Ein kurzen Moment später waren sie an eine dicken Eichentür angelangt, vor der Marco stehen blieb.
„ Wenn mich nicht alles täuscht, müsste es hier sein.“
„ Und wie kommen wir dort rein? Es ist doch bestimmt abgeschlossen.“
Marco verzog das Gesicht in gespieltem Entsetzen.
„ Wo denkst du hin. Wir sind im Keller der Burg der Stadtwache. Jeder normale Bürger, der hierher kommt, wird vertrieben – Und wer hier etwas stiehlt wird mit dem Tod bestraft.“
Er schob mit einem leichten Ruck die Tür auf.
„ Tretet herein, oh edler Nordmann.“
Ulthar schreckte zurück.
„ In Anbetracht der Strafe würde ich euch lieber vorschicken, Südländer.“. Gab er zurück.
Marco zuckte mit den Achseln und trat wortlos in den Kerker. Der Raum war für die Größe der Burg ziemlich klein. Marco musste seinen Kopf einziehen, um sich nicht an der bogenförmig gemauerten Decke denselbigen zu stoßen. Auch in Länge und Breite maß der Keller kaum mehr als fünf Schritt, doch war er vollgestopft mit Regalen und Truhen voller Schwerter, Äxte und Morgensternen. Marco steuerte zielstrebig auf ein Regal mit Zweihandschwertern zu und probierte mehrere von denen ausgiebig, während Ulthar sich bei den kleineren Einhändern umsah und sich eher nach dem Zufallsprinzip bediente.
„In den Truhen müssten die Rüstungen und die Kleidung liegen.“ Sagte Marco nach einer für Ulthar unwahrscheinlich langen Wartezeit und deutete auf mehrere große Holztruhen, die am anderen Ende des Raumes standen. Ulthar öffnete sie und besah sich den Inhalt. Die Kleidung war erstaunlich gut erhalten und vor allem sauber, dafür dass sie in einem nassen Keller lagerte. Vorsichtig probierte er eine Reihe Rüstungen an und entschied sich schließlich für ein weiches Wams aus hellem Stoff, eine grobe Wildlederhose mit dazu passenden Stiefel und ein einfaches Kettenhemd, während Marco einen stabileren, dafür aber auch schwereren Brustpanzer wählte und eisenverstärkte Beinschienen trug. Ulthar sah sich suchend um.
„ Komisch. Sogar hier unten sind alle tot, obwohl das Feuer nicht einmal annähernd bis hierher vorgedrungen ist“, sagte er schließlich und machte sich daran, die Truhen wieder zu schließen „Wer immer das getan hat, wollte mehr als nur eine Stadt plündern und niederbrennen.“
Marco drückte den Deckel der letzten Kiste zu.
„ Du glaubst nicht, dass sie uns zufällig ein paar Pferde am Leben gelassen haben.“
Ulthar grinste verlegen, aber Marco gab ihm einen freundschaftlichen Klapps auf die Schulter.
„ Lass gut sein, Nordmann. Wir werden Rico schon finden.“
Und dann, fügte er in Gedanken hinzu, werden sie sehen, was man hier mit Plünderern und Mördern macht.


Wie immer ein herzliches Dankeschön an alle, die den Anfang des ersten Kapitels verschlungen haben - ich warte auch eure Meinungen.
Bis dann...

PS: Ich hoffe diesmal waren keine Rechtschreibfehler drin... Und es war auch wirklich die finale Version...
 
*g* ja dafür haben wir verständnis :) Kapitel 1 ist schick - ich bin mal gespannt, ob sich die wege der beiden nun doch trennen werden oder nicht :)
 
Da war aber jemand fix :eek:

Soll ich dir was verraten??? Ich weiß die Antwort auf deine Frage :angel:
 
.., wieder einmal unterschiedlichen Ständen anzugehören.

Wie soll ich das verstehen? Sind die beiden nicht zusammen auf dem Hof ihres Vaters arbeiten? Dann müssten Sie doch den gleichen Stand haben, oder habe ich da was missverstanden?

Wegen dem Feuer, da halte ich mich noch zurück. Weil wenn es von irgendwelchen Gegner gelegt wurde, dann hätte man zuvor den Schlachtenlärm hören müssen... bzw. die Gegner noch vor Ort sein. Und ob ein normales Feuer solche Ausmaße annehmen kann das die Leute nicht mal aus der Stadt fliehen können.. ich meine wenn man eine Stadt anzündet dann brennt nicht alles gleich deratig das keiner mehr flüchten kann.. und warum Häuser explodieren, das lasse ich auch erstmal so auf mich wirken, vielleicht kommt ja eine Erklärung ;)
 
barb@work schrieb:
Soll ich dir was verraten??? Ich weiß die Antwort auf deine Frage :angel:

Ich nach deinem nächsten up wahrscheinlich auch *g* also hop keine Müdigkeit vortäuschen
 
Bin schon dabei... Hab heute schon das nächste Up fertig gekriegt, möchte es aber nochmal überarbeiten...

Und Ifurita, warte erst mal, aber es wird wahrscheinlic noch ein bisschen dauen, bis DAS (Feuer) geklärt wird...
Das is halt da Problem bei Forenstories... Da kann man nicht vorblättern... :D

Die Stände sind so gemeint, dass... Naja, kommt auch im nächsten Up

Gut, dass Ifu und Saturn an Bord sind... Die analysieren immer Logikfehler so gut...:D
 
Also erstmal ein Rechtschreibfehler den ich dir anscheinend immernoch nicht ausgetrieben habe: Die AUGEN-LIDER schreibt man nicht mit IE!!! LIEDER sind das was gesungen wird, LIDER sind die Zwinkerdinger am Auge!

AUGENLIDER!!!
A U G E N L I D E R ! ! ! ! ! ! ! ! ! !

Wenn das jetzt nicht geholfen hat ;)

Brennende Häuser können übrigens aus mehreren Gründen explodieren. Da könnte jemand was brennbares in dicht verschlossenen Behältern gelagert haben (Lampenöl, Mehl, alchemistische Substanzen ;) )
Behaupte ich mal frei heraus.
 
Saturn schrieb:
Brennende Häuser können übrigens aus mehreren Gründen explodieren. Da könnte jemand was brennbares in dicht verschlossenen Behältern gelagert haben (Lampenöl, Mehl, alchemistische Substanzen ;) )
Behaupte ich mal frei heraus.

Ist aber eher die Ausnahme meiner Meinung nach, und damit das wirklich nen richtigen Knall gibt um ein Haus zu sprengen müsste das nen ganzes Lagerhaus sein *schmunzel*
Was ich mir vorstellen könnte ist wenn so ein Holzhaus zusammenstürzt, den Funkenregen der dann aus dem Haus rausgeschleudert wird. Ich tue mich halt einfach schwer damit in einer mittelalterlichen Stadt explodierende Häuser in einem Grossbrand zu sehen.
Es könnte auch sein das es ein magisches Feuer war, und das denn alles erklärt. Aber dann würde ich als Tipp geben das in die Beschreibung einfliesen zu lassen wie das Feuer verhielt sich unnatürlich oder dergleichen.

Aber ich lass mich jetzt einfach mal überraschen :)
 
QUOTE]Das Feuer gab sich nicht einmal mehr Mühe, natürlich zu wirken, nein, es schien, als wären die Flammen selbst ein Lebewesen, eine gigantische Kreatur, geschaffen aus unglaublicher Hitze, deren unzählige Arme gierig in die Stadt hineingriffen, um ihr das Leben auszusaugen.[/QUOTE]

Ist das nicht Andeutung genug?:D Und okay ich werd mit die Lider hinter die Ohren schreiben, ist aber das erste Mal das du das erwähnst Saturn...

