Kapitel 33 – Katzengeschichte
Ich muss wohl ohnmächtig geworden sein, die Strapazen im Grab waren zu viel...jetzt liege ich auf jeden Fall auf dem Bauch, allerdings durchaus bequem, wenn man diverse blaue Flecke – bei mir sind die wohl röter als der Rest des Körpers – Prellungen und offene Wunden beiseite legt. Wobei das wohl viel schlimmer sein könnte, wenn die Unterlage eben nicht weich wäre.
Ich stöhne ein wenig, als ich den Kopf zur Seite drehe, und stelle fest, dass ich vorerst zufrieden bin, in ein Kissen zu atmen. Da höre ich ein Geräusch, dass ich als Rücken eines Stuhls identifiziere, nachdem Jemand an die Seite meines Liegeortes getreten ist.
„Bleib mal ganz ruhig, wir kümmern uns schon um dich und deinen Meister. Ist übrigens praktisch, die Verbindung, wir können beide Seiten gleichzeitig behandeln...er hat sich leider geweigert, auf dem Bauch zu liegen, das heißt, du musst das übernehmen.“
War ja klar. Die Stimme ist, soweit ich das erkennen kann, die der haarlosen Kriegerin, die wir schon kennen...
„Ich denke mal, ihr beide habt ein paar Fragen, die vor Allem mit Warum anfangen. Aber das klären wir, wenn es euch wieder besser geht, vorerst müsst ihr noch ein wenig genesen. Ich denke, ich wechsle gleich die Bandagen, die brauchen es.“
Also spüre ich bald angenehm pelzige Hände auf meinen Schultern, die Leinenstoff lösen und sanft neu wickeln. Hm...danach verschwindet sie wieder. Wenn es dem Meister also auch gut geht – zumindest hat er wohl keine Schmerzen außer dem offensichtlichen – kann ich beruhigt wieder einschlafen, was ich auch mache.
Als ich wieder aufwache, ein Laken wild um mich geschlungen, geht es mir wieder fast völlig gut. Zum Glück, denn mit einigen Wunden wäre mir so unruhiger Schlaf wohl schlecht bekommen. Warum eigentlich unruhig?
Da fällt mir ein, was mich während meiner Träume – die jetzt scheinbar häufiger kommen – gequält hat. Wir liegen hier mehr oder weniger faul herum, und Diablo befreit derweil seinen Bruder!
Ich springe aus dem Bett und bin momentan ein wenig desorientiert, aber das legt sich schnell. Um mich herum ist eine Höhle, beleuchtet von einer Öllampe, die in einer Ecke vor sich hin flackert. Außer einem Tischchen neben dem Kissen, einem Stuhl und einer Tür sind die groben Steinwände unmöbliert. Muss wohl auch nicht sein. Irgendwelche Stoffe sind von meinem Rücken gefallen, als ich aufgestanden bin, ich streife den Rest von ihnen ab und öffne die Tür.
Gleißendes Sonnenlicht dringt in meine Augen. Aaaah...ich schließe sie schnellstens und halte mir die Hand vor, durch deren Finger ich so Einiges erblicke.
Meine Höhle ist hier definitiv nicht die einzige. Ich stehe am Rand eines Talkessels, dessen Steinwände durch und durch mit Löchern übersäht sind, die durch ein kompliziertes Labyrinth aus Gerüsten, Seilen und Flaschenzügen verbunden sind. Überall auf diesen Brücken aus Holz und Stein laufen Katzenmenschen herum; dies hier ist eine wahre Großstadt, höchstwahrscheinlich perfekt durchorganisiert, und, als mein Blick auf grüne Gärten – in der Wüste! – fällt, autark. Der ganze Talboden ist durchzogen von Beeten, Hainen und weniger geordnet angepflanzten Sträuchern. Der Ort hier ist ideal; wenn es denn einmal regnet, muss sich das ganze Wasser in dem Tal ansammeln, und das Gebirge zur Begrenzung fängt die Wolken auf. Wer immer diese Stadt gegründet hat, hatte wirklich Hirn. Vielleicht ist es seine Statue, die monolithisch in der Mitte des Ganzen steht, darum herum ein Platz, gepflastert und frei von Vegetation.
Erstaunlich, wirklich. Eine einzige Hauptstraße, durch ein momentan geschlossenes, riesiges Tor abgeschnitten, führt von diesem Platz aus nach draußen.
Da höre ich Zischlaute links von mir. Ich wende ihnen meinen Blick zu, und sehe drei Katzenkinder, nicht größer als ein Meter und richtig flauschig, die mich entsetzt ansehen und dann heillos über den Rand der Plattform fliehen. Moment mal! Ich renne dorthin und sehe, wie sie sich an Seilen agil herunterhangeln. Na schön, Nichts passiert. Aber ich bin wohl doch kein alltäglicher Anblick...hm...
Vorerst ziehe ich mich wieder in die Höhle zurück, aus der ich gekommen bin. Es hat keinen Sinn, zu viel Aufsehen zu erregen, wenn offenbar nicht Jeder über meine Anwesenheit informiert ist. Ich würde gerne den Meister suchen, aber wo beginnen? Also warte ich.
Kurze Zeit später klopft es an der Tür; da ich kein „Herein“ rufen kann, öffne ich einfach. Ein Gesicht mit sehr kurzem Pelz grinst mich an.
„Na, schon auf Ausgang? Du wirst wohl deinen Meister vermissen, ich denke, der sollte auch langsam wach sein. Ich führ dich hin, aber zieh dir deine Sachen über, muss nicht gleich Jeder wissen, wen wir hier als Gast haben.“
Sie hat meine Rüstung und die Kappe dabei! Ich schlüpfe zusätzlich noch in die Stiefel, die ich auf fragenden Blick als neben dem Bett stehend gewiesen bekomme, und binde mir auf Weisung ein Tuch um die untere Hälfte des Gesichts, sodass man nur meine Augen sieht. Tarnung mangelhaft, aber bei so vielen Leuten hier drin wird wohl Niemand zweimal hinsehen.
Und doch tun sie es, alle, an denen wir vorbeigehen, auf dem Weg zum Meister hin, wenn ich ihr glauben kann. Sie sehen aber nicht auf mich, höchstens nebenbei, sondern auf sie. Bekannt, die Dame? Nun ja, egal, das werden wir wohl früh genug erfahren. Nur zwei Etagen höher und fünf Höhlen seitlich weiter, wenn mich mein Orientierungssinn nicht trügt, was er nie tut, haben wir unser Ziel erreicht; wieder klopf sie an, und diesmal ertönt das „Herein“ aus bekannter Kehle.
Der Meister liegt auf seinem Bett mit hinter dem Kopf verschränkten Armen und starrt an die Decke.
„Ist denn schon Essenszeit?“
Meine Begleiterin lacht.
„Du denkst nur an das Eine, was? Nein, ich habe dir deinen Freund mitgebracht.“
Der Meister wirft mir ein Auge zu.
„Kenn ich den?“
Tarnung? Ich nehme das Tuch ab.
„Ach so, mein Golem. Sag das doch gleich.“
Als ob Freund nicht reichen würde. Nicht wahr? Aber was rege ich mich schon wieder auf...die Katze deutet auf den einen freien Stuhl, und ich bedeute ihr, sich doch statt mir zu setzen. Sie winkt ab...dann runzelt der Meister die Stirn, steht auf, nimmt den Stuhl, und weist uns beiden das Bett zu. Schön, können wir Alle sitzen. Neben mir beginnt die Katze zu reden.
„Euch stehen die Fragen ins Gesicht geschrieben, und ich denke, es ist Zeit, ein paar zu beantworten.
Wir Katzen sind ein altes Volk dieser Wüste, und leben schon lange in Oasen wie dieser. Keiner weiß, woher wir stammen, aber man vermutet, dass uns irgendeiner der alten Zauberer erschaffen hat, entweder als experimentielle Hybriden, oder als Strafe aus normalen Menschen. Dass wir von einem erschaffen wurden, könnte zumindest diese ganzen Riesenstatuen erklären, die überall herumliegen. Der Stil erinnert an unseren, sie sind also felinen Ursprungs, und zeigen wohl einen vergöttlichten Menschen, eventuell eben den Schöpfer. Wir haben eine hier aufgestellt, als Erinnerung an diese Legenden, und weil sie prima ins Stadtbild passt.
Nun ja, das zu unserem Volk an sich. Wie gesagt, Oasen beheimaten uns, und darum sind wir schon ewig in verschiedene Stämme aufgeteilt, pro Oase einer. Wir bleiben viel unter uns, aber im Interesse der Rasse schicken wir gelegentlich junge Leute fort, die sich einem anderen Stamm anschließen sollen, damit eine gesunde Mischung entsteht. Sonst bleiben wir aber ziemlich unter sich.
Das war zumindest so, bis das Böse sein hässliches Haupt erhoben hat, und auch die Wüste erreichte. Die Legionen der Dämonen haben auch uns heimgesucht, aber im Gegensatz zu den Menschen haben wir nicht auf die Hilfe einer höheren Macht in Form eines engelsgegründeten Ordens zurückgreifen müssen; die Clanchefs haben sich zusammengesetzt und eine gemeinsame Führung gewählt, und so haben wir uns wehren können. Der Krieg ging lange hin und her, aber wir haben standgehalten. Dann verschwanden die Bestien mit der ersten Verbannung der Übel.
Jetzt sind sie wieder da, aber unsere überclanliche Regierung gibt es auch immer noch. Nur leider haben wir uns da auch Ärger mit eingehandelt, da die oberste Anführerin beschlossen hat, diesmal nicht zu kämpfen, sondern um „unnötige Tode“ zu vermeiden, eine Allianz mit dem Bösen zu schließen. Uns wurde in der Tat ein Angebot unterbreitet, die Kampfstärke des felinen Volkes wurde durchaus bemerkt damals...ich schätze nur, dass dieses Angebot mit gewissen anderen Mitteln untermalt wurde, und dass die Anführerin deshalb zugestimmt hat. Ihr habt sie bereits kennengelernt, und der Golem hat sie gottseidank getötet, aber sie war definitiv nicht immer so drauf. Der Kontakt mit dem Bösen hat sie wahnsinnig werden lassen.
Und durch sie eine Menge Angehörige unseres Volkes. Man wird sehr leicht verdorben, wenn man keine Wahl hat. Ich will unsere Taten nicht beschönigen, aber ganz allein sind wir nicht daran schuld, dass wir böse wurden.
Nun, das ist jetzt vorbei, wenn es nach mir geht. Ihr habt mich befreit aus der Gewalt der Untoten, und ich konnte nach meiner Flucht aus Lut Gholein erst einmal einen klaren Kopf bekommen. Diese Klarheit habe ich auch geschafft, meinem Clan einzutrichtern, was nicht allzu leicht war, aber man hat gewisse Privilegien als Chefin. Wenn man erst mal am Zuhören ist, geht es leicht.
Also, Zusammenfassung: Wir hier sind die einzigen Vertreter des Katzenvolkes, die nicht mit dem Bösen im Bunde sind, aber das müssen wir nicht bleiben. Ich gedenke, nach Bluthexes Tod den Vorsitz über die allgemeine Regierung zu gewinnen, und Vernunft in die Köpfe der restlichen Clanführer zu prügeln, die das dann mit ihren Untertanen machen können.“
Der Meister hat ihr konzentriert gelauscht, was ich gut von ihm finde, da er früher doch des Öfteren sehr ungeduldig wurde, wenn Andere so viel redeten wie er. Jetzt, da sie scheinbar fertig ist, meldet er sich zu Wort.
„Ich muss sagen, dass ich euch natürlich sehr dankbar bin für das, was ihr für uns getan habt. Vor Allem du natürlich. Jetzt stellt sich mir die Frage, und ich bitte um Verzeihung, wenn ich die auch aussprechen muss, ob du uns die ganze Geschichte einfach nur aus dem Willen zum Verstandenwerden erzählt hast, oder ob da mehr dahintersteckt...“
Sie grinst.
„Schlau, Totenbeschwörer, denn ich wollte in der Tat auf etwas hinaus. Ihr habt mein Leben in der Kanalisation verschont und so diesen Prozess der Reinigung unseres Volkes in Gang gesetzt, wofür ich euch sehr dankbar bin; außerdem habt ihr uns von Bluthexes verwirrter Herrschaft befreit und mir die Möglichkeit gegeben, die Situation herumzureißen. Dafür habe ich euch natürlich auch das Leben gerettet, womit wir quitt wären. Oder ich euch noch ein wenig mehr schulden würde. Dennoch möchte ich etwas von euch erbitten, das ihr nicht tun müsst, aber womöglich so oder so machen würdet.
Es geht um meinen Clan selbst. Das Böse hat uns dadurch unter Kontrolle gehalten, dass es unsere Wasserversorgung vergiftet hat. Ich will nicht wissen, was für Zeug sie da hinein geschüttet haben, aber es hat uns auf jeden Fall zu nicht mehr als willenlosen Tieren gemacht; in der Kanalisation gab es zwar nur Dreckswasser, aber dafür war es von dieser Substanz rein, was mich schon wieder klarer hat denken lassen. Als ich hierher kam, und das gemerkt habe, habe ich sofort Destillation angeordnet, und die Quellen untersuchen lassen. Es stellte sich heraus, dass die Ursache des Ganzen in einem Höhlensystem liegt, von dem man das Grundwasser erreichen kann, das unsere Brunnen speist. Wir wissen schon lange, dass dort eine gewaltige Wurminfestion vorherrscht, aber diese eher harmlosen Tiere haben uns nie gestört, weil wir da nicht reingehen müssen, um unser Wasser zu holen.
Das Problem ist nun, dass die Würmer nicht mehr harmlos sind; das Böse hat sie zu riesigen, sich rasant vermehrenden, giftigen Killermaschinen gemacht. Die unser Wasser mit dieser Substanz versehen.
Du hast mir ja erzählt, dass ihr auf dem Weg zur Verlorenen Stadt seid, weil sich dort der Viperntempel befindet, in dem ist, was ihr sucht. Nun, das Amulett ist, wenn ich mich recht entsinne, nur der eine Teil des Horadrim-Stabes, ihr braucht auch den Schaft...und der liegt in der Wurmgruft. Verstehst du mein Ansinnen?“
Des Meisters Augen weiteten sich schon bei der Erwähnung der Würmer, und jetzt ist sein offensichtlicher Verdacht bestätigt. Er nickt.
„Wenn ich da sowieso hinmuss, werde ich die Höhle natürlich für euch säubern. Gut, dass es kein Umweg ist, sonst hätte ich aus Zeitmangel ablehnen müssen – warum habt ihr mich eigentlich nicht mit Heiltränken behandelt?“
Sie grinst humorlos.
„Die haben nicht gewirkt, ich schätze, das lag an den Giftspuren. Auch, wenn das Gift nicht so effektiv war, wie Bluthexe zu glauben schien.“
Tja, warum wohl – vielleicht kann ich das dem Meister ja irgendwann sagen. Dieser jedenfalls steht auf.
„Nun denn, eigentlich haben wir schon viel zu lange gewartet. Lebt Pratham noch, der Söldner, der bei mir war?“
Sie nickt.
„Ich führe euch gleich hin.“
„Schön. Golem, lass dich hinführen und zeig mir danach den Weg; ich mach mich derweil fertig, wir ziehen gleich los.
Aber vorher muss er mir noch ein paar Fragen beantworten.“