Perfekt klingt gut...
Danke für das viele Lob, das ihr immer wieder ausschüttet. Das braucht meine niedergeschlagene Persönlichkeit gerade...
Ich wünsch euch viel Spass mit dem Anfang vom nächsten Kapitel...
Und den Fehler mach ich fix mal raus (wenn das Forum mich lässt)
Kapitel 4
Stephanus hatte sich nach diesen Worten wieder hingesetzt und hielt seinen Kopf gesenkt. Es schien, als wäre die gesamte Kraft, die sein Körper jemals ausgestrahlt hatte, zusammengesunken und in ihm verschwunden. Er atmete flach.
Thomas und Marco schauten ihn verständnislos an, während Ulthars sich zusammenreißen musste, dass sein Unterkiefer nicht vor Verwunderung aufklappte.
„ Was soll das heißen?“, fragte Thomas schließlich. „Ich verstehe das nicht.“
Als Stephanus nicht antwortete, war es schließlich Ulthar, der sich dazu durchrang, den Mund zu öffnen.
„ Ich kenne nur die Legenden. Die Geschichten von einer Insel am westlichen Weltenende, direkt vor dem Abgrund der Dämonen. Sie wird ‚Kuronia’ genannt, die letzte Bastion, die die Menschen vor den Ungeheuern aus den tiefsten Untiefen des Abyssos schützt.“
Stephanus hob den Kopf und schaute in den Sternenhimmel:
„ Dort soll es eine Stadt geben, ganz aus weißem Marmor errichtet. Prächtige Bauwerke, an Perfektion nicht zu übertreffen. In ihr leben die Zachiräe, Krieger, deren Kunst der Stadt in Nichts nachsteht, ausgebildet um gegen die Dämonen zu kämpfen. So sagen es die Legenden.“
Ulthar nickte stumm.
„ Das ist nicht die Wahrheit.“, fuhr Stephanus fort. „ Oder zumindest nicht einmal annähernd alles, was es zu sagen gibt, aber ich denke, dafür ist es heute zu spät. Wir werden morgen nach Hültheim kommen und zum ersten Mal auftreten. Ich bitte euch, euch mit euren Fragen bis morgen zu gedulden. Dann will ich euch alles verraten, was ihr wollt. Aber nun lasst uns schlafen. Es ist spät.“
Der nächste Morgen war der erste seit Monaten, an dem sie nicht die grellen Strahlen der Sonne aus dem Schlaf rissen.
Der Himmel war wolkenverhangen. Es waren dicke, graue Wolken, die so tief zogen, dass sie fast die Wipfel der Bäume berührten. Doch brachten sie keine Erfrischung oder gar angenehme, kühle Luft mit sich, nein vielmehr schien es unter diesem Horizont noch drückender, trockener und heißer zu sein, als die Tage zuvor.
Ulthars Kehle war wie ausgedörrt und seine Lippen fühlten sich spröde und rissig an. Marco musterte stirnrunzelnd den Himmel.
„ Das sind keine Regenwolken.“, seufzte er schließlich. Ulthar nickte und setzte seinen Wasserschlauch an. Sofort begann er zu schwitzen und wischte sich mit der Hand über die Stirn.
„ Schreckliches Wetter.“, sagte er dann. „ Kein gutes Vorzeichen.“
Stephanus trat an ihre Seite und hielt den Blick in die Ferne gerichtet. „ Nein, das ist kein gutes Wetter. Die Luft ist so klar und man kann weit sehen. Wir müssen aufpassen, dass uns die Karawane vor uns nicht entdeckt, wenn wir durch die Hügel fahren.“
Marco wandte sich dem Krieger schüchtern zu und fragte:
„ Sagt Stephanus, ist die ganze Welt hier so? Nur Wälder und grasige Ebenen?“
Stephanus lachte herzlich.
