Kapitel 74 – Entgeisterung
Einige weitere physikalische Unmöglichkeiten später stehen ausnahmsweise wir oben und die Gegner...na ja, "unten" ist das falsche Wort, wir blicken zwar auf sie herab, rein theoretisch sind sie aber auf der gleichen Ebene, und die Säulen, die unsere Plattform "über" ihrer halten, könnten genausogut seitwärts laufen statt nach oben...aber genug davon, sonst dreh ich noch durch. Es ist also wieder eine ganze Schar von Höllenclanleuten, Gespenstern und Ghul-Fürsten, wieder eine dieser absolut harten Truppen, die uns auf diesem Weg schon des Öfteren über den Weg gelaufen sind; zum Glück sind keine Blitzspitzen zu sehen, ich habe keine Lust, mir schon wieder den Arm zu perforieren, nur damit der Meister keinen Verdacht schöpft.
Dieser liegt neben mir auf dem Boden unserer Plattform, und unsere Köpfe lugen nur wenig über den Rand, observierend.
"Himmel, muss das langweilig sein für die, die ganze Zeit darauf wartend, dass Jemand vorbei kommt..."
Ich grinse.
"Erlösen wir sie von diesem grausamen Schicksal. Aber sagt, ist dieser Ghul-Fürst nicht anders gefärbt?"
Der Meister starrt. Der, den ich meine, ist hinter drei anderen verborgen, insgesamt sind es sieben mit ihm, was ohnehin abnormal viele sind; dann bewegen sie sich ein wenig, ich sehe ihn gar nicht mehr, aber der Meister kann jetzt einen Blick darauf werfen.
"Tatsächlich - Türkis, wie ekelhaft. Ein Held, was?"
Ich nicke und überlege. Diese Gruppe wird verdammt hart, ich bin echt froh, dass wir das Überraschungsmoment auf unserer Seite haben. Der Meister schüttelt den Kopf.
"Wenn sie nur keine Fernkämpfer hätten, könnten wir sie in aller Ruhe von hier oben beharken. Aber ich hab schon eine Idee."
Die Magier treten hinter uns.
"Du gehst jetzt zurück zu diesem letzten Absatz, wo die kleine Geistergruppe von hinten gekommen ist, um den Ziegen zu helfen; ja, du erinnerst dich nur ungern, ich weiß. Warte mit zwei Skeletten auf der unteren Ebene, sie gehorchen dir, dafür sorge ich; du wirst wissen, wann deine Zeit gekommen ist. Wir legen in Bälde hier los, zögere nicht."
"Möchtet Ihr mir nicht genauer...ah!"
"Nicht zögern - tut mir Leid, dass es ein Befehl war. Aber geh jetzt schneller, sonst sehen die uns noch zu früh."
Irgendwann werde ich irre, weil er mir seine Pläne nie erklärt. Aber wenigstens funktionieren sie meistens.
Das Warten scheint ewig zu dauern. Die Skelette sind auch keine guten Gesprächspartner, du kannst eh nicht mit mir reden, wie schade...was macht der Meister nur? Ich hoffe, er ist nicht längst Staub und Asche...wobei, dann hätte ich ja sicher was gespürt...
Wie als Reaktion auf diesen Gedanken läuft mir ein Hitzeschwall den Rücken hinunter, anschließend versengt Etwas meine Fersen, aber mehr kommt nicht nach. Ich beginne, äußerst nervös zu werden...kommt irgendwann ein Todesstoß, ein letztes Aufflammen?
Mein Herz bleibt beinahe stehen, als neben mir mehrere Gestalten auf den Boden fallen. Ich springe sofort auf, brülle die Skelette an, vor mich zu laufen und anzugreifen...
"He, he, ganz ruhig. Stop, Skelette."
Es ist der Meister! Argh...mich so zu erschrecken...mit ihm sind zwei Skelette angekommen, ist das Alles, was von der Armee übrig ist?
Da höre ich ein bekanntes Heulen. Er nickt, an die Decke grinsend.
"Stell dich auf diese beiden und halte dich bereit."
Hä? Die Skelette beugen sich nieder, und ich kann perplex auf ihre Rückgräter steigen. Ich bin angespannt...
Da schweben fünf Geister durch die Decke! Noch bevor sie überhaupt bemerken, dass ich direkt unter ihnen stehe, schnellt meine Klaue auf das erste zu, und auf halben Wege wird dieses verflucht. Rapide stoße ich noch zwei Mal zu, und jedes Mal erwische ich einen Gegner sofort, da sie gar nicht an Ausweichen oder gar Zurückangreifen denken können, weil ich sie mit meiner Position hier komplett überrasche. Bald sind die Verfolger des Meisters Geschichte. Er grinst immer noch.
"Siehst du, so wird man die Geister vor den anderen los. Der Rest der Skelette sollte die Clanleute lange genug aufgehalten haben, damit sie uns jetzt nicht gleich in die Arme laufen; also, sehen wir nach, was die so treiben."
Ah! So hat er die Gruppe getrennt, an der Mündung des Weges nach oben die Skelette aufgestellt, um die Nahkämpfer nicht durchzulassen, die Gespenster gingen wie immer geradewegs auf ihn, und er konnte sie so zu mir holen, ohne dabei allzuviel seiner Armee im Sperrfeuer der Ghul-Fürsten einzubüßen.
Während ich schon den Weg "hoch"laufe, erschafft er...Wächter? Ah, natürlich, jetzt kann er die wirklich brauchen. Oben/neben uns ist Alles ruhig, aber schon sehe ich Clanleute heranrennen...
Ich stelle mich in den Flaschenhals der Wegmündung und bereite meinen Stand vor; leicht geduckt erwarte ich den ersten, der heranstürmt.
Nur wenige Zeit später steht Keiner mehr von ihnen; zwei fallen, der Rest vervollständigt die Skelettschar zu vier Wächtern und drei normalen, für Magier hat der Meister kein Mana mehr. Er zuckt mit den Schultern.
"Leider hat mich einer der Geister erwischt...gut, genug Tränke haben wir ja, immerhin lassen die dauernd welche fallen, aber die brauche ich jetzt auch nicht verschwenden."
"Es sind Gespenster..."
Geistesabwesend berichtige ich ihn, den Fakt schon lange wissend; Geister sind blau, wie die bei der Gräfin damals. Wobei, das mit den Farben...na gut, aber versaus nicht. Ich geb dir Kontrolle bei den Fürsten. Der Meister runzelt die Stirn.
"Wie unwichtig, wenngleich natürlich höööchst interessant. Kümmern wir uns um den Rest von ihnen."
Damit dreht er sich um und geht zurück. Ich renne ihm nach.
"Das ist doch die falsche Richtung!"
"Pf, ich renne doch nicht in das Feuer von sechs Ghul-Fürsten...ja, sechs, die Magier haben gleich einen ausgeschaltet. Nein, wir gehen außen herum und fallen ihnen in den Rücken."
Und ich wäre gleich auf sie zugestürmt, jetzt, wo ihre Helfer weg sind - ist das jetzt dein schlechter Einfluss? Na ja, dann musst du dich eben derweil gedulden, oder willst du lieber den Weg bis dahin gehen? Ach, genieße die Kontrolle, ich denke mir derweil ein paar Kampftaktiken aus. Ist es nicht ironisch, dass ich außerhalb des Kampfes über diesen nachdenken muss, um dich ranzulassen, und im Kampf über andere Dinge nachsinnen zu habe? So oder so bist du abgelenkt...du hast es schon schwer.
Oh, wir sind da, und der Kampf steht kurz bevor - jetzt bin ich nicht zu Taktiken gekommen. Denke ich so langsam, oder vergeht die Zeit nur anders? Wäre für dich zu hoffen, wenn du jede Sekunde meines wachen Lebens mitbekommen müsstest, würde ich an deiner Stelle ja wahnsinnig werden.
"Also, wie gesagt, wir nehmen sie in die Zange - dann los!"
Habe ich nur so das Gefühl, oder war das ein wenig zu spät, mich wieder am Bewusstsein teilnehmen zu lassen?
Aha, ich sehe schon...du hattest deine Ration Kontrolle zwar, aber weil ich die Einsatzbesprechung verpasst habe, muss ich dich gleich wieder ranlassen, sonst versagen wir. Du Bastard...
Nur noch der Held steht. Verdammt, das muss man dir lassen, kämpfen kannst du! Gut, die Wächter könnten ihren Teil dazu beigetragen haben...diese bedrängen den Türkisen gerade, aber er kann sie gut mit seinem Stab abwehren, und sämtliche Skelette sind eingefroren...oh, er hat diese Frostaura, wie einer von Griez' Söldnern damals, gut, dass ich weit genug weg stehe. Der Meister neben mir schüttelt den Kopf.
"Das kann ja dauern, bis die den klein gekriegt haben...ekelhafte Patt-Situation..."
Ich zucke mit den Schultern. Dem kann man doch abhelfen. Ich packe eine Höllenclanleiche, die von der ersten Verteidigung der Skelette gegen sie noch hier herumliegt.
"Könnt Ihr kurz den Weg frei machen?"
Der Meister grinst, und gerade, als der Ghul-Fürst ausholt, um einen geschwächten Wächter mit dem Stab zu zerschlagen, tritt dieser zur Seite und aus dem Kampf heraus. Der Fürst stutzt...und bekommt eine Ziegenleiche mitten ins Gesicht.
Sie explodiert ihm dort hinein, und er ist Geschichte. Der Meister klopft mir auf die Schulter.
"Gut gemacht! Der Weg ist frei, ich denke, das Ende ist nah!"
Kann ich nicht beurteilen, ich hab die Hälfte von nicht mitbekommen...hm, wobei, zunächst sind wir da hoch, haben diese Abzweigung ignoriert...
Du kannst mir den Grundriss des bisher Abgegangenen ins Gedächtnis schieben? Praktisch, das spart Nachteile meiner Amnesiezeiten. Ich bitte um automatische Aktualisierung, wann immer ich wieder dran bin, sonst kommen wir noch in die Bredoullie, wenn der Meister merkt, dass ich gar nicht weiß, ob wir von links oder rechts in einen Raum kamen, Dankeee...
