TwinYawgmoth
Champion des Hains, Storywriter of the Years
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Kapitel 80 – Die Union der Lebenden
“Euer ‘Wein’ ist hervorragend.”
Die Katze starrt noch eine Weile in ihren rubinernen Becherinhalt, bevor sie ihn absetzt.
Der Meister lacht.
„Irgendeinen Vorteil muss es ja haben, von einem ‚Fürst’ bewirtet zu werden.“
Er grinst Jerhyn zahnig an, und dieser vermeidet es niedergeschlagen, den Blick zu erwidern. Unser kurzhaariger Gast schüttelt den Kopf, in seine Richtung deutend.
„Und ich hatte vor, mit dieser Witzfigur zu verhandeln. Ich kann nur froh sein, dass du für einen Machtwechsel gesorgt hast.“
„So, wie ich froh bin, dass du es offenbar geschafft hast, die Clans unter dir zu vereinen? Ich bezweifle es. Sonst hätte das wirklich ein Verteidigungskampf sein können, als ich euch vor dem Stadttor entgegengetreten bin...“
Ich wage es, eine Frage auszusprechen, die mir schon länger auf der Zunge brennt.
„Meister, wart Ihr denn nicht überzeugt, dass sie draußen auf uns wartet? Ich kann mir ohnehin kaum vorstellen, dass Ihr genau diesen Gang der Ereignisse vorhergesehen habt...“
Die Katze starrt mich verwundert an – natürlich, sie weiß ja Nichts davon, dass ich reden kann – aber der Meister wendet nur seinen Blick ab, betont unschuldig an die Decke schauend.
„Na ja, es bestand zumindest eine gewisse Chance, dass sie es ist...und ansonsten hätten wir das doch locker geschafft...oder nicht?“
Ich schüttele den Kopf. Wahnsinn. Er hat unser Leben aufs Spiel gesetzt, weil die Situation, wie sie war, möglich war? Und da dachte ich, er hätte ein wenig Vorsicht gelernt...
Unser Gast schnurrt plötzlich, ich schätze, das kommt einem Kichern gleich...
„Du kamst mir immer als der intelligentere von euch beiden vor, Golem. Nun ja, ich denke, wenn Jerhyn den Befehl gehabt hätte, hätten wir uns wohl gegen euch verteidigen müssen – angreifen war ja nie unsere Absicht.“
„Ja, und die Stadtwachen hätten gnadenlos verloren.“
Sie nimmt noch einen Schluck und beendet die freundliche Debatte.
„Lassen wir das, und kommen zu dem, weswegen ich eigentlich hier bin. Es sind nicht nur positive Ereignisse, die mich geführt haben. Ja, ich habe die Herrschaft über Clans übernommen – aber nicht über alle. Während ihr Führer weg war, um im Viperntempel zu bluten, hat ein junger Nachttiger die Kontrolle über den Clan an sich gerissen – und er war der Idee, seine schwarzen Katzen mir unterzuordnen, wie es die führerlosen anderen getan haben, sagen wir...abgeneigt.“
Sie entblößt ihre linke Flanke; ein stellenweise von Blut bedeckter Verband presst sich an ihre Seite.
Ein Knurren dringt aus ihrer Kehle.
„Der feige Sohn einer Kaktusschlange hatte die Nerven, entgegen jeder Tradition seinen halben Clan zum Treffen mitzubringen. Jeder der anderen hat sich natürlich an die uralten Regeln gehalten und nur eine kleine Delegation samt Eskorte geschickt. Gerade hatten Alle mir Treue geschworen, da griffen sie an. Zum Glück hielten die Schwüre der anderen Clans fest – warum sollten sie auch nicht? Wer sein Wort bricht, gehört der Wüste. Aber wie die Nachttiger zeigen, ist ihnen ihr Pakt mit dem Bösen wichtiger als Alles, was unser Volk ausmacht...so konnten wir jedoch einen ehrenvollen Rückzug...in Ordnung, eine heillose Flucht hinbekommen. Meine Eskorte, mit der ich angekommen bin, besteht aus den Überresten aller anderer Eskorten – viele sind auf der Flucht vor den Nachttigern gefallen, und Niemand war bereit, Mitgliedern vormaliger Konkurrenzclans zu helfen...aber wir haben es geschafft, zu überleben, und ich denke, wir haben sie auch abgeschüttelt. Am Tag sind wir ihnen ohnehin überlegen, gerade jetzt, wo ich endlich ein wenig Verstand in diese Jungen geprügelt habe, die Soldaten sein wollen.