„ Nein, mein Freund, nein.“, er wischte sich über die Augen. „ Hinter Winsahl ist es vorbei mit den großen Wäldern. Das hier sind die letzten Ausläufer der südlichen Haine, dahinter beginnt die weite Steppe, in deren Zentrum die schwarzen Massive liegen. Wenn du unendlich weit sehen könntest, würde dort Ardbajan, die Hauptstadt der südlichen Grafschaften liegen.“ Er hob seine Hand und deutete in die westliche Richtung. Würdest du dann immer weiter diesen Weg entlang ziehen, so würdest du irgendwann das westliche Meer erreichen. Von dort bin ich gekommen.“
Marco legte die Stirn in Falten.
„ Wie lange würde es dauern, das westliche Meer zu erreichen?“
Stephanus kniete sich nieder und band sich die Stiefel zu.
„ Mit einem guten Pferd und guter Ausdauer, etwa drei Sonnenumläufe, bis Ardbaja ist es nur ungefähr halb so weit.“
Marco gürtete sein Schwert und dachte nach:
„ Es ist unglaublich, wie groß die Welt ist.“, sagte er schließlich.
Wieder lachte Stephanus. Er stand auf und durchwuschelte Marcos Haare.
„ Die Welt, die Welt. Die ist noch viel größer. Das hier sind gerade einmal die Südlichen Grafschaften. Im Norden liegen noch die Frostreiche, die zu durchschreiten allein mehr als vierzig Sonnenumläufe in Anspruch nähme. Und dahinter gibt es noch viele, viele andere Königreiche. Abyssos liegt viel weiter entfernt, als ihr oft glaubt, Menschen.“
Ulthar hob den Blick und versuchte die Sonne hinter den dichten Wolken zu erkennen. „ Wir sollten langsam aufbrechen, sonst schaffen wir es nicht bis heute Abend nach Hültheim.“
Thomas sprang auf und klatschte in die Hände.
„ Wenigstens einer, der an das Geschäft denkt. Recht so mein Freund, du gäbst einen guten Gaukler ab, wenn du ein bisschen mehr das Lächeln lernen würdest.“ Sagte er schmunzelnd und tänzelte mit klingenden Schellen auf den Fuhrbock.
Sie hatten sich getäuscht, was die Strecke nach Hültheim anging. Schon kurz nach Mittag tauchten plötzlich zwischen den Bäumen die ersten Häuser auf. Sie wirkten ärmlich und ungepflegt mit ihren rauen und dunklen Mauern. Die Wände waren einfach nur aus groben Steinen aufgeschichtet worden, kein Vergleich zu der Fachwerkskonstruktion in der Marco und Ulthar einst gelebt hatten.
Zwischen ihnen stand ein Wegweiser, der die Richtung nach Winsahl und Darheimsgard wies. Der Anblick versetzte Marco und Ulthar einen Stich ins Herz, brachte aber noch eine Frage hervor.
„ Sag, Stephanus, hat diese Stadt gar keine Mauer?“, fragte Marco verwundert. Der Kämpfer drehte sich um und sprach mit gedämpfter Stimme:
„ Nur größere, reiche Städte haben eine Stadtmauer, Marco und nun leise. Vergesst nicht, ihr seid unsere Kumpane, also verhaltet euch so, als wäre das alles nichts Neues für euch.“ Er drehte sich wieder nach vorne.
Marco beugte sich zu Ulthar.
„ Irgendwie ist mir Stephanus richtig unheimlich.“
Ulthar brummte zustimmend und starrte dann weiter die Häuser an. Auch in Darheimsgard hatte es solche Häuser gegeben, aber nur im Hafenviertel, dort wo sich das Gesinde herumtrieb. Dort, wo Marco und er nie hatten hingehen dürfen.
Es fiel ihm jetzt erst auf, wie behütet ihr Leben eigentlich die ganze Zeit gewesen war. Fast ihr ganzes Leben hatten sie auf dem Gehöft ihres Vaters verbracht, oder in Darheimsgard, wenn es Geschäfte zu erledigen gab, was nicht so oft vorkam, da ein Großteil der alltäglichen Waren von den Händlersgehilfen auf den Hof gebracht wurde.
Er kam sich so verloren vor, jetzt da er merkte, wie groß die Welt eigentlich war. Und dabei waren sie noch nicht einmal an die Grenzen der Grafschaft Iljard vorgedrungen. Was, wenn sie die Verbrecher noch viel weiter verfolgen mussten? Würde er die Reise durchhalten, oder würde er vor Sehnsucht zu Grunde gehen?
