Kapitel 30 – Engstelle
Die Erkenntnis überkommt mich auf der Treppe ins dritte Untergeschoß. Ich hatte keine Probleme mehr gehabt, trotzdem wurde ich vom Meister in die Nachhut verdammt; Pratham geht jetzt dem Führungsskelett nach. Es gab noch ein paar Scharmützel, aber ich war nicht involviert, und so konnte ich meine Gedanken schweifen lassen. Der erste dieser Krämpfe überfiel mich, als ich einen Katzenkrieger töten, der zweite, als ich den Meister retten wollte. Vorher hatte ich so etwas nicht. Was hat sich verändert? Es kann nicht die Umstellung auf Blutgolem-Form gewesen ein, sonst wäre mir so etwas früher passiert. Vielleicht.
Obwohl ich mir da nicht absolut sicher bin, ist es doch viel wahrscheinlicher, dass entweder die Verbesserung meiner selbst oder die Kontrollverstärkung des Meisters Schuld hat. Auswirkungen der ersten Veränderung: Einziehbare Klauen. Frühere Auswirkugngen einer Veränderung: Stärkung der Kampfpersönlichkeit. Erster Ansatzpunkt also: Hat er etwas mit den Krämpfen zu tun?
Unwahrscheinlich! Mein Körper ist seiner. Er wird die Schmerzen auch spüren, und selbstmordgefährdet schien er mir nicht.
Außerdem war der Meister beim zweiten Mal ebenfalls in Gefahr, und seine fanatische Fixierung auf ihn hätte ihn meines Erachtens ein solches Risiko nicht eingehen lassen – wofür auch? Um mich in den Augen des Meisters abzuwerten? Lächerlich! Das ist ja kein Streit um die Gunst eines Vorgesetzten, höchstens einer um interne Kontrolle. Bleiben also Auswirkungen der Kontrollverbesserung, die den negativen Effekt haben könnten. Welche wären das außer der offensichtlichen? Schnelligkeit und bessere Überlebensfähigkeit.
Sehnenzerrungen durch zu schnelles Rennen? Also, bitte!
Es läuft also darauf hinaus, was ich sowieso vermutete: Die bedingungslose Befehlsbefolgung muss die Ursache sein.
Gut, der Meister hat mir nie befohlen, in Pein zu geraten, wenn ich ihn retten will.
Ein peripherer Seiteneffekt, eine Nebenwirkung von etwas?
Schuhe drücken, Rüstung zu eng?
Nein! Es liegt an der Befehlsgeschichte. Und jetzt fällt mir noch etwas auf: Nur ich spüre die Schmerzen! Es ist nicht physiologisch. Befehle, Befehle! Was ist es mit ihnen? Ich krame in meinem fotographisch gespeicherten Erinnerungsbildern der Vorfälle. Und da fällt es mir, eben auf der erwähnten Treppe, siedend heiß ein:
„Töte einen von ihnen!“ war der Befehl des Meisters im Kampf mit den Katzen.
Einen.
Verdammt, warum bin ich da nicht gleich drauf gekommen? Mein Ziel, das ich nicht töten konnte, wäre der zweite Tote gewesen! Ich hätte also gegen den Wortlaut des Befehls verstoßen. Es ist lächerlich, dass dieser genau eingehalten werden muss, aber...
Trotzdem, das mus es sein!
„Mach mir den Weg frei!“, der Befehl vor dem zweiten Vorfall – und ich war im Begriff, eben jenen Weg zu versperren, um den Meister wegzureißen, als mich die Schmerzen trafen.
Ich schaudere. Ein Strafmechanismus, der Zuwiderhandlung gegen einen Befehl verhindert? Auch, wenn dies womöglich nötig wäre?
Himmel! Ich muss ihn zu überlisten lernen, sonst passiert garantiert ein Unglück!
Vorerst besteht ja keine Gefahr, aber nur so lange nicht, wie ich mich aus Kämpfen raushalte. Und auch ganz normale Anweisungen könnten böse enden. Ich will gar nicht daran denken.
Jetzt erst mal geht das vordere Skelett durch eine Tür, und ich höre Kampfgeräusche. Pratham bleibt erst einmal stehen, das nächste Skelett auch, bis die Kolonne zum Halten gekommen ist; dann dreht sich der Söldner um und teilt uns mit, dass der nächste Raum voller Skelette ist.