Aber genug davon. Wir haben also geschlossen unsere eigenen Probleme, die Nachttiger haben Dämonen auf ihrer Seite und sind damit weit stärker als jeder einzelne Clan. Zusammen können wir sie schlagen – aber wirklich nur, wenn wir alle bereit stehen. Und damit meine ich nicht nur unser Volk allein – damit meine ich auch euch Menschen. Ihr seid genauso ein Ziel der Nachttiger wie wir, und darum ist es nur logisch, wenn wir vereint gegen diese Bedrohung stehen.“
Der Meister überlegt gar nicht lange, bevor der den Mund öffnet, aber Drognan kommt ihm zuvor.
„Was Ihr vorbringt, gibt Sinn, Katze, wenn es stimmt. Da ich aber dem General vertraue und dieser Euch, sehe ich keinen Grund zum Zweifel. Ich bin bereit, ein Bündnis zu schmieden, das unser beider Interesse dient.“
Wir sehen ihn an. Er hebt eine Augenbraue.
„Ich soll die Regierung an Jerhyns Stelle führen, General? Dann lasst mich. Oder hättet Ihr eine andere Entscheidung getroffen?“
Der Meister sieht zwischen Katze und Mensch hin und her. Dann schüttelt er den Kopf.
„Natürlich nicht. Drognan, ich danke für Euer Vertrauen – übernehmt die Verhandlungen. Es tut mir ernsthaft Leid, meine Liebe, aber dies ist mir nur zu Recht – ich muss weiterziehen, in Bälde, und meine so wichtige Mission erfüllen.“
Sie nickt.
„Natürlich, der Erfolg dieser Unternehmung geht wohl jedes lebende Wesen auf Sanktuario etwas an. Ich werde hier noch so lange bleiben, bis unser Pakt geschlossen ist, und anschließend sofort am Ausbau unserer Verteidigung arbeiten. Die Clans müssen näher zusammenwachsen, und die Menschen werden ihren Teil leisten, wie auch wir den unseren in Lut Gholein leisten müssen.“
Der Meister seufzt.
„Selbstverständlich werden wir das. Hoffe ich. Ihr kümmert euch also um die Details; ausgezeichnet, das könnt ihr auch weit besser als ich, denke ich. Dann widme ich mich mal der...aufgeschobenen Sache.“
Ja, ja, die Sache...als ob es nicht schlimm genug gewesen wäre, dass ihr Fürst vor ihren Augen zusammengebrochen ist, die Bürger und natürlich ganz besonders die Stadtwachen von Lut Gholein waren...sagen wir einmal, weniger als begeistert, dass ihr vermeintlicher Retter vor der Katzenbedrohung auf einmal gemeinsame Sache mit ihnen zu machen schien. Wir mussten uns fast unseren Weg zum Palast durchkämpfen, aber dass die Katze dabei geholfen hat, Jerhyn zu tragen, war wohl genauso ausschlaggebend wie Drognans Versicherungen, es sei Alles in Ordnung, dass es nicht zu spontanen Lynchungen kam. Dennoch, wir sind vielleicht schon zu lange hier drin...der Mob wird womöglich...unruhig.
Als der Meister auf die oberste Stufe der Treppe zum Palast tritt, herrscht sofort Totenstille; er schluckt, nur für mich hörbar – eine gewaltige Masse von Menschen steht auf den Vorplatz, die Stadtwachen halten sie noch vom Palast fern, aber viele von denen scheinen weitaus eher bereit, ihn zu stürmen und die gefährliche Dämonenkatze zusammen mit dem verräterischen Totenbeschwörer herauszuholen, wie ihn vor den Leuten zu verteidigen, die im Grunde das Gleiche vorhaben. Der Meister hebt die Arme.
„Bürger von Lut Gholein! Ich bin mir sicher, die Ereignisse der letzten Stunden waren perfekt dazu geeignet, eine Mehrzahl von euch in komplette Verwirrung zu stürzen, und ich muss euch eines gestehen – ich bin auch Bürger wie ihr, und ich bin auch verwirrt. Aber ihr wollt Erklärungen, und zumindest manche kann ich euch bieten.
