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Die Protektoren

Und einmal extra wegen Forenbug. :D
Das Kapitel wurde von Insidias beta-gelesen, vielen Dank. :)
 
Mal wieder ein klasse Teil.
Die Geschichte zieht mich jedes mal wieder in ihren Bann. Und mit jedem Teil kommt ein ganz kleines bisschen Licht ins Dunkel, aber gleichzeiitg tauchen neue Fragen auf ...
Nach diesem Teil frage ich mich natürlich, was jetzt mit dem Orakel passiert ist, ob es sich nur zurück gezogen hat oder ob es Anna und ihre Freunde vielleicht auch nur versucht zu täuschen. Ich gehe mal nicht davon aus, dass es so einfach war, das Orakel zu besiegen, das wäre zu simpel.

Und die Frage was Batrast für Ziele hat, ist auch nicht vollständig geklärt. Es bleibt auf jeden Fall spannend.

Ich warte begierig auf ein Update ...
 
:hy:

Ich bin auch wieder mit dabei, und mittlerweile bei Kapitel 14 angekommen! Morgen schaffe ich hoffentlich noch den Rest. :)
Nachdem ich auch schon Muligan, Lagerfeuer und Bogenbande von dir verschlungen habe, bin ich wohl dem Ende nahe, wie?
Gerade, weil ich die Werke nacheinander gelesen habe, fällt mir auch deine Verbesserung und Entwicklung als Autor stark auf. Es geht steil bergauf! :D
Mit großer Freude lerne ich von dir und eifere nach.
 
Besten dank für das Lob. :D
Das Ende ist tatsächlich nahe. Ich hatte mich zwar ursprünglich verschätzt, doch nun sieht es nach noch zwei Teilen bis zum Abschluß dieser Episode aus.
 
Wie sähr hast Du Dich denn verschätzt ?

Darf man aus der Wartezeit bis zum Up heraus annehmen, daß es noch mehr als 2 Teile werden ?
 
Bin ja mal gespannt, wie lange deine Geschichte wird, hab das ganze in Word kopiert und bin mittlerweile auf Seite 215! :eek:
 
Das ist der letzte Teil der Geschichte, abgesehen von einem noch fogendem kurzen Epilog. Stilistisch gefällt er mir nicht sonderlich, insbesondere ist viel zu viel hineingezwängt worden, doch ich möchte die Geschichte nun beenden.
Grob geschätzt könnte man leicht so viel Text wie die gesamte bisherige Episode hat schreiben. :)


Die Protektoren (17)
Des Ende eines Traums

Namensliste und Bezeichnungen:
Anna: Eine Zauberin, die von den Barbaren abstammt
Salcia: Eine Assassine, mit Anna befreundet
Fiska: Eine Amazone, mit Anna befreundet
Largais: Ein Paladin in Annas Gruppe
Batrast: Der heimliche „Konservator“
Geldor: Anführer einer Rebellengruppe
Brita und Verline: Batrasts Haushälterinnen
Meri: Eine Zauberin und Annas Freundin
Aodhan: Ehemaliger Protektor von Ra-Genion

Golarmur: Name der Festung des Protektorats Ra-Genion, gelegen in der Stadt Merotir.
Al-Amaris: Das Land, in das Anna, Salcia und Fiska verschlagen wurden.


*

Anna war über das Ende der Versuche froh gewesen. Nach ihrer Rückkehr, es war gegen Mittag, ging sie zu sofort zu Fiska. Sie wollte sich mit ihrer Freundin endlich richtig aussprechen und sich dabei von Nichts und Niemandem stören lassen. Wenn alles so verlief, wie sie es sich erhoffte, würden sie bald von Nebula aus heimkehren können. Diese Aussicht würde Fiska sicherlich ebenso aufmuntern wie sie. Vor allem aber würden sie dort ganz andere Möglichkeiten haben. Meri würde ihnen ein Portal, Verbot hin oder her, zu den Assassinen öffnen, wo man sich mit Fiskas Verletzungen besser auskannte als hier. Mit Salcias Hilfe würden sie dort bestimmt die besten Heiler bekommen und könnten die Amazone vollständig heilen.

Beim Öffnen der Tür zum Krankenzimmer drang Anna der Geruch zahlreicher Duftwasser entgegen. Schlagartig verflog ihr Optimismus, und voller Misstrauen nähere sie sich dem Krankenlager. Fiska lief Schweiß über das Gesicht und auch die nackten Arme und Beine glänzten verdächtig im Licht, dabei war es im Raum kühl. Die Kranke war nicht ansprechbar, und ein für Annas feinen Geruchssinn wahrnehmbarer Gestank nach Fäulnis ging von ihr aus. Obwohl Batrast schon am ersten Abend Einiges gesagt hatte, fraß sich der Schock tief in Annas Seele, und die kalten Finger der Angst pressten ihr Herz zusammen. Anna sah sich überstürzt um und lief aus dem Zimmer.

Vor der Tür lief sie dem Heiler fast in die Arme.
„Was ist mit Fiska passiert?“, fragte sie ihn mit aufgewühlter Stimme.
„Sie schläft“, versuchte der Mann sie zu beruhigen.
„Sie schläft? Ihre Wunden scheinen sich zu entzünden!“, schrie sie ihn an.
„Nein, das sind nur Kräuter ...“, antwortete er wenig überzeugend.
Anna packte ihn: „Lüg mich nicht an! Ich verstehe genug davon, um faulendes Fleisch riechen zu können. Warum habt Ihr nichts gesagt? Seit wann wisst Ihr es?“
„Aber so ist es nicht...“

Anna schlug ihm ihre Faust in das Gesicht. Der Schlag war nicht heftig, doch seine Nase fing an zu bluten. Entsetzt über sich selbst ließ sie den Mann los.
„Das wollte ich nicht!“, stotterte sie und wollte ihm helfen, doch er wehrte ihre nervösen Hände ab und stand ruhig auf. Der Heiler fuhr sich tastend über die blutende Nase und drückte sie schließlich zu.
„Schon gut, sie ist nicht gebrochen“, sagte er und schluckte. „Der Amazone geht es nicht gut, ich fürchte, wir werden ihr Bein amputieren müssen.“ Er schluckte abermals. „Ihren Unterarm können wir ebenfalls nicht wiederherstellen, die Knochen sind zu sehr zertrümmert worden.“
Die Worte des Heilers hatten ein Bestimmtheit, die keinen Platz für rettenden Zweifel mehr ließen.
„Fiska bat uns, es nicht zu sagen. Es war ihr Wunsch, und Batrast verbot es uns zusätzlich.“

Der Heiler prallte mit dem Rücken leicht gegen die Wand, als Anna ihn mit einem erstickten Aufschrei wegstieß. Mitleidig sah er ihr nach, wie sie in das Krankenzimmer zurückstürmte und dann gestenreich auf ihre fast bewusstlose Freundin einredete. Als Heiler hatte er längst gelernt, Abstand zum Leid seiner Patienten und deren Angehörigen zu wahren, doch bei dieser blonden Frau hatte er seine Not damit. Als sie plötzlich die Amazone packte, wollte er einschreiten, aber dann sah er, wie Anna lediglich deren Kopf an ihre Brust drückte. Er konnte auf diese Entfernung nicht erkennen ob sie weinte, doch das brauchte er nicht.

*

Salcia fand Anna am Abend im kleinen Nebenraum der Bibliothek. Leise schlich sie sich von hinten an die vor dem Schreibtisch sitzende Freundin. Einige Zeit lang sah sie ihr über die Schulter und las den Text von Annas Buch mit. Er war relativ belanglos, doch Anna blätterte dennoch nicht weiter.
„Ich wollte dich etwas fragen“, sagte Salcia unvermittelt und Annas langsame Reaktion bestätigte ihren Verdacht.

Anna wartete mit ihrer Antwort, bis Salcia sich auf den Tisch gesetzt hatte. Die Assassine schien absolut ruhig und gelassen zu sein, doch Anna kannte ihre Freundin gut genug, um ihre wirklichen Gefühle erkennen zu können. Die Gewissheit über Fiskas Aussichten musste auch sie hart getroffen haben, andernfalls hätte sie nicht ihre anerzogene Maske aufgesetzt.
„Frag nur“, forderte sie Salcia auf.
„Gestern habe ich ein Buch gefunden. Zuerst dachte ich, ein Geistesgestörter hätte es verfasst, da es reichlich verrückt anfing, doch dann schrieb er Dinge über das Orakel, die auf echtes Wissen schließen lassen.“ Sie hielt ihr das Buch hin. „Was hältst du davon?“
Anna sah ihre Freundin seltsam an.
„Sich hier zu vergraben hilft niemandem. Wir müssen weitermachen, das erwartet man von uns“, meinte Salcia.

Anna reagierte zunächst nicht sichtbar, dann fuhr sie sich mit einer Hand über das Gesicht. Sie nickte und nahm das Buch.
„Es macht einen sehr alten Eindruck“, sagte sie und schlug das Buch auf. Sie erstarrte beim Anblick des Textes.
„Was hast du?“, fragte Salcia.
„Geldor! Das ist eindeutig Geldors Handschrift. Du hast das Buch wirklich von hier?“
„Ja, aus einem der Regale nebenan. Geldor? Bist du dir sicher?“
„Ich war lange genug mit ihm zusammen, um seine Schrift sicher zu erkennen. Sie hat sich etwas verändert, ist aber eindeutig von ihm. Aber wie kann er ein so altes Buch geschrieben haben?“ Sie fing an zu lesen.

Salcia geduldete sich, bis Anna ebenfalls über sie herausgetrennten Seiten stolperte. Dann sagte sie: „Die fehlenden Seiten sind für mich ein weiterer Grund anzunehmen, dass der Text ernst zu nehmen ist. Leider konnte ich sie nirgends finden. Doch was ich mir absolut nicht erklären kann ist, weshalb die Seiten überhaupt entfernt wurden.“
„Weil ihr Inhalt zu gefährlich ist?“, riet Anna, doch sie begriff im selben Moment. „Nein, Unsinn, dann hätte ich nicht die Seiten entfernt sondern das ganze Buch vernichtet oder versteckt.“ Sie dachte kurz nach, fuhr dann fort: „Als ehemaliger Bürgermeister kann Geldor auch wesentlich lesbarer schreiben. Das hier dagegen ist seine private Handschrift. Demnach war das Buch nur für ihn selbst gedacht, wie er auch am Anfang schreibt.“
„Glaubst du auch, was er schreibt?“
„Paladine sind rational und sachlich denke Männer. Zwar sind sie mit ihrer Meinung, was sie nicht erklären können, das müsse entweder falsch oder verderblich sein, öfters über ihr Ziel hinausgeschossen, doch insbesondere Geldor ist mir immer aufgeschlossen vorgekommen. Er hatte später sogar gegenüber uns Zauberinnen seine ärgsten Vorurteile abgelegt. Daher meine ich, er glaubte an das, was er schrieb. Ob wir diese Hilfe sein sollen, auf die er wartet?“
„Schade, dass wir ihn nicht fragen können.“
Anna machte eine zustimmende Geste. „Wir haben es Batrast zugesagt, und daran halten wir uns. Auch wenn der Gedanke, wir könnten die lange erwartete Hilfe sein und er erkennt sie nun nicht mehr, bitter ist.“

Salcia rutschte vom Tisch.
„Ich bin nicht nur wegen des Buches gekommen. Batrast möchte sich mit uns treffen, um noch einmal über alles zu reden. Er bat mich, dich zu suchen.“
Anna klappte das Buch zu und gab es Salcia zurück.
„Wenn es unbedingt sein muss“, seufzte sie. „Ich habe überhaupt keine Lust dazu.“
„Glaubst du, mir geht es anders?“, erwiderte Salcia.
Anna schüttelte ihren Kopf und stand auf. Zusammen verließen sie die Bibliothek.