So zum Ausgleich für den vergessenen Sonntag gibts heute ein sehr langes Update (mehr als doppelt so lang wie die letzten), um das erste Kapitel zu vervollständigen. Interessierte finden den Text editiert in Kapitel Eins.
Damit werden heute die Grausamkeiten der Brandstifter vervollständigt, das Feuer ein bisschen aufgeklärt und der Anstoß gegeben für eine weite, weite Reise :D

Viel Spaß´damit und schon mal schöne Weihnachten, falls ich es nicht noch mal packe...

euer barb
 
Spontan errinnert mich das Up an DII bzw. an das Kloster, das Dia auch ungefähr so niedergemacht hat. Es gefällt mir sehr gut, wie du das so beschreibst. Auch die Prophezeihung, die doch stark auf Uthar hindeutet, macht einen gespannt. Weiter so :top:

Kritik: Als die beiden zurück zu ihrem Vater gerannt sind, steht bei dir geflogen - ist leicht missverständlich. Bzw. unterbricht den flüssigen Lesefluss.

Ich freue mich aufs nächste up :)
 
Hab ich echt nie was gesagt? Kann ja gar nicht sein.... hm vll hab ich das Gemotze immer wieder zurückgedrängt und geschluckt und nun ist es halt doch noch aus mir herausgebrochen... ähem tja :angel:

Hat wieder sehr schöne Passagen, das neue Update, zum Niederknien. Hast du einen Ghostwriter engagiert? ;)
An manchen Stellen werd ich aber stutzig, meist wenn es um Ulthars Vergangenheit geht. Da scheint es immer als sei schon vieles geklärt, wenn ich das lese, aber ich weiss davon nix als Leser. Hab ich was verpasst?

Edit: Ich mein die erstere Stelle
 
Traust du mir das etwa nicht zu, mit dem Schreiben??? Wegen dem Ghostwriter... :D

Wo fühlst du dich so missverstanden? An der Stelle wo er das erste mal die Bilder aus der (fernen) Vergangenheit sieht, ode wo er den Vater trifft?
Weil zweiteres sind ja mehr so Fetzen, Andenken an den toten Vater, die weite Vergangenheit wird erst im Laufe der Geschichte entblättert, stand ja auch am Anfang da, dass er sich nur an alles ab Ankunft in Darheimsgard erinnern kann...

Danke wie immer für die positive Kritik
 
Fröhliche Weihnachten, euch allen, hier mein ganz persönliches Geschenk für euch :D

