Meine erste Begegnung mit den Mysterien der deutschen Seele ereignete sich 1985 in dem hübschen Städtchen Krefeld. In dem italienischen Eiscafé »Lorenzo« machte mich meine nagelneue deutsche Ehefrau mit einer ihrer Schulfreundinnen bekannt. Sie erzählte mir von ihren Erfahrungen als Austauschschülerin in den USA.
»Und, hat es dir gefallen?«, frage ich, voller Hoffnung, dass meine Landsleute, auf ihr internationales Image bedacht, gut zu ihr gewesen waren.
»Es war die schlimmste Zeit meines Lebens«, sagte sie. Alle Kids um sie herum hatten viel Spaß und genossen das Leben in vollen Zügen, sie jedoch wurde ausgeschlossen und gehänselt. Sie wusste auch , warum. Kurz nach ihrer Ankunft wurde ihr gesagt: »Hier in Amerika rasiert eine junge Dame ihre Beine.« Dass sie das nicht tat, machte sie zur Zielscheibe endloser Witze. Ihr Jahr in Amerika wurde zum Jahr in der Hölle.
Höflicherweise entschuldigte ich mich für die Intoleranz meiner Landsleute, doch irgendetwas hatte ich nicht verstanden. »Warum hast du dir nicht einfach die Beine rasiert?«, fragte ich.
»Wenn ich das getan hätte«, sagte sie, »wäre ich nicht mehr ich selbst gewesen.«
Die Antwort imponierte mir. Das nenne ich Konsequenz. Eine Amerikanerin hätte vielleicht gesagt: »Ich habe meine Beine aus Protest gegen die sexistische, ungleich Behandlung von Männern und Frauen in unserer Gesellschaft nicht rasiert.« Solche Antworten hätten mich nicht überrascht. Junge Amerikanerinnen sind dafür berüchtigt, dass sie die Welt verbssern wollen. Aber keine von ihnen wäre auf die Idee gekommen, durch eine Rasur nicht mehr sie selbst zu sein.
Die Krefelderin sprach, als ob sie mit ihren Haaren ihre Seele verlieren würde. Auch wir Amerikaner kennen Seelenverlust, aber er tritt meist erst dann ein, nachdem man von einem Zombie gebissenw ird. Bei de Deutschen geht das offenbar schneller. Ich stellte sie mir vor: ein deutscher Zombie auf der High School, auf rasierten Beinen seelenlos umherirrend.
Die Deutschen scheinen ihre Identität öfter als ihre Schlüssel zu verlegen. Auf einer Studetenparty in Paassau lernte ich vor kurzem eine junge Dame kennen. Als sie hörte, dass ich Ami bin, ließ sie mich umgehend wissen: »Ich fühle mich zutiefst amerikanisiert.« Ein spezieller Fall von Identitätsverlust, mit dem sie nicht alleine dasteht.
Gleich im ersten Kapitel des 2004 erschienenen Buches von Michael Rutschky Wie wir Amerikaner wurden wird behauptet, »Deutschland hat seine Seele verloren«. Es ist lediglich die jüngste Veröffentlichung in einer langen Reihe von Büchern über die Amerikanisierung der deutschen Wirtschaft, Politk, Mediun und der Sprache. Der Begriff Kulturimperialismus wurde nicht erst von den Alt-68ern erfunden. Bereits 1920 erschien von Gustav Wilhem Meyer Die Amerikanisierung Europas und nur acht Jahre vor der Machtergreifung Hitlers schrieb der jüdische-österreichische Autor Stefan Zweig, dass die amerikanische Populärkultur mit ihren Zänzen wie dem Charleston die derzeit größte Gefahr für die Kultur darstelle.
Nicht nur Amerika bedrohte die deutsche Seele. In Englischer Kulturimperialismus - Der »Britisch Council« als Werkzeug der geistigen Einkreisung Deutschlands belegte Franz Thierfelder glaubwürdig, dass die Engländer versuchen, den Deutschen mit Hilfe von Englischkursen ihre Kultur zu rauben. Das Buch erschien 1940, zeitgleich mit der Luftschlacht um England.
Der Glaube, man könne seine Identität durch den Konsum vom Coca-Cola, Jean, Popsongs, Hollywoodfilmen und Fastfood von McDonald's verlieren, ist ziemlich deutsch. Wir Amerikaner importieren deutsches Bier, italienische Schuhe, englische Filme und mexikanische Tacos, aber sie bringen unsere Seele nicht in Gefahr. Dafür ist bei uns der Teufel zuständig. Sollte jemand prohezeien: »Nehmt euch in Acht! Bald kommt ein ausländisches Getränk und raubt euch eure Seele!« - na ja, bei uns krieg er damit nicht so schnell die Kirche voll. Nur hierzulande fürchtete man Popultur mehr als der Teufel das Weihwassers. Der Satz: »Ich wurde amerikanisiert«, ist weniger eine Feststellung als vielmehr ein Beweis, dass der Sprecher mit Lieb und Seele deutsch ist. Keiner Amerikaner würde beim Kauf eines BMWs grübel: »O Gott, werde ich nun germanisiert?« Keine amerikanische Mutter hat ihrem Kind Grimms Märchen verboten, aus Angst, das Kind könne deutsch werden. Ich bin auf Hawaii groß geworden und aß als Kind mehr Chow Mein, Sushi und Li Hing Mui als Hamburger. Doch nie hätte ich bezweifelt, dass ich Amerikaner bin. Ich lebe seit 20 Jahren in Deutschland, spreche deutsch, träume deutsch, doch ich bilde mir nicht ein, deutsch zu sein - oder gar meine Seele verloren zu haben. Die eigene Identität infrage zu stellen, also das ist einfach tyüisch deutsch.
Oder haben sie doch Recht? Haben die Deutschen ihre Seele tatsächlich an Amerika verloren? Ich wollte es wissen. An einem der wenigen sonnigen Tage im Sommer 2005 nahm ich einen Schreibblick und notierte die vier besten Sprüche über die Amerkanisierung des Germanen:
1. »Bald gibt es bei uns an jeder Ecke einen McDonald's.«
2. »Wir kaufen jeden Scheiß, der aus Amerika kommt.«
3. »In der Politik geht es nur noch um Show, wie in Amerika.«
4. »Durch die Besatzung wurde uns die amerikanische Kultur aufgezwungen.«