Der Weg mündet ihn einer nach oben führenden, geschwungenen Treppe. Der Meister stutzt.
"Die erste Treppe hier, und dann auch noch statt der Plattform, die hier sein sollte? Ich denke, wir sind auf Gold gestoßen!"
Stimmt wohl...ich setze meinen Fuß darauf...
Plötzlich flammen Symbole blau blitzend auf. Die Plattform, in die die Treppe mündet, ist nicht wie die bisherigen eher kahl, sondern von einem Säulenrondell umgeben, und zwischen diesen Säulen tanzen nur Formen, die ich schon kenne - zwei Vs mit einem Dreieck im oberen, ein Quadrat, ein Bogen...
Abgelenkt davon bemerke ich gar nicht, wie ein blauer Bolzen auf meine Brust zufliegt, bis er in diese eindringt und mich einfach an Ort und Stelle festfriert. Ich kann nur noch unbeweglich aus starren nicht-Augen weiter die Symbole anblicken, während meine nicht-Ohren ein hämisches, hässliches Gelächter erreicht.
"Ihr bildet euch ein, die Zuflucht von Horazon mit euerer Präsenz beschmutzen zu können, Eindringlinge? Schmeckt meine Macht! Geister, vernichtet sie!"
Dass jetzt gelbe Schemen in mein Blickfeld schweben, schmeckt mir gar nicht. Aber zum Glück taue ich jetzt auch auf...verdammt, da kommt schon wieder so ein Bolzen geflogen! Aber ich weiche der Gletschernadel aus, nach hinten, wobei ich in einen Wächter stoße. Mensch Meister, mach Platz!
Gletschernadel? Oh, dann kümmere dich um sie, bitte, den Idioten selbst erledige ich dann schon. Sollte der nicht eigentlich tot sein? Na ja, bald ist er es.
Eine Explosion holt mich in die Realität zurück, und drei verfluchte Gespenster fegt es in Stückchen aus dem Weg. Ich springe vor, einem Bolzen ausweichend, und sehe die Quelle dieser das erste Mal:
Es ist ein kleiner Zauberer von menschlicher Statur, komplett verhüllt in gold-blauen Roben, eine gehörnte Maske auf dem Kopf, hinter ihr sich langsam weitende Augen. Sein übergroßer, genauso vergoldeter Stab, oben gekrümmt wie der eines Hirten, zittert in seiner Hand.
"Meine Geister, wie konnten sie versagen? Die Macht ist mein! Nun friere, mein Feind, ich werde dich besiegen!"
Die nächste Gletschernadel also...er schwingt seinen Stab, sie beginnt zu fliegen, und ich kann mühelos ausweichen. Jetzt weint er fast. Und ich renne weiter, packe seinen Stab und blicke ihm tief in die verängstigten Augen.
"Es sind Gespenster, und du bist nicht Horazon!"
Ich reiße ihm die Maske von Gesicht - er ist noch ein Junge, kaum älter als der Meister. Dieser tritt hinter mich. Und sein Kiefer klappt auf.
"Schabe?"
Dessen Gesicht verzerrt sich zu einer Fratze.
"Nenn mich nicht so! Ich bin Horazons Erbe, Diablo hat meinen wahren Wert erkannt, die dämonische Macht ist an mich übergegangen und wird dich besiegen!"
Hinter ihm erscheinen plötzlich drei Gespenster, und meine Hand schießt vor, weil ich das erwartet habe...aber er hat natürlich auch einen Angriff von mir erwartet, verdammt! Er duckt sich weg, ein wahnsinniges Grinsen im Gesicht, und da sehe ich es, das Fähnchen, das an seinem Stab flattert; lange habe ich kein solches mehr gesehen...bei einem Gegner. Und darum natürlich nicht darauf geachtet. Aber jetzt...ich spüre, wie mich der Fluch trifft, ohne dass sich zunächst etwas verändert, jedoch...sollte meine Haut jetzt nicht weicher werden?
Aber nein, das Fähnchen sah doch anders aus als das, welches am Stab des Meisters flattert, seit wir Kaltkrähe besiegten! Dieses hat nur ein ausgeschnittenes Kreuz in der Mitte, das Symbol des Verstärkten Schadens. Dieses hier hat einen Kreis, von dem ein kleines Segment fehlt, weil er so hoch sitzt, oben ausgeschnitten...das Symbol für...Schwächen.
Gleichzeitig kommt mir dieser Geistesblitz, als ich es merke; ich bin erfahren genug, um nicht zu stürzen, wenn ich mein volles Gewicht in einen Angriff lege, wie gerade, mein Ziel aber ausweicht; jedoch, wenn gerade in diesem Moment meine Kräfte um ein Drittel verringert werden...dann kann ich den Schwung meines Körpers nicht mehr perfekt auffangen...und falle.
Das irre Lachen „Horazons“ erfüllt meine Ohren, als ich mich hochstemme, und ich blicke für einen kurzen Augenblick genau auf die ausgestreckten Tentakel der Gespenster, bevor sie sich dorthin bohren, wo meine Augen sein sollten.