Es war vor nicht allzu langer Zeit, wobei es mir wie eine Ewigkeit vorkommt, dass ich auszog und mich in die Kanalisation begab, um das lange bekannte und oft umsonst bekämpfte Übel namens Radament auszurotten. Wie die Meisten von euch wissen, ging der Kampf für mich siegreich aus, Jeder von uns, der einen geliebten Freund oder Verwandten an das Monster verloren hatte, bekam seine Rache. Was ich bisher Niemand erzählte, was für mich aber beinahe wichtiger ist als dieser Sieg und diese Rache, ist, was ich damals dazugewann: Eine Freundin.
Die Voraussetzungen waren denkbar schlecht. Kurz bevor ich Radaments Lager fand, umgeben von Untoten und echten Leichen, gestankerfüllt, kalt und feucht, griff unsere kleine Armee aus Skeletten eine Gruppe von Katzenkriegerinnen an. Ich tötete die meisten und verletzte ihre Anführerin, nach hartem Kampf froh, den Sieg davongetragen zu haben, und befahl meinem Golem, dieser Helferin der Dämonen einen wahren Gnadenstoß zu verpassen, denn sie hätte weit mehr verdient als Strafe für ihre Unterstützung des Bösen als den Tod!
Es stellte sich heraus, dass mein Golem weitaus menschlicher war als ich – er verschonte ihr Leben. Und das verwunderte uns beide zutiefst. Mich – warum sollte er sie nicht töten? Sie war doch böse! – und sie – warum töteten wir sie nicht? Wir hatten sie besiegt! Oh, ich hatte noch viel zu lernen.
Es stellte sich heraus, dass sie unsere Sprache beherrschte, und wir nutzten dies. In meiner Kurzsichtigkeit hatte ich übersehen, wie viel wertvoller doch ein Gefangener ist als eine Leiche – sie konnte uns wichtige Informationen verraten, und tat dies gerne, denn sie selbst war verraten worden...von Radament selbst, wie sie durch uns herausfand. Ihr Volk hatte dem Bösen die Treue geschworen und sie war gezwungen, die Befehle von Untoten und Dämonen zu befolgen, aber ihre Meister sahen in ihr und ihren Leuten auch nicht mehr als in uns Menschen – wir sind Schlachtvieh für sie, allenfalls nervige Fliegen! Wir sind Lebende! Sie verachten uns. Sie wollen uns tot sehen. Alle. Sie waren als Opfer gegen mich geschickt worden, sie sollten sterben, damit die Untoten unter sich sein konnten, aus keinem Grund außer der Abscheu Radaments gegen Atmende.
Und in diesem Moment der Erkenntnis des Verrates erkannte sie auch etwas Anderes: Wir sind nicht nur dadurch Verwandte im Geiste, dass Blut durch unsere Adern fließt und Untote uns ausrotten wollen, dass Dämonen uns nur als Hindernisse und Werkzeuge in ihrem Kampf gegen das Gute sehen. Wir sind dadurch verwandt, dass wir alle etwas besitzen, dass als Begriff in der Form überholt sein könnte: Menschlichkeit. Mitleid, Gnade, Vertrauen: Dies besitzen Dämonen nicht, und dies verbindet uns – über alle Rassengrenzen hinweg.
Bürger! Die Katzen haben sich reingewaschen von der Verschmutzung des Bösen. Ich selbst habe ihnen dabei geholfen, ich habe das Gift in ihren Brunnen entfernt, das ihre Gedanken trübte, das sie überhaupt erst überlaufen ließ. Aber der eigentliche Schritt kam von ihrer Seite: Sie wollten Teil der Lebenden sein. Sie haben ihre Seite gewählt, es ist unsere!
In diesem Krieg, in diesem verzweifelten Überlebenskampf gegen das Böse, müssen wir Alle zusammenstehen. Das Chaos, der Tod, das sind unsere Feinde, und wir müssen ihnen entgegenwerfen, was wir besitzen – das Leben! Unser Leben! Alles, was uns ausmacht, unsere Gefühle, unsere Menschlichkeit, und das, was uns als Volk schon immer über alle Probleme hinweggeholfen hat: Unsere Solidarität.
Halten wir zusammen! Verbünden wir uns, nicht weil es uns irgendeinen Vorteil in Form von klingender Münze gibt, sondern weil wir müssen. Die Katzen, nahezu vereint unter der Freundin, die ich vor gar nicht allzu langer Zeit gewann, strecken uns ihre Pfote entgegen – ergreifen wir sie, in Freundschaft, nicht nur aus Notwendigkeit. Kämpfen wir gemeinsam gegen das Böse! Besiegen wir das Chaos! Wir sind die Lebenden! Wir sind stark!“
Seine Faust streckt sich hoch in die Luft, und das Volk bricht in Jubel aus. Seine letzten beiden Sätze werden immer wieder gerufen, ein gewaltiger Chor aus unzähligen Kehlen, und der Meister badet erneut in Glorie, schon das zweite Mal an diesem Tag...ich bemerke, dass ich ihn schon fast ehrfürchtig anstarre, und es ist mir egal. Welch Verwandlung er in dieser kurzen Zeit durchgemacht hat – vom labilen Jugendlichen zum Mann, der die Massen mitreißen kann. Wo nimmt er nur dieses Talent her? Er ist ein ausgezeichneter Stratege, ein hervorragender Redner...und er wird immer besser als Freund. Was schlummert wohl noch in ihm? Es ist fast beängstigend.
Es löst sich endgültig alle Ordnung auf, als Jerhyn und unsere Freundin aus dem Palast kommen und sich vor den Meister stellen, der respektvoll zurücktritt. Sie sehen sich an, verbeugen sich voreinander, und dann treffen sich Hand und Pfote, ein symbolischer Handschlag, der einen weit größeren Sieg im Kampf gegen das Böse darstellt, als es jede beliebige Anzahl von getöteten Dämonen je sein könnte.
Das Volk feiert die Union, die der Meister allein durch seine Persönlichkeit geschaffen hat – die nie zustandegekommen wäre, wenn er sich damals nicht mir gebeugt hätte und unsere jetzige Freundin verschont. Ein Grinsen überzieht mein Gesicht, als wir uns langsam und unauffällig davon machen, während Drognan die Einzelheiten des Paktes verließt – ein Warnsystem über Wegpunkte, Katzenflüchtlinge verschiedener Clans, aber auch Soldaten, in Lut Gholein, sogar Kulturaustausch...ich bin die Ursache dieser Entwicklung. Ich habe die Ereignisse erst möglich gemacht.
Ich bin stolz auf mich.
Wir sind die Lebenden!
Wir sind stark!
Wir sind die Lebenden!
Wir sind stark!
“Euer ‘Wein’ ist hervorragend.”
Die Katze starrt noch eine Weile in ihren rubinernen Becherinhalt, bevor sie ihn absetzt.
Der Meister lacht.
„Irgendeinen Vorteil muss es ja haben, von einem ‚Fürst’ bewirtet zu werden.“
Er grinst Jerhyn zahnig an, und dieser vermeidet es niedergeschlagen, den Blick zu erwidern. Unser kurzhaariger Gast schüttelt den Kopf, in seine Richtung deutend.
„Und ich hatte vor, mit dieser Witzfigur zu verhandeln. Ich kann nur froh sein, dass du für einen Machtwechsel gesorgt hast.“
„So, wie ich froh bin, dass du es offenbar geschafft hast, die Clans unter dir zu vereinen? Ich bezweifle es. Sonst hätte das wirklich ein Verteidigungskampf sein können, als ich euch vor dem Stadttor entgegengetreten bin...“
Ich wage es, eine Frage auszusprechen, die mir schon länger auf der Zunge brennt.
„Meister, wart Ihr denn nicht überzeugt, dass sie draußen auf uns wartet? Ich kann mir ohnehin kaum vorstellen, dass Ihr genau diesen Gang der Ereignisse vorhergesehen habt...“
Die Katze starrt mich verwundert an – natürlich, sie weiß ja Nichts davon, dass ich reden kann – aber der Meister wendet nur seinen Blick ab, betont unschuldig an die Decke schauend.
„Na ja, es bestand zumindest eine gewisse Chance, dass sie es ist...und ansonsten hätten wir das doch locker geschafft...oder nicht?“
Ich schüttele den Kopf. Wahnsinn. Er hat unser Leben aufs Spiel gesetzt, weil die Situation, wie sie war, möglich war? Und da dachte ich, er hätte ein wenig Vorsicht gelernt...
Unser Gast schnurrt plötzlich, ich schätze, das kommt einem Kichern gleich...
„Du kamst mir immer als der intelligentere von euch beiden vor, Golem. Nun ja, ich denke, wenn Jerhyn den Befehl gehabt hätte, hätten wir uns wohl gegen euch verteidigen müssen – angreifen war ja nie unsere Absicht.“
„Ja, und die Stadtwachen hätten gnadenlos verloren.“
Sie nimmt noch einen Schluck und beendet die freundliche Debatte.
„Lassen wir das, und kommen zu dem, weswegen ich eigentlich hier bin. Es sind nicht nur positive Ereignisse, die mich geführt haben. Ja, ich habe die Herrschaft über Clans übernommen – aber nicht über alle. Während ihr Führer weg war, um im Viperntempel zu bluten, hat ein junger Nachttiger die Kontrolle über den Clan an sich gerissen – und er war der Idee, seine schwarzen Katzen mir unterzuordnen, wie es die führerlosen anderen getan haben, sagen wir...abgeneigt.“
Sie entblößt ihre linke Flanke; ein stellenweise von Blut bedeckter Verband presst sich an ihre Seite.
Ein Knurren dringt aus ihrer Kehle.
„Der feige Sohn einer Kaktusschlange hatte die Nerven, entgegen jeder Tradition seinen halben Clan zum Treffen mitzubringen. Jeder der anderen hat sich natürlich an die uralten Regeln gehalten und nur eine kleine Delegation samt Eskorte geschickt. Gerade hatten Alle mir Treue geschworen, da griffen sie an. Zum Glück hielten die Schwüre der anderen Clans fest – warum sollten sie auch nicht? Wer sein Wort bricht, gehört der Wüste. Aber wie die Nachttiger zeigen, ist ihnen ihr Pakt mit dem Bösen wichtiger als Alles, was unser Volk ausmacht...so konnten wir jedoch einen ehrenvollen Rückzug...in Ordnung, eine heillose Flucht hinbekommen. Meine Eskorte, mit der ich angekommen bin, besteht aus den Überresten aller anderer Eskorten – viele sind auf der Flucht vor den Nachttigern gefallen, und Niemand war bereit, Mitgliedern vormaliger Konkurrenzclans zu helfen...aber wir haben es geschafft, zu überleben, und ich denke, wir haben sie auch abgeschüttelt. Am Tag sind wir ihnen ohnehin überlegen, gerade jetzt, wo ich endlich ein wenig Verstand in diese Jungen geprügelt habe, die Soldaten sein wollen.
Aber genug davon. Wir haben also geschlossen unsere eigenen Probleme, die Nachttiger haben Dämonen auf ihrer Seite und sind damit weit stärker als jeder einzelne Clan. Zusammen können wir sie schlagen – aber wirklich nur, wenn wir alle bereit stehen. Und damit meine ich nicht nur unser Volk allein – damit meine ich auch euch Menschen. Ihr seid genauso ein Ziel der Nachttiger wie wir, und darum ist es nur logisch, wenn wir vereint gegen diese Bedrohung stehen.“
Der Meister überlegt gar nicht lange, bevor der den Mund öffnet, aber Drognan kommt ihm zuvor.
„Was Ihr vorbringt, gibt Sinn, Katze, wenn es stimmt. Da ich aber dem General vertraue und dieser Euch, sehe ich keinen Grund zum Zweifel. Ich bin bereit, ein Bündnis zu schmieden, das unser beider Interesse dient.“
Wir sehen ihn an. Er hebt eine Augenbraue.
„Ich soll die Regierung an Jerhyns Stelle führen, General? Dann lasst mich. Oder hättet Ihr eine andere Entscheidung getroffen?“
Der Meister sieht zwischen Katze und Mensch hin und her. Dann schüttelt er den Kopf.
„Natürlich nicht. Drognan, ich danke für Euer Vertrauen – übernehmt die Verhandlungen. Es tut mir ernsthaft Leid, meine Liebe, aber dies ist mir nur zu Recht – ich muss weiterziehen, in Bälde, und meine so wichtige Mission erfüllen.“
Sie nickt.
„Natürlich, der Erfolg dieser Unternehmung geht wohl jedes lebende Wesen auf Sanktuario etwas an. Ich werde hier noch so lange bleiben, bis unser Pakt geschlossen ist, und anschließend sofort am Ausbau unserer Verteidigung arbeiten. Die Clans müssen näher zusammenwachsen, und die Menschen werden ihren Teil leisten, wie auch wir den unseren in Lut Gholein leisten müssen.“
Der Meister seufzt.
„Selbstverständlich werden wir das. Hoffe ich. Ihr kümmert euch also um die Details; ausgezeichnet, das könnt ihr auch weit besser als ich, denke ich. Dann widme ich mich mal der...aufgeschobenen Sache.“
Ja, ja, die Sache...als ob es nicht schlimm genug gewesen wäre, dass ihr Fürst vor ihren Augen zusammengebrochen ist, die Bürger und natürlich ganz besonders die Stadtwachen von Lut Gholein waren...sagen wir einmal, weniger als begeistert, dass ihr vermeintlicher Retter vor der Katzenbedrohung auf einmal gemeinsame Sache mit ihnen zu machen schien. Wir mussten uns fast unseren Weg zum Palast durchkämpfen, aber dass die Katze dabei geholfen hat, Jerhyn zu tragen, war wohl genauso ausschlaggebend wie Drognans Versicherungen, es sei Alles in Ordnung, dass es nicht zu spontanen Lynchungen kam. Dennoch, wir sind vielleicht schon zu lange hier drin...der Mob wird womöglich...unruhig.
Als der Meister auf die oberste Stufe der Treppe zum Palast tritt, herrscht sofort Totenstille; er schluckt, nur für mich hörbar – eine gewaltige Masse von Menschen steht auf den Vorplatz, die Stadtwachen halten sie noch vom Palast fern, aber viele von denen scheinen weitaus eher bereit, ihn zu stürmen und die gefährliche Dämonenkatze zusammen mit dem verräterischen Totenbeschwörer herauszuholen, wie ihn vor den Leuten zu verteidigen, die im Grunde das Gleiche vorhaben. Der Meister hebt die Arme.
„Bürger von Lut Gholein! Ich bin mir sicher, die Ereignisse der letzten Stunden waren perfekt dazu geeignet, eine Mehrzahl von euch in komplette Verwirrung zu stürzen, und ich muss euch eines gestehen – ich bin auch Bürger wie ihr, und ich bin auch verwirrt. Aber ihr wollt Erklärungen, und zumindest manche kann ich euch bieten.
Es war vor nicht allzu langer Zeit, wobei es mir wie eine Ewigkeit vorkommt, dass ich auszog und mich in die Kanalisation begab, um das lange bekannte und oft umsonst bekämpfte Übel namens Radament auszurotten. Wie die Meisten von euch wissen, ging der Kampf für mich siegreich aus, Jeder von uns, der einen geliebten Freund oder Verwandten an das Monster verloren hatte, bekam seine Rache. Was ich bisher Niemand erzählte, was für mich aber beinahe wichtiger ist als dieser Sieg und diese Rache, ist, was ich damals dazugewann: Eine Freundin.
Die Voraussetzungen waren denkbar schlecht. Kurz bevor ich Radaments Lager fand, umgeben von Untoten und echten Leichen, gestankerfüllt, kalt und feucht, griff unsere kleine Armee aus Skeletten eine Gruppe von Katzenkriegerinnen an. Ich tötete die meisten und verletzte ihre Anführerin, nach hartem Kampf froh, den Sieg davongetragen zu haben, und befahl meinem Golem, dieser Helferin der Dämonen einen wahren Gnadenstoß zu verpassen, denn sie hätte weit mehr verdient als Strafe für ihre Unterstützung des Bösen als den Tod!
Es stellte sich heraus, dass mein Golem weitaus menschlicher war als ich – er verschonte ihr Leben. Und das verwunderte uns beide zutiefst. Mich – warum sollte er sie nicht töten? Sie war doch böse! – und sie – warum töteten wir sie nicht? Wir hatten sie besiegt! Oh, ich hatte noch viel zu lernen.
Es stellte sich heraus, dass sie unsere Sprache beherrschte, und wir nutzten dies. In meiner Kurzsichtigkeit hatte ich übersehen, wie viel wertvoller doch ein Gefangener ist als eine Leiche – sie konnte uns wichtige Informationen verraten, und tat dies gerne, denn sie selbst war verraten worden...von Radament selbst, wie sie durch uns herausfand. Ihr Volk hatte dem Bösen die Treue geschworen und sie war gezwungen, die Befehle von Untoten und Dämonen zu befolgen, aber ihre Meister sahen in ihr und ihren Leuten auch nicht mehr als in uns Menschen – wir sind Schlachtvieh für sie, allenfalls nervige Fliegen! Wir sind Lebende! Sie verachten uns. Sie wollen uns tot sehen. Alle. Sie waren als Opfer gegen mich geschickt worden, sie sollten sterben, damit die Untoten unter sich sein konnten, aus keinem Grund außer der Abscheu Radaments gegen Atmende.
Und in diesem Moment der Erkenntnis des Verrates erkannte sie auch etwas Anderes: Wir sind nicht nur dadurch Verwandte im Geiste, dass Blut durch unsere Adern fließt und Untote uns ausrotten wollen, dass Dämonen uns nur als Hindernisse und Werkzeuge in ihrem Kampf gegen das Gute sehen. Wir sind dadurch verwandt, dass wir alle etwas besitzen, dass als Begriff in der Form überholt sein könnte: Menschlichkeit. Mitleid, Gnade, Vertrauen: Dies besitzen Dämonen nicht, und dies verbindet uns – über alle Rassengrenzen hinweg.
Bürger! Die Katzen haben sich reingewaschen von der Verschmutzung des Bösen. Ich selbst habe ihnen dabei geholfen, ich habe das Gift in ihren Brunnen entfernt, das ihre Gedanken trübte, das sie überhaupt erst überlaufen ließ. Aber der eigentliche Schritt kam von ihrer Seite: Sie wollten Teil der Lebenden sein. Sie haben ihre Seite gewählt, es ist unsere!
In diesem Krieg, in diesem verzweifelten Überlebenskampf gegen das Böse, müssen wir Alle zusammenstehen. Das Chaos, der Tod, das sind unsere Feinde, und wir müssen ihnen entgegenwerfen, was wir besitzen – das Leben! Unser Leben! Alles, was uns ausmacht, unsere Gefühle, unsere Menschlichkeit, und das, was uns als Volk schon immer über alle Probleme hinweggeholfen hat: Unsere Solidarität.
Halten wir zusammen! Verbünden wir uns, nicht weil es uns irgendeinen Vorteil in Form von klingender Münze gibt, sondern weil wir müssen. Die Katzen, nahezu vereint unter der Freundin, die ich vor gar nicht allzu langer Zeit gewann, strecken uns ihre Pfote entgegen – ergreifen wir sie, in Freundschaft, nicht nur aus Notwendigkeit. Kämpfen wir gemeinsam gegen das Böse! Besiegen wir das Chaos! Wir sind die Lebenden! Wir sind stark!“
Seine Faust streckt sich hoch in die Luft, und das Volk bricht in Jubel aus. Seine letzten beiden Sätze werden immer wieder gerufen, ein gewaltiger Chor aus unzähligen Kehlen, und der Meister badet erneut in Glorie, schon das zweite Mal an diesem Tag...ich bemerke, dass ich ihn schon fast ehrfürchtig anstarre, und es ist mir egal. Welch Verwandlung er in dieser kurzen Zeit durchgemacht hat – vom labilen Jugendlichen zum Mann, der die Massen mitreißen kann. Wo nimmt er nur dieses Talent her? Er ist ein ausgezeichneter Stratege, ein hervorragender Redner...und er wird immer besser als Freund. Was schlummert wohl noch in ihm? Es ist fast beängstigend.
Es löst sich endgültig alle Ordnung auf, als Jerhyn und unsere Freundin aus dem Palast kommen und sich vor den Meister stellen, der respektvoll zurücktritt. Sie sehen sich an, verbeugen sich voreinander, und dann treffen sich Hand und Pfote, ein symbolischer Handschlag, der einen weit größeren Sieg im Kampf gegen das Böse darstellt, als es jede beliebige Anzahl von getöteten Dämonen je sein könnte.
Das Volk feiert die Union, die der Meister allein durch seine Persönlichkeit geschaffen hat – die nie zustandegekommen wäre, wenn er sich damals nicht mir gebeugt hätte und unsere jetzige Freundin verschont. Ein Grinsen überzieht mein Gesicht, als wir uns langsam und unauffällig davon machen, während Drognan die Einzelheiten des Paktes verließt – ein Warnsystem über Wegpunkte, Katzenflüchtlinge verschiedener Clans, aber auch Soldaten, in Lut Gholein, sogar Kulturaustausch...ich bin die Ursache dieser Entwicklung. Ich habe die Ereignisse erst möglich gemacht.
Ich bin stolz auf mich.
Wir sind die Lebenden!
Wir sind stark!
Wir sind die Lebenden!
Wir sind stark!