So... Wie Goethes Erben schon sagten "Und der Tag wird kommen"! Er war da... Hier ein neues Kapitel...
Kapitel 7
Er fühlte, wie es verschwand. Was auch immer in diesem Moment magischer Kraft aufgelodert war, es war verloschen – und dennoch konnte Ulthar es noch immer spüren. Lauernd, versteckt im Dunkeln.
Zurückgeblieben war nicht mehr als Leere und Schwäche in seinem Inneren, er fühlte sich ausgelaugt, als hätte ihn das Schauspiel unsagbare Kräfte gekostet. Mühsam schleppte er sich den Weg entlang, auf den Wagen zu. Marco lief neben ihm, doch er konnte ihn nicht ansehen. Er war zu schwach, um auch nur den Kopf zu heben. Kurz vor dem Wagen brach er zusammen.
Kräftige Hände packten ihn unter den Achseln und zogen ihn auf die raue Ladefläche des Wagens. Dort sank er zusammen. Sein Körper sehnte sich nach Schlaf. Er war so müde, so unendlich müde, aber er konnte die Augen nicht schließen. Das Liegen brachte ihm nur langsam Erholung. Erst als er Stephanus’ Finger auf seiner Stirn fühlte, da verließ ihn die Schwäche und er vermochte wieder klar zu sehen.
Er war allein mit dem Krieger, sein Bruder schien vorne mit Thomas auf dem Kutschbock zu sitzen.
Ulthar stöhnte:
„ Was war das?“
Stephanus starrte ihn ernst an:
„ Ich hatte gehofft, du könntest es mir sagen, Ulthar...Wundersam welch Geheimnisse du immer noch zu verbergen scheinst.“
Ulthar schaute seinen Gegenüber entgeistert an:
„ Willst du damit sagen, ich hätte das mit Absicht...“
Stephanus unterbrach ihn unwirsch und legte die Stirn in Falten:
„ Ich will damit gar nichts sagen. Aber jeder Mensch hat seine Vermutungen...“
„ Und ich vermute, dass du mehr weißt, als du zugibst, Stephanus.“ Nun war es an Ulthar Stephanus böse anzufunkeln „ Immerhin scheinst du nicht im Geringsten überrascht zu sein.“
Stephanus wedelte mit der Hand durch die Luft.
„ Überrascht, nein, das nicht. Entsetzt vielleicht. Ich hätte gedacht, dich später in meinem Leben zu treffen.“
„ Was willst du damit sagen?“
„ Ich will damit gar nichts sagen“, wiederholte Stephanus „ außer dass das, was du eben getan hast zu einem äußerst unpassendem Zeitpunkt kam.“
Stephanus wollte sich von Ulthar wegdrehen, aber Ulthar packte sein Handgelenk mit erstaunlicher Kraft.
„ Rede mit mir, Spielmann. Was ist los? Was willst du damit sagen.“
Stephanus’ Mund schrumpelte zu einem schmalen Strich.
„ Wenn meine Vermutungen richtig sind, werde ich dich töten müssen, Magicus. Und du wirst keine Gnade von mir erwarten können.“
Mit diesen Worten kletterte er behände über die Ladung nach vorne. Ulthar betastete vorsichtig seinen Körper und stellte mit einigem Entsetzen fest, das sie ihm sein Schwert abgenommen hatten.
Er konnte sich nicht helfen, aber er fühlte sich plötzlich wie ein Gefangener seiner eigenen Freunde.
Es dauerte nicht lange, bis der Wagen mit einem leichten Ruck anhielt. Ulthar hörte, wie die Anderen vom Kutschbock sprangen und wenig später kam Stephanus um den Wagen.
„ Aussteigen!“, bellte er.
Ulthar bewegte sich vorsichtig auf den Ausgang zu. Er sah, dass Stephanus und Thomas ihre Schwerter gezogen hatten und Angriffshaltung einnahmen, sobald sie seiner ansichtig wurden, doch Marco war nirgends zu sehen.
Ulthar blieb stehen.
„ Was soll das?“, fragte er schließlich wütend, als niemand Anstalten machte, das Gespräch zu eröffnen. „ Habt ihr den Verstand verloren?“
Thomas runzelte die Stirn.
„ Das Selbe wollte ich ihn auch gerade fragen.“
„ Was soll das?“, fragte Ulthar noch einmal „ Sind wir diesen Leuten entkommen, nur um uns gegenseitig abzuschlachten?“. Er wollte mit dem Fuß aufstampfen, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, überlegte sich aber im letzten Moment, dass das in seiner gegenwärtigen Situation äußerst unklug wäre.
„ Wir werden sehen...“, knurrte Stephanus schließlich. „ Jetzt steig aus. Schön langsam und vorsichtig.“
„ Ich bin unbewaffnet.“, versuchte Ulthar einen letzten Versuch.
„ Hah, wir haben eben gesehen, was du zu tun imstande bist, Hexer. Und jetzt steig endlich aus.“
Langsam, mit erhobenen Händen, um keine überhasteten Reaktionen hervorzurufen, stieg Ulthar aus dem Wagen.
„ So, ich werde nicht über euch herfallen... Dafür hätte es in der Vergangenheit genügend bessere Gelegenheiten gegeben. Ich hätte euch zum Beispiel nicht erst auf die Nase binden müssen, dass ich zaubern kann.“, sagte er schließlich, als noch immer niemand Anstalten machte, die Waffen zu senken. Erstaunlicherweise lockerte Stephanus seine Kampfhaltung und ließ die Schwertspitze zu Boden sinken.
Er lächelte müde.
„ Es ist seltsam. Ich streife mein ganzes Leben umher, um dich zu finden und zu töten – Und wenn ich dir gegenüberstehe, dann glaube ich dir... Nun das Schicksal geht manchmal seltsame Wege.“
Ulthar breitete die Arme aus.
„ Dann können wir uns ja jetzt vielleicht einfach hinsetzen und reden.“.
Erst als das Feuer lichterloh brannte, ging Stephanus zum Kutschbock des Wagens und half Marco dabei, aufzustehen. Beschämt betrachtete Ulthar die zahlreichen Abschürfungen und Wunden auf dem Körper seines Freundes. Der unfreiwillige Flug musste wohl schmerzhafter gewesen sein, als er bisher geglaubt hatte. Er schaute Marco ins Gesicht – und seltsamerweise lächelte sein Bruder sogar. Es war ein tapferes, aufmunterndes Lächeln, das Ulthar in dieser Situation wohl am wenigsten erwartet hätte.
Aber das Schweigen hielt sie noch immer zu sehr im Griff, als das Worte möglich gewesen wären. Sie setzten sich kreisförmig um das kleine Reisigfeuer und aßen die letzten Reste des getrockneten Fleischs, jeder seinen eigenen Gedanken nachhängend.
Schließlich räusperte sich Stephanus, streckte seine Glieder und fing an zu reden.
„ Wie wäre es, wenn du uns ganz genau erzählst, was hier vorgegangen ist?“
Ulthar nickte und begann. Er erzählte, was ihm an diesem Abend durch den Kopf gegangen war, erzählte von der Frau, von seinem Spiel – bis zu dem Punkt, als er gegen Marco gekämpft hatte. Er sah Marco und Stephanus nicken, als er davon erzählte, wie Marco ihn fast enthauptet hatte. Seine Erzählungen endeten mit der Explosion, die für ihn ebenso überraschend kam, wie für Marco, die ihm aber das Leben gerettet hatte..
„ Das ist alles, was ich über diesen Abend berichten kann. Mehr ist nicht vorgefallen.“
Stephanus runzelte die Stirn.
„ Und du sagst, du hättest so etwas noch nie vorher getan. Keine Zauberei, keine Beschwörungen?“
Ulthar schüttelte bestimmt den Kopf.
„ Nein, das war das erste Mal überhaupt.“
„ Das was du gerade erlebt hast, Freundchen“, Stephanus’ Augen fixierten ihn scharf, „ist der erste Initiationsritus der dunklen Mächte, die dämonische Beschwörung.“
Ulthar zuckte unter diesen Worten zusammen.
„ Was heißt das?“
Stephanus räusperte sich.
„ Nun, um das zu erklären, müssen wir in der Zeit zurück reisen. Ich habe euch sowieso versprochen, meine Geheimnisse zu lüften. Und ich glaube dies ist der richtige Zeitpunkt, sollte es so etwas überhaupt geben.“. Er breitete die Arme aus. „ Die Welt, wie ihr sie hier seht, war nicht immer so, wie sie heute ist. Es gab vor langer Zeit eine andere, eine wundersame Welt.“
Die wohlige Wärme des Feuers lullte sie ein – und beinahe war es, als könnten sie all das, wovon Stephanus erzählte wirklich sehen.
„Damals war der ganze Planet von einer Kraft durchsetzt, einem ungeheuren Strom. Man nannte ihn die Aura Magica, die magische Kraft. Die Menschen hatten die Möglichkeit diesen Strom mit ihrem Geist zu berühren, sich seine Kräfte zu Nutzen zu machen. Manche weniger, andere viel, viel mehr. Seine Kraft schien unerschöpflich und seine Fähigkeiten waren so wundersam und erstaunlich, dass sich Menschen zusammen schlossen, ihn zu studieren. Sie trafen sich in abgeschiedenen Wäldern oder Burgen und taten ihr ganzes Leben nichts, als alles über den Strom zu lernen. Sie nannten sich bald den Ordo Magici, den magischen Orden – Und seine Mitglieder wurden vom Volksmund irgendwann als Magier bezeichnet.
Die Magier waren angesehene Leute, weil sie den Menschen halfen. Sie ließen die Früchte schneller reifen, sie sorgten dafür, dass Seuchen ausblieben und die Kinder gesund wurden. Es war eine schöne Zeit, doch ist der Mensch fehlbar – zu fehlbar, um eine solch gewaltige Kraft kontrollieren zu dürfen.
Zu Beginn des Ordo Magici duften nur ausgewählte Schüler die Mitgliedschaft erringen. Sie mussten sich zahlreichen Prüfungen unterziehen, denen nicht wenige erlagen. Eine Grundvoraussetzung für das Studium war, neben einer außergewöhnlichen Kontrolle über den magischen Fluss, auch ein reiner Geist und ein gutes Gewissen. Doch diese Eigenschaften schwächten mit der Zeit ab. Es gab Missstimmigkeiten innerhalb des Ordens, Teile spalteten sich ab, dunkle Geister infiltrierten die Magier. Nicht mehr nur die gute Kraft des Stromes wurde untersucht, nein, mehr und mehr Magier wandten sich den destruktiven Kräften zu.“
Stephanus gestikulierte will, um diese Ausführungen zu untermalen, aber dann wurde er ruhiger, als er von den Folgen dieser Vergehen berichtete:
„Es brachen Kriege aus, die Magier waren in einen Rausch der Macht verfallen, eroberten, plünderten. Das Menschenreich zerfiel nach Jahren der Blüte in kleine Ländereien, beherrscht von magietüchtigen, grausamen Despoten. Die Beschäftigung mit der dunklen Seite der Magie aber ließ die Menschen nicht unbehelligt. Viele von ihnen verkamen zu einer Existenz, die nicht weit über der Dämonischen lag - Und das rief die Kreaturen des Abyssos auf den Plan.
Die Welt wurde von einer gigantischen Invasion der schwarzen Mächte überfallen. Ein Krieg, größer als jeder jemals zuvor Geführte, allein über den Fortbestand der Menschheit brach vom Zaum. Die Horden überschwemmten das Land. Die meisten Magier starben in der Schlacht und mit ihnen ein Großteil der Menschen – Und es waren die wenigen reinen Magier, ein mächtiger Zirkel, der zurückgezogen in den tiefsten Tiefen des Nordreiches lebte, die die Wende brachten.
Sie hatten ihren eigenen Orden gegründet, als der Ordo Magici zerfiel. Ich will euch nicht mit vielen Details langweilen, es war letzten Endes so, dass diese Magier mit ihren gebündelten, reinen Kräften die Dämonen zurückschlagen konnten, sodass sie wieder im Abyssos verschwanden.
Aber diese Fünf hatten aus ihren Fehlern gelernt. Sie wollten nicht, dass der Mensch jemals wieder solch zerstörerische Kräfte entfesseln konnte und entschlossen sich dazu, die Magie selbst zu vernichten. In einer letzten gigantischen Beschwörungszeremonie zogen sie die gesamte Aura Magica aus der Erde, sie bauten ein enormes Feld magischer Kraft daraus auf und bannten es in einem riesigen Stein, verborgen in den Tiefen der Nördlichen Berge.
Die Magie verlosch. Die Menschen wurden zurückgelassen in einer Welt ohne Magie – Unzählige waren in den Schlachten gestorben und die wenigen die übrig waren, waren zu sehr damit beschäftigt, zu überleben, als dass sie an die alten Zeiten denken konnten. So verlosch auch die Erinnerung an die Magie mit den letzten Magiern, die sich selbst opferten, um Wache an dem Stein zu halten.
Niemals sollte der Mensch die Magie wieder benutzen dürfen.“ Stephanus zuckte mit den Achseln. „ So war die Magie verschwunden. Niemand sollte mehr zaubern können.“
Ulthar dachte nach:
„ Aber ich konnte es heute Abend.“
Stephanus nickte.
„ Und genau da liegt mein Problem mit dir Ulthar.“
Ulthar nickte.
„ Ich verstehe...“, aber Stephanus schüttelte den Kopf.
„ Du verstehst nichts, Mensch. Die Erinnerung an die Magie war zwar verloschen, aber nicht ganz verloren. Immer wieder gab es Menschen, die Überreste alter Magiebücher fanden, vergessen geglaubtes Wissen und die sich eifrig an die Studien machten.“
Ulthar unterbrach ihn verwirrt.
„ Aber ich dachte die Magie wäre versiegt.“
Stephanus lächelte düster und schob sich näher an die Anderen heran. Er senkte seine Stimme, als wollte er das, was nun folgte nicht laut sagen, als sei schon ein Flüstern zuviel, es auszusprechen.
„ Die Menschliche Seite der Magie, ja. Aber es gibt noch eine andere Seite. Man könnte sie als das magische Gegenstück von Abyssos bezeichnen. Jeder Dämon trägt einen kleinen Teil dieser bösartigen Kraft in sich, alle Kreaturen Abyssos’ sind imstande zu zaubern. Zwar nur in sehr geringem Maße, da jede dieser Kreaturen nur einen sehr kleinen Teil der Kraft in sich tragen kann, aber das ist ausreichend. Die Dämonen, die den Krieg überlebt hatten, und sich in der Dunkelheit verbargen, sind begierig darauf, die Aura wieder frei zu setzen, um ihre Macht zu nutzen. Sie suchen sich die Menschen, die anfällig für Sie sind. Sie warten, bis die Begierde, magisches Wissen zu erlangen in den Menschen zu einer Besessenheit geworden war und zeigen ihnen dann ihre Kräfte. Die Menschen sind in ihrer Sucht meist schon so mit Blindheit geschlagen, dass sie sich mit dem Dämon in einem Initiationsritus vereinigen. Das ist das Problem, was ich habe, Ulthar. Es könnte sein, dass du dich heute Nacht mit einem Dämon vereinigt hast.“
Ulthar schaute Stephanus vorsichtig an.
„ Und warum tötest du mich dann nicht?“, fragte er leise.
„ Es gibt ein paar Sachen die mich nachdenklich machen und die mit meiner Vertreibung zu tun haben, Ulthar. Ein normaler Initiationsritus dauert länger als die Dauer eines Schwerthiebs und manifestiert sich auch physisch. Ich aber habe heute Abend weder die Anwesenheit eines Dämons gespürt, noch eine seltsame Kreatur gesehen. Ansonsten wärst du tot gewesen, bevor dein Freund auf dem Boden aufgeschlagen wäre.“
Ulthar schluckte.
„ Was ist dann mit mir geschehen?“
Stephanus zuckte mit den Schultern.
„ Ich weiß es nicht. Ich weiß es einfach nicht. Ich spüre keine Lüge in dir, man kann mich nicht belügen Ulthar, das würde ich fühlen. Ich glaubte, als ich dir dein Schwert abnahm, dass du diese Kräfte schon länger hast und sie bisher verborgen gehalten hast. Das du schon früher mit einem Dämon paktiert hattest.“
Marco räusperte sich schüchtern.
„ Ich ... Ich glaube ich kann dafür bürgen, dass er das nicht getan hat. Ich würde für meinen Bruder die Hand ins Feuer legen. Er hat sich nie mit so etwas beschäftigt.“
Stephanus lächelte.
„ Dein Vertrauen und dein Glauben ehrt dich, Marco. Aber ich glaube ihm auch. Ich sagte ja, dass ich verwirrt bin.“
„ Es ist vielleicht nicht wichtig, aber mein Schwert – Es ist komisch.“
Stephanus rieb sich die Stirn, als würde ihn das ganze Nachdenken anstrengen.
„ Was ist damit?“, fragte er dann.
„ Nun.“, Ulthar zuckte die Achseln. „ Eigentlich bin ich ein enorm schlechter Schwertkämpfer. Aber dieses Schwert ist anders, es scheint seinen eigenen Willen zu haben und den Attacken meines Bruders immer im Voraus zu begegnen. Am Anfang war es, dass das nur im Mondlicht passierte, aber jetzt funktioniert es überall.“
Er grinste verlegen. Aber Stephanus hob seine linke Hand. Er überlegte kurz.
„ Kennt ihr die Prophezeiungen?“
Marco, Ulthar und Thomas schüttelten den Kopf.
„ Grob gesagt, geht es darin um eine Verschwörung der Dämonen. Die Dämonen sind begierig auf die Kraft die in der Aura Magica steckt und versuchen seit Jahrtausenden aus dem Abyssos auszubrechen, um zu dem Stein der Weisen zu gelangen. Die Prophezeiung sagt, dass es einer von ihnen schaffen wird, in einen Menschen zu dringen und mit ihm die Wächter zu überwältigen. Die Wächter sterben und der Bannkreis um die Magie wird schwächer. Sie sickert langsam wieder in die Welt. Der Dämon weiß sie zu benutzen und entfesselt Abyssos aufs Neue – Und diesmal gibt es keine Magier und keinen weißen Orden, um ihn aufzuhalten.“
Update vom 09.04.2006
Stille senkte sich herab. Es war ein bedeutungsschwangerer Augenblick, eine seltsame Bedrohung ging von diesen Worten aus, die niemand so richtig einordnen konnte. Ulthar dachte an das Gefühl, dass er vor einer Weile gehabt hatte und fühlte tief in sich das namenlose Etwas, das noch immer dort draußen in der Dunkelheit versteckt war, weit entfernt von jeglicher greifbarer Empfindung. Es war einfach da und Ulthar konnte einfach nicht sagen, ob es gut war, oder böse, ob es Unheil versprach oder nicht. Sein Gefühl sagte ihm, dass es mit den Dämonen in Verbindung stand, aber das war nur eine Vermutung, ein leises Wispern in seinem Kopf. Thomas warf einen neuen Ast in die Flammen, um der schleichenden Kälte Einhalt zu gebieten und drehte sich dann zu Stephanus.
„ Du erwähntest vorhin deine Vertreibung.“, sagte er. „Was hat es damit auf sich.“
Stephanus lächelte, aber Ulthar spürte beinahe sofort die Sehnsucht und Traurigkeit des Lächelns.
„Meine Brandmarkung in Kuronia.“ Wieder suchten seine Augen einen Punkt in der Ferne, als suche er dort Antworten auf all seine Fragen. „ Sie ist untrennbar mit dieser Geschichte verbunden.“, er stockte, unschlüssig, wie er anfangen sollte. „Die Zachiräe sind selbst eine Schöpfung der Magier. Wir sind ein Teil ihrer letzten Beschwörung, ebenso wie die weiße Insel Kuronia im westlichen Meer. Wir sind vielleicht das letzte Überbleibsel der Magier in der diesseitigen Welt. Fragt nicht danach, was wir sind. Eure Legenden sagen, wir wären Krieger der Elementargötter Fesithzu und Axshansis. Das reine Gute, dass bei der Entstehung der Welten als Gegenstück zu den Dämonen entstanden ist. Es wird gemunkelt, wir hätten ein eigenes Reich, gleich dem Abyssos, dem Dämonentor, aber das sind Spekulationen. Keiner auf Kuronia wusste, wo dieses weiße Land liegen sollte. Nicht einmal die weisesten unserer Seher konnten die Anwesenheit anderer Zachiräe außerhalb Kuronias spüren. Ich glaube, wir sind einfach von den Magiern als Hüter gegen die Dämonen erschaffen worden. Aber ich schweife ab.“ Stephanus wischte sich mit der Hand übers Gesicht, als müsse er gewaltsam diesen Gedankenstrang abreißen, um die eigentliche Frage zu beantworten. „ Nun, der allgemeine Glaube auf Kuronia ist, dass die Dämonen im Hinterland der Menschen ausgelöscht sind, oder zumindest ob ihrer langen Trennung von ihrer Raststätte Abyssos so geschwächt, dass sie keine Gefahr mehr darstellen. Der hohe Rat der Zachiräe vertritt sogar die Ansicht, dass es ihnen mittlerweile nicht mehr möglich ist, mir ihrer überbliebenen Kräften einen Initiationsritus durchzuführen. Es ist wahr, niemand auf Kuronia verspürt mehr die Anwesenheit eines Dämons in der diesseitigen Welt. Somit bündeln sie all ihre Kräfte auf Abyssos und bewachen die Ausgänge aus schärfste, da die Prophezeiung ihrer Meinung nach nur erfüllt werden kann, wenn ein Dämon daraus entweicht, versteht ihr?“
Ulthar nickte. Er hing förmlich an den Lippen des Zachiräe und sog jedes Wort begierig ein. Er wusste, dass dies weit mehr war, als nur ein geschichtlicher Exkurs, nein, dies war vielleicht der Weg, der ihn in seine eigene Vergangenheit führte.
„ Nun, vor vielen Jahren gab es aber andere Mythen, Legenden, die heute als Fehldeutungen angesehen werden. Es war die Rede von einem mächtigen Kriegslord der Dämonen, einem ihrer stärksten Magiepunkte, dem es gelungen war, seine Präsenz zu verbergen und sich im Südmassiv versteckt, verborgen durch seine schiere Macht und der seine eigenen Diener hat, um die Rückkehr der Magie vorzubereiten.“
„ Was ist ein Kriegslord?“, fragte Marco.. Stephanus’ Augen fixierten ihn.
„ Ein Kriegslord liegt weit jenseits deiner Vorstellung, Marco. Er ist eine ungeheure Ansammlung von magischer Kraft, pure dämonische Masse, die jedwede Gestalt annehmen kann. Das menschliche Auge ist nicht geschaffen, so etwas zu sehen. Ich habe von ganzen Regimentern gelesen, die wahnsinnig wurden, allein weil sie eines Kriegslords ansichtig wurden. Frag nicht nach so etwas, du könntest Kräfte wecken, denen du nicht gewachsen bist.“
Wieder spürte Ulthar dieses Rumoren in seinem Magen, aber er verdrängte den Gedanken, nein er schob ihn fast gewaltsam aus seinem Kopf. Gerade als Stephanus weiter reden wollte, unterbrach ihn Marco erneut.
„ Wie kann man einen solchen.“ Er verschluckte hastig das Wort, dass ihm auf der Zunge gelegen hatte. „ Wie kann man so etwas töten.“
Jetzt starrte ihn Stephanus fast schon bösartig an. „ Nur die wahre Kraft der Magie oder magische Waffen vermögen einen Lord zu bannen. Es ist noch niemandem gelungen einen derartigen Krieger zu töten. Und verfolge diesen Pfad nicht weiter, wenn du bei klarem Verstand bleiben willst.“ Er hob seine Hand, als Marco erneut zu einer Frage ansetzen wollte. „ Das ist meine letzte Warnung, Marco, das Unheil fliegt von allein auf schnellen Flügeln, du musst es nicht mit Macht anlocken.“ Er atmete tief ein und aus, dann redete er weiter. „ Meine Nachforschung ergaben, dass es tatsächlich nur Aufzeichnungen von sechs Bannkreisen in den alten Kriegen gab. Dabei wurden eindeutig sieben Kriegslords gesichtet. Entweder wurde der eine Bannkreis vergessen, oder dieser Dämon lebt noch immer versteckt in den Klüften und Abgründen des Südmassivs.“ Seine Hand deutete in östliche Richtung. „ Nun, der hohe Rat bat mich, meine Nachforschungen einzustellen, da sie auf falschen Annahmen basierten. Sie brachten durchaus plausible Gegenargumente auf, aber mein Gefühl untersagte es mir auf sie zu hören. Ich suchte weiter, sammelte, was ich finden konnte, bis den Hohepriestern zu viel wurde. Ich wurde beschuldigt, den Widerstand zu schwächen und die Aufmerksamkeit der Zachiräe auf Unwahrheiten zu lenken, die als längst vergessen galten. So haben sie mich schließlich von der Insel verbannt und nun irre ich in den südlichen Ländern umher, habe eine menschliche Identität angenommen und sammle Hinweise darauf, dass ich Recht hatte.“ Stephanus machte eine kurze Pause, bevor er weitersprach. „ Ich glaube, sie werden bald wissen, dass ich Recht hatte. Sie werden es spüren, den Aufruhr, die Schwingungen, die sich ausbreiten, wenn sich die Magie ihren Weg zurück in diesen Planeten bahnt. Oh ja, gewaltige Kräfte werden freigesetzt werden... Sie werden es merken...“
Ulthar zog seine Stirn in Falten.
„ Wenn es der Kriegslord der Dämonen geschafft hat, sich für euch unsichtbar zu machen, dann könnte er sich doch heute auch mit mir vereinigt haben, oder?“
Stephanus lächelte.
„ Nein, Ulthar, um sich mit dir zu vereinigen bräuchte der Dämon seine ganze Kraft, er müsste seine Deckung zumindest für wenige Sekunden fallen lassen. Und selbst wenn sich ein solch mächtiger Dämon mit dir vereinigt hätte, dann wärst du nach einem so einfachen Zuber nicht so ausgelaugt und schwach gewesen, Ulthar. Ich befürchte etwas ganz anderes. Aber diese Spekulation würde zu weit gehen, um sie jetzt schon zu äußern.“
Stephanus starrte in die rotglühenden Überreste des Feuers. „ Es ist spät geworden, wir sollten versuchen noch ein wenig Ruhe zu bekommen. Morgen wird kein leichter Tag, das spüre ich.“
Ulthar wollte auffahren. Unzählige Fragen stürzten wie in einer Gedankenflut auf ihn ein. Jede Antwort die Stephanus heute gegeben hatte, warf neue Fragen auf. Marco ging es eben so.
„ Rico, was hat das alles mit ihm zu tun.“
Der Zachiräe erhob sich und streckte seine müde gewordenen Glieder. Sein Gesicht war zu einer starren Maske geworden.
„ Ich sagte, es ist spät geworden, Marco. Genug Gedanken wurden an diesem Abend geäußert. Wir sollten Wache halten. Marco, du übernimmst die Erste. Weck mich, wenn der Mond diesen Baumwipfel überschritten hat.“
Damit legte er sich hin und beendete alle Diskussionen zumindest für diesen Abend.
Er lief einen langen Weg entlang. Links und Rechts säumten hohe, kalte Mauern die Straße auf der er wandelte. Er hatte Angst. Alles hier war so fremd, so anders als alles was er kannte. Die Dunkelheit umhüllte ihn mit undurchsichtiger Schwärze und löschte alles, was weiter als zehn Schritte von ihm entfernt war gnadenlos aus. So sah er die Gestalt erst, als er schon fast vor ihr stand.
Sie war in einen schwarzen, langen Umhang gehüllt, die sie fast wie eine Steinstatue wirken ließ. Ihr Kopf war vollständig von der Kutte bedeckt, sie hielt ihn gesenkt, so dass man das Gesicht nicht sehen konnte.
Ulthar wusste, dass dies nicht ‚Er’ war, nicht der Unaussprechliche, Böse aus seinem letzten Traum. Dies hier war kein Wesen, dessen Blicke ihn töten konnte, aber trotzdem hatte er Angst. Es war, als hielt das Böse seine Hand auf, bereit ihn zu vernichten, sollte er eine falsche Bewegung machen.
Aber er musste weiter. Er musste diesen widernatürlichen Mauern entrinnen, die ihn umschlossen wie ein steinernes Gefängnis und die mit jeder Sekunde, die er zögerte näher zu kommen schienen. Fast schon war es, als könnte er ihre raue Oberfläche spüren, so nah war ihm dieser Wall gekommen, er rang nach Atem – und da sprach die Gestalt.
„ Jaaa, spüre die Macht des Meisters, fühle seine Kraft. Sie reicht weit über die Grenzen von Zeit und Raum hinaus. Der Meister ist zurück. Er kam aus der fernsten aller Welten aus der endlosen Leere hinter allen Reichen, um euch zu versklaven. Fühle seine Kraft.“
Ulthar zuckte unter diesen Worten zusammen. Sie waren wie schmerzhafte Schläge, jedes einzelne ein eisiger Peitschenhieb durch seinen Geist. Er zuckte zurück, aber die Gestalt hob nun den Kopf.
Ihr Gesicht war ein einziges Schlachtfeld eitriger Verwerfungen, Brandwunden und wässriger Narben. Nur noch ein Auge war in den Höhlen zu finden, die Lieder darum waren weit aufgerissen, was dem Gesicht einen entrückten, wahnsinnigen Ausdruck gab. Das andere Auge war verschwunden in einem wulstigem, schwarzem Geschwür, das unter einer feinen Haut pulsierte und zuckte. Ulthar hielt den Atem an, ob der grauenhaften Verstümmelungen, die dieser Mann offensichtlich hatte ertragen müssen. Die Nase war nicht mehr als ein zerfressenes Knäuel zerfetzter Knorpelstränge, über die gelber Eiter lief wie zarter Honig, weißer Schaum tropfte aus den eingerissenen Mundwinkeln, vermischt mit dickem, roten Blut. Die eine Seite des Mundes hing zerfetzt und schlaff zum Bonden, unverkennbar hatten sich dort drei scharfe Klauen ihren Weg durch das faulige Fleisch gebahnt. Der andere Mundwinkel zog sich jetzt nach oben, entblößte braune, fleckige Zähne, zerbrochen und lückenhaft. Als er dieses psychotische Grinsen sah, bahnten sich andere, schlimmere Bilder den Weg in sein Hirn. Die Frau, die er am Abend gesehen hatte, sie lag vor diesem Monster, gefesselt und gepeinigt, die zarte Haut von zahllosen Peitschenhieben zerrissen und dieses Monster stand hinter ihr und stieß mit seiner Hüfte zu, wieder und wieder, wieder und wieder, begleitet von den schmerzerfüllten Schreien der Frau.
Ulthar schlug sich gegen den Kopf um diese Visionen zu beenden, aber er konnte es nicht, der Dämon vor ihm lachte, lachte laut auf, ein keifendes, gackerndes Lachen, dass ihm den Kopf zu sprengen drohte. Der Traum schien zu zersplittern, er zerfiel in tausende kleine Stücke und zurück blieb nichts als Dunkelheit, Ungewissheit