Anna öffnete die Tür zu ihrem Zimmer und sah erstaunt auf die vielen anwesenden Leute. Mit Largais und Batrast hatte sie gerechnet, doch es waren auch Geldor und jene beiden Frauen anwesend, die offensichtlich das Haus verwalteten. Um genügend Platz zu schaffen, war der Tisch verlängert worden. Er war in feierlicher Weise mit weißen Tüchern bedeckt worden und große Krüge und zahlreiche Körbe mit Brot und allerlei Köstlichkeiten standen auf ihm. Anna sah Largais an, doch seine Miene verriet nur Verunsicherung.
„Was ist hier denn los?“, rief Anna aus.

Geldor drehte sich zu ihr um. Ein Lächeln überzog sein Gesicht, das aber einen ernsten Grundton beibehielt. „Ah, Anna, endlich bist du da! Wir wollen uns von dir und Salcia verabschieden.“ Er hob beschwichtigend seine rechte Hand. „Niemand hat Fiska vergessen, im Gegenteil. Ich garantiere dir, sie wird wieder ganz gesund und unversehrt werden.“
„Wie meinst du das? Sie ist schwer verletzt. Glaubst du im Ernst, ich könnte jetzt feiern?“, erwiderte Anna scharf.
„Fiska wird bald geheilt sein!“, mischte sich Batrast ein.
Anna sah ihn in einer Mischung aus Verblüffung und Unglauben an.
„Das ist ein Nebeneffekt deiner Aktivierung des Transportnetzes“, fuhr Batrast fort. „Genauer gesagt, ihr werdet nun bald zurückkehren, und dabei werden alle ihre körperlichen Schäden behoben werden.“
„Was sagst du da?“, fragte Anna verwirrt.
„Deswegen wollte ich es.“ Spontan umarmte er die Zauberin, die nicht wusste, was ihr geschah. „Danke! Du hast sie gerettet, das habe ich gewollt.“ Er sah ihr in das Gesicht und erkannte das aufkeimende Misstrauen. „Keine Sorge, das Orakel wird vernichtet werden.“

„Was redest du da? Natürlich möchte ich Fiska heilen, aber was hat das mit dem Orakel zu tun? Hast du uns etwas verschwiegen?“
„Ich hatte eine Schuld auf mich geladen, die ich alleine abtragen musste.“
„Das verstehe ich nicht“, erwiderte Anna.
„Auch deswegen haben wir uns hier versammelt“, meinte Geldor und legte einige Blätter auf den Tisch. „Lasst uns ein letztes Mal gemeinsam feiern, bevor ihr heimkehrt.“ Er deutete auf die Stühle und nahm selbst Platz, etwas zögernd setzte sich Anna und ihre Freunde ebenfalls an den Tisch. „Dabei erkläre ich euch alles. Bitte lasst mich vom Anfang beginnend erzählen.“

Batrast goss seinen Gästen Wein aus einem der Krüge ein. „Brita“, er nickte zu der älteren der beiden Hausverwalterinnen, „hat euch etwas Weißbrot leicht angeröstet, und Verline“, er deutete auf die jüngere, „hat dazu gewürzte Tomatenpaste gemacht. Geldor meinte, ihr mögt das so gerne. Für die Anderen ist natürlich auch etwas da.“ Er überging Annas und Salcias fragende Blicke. „Geldors Geschichte ist lang.“

Geldor räusperte sich. „Nun, unsere Wege trennten sich damals am Materilisationsstein in jener Höhle. Nachdem ich mich geweigert hatte, Meris Willen für Belials Befreiung zu opfern, wollte er es ohne meine Hilfe versuchen. Ich stellte mich mit meiner Geisteskraft dazwischen. Das war natürlich lächerlich, weniger als ein Streichholz gegen einen Sturm, doch das war mir egal. Belial erkannte jedoch meine Bereitschaft, alles zu geben, um Meri zu retten und schlug mir einen Handel vor: Er würde Meri unversehrt gegen lassen, wenn ich nach Al-Amaris gehen würde, um von dort aus sein Gefängnis zu öffnen.“
„Belial steckt in einem Gefängnis in Al-Amaris?“, fragte Anna.
„So ungefähr“, antwortete Geldor und nahm sich eines der Weißbrote. Mit einem kleinen Löffel strich er etwas Tomatenpaste auf und biss hinein. Ganz offensichtlich genoss er nicht nur das Brot. „Genauer betrachtet ist es schwierig zu erklären.“
„Dann versuche es wenigstens“, meinte Salcia leicht gereizt.

Geldor nickte. „Natürlich ... ich habe nur so lange auf diesen Moment warten müssen.“ Er zog nachdenklich seine Stirn in Falten. „Sagen wir achthundert Jahre?“ Er bemerkte Salcias wachsenden Unmut. „Aus deiner Sicht ist das natürlich Unsinn. Das ist einer der schwierigen Punkte. Zeitlosigkeit und Unwissenheit ... doch ich greife vor und verwirre euch nur.“ Geldor schien zu spüren, dass er den Bogen nicht noch weiter spannen durfte. Er sammelte sichtlich seine Gedanken und sprach dann weiter: „Ich stimmte Belials Handel zu, und er holte mich nach Al-Amaris. Sein Plan war einfach: Er würde mir eine Zauberin schicken, die ich nach Nebula bringen sollte, um dort sein Gefängnis zu öffnen. Dazu müsste sie lediglich genügend magische Energie in den dortigen Stein einzuspeisen. Da sie dabei keinen Schaden nehmen würde, sollte das leicht machbar sein.“
„Moment!“, rief Anna erschrocken. „Soll das heißen, ich habe Belial, eines der Urübel, befreit?“
„Ja, Belial wird bald frei sein. Doch er war nie ein solches Übel, denn Belial kennt keine Emotionen. Ehrgeiz, Hass, Geltungssucht und all das kennt er nicht und begreift es auch nicht. Er ist aber auch nicht ‚gut’, denn er kennt auch keine Milde oder ähnliches. Er verfolgt nur seine Ziele, die weit jenseits unseres Verstandes liegen. Es ist aber Teil unserer Abmachung, dass er nach einer geglückten Befreiung uns Menschen in Ruhe lässt.“
„Belial ist der Herr der Lüge“, warf Anna ein.
„Nein, er kennt das Konzept der Unwahrheit nicht einmal.“
„Wie bitte?“
„Belial ist kein schwacher Mensch, er ist ein unvorstellbares geistiges Wesen. Es kann ebenso wenig lügen wie du fliegen kannst. Wozu auch, es hat so etwas nie nötig gehabt.“
„Woher willst du das wissen?“

Geldor nahm einen Schluck Wein. Er stellte den Becher betont ab und hob einen Finger.
„Glaubst du, ich würde mein Volk in sein Verderben stürzen? All das erfuhr ich auf eine Weise, die schwer zu erklären ist. Möglicherweise verstehst du, Anna, es noch am besten, denn es war ein Kontakt ähnlich wie deiner zum Orakel. Vor allem aber hätte Belial keinen Grund dazu, denn wir Menschen und unser Land bedeuten ihm gar nichts. Seine ‚Welt’ ist ganz anders geschaffen als unsere.“
Salcia antwortete anstatt der nachdenklich gewordenen Anna: „Ich kann nur hoffen, dass das stimmt. Es klingt reichlich abgehoben, wirklich einleuchtend ist nur dein letztes Argument.“
Er nickte. „Das verstehe ich. Übrigens haben die, die Belial einst einkerkerten, ihm den Ruf des Lügners angehangen.“
„Waren es die Übel, die einst unsere Welt heimsuchten? Diablo, Baal uns all die anderen?“, fragte Anna.
Gerldor machte eine unsichere Geste. „Ich weiß es nicht, doch es ist eher unwahrscheinlich. Belial hat nie zu ihnen gehört, er ist ganz anders. Das ist auch der Grund für sein Gefängnis, das so ganz anders ist als wir uns es vorstellen.“

Anna spürte, wie der Paladin allmählich auf den Punkt zusteuerte. Sie hätte ihn am liebsten aufgefordert, schneller zu reden und hatte zugleich den Kopf voller Fragen. Sie blickte kurz zu der neben ihr sitzenden Salcia und ein leichtes Lächeln huschte über ihr Gesicht. Natürlich ließ die Assassine sich nichts anmerken, mit undurchdringlichem Gesicht saß sie aufrecht und steif auf ihrem Stuhl und kaute auf einem der Brote herum, in der anderen Hand hielt sie einen Becher mit Wein. In ihrem Inneren brannte mit Sicherheit ebenso die Ungeduld. Dann sah sie über den Tisch in Largais Gesicht. Er schien ihre Unruhe zu bemerken und zwinkerte ihr aufmunternd zu, eine Geste, die zu Begin ihres gemeinsamen Weges undenkbar gewesen wäre. Anna nickte dankbar zurück und nahm sich ebenfalls etwas Brot und Wein.

„Wie gesagt, Belial ist ein geistiges Wesen“, klang Geldors leicht dozierend klingende Stimme auf. „Ein Wesen ohne Körper, nur wie ein Gedanke. Wie kann ein Gedanke eingesperrt werden?“
„Man kann vielleicht einen Menschen bedrohen und zwingen, seine Gedanken nicht auszusprechen, aber den Gedanken selbst kann niemand fassen“, meinte Largais.
„Genau“, bestätigte Geldor. „Man kann jemanden in das tiefste Verließ und hinter den dicksten Wänden einsperren, doch seine Gedanken könnten immer noch ungehindert durch die Welt streifen.“
„Und wenn man den Gefangenen tötet? Mit ihm stürben auch seine Gedanken“, warf Salcia ein.
„Bei einem Menschen würde das gehen, aber Belial hat keinen Körper, den man töten könnte.“
„Hmm...“ Salcia dachte nach, dann meinte sie: „Vielleicht kann man einen Gedanken nicht festhalten, aber ablenken und verwirren? Den Geist kann man nicht mit Materie, wohl aber mit Gedanken beeinflussen.“
Geldor nickte. „Du bist wirklich scharfsinnig für eine Frau. In der Tat, Belials Gefängnis ist nicht aus Stein und Eisen gebaut, sondern es besteht aus geistigen Fesseln.“
“’Die Mauern des Geistes bestehen aus Unwissenheit.’
Das hatte damals das Orakel in Golarmur zu mir gesagt“, sagte Anna. „Hat unser Gedächtnisverlust damit zu tun? Ist das die Fessel, die Belial bindet?“
„Ja“, sagte Geldor. „Es ist eine der Fesseln, aber nicht die einzige.“

Geldor nahm eine Olive aus einem der Körbe und hielt sie über dem Tisch. „Belials Gefängnis war ursprünglich perfekt, denn in ihm fehlte das Wichtigste, das zu jeder Flucht benötigt wird.“ Er ließ die Olive fallen. „Nichts hat diese Olive behindert um der Schwerkraft folgen zu können, und dennoch hat sie etwas gebraucht: Zeit.“ Er lächelte entschuldigend. „Ohne Zeit geht gar nichts. Jeder und alles benötigt sie, um zu planen und zu handeln. Nicht, dass ich es wirklich verstehen würde, doch sie hatten Belial an einen Ort verbannt, wo keine Zeit existierte. Das stand auch auf dem Stein, den ich fand.“
Er steckte sich die Olive in den Mund und nahm einen Schluck Wein.

