Kapitel 70 – Des Söldners wahrer Nutzen
Der Meister grinst mich an.
Kurz lähmt mich der Schock des plötzlichen Bildes nach der ewigen Schwärze, dann bin ich wieder in der Lage, mich zu orientieren; ich stehe kurz vor ihm in unserer Hütte in Kurast. Oh Himmel, Danke.
„Willkommen zurück, Golem!“
„General, du glaubst nicht, wie froh ich bin, dich zu sehen.“
Meine Stimme funktioniert!
„Oh, das glaub ich dir gerne, mein glänzender Freund. Komm her.“
Wir umarmen uns vorsichtig. Für einen kurzen Moment teilen wir die Freude, am Leben zu sein, dann lösen wir uns wieder voneinander.
Bah, das ist ja ekelhaft.
...willkommen zurück auch dir.
Jaja, spar dir das.
Ach, sei doch still, ich hab jetzt gute Laune. Mein Körpergefühl wird mir gerade bewusst, es ist so wunderschön leicht, ich bin frei...schnell sehe ich meine Hände an, die Finger sind angenehm schlank und segmentiert, noch ein wenig besser als sie nach der letzten Veränderung waren, ich schließe sie zur Faust – problemlos – und ein Grinsen macht sich in mir breit.
„Ein ganz neuer Körper, General?“
„Natürlich, der Rest von deinem ersten und was von Isenharts Rüstung übrig war sind komplett zerfallen – ich denke, die Belebung tut dem Metall in etwa so gut wie die Skelettwerdung es den Knochen tut, ergo ist Essig mit Wiederverwertung.“
Was mich an etwas erinnert...ich schlucke kurz innerlich, bevor ich die Frage stelle.
„...was ist denn mit dem Körper aus Isenharts Rüstung passiert? Ich war auf einmal weg...“
Das sollte eigentlich recht selbsterklärend sein. Und die Antwort amüsiert mich königlich, also hättest du vielleicht nicht fragen sollen, haha.
„...ich hab ihn gesprengt.“
„Bitte wie?“
„Nun, du warst zu weit weg, um irgendetwas auszurichten gegen die irren Weiber, und ich hatte quasi wenig Optionen. Es tut mir wirklich sehr Leid, dass ich dir – und ihm – das antun musste...aber ich muss schon sagen, du bist geplatzt wie eine reife Tomate, seine tolle Rüstung war irgendwie doch nicht das Wahre.“
„General!“
„Waas? Entschuldigung, dass ich da so pietätslos bin, aber obwohl das wirklich eine Drecksart war zu sterben, werde ich dem Arschloch keine Träne hinterherweinen. Du etwa?“
Wehe.
„...nein.“
„Also. Aber bitte, glaub mir, ich schäme mich unglaublich, dass ich dich als reines Mordinstrument benutzt habe, deinen Körper im Grunde nur als Waffe angewandt habe, du bist kein Objekt, und ich kann mich nicht genug entschuldigen...ich hoffe, ein bisschen Wiedergutmachung leisten zu können mit deinen neusten Modifizierungen.“
Ich breite die Arme aus, einfach nur glücklich, dass ich das noch kann.
„Ich verzeihe dir, General. Es war grauenhaft, aber du hattest schlicht keine Wahl. Isenhart war ganz allein selbst schuld an seinem Schicksal, und ich bin dir nicht böse deswegen. Ich bin einfach nur froh, dass du das überlebt hast. Vielen Dank für die Finger...das wäre doch nicht nötig gewesen...“
Er grinst.
„Ah, die hast du schon bemerkt, ja? Ein kleines Detail. Man achtet ja auf solche auch ganz gerne. Aber das ist noch nicht Alles...bei Weitem nicht.“
Zwei Skelette, die ich bisher völlig ignoriert hatte, weil sie wirklich nur Objekte sind, bewegen sich plötzlich und tragen einen Gegenstand heran: Einen großen Spiegel, mit wunderschönem, verschnörkelten Goldrahmen! Wo haben wir den denn her?
Hm...ja, der hing in der Tempelkammer an der Rückwand. Schätze, ein wenig mehr vom Eigentum der Priester mitgehen zu lassen war dem Meister dann auch wieder egal...
Den hatte ich irgendwie übersehen. War ein wenig zu abgelenkt. Himmel, der muss ja unglaublich was wert sein.
Vorerst aber dient er einfach nur als Spiegel. Und ich erschrecke mich fast, als ich mich sehe. Und dabei noch am Wenigsten, weil ich weiß bin, mit regelmäßigen, fast dekorativen rostfarbenen Stellen. Langsam, zögerlich wandert meine Hand zu meinem Gesicht.
„Sind das...Augenbrauen?“
Tatsächlich sind über meinen leeren Augenhöhlen nun zwei schlichte Metallstreifen angebracht, im Moment beide gerade ausgerichtet, doch ich spüre, dass sie nicht feste Dekoration sind – sie ruhen auf jeweils einem Metallstift, der in einer von der Breite der Brauen selbst kaschierten vertikalen Ritze steckt. Das heißt...ich konzentriere mich kurz, aber es ist ganz natürlich...Himmel, ich kann sie heben.
Der Meister grinst immer noch.
„Ja! Stehen dir, finde ich, aber gut, hab ich ja auch selbst eingebaut. Eigentlich müssten sie auch drehbar sein...“
Ich versuche es, wende sie nach außen, und sehe dadurch etwas verloren aus.
„Das...das ist...“
„Ich weiß, es ist nicht viel, aber es ist quasi unmöglich, dir eine Möglichkeit zu geben zu lächeln – glaub mir, ich habs versucht, du kannst Mundwinkel nicht einfach aufkleben, sieht völlig dämlich aus – auch sonstige Mundbewegungen sind völlig utopisch, also hab ich mich bemüht, den Grill einfach weniger grimmig aussehen und es dabei zu lassen. Dieses nette Geschenk der Tempeldiener hab ich dann ein wenig zum Experimentieren benutzt und festgestellt, dass man tatsächlich eine Menge Ausdruck durch die Augenbrauen vermitteln kann, und da ist mir ein Weg eingefallen, sie beweglich zu machen. Ich hoffe, das ist ein guter Ausgleich...“
Etwas hilflos, aber es eine schöne Art der Ohnmacht, versuche ich sie so auszurichten, wie sie in einem lächelnden Gesicht aussehen würden...gar nicht so einfach, aber...oh, das ist herrlich.
„General, das ist so ein schönes Geschenk...ich kann endlich anders als ständig böse schauen...Danke. Vielen Dank.“
„Freut mich, dass sie dir gefallen. Eine Kleinigkeit eben, aber das hast du dir wirklich verdient. Ansonsten siehst du ja, dass ich ein wenig an den Proportionen geschraubt habe...“
In der Tat, was mir am Rande dämmert neben der Freude über einen Gesichtsausdruck, ich bin deutlich schlanker, dafür ist das überschüssige Material, das mich bisher recht bullig aussehen ließ, in breitere Hüften und Schultern geflossen; meine Silhouette ist jetzt etwas androgyn, aber verdammt, das ist eine ganz neue Dimension von Beweglichkeit, die sich da eröffnet! Der Meister hat sich unglaubliche Mühe gegeben, klare Schwachpunkte meines letzten Körpers auszuräumen, und es fühlt sich, abgesehen von dem generellen Problem, dass es kaltes Metall ist, richtig gut an.
„...und ich musste noch einen Kompromiss machen; ein extra Schild hat ja jetzt nicht so funktioniert, das macht dich zu unflexibel, also dachte ich mir, ich könnte eines einbauen, aber ist ist nicht wirklich praktikabel, einen einziehbaren Schild zu konstruieren, und fest, dachte ich mir, würde er dich ziemlich belasten. Also hab ich mich für das nächst Beste entschieden, ist wohl auch besser für die Balance. Hoffentlich kommst du damit zurecht.“
Er deutet auf meinen rechten Arm. Ich runzle die Stirn – die Augenbrauen simulieren das ziemlich gut durch ihre Neigung – und begutachte ihn. Ist das...?
Ein Schwert schießt daraus hervor, als ich meine imaginären Muskeln anspanne. Ooooh...links wiederhole ich den Vorgang, und mir bleibt kurz die Sprache weg, als ich mit zwei Klingen dastehe. Ich bin...der weiße Krieger mit zwei Schwertern...aus meinen geistigen Kämpfen...
Pah, Klauen immer noch unterlegen, oder denkst du wirklich, du schaffst es, die zwei Dinger zu koordinieren?
Nach einem sehr surrealen Moment, während dessen ich mir bewusst machen muss, dass ich tatsächlich wach bin, stelle ich einen gravierenden Unterschied fest: Die Schwerter sind Krummschwerter – einschneidig. Ich lasse sie durch die Luft zischen. Schöne Krummschwerter.
Was mir allerdings einen unschönen Gedanken beschert.
„General...es ist wunderbar, aber...konnten wir uns das überhaupt leisten?“
„Bah, für dich zahl ich gern ein wenig mehr. Aber musste ich hier gar nicht. Dein Material fiel mir quasi geschenkt in den Schoß.“
„Oh?“
„Eine gute Gelegenheit, dir zu erzählen, was passiert ist, während du weg warst. Wie gesagt, diese irren Kreaturen hatten mich an die Wand gehalten, und ihre Anführerin war kurz davor, ein wenig von mir zu naschen, da habe ich beschlossen, die einzige sicher sprengbare – und nebenbei auch nahste – Leiche zu benutzen, um mir ein klein wenig Luft zu verschaffen. Dein Schwert in die richtige Richtung war ein Nebengedanke, der Plan war, die Explosion gleich dafür zu nutzen, um Sarina auszuschalten; vielleicht hätte ich ein wenig mehr darüber nachdenken sollen...gut, ich bin entschuldigt, es war leicht stressig...natürlich ist deine Hand mit explodiert, die Klinge recht wild herumgewirbelt und hätte mir fast eine neue Frisur verpasst. Sarina war recht unbeeindruckt. Aber das Schrapnell deines Restkörpers hatte dafür umso beeindruckendere Resultate, und weil ich rechtzeitig geflucht hatte, waren gleich ein paar Leichen mehr da. Glücklicherweise war der Kampf gegen die Spinnen nicht wirklich manaintensiv, und wenngleich deine Spontanerzeugung ein wenig anstrengend war, blieb mir genug übrig, um ordentlich Chaos anzurichten. Eine meiner Halterinnen hatte dein Schwert abbekommen, nicht getötet worden dadurch, aber ich habe schnell einen Magier erschaffen und der hat sich darum gekümmert; dann aus ihr ein Skelett, und der Rest war Makulatur. Sarina selbst wurde noch ein wenig kitzlig, sie nahm mir etwas übel, dass ich unsere Verabredung...platzen...ließ, aber na ja. Eine Narbe mehr.“
Er greift sich mit einer kurzen Grimasse an die Seite, bevor er weiter redet.
„War dann letztlich eine ziemliche Sauerei da unten, aber das Schwarze Buch war völlig in Ordnung – ich gehe davon aus, dass das nicht nur Zufall war, aber frag mich nicht, was genau darauf gezaubert worden war. Ich habs mir geschnappt, die Armee neu erschaffen, und über ein Stadtportal Fersengeld gegeben. Hat die Wachen ziemlich überrascht, aber zum Glück kennt man mich ja mittlerweile. Ich habe ihnen versichert, dass Alles soweit in Ordnung ist – keine Frage zu Isenhart übrigens von ihrer Seite – und da war auch schon Deckard an meiner Seite. Ich erzählte ihm kurz, was passiert war...bis auf den Verrat...und bat ihn, das Portal noch offen zu lassen, und das Buch habe ich ihm auch gleich gegeben, hatte Wichtigeres vor als den Wälzer mit mir herumzutragen. Bin dann erst mal mich waschen gegangen, die Skelette haben aufgepasst, dass Niemand durchkam, von beiden Seiten nicht. Neugierige Blicke gabs genug, aber die waren mir egal.
Ein paar Liter Wasser später war Aufräumzeit. Die irren Frauen waren allesamt hübsch ausgerüstet, und viele der Panzer noch völlig intakt, das ließ ich mir nicht entgehen. Die Skelette nahmen mit, was sie tragen konnten, auch ihre Schwerter, die Schilde, ich bin mehrmals drin gewesen, die paar Portalsrollen wars mir wert, hält ja nicht über einmal hin und her aus, so ein Ding. Auch der hübsche Spiegel hier war drin. Das war Glück, dass er noch intakt ist...na ja. Ich hab Deckard gebeten, nach Magischen unter dem ganzen Zeug zu suchen, und natürlich war Sarinas Ausrüstung verzaubert. Viel Verteidigung, strahlend weiß – wurde überhaupt nicht dreckig – und soll angeblich auch die Standhaftigkeit des Trägers erhöhen oder so. Keine Ahnung, ob du davon profitierst, sieht aber hübsch aus, nicht? Hätte eigentlich auch gereicht, aber ich dachte mir, es ist nicht schlecht, wenn ich dich ein wenig mehr auspolstere, deswegen sind deine Gelenke jetzt durch diese aparten Überdeckungen aus modischem Rostrot geschützt. Ihr magisches Schwert habe ich nicht verwendet; das war besonders schnell, was prinzipiell gut ist, aber wenn schon zwei Waffen, dann gleiche, ne?
Dafür hab ich es an Hratli verkauft, der den restlichen Krempel zu einem lächerlichen Schrottpreis auch genommen hat, war mir egal, hauptsache, er hat sich als Gegenleistung für einen doch deutlichen Nachlass bereit erklärt, dich mit Sprache zu verzaubern. Mit den Komponenten bereit habe ich mich dann hierher zurückgezogen und mir etwas Muße zum Herumspielen erlaubt, Endresultat siehst du im Spiegel.“
Ich bin immer noch ziemlich überwältigt von den ganzen Geschenken, die ich erhalten habe.
„Dann...ging ja Alles gut aus.“
„Vorerst. Bleibt natürlich noch das größere Problem der Übel...und wir haben noch ein paar lose Enden aufzugreifen hier, bevor wir losmachen können. Das aber frühestens Morgen, ich brauche ein Bett. Aber noch muss das warten.“
Ich nicke ernst, die Augenbrauen zusammenziehend, um das zu betonen.
„Ja. Was genau hast du vor? Was ich mir auch denke?“
„Wenn du gleich denkst – mit dir als moralische Unterstützung bin ich mehr als bereit, einmal dezent bei Aschara anzuklopfen und ein klein wenig zu meckern.“
„Mit aller gebotenen Diplomatie, selbstverständlich.“
„Natürlich.“
Wir nicken uns noch einmal grimmig zu, dann halte ich ihm die Tür auf und wir ziehen los. Die Skelette bleiben zurück.
Wenige Minuten später klopft die Wache an unserer Statt dezent an die Tür und wir werden zu Aschara vorgelassen, die sich mit einem warmen Lächeln erhebt.
„Wie schön, Euch hier zu sehen. Hübscher Körper, Golem. Nehmt doch Platz, möchtet Ihr etwas trinken?“
Sie ist sich definitiv bewusst, dass Isenhart nicht dabei ist.
Aber ist ihre Nettigkeit nun ein gutes Zeichen?
Die Frage ist, wie sehr sie uns traut, ja. Beziehungsweise wie gut sie Isenhart wirklich kannte.
Und nicht nur, was ihr aktuelles Verhalten angeht, sondern auch, wie wir mit ihr umgehen sollte. Wenn sie uns absichtlich einen ersetzbaren Idioten mit Nekrophobie mitgeschickt hat, sollten wir unser kleines Meckern ein wenig vergrößern.
„Vielen Dank. Ich nehme Milch, wenn Ihr welche da habt, am besten kühl. Wie stehen die Dinge an der Heimatfront?“
„Oh, ausgezeichnet, wirklich ausgezeichnet. Es ist so ruhig wie nie zuvor seit dem Fall Kurasts, die Jungs beginnen fast, sich zu langweilen. Euch zu verdanken natürlich. Wie läuft es draußen?“
„Ganz gut mit ein paar kleinen Stolpersteinen. Wir haben gerade mit der Hilfe Eurer netten Unterstützung ein wichtiges Artefakt gefunden und erwarten bald Ergebnisse von Alkor, der den Anstoß dazu gab. Leider war dieser Teilsieg nicht ohne seinen Preis.“
„Ich nehme an, deswegen hat der Golem einen neuen Körper gebraucht?“
„Unter Anderem.“
Der Meister nimmt einen langen Schluck Milch, die von einem Eisenwolf still gebracht worden ist. Ich stehe hinter seinem Stuhl und halte die „Ohren“ gespitzt; die Söldner scheinen etwas angespannt, seit wir eingetreten sind. Aschara wartet in aller Ruhe, während ihr Gegenüber trinkt; sie ist oberflächlich ruhig wie immer.
Sie will die Causa Isenhart nicht selbst ansprechen.
Hm. Na ja, der Meister wird schon die richtigen Worte dafür finden.
Nun, es ist schon jetzt klar, dass ihn der Verlust nicht wirklich stört.
Er ist wohl nur ehrlich, schätze ich?
„Nebenbei war die Verbesserung dringend nötig, und das Material bot sich quasi geschenkt an, also war das ein ganz günstiger Ausgang einer recht hässlichen Angelegenheit.“
„Welche Euch herführt, schätze ich?“
„Ja.“
Und noch ein Schluck. Er lässt sich auch Zeit.
Sehr diplomatisch.
Ob sie ahnt, dass wir ziemlich sauer sind auf sie?
Sogar ich spüre die Kälte, die er absondert, und ich bin normalerweise kein großer Advokat unserer emotionalen Fähigkeiten.
Du redest wirr.
Auch Ascharas Antwort ist nur eisiges Schweigen, ich sehe ihr Dauerlächeln etwas zucken, als der Meister nicht hinsieht; mir entgeht allerdings Nichts, weil ich sehr angespannt bin. Letztlich gibt der Meister aber das Wartespiel auf.
„Ich muss Euch leider den Tod Isenharts berichten.“
Die Verwunderung um uns herum hält sich in Grenzen...diese Nachricht hatte wohl wirklich Jeder hier erwartet. Aschara verzieht dagegen in wunderschön gespieltem Bedauern das Gesicht.
„Das ist in der Tat...eine hässliche Angelegenheit. Tut mir sehr Leid, das zu hören. Darf man fragen, was genau die Umstände des Ganzen waren?“
„Dürft Ihr, ja.“
Er trinkt ganz aus, bevor er weiter redet.
„Ich habe ihn umgebracht.“
Das hingegen schockt schon eher. Ascharas Miene gefriert. Auf eine Handbewegung von ihr verstummt sofort sämtliches aufkommendes Gemurmel. Ich mache mich für alle Eventualitäten bereit.
Er geht also auf Angriff. Hoffentlich lässt er sich nicht von seinem Zorn zu Dummheiten verführen.
Dafür sind wir ja da.
Ach? Ich war bisher davon ausgegangen, dass ihr beide etwas dagegen haben könntet, die Kerle hier ein wenig aufzumischen. Wenn du natürlich meinst, dass das doch eine gute Idee ist, ich bin voll dafür. Töten wir ein paar von diesen Schwertaffen, dann wird Aschara schon merken, was für eine dumme Entscheidung es war, uns diesen unfähigen, gefährlichen Idioten mitzugeben.
Wir...nein! Natürlich töten wir keine Eisenwölfe!
Aschara hindert den Zweiten zum Glück an einer Entgegnung und reagiert mit gepresster Neutralität in der Stimme.
„Höchstwahrscheinlich habt Ihr dafür auch eine...Erklärung?“
„Die kann warten. Zunächst habe ich eine Frage. Sollte es eigentlich ein etwas makabrer Scherz sein, uns einen trinkenden Feigling mit schweren Vorurteilen gegen Totenbeschwörer mitzugeben? Fanden wir nämlich nur mäßig lustig.“
Definitiv Angriff.
Jetzt wirds spannend.
Ascharas Antwort kommt schnell.
„Was sollen jetzt Vorwürfe? Sollen die einen Mord entschuldigen?“
„Höre ich Mord? Das ist jetzt ein Vorwurf von Euch. Isenharts Ableben ist ganz allein seiner eigenen Dummheit geschuldet, aber das ist mir eigentlich ziemlich egal gerade. Die Zeit davor ist mir wichtig. Er war nämlich von Anfang an mehr eine Bürde als nützlich, hat sich geweigert, voll mit meiner Truppe zusammenzuarbeiten, weil er den Golem nicht akzeptiert hat, musste erst dazu aufgefordert werden, zu kämpfen, und, ich wiederhole mich, war am ersten Tag betrunken. Ihr wolltet mir eine echte Unterstützung geben, statt dessen musste ich auf ihn aufpassen. Der Golem hat ihm mehrmals unter Einsatz der eigenen Intaktheit das Leben gerettet, was nicht wirklich trivial ist, weil er mir deutlich wichtiger ist als ein dahergelaufener Vollidiot. Trotzdem hat er das selbstverständlich gemacht, und dafür kein Wort des Dankes geerntet. Stattdessen hat Isenhart beschlossen zu glauben, dass ich von Grund auf böse bin, warum auch immer, ich war sogar bereit, ihm einen Bonus zu zahlen, damit er glücklich ist, und mich zu töten.“
Wieder eine Überraschung für die Anwesenden. Aschara unterdrückt wieder das Gemurmel, aber es kommt diesmal nicht völlig zum Erliegen – dafür braucht es einen strengen Blick in die Runde. Sie würde gerne etwas sagen, aber der Meister ist noch nicht fertig.
„Das will ich nicht allein als seine Schuld verbuchen, immerhin haben wir draußen den gefährlichen Einfluss von Mephistos Hass, aber der fiel auf sehr fruchtbaren Boden bei Isenhart. Dass er aber versucht hat, das Schwarze Buch zu stehlen und dafür zu benutzen, vage Machtfantasien zu befriedigen, ist sicher auf seinem eigenen Mist gewachsen, und sobald wir es gefunden hatten, ist er uns ohne zu zögern in den Rücken gefallen. Vielleicht hätte er uns ohne Mephistos Übersteigerung seiner Vorurteile am Leben gelassen. Vielleicht. Dann hätte er aber schwer was zu erklären gehabt, wenn wir zurückgekommen wären, also gehe ich davon aus, dass ich so oder so ein Schwert zwischen die Rippen bekommen hätte. Die Narbe bleibt mir jetzt, zum Glück war er aus welchen Gründen auch immer heute völlig übermüdet und ohnehin ein Schwächling, also ist nur meine Toleranz für Leute, die mich verarschen wollen, zu bleibendem Schaden gekommen, die aber gewaltig. Wenn Ihr versteht, was ich meine.“
„Er hat...versucht, Euch umzubringen.“
„Ja.“
„Das...hätte ich wirklich nicht erwartet. Wenn das stimmt, tut es mir sehr Leid.“
Sie glaubt uns nicht?
Vielleicht tut sie das, aber auf Glauben baut man keine Verhandlungen auf.
Der Meister legt nur den Kopf schief. Aschara und er warten für wenige Sekunden, wer zuerst das Schweigen bricht – er, indem er sich in die Defensive stellt und ihre Zweifel versucht zu zerstreuen, die nur indirekt ausgesprochen sind, oder sie, die nachlegen muss. Ich beschließe, etwas mitzuhelfen, und senke meine ernsten Augenbrauen in grimmige Position.
Doch es ist der Meister, der nachgibt – allerdings nicht, indem er sich in eine schlechte Lage bringt.
„Was hättet Ihr denn erwartet, Aschara?“
Eine sehr gute Frage.
Sie wird garantiert nicht blind gewesen sein gegenüber Isenharts offensichtlichen Fehlern...jeder Andere, aber sie nicht.
„Ich erwarte von meinen Leuten zuallererst Loyalität. Mir gegenüber, wenn sie mir unterstellt sind, und Kunden gegenüber, wenn sie angeheuert werden. Gutes Benehmen ist Nebensache. Eine sehr von mir unterstützte Nebensache, aber ich habe hier keine Maschinen, die auf Knopfdruck funktionieren.“
Wehe, du wirfst auch nur einen Blick in meine Richtung, Frau.
Wäre etwas inakkurat, dir fehlen Knöpfe.
„Versuchen, mich umzubringen, könnte man natürlich auch als 'schlechtes Benehmen' werten.“
„Das ist selbstverständlich nicht nur schlechtes Benehmen! Wenn er das wirklich getan hat und damit davongekommen wäre, hätte ich ihn persönlich geköpft!“
Oh, da bricht aber doch etwas durch die Fassade. Die Qualität ihrer Ware lässt sie nicht gern in Frage stellen. Aschara deutet mit dem Finger auf den Meister.
„Sarkasmus können wir hier aber wirklich nicht brauchen. Es geht um einen schwerwiegenden Vorwurf von Euerer Seite und ich will hier sämtliche Details aufklären. Ernster kann die Angelegenheit fast nicht werden.“
„Ich bin stets zu einer sachlichen Diskussion bereit, dann lassen wir aber sämtliche Spielchen, ja? Mir wurde heute mit dem Tod gedroht, ich hab ein Recht darauf, mich zu beschweren. Offenbar glaubt Ihr mir nicht vorbehaltslos oder nicht Alles, von dem ich erzähle, also wenn Euch etwas stört, dann fragt, statt darauf zu hoffen, dass ich mich selbst verstricke. Wenn hingegen keine Fragen sind, dann beantwortet meine, und ohne abzulenken.“
„Keine Spielchen? Schön, ich habe Fragen. Isenhart soll betrunken gewesen sein am ersten Tag seiner Anstellung? Wie genau habt Ihr das festgestellt?“
„Das roch man. Ziemlich eindeutig. Er hatte allerdings keine besonders bemerkenswerten Leistungsbeeinträchtigungen – was für mich darauf hinwies, dass er das Trinken gewohnt war.“
„Und welchen Grund hattet Ihr, ihn als 'Feigling' zu bezeichnen?“
„Mehrere...“
So geht es eine Weile weiter. Aschara stellt bohrende Frage über bohrende Frage, die der Meister so ausführlich wie nötig, so knapp wie möglich beantwortet; er hat sich völlig unter Kontrolle, bewundernswert.
Nun, es ist nicht besonders schwer, einfach die Wahrheit zu sagen.
Ach? Manche Leute haben damit kolossale Probleme.
Nach einer Weile faltet Aschara die Hände.
„Gut, damit kann ich mir ein Bild machen von Euerer Seite der Geschichte. Mehr wird mir zunächst auch nicht übrig bleiben. Ihr hattet selbst Fragen?“
„Beginnen wir gleich mit dieser: Inwiefern deckt sich denn das Bild, das ich von Isenhart gezeichnet habe, mit dem, das Ihr bisher von ihm hattet?“
„Teilweise gut – er war ein ziemlicher Feigling und hatte ein Problem mit Aberglauben – teilweise nicht, besonders was das Trinken angeht. Das habe ich ihm nachdrücklich ausgetrieben.“
„Er war also mal Trinker?“
„Bevor er zu uns gekommen ist, ja.“
„Und seitdem keinen Rückfall?“
„Das hätte ich schnell bemerkt, dann hätte er gleich wieder gehen müssen.“
„Hm. Hat er denn teilweise den Eindruck gemacht, als würde er sehr unter gewissen Minderwertigkeitskomplexen leiden?“
„Kann ich nicht behaupten, aber er war überhaupt nicht der Typ, so etwas zu äußern. Wenn er nicht musste, hat er kein Wort mit Anderen geredet, sich oft tagelang nur um seine Waffen und Rüstungen gekümmert ohne eine einzige Unterhaltung.“
„Quasi asozial?“
„Ziemlich.“
Der Meister legt die Fingerspitzen aneinander.
„Ihr und ich sind uns also einig, dass Isenhart definitiv feige, abergläubisch und asozial war. Von tiefer liegenden Komplexen habe ich schließlich auch erst etwas gemerkt, als er im Wahn plötzlich das Reden nicht mehr aufhören konnte. Was also hat Euch dazu gebracht, diesen offensichtlich ungeeigneten Menschen als Führer für mich auszuwählen?“
Das bringt sie kurz zum Überlegen.
„Die erwähnten Grunde machen ihn zunächst nicht per se ungeeignet, nur weniger geeignet als Andere, Euch zu begleiten. Als Führer dagegen war Isenhart hervorragend geeignet, und das war der Hauptgrund, warum ich ihn erwählt habe: Ich wusste Keinen, der sich in Kurast besser auskannte als ihn. Und nur um diese Qualifikation ging es.“
„Er hat diese Auswahl aber nicht wirklich begrüßt, oder?“
„Nein, hat er nicht.“
„Aber fügen musste er sich trotzdem.“
„Natürlich.“
„Habt Ihr also einfach erwartet, dass er seine Vorbehalte schon verlieren würde?“
Aschara schüttelt den Kopf.
„Ihr versteht nicht. Seine Vorbehalte sind mir immer völlig egal gewesen. Er war sich von dem Moment an, als er bei uns eingetreten ist – die Bitte kam übrigens von seiner Seite – über eines im Klaren: Er würde sich unseren Regeln beugen, meinen Regeln, oder könnte gleich wieder gehen. Wir sind eine offene Gruppe, wir nehmen Jeden, der bereit ist, sich uns anzupassen; aber wir sind streng. Einen Fehler verzeihen wir, der zweite ist der letzte, und eine zweite Chance gibt es nur in ganz bestimmten Ausnahmefällen.“
Ich spüre richtig, wie Devak irgendwo außer Sicht zusammenzuckt.
