Kapitel 43 – Eskalation
Der Morgen findet uns mit schmerzenden Gelenken und Muskelkater, und so, wie ich unser Glück kenne, habe ich genau an den Stellen Schmerzen, wo der Meister keine hat, und umgekehrt, zum doppelten Vergnügen.
Was solls. Ein Frühstück später, das leider nur er genießt, treffen wir uns mit Deckard.
„Ah, der Stab der Könige – ausgezeichnet. Findet noch die Spitze, und wir können einen ganzen Horadrim-Stab herstellen!“
„Das bedeutet...Tempel der Klauenvipern?“
„Genau das.“
„Wo liegt der?“
„Es gibt eine Stadt in der Wüste, die schon lange verlassen ist, und von Vielen vergessen; an ihrem Rande liegt der Tempel, gebaut von den längst verschwundenen Einwohnern zu Ehren eben jener Schlangen.“
Der Meister runzelt die Stirn.
„Klingt rosig. Und die Stadt?“
„Ferner als die ferne Oase, in der die Wurmgruft liegt.“
„Na, dann wissen wir wenigstens die Richtung...ich lass den Stab mal hier, du weißt schon, was du damit machen kannst, Golem, hol Pratham, und wir verschwinden.“
Ich sehe Deckard an und führe meine Hand im Kreis über der Fläche der anderen.
„Ach, hast du es verloren? Fast zu erwarten, aber ich habe noch genug hier.“
Er drückt mir einen neuen Stift und ein paar Zettel in die Hand. Ich kritzele meine Nachricht darauf.
Was ist mit dem Stadtportal?
Der Meister überlegt.
„Das können wir wirklich nicht stehen lassen...aber ich würde doch lieber den Wegpunkt benutzen, nicht wahr, die Wurmgruft betrete ich im Leben nicht mehr.“
Wir könnten Deckard bitten, Griez das Portal zu zeigen, wenn wir weg sind, der wird es schließen können.
„Und es wird ihn ganz nebenbei noch fürchterlich aufregen, dass er es machen muss. Klingt nach nem guten Plan. Golem, du machst dich. Jetzt sag Pratham, dass wir uns am Wegpunkt treffen.“
Ich finde den Söldner in seinem kleinen Raum in Atmas Taverne, wo wir ihn einquartiert haben; Niemand sah sich geneigt, ihn zu wecken. Jetzt wird er unleidig, als ich auftauche, aber ihm hilft kein Bitten und kein Betteln, ich zerre ihn von seiner Unterlage und warte ungeduldig, bis er sich angezogen hat. Wie ich sehe, nimmt er die Bardike mit, mit der er gestern das Loch gegraben hat; ist wohl eine bessere Waffe als seine alte Pike? Na ja, vielleicht ist die auch einfach nur kaputt, wobei sie ziemlich robust schien.
Nicht mein Bier.
Jemand anders hatte hingegen eine Menge, und dem begegnen wir, als wir in den Schankraum treten: Geglasch.
„He, na wennas nich mein alder Freund mit dem hässlichn Gesicht ist! Un n Golem hatter au noch dabei! Man glaubs kaum, letzes Mal warn die Haare noch weiß...“
Pratham bleibt stehen.
„Hast du mich gerade hässlich genannt?“
„Wie sollich dich sons nennen? Würdisch hübsch sagen, wärisch schwul, ne? Oder stehste drauf, du Aurenschlampe?“
Zwei Minuten später schaffe ich es endlich, die beiden Männer voneinander zu trennen. Ich gebe Geglasch einen Kinnhaken, trete Pratham in dem Bauch, und schleife ihn unzeremoniell über die Türschwelle. Atma wirft mir einen dankenden Blick zu; ich winke.
Kalter Hass starrt aus Prathams Augen, aber das ist mir völlig egal; ich will jetzt diese ganze Sache beenden, und das bedeutet, wir müssen zum Wegpunkt, und von da aus weiter.
Kurz bevor wir ihn erreichen, höre ich Stimmen um die Ecke; ich stoppe Pratham, der grunzt, aber sie auch hört.
„Was ist jetzt, kommen deine Freunde noch, oder hast du uns mal wieder belogen?“
Griez‘ Stimme. Verdammt...und des Meisters antwortet.
„Entweder sie kommen noch, und wurden aufgehalten, oder dein Gebrüll hat sie gerade verjagt, was ich sehr schade fände. Vielleicht hättest du doch noch ein Weilchen mit deinen Leuten im Hinterhalt warten sollen, hm?“
„Die werden schon kommen. Alhiseer! Misan!“
„He, was...?“
Ich spüre es, bevor ich seinen Schrei höre: Einen Schlag ins Gesicht. Dann einen in den Bauch. Die zwei von Griez gerufenen Söldner verprügeln den Meister! Und damit mich.
So, mein Freund, jetzt reicht es aber. Ich drehe mich zu Pratham um...
...er ist weg. Ich würde halblaut fluchen, wenn ich es könnte, aber ich habe keine Lust, Energie auf so etwas zu verschwenden, während Schläge auf mich einregnen. Mit zusammengebissenen Zähnen klettere ich über eine Markise auf das Dach des Hauses neben mir.
Unten wird der Meister von einem Wüstensohn gehalten, der andere schlägt weiter. Daneben steht Griez, kalt lächelnd.
Ich sehe seinen Gesichtsausdruck nicht, nachdem ich auf ihm gelandet bin und meine Klauen an seine Kehle gelegt habe, aber er wird wohl kaum ein Lächeln sein; wieder lerne ich neue Flüche, die ich aber schnell durch ein wenig mehr Druck unterbinde. Mein kaltes Starren lässt nur einen Schluss zu, und schnell lassen die Schläger den Meister in Ruhe.
Er wischt sich Blut von der Oberlippe und steht derweil vom Boden auf, dann tritt er an Griez heran.
„Jetzt bist du wirklich zu weit gegangen. Ich dachte mir, dass wir uns eventuell in Frieden einigen könnten wegen dieser ganzen dummen Geschichte, aber das gerade war das Letzte. Du hast dir einen echten Feind gemacht, und das wirst du noch lange bereuen, du Ratte. Mitkommen.“
Der Meister geht in Ruhe zwischen den ganzen Söldnern durch, die Griez mitgebracht hat: Ich zähle 8. Was für ein Feigling. Während wir gehen, wendet sich der Meister mir zu.
„Wo ist Pratham?“
Ich zucke mit den Schultern, ohne meinen Griff an Griez zu lockern.
„Na, wenn er nicht mitkommen will, dann soll er bleiben, wo der Pfeffer wächst, aber Sold kann er nicht erwarten.“
Wir nähern uns dem versteckten Stadtportal und kommen dabei am Marktplatz vorbei. Ich sehe Deckard hervorschauen, aber er zieht sich ohne ein Wort zurück. Hm...?
Warum nehmen wir eigentlich nicht den Wegpunkt?
Ach, gut, dass ich nicht fragen kann, mir fällt die Antwort schon ein: Durch den Wegpunkt kann Griez uns folgen (zwar wäre das unklug, immerhin kämen wir in einer Stadt voller Katzen an, die mit uns verbündet sind, aber trotzdem, feindlich gesinnte Menschen dorthin zu bringen kann nicht der Plan sein), durch das Stadtportal nicht. Trotzdem sehr hässlich.
Wir sind da. Griez ist sehr ruhig geworden, das gefällt mir nicht; plant er etwas? Wenn ja, er ist tot, sobald er etwas versucht, und ich bin mir sicher, dass ich den Rest seiner Komikertruppe auch abservieren kann, wenn es sein muss. Die ganzen neun stehen jetzt ziemlich dumm da, als wir auf dem Stadtportalplatz ankommen.
Der Meister weist einen an, die Fässer zu entfernen; sonst...er tut es.
Moment. Neun, sagte ich?
Da, hinter einer recht einheitlichen Linie von Söldnern, steht Pratham. Wo kommt er her?
Er muss uns vom Marktplatz aus gefolgt sein, und als er kurz weg war, war er bei Deckard! Deswegen hat unsere Prozession den alten Mann nicht überrascht. Hat ja viel genützt, dass er sich versteckt hat...na ja, vielleicht kommt er ja dann doch mit. Wunderbar...
Als das Stadtportal zum Vorschein kommt, ertönen Überraschungsgeräusche; und Griez versteift sich. Dann bellt er einen Befehl.
„Hasade! Aura an!“
Gleichzeitig rammt er mir die Faust in den Magen. Aah, ist der wahnsinnig? Als mein Kopf nach unten klappt, sehe ich zwei konzentrische blaue Kreise unter seinen Füßen, die an manchen Stellen unterbrochen sind. Hä?
Egal, was erlaubt er sich? Geisel ist Geisel. Ich will ihn nicht töten, so tief sinke ich nicht, aber Schmerzen füge ich ihm nur zu gerne zu. Meine Faust geballt, lasse ich Klauen aus ihr auf seinen Rücken zuschießen...
...und schubse ihn weg, statt dass diese in ihn eindringen. Was zum...?
Er stolpert nach vorne, und rennt zu seinen Leuten.
„Ha, vergiss es, du Abscheulichkeit – mit Trotz unter den Füßen fügst du mir keinen Schaden zu!“
Eine Aura, die seine Verteidigung erhöht – verdammt! Der Meister steht ein wenig bedröppelt da, und schon sind zwei Söldner vorgesprungen und haben ihre Waffen auf ihn gerichtet.
„Jetzt reden wir noch mal Klartext über Feindschaften, General...“
Jedes Wort von ihm trieft vor Verachtung und diebischer Freude, aber mehr als diese sondert er nicht ab; gerade als er zu sprechen begonnen hat, ist die Aura unter seinen Füßen verschwunden, und jetzt bricht er unzeremoniell zusammen, weil Pratham ihm den Stiel seiner Bardike übergezogen hat, die blutig ist von Hasades Lebenssaft, der in keiner Kondition mehr ist, trotzig zu sein.
Ich reagiere blitzschnell, denn ich habe es kommen sehen, sobald Pratham sichtlich eine Entscheidung getroffen hat; keine Zeit für Subtilität, ich köpfe einen der beiden, die den Meister bedrohen, fege den anderen von den Beinen und zerre den Befreiten Richtung Portal.
Er ist hindurch, aber ich halte es noch offen, indem ich halb drin stehen bleibe; Pratham, in dem Chaos nur zwei rasch handelnden Exkollegen entkommen, springt hindurch, landet auf mir, aber egal; das Portal ist zu, und wir sicher...so sicher, wie man hüfttief in Wurmschleim sein kann, aber wenigstens wurde Niemand vergiftet. Der Meister blickt finster drein, als er aufsteht.
„Nächstes Mal töten wir Griez einfach gleich. Und jetzt kein Wort mehr von der Geschichte, ab nach oben.“