„ Schläfst du?“, Marco stieß ihm ungehalten den Ellbogen in die Seite. Ulthar schreckte hoch.
„ Was ist denn?“
„ Ich habe dich gefragt, ob es dir auch so geht. Mit Stephanus...“ Antwortete Marco.
„ Ja, ja. Obwohl, ich fand es vorher schlimmer, als ich es noch nicht wusste.“ Er stockte. „ Ich habe ... schon länger vermutet, dass etwas mit ihm ... Nicht stimmt.“ Er drehte die Handfläche in einer entschuldigenden Geste nach oben. „ Aber jetzt. Ich weiß nicht. Die Legenden sind so mystisch, da erscheint er mir schon fast als normal.“
Marco ließ seine Beine vom Wagen baumeln und streckte sich. „ Was sagen die Legenden denn?“
Ulthar kratzte sich am Kopf.
„ Nun ja, jede etwas anderes. Aber alle berichten über weißhäutige Wesen mit glänzenden Schwingen, die das Schwert meisterhaft führen. Sie sollen fast unbesiegbar sein, außer an einer Stelle zwischen den Schultern. Und zaubern können sie auch noch.“
„ Leider sind Legenden nur Legenden, Ulthar, vergiss das nicht.“ Ulthar erschrak, als er Stephanus’ Stimme plötzlich neben sich hörte. Beiläufig registrierte er, dass der Wagen auf einer kleinen Wiesenfläche gehalten hatte.
„ Leider kann ich nicht zaubern, sonst wären viele Sachen in meinem Leben einfacher gewesen.“ Stephanus stieß sich vom Wagen ab. „ Ihr könnt uns beim Aufbauen der Bühne helfen. Danach üben wir.“
„ Wie sollte es auch anders sein.“, grummelte Marco.
Update vom 14.02.2006
Stephanus riss seinen entblößten Oberkörper zurück und ließ das Schwert kreiselnd nach vorn sausen, sodass es Marcos heftigen Schlag nach schräg oben abwehrte. Die Kraft des eigenen Schlages nutzend wirbelte er dann aus der Bewegung um seine Achse und rammte seinem Kontrahenten den Schwertknauf in den Rücken.
Marco sackte mit einem dumpfen Geräusch zu Boden, während Stephanus seine Muskeln entspannte und den Schweiß vom Gesicht wischte.
„ Pass immer auf, Marco.“, er half dem am Boden Liegenden auf. „ Du darfst niemals die Wucht deines Schlages überschätzen. Brutale Kraft ist oftmals mit der richtigen Technik leicht abzuwehren.“
Marco stampfte wütend auf und warf sein Schwert auf den Boden.
„ Warum machst du es nicht einfach selber? Wozu dieses lange Proben, wenn du das Schauspiel viel einfacher spielen könntest?“
Stephanus’ Lächeln erstarb und seine Stimme war von seltsamen Ernst belegt, als er weitersprach:
„ Ich würde es gerne machen, wirklich, aber es gibt da ein Problem. Die Leute hier sind einfach – Und das macht sie gefährlich.“
Ulthar, dessen Training mit Stephanus schon längst vorüber war, trat näher:
„ Wie meint ihr das?“
Stephanus stützte sich an einem der Bühnenpfosten ab und legte den Kopf in den Nacken.
„ Nun, wie soll ich es erklären, ohne anmaßend zu klingen... Ich werde es versuchen. Passt auf, in einer großen Stadt, da wohnen viele Leute. Es kommen viele Leute auch aus anderen Teilen der Ländereien. Die Menschen sehen Tag für Tag viel Ungewöhnliches und das macht sie offener. Hier, hier arbeiten die Menschen die ganze Zeit auf ihren Feldern, sehen ihre Familie, ihre Nachbarn und den Dorfältesten. Die einzigen Absonderlichkeiten, die man hier kennt, sind alte Geschichten, die als längst vergangen gelten. Versteht ihr, was ich meine?“
Ulthar schüttelte den Kopf.
„ Nicht ganz, fürchte ich.“, gab er dann zu.