Kapitel Zwei

Sie hatten die Stadt nach einem letzten, sehnenden Blick hinter sich gelassen und noch einmal den Schwur erneuert, das Geschehne nicht ungesühnt zu lassen. Dann waren sie zum Haus des Vaters gegangen und auch von ihm endgültig Abschied genommen.
Es war, als ließen sie ihr ganzes Leben hinter sich, als sie die großen Torflügel des Bauernhauses hinter sich schlossen. Ihr Leben verkam zu einem Bündel an Erinnerungen in ihren Köpfen, der verblassen und löchrig werden würde.
Aber vergessen würden sie niemals.
Ihre Schritte führten sie nordwärts, aus den vertrauten Hainen Iljards in Richtung Winsahls, der nächstgrößeren Stadt. Diese lag mehr als zehn Tagesmärsche entfernt, aber glücklicherweise gab es in fünf Tageslängen Entfernung ein kleines Dörfchen, wo Marco und Ulthar hofften, wenigstens ein Pferd kaufen zu können.
Die Spuren waren deutlich in dem weichen Boden zu sehen, waren es doch mindestens fünf Pferde, die die Erde hier aufgewühlt hatten, von denen eines die doppelte Last zu tragen hatte. Es war geradezu gespenstisch, wie deutlich Ricos Spuren in die Erde gedrückt waren, gerade, als schriee der Kleine noch immer laut nach Hilfe.
Kurz nach der Mittagszeit rasteten die beiden. Marco studierte die Karte, die er zusammen mit einigen Münzen, einem Sack voll Essen und Wasserschläuchen aus der Burg hatte mitgehen lassen.
„ Ich verstehe das nicht. Die Spuren führen direkt in diese Richtung, aber glaubst du, dass sie mit einem entführten Kind in eine Stadt ziehen werden?“. Fragte er nach langem Grübeln.
Ulthar saß etwas abseits im Schatten und hatte die Augen geschlossen. Er war das lange Wandern überhaupt nicht gewöhnt. Seine Füße taten weh und am liebsten wäre er umgekehrt, aber wohin? Es gab keinen Ort an den sie hätten zurückkehren können. Es gab nur noch das, was vor ihnen lag.
„ Ich bin doch kein Verbrecher, woher soll ich das wissen? Ich würde es jedenfalls nicht machen.“
Er zog sein Schwert. Er hatte Glück gehabt und eine sehr gute Waffe erwischt. Sie war leicht und sehr gut ausbalanciert. Das Metall glänzte im Licht der Sonne dunkel und nicht eine kleine Spur von Rost verunzierte die Reinheit. Über die gesamte Länge der Klinge zog sich eine Maserung, die Dornen darstellten, welche sich über das Blatt wanden. Auch die Parierstange fügte sich in dieses Muster ein, denn auf ihr rankten sich die Blätter des Dornengewächses. Ulthar zog das Schwert ein paar Mal durch die Luft und lauschte dem sirrenden Geräusch.
Es klang so verheißungsvoll, nach Rache und Vergeltung, erzählte Geschichten von dem Blut das fließen würde und dem Leid, welches noch in der Zukunft stand.
Ulthar war nie ein besonders gläubiger Mensch gewesen, aber in diesem Moment verstand er, warum sich so viele Menschen von den Göttern des Krieges oder des Kampfes so angezogen fühlten. Es war ein aufpeitschendes, heißes Gefühl, wenn er an die Rache dachte, die er nehmen würde.
„ Lass uns aufbrechen.“, sagte er und sie zogen weiter den Spuren hinterher, in Richtung Norden.
Kaum ein Wort fiel zwischen ihnen an diesem Tag, denn sie brauchten beide die Zeit, um das Erlebte zu verarbeiten. Als es Nacht wurde, da hielten sie an, aus Sorge, sie könnten die Spuren verlieren. Danach verschlangen sie hastig ihr Abendbrot und legten sich schlafen, nur um am nächsten Morgen mit der Sonne wieder aufzustehen, um das nächste Stück Weg hinter sich zu bringen. So ging es drei ganze Tage. Drei Tage, in denen der Schmerz wieder und wieder hervorkam und wieder zurückgedrängt wurde, in denen neue Wunden rissen und Alte gekittet wurden.
Sie beide hatten Alpträume. Es verging keine Nacht, in der sie nicht schreiend erwacht wären, nur um wieder darüber zu grübeln und über Vergeltung zu philosophieren.
Es sollte erst am Abend des dritten Tages sein, da sie wieder miteinander sprachen. Sie hatten beide ihr spärliches Abendbrot verzehrt und sich zur Ruhe gelegt, als Marco sich vernehmlich räusperte.
„ Ulthar?“