„Dabei hab ich doch nur eines reingeschickt...“
Der Meister gibt sich lustig, aber er ist doch ein wenig nervös. Na ja. Das Vorhutskelett ist wohl weg vom Fenster, weil jetzt gleich zwei aus der Tür drängen, die doch recht eng ist. Pratham weicht aus, weil seine Lanze recht ineffektiv ist, und lässt das den Krieger hinter sich machen. Der weicht mit ihm zurück, bis der Meister ihm seufzend den Angriff befiehlt. Die haben keine Probleme, jeden Befehl bis ins Detail auszuführen.
Der erste Gegner fällt, aber einer hinter ihm nimmt seine Position ein. Der Meister ersetzt sein hinter der Tür gefallenes Skelett mit dessen Leiche, und zaubert verstärkten Schaden. Noch eines von uns stellt sich den beiden Gegnern, die gleichzeitig in der Tür stehen können, und der Kampf verschiebt sich dank des Fluches zu unseren Gunsten. Die ersten beiden Gegner fallen, die nächsten beiden werden wieder verflucht, fallen, und wir drängen sie zurück.
Plötzlich sind unsere zwei Skelette von fünf Gegnern umgeben, da sie im nächsten Raum angelangt sind und somit nicht mehr den Schutz der Tür haben. Sie werden niedergemacht. Der Meister erzeugt neue – halt, nur eines? – egal, und gibt Order, die Gegner kommen zu lassen, statt in den Raum einzudringen. Stupide kommen sie auch, und wir erwarten sie. Die neuen Skelette von uns haben Knüppel statt Schwerter wie die Gegner, und zerstören damit Knochen noch und (k)nöcher.
Nach einer Weile stummen Kampfes, bei dem wirklich kein Stöhnen auf das Klappern der Waffen folgt, frage ich mich langsam, wie viele denn noch hinter der Tür auf uns warten? Wir sind ihnen haushoch überlegen, aber verlieren doch immer ein Skelett für fünf von ihnen, trotzdem musste der Meister schon vier Mal für Nachschub sorgen. Nimmt das kein Ende?
Er runzelt die Stirn und winkt mich zu ihm.
„Das wird irgendwie gar Nichts. Ich mach das ungern, aber ich denke, du könntest mal kurz in den Raum reinhüpfen und schauen, was los ist, dafür bist du jetzt ja schnell genug. Hier stimmt was nicht.“
Na, wenn er das denkt – gut, dass er es so formuliert hat, sonst müsste ich ja wirklich hüpfen, und das sähe erstens dämlich aus und wäre zweitens kontraproduktiv. Also gehe ich – vorsichtig – nein, es passiert Nichts – an der Kampflinie vorbei, wobei ich schnell einen Gegner durchbohre. Hinter der Tür warten drei, aber ich werfe sie einfach um.
Nur drei? Nein, hinter ihnen steht keiner mehr. Ist der Kampf bald vorbei?
Halt...was bewegt sich da am anderen Ende des Raumes?
Ich muss mich flach auf den Boden werfen, als eine von der schummrigen Umgebung kaum zu unterscheidende Kugel auf mich zugerast kommt, bestehend aus – keine Ahnung – und nur knapp über mich hinwegfliegt, die Wand treffend und verpuffend, offensichtlich, da Nichts mehr von ihr da ist, als ich mich schnell umsehe.
Aha, wer wirft denn da? Ich springe blitzschnell auf und renne auf die Quelle zu, gleich noch einmal ausweichend.
Ich erkenne es, als ich näher herangekommen bin: Eine riesige Mumie mit einer Sichel in der einen Hand und einem aufwändigen Kopfschmuck hebt gerade die Hand, die kurz glüht...
Eiskalt läuft es mir den Rücken hinunter, obwohl ich gar nicht schwitzen kann. Er ist doch tot...
Halt, das ist gar nicht Radament. Das ist nur irgendeine Mumie seines Schlages, die ähnlich begraben wurde wie er einst. Dennoch, die hier scheint auch nicht ganz ohne zu sein. Wieder muss ich einer Kugel ausweichen. Soll ich ihn jetzt erledigen, oder dem Meister Bescheid geben?
Da fällt mir noch etwas ein. Warum hat er gerade seine Hand gehoben – und warum dauert der Kampf eigentlich so lange...?
Ich werfe mich auf ihn zu, gerade rechtzeitig, um nur noch den Luftzug eines Schwerthiebes hinter mir zu spüren, die Luft durchschneidend, deren Platz ich gerade inne hatte. Er ist Radament ähnlicher, als ich dachte, offensichtlich! Das ist der Grund für die lange Dauer: Er hat die gegnerischen Skelette immer wieder wiederbelebt. Herrlich.
Wenn er Radament allerdings so gleicht, dann...
Ich bin gerade noch rechtzeitig im Zurückweichen, um einer geatmeten Giftwolke zu entgehen. Puha. Aber wenigstens habe ich ihn genug abgelenkt, dass bis jetzt der Kampf an der Tür entschieden sein sollte. Ich zerstöre das Skelett, dass sich mir vorher zugewendet hat, und werfe dabei einen Blick dorthin.
Immer noch tobt eine erbitterte Schlacht. Aber warum...?
Ich spüre es mehr, als dass ich es höre oder aus den Augenwinkeln sehe, aber das reicht, um gerade noch auszuweichen – das wird mir langsam zu knapp – wieder flog eine Kugel heran. Aus einer anderen Ecke des Raumes.
Die Mumien sind zu zweit.
Nein.
Zu dritt.
Scheiße. Was machen wir jetzt? Die Skelette kommen nie durch die Tür, der Meister auch nicht, und selbst wenn, verhackstückeln die uns. Ich bin nur noch am Rennen.
Ich leite einen hastigen Rückzug ein. Die Gegner blockieren die Tür, aber ich erledige einfach einen von ihnen, noch einen – der erste steht auf – wieder einen – der zweite steht auf – ich muss einer Kugel ausweichen – alle sind wieder da. Na herrlich. Noch ein Versuch, zwei packe ich und breche ihnen das Genick. Noch ein dritter, den ich am Boden zermalme.
Die ersten beiden stehen zeitgleich wieder auf. Da schimmert der dritte.
Die Knochen verlieren kurz ihre Substanz, dann verfestigen sie sich wieder. Was jetzt?
Das Gerippe erhebt sich in die Luft, steht auf seinen beiden Beinen. Die gebrochenen Knochen sind wieder heil, aber da hört die Substanz auf, zu fließen. Aber keine Waffe erscheint statt der einen Hand. Was ist los?
Die Hände ballen sich zu dürren Fäusten. Ein Glühen erscheint zwischen den Fingern, die es nicht eindämmen können.
Als sie wieder auseinanderschnellen, weitet sich das Glühen aus. Ein vorher winziger Lichtpunkt explodiert in rotem Feuer, das sich blitzschnell kugelförmig ausbreitet. Ich sehe das Gesicht des Meisters, in Rot getaucht. Konzentration ist darauf zu sehen, und – Freude?
Aber was mache ich jetzt mit dem hier? Das ist doch ein Skelettmagier, wie kommt der nur hierher?
Da hebt er die Kugeln an den Händen zusammen über den Kopf. Mir zugewendet. Ach nein! Ich kann ihn nicht mehr vorher erledigen, aber wenn ich ausweiche, erwischt er mich...trotzdem, ich werfe mich zu Boden und hoffe, dass es nicht zu weh tut.
Mein Rücken wird kurz warm, als das Geschoß über mich hinwegzieht. Vorbei! Na warte, jetzt aber...
Ein Kreischen ertönt hinter mir. Hö? Ich werfe ganz kurz den Blick in die Richtung.
Die nächste Mumie steht in hellen Flammen, ihre staubtrockenen Bandagen werden von dem gierigen Feuer verschlungen. Noch ein Feuerblitz zischt an mir vorbei, schlägt in ihren Kopf ein und sprengt ihn glatt weg. Eine Fäulniswolke explodiert, dann ist Ruhe.
Dann explodiert hinter mir etwas. Ich fahre wieder in die andere Richtung herum. Alle Gegner liegen kaputt am Boden. Der Meister beschwört ein normales Skelett. Und der Magier schießt weiter. Noch eine Mumie geht in Flammen auf. Dann zerfällt der Magier, als ihn eine dunkle Kugel – sie sieht aus wie ein Nadelkissen – frontal trifft.
Aber dann schwärmen unsere Untoten in den Raum und machen kurzen Prozess mit dem letzten Gegner.