„Isenhart hatte seinen ersten Fehler schnell begangen, und sein zweiter blieb aus bis zu dem Moment, als ich ihn Euch unterstellte. Er hatte sein Alkoholproblem unter Kontrolle bekommen, klaglos seine Arbeit an unserer Ausrüstung verrichtet, und die war immer zufriedenstellend. Seine Eignung als Führer war da, sein Unwillen offensichtlich, aber Unwillen zählt hier nicht: Es geht um nicht weniger als das Schicksal der Menschheit. Selbst, wenn dem nicht so wäre, müsste er meinen Befehlen Folge leisten, aber in einem nichtigerem Fall hätte ich mich wohl kulant gezeigt und ihn weiter in Ruhe hier schmieden lassen. Hier kannte ich aber kein Pardon.“
„Also habe ich im Grunde einen Fachidioten bekommen – er war gut fähig, uns auf den richtigen Weg zu weisen, und Ihr habt gar nicht erwartet, dass er sich in anderer Hinsicht als fähig erweist?“
„Nein. Habe ich auch nie behauptet.“
„Wäre trotzdem sehr nett gewesen zu wissen.“
„Dafür entschuldige ich mich.“
Der Meister senkt die Stirn und macht seinen Blick damit bedrohlich.
„Das reicht mir nicht.“
Das lässt Aschara für einen kurzen Moment sehr irritiert schauen. Der Meister schlägt in die Bresche.
„Ich glaube nicht, dass Euer einziger Grund dafür, mir Isenhart mitzugeben, seine besondere Kompetenz in der geforderten Richtung war. Sonst hättet Ihr mir nicht verschwiegen, dass er nur dafür zu gebrauchen war. Meines Erachtens wolltet Ihr, dass genau Isenhart mitkommt und sonst Niemand, hattet – zu Recht! - Angst, dass ich einen anderen Söldner bevorzugen würde, der sich weniger gut auskennt als er, aber besser mit mir persönlich klarkommt, und deswegen Nichts von einem speziellen Aufgabengebiet gesagt.“
„Das...das ist ein völlig aus der Luft gegriffener Vorwurf!“
„Meine Annahme ist also falsch? Ihr hattet keine Hintergedanken?“
Meine Augen sind auf ihr.
Für in etwa fünf Achtelsekunden zu lange.
Sie zögert.
Das beweist es. Kannst du es ihm sagen?
Mit voller Kontrolle kann ich es.
Ich gebe sie schnell, und während Aschara weiter versucht, auszuweichen, gibt der Zweite unsere Beobachtung weiter, indem er meine Stimme nur an einer einzigen Stelle unseres Körpers erzeugt, an der linken Brust, direkt hinter dem linken Ohr des Meisters. Dieser wartet, bis seine Gegenüber fertig gesprochen hat, dann hebt er die Hand.
„Aschara, keine Ausflüchte mehr. Wir haben vereinbart, uns die Spielchen zu sparen, also tut genau das. Ein einziges Wort will ich hören, ja oder nein: Hattet Ihr andere Gründe als seine Kompetenz als Führer, uns Isenhart mitzugeben?“
Die beiden starren sich an. Die Schlange auf Ascharas Schulter hebt ihren Kopf und schmeckt mit der Zunge die Luft. Ich halte ihren glasigen Blick wie die Menschen den ihren. Die Spannung in der Luft wäre mit Messern zu schneiden. Hinter der Stirn der Söldnerführerin ist der Konflikt offensichtlich...sie hat sich mehrfach zu unserer Sache bekannt. Will sie uns dennoch kaltblütig belügen? Denn das müsste sie, wenn sie jetzt nein sagt.
Jetzt können wir sehen, ob Deckards Einschätzung ihrer richtig war...
„...ja.“
Ein Raunen geht durch die Menge. Dieses glättet sich aber sofort von selbst, als eine andere Spannung die alte ersetzt. Der Meister wartet noch zwei Sekunden, und ich wünscht, ich könnte seine Miene sehen. Dann spricht er ein einziges Wort.
„Details.“