Wieder lächelte Stephanus, aber diesmal lag eine gewisse Resignation in seinem Blick, als seine Augen über die triste Häusersammlung strichen, die hinter ihnen lag, weit genug entfernt, sodass man sie nicht als Strauchdiebe bezeichnen konnte, aber immer noch sichtbar.
„ Auch diese Menschen wünschen sich hin und wieder ein Abenteuer, den Hauch der Fremde auf ihren Wangen, aber gib ihnen zuviel davon und sie werden es nicht verstehen. Sie lieben Geschichten über fremdartige Kampfkünste, aber führe ihnen einen westlichen Schwerttanz vor und sie werden dich für den Teufel halten. Es sind schon viele Spielmänner umgekommen, weil ihre Wägen nachts heimlich in Brand gesetzt worden, Ulthar. Das ist es immer. Sei vorsichtig mit jeder Fremdartigkeit, sie könnte der Strick sein, der sich um deinen Hals liegt. Die Menschen suchen das Unglück immer eher in der Ferne, als unter sich.“
Kurz war es, als würden seine Gedanken abschweifen. Stephanus’ Blick verklärte sich und ein Lächeln umspielte seine Lippen, aber gleich darauf hatte er sich wieder unter Kontrolle.
„ Es soll nun aber genug der Lektionen sein. Ihr könnt euch eine Weile in der Stadt umsehen, aber seid vorsichtig. Denkt an meine Worte – Und kein Wort über Darheimsgard und das, was dort geschehen ist. Schlechte Nachrichten haben schnelle Flügel, sagt man. Und wir können kein unnötiges Risiko brauchen.“
Was immer Ulthar über Hültheim gedacht hatte, es wurde in dem Moment revidiert, als er das Dorf aus der Nähe sah.
Hültheim war vielleicht ein typisches Straßendörfchen für diese Zeit, aber für die jungen Augen, die nur die Hafenstadt Darheimsgard kannten, wirkte es eher wie ein übergroßer Bauernhof. Es waren nicht viel mehr als zwei handvoll Häuser, die sich dicht um zwei schlecht ausgebaute Wege drängten, welche sich in ihrer Mitte kreuzten. Direkt hinter den Häusern begann der Wald, den sie heute früh durchquert hatten und vor ihnen lagen kleine Felder, die mehr schlecht als recht zusammengestückelt aussahen und deren Korn längst vertrocknet wirkte.
Auch der dünne Seitenarm des Iljard-Flusses wirkte eher wie ein staubiges Rinnsal, denn wie die blaue Flut, die Ulthar und Marco kannten.
Einen trostloseren Ort konnte man sich kaum vorstellen, zumal die Wolkendecke noch immer nicht aufgerissen war. Das graue, trübe Licht, das durch sie hindurchschien, gab dem Ort einen schmutzigen Anstrich, aber Ulthar bezweifelte, dass Hültheim selbst unter strahlendem Sonnenschein irgendwie hübsch hätte wirken können.
Ein seltsamer Geruch empfing sie, als sie zwischen die Häuser traten. Es war mehr als nur die Gülle und Kloake, die hier auf die Straßen geschüttet worden, nein, der ganze Ort roch alt und einfach schmutzig. Nur kurz sah Ulthar das Gesicht eines kleinen Kindes hinter einer der Mauern aufblitzen, bevor sich trappelnde Schritte entfernten und einzig Stille zurück ließen. Automatisch rückten Ulthar und Marco dichter zusammen, als sie am eigenen Leib zu spüren begannen, was Stephanus wirklich gemeint hatte.
Erst auf der Hauptstraße trafen sie einen Mann aus dem Dorf. Er hatte dunkles Haar, bronzefarbene Haut und trug ein typisches, einfaches Bauerngewand aus grobem Sackleinen. Er drückte gerade auf den Arm einer Pumpe, aus der nur noch ein gefährlich dünner Strahl tropfte. Offenbar waren die kleinen Dörfer noch stärker von der Dürre betroffen, als Darheimsgard und andere große Städte. Ulthar gab Marco einen kleinen Schubs, der ihn halb vor sich brachte. Marco sah ihn zunächst zweifelnd an, bemerkte aber schnell den misstrauischen Blick, mit dem sie der Mann musterte und lenkte ein.
„ Mögen eure Schritte zahlreich und eure Stunden glücklich sein.“, sagte er unsicher und verneigte sich hastig. Der Mann grummelte etwas und winkte ab.
„ Ihr gehört zu den Fahrenden draußen, vor der Stadt, oder?“, fragte er dann, was Marco mit einem Nicken bejahte. Sein Schweigen schien beredter gewesen zu sein und mehr von seinen Gedanken verraten zu haben, als beabsichtigt, denn der Mann trat hastig einen halben Schritt zurück.
„ Ich, ich wollte euch nicht beleidigen, Fremde.“, bemühte er sich dann, zu versichern. „ Aber, als das letzte Mal Spielmänner hier waren, sind Sachen gestohlen worden. Nicht, dass ich glaube, ihr wärt Diebe... Aber ... wir sind arme Leute, hier gibt es nichts zu holen.“
Ulthar konnte die Angst seines Gegenübers geradezu riechen, ärgerte sich aber auch gleichzeitig über sich selbst. Schon Marcos Statur gereichte für gewöhnlich, Fremden Respekt einzuflößen, aber sie trugen ihre Waffen noch dazu offen, was einer Drohung nicht gerade fern kam, wenn man ein fremdes Dorf betrat. Hastig bemühte er sich, den Fehler zu korrigieren und trat vor Marco. Mit einer beschwichtigenden Geste sagte er:
„ Macht euch keine Sorgen. Ein bisschen Misstrauen ist doch durchaus gesund, guter Mann. Aber wir wollen nichts stehlen, wir haben nur ein paar Fragen an euch.“
Seinen Fehler bemerkte er erst, als er die weit aufgerissenen Augen des Mannes sah.
„ Ihr beherrscht unsere Sprache.“. Der Mann schlug ein Kreuzeszeichen auf seiner Brust. „ Ein Barbar, der unsere Sprache spricht.“
Ulthar kratzte sich am Kopf.
„ Wenn man mit Spielleuten reist, muss man viele Sprachen lernen.“, präsentierte er dann eine merklich dünne Ausrede. Was war nur mit ihm los? Reden war sonst immer seine Stärke gewesen, aber heute stammelte er eher wie ein Kleinkind. Wahrscheinlich war die Situation zu fremdartig für ihn, um sie auf Anhieb zu meistern. Aber sein Gegenüber war zu hin und hergerissen zwischen seiner Neugier und seiner Furcht, als dass er irgend einem der Worte auch eine nähere Betrachtung geschenkt hätte. Er starrte ihn unverhohlen an, solange, bis es Ulthar schließlich unangenehm wurde.
„ Wir wollten nur Fragen, ob unsere Kumpane vor kurzem durch dieses Dorf gezogen sind? Es waren fünf Männer, zu Pferde und ein kleiner Junge dabei.“
Der Mann musste sich wirklich zusammenreißen, dann schloss er seinen Mund und schüttelte den Kopf.
„ Nein, ihr seid die ersten Fremden hier, seit damals.“ Auf die versteckte Andeutung hinter seinen Worten ging Ulthar lieber nicht ein. Um ehrlich zu sein, war er des Gesprächs und vor allen Dingen seines Gesprächspartners schon längst überdrüssig.
„ Dann danke ich euch, guter Mann und wünsche einen guten Tag.“
Er drehte sich demonstrativ zu Marco um und registrierte nur beiläufig, wie der andere Mann so schnell loslief, dass man es nur schwerlich nicht als Flucht bezeichnen konnte.
„Seltsame Menschen...“, sagte er und verleierte vielsagend die Augen. Marco nickte nachdenklich.