„Belial war nur noch ein in Zeitlosigkeit eingefrorener Gedanke. Doch dann missbrauchten die Übel die Steine, um in unsere Welt zu gelangen. Vermutlich ohne es zu wissen, beschädigten sie dadurch Belials Einkerkerung. Es gelang ihm, seine Fesseln zu lockern und schließlich mit einem winzigen Teil seines Geistes durch den Stein hindurch Kontakt zu unserer Welt aufzunehmen. Doch mehr erreichte er nicht, denn inzwischen waren die meisten Steine zerstört und die Übel beseitigt worden, so dass Niemand mehr die Steine zum Reisen in andere Welten benutzte. Er konnte sich nicht weiter lösen. Schließlich fand ich ihn, oder er mich, und wir trafen jene Vereinbarung, die mich zu den Zauberern führte. Er wollte mir ewige Jugend schenken, wenn ich ihm eine Zauberin ausliefere, deren Magie er zu seiner vollständigen Befreiung benötigte.“

„Meri erzählte mir davon“, sagte Anna. „Doch du hast dich verweigert, deine Kräfte zur Verfügung zu stellen, die er ebenfalls benötigte. Dann bist du verschwunden.“
„Belial hatte mich nach Al-Amaris geholt, um jenen zweiten Handel zu erfüllen, den ich zu Meris Rettung eingegangen war“, bestätigte Geldor. „Der Handel, von dem wir jetzt reden und der heute erfüllt worden ist.“

Geldor zögerte damit, weiterzusprechen. Etwas unsicher sah er erst Brita und Verline, dann Batrast an.
„Meine Frauen wissen bereits alles, das war ich ihnen schuldig“, sagte Batrast.
Die beiden Frauen nickten ernst. „Es hat auch etwas schönes“, sagte Brita.
Geldor nickte nachdenklich und wandte sich Largais zu.
„Es wird nicht leicht für dich werden, doch du bist ein Paladin. Von dir erwarte ich mindestens dieselbe Gelassenheit wie von Batrasts Frauen.“
„Solange es nicht unseren Grundsätzen widerspricht, werde ich meine Würde wahren, Kommandant“, erwiderte Largais mit fester Stimme.

Geldor hob demonstrativ die vor ihm auf dem Tisch liegenden Blätter an. „Ihr habt meine Aufzeichnungen bestimmt gefunden, die Batrast so auffällig versteckt hatte?“ Er sah, wie Salcia nickte. „Sie waren ursprünglich nur als Hilfe für mich selbst gedacht gewesen, doch ist nun ein Zeitpunkt gekommen, um auch mit euch darüber zu reden. Leider hat erst Annas Aktivierung mir meine Erinnerungen wiedergegeben.“
„Ich konnte mich nicht entscheiden, ob dieses Wissen ein Fluch oder Segen ist“, sagte Batrast. „Ihr könnt es als Schwäche auffassen, dass ich es daher dem Zufall überließ, ob das Buch gefunden wird oder nicht.“
„Zuerst war es eine schreckliche Last, doch nun macht es uns glücklich“, bekräftigte Verline die vorherigen Worte Britas und wandte sich Largais zu. „Dir wird es bestimmt ebenso ergehen.“
„Ich weiß wirklich nicht, worüber ihr alle redet. Welche Aufzeichnungen meint ihr?“, fragte Largais und sah Salcia verunsichert an.
Salcia wich seinem Blick schuldbewusst aus. „Ich wollte nicht, dass du es erfährst, zumindestens nicht unvorbereitet“, antwortete sie leise und sah ihn vorsichtig an.

„Keine Sorge, Salcia. Brita und Verline haben es akzeptiert und Largais wird es zweifellos ebenfalls. Dann wird er auch deine Bedenken verstehen“, meinte Geldor. Dann hob er seine Stimme etwas an:
„Belial, genauer jener winzige freie Teil von ihm, holte mich nach Nebula, um von hier aus sein Gefängnis weiter aufzubrechen. Unser erster Schritt war, Al-Amaris zu erschaffen.“ Seine Stimme wurde vorsichtiger. „Al-Amaris ist eine Schöpfung Belials. Das Land und die dort lebenden Menschen erzeugen Zeit. Die Zeit, die wir benötigen um Belials zu befreien.“ Er machte eine entschuldigende Geste. „Das mag etwas seltsam klingen, doch besser kann ich es nicht erklären.“
Geldor sah der Reihe nach Anna, Salcia und Largais an, doch keiner der Drei zeigte eine besondere Reaktion. Er fuhr fort:
„Ihr erinnert euch an den Text auf dem Stein hier?
’Ich werde den Weg bereiten.
Den Weg, der nicht gegangen werden kann,
vom Ort, wo Zeit nicht existieren darf,
wo der Sterbende nicht sterben kann’

Wir befinden uns an diesem Ort. Wir sind hier in einem Land, das nicht auf gewöhnlichen Pfaden erreichbar ist, wo es keine Zeit geben sollte, und wo niemand sterben kann. Denn Belial erschuf nicht nur das Land, er erschuf auch alles Leben in ihm. Er erschuf es aus sich heraus, und er wird bald zu sich zurückholen, was er lieh.“
„Das soll ich glauben?“, fragte Largais, doch seine Stimme spiegelte keine Zweifel wider.
„Dir geht es doch wie uns“, antworte ihm überraschend für alle Verlina. „Kaum hast du es gehört, da meinst du es schon immer gewusst zu haben. Ich glaube, das ist das Erbe Belials in uns. Wir werden bald heimkehren.“
Largais senkte seinen Kopf. „Meine Welt soll die Schöpfung Belials sein?“, murmelte er und starrte auf die Tischplatte.

Geldor ließ die schwere Stille etwas wirken, ehe er weitersprach. Er fragte sich, was Largais nun empfand und konnte es sich nicht vorstellen. Hatte er bereits alles begriffen? Seine letzten Worte ließen Geldor daran zweifeln. Sollte er es nicht besser hiebei belassen?
Ein Paladin sollte sich jeder Wahrheit stellen.
„Der Plan, den Balials freier Teil und ich verabredet hatten, war einfach: Ich würde auf Nebula auf eine Zauberin warten, die Belial holen wollte, um mit ihrer Zauberkraft Belials Gefängnis aufzubrechen. Es gab jedoch von Anfang an zwei Probleme: Belial konnte mir hier nicht mehr helfen. Obwohl alles von ihm stammte, war sich niemand dessen bewusst. Er hatte zwar Al-Amaris erschaffen können, wobei er es nach meinen Gedanken und Erinnerungen getan hatte, war aber selbst vollständig von seiner Welt ausgesperrt. Weit schlimmer war jedoch, dass ich hier von den selben Mechanismen betroffen wurde wie er selbst. Eine davon ist das Vergessen. Damit hatten weder ich noch er gerechnet.“

„Es war bei dir aber anders als bei uns“, warf Anna ein. „Du hast allmählich vergessen, wir dagegen mit einem Schlag.“
„Ja, denn bei euch war es das Orakel. Es konnte euch weder aufhalten noch töten, aber es konnte euch die Erinnerung rauben und eine Zeit lang festhalten. Ich dagegen wurde ein Opfer der geistigen Fesseln. Sie wirken langsamer, aber unerbittlich. Ich vergaß immer mehr von meinem Auftrag und über die Hintergründe, also schrieb ich alles auf.“ Geldor zeigte auf seinen Blätterstapel. „Vierhundert Jahre sind eine lange Zeit.“
„Wieso vierhundert Jahre? Du bist vor nicht einmal einem Jahr verschwunden“, warf Anna ein.
Geldor schüttelte seinen Kopf. „Vielleicht war es ein Jahr bei euch, doch in Al-Amaris waren es Jahrhunderte. Bedenke, wir erzeugen unsere eigene Zeit, und haben keinerlei Bezugspunkt, um ihren Fluss richtig bemessen zu können.“
„Du verlangst viel von mir. Ich bin keine Wissenschaftlerin.“
„Mag sein, doch es ist so. Seit meiner Ankunft auf Nebula sind für mich achthundert Jahre vergangen.“
„Tatsächlich?“, warf Salcia zweifelnd ein. „So alt siehst du aber nicht aus.“
„Wir altern in Al-Amaris nicht, denn wir sind kein Bestandteil dieser Welt.“ Geldor machte eine vage Geste. „Zumindest erkläre ich mir das so.“

„Du hast also alles aufgeschrieben, um dem Vergessen ein Schnippchen zu schlagen“, nahm Anna den Faden nach einem nachdenklichen Seitenblick zu Largais, der noch immer regungslos auf die Tischplatte starrte, wieder auf. Trotz aller Ernsthaftigkeit des Treffens und des Themas konnte sie das Erzählte noch nicht so recht glauben. „Was passierte dann?“
„Vierhundert Jahre waren für mich vergangen. Al-Amaris war längst fertig und mit Leben gefüllt, ich wartete auf die versprochene Zauberin. Ich wusste damals noch nichts über das Ausmaß des beschleunigten Zeitablauf hier, und wurde immer verzweifelter über ihr Ausbleiben. Was, wenn mein Buch verloren ginge? Es war mein einziger Anker in dieser Welt geworden. Doch er wurde immer unzuverlässiger, denn ich vergaß inzwischen das Gelesene über Nacht wieder. Was, wenn mir etwas zustieße? Ich lebte schon lange nicht mehr auf Nebula, sondern in Al-Amaris, um der Einsamkeit zu entfliehen, doch es war eine gefährliche Welt geworden. Nach langem Zögern entschloss ich mich, einen Stellvertreter aufzubauen.“

Geldor nahm einen Schluck von dem roten Wein und schielte dabei über den Becherrand hinüber zu Anna und Salcia. Ob sie es bereits zu ahnten?
„Ein normaler Einwohner Al-Amaris kam dafür nicht in Betracht, da er viel zu kurzlebig wäre, vor allem aber würde er die Wahrheit nicht verkraften. Also wandte ich mich an Belial.“
„Moment!“, unterbrach in Salcia. „Vorhin sagtest du, Belial wäre von Al-Amaris ausgeschlossen. Wie konntest du dich dann an ihn wenden und zu welchem Zweck?“
Geldor nickte. „Dein Einwand ist richtig, ich hatte mich unklar ausgedrückt. Belial kann uns nicht beobachten, er kann sich nicht mitteilen und er kann nicht direkt eingreifen, doch er konnte Al-Amaris erschaffen. Er tat es wie ein tauber, blinder und stummer Mensch, der dennoch aus Ton eine Skulptur formen kann. Er tat dies mit meiner Hilfe, auch deswegen holte er mich nach Nebula, und irgendwie gelang es mir, ihn erneut etwas erschaffen zu lassen. Er erschuf meinen Stellvertreter, ein Wesen, das ebenso wenig alterte wie ich und das vor allem nicht dem Vergessen unterworfen war.“

„Habt ihr das Buch über die Gründungsgeschichte der Roten Agenten gelesen?“, fragte Batrast.
Largais nickte. „Meinst du jenes über den ersten Konservator? Ich kenne den Anfang davon.“
Batrast lächelte leicht. „Den ersten Konservator ... Es hat immer nur einen gegeben.“ Er sah der Reihe nach Anna, Salcia und auch Largais, der bei seinen Worten aufgeblickt hatte, an. Alle ihre Gesichter spiegelten eine Mischung aus Verständnislosigkeit und Überraschung wieder. „Ich wurde erschaffen, um eine Aufgabe zu erfüllen“, sprach Batrast weiter und es klang eine Spur von Bitterkeit hindurch. „Ich sollte die Zauberin auf Nebula empfangen und zum Stein bringen, damit sie ihn aktivieren würde. Geldor erklärte mir das alles und auch den gesamten ihm bekannten Hintergrund.“
„Dann ... dann bist du kein Mensch?“, rutschte es Anna erschrocken heraus.
„Meinst du? Für was hältst du mich dann? Für was hältst du Largais?“

Geldor sah Anna an, die blass wurde. Nun war es heraus und Largais mit der Nase auf den Punkt gestoßen worden, den er bisher übersehen hatte oder, wahrscheinlicher, hatte übersehen wollen. Weshalb ausgerechnet Anna es ausgesprochen hatte war ihm ein Rätsel. Das hatte sie nicht sagen wollen, doch die Worte konnte sie nicht zurücknehmen.
„Largais“, klang Salcias Stimme auf, für mich bist du ein Mensch. Bitte! Sag es auch!“

Largais sah er Salcia in die Augen.
„Ich spüre denselben Schmerz, den du empfindest. Wir haben so viel geteilt, Freunde, Lust und jetzt diesen Schmerz. Ich erkenne nun Belials Beitrag zu meiner Existenz, fühle mich aber dennoch als Mensch. Ich wurde geboren, war ein Kind und bin nun ein Erwachsener. Sollte ich dich beschmutzt haben, so kann ich dich nur um Verzeihung bitten. Ich wusste es doch nicht!“ Er barg sein Gesicht in den Händen.
Salcia kämpfte mit sich, doch sie konnte nicht verhindern, dass eine Träne über ihre Wange rollte.