Ulthar überlegte kurz, ob er sich schlafend stellen sollte, um dem Gespräch aus dem Weg zu gehen, aber dann entschied er, dass die Zeit des Schweigens lang genug gedauert hatte.
„Ja.“, sagte er leise.
Marco drehte sich auf die Seite und schaute seinen Halbbruder an.
„ Glaubst du, dass wir Rico finden werden?“
Ulthar nickte.
„ Die Spur ist gleich alt geblieben. Sie scheinen mit Rico auf dem Pferd nicht so schnell voranzukommen.“
Aber dann? Was dann?, fragte er sich. Sollten sie es zu zweit mit fünf Räubern und mindestens einem ausgebildeten Kämpfer aufnehmen?
Marcos Stimme wurde eiskalt, als er weitersprach. Er klang nicht mehr wie der gerade volljährige Marco, sondern vielmehr wie ein vom Hass zerfressener Dämon.
„ Ich werde sie alle töten. Aber nicht einfach so, ich werde jedem von ihnen sein Herz eigenhändig herausreißen, um es ihnen schlagend vor das sterbende Gesicht zu halten.“
Ja genau, dachte Ulthar, das würdest du tun. Und würdest du Vater damit wieder zum Leben erwecken? Würdest du Darheimsgard wieder aufbauen?
Er schwieg, wohlwissend, dass Marco diese Antwort nicht verstehen würde.
Als er keine Antwort vernahm, legte sich Marco wieder hin, nur um wenige Minuten später erneut zu reden.
„ Du würdest sie doch nicht verschonen, oder?“
Etwas Drohendes lag in dieser Frage, eine Anschuldigung. Verachtung vielleicht sogar.
„ Ich weiß es nicht.“, erwiderte Ulthar, was wohl immer noch den besten Kompromiss zur Wahrheit darstellte. Er sah in die Sterne und fragte sich nicht zum ersten Mal, ob Gott vielleicht irgendwo dort oben saß und sie beobachtete. Ob er die menschlichen Schicksale verfolgte und sich an den grausamen Geschichten erfreute, die sich hier abspielten.
„ Das ist feige.“, sagte Marco ohne jegliche Form von Verständnis.
In Ulthar riss der Geduldsfaden. Er setzte sich auf und sah Marco ins Gesicht. Er musste sich mühe geben, nicht zu schreien, sondern zischte seinen Bruder nur bösartig an.
„ Glaubst du etwa, fünf Morde machen Einen ungeschehen? Glaubst du, den Menschen in Darheimsgard geht es besser, wenn du ihre Peiniger abschlachtest? Ich sage dir eines. Jede Grausamkeit, die du tust, tust du nur für dich, um die Sucht in dir zu bezwingen und nicht für irgend ein höheres Ziel.“
Marcos Stimme war von ebensolchem Hass zersetzt, als er antwortete.
„ Es ist wie immer. Ulthar, der Bücherwurm, der lieber nachdenkt, als etwas zu tun. In einem Kampf könnte man dir ein Messer zwischen die Rippen rammen und du würdest noch grübeln, ob es dir weh tut und was du dagegen tun solltest. Sie haben unsere Familie, all unsere Freunde abgeschlachtet, sie haben eine Stadt niedergebrannt und ein unschuldiges Kind entführt. Wenn du nicht mein Bruder wärst, würde ich vor dir ausspeien, Ulthar.“
Die Worte trieften vor Verachtung, die sich quälend in Ulthars Empfinden ätzten. Sie schmerzten, obwohl sie eigentlich von ihm abprallen sollten, so gebildet wie er war. Aber er verstand Marco irgendwie. Ein dunkler Teil in ihm schrie diese Worte geradezu heraus, gab Marco recht und gratulierte ihm zu seinem Mut, aber Ulthar kämpfte dagegen. Schließlich wählte er den einfachsten Weg, sagte nichts mehr, sondern legte sich hin und schlief. Zum ersten Mal seit Tagen traumlos.
Trotzdem fühlte er sich am nächsten Morgen wie erschlagen. Der Streit vom Vorabend ging ihm wieder und wieder durch den Kopf – und obwohl er keine Schuld an den Worten trug, so hätte er es doch am liebsten rückgängig gemacht. Es war, als wäre eine Eiswand zwischen den beiden aufgetaucht. Marco sah älter aus, als er eigentlich war, stellte Ulthar erschrocken fest. Der Gram und der Kummer hatten Furchen in seine Stirn getrieben, die vorher noch nicht da waren. Er war abgemagert und ähnelte auf erschreckende Weise einem hungrigen Wolf, der auf der Suche nach Nahrung war. In diesem Moment hassten sie sich gegenseitig, wohl weil es keine andere Projektionsfläche für ihre Verzweiflung gab. Wieder war ihre Wanderung begleitet von eisigem Schweigen.