„ Er sah aus, als ob er glaubte, den Teufel zu sehen.“
„ Nun weiß ich, was Stephanus heute morgen gemeint hatte. Wenn hier alle so gesprächig sind, werden wir Rico nie finden und die Mörder unserer Eltern auch nicht.“
„ Entschuldigt, Fremde.“, erklang plötzlich eine hohe Stimme hinter ihnen. Ulthar fuhr erschrocken herum und sah sich plötzlich einem jungen Geistlichen gegenüber. Zumindest trug er ein schwarzes Mönchsgewand und hatte ein silbernes Relikt um den Hals baumeln, das ihn als ersten Adepten Elementarklöster auszeichnete. Das Gesicht des Mönchs war wahrscheinlich schon in frühster Jugend von schwerer Akne befallen gewesen, die tiefe Spuren hinterlassen hatte, seine Augen aber blickten offen und freundlich, wenngleich sie ein gewisses Misstrauen nicht verbergen konnte. Seltsamerweise war das Ulthar aber richtiggehend lieb. Nach der Begegnung gerade eben wäre ihm jede weitergehende Freundlichkeit gekünstelt und übertrieben vorgekommen.
Dann erschrak er. Wie viel hatte der Mönch von ihrer Unterhaltung mitbekommen? Er stand auf jeden Fall nahe genug, um sie belauscht zu haben. Aber wenn er irgend etwas dergleichen getan hatte, so hatte er seine Züge perfekt unter Kontrolle.
„ Verzeiht die dreiste Störung, aber ich beobachtete euer Gespräch mit Bai.“, er deutete in die Richtung, in die der Bauern gerade verschwunden war. „ Die Menschen hier wissen nicht viel von der Welt, außer den alten Geschichten, ihr müsst ihn verstehen.“
Ulthar fragte sich instinktiv, woher der Mönch vom Inhalt ihrer Unterhaltung wusste, bevorzugte es aber, nicht darauf einzugehen.
„ Ach – Und was wisst ihr von der Welt?“, er war selbst über den aggressiven Ton seiner Stimme überrascht. Offensichtlich hatte ihn die Begegnung mit Bai doch mehr mitgenommen, als er sich eingebildet hatte.
„ Nun, auf jeden Fall soviel, als dass man einen Menschen nach seinen Taten und nicht nach seinem Aussehen beurteilen sollte. Mögen eure Schritte zahlreich und eure Stunden glücklich sein, Unbekannte. Mein Name ist Taron, ich bin der Geistliche Hültheims.“ Er verneigte sich knapp, was Ulthar und Marco ihm sichtlich verlegen nachmachten.
„ Und eure ebenso, entschuldigt unsere Unhöflichkeit. Wir sind Marco und Ulthar.“
Taron legte den Kopf zur Seite:
„ Ulthar. Welch wohltönender Name. Ihr seid Spielmänner?“, fragte er dann. Als Ulthar nickte, maß er ihn mit einem fragenden Blick.
„ Eure Kleider sehen eher aus wie die von Jägern oder Edelmännern, denn wie die der Spielmannszunft.“
„ Nun.“, Ulthar trat verlegen von einem Bein auf das Andere. „ Wir sind eher ... Schausteller. Und für unsere Kunststücke brauchen wir eine Verkleidung. Und es ist doch immer gut in angemessener Kleidung eine fremde Stadt zu besuchen.“
Er war selbst etwas erstaunt, wie leicht ihm das Lügen von der Hand ging, ausgerechnet einem Mönch gegenüber. Er musste nur aufpassen, dass er sich nicht verplapperte.
„ Was also ist euer Begehr hier in Hültheim?“, fragte Taron schließlich. „ Wollt ihr Essen kaufen? Dann muss ich euch enttäuschen. Unsere Kornkammern sind leer und wir werden selbst den Winter nur mit großer Mühe überstehen.“
Ulthar lächelte sanft und hielt die Hände beschwichtigend.
„ Nein, wir wollen nur eine Frage stellen. Wir reisen normalerweise mit einigen anderen Menschen. Aber fünf von uns sind voraus geritten, um in Winsahl neue Nahrung zu beschaffen und unser Schauspiel in aller Munde zu tragen. Wir wollten nur wissen, ob man sie hier gesehen hat und wie es ihnen geht.“
Der Mönch lächelte ebenso, auch wenn sein Lächeln um einiges dünner wirkte, als Ulthars.