„Natürlich bist du ein Mensch“, sagte Anna, doch sie konnte ihren eigenen Zweifel nicht ganz aus ihrer Stimme verbannen. Es war jener Zweifel, der aus dem Unterbewussten emporsteigt und sich über alles Wissen und alle Argumente hinwegsetzt.
„Du bist ein ebenso Mensch wie Salcia“, half Geldor ihr. „Ihr habt beide das, was wir Paladine eine Seele nennen. Belial mag einst deinen Vorfahren das Leben geschenkt haben, doch du verdankst es deinen Eltern. Jetzt trägst du noch Belials Funken in dir, aber er ist nur dein Gast, nicht dein Herrscher. Du hast selbstständig gefühlt und gehandelt. Was brauchst du noch an Beweisen?“
„Zeit, er braucht nur etwas Zeit, um es zu verstehen“, antwortete Brita an Largais Stelle. „Ich und Verline haben sie auch benötigt. Wir hatten dieselben Zweifel, doch nun sind sie überwunden. Wir sind Menschen, die, wie du so treffend sagst, einen besonderen Funken in sich bergen. Das macht uns glücklich.“

Es war vermutlich ihre unschuldige Überzeugung, die Largais die Hände aus seinem Gesicht nehmen ließ. Er stand auf und ging um den Tisch herum zu Salcia, hob sie aus dem Stuhl und drückte sie an sich. Keiner sagte etwas, es wäre den beiden auch egal gewesen, denn für diesen Moment bestand die Welt nur aus ihnen. Nach einigen Minuten ließ Largais sie wieder los, und nach einem vergewisserndem Blick setzten sie sich zurück auf ihre Stühle, als wäre nichts geschehen. Vielleicht war da eine Spur von Verlegenheit in den Bewegungen der Assassine, doch sie hatte ihr Äußeres wieder so im Griff, wie es von der Tochter einer Vorsteherin allgemein erwartet wird.

„Du solltest also eine Zauberin in Empfang nehmen“, sagte Largais etwas hastig. Offensichtlich wollte er möglichst schnell zum ursprünglichen Thema zurückkehren. „Doch woher wusstet ihr, dass es Anna sein würde? Woher wusste das Orakel es?“
Batrast seufzte. „Weil ich ein ... ein Mensch bin, den das Orakel wirklich kennt. Ich bin mit ihm verbunden und es mit mir, denn wir sind wie Zwillingsbrüder. Daher teilen wir manches Wissen.“
„Ihr seid Brüder?“, fragte Largais weiter.
„In mir steckt ein besonders großer Funken Belials, besser gesagt ein Bruchteil seines Geistes. Er wurde dem entnommen, was ihr das Transportnetz nennt und in meinen Körper gesperrt. Aber dadurch wurde auch sein Gleichgewicht gestört, zunächst nur ganz gering, doch sich immer mehr verstärkend. Langsam entstand ein zweites Bewusstsein. Im Gegensatz zu mir wurde es nicht sofort befreit, sondern es ist immer noch an das Netz gebunden.“
„Und es will sich befreien, um Al-Amaris zu unterwerfen?“
„Um es zu verwüsten. Diese Fessel hat das Orakel zu einem Ungeheuer gemacht, denn in dieser Fessel steckt auch etwas von Belials Gefängnis. Er wurde an einen Ort verbannt, wo es Nichts gab, von unvorstellbarer Einsamkeit. Belials Geist war stark genug, das zu ertragen, doch das Orakel wurde wahnsinnig. Es will nur noch entfliehen, und dann würde es seinen Wahnsinn unaufhaltsam über ganz Al-Amaris verbreiten.“ Er sah Anna an. „Glaube mir, Anna, du hattest keine andere Wahl, um seine Einwohner zu retten.“
„Ich hatte seine Einsamkeit gespürt, nur einen Augenblick, doch es war schrecklich“, flüsterte Anna, dann fragte sie lauter: „Aber wieso habt ihr ausgerechnet auf mich gewartet?“
„Das hat deine Freundin Salcia bereits richtig erkannt: Du kannst zaubern, ohne eine geborene Magierin zu sein. Nur du konntest nach Al-Amaris gelangen, jede andere Zauberin wäre von dieser Welt sofort vernichtet worden. Die Erscheinung in Gom, das war eine Abwehrreaktion dieser Welt. Ich wusste von deiner Einmaligkeit durch Geldor, und ich wusste von der hier viel schneller vergehenden Zeit.“
„Auf Nebula scheint alles normal zu sein. Eine andere Zauberin hätten einfach direkt hier her kommen können.“
„Nein“, Batrast schüttelte den Kopf. „Nebula kann von eurer Welt aus nicht mehr direkt erreicht werden. Geldor konnte es, weil Al-Amaris noch nicht existierte, doch nun liegt es sozusagen dazwischen. Genauer gesagt kann nur jenes Gebiet erreicht werden, in dem Fiska, Salcia und du angekommen seid, und in dessen Mittelpunkt Gom liegt.“
„Und wieso wusste das Orakel so genau von mir? Es kannte sogar mein Aussehen.“
Batrast knetete nervös seine Hände und versuchte Annas Blick standzuhalten, doch es fiel ihm schwer.
„Von mir, denn ich hatte dich einst verraten.“

„Was? Du hattest mich verraten?“ Anna sprang fast von ihrem Stuhl auf, ließ sich dann aber zurücksinken. Sie verspürte weniger Wut und Enttäuschung, sondern mehr Verwunderung. „Warum hast du das getan?“
„Um meinen eigentlichen Verrat zu vollenden.“ Er warf einen kurzen Blick zu Geldor hinüber, der mit starrer Mine zuhörte. „Ich habe mich mit Geldor und Fiska bereits ausgesprochen, jetzt sollt ihr beide, Anna und Salcia, erfahren, weshalb Geldors Plan beinahe gescheitert wäre.“ Er holte etwas Luft.

„Ich lebte lange Zeit in Gom und wartete auf deine Ankunft, Anna. Anfangs war es schwierig, nicht aufzufallen, doch mit der Zeit passte ich mich den Menschen dort immer mehr an. Ich lernte, wie sie zu leben, auch wenn ich kein Mensch war, sondern nur ein Werkzeug.“ Batrast machte eine verneinende Geste, als Anna etwas einwenden wollte. „Es ist leicht, wie ein Mensch zu arbeiten und zu sprechen, und bald konnte ich sogar Gefühle vortäuschen.“
„Du täuscht sie nur vor?“, warf Salcia ein und warf einen kurzen Seitenblick zu Brita und Verline hinüber, die jedoch sanft lächelten.
„Belial hatte mir einen unsterblichen Körper gegeben, doch für Gefühle schien er keine Notwendigkeit gesehen zu haben. Also lernte sie nach und nach: Freude, Wut, Hass und sogar Liebe, zumindestens glaubte ich das damals. Ich gegründete eine Organisation, die Informationen besorgte und verkaufte, und siedelte sie auf Nebula an, wo ich ab sofort zusammen mit meinen Agenten lebte. So konnte ich meine Unsterblichkeit verbergen und gleichzeitig Gom überwachen.

Neben der Leitung der Organisation verfasste zunächst noch eine Gründungslegende, die zugleich eine Richtschnur für das Verhalten meiner Agenten sein sollte. Zwar musste ich alles um meinen eigentlichen Auftrag herum verschweigen, doch ansonsten ist sie authentisch. Das war endlich eine sinnvolle Beschäftigung. Später zog ich auch gelegentlich selbst aus, um als Agent zu handeln, mir machte das alles zunehmend Spaß.“
„Spaß zu haben ist ein Gefühl“, warf Salcia ein.
Batrast nickte. „Ja, du hast es erfasst. Mit den Jahrzehnten hatte ich Gefühle nicht nur angelernt, sondern verinnerlicht. So sehr, dass irgendwann in mir die Frage auftauchte, weshalb ich Geldors Werkzeug bleiben sollte. Mir gefiel mein Leben, warum sollte ich es beenden?“

„Ich habe dich nie als Werkzeug gesehen“, unterbrach ihn Geldor gereizt.
„Als was denn dann?“, erwiderte Batrast.
„Als einen Vertrauten! Natürlich solltest du den Plan retten, doch kannst du dir nicht vorstellen, wie einsam ich war? Was es für ein Gefühl ist, als einziger die Wahrheit über Al-Amaris zu kennen?“
„Ich kann es mir vorstellen“, sagte Batrast, „denn ich teilte diese Gefühle lange Zeit. Einzig deinen Gesichtsausdruck hatte ich nie verstanden, wenn du in deinem Buch last, um dich für einige Stunden zu erinnern. Ich dachte immer, es müsse eine besondere Qual sein, so an den eigenen Gedächtnisverlust erinnert zu werden, doch für dich war es immer etwas anderes. Heute verstehe ich es besser, damals aber überhaupt nicht. Das hatte es mir leicht gemacht, dir das Buch wegzunehmen.“

Anna sah Geldor an. Der Paladin machte nun einen betroffenen Eindruck.
„Du hast es als Strafe angesehen?“, fragte sie vorsichtig.
Geldor nickte langsam.
„Als Gerechtigkeit für meine Taten und Gedanken, an die ich mich bis heute erinnern kann, als wäre es gestern passiert. Ich hätte niemals Meri an Belial ausliefern dürfen.“
„Natürlich nicht, doch du hast sie auch gerettet. Das war Widergutmachung genug. Meri würde niemals eine Strafe für dich wollen.“
„Das macht es nur noch schlimmer. Wie soll ich Buße leisten können, wenn sie nicht einmal akzeptiert wird?“

Sie seufzte innerlich. Hier war er wieder, der alte und tiefe Graben zwischen den beiden Völkern. Paladine versuchten stets rational zu sein und unterdrückten ihre Gefühle. Sie erinnerte sich an ihre erste Begegnung, als er Meri begehrend angeblickt hatte. Vermutlich bereitete ihm das ebenfalls große Schuldgefühle. Es gab in seinem Volk genügend Menschen, die über die Vermeidung so genannter unreiner Gedanken redeten, in Wirklichkeit aber nur Schuldgefühle und Abhängigkeit erzeugen wollten.

„Geldor“, sagte Anna vorsichtig, „du hattest mich und Meri hintergangen und verletzt. Meinst du nicht auch, du solltest unsere und nicht deine Gerechtigkeit erfüllen? Was du Buße nennst, ist für uns keine Hilfe. Im Gegenteil, es tut mir weh und Meri noch mehr, wenn ein Mensch wegen uns leidet.“
Er sah sie verständnislos an.
„Ich sagte dir doch schon lange, dass Meri dir verziehen hat“, sprach Anna weiter.
„Und was ist mit dir? Manchmal glaube ich, dich viel mehr verletzt zu haben.“
Anna nickte langsam, winkte dann aber mit einer Geste, die etwas zerrissenes hatte, ab. „Lass es einfach gut sein.“

„Ich stahl also Geldors Buch“, fuhr Batrast unvermittelt fort. „Als ich die ersten Regungen des Orakel bemerkt und sein Ziel verstanden hatte, was mir leicht gefallen war, nützte ich meine Möglichkeiten mehr und mehr aus, um den Status Quo zu erhalten. Meine Agenten griffen zwar grundsätzlich nie aktiv ein, doch sorgfältig gestreute Gerüchte und Indiskretionen konnten lange Zeit das Machtgleichgewicht zwischen den Protektoraten erhalten. Ich konnte sogar einen gewissen Respekt für meine Roten Agenten und in Grenzen den Ruf eines ‚Großprotektors’ erringen, der in ungreifbarer Weise über den Protektoren stehen sollte. Doch ich muss heute eingestehen, dass einiges auch Blendwerk des Orakels gewesen sein mag, um vor mir seine eigenen Fortschritte zu verbergen.“

Batrast stellte seinen Weinbecher auf den Tisch, den er die ganze Zeit in der Hand gehalten hatte ohne einen Schluck zu nehmen.
„Das Orakel glaubte ich unter Kontrolle zu haben und Geldor war verschwunden. Doch es gab noch eine Bedrohung, deren Größe ich nicht einschätzen konnte: Die erwartete Zauberin. Ich hatte von Geldor ihre Beschreibung erhalten. Sie sollte die Statur, aber nicht das Benehmen, einer Barbarin besitzen, einen Narbenring am rechten Handgelenk haben und Anna heißen. Sie würde wahrscheinlich eines Tages in Gom auftauchen und einen Teil ihrer Erinnerung verloren haben.“ Batrast machte eine entschuldigende Geste. „Ich musste dich unbedingt aufhalten, also schickte ich zur Sicherheit einen Agenten zu Aodhan, der dich als Rebellenführerin denunzierte. Aodhan war damals noch nicht dem Orakel verfallen und versprach, dich abzufangen.“

„Du wolltest sie umbringen lassen?“, fragte Largais. Seine Stimme zeigte nicht mehr die Erschütterung über die Erkenntnis seiner eigenen Herkunft, sondern unterdrückten Zorn.
Batrast wandte sich ihm zu.
„Ja, Largais, das wollte ich. Ich hätte sie lieber zurückgeschickt, doch das geht nicht. Nur die Erfüllung ihres Auftrags ermöglicht die Rückkehr, was jetzt sehr bald geschehen wird.“
„Das gibst du einfach so zu?“
„Wäre es besser, ich würde lügen oder es schönreden wollen?“
Largais schwieg verblüfft.
„Vielleicht könnte ich sagen, ich wäre ein Opfer des Egoismus geworden, einer menschlichen Eigenschaft, die ich nie erstrebt hätte. Ja, mein Handeln war egoistisch, doch die Verantwortung dafür trage nur ich alleine.“

Er wandte sich wieder Anna und Salcia zu, die beide stumm zugehört hatten.
„Doch statt Anna tauchte eine kleine Amazone auf. Als ich von ihr erfuhr, suchte ich sie in dem Gasthaus auf, in dem sie arbeitete. Zu dem Zeitpunkt kannte ich bereits einige Nandos, die Aodhan bekämpften. Ihr Anführer war ausgerechnet Geldor. Er erkannte mich nicht, doch ich ihn, es war sonderbar...“
Eine kurze Pause entstand, in der sich Batrast und Geldor ansahen, dann fuhr Batrast fort.
„Es ist leicht, eine anonyme Person zu verraten. Doch diese verloren wirkende Frau? Alleine der Gedanke, sie bei diesem schmierigen Wirt arbeiten zu wissen, war mir unerträglich. Außerdem war das nicht Anna. Doch Aodhan hätte sie dennoch verschleppt. Also überredete ich sie, mit mir zu den Nando zu gehen.“
„Und warum hast du mich nicht ausgeliefert?“, fragte Salcia.
Batrast lächelte ansatzweise. „Verloren hast du nie auf mich gewirkt, doch ich erhoffte mir von dir mehr über Annas Ankunft zu fahren. Im übrigen, warum hätte ich das tun sollen?“

„Aber mich hast du erst ausgeliefert und dann zusammen mit Geldor befreit. Oder irre ich mich?“, fragte Anna mit erstaunlich gelassen klingender Stimme, was ihr einen kritischen Seitenblick Salcias einbrachte. Ihre Freundin wusste nur zu gut, was das bedeutete, in der Beziehung waren sie sich zu ähnlich.
„Nein, so war es nicht. Ich gebe zu, dass ich mir das fest vorgenommen hatte. Doch dann traf ich dich wie damals Fiska in der Gaststätte. Damals warst du Sirtis und erteiltest mir eine kleine Abfuhr. Du hast damals bestimmt kein Mitleid, sondern eher Achtung in mir geweckt. Dennoch, hätte Aodhan dich einfach töten wollen, ich hätte dich ausgeliefert. Doch er hatte sich inzwischen sehr verändert, war ein fürchterlicher Tyrann geworden. Seine Schergen hätten dich stattdessen zerbrochen, nicht nur mit grausamen körperlichen Foltern sondern vor allem mit grenzenlosen Demütigungen. Das habe ich nie gewollt.“
„Tatsächlich? Es wäre fast so weit gekommen“, warf Salcia zweifelnd ein.
„Das war keine Absicht gewesen. Ich hatte den Wirt unterschätzt und nicht bemerkt, dass er Anna ebenfalls identifiziert hatte.“
„Manchmal begeht man einen Fehler, um ein ruhiges Gewissen zu behalten“, hakte Salcia nach. „Ich kaufe es dir nicht ab, mit all deiner Erfahrung eine solche Fehleinschätzung zu begehen.“
„Es war aber so“, entgegnete Batrast. „So lange Anna sich nicht an ihren Auftrag erinnerte, so lange war sie keine Gefahr für mich. Du und Fiska erinnerten euch nicht, also würde Anna es ebenfalls kaum tun.“
Die Assassine schüttelte ihren Kopf.
„Du konntest dir unmöglich sicher sein, an was sich Anna wieder erinnern würde, wenn sie Geldor traf. Erzähle mir nicht, du hättest als Anführer eines so großen Agentenringes Skrupel bekommen.“
Bartrast grinste schief. „In der Hinsicht war stets alles unter Kontrolle. Im Lager der Nando, in Remisons Heer und auch in Golarmur waren immer meine Leute, die den Befehl hatten, Anna zu töten, falls sie sich erinnern würde. Glaubst du mir jetzt?“

Ein dumpfer Schlag enthob Salcia der Antwort. Sie sprangen alle auf.
„Kommt mit zum Südbalkon. Von dort haben wir freie Sicht“, sagte Batrast. Seine Stimme zeigte keinerlei Überraschung.
„Freie Sicht auf was?“, fragte Anna.
„Kommt schnell, wir haben wahrscheinlich nur noch wenig Zeit“, erwiderte Batrast. Er öffnete ohne weitere Worte die Tür und eilte davon.
Sie folgten ihm den Gang entlang bis zu einer zweiflügeligen Tür, die er hastig aufriss. Staunend traten sie an die Balkonbrüstung.

Eine mächtige Säule aus Licht stieß in den Nachthimmel. Sie war nicht sonderlich hell, man konnte sie unbeschadet direkt ansehen, doch ihre Größe ließ ungeahnte Kräfte vermuten.
„Was ist das nur?“, fragte Salcia.
„Das ist doch beim Hügel!“, rief Anna erschrocken aus.
„Es ist der Stein“, erklärte Geldor mit einer merkwürdig klingenden Ruhe. „Er steht nicht zufällig auf der Spitze eines großen Hügels.“
Eine Windböe fegte über sie hinweg und die Erde bebte leicht.
„Soll das heißen, du weißt, was hier passiert?“, rief Anna gegen den so plötzlich aufgekommenen Sturm.
„Ja, ich und Batrast haben es schon immer gewusst. Ich hatte es lediglich lange Zeit vergessen, doch nun weiß ich es wieder. Es steht auch auf den Seiten, die er mir wieder gab.“ Er packte Anna bei den Schultern und sah ihr ernst in das Gesicht, das in dem fremden Licht seltsam schimmerte. „Batrast wollte nicht, dass du es erfährst, deshalb hatte er die Seiten herausgetrennt.“
„Lass es mich erklären“, unterbrach in Batrast. „Das bin ich ihr schuldig.“
„Da hat er Recht“, knurrte Geldor und ließ Anna los. Sie wandte sich Batrast zu, der seine beiden Frauen an den Händen festhielt, deren Rolle Anna allmählich zu verstehen begann.

Der Ort,
woraus du nicht weißt,
was du nicht weißt,
wie du nicht weißt,
womit niemand wissen kann.
“,
zitierte er die Inschrift von Geldors Stein. „Das sind die vier Siegel von Belials Gefängnis. Kein noch so mächtiger Geist kann einem Gefängnis entfliehen, wenn er nicht weiß, woraus es besteht. Doch bei Belial ist man noch weiter gegangen. Er weiß nicht einmal, dass er überhupt eingesperrt ist.“ Er sah kurz zu Salcia hinüber. „Du hattest es vorhin bereits richtig erkannt: Einen Geist kann man kaum festhalten, aber man kann ihn täuschen“
„Aber worin besteht diese Täuschung?“, fragte Salcia. „Al-Amaris kann es nicht sein, denn es wurde später von Belial erschaffen.“
„Das ist genau der entscheidende Punkt. Belial erkennt die Täuschung nicht und bleibt daher gefangen. Lediglich sein kleiner, frei gewordener Splitter erkannte die Wahrheit und teilte sie Geldor mit. Er konnte dieses Wissen nach Nebula bringen, doch nur für kurze Zeit, denn das Gefängnis ist so gebaut, dass Niemand in ihm dieses Wissen behalten kann.“
„Moment“, unterbrach Salcia, „willst du sagen, wir befinden uns in Belials Gefängnis?“
Batrast nickte. „Lange Zeit wusste nur ich davon. Jetzt öffnet es sich.“ Er deutete auf die Lichtsäule. „Ihr werdet zusammen mit Belial wieder frei werden.“
„Wieso kann ein wenig Magie ein Gefängnis aufbrechen, das doch sonst so perfekt sein soll?“, fragte Anna.
„Weil echte Zauberei hier völlig unbekannt ist. Nichts zerstört eine Illusion stärker als ein Ereignis, dass in ihr nicht stattfinden kann.“

Annas Augen weiteten sich, als sie die ganze Wahrheit erfasste. Sie konnte sich nicht erklären, wieso die Erkenntnis sie nicht nach und nach, sondern mit einem Schlag übermannte, und woher sie so überraschend kam.
’Wer träumt erkennt nicht die Wirklichkeit,
bis geschieht, was nicht geschehn kann,
was nicht hier sein kann.’
“,
flüsterte sie. „Belial träumt. Er träumt all das hier, und wir wecken ihn auf.“
„Genau so ist es“, bestätigte Batrast. Belial ist in seinen eigenen Gedanken gefangen.
’Das Undenkbare zerstört das Denkbare.’“,
stand auf dem Stein nachdem du ihn mit deiner ganzen Magie berührt hattest. Magie ist undenkbar in Belials Traum. Jetzt wird er erwachen. Dies ist das Ende eines langen Traums.“

„Dann träumen wir das alles hier nur?“, fragte Salcia. Sie hatte etwas Schwierigkeiten gegen den immer größer werdenden Lärm des Sturms anzureden.
„Nein“, antwortete Geldor und warf einen Seitenblick zu Anna. Die Zauberin stand sichtlich erschüttert da, und er schien ihre Einsamkeit geradezu zu spüren. Vorsichtig legte er einen Arm um sie und zog sie freundschaftlich an sich. „Nur Belial träumt, doch es ist der Traum eines Giganten, in dem Welten existieren können. Unsere Körper mögen erträumt sein, doch unsere Seelen sind es nicht. Dein Bewusstsein ist ebenso hier wie Annas und meiner.“
„Mit dem Ende des Traumes werden eure Geister in eure normalen Körper zurückkehren“, bekräftigte Batrast die Worte des Paladins. „Fiska wird dadurch vollständig geheilt werden.“
„Und wir werden wieder zu Belial zurückkehren“, sagte Largais mit leicht entrückt klingender Stimme. „Das ist einerseits schön, andererseits endet damit etwas, dass ich so nie gekannt hatte.“
Er nahm ihre Hand und streifte ihr einen Ring über den Finger.
„Nur ein kleines Abschiedsgeschenk“, sagte er lächelnd dazu.