Doch diesmal unterbrach etwas Unerwartetes ihren monotonen Kreislauf. Als sie gegen Mittag einen kleinen felsigen Hügel überschritten, fiel vor ihnen eine flache Senke ab, die in eine weite Grassteppe mündete, deren Halme vom brennenden Licht der Sonne gelb gefärbt waren, wie Ähren auf einem Feld. Es gab nur wenige Bäume in dieser Gegend, auch wenn sich am Horizont vor ihnen der Wald schon wieder breit machte.
Die Spur Ricos zog sich schnurgerade durch die grasige Ebene hindurch, wurde aber in der Mitte von einer anderen gekreuzt. In einiger Entfernung sahen Ulthar und Marco einen Packwagen unter einem Baum stehen.
Marco ging los, Ulthar aber blieb stehen.
„ Was, wenn es eine Nachhut der Räuber ist?“
Marco stöhnte und drehte sich betont langsam um.
„ Dann werde ich sie umbringen, Bruder.“
Und ging wieder los.
Ulthar fasste seine Schulter, aber Marco peitschte die Hand mit seinem Arm weg und fuhr herum. In seinen Augen funkelte etwas, das weit über Verachtung hinausging.
„ Lass mich gehen, Ulthar. Wenigstens einer muss hier den Mut haben nach den Gesetzen der Väter zu strafen.“
Ulthar brannte eine spitze Bemerkung auf der Zunge, doch er schluckte sie mit Müh und Not herunter und schloss sich seinem Bruder an.
Als sie dem Wagen auf fünfzig Schritt nahe gekommen waren, erkannten sie zwei Männer, die im Schatten der Bäume saßen.
„Überlass mir wenigstens das Reden“, flüsterte Ulthar.
Marco zuckte nur mit den Schultern.
Es waren zwei seltsame Gestalten, die dort an dem Wagen hockten. Trotz der heißen Sonne trugen sie beide dicke Mäntel aus Pelzen, lange Hosen und Stiefel an denen Schellen bei jeder Bewegung leise klirrten. Auch die Waffen, die sie an ihren Gurten trugen waren so exotisch und absonderlich, dass Marco zweifelte, dass diese verquere Anordnung von Klingen, Halbmonden und Stacheln zum Kämpfen geeignet waren.
Die beiden atmeten schwer, obwohl sie im Schatten der Bäume saßen und lachend aus einer Flasche Wasser tranken.
„ Mögen eure Schritte zahlreich und eure Stunden glücklich sein, Fremde.“, sagte Ulthar und blieb in angemessener Entfernung stehen, die Hand wie zufällig auf seinem Waffengurt gelegt.
„ Schau her Stephanus, schon so früh am Tag Leute die uns Glück wünschen, welch erfreulicher Zufall. Tretet näher und offenbart uns den fröhlichen Anlass, aus dem ihr so freigiebig von euren Stunden schenkt.“
Ulthar zog ob dieser Begrüßung fragend die Stirn kraus, leistete der Einladung dann aber Folge und verneigte sich kurz vor den beiden Männern, bevor er sich hinsetzte. Marco tat es ihm mit mechanischen Bewegungen nach. Sein Gesicht war zu einer undurchdringlichen, starren Maske gefroren, mit denen er die Leute misstrauisch musterte.
Auch deren Blicke glitten aufmerksam an den neuen, beinahe unbeschädigten Kleiden der Gäste hinab, verweilten kurz auf den Schwertern, nur um dann wieder zu ihren Gesichtern zurück zu kehren.
„ Nun, ich, Thomas und mein Kumpane Stephanus heißen euch willkommen, Fremde. Wie ich sehe haben wir es hier mit hohen Herren zu tun. Wohin die Reise, meine Freunde, wenn ich fragen darf – Und warum zu Fuß und nicht zu Pferde?“