„ Ich glaube ich habe eure Freunde hier gesehen, aber wenn ihr genaueres wissen wollt, müsst ihr Airos, den Gastwirt der Stadt fragen. Er wohnt gleich die Straße hinab.“
Marco verneigte sich tief vor Taron.
„ Und vergesst nicht, heute Abend unser Stück zu besuchen, Bruder.“, sagte er dann.
Taron maß ihn mit einem abschätzigen Blick.
„ Ich glaube, dieses Schauspiel werde ich mir nicht entgehen lassen.“
Auch Airos’ Gaststube wirkte so alt und verschlissen, wie man sie an einem Ort wie Hültheim vermuten würde. Marco und Ulthar mussten erst zwei Mal vorbeilaufen, bis sie des schmutzigen Schild gewahr wurden, das den Eingang zu Airos’ Stube wies.
Die Tür ächzte vernehmlich, als sie sie mit aller Kraft aufstemmten und öffneten den Weg in ein leeres, dunkles Zimmer. Drei schiefe Bänke standen um einen Tisch herum, der schon so manche Kneipenschlägerei erlebt haben musste. Alle Möbel bestanden aus einem dunklen Holz, das von zahlreichen Finger glattpoliert war, dabei aber so grob und einfach wirkte, fast nackt bar jeder Verzierung, dass man meinen konnte, man wäre in einem Gefängnis gelandet, anstelle eines Wirtshauses.
Es war tatsächlich, als wären Ulthar und Marco in eine andere Welt gelangt. Marco sah sich um, aber es dauerte noch eine ganze Weile bis der Besitzer der Herberge aus einer Nebentür in die Stube gelaufen kam.
„ Gäste. So früh am Morgen.“, sagte er und zog die Tür mit einem Lächeln hinter sich zu. Airos war groß und von fülliger Statur. Sein Bauch ragte weit über den engen Gürtel hinaus und schwankte im Gleichtakt mit jeder Bewegung hin und her. Sein Kopf war nur noch von einem kleinen Kranz schwarzer Haare umzogen und schimmerte hell in dem Licht, dass durch die schmalen Fenster in die Stube fiel. Seine Kleidung hingegen war schmutzig von dunklen Bierflecken und hellem Fett.
„ Nun, mögen eure Stunden in meiner schlichten Behausung glücklich sein. Wollt ihr ein Mittagsmahl, oder ein Zimmer?“ Ächzend stützte sich der Wirt auf dem dunklen Tresen ab und musterte sie fragend.
„ Danke Herr, aber wir wollen euch nur ein paar Fragen stellen.“
Airos hob seine Hände und wandte sein feistes Gesicht verzweifelt in Richtung Himmel.
„ Fragen, Fragen nur Fragen, mit Fragen verdiene ich weder Heller noch Pfennig. Wo gedenken denn die hohen Herren zu nächtigen? Zu Pferde, oder auf den Wiesen?“
Marco lachte.
„ Macht euch, um unser Wohlergehen keine Sorgen, Herr. Wir nächtigen auf dem Kutschwagen, der auf den Wiesen vor der Stadt steht. Nachdem wir unsere Künste feilgeboten haben.“
Das Lächeln auf den Zügen des Wirtes verschwand noch bevor Marco die letzten Worte ausgesprochen hatte.
Er richtete sich in eine halb aufrechte Haltung auf, die in dieser dunklen Umgebung etwas Drohendes an sich hatte. Überhaupt schien es in der Gaststube um einiges dunkler zu werden, als Airos sie verächtlich musterte.
„ Fahrendes Volk.“ Er spie das Wort regelrecht aus, als ob es etwas widerliches wäre. „ Würdelose Spitzohren, die keine Heimat kennen.“
Marco straffte sich und sein Hand wanderte zu dem Schwertknauf an seiner Seite. Ulthar wusste, dass er jedem Anderen für diese offene Beleidigung eine Abreibung verpasst hätte, aber er legte ihm vorsichtig die Hand auf die Schulter.
„ Es ist nur eine Antwort die wir erfragen möchten. Haben sich vor kurzem fünf Herren in eurem Heim niedergelassen, die einen kleinen Jungen mit sich führten?“
Der Wirt schien kurz zu überlegen, ob er ihnen überhaupt antworten sollte, schließlich aber sprach er wieder.
„ Ja das war gestern. Hätte ich gewusst, dass sie zu euch gehören hätte ich sie nicht eingebeten. Und jetzt schert euch zum Teufel.“
Marcos Blick war auf einmal von tiefer Hoffnung erfüllt. Er beugte sich vor und sah dem Wirt direkt in die Augen.
„ Ging es dem Kleinen...“
Der Wirt brauste auf.
„ Ich sagte schert euch zum Teufel. Ich will mit euch dreckigem Lumpenpack nichts zu tun haben.“, brüllte er seine Gegenüber an.
Durch Marcos Körper ging ein Ruck, aber Ulthar packte ihn und zog ihn weg.
„ Lass uns gehen.“
Marco strampelte und verpasste Ulthar beinahe eine saftige Ohrfeige.
„ Nein, ich will diesem Sohn einer Hure zeigen, wie man mit Marco umzugehen hat. Ich will ihm seinen verdammten Stolz aus dem fetten Leib prügeln.“
Ulthar donnerte die Tür hinter sich zu.
„ Und was würde das bringen? Nichts. Er würde dir auch hinterher nichts sagen.“
Wütend stapfte er in Richtung Stadtrand. Marco folgte ihm, ebenso wütend und geladen.
„ Ich hätte ihn schon zum Reden gebracht.“
Ulthar sah in gar nicht mehr an, er wusste, wie sinnlos seine Worte waren, aber er redete trotzdem weiter.
„ Du würdest ihn wahrscheinlich aufschlitzen, seine Eingeweide herausziehen und die Antwort darin lesen, Krieger.“, schrie er ihn an. „ Und was hättest du damit gekonnt?“
Und was würde dich dann noch von denen unterscheiden, die wir verfolgen?, fügte er in Gedanken hinzu
Ulthar wusste, dass Marco ihm die Worte übel nahm und sie als Zeichen von Schwäche auslegte, aber er hatte einfach keine Lust, sich schon wieder bei seinem Bruder zu entschuldigen und beließ es dabei, sodass sie den restlichen Weg schweigend nebeneinander her gingen. Sie hatten für ihre Erkundungen länger gebraucht, als Ulthar gedacht hatte, denn die Sonne neigte sich schon dem Untergang zu, als sie den Packwagen erreichten. Aber an ihrem Lager erinnerte nichts mehr an die einfache Stätte, die sie vor einigen Stunden verlassen hatten..
Thomas und Stephanus hatten in einem Umkreis von etwa zehn Schritt einen Bereich mit großen Fackeln abgegrenzt, der als Bühne dienen sollte. Der Wagen selbst war von einer großen, dunklen Plane bedeckt, die ihn wie ein großes Zelt erscheinen ließ.
In einiger Entfernung brannte ein kleines Feuer, über dem etwas Fleisch brutzelte. Offensichtlich hatten Thomas und Stephanus schon gegessen.
Als könne er Gedanken lesen, kam ihnen Thomas in diesem Moment ungeduldig entgegen gelaufen.
„ Die hohen Herren gedenken endlich zu erscheinen, welch Ehre, glaubt mir, das werde ich euch nie vergessen.“, er tippte sich spöttisch an die Stirn. „ Ist es euch möglich, euch zurecht zu machen für den Auftritt, oder mögt ihr noch ein wenig speisen und trinken.“
Auch Stephanus trat aus dem Schatten des Wagens hervor..
„ Ihr kommt spät“, tadelte er sie knapp „ Habt ihr etwas in Erfahrung bringen können.“
Ulthar nickte.
„ Sie sind heute morgen von hier fortgeritten. Wir sind ihnen noch immer einen Tag hinterher.“
Marco spie verächtlich auf den Boden.
„ Und dass man dieses Bauernpack aufschlitzen sollte. Wir sollten heut Nacht Wache halten, falls jemand diese Fackeln zu anziehend findet, um sie nicht an unserem Wagen auszuprobieren.“
Wie immer: Danke an euch. Ohne Leser ist die Geschichte nichts als ein hohler Klang, den der Wind von dannen weht. In diesem Sinne:
Ich brauche euch
barb