Anna schluckte, als sie die sichtlich mit ich kämpfende Assassine sah. Durch ihre Tat fügte sie ihrer Freundin genau die Schmerzen zu, die sie so gut kannte. Sie wollte ihr etwas Tröstendes sagen, doch sie brachte kein Wort heraus. Salcia schien ihren Blick zu spüren und drehte sich ihr zu.
„Wir haben es alle gewollt, auch ich“, sagte sie mit jener klingenden Stimme, die fest klang, aber es nicht wirklich war. Sie löste sich aus den Armen des Paladins und stellte sich betont aufrecht. „Ich habe gelernt, es zu tragen.“
Largais packte sie bei den Schultern und drehte sie zu sich. „Für mich wird es bald leicht werden. Mit Belial verschmolzen werde ich dich zwar bestimmt nicht vergessen, doch alles aus einer anderen Warte sehen“, sagte er und wischte ihr mit dem Zeigefinger über das Gesicht. „Doch was wird aus dir?“
„Mache dir um mir nur keine Sorgen.“ Auch sie wischte ihm über das Gesicht. „Ich war nur kurz schwach. Kannst du mir das verzeihen?“

„Die Beiden kommen schon zurecht“, sagte Geldor zu Anna und zog sie ein Stück fort. Sie schauten wieder zu der Lichtsäule.
„Gefühle haben viele Nachteile“, sprach er weiter. „Ohne sie hätten wir uns all diese Schwierigkeiten erspart.“
Er machte eine kurze Pause, sprach dann weiter: „Doch ohne sie wären wir überflüssig.“
„Das sagt ein Paladin?“, fragte Anna und schaute dabei weiter nach vorne zu dem Licht.
„Das sagt er. Mein Traum war kurz, aber ich möchte ihn nicht missen ... sagst du ihr das, bitte?“
„Natürlich ... aber sage es Meri doch am besten selbst.“
„Das kann ich nicht.“

Jetzt drehte sich Anna zu ihm um.
„Mein Körper ging verloren, als Belial mich holte“, erklärte Geldor. „Ich kann daher nicht zurück.“
„Du wirst wie Largais in Belial aufgehen?“
Geldor schüttelte langsam seinen Kopf. „Nein, so einfach geht das leider nicht. Wahrscheinlich wird mein Geist einfach verlöschen, so wie gleich das Licht.“
Anna starrte sie erschrocken an. „Das wollte ich nicht, das tut mir Leid.“
Geldor sah ihr in die Augen. „Das sollte es aber nicht, denn ich akzeptierte es damals so. Belial hatte mir damals schon gesagt, dass das mein Preis für unseren Handel wäre. Behaltet mich einfach in Erinnerung.“

Das Licht erlosch.
 
klasse update auch wenn durch die dichte sehr vielweniger stilvoll als vorher
trotzdem schade das die geschichte praktisch zu ende ist du hättest doch besser 2 oder 3 teile daraus gemacht das währe stimmiger und nicht so plötzlich gewesen

msg pappfresse
 
Das Kapitel ist genial,
eigentlich eine eigene Geschichte mit sehr vielen Ideen und einem starken Hintergrund. Belial erinnert mich z.B. in seinem Verhalten stark an den Ozean aus Solaris.

Ich habe auch beim 2x Lesen noch einiges "gefunden".

Ein Kritikpunkt bleibt aber :
Die Verbindung der "Zwillinge?" Batrast - Orakel kann ich irgendwie nicht fassen. Die Beweggründe des Orakels als Teil des Gefängnisses sind zwar klar, passen aber nicht zu Batrast's Taten.
Warum enthält Batrast kein Teil des Gefängnisses, warum kann ein Teil von Belial wahnsinnig werden ?

Die offenen Fragen sind aber kein Grund, dieses Tischgespräch zu ändern, dazu ist es zu schön...
 
@Pappfresse:
Da hast du völlig recht, am liebsten hätte ich pro Rätsel ein Kapitel geschrieben. Doch mir ging etwa ab Teil 10 die Luft aus, dann kam noch der Bruch beim Beta-Lesen dazu. Inzwischen hilft mir übrigens Insidias, nochmal Danke dafür.

@Systemerror:
Die genaue Antwort könnte nur Belial geben :D
Ganz Al-Amaris, Nebula, die Lebewesen und insbesondere das Transportnetz sind durchdrungen von Belals geistiger Substanz, vielleicht trifft der Begriff "Traummanifestationen".
Batrast wurde im Wesentlichen aus dem Transportnetz heraus erschaffen, wodurch es aus dem Gleichgewicht geriet. Dieses Ungleichgewicht ließ es kondensieren, d.h. es zog sich allmählich zusammen wie Nebel zu Regentropfen, zu Pfützen und Seen. Ab einer bestimmten Größe bildeten diese Zusammenballungen ein Bewußtsein aus: Die Orakel entstanden. Die Orakel und Batrast sind insofern verwand, als sie beide dem Transportnetz entstammen. Sie sind Antipoden desselben Schöpfungsprozesses.
Batrast war sofort frei, die Orakel dagegen waren an das Netz gebunden.
Diese Orakel strebten nun dazu, sich zu einer einzigen Identität zu verschmelzen und vom Netz zu lösen.
Das Netz selbst ist nicht Belials Gefängnis, doch es liegt "näher" an ihm und läßt das Orakel ständig dessen Situation miterleben, nähmlich eine Hilflosigkeit und Einsamkeit, die unvorstellbar ist. Dies trieb das Orakel in eine Mischung aus Zielstrebigkeit, Skrupellosigkeit und Wahnsinn.
Belials Gefängnis war ursprünglich ein absolut leerer Traum, in dem nicht einmal Zeit verging. Batrast und das Orakel sind als Traummanifestationen Bewohner des Gefängnisses. Das Ziel ist es, den Schläfer seinen Traumzustand bemerken zu lassen. Dazu muß der Traum zunächst Inhalt bekommen (Al-Amaris und Bewohner) und dann einen Widerspruch bekommen, der den Träumer erwachen läßt. Daher sind alle Traummanifestationen Gefängnis und Befreier zugleich :D
 
Applaus! :go:

Das ist also das Ende. Etwas unvermittelt, muss ich sagen, und teilweise etwas nüchtern präsentiert. Wie du schon sagtest, daraus hätte man sicher noch einmal so viele Kapitel machen können.

Dennoch ein großes Werk, auch, wenn du es so "abgebrochen" hast. Aber es hat ein Ende, und kein schlechtes.
Vielleicht knüpfst du doch noch einmal hier an, du alter Haudegen? Ich hätte nichts dagegen, die Geschichte von Belial und seinem Traum noch einmal häppchenweise in Kapiteln von dir zu lesen. :D
 
Hallo,

auch mir hat die Geschichte sehr gut gefallen. Ich bin noch auf den Epilog gefasst - noch kam ja Meri nicht vor ;-P

Das Ende hat mich, zugegebener Masen, etwas überrascht und verwirrt. Und noch habe ich das letzte Kapitel nicht ganz verstanden.

Ich werde es aber nochmals lesen, bis auch ich es kapiert habe :D

BTW: Gibt es eigentlich noch die Vorgängergeschichte irgendwo nachzulesen? Ich würde mir diese gern ausdrucken und aufheben, wenn ich darf...


Da ist mir noch "Eine Exkursion zum Kloster" oder "Der Seidenrock" in Erinnerung. Und noch ein Teil, in dem es um einen ähnlichen Stein wie in "Die Protektoren" ging.

Fand ich alles sehr spannend. Wie schon mal geschrieben: Eine richtige Saga um Meri, Anna und Co.

Toll

Gruss

Sebalon
 
Die Protektoren (18)
Epilog: Erwachen

Namensliste und Bezeichnungen:
Anna: Eine Zauberin, die von den Barbaren abstammt
Salcia: Eine Assassine, mit Anna befreundet
Fiska: Eine Amazone, mit Anna befreundet
Meri: Eine Zauberin und Annas Freundin
Rikar: Ein Zauberer
Geldor: Anführer einer Rebellengruppe
Largais: Ein Paladin in Annas Gruppe
Batrast: Der heimliche „Konservator“
Liskon: Fiskas Sohn
Asalia: Annas Adoptivmutter

Al-Amaris: Das Land, in das Anna, Salcia und Fiska verschlagen wurden.


*

Meris Augen ruhten auf der Gestalt unter der dünnen Sommerdecke. Still lag ihre Freundin auf dem Bett, fast wie tot, nur ihr eigener Atem war zu hören. Einige im Raum verteilte Öllampen schufen kleine Inseln dämmerigen Lichts, in dessen Schatten sich die eigenen schweren Gedanken ansammelten. Meri lehnte sich zurück in die Dunkelheit. Sie konnte nichts tun, und das war das Schlimmste.

*

Sie waren am frühen Morgen zu jenem schwarzen Materilisationsstein in Lamanns Garten gegangen, den sie vor wenigen Wochen aus dem Land der Paladine geborgen hatten. Sie wollten über ihn in Belials Gefängnis gelangen, um es dann von innen her aufzubrechen. Lamann, der alte Erzmagier, meinte, das wäre für Anna ein Leichtes, denn dieses Gefängnis bestände nur aus einer Illusion, einem Traum. Sie bräuchte lediglich einen Widerspruch innerhalb dieses Traumes zu erzeugen, und schon würde die Illusion zerbrechen. Geldor würde sie „auf der anderen Seite“ bereits erwarten und zu einem geeigneten Ort bringen, wo dann ein einfacher Zauberspruch genügen würde, denn jenem Traum war Magie absolut fremd.

All das hatte der Erzmagier herausgefunden, indem er zu Geldor und einem Splitter Belials Kontakt aufgenommen hatte, die beide in unbegreiflicher Weise innerhalb des Steines zu hausen schienen. Lamann meinte zwar, normalerweise solle das Volk der Zauberer sich nicht dermaßen in die Angelegenheiten irgendwelcher Überwesen einmischen, doch Belals Gefängnis drohe durch eine Entwicklung, deren Ursache Niemandem, nicht einmal jenem Splitter Belials, bekannt war, ohnehin zu zerbrechen. Würden sie dem nicht zuvorkommen, so würde Belial möglicherweise, Lamann glaubte sogar es wäre wahrscheinlich, in ihre Welt stürzen und sie verwüsten. Bei einer Befreiung durch Anna hingegen würde Belial sie alle in Ruhe lassen. Daher hatten die vier Erzmagier beschlossen, Belial zu befreien.

*

Die kleine Zauberin fühlte wieder einmal nervös nach Annas Puls, er war langsam, aber vorhanden. Sie kämpfte gegen das Gefühl der Schuld an, das dumpf in ihrer Brust brütete. Salcia und Fiska waren zusammen mit Anna aufgebrochen, während sie hier in der bequemen Sicherheit von Asalias Haus zurück geblieben war. Dabei hatte sie von Anfang an nicht geglaubt, dass Annas Mission so einfach würde wie behauptet. Niemand konnte wissen, welche Bedingungen in Belials Gefängnis vorherrschen würden. Sie wussten nur, dass er von Menschen träumte, und dass Zauberei in seinem Traum nicht vorkam. Daher konnte auch keine gebürtige Zauberin dorthin, der Traum würde ihr Bewusstsein abstoßen und dabei vernichten.

Vor allem jedoch wussten sie, dass die Gruppe jede Erinnerung an ihren Auftrag verlieren würde, sie würden nicht einmal mehr ahnen, wo sie waren: Im Traum eines unfassbaren Wesens. Würden sie aus irgend einem Grund Geldor verfehlen, der als einziger es ihnen sagen konnte, sie würden verloren sein. Verschollen in den unermesslichen Tiefen eines Traumes und ihrer Identität beraubt. Wie konnte sie da nur ihre Freundinnen ziehen lassen und selbst tatenlos dasitzen?

*

Die Nacht war weiter fortgeschritten, als Meri einmal mehr aufstand und durch den Raum ging, um auch nach Salcia und Fiska zu sehen. Meri konnte sie in den Lichtern weiterer Lampen auf ihren provisorischen Betten liegen sehen, auch sie wirkten fast wie tot. Man hatte alle Drei hierher in Annas Zimmer gebracht, nachdem sie bei der Berührung des Steins schlagartig ihr Bewusstsein verloren hatten.

Am Ende ihres kleinen Rundgangs durch Annas Zimmer sah Meri zu den beiden Bilder an der Wand. Sie konnte sie nicht wirklich erkennen, dazu waren die Lampen zu schwach, doch sie kannte sie gut genug, um sie in ihrer Vorstellung zu sehen. Anna liebte diese Gemälde über kühle und natürliche Landschaften, und Meri war eine der wenigen Menschen, die den wahren Grund dafür wussten.
Nichts wird dir jemals diese Einsamkeit nehmen können, die dich so stark und so verletzlich macht.
Etwas schwermütig geworden setzte sie sich wieder neben Annas Lager.

Ein leises Klopfen an der Tür beendete Meris Gedanken.
„Ja?“
Die Tür öffnete sich, und ein vager Umriss wurde im Rahmen sichtbar.
„Rikar?“, fragte Meri.
„Ja, ich bin es. Darf ich eintreten?“
„Ich habe dir schon einen Stuhl bereitgestellt.“
Vielleicht nicht nehmen, aber wenigstens lindern.

Rikar kam mit vorsichtigen Schritten herbei, als wenn er befürchtete jemanden aufzuwecken. Er war für einen Zauberer ungewöhnlich groß und kräftig, die Bodendielen knackten verhalten unter seinem Gewicht. Sie setzten sich zusammen neben Annas Bett. Rikar beute sich vor, um Anna anzusehen.
„Sie sieht so blass aus“, meinte er. „Warum musstet ihr denn ausgerechnet sie fortschicken?“ Er drehte seinen Kopf und sah Meri vorwurfsvoll an.
„Weil nur sie es schaffen kann. Anna ist einzigartig.“
„Natürlich ist Anna einzigartig!“, erwiderte Rikar gereizt und wischte eine Haarlocke aus Annas Gesicht. „Ich weiß nicht was ich machen soll, wenn ihr etwas zustößt.“

Er sah wieder zu Meri, als er sie aufschluchzen hörte.
„Entschuldige, so hatte ich das nicht gemeint“, sagte er zerknirscht und drückte sie an seine Schulter. Doch dann besann er sich der üblichen Regeln für verlobte Frauen und ließ sie wieder los. „Ich war ungerecht. Es war Lamanns Idee gewesen, nicht deine. Im Gegenteil, du hast mich sogar hier her gebeten.“
Sie mache eine verzeihende Geste des Verstehens.

„Sie wird doch zurückkommen?“, fragte er. „Ich mache mir Sorgen um sie ... um alle Drei. Wie lange kann ein Körper ohne seinen Geist leben?“
„Ich versorge sie, so gut ich kann.“
„Sie könnten verdursten oder einfach absterben.“
„Hör bloß auf! Lykos meinte das auch schon, doch was soll ich machen?“, sagte Meri mit gequälter Stimme. „Lamann meinte nur, Belial, Geldor, oder was auch immer im Stein ist, würden das schon berücksichtigen.“
„Hm.“ Rikar schob erneut die widerspenstige Haarsträhne aus Annas Gesicht. Er legte seine Hand auf ihre Stirn, dann führ er vorsichtig mit den Fingerkuppen über Wange und Hals. „Sie sieht so friedlich aus.“
„Ja“, meinte Meri, die ihm zugesehen hatte und lächelte leicht. „Sie sagt immer, wer stark ist, der kann friedlich sein.“

*

Mitten in der Nacht schreckte Meri aus ihrem Halbschlaf auf. Ein seltsames Gefühl der Unruhe hatte sie gepackt und vertrieb im Nu ihre Benommenheit. Neben ihr wurde Rikar ebenfalls wach.
„Spürst du das auch?“, fragte sie ihn.
„Was soll ich spüren?“, fragte er zweifelnd zurück.
„Diese Unruhe. Deswegen bist du doch auch aufgewacht.“
„Nein, du hast mich geweckt.“ Er machte eine abwiegelnde Geste. „Schon gut, ich verstehe dich ja, ihr seid schon so lange befreundet. Doch jetzt versuche wieder zu schlafen.“
„Nein, es ist Anna. Ich spüre es ganz deutlich.“

Der Zauberer versuchte Meris Gesicht in dem Halbdunkel zu erkennen. Er kannte Annas Freundin gut genug, um ihre Worte nicht als Unsinn abzutun. Zwar neigten insbesondere einige der jüngeren Zauberinnen dazu, Emotionalität mit Irrationalität zu verwechseln, doch Meri gehörte nicht dazu.
„Was spürst du?“, fragte er wieder, doch dieses Mal ohne Zweifel in der Stimme. Dann verstand er. „Kannst du sie etwa wahrnehmen?“ Er packte ihren Arm und drückte ihn. „Du kannst es ruhig sagen, ich werde es nicht verraten.“
Meri nickte zögernd. „Ja, wenn sie nicht zu weit weg ist. Ich glaube, es ist unser geteiltes Talent, das uns beide verbindet. Deswegen kann nur ich sie wahrnehmen.“

Rikar wusste nicht, ob Meri die letzten beiden Sätze ehrlich gemeint hatte oder sich nur vor Nachstellungen schützen wollte, doch es war ihm egal. Sie würde ihre Kräfte nie missbrauchen.
„Ich glaube dir“, sagte er, dann stutze er. „Moment mal, Anna liegt anders da als vorhin.“
Meri sah genau hin. Anna lag scheinbar unverändert mit lang ausgestreckten Armen und Beinen auf ihrem Rücken unter der Decke, doch dann bemerkte sie es ebenfalls.
„Komisch, als wenn etwas unter ihrem Rücken ist.“
In diesem Moment schlug Anna ihre Augen auf.

*

Kaum war das Licht erloschen, da schob sich eine imaginäre Wand zwischen Anna und ihre Umgebung. Eine Wand, die sie immer deutlicher von dem abtrennte, was vorhin noch ihre Welt gewesen war.

Anna spürte, wie sie den Boden unter den Füßen verlor. Sie kannte dieses Gefühl. Manchmal passierte es ihr in einem Traum, dass sie sich ihres Zustands gewahr wurde, und dann fing sie ebenso an nach oben zu schweben, bis sie erwachte. Und so war es auch jetzt, sie wusste ganz genau, wo sie war: Im Inneren eines Traumes. Doch es war nicht ihr Traum, sondern der eines Wesens, das sie sich nicht vorstellen konnte. Welche Größe und Macht musste es besitzen, wenn es eine ganze Welt in sich erschaffen konnte? Wenn dieser Gigant nun erwachte und aufstand, würde er sie dann womöglich wie eine Ameise zertreten, unbeabsichtigt und unbemerkt? Würde sein erster Gedanke ihren zerbrechlichen Geist verwehen wie der Sturm eine Kerzeflamme?

Ehe die aufkeimende Angst wachsen konnte, breitete sich ein Gefühl der Geborgenheit in ihr aus. Es war angenehm, sich ihm hinzugeben, warm flutete es in den Körper. Es drang immer weiter vor, aus Geborgenheit wurde Nähe. Doch es verharrte hier nicht, es suchte sich seinen Weg in ihre Seele. Die Geborgenheit kippte. Etwas blickte bis auf den Boden ihres Wesens, wo Anna die Abgründe ihrer Existenz verborgen hatte. Sie wollte vor Scham weinen, als mit belangloser Schonungslosigkeit alles durchwühlt wurde, doch sie konnte es nicht. Sie wollte schreien, doch sie konnte es nicht.

Dann zog es sich zurück, bis wieder das Gefühl der Geborgenheit entstand, in dem Anna sich einen Moment lang sonnen konnte. Eine überraschende Erkenntnis schob sich in den Vordergrund:
Das Talent der Zauberei wird nicht vererbt, sondern im Mutterleib übertragen.
Das war ein seltsamer Gedanke für diese Situation. Anna fühlte, wie eine ungeahnte Erleichterung sie erfasste, denn so erhaben die Erkenntnis über jedem Zweifel stand, so wichtig war sie für sie. Anna fragte sich, woher dieses Wissen kam. In dem Moment als sie begriff, erwachte sie.

*

Meri und Rikar fuhren gleichzeitig von ihren Stühlen hoch.
„Anna!“, rief Rikar aus.

Es war nur ein einfacher Name, ein einzelnes Wort, doch es drückte so viel aus. Anna lächelte zaghaft, nur mit den Augen, doch es war nicht zu übersehen. Dann erfasste es auch ihr Gesicht. Es sah etwas mühselig aus, als wenn sie sich erst wieder an ihren Körper gewöhnen müsste. Rikar ging in die Knie, um Annas Arm ergreifen zu können. Er packte ihn mit beiden Händen und drückte ihn an seine Brust. Meri sah ihm zu, und mit einem Mal fühlte sie sich fehl am Platz. Hastig sah sie fort, hinüber zu den beiden anderen Betten, und zu ihrer Erleichterung war auch auf ihnen Bewegung zu erkennen. Mit einer gemurmelten Entschuldigung, die ohnehin niemand hörte, wandte sie sich ab und eilte zu Salcia und Fiska.

Sie war zuerst bei Salcia. Meri konnte sehen, dass ihre Freundin weinte. Natürlich tat sie das nicht offensichtlich, doch Meri entging es nicht, wie Salcia mit starrem Gesicht dalag und das Kinn leicht zuckte. Wieder wandte sich Meri rasch ab. Es fiel ihr schwer, ihre Freundin nicht trösten zu dürfen, doch sie hatte lernen müssen, dass Assassinen Trost als Demütigung empfanden.

Als Meris Blick Fiska erfasste, fuhr der Schreck durch Meris Glieder.
Was ist denn nur mit Fiska passiert?

Die Amazone hatte ihren Oberkörper aufgerichtet und sah Meri direkt an. Es war nicht die Tatsache, dass die blonde Frau den wachesten Eindruck aller Drei machte, sondern ihr Blick. Er hatte nichts mehr von unsicherer Verschlossenheit in sich, sondern bezeugte nun jenen kühlen Stolz, für die Amazonen so berüchtigt waren. Erst im zweiten Moment erkannte Meri dahinter auch die verdeckte Wärme, die nur so wenige Menschen sehen konnten.

Erkennen huschte über Fiskas ernstes Gesicht, und jene Wärme hinter den blauen Augen trat hervor und breitete sich über ihr ganzes Gesicht aus.
„Entschuldige, wenn ich dich erschreckt habe“, sagte Fiska mit ungewohnt fester Stimme. „Wie geht es Liskon?“
„Deinem Sohn geht es gut, er schläft bei Asalia im Zimmer.“
„Danke, dass du dich um ihn gekümmert hast. Daran hatte ich nie gezweifelt“, meinte Fiska und schlug die Bettdecke zurück. Sie drehte ihren rechten Arm prüfend im Lichtschein.
„Was ... was ist passiert?“, fragte Meri.
Fiska ließ den Arm sinken. „Er ist wieder völlig gesund. Es stimmt also, was Batrast sagte.“
„Natürlich ist er gesund“, meinte Meri verwirrt, während ihre Freundin vom Bett aufstand und einige vorsichtige Schritte machte, als ob sie ihren Beinen nicht trauen würde.

„Wie lange waren wir bewusstlos, Meri?“, klang Salcias Stimme auf. Unbemerkt war auch sie aufgestanden und hatte sich den Beiden genähert. Etwas hastig wischte sie sich über die Augen und sah sich suchend um, bis sie Anna im Hintergrund entdeckte, die neben Rikar auf ihrem Bett saß. Sie konnte nur den Rücken von Beiden sehen, der Zauberer hatte seinen Arm um Annas Schulter gelegt und sie an sich gezogen.
„Seit gestern früh“, antwortete Meri. „Es ist jetzt späte Nacht, also ist noch keinen ganzer Tag um. Das ging aber schnell.“

Als Salcia scheinbar nicht reagierte, fragte sie mit hörbar wachsender Ungeduld: „Ist alles in Ordnung? Was ist mit Geldor?“
„Nur ein Tag soll das gewesen sein?“, sagte Salcia endlich mit schleppender Stimme. Ihr Blick löste sich von Anna und wandte sich Meri zu. „Wir waren ein halbes Jahr lang in Al-Amaris.“ Sie nickte bekräftigend. „Ein halbes Jahr, Meri. Da kann so viel passieren.“ Kurz huschte ein Schatten unterdrückten Schmerzes über ihr Gesicht. „So viel.“
„Aber...“
Mitten in Meris Erwiderung schlug Salcia sich plötzlich eine Hand vor das Gesicht und drehte sich ab. Meri wollte sie zurückdrehen, doch Fiska hielt sie ab.
„Lass sie, das will sie nicht“, sagte die Amazone sanft aber bestimmt.
Meri sah Fiska an. „Ja, natürlich, ich weiß. Aber was ist nur geschehen? Wo ist Geldor?“
„Geldor ist tot.“
„Was?“, rief Meri.

„Er konnte nicht zurück. Das ist eine längere Geschichte, die schwer zu erzählen sein wird“, antwortete Anna anstelle der Amazone. Sie war zusammen mit Rikar zu ihnen gekommen.
„Um Belials Traum zu beenden, mussten einige Opfer gebracht werden, Meri“, erklärte Fiska. „Auch Geldor starb dafür.“
„Wie kann man denn in einem Traum sterben?“, fragte Meri ungläubig.
„Wie kann man in einem Traum leben?“, fragte Fiska zurück. „Meri, das ist kein normaler Traum gewesen, sondern Belials. Wir lebten in ihm ein halbes Jahr lang in einer anderen Welt, die erfüllt war von vielen Menschen. Verstehst du? Es waren Menschen.“ Völlig überraschend packte sie die kleine Zauberin an den Schultern. „Batrast starb ebenfalls, doch ich versprach ihm, nicht traurig zu sein.“ Ihre Stimme wurde zu einem Flüstern. „Das war eine Lüge.“ Ihre Hände sanken herab.

Anna schien inzwischen Salcias Zustand bemerkt zu haben. Schuldbewusst blickte sie zu Boden.
„Salcia?“, fragte sie bittend ihre Freundin, die immer noch abgewandt stand.
„Salcia, das habe ich nicht gewollt.“
Die schwarzhaarige Frau drehte sich langsam zu Anna um, deren Kopf sich nur schwer hob. Beide sahen sich eine Weile stumm in die Augen, dann nickte Salcia. „Das weiß ich doch. Es tut nur so schrecklich weh. Doch du kannst nichts dafür.“ Langsam entspannte sich ihr Gesicht. „Es ist schön in Al-Amaris gewesen, und ohne dich hätte ich das nicht erleben dürfen. Schau, ich habe sogar etwas mitnehmen können.“ Sie hob ihre ausgestreckte Hand hoch. Ein Ring glänzte an ihrem Mittelfinger.
„Ist das nicht der Ring, den Largais dir zum Abschied schenkte?“, fragte Anna überrascht.
„Ja, das ist er.“ Salcias Blick schweifte kurz ab in unbekannte Fernen.
„Doch das ist nicht alles.“ Sie hob ihre andere Hand und öffnet sie. Ein kleines Fläschchen kam zum Vorschein. „Ich habe nicht nur den Ring mitbekommen, sondern auch die Flasche vom Cha’jaal.“ Ihr Gesicht wurde ernst. „Obwohl der Cha’jaal an einem ungewöhnlichen Ort stattfand, habe ich keine Zweifel an seiner Gültigkeit. Ich fühle mich jetzt wie eine vollwertige Assassine.“
„Das bist du auch“, bekräftigte Anna und zeigte auf das Fläschchen. „Das bezeuge ich jederzeit. Doch ich denke, mit Belial hast du einen Zeugen, den so leicht niemand vorweisen kann.“ Sie deutete auf Salcias Stirn. „Er hat sogar die Bluttaufe bekräftigt.“

Salcia wischte sich über ihre Stirn. Bei dem schlechten Licht war es vor Anna niemandem aufgefallen, dass sie einen roten Strich aus Blut auf ihr hatte.
„Tatsächlich.“ Sie reckte sich stolz. „Jetzt habe ich zwei Taufen, eine von dir und eine von Belial.“

„Ich scheine auch etwas mitgenommen zu haben“, sagte Anna. „Das hier habe ich in meinem Bett gefunden.“ Sie zeigte zwei Bücher.
„Wo kommen die den her? Die kenne ich noch gar nicht“, sagte Meri.
„Das kannst du auch nicht“, meinte Anna. „Es sind Bücher aus Al-Amaris, wie auch immer sie von dort hier her kamen. Das hier sind Geldors ‚Erinnerungen an Al-Amaris’.“ Sie schlug das Buch auf. „Es ist jetzt sogar vollständig.“ Sie drückte es der verblüfften Meri in die Hände. „Ich bin sicher, dass er es so gewollt hätte.“
Dann hob sie das zweite Buch höher. „Das andere Buch heißt ‚Zauberland Nebula’ und beinhaltet Batrasts Geschichte.

Anna wollte das zweite Buch Fiska geben, doch sie lehnte ab.
„Danke, aber ich werde Batrast auch so nicht vergessen. Er war bis zuletzt bei mir und hat so viel gesagt.“ Fiskas Stimme wirkte etwas traurig, um dann wieder nüchterner zu werden: „Vielleicht kann ich das hier alles erklären. Batrast sagte mir, er wolle sich bei uns allen bedanken. Er sagte nicht womit, aber mir hat er ein Geschenk gemacht, dass ich nicht fassen kann. Ich bin noch ganz durcheinander davon.“ Sie lächelte erleichtert. „Er nahm mir das Leid und die Schuld meiner Vergangenheit.“
„Wie bitte?“, fragte Anna. „Du hast die Erinnerung daran verloren?“
„Nein“, erwiderte Fiska ungewohnt selbstsicher. „Es geschah beim Aufwachen. Es war, als wenn jemand tief in meine Seele blickte und dann das größte Leid daraus entfernte. Nun erinnere ich mich zwar noch immer an alles, was man mir antat und was ich tat, doch ich sehe es jetzt aus einer ähnlichen Entfernung wie einen vergangenen Traum.“ Ihre Augen strahlten vor Freude. „Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie sich das anfühlt.“
Salcia klopfte ihr auf die Schulter. „Vielleicht doch. Dir wurde etwas vom Gewissen genommen, mir gegeben.“

Anna nickte schwer, während sie sich an ihr eigenes Erwachen erinnerte. Vielleicht hatte auch Salcia ein ähnliches Erlebnis gehabt, sie würden sicherlich irgendwann darüber sprechen. Doch zuerst müsste sie mit ihrer eigenen neuen Erkenntnis fertig werden.

„Je mehr ihr erzählt, desto weniger verstehe ich“, klang Meris Stimme auf.
„Mir geht es ebenso“, bekräftigte Rikar.
Anna, Salcia und Fiska nickten verstehend.
„Gut, wir werden euch Beiden alles von Anfang an erzählen“, versprach Anna.


Dies war der letzte Teil der „Protektoren“. Die Geschichte von Anna und ihren Freunden ist zwar noch lange nicht zu Ende, als nächstes würde eine Reise zu den Amazonen kommen, doch es ist sehr unwahrscheinlich, dass ich sie jemals schreiben werde.
Ich möchte mich noch einmal bei denen Bedanken, die mir mittels Beta-Lesen geholfen haben: Reeba, Prowler und Insidias.
 
Bei einer Befreiung durch Anna hingegen würde Belial sie alle in Ruhe lassen.
Also, das habe ich noch nicht ganz verstanden. Aus welchem Grund sollte Belial denn die Welt der Menschen in Frieden lassen? Aus Dankbarkeit?
 
Belial ist ein weit höher entwickeltes Wesen als ein Mensch, das keinerlei Interessen an ihnen hat. Daher würde er ihnen weder helfen noch schaden.
Hätte dagegen das Orakel weitermachen können (das ist die "unbekannte Ursache"), dann wäre der Traum letztlich gewaltsam zerbrochen und ein gestörter Belial wäre aufgetaucht. Da einige Steine auch bei den Menschen (insbesondere der in Lamanns Garten) sind, wäre er wahrscheinlich in deren Nähe erschienen und hätte alles bedroht. Nicht durch planmäßige Zerstörung oder Unterwerfung, sonderen durch seine Präsenz. Als übermächtiges Geisteswesen würde er menschliche Bewusstseine so vernichten, wie ein zu heißes Feuer herumschwirrende Mücken.
 
Man merkt, dass du die Geschichte wirklich verdammt gut durchdacht hast.
eusa_clap.gif

Aber ich kann dir nur sagen, dass sie Mühe sich gelohnt hat. ;)
 
schade das die geschichte jetzt zuende ist , schöner wäre es natürlich wenndu die geschichte weiterführe würderst. aber den motivationsverlust kann ich schon nachvollziehen, wenn man immer den druck hat weiterzumachen macht das einfach keine spass mehr.
ich hab früher auch selber geschrieben aber nachdem meine freunde mich immer mehr nervten und immer mehr wollten, hat das schreiben keine lust mehr gemacht. aner was schweife ich so ab, das absolute ende ist muss ich leider sagen nicht ganz so gut wie der rest, da ein paar fehler zu viel drin sind, und er dadurch (für mich) einwenig "hingeklatscht" wirkt.
insgesamt aber wahr alles seeeehr seeeehr schön zu lesen, meld dich ma wenn du irgendwann/irgendwo nocheinma eine geschichte veröffentlichst
mfg dein fan pappfresse
 
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