Der Mann legte seinen Kopf schief und erwartete nun eindeutig eine Antwort auf die Frage, die er ihnen nun indirekt schon zum zweiten Mal gestellt hatte. Ulthar wollte gerade seine Ausrede präsentieren, als Marco sich räusperte.
„ Habt ihr eine Bande hier durch ziehen sehen?“ Er deutete auf die Spuren vor ihnen. „ Leute die aussehen wie Banditen und die ein kleines Kind dabei haben?“
Ulthar funkelte ihn böse an, doch war es zu spät, um den Schaden zu beheben. Auch Thomas blinzelte irritiert.
„ Was bringt euch zu dem Glauben, wir hätten es mit Verbrechern zu tun? Was wenn uns die Bande hier zurück gelassen hätte, um euch zu erwarten?“, fragte er dann. Auch seine Hand glitt wie zufällig an seine Seite.
„ Das war nicht die Antwort auf die Frage, die ich dir gestellt habe. Antworte, oder soll ich noch deutlicher werden.“, verlangte Marco.
„ Hüte deine Zunge, Freundchen.“, Stephanus, der bisher wie verschlafen dagesessen hatte, hob nun seinen Kopf und fixierte Marco starr. Seine Stimme, die im Gegensatz zu der Thomas’ wie ein sonorer, tiefer Bass dröhnte sprach mit einer Autorität und Kraft, die Marco zusammenzucken ließ. „ Dort wo ich herkomme, hätte man dir für diese Antwort den Schädel eingeschlagen.“
Ulthar bemühte sich hastig, den Streit zu schlichten.
„ Er ist noch ein wenig verwirrt. Wir haben beide mit schweren Verlusten zu kämpfen. Bitte verzeiht.“
Stephanus blickte nun auch ihn aus seinen starren, blauen Augen an und schüttelte dann den Kopf.
„ Wenn ihr nicht auch noch bald mit dem Verlust eures Lebens kämpfen wollt, solltet ihr euch besser im Zaum halten. Ihr seid entweder die dümmsten Reisenden, die ich jemals in meinem Leben getroffen habe, oder ihr seid wirklich überzeugende Schauspieler.“
Thomas lachte kurz und abgehackt.
„ Ich glaube wohl, dass eher das Erste zutrifft. Schau sie dir doch an, die sind doch noch grün hinter den Ohren.“
Marco zog mit einem wütenden Aufschrei sein Breitschwert, aber er hatte sich noch nicht erhoben, da war Stephanus mit einem unglaublich schnellen Satz über ihm und presste Marco einen kleinen Dolch an die Kehle.
Auch Thomas hielt Ulthar mit einem Degen in Schach, der vorher unter seiner exotischen Waffe verborgen war.
„ Und jetzt ganz ruhig, Freundchen, wenn du nicht deinen hübschen Kopf einbüßen willst. Leg das Schwert weg.“, sagte Stephanus leise, mit kaum mehr unterdrückter Wut.
In Marcos Augen funkelte es trotzig, und es bedurfte wirklich erst so viel Druck auf den Dolch, dass sich ein kleines, rotes Rinnsaal auf seinem Hals bildete, bis er betont langsam den Arm ausstreckte und das Schwert in das Gras fallen ließ, wo es zitternd stecken blieb.
„ Und jetzt erzählt. Alles. Von Anfang an. Und ohne Umschweife.“
Es war Ulthar, der mit leiser Stimme begann die ganze Geschichte zu erzählen. Und es nahm bis fast zum Sonnenuntergang in Anspruch von allen Ereignissen zu berichten, die sich zugetragen hatten.
Danach fühlte er sich erleichtert, obwohl ihm die Tränen in den Augenwinkeln standen. Er blickte verstohlen zur Seite – Aber auch Marco erging es nicht anders.


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