Stimmt, doch diese Hälfte wurde noch einmal neu geschrieben.
Jetzt gegen Ende der Geschichte muss ich aufpassen, dass keine Unstimmigkeiten entstehen. Deshalb musste ich zunächst ein detailliertes Konzept für den Rest entwerfen. Das ist noch nicht ganz fertig, doch dieser Teil ist jetzt fest:
Es ist Ende Mai in Al-Amaris. Die Rebellenbewegung, der sich auch Anna und ihre Freunde angeschlossen hatten, hoffte nach dem Tod des Protektors von Ra-Genion in dessem Feldherren Remison einen verhandlungsbereiten Nachfolger zu bekommen. Remison bestand aber auf die Begleitung Annas zu seinem neuen Amtssitz, um sie dort mit einem Orakel zu konfrontieren, welches sie als Gefahr bezichtigte.
Zu spät erkennen sie, dass Remison vom Orakel manipuliert wird, welches sich mehr und mehr als die eigentliche Kraft hinter der Tyrannei in Al-Amaris entpuppt. Sie geraten in Gefangenschaft, doch Remisons Sekretär verhilft ihnen zur Flucht. In der Orakelkammer begegnen sie Remison...
Die Protektoren (14)
Nebula
Namensliste und Bezeichnungen:
Anna: Eine Zauberin, die von den Barbaren abstammt
Salcia: Eine Assassine, mit Anna befreundet
Fiska: Eine Amazone, mit Anna befreundet
Largais: Ein Paladin in Annas Gruppe
Geldor: Paladin und ein Anführer der Nando
Batrast: Aufklären und Spionieren sind sein Handwerk
Remison: Der neue Protektor von Ra-Genion
Seanachan: Remisons Sekretär
Meri: Annas Freundin
Liskon: Fiskas Sohn
Die Nando: Der Eigenname der Rebellenbewegung
Golarmur: Der Name der Festung des Protektors in der Stadt Merotir.
Ra-Genion: Der Name von Remisons Protektorat
Al-Amaris: Das unbekannte Land, in das Anna, Salcia und Fiska verschlagen wurden.
Fiska zog sofort ihren Dolch aus dem Gürtel. Es war ihr in diesem Moment gleichgültig, wie überlegen der Gegner war, Remisons Worte waren eindeutig gewesen. Aus dem Stand sprang sie auf den Nächststehenden zu, doch der Mann wich ihr geschickt aus und schlug zugleich mit seiner Kampfkeule nach ihr. Er traf sie am Kopf. Fiska hörte den dumpfen Aufschlag, der Raum kippte zur Seite, er wackelte und kreiste um sie herum. Ehe sie ihre Orientierung wiedererlangen konnte, stieß etwas hart in ihren Rücken und ließ sie nach vorne gegen einen Körper taumeln. Ihr Gesicht drückte in etwas Weiches, und eine Wolke aus Schweiß, Alkohol und Tabak umfing sie. Grob wurde ihr Kopf an den Haaren weggerissen. Sie sah einen fremden Bauch und darüber ein grinsendes Gesicht. Sofort stach sie zu. Das Grinsen verwandelte sich in eine Fratze des Entsetzens und ein Schrei erklang. Fiska kam frei und stach erneut zu. Der Mann fiel nach vorne, dabei bekam er Fiskas linken Arm zu fassen und zog sie mit sich zu Boden. Etwas knackte vernehmlich, dann lag sie unter dem schweren Wächter eingeklemmt auf dem Rücken. Fiska blickte ihm direkt in seine Augen, sie erkannte Schmerz und Mordlust in ihnen. Von Angst und Verzweiflung getrieben stach sie wieder und wieder zu, irgendwo in seine Seite. Die fremden Augen weiteten sich, und ein unkontrolliertes Zucken durchlief den großen Körper auf ihr.
Angestrengt atmend fing Fiska an, sich unter dem Leib hervor zu wühlen. Seine erschlaffte Masse drückte schwer auf ihr, raube ihr den Atem. Mit einem Ruck gelang es ihr, ihren Oberkörper hervor zu ziehen, doch die heftige Bewegung löste auch eine Woge des Schmerzes aus, die durch ihr rechtes Bein rollte und dunkle Flecken vor ihre Augen trieb.
Verdammt!
Einer der Flecken wuchs an und wurde zu einem der Wächter. Er hatte ein Schwert und kannte kein Zögern. Er stach sofort zu. Fiska versuchte auszuweichen, doch es gelang nicht völlig, die Klinge bohrte sich unterhalb ihrer Schulter tief in den Leib. Ein lauter Ruf erklang, plötzlich spritzte Blut und eine weiche Masse in ihr Gesicht. Der Mann kippte zur Seite. Anna glitt durch ihr Gesichtsfeld, Schwert und Streitkolben in den Fäusten. Eine grimmige Begeisterung ergriff Fiska.
Damit habt ihr nicht gerechnet!
Sie zog ihr linkes Bein an und presste den Fuß gegen den auf ihr liegenden Körper. Mit geschlossenen Augen wappnete sie sich gegen das Kommende, spannte alle Muskeln an und schob den Leib mit einem kräftigen Tritt beiseite. Doch der aufbrandende Schmerz war so heftig, dass sie dennoch aufschrie und ihren Hinterkopf unkontrolliert mehrmals auf den Boden schlug. Als er nicht nachließ, zerrte sie in einem verzweifelten Aufbäumen ihr rechtes Bein unter der Last hervor. Endlich ebbte der Schmerz ab. Fiska schob ihre Unterlippe zwischen die Zähne, winkelte ihr unverletztes Bein an und stieß sich mit den Armen in eine Hocke, wobei das andere Bein, das sie sich nicht traute anzuschauen, gesteckt nach vorne gerichtet war. Der Schatten einer herabsausenden Keule ließ sie zur Seite sehen. Reflexartig riss sie ihren rechten Arm hoch, der krachende Aufschlag schleuderte sie hart zu Boden.
Fiska erwartete den tödlichen Treffer, doch er blieb aus. Schwer wälzte sie sich herum und entdeckte einen weiteren leblosen Körper neben sich, der in einer sich vergrößernden Blutlache lag. Erstaunt registrierte sie, dass sie keine Schmerzen mehr spürte, selbst beim Herumdrehen hatte sie nichts gespürt. Eine tiefe Angst packte ihr Herz und presste es mit kalten Fingern zusammen.
Liskon! Meri, bitte, kümmere dich um meinen Sohn!
Im selben Moment übermannte die Scham sie. Wie konnte sie das von Meri erhoffen, wenn ihr Versagen Annas Tod bedeutete? Ihre Scham verwandelte sich in Zorn, und sie suchte mit ihren Augen den Boden nach dem Dolch ab, den sie verloren haben musste. Sie entdeckte ihn direkt neben sich in einer zierlichen Hand. Fiska griff mit ihrem linken Arm danach, doch die fremde Hand wollte ihn nicht hergeben.
Gib schon her!
Wütend brach sie mit einem festen Ruck den Dolch heraus. Ihr Blick folgte der fremden Hand einem Arm hinauf, und sie erkannte die Wahrheit. Erstaunen und Schock weiteten ihre Augen, dann hörte sie einen dumpfen Schlag und es war nichts mehr.
*
Beim Betreten der Kammer waren Anna und Seanachan vorangegangen, dahinter waren Salcia, Fiska und Largais gefolgt. Als die Wächter und Remison hervortraten, waren Fiska ganz links und Salcia ganz rechts je einen halben Schritt hinter den beiden vorderen zum stehen gekommen, zwischen ihnen befand sich Largais.
Salcias Gedanken überschlugen sich während Remisons weniger Worte. Sie hatte viel über das Einschätzen von solchen Situationen gelernt, wenn auch nur wenig an praktischen Erfahrungen sammeln können. Gegenüber standen sechs Männer, und zweifellos würde ein so bedeutsames Objekt wie der Orakelstein von Elitesoldaten bewacht werden. Dennoch erschienen sie ihr unangemessen nachlässig.
Sie haben nicht mit unseren Waffen gerechnet.
Sie warf einen Blick auf Annas Rücken und wusste sofort, dass es zum Kampf kommen würde. Sie kannte ihre Freundin gut genug. So hob sie immer ihre Schultern an, wenn sie gleich losstürmen wollte, ob beim Diskutieren oder beim Kämpfen. Salcia unterdrückte sofort den Gedanken an ihre Freundschaft, hier und jetzt war sie nur eine Vertreterin ihres Volkes, die sich bemühte, die einst durch Sinsa verursachte Schmach und Schuld zu tilgen.
Doch es gelang nicht recht. Sie wollte sich nicht selbst verleugnen.
Fiskas Vorstoß erlöste Salcia von ihren Gedanken. Die Entscheidung war gefallen, Anna würde ihrer Freundin mit Sicherheit nacheilen. Salcia sah voraus, dass sich auf der linken Seite um Fiska herum gleich alles dicht ballen würde. Doch sie brauchte Platz zum Kämpfen, so entschied sie sich, nach rechts hin zwei der Wächter anzugreifen. Salcias rechte Hand schlüpfte wie von selbst in die Ledermanschette der Kralle und ihre Linke fuhr zum Dolch. Sie lief mit zwei Schritten vor und schien zu straucheln, stolpernd erreichte sie die beiden anvisierten Gegner. Doch anstatt sich zu fangen, ließ sie sich überraschend zwischen ihnen auf den Rücken fallen, und die Waffen der beiden verwirrten Wächter rauschten über ihr ins Leere. Salcia stach ihre Klingen in die Beine eines der Männer. Während sie den Dolch sofort wieder herauszog, verdrehte sie die tief im Fleisch sitzende Kralle und nutzte sie als Haltegriff. Salcia rollte sich in einen Schulterstrand, parierte einen Schwerthieb des anderen Gegners mit dem Dolch und trat gleichzeitig nach ihm. Er konnte zwar ausweichen, doch Salcia gewann Zeit, um ihre Rolle in den Stand zu vollenden. Sie riss die Kralle aus dem Bein und rammte den Dolch mit einem kräftigen Rückwärtsarmschwung bis zum Heft durch den Rücken in das Herz des vom Wundschock paralysierten Gegners.
Der tödlich Getroffene stürzte wie ein Baum zu Boden. Salcia konnte die Klinge nicht mehr rechtzeitig herausziehen, sie hatte sich vermutlich irgendwo in seiner Rückenpanzerung verklemmt. So stand sie ihrer zweiten Waffe beraubt dem verbliebenen Gegner gegenüber. Sie wusste, dass es jetzt schwieriger wurde, denn zuvor hatten sich die Beiden gegenseitig behindert und ihr sogar als Deckung gedient. Dennoch riskierte sie einen kurzen Blick auf die andere Seite und erkannte Anna und Largais, die zusammen gegen drei Gegner ankämpften.
Wo ist Fiska?
In dem Moment tauchte Remison auf.
Der ehemalige Feldherr schien fliehen zu wollen. Salcia wollte das verhindern und stellte sich gleichzeitig zu ihrem Kampf auch noch ihm in den Weg. Mit nur ihrer Kralle war sie jetzt in die Defensive gedrängt, so standen sich alle drei eine Zeit lang belauernd gegenüber.
Fiskas Schmerzensschrei lenkte alle Drei für einen Moment ab. Während ihre beiden Gegner immer wieder hinüberblickten und schließlich zusahen, wie einer der Wächter mit seiner Kriegskeule auf die am Boden hockende Gestalt einschlug, konnte Salcia das Schwert des getöteten Mannes aufheben. Diese Waffe war für sie zwar ungewohnt schwer, aber besser als nichts. So konnte sie weiterhin dem Druck ihrer beiden Gegner standhalten.
Endlich eilte Largais ihr zu Hilfe. Mit verkniffenem Gesicht und ohne dem Wächter eine Möglichkeit zur Aufgabe zu geben erschlug er ihn mit einem mächtigen Schwerthieb. Remison ließ seine Waffe fallen, doch erst Salcia konnte den Paladin stoppen.
„Nicht! Er ist es nicht wert.“
Er warf ihr einen Blick zu, dann drosch er seine Faust in Remisons Gesicht. Der ehemalige Feldherr ging benommen zu Boden. Salcia drückte an eine Stelle an seinem Hals, um ihn endgültig bewusstlos zu machen.
Sie sah Largais an, er schien ebenso wie sie selbst völlig unverletzt. Er schien ihre Gedanken zu erraten: „Fiska hat unsere Gegner auf sich gezogen. Sie lag die ganze Zeit über hinter ihnen und versuchte aufzustehen. Dreimal hatten sie geglaubt, sie würde ihnen in den Rücken fallen. Jedes Mal ist einer von ihnen zu ihr gegangen und hat sie angegriffen. Das hat jedem von ihnen das Leben gekostet, es hat uns gerettet, doch sie ...“
Er brach ab und packte die schreckstarre Salcia am Arm. Zusammen eilten sie zu der auf dem Boden liegenden Fiska, neben der Anna saß, die sie untersuchte.
Largais war als Nahkämpfer an schreckliche Anblicke gewöhnt, doch dieser hier berührte ihn tief. Es war nicht so sehr wegen Fiska, sondern wegen Anna. Er kannte seine Schutzbefohlene inzwischen gut genug, um ihr den Schmerz anmerken zu können, der für fremde Menschen unsichtbar war. Salcia hatte ihm bei der Nachricht über Darsis Tod erzählt, Anna wäre von einem Volk adoptiert worden, das ihre Gefühle offen zeige, weswegen auch sie ihre zeige und sich sogar ihrer Tränen nicht schäme. Doch es gab einen Punkt, ab dem sie ungewollt das Verhalten ihres Geburtsvolks übernähme, welches insbesondere Trauer und Schmerz zu verbergen gewohnt sei. Je größer ihr Schmerz, desto unbeteiligter wirke sie daher, dass hatte er lange nicht verstanden. Jetzt musste er diese Eigenheit zum zweiten Mal erleben. Anna wirkte ruhig, nur das leichte Zittern ihrer Hände, mit denen sie einen Einstich unterhalb Fiskas Schulter untersuchte, und ihr versteinertes Gesicht zeugten von ihren Gefühlen. Sie sah kurz auf:
„Sie lebt, aber ein Bein ist gebrochen, der Unterarm zertrümmert und der Schwertstich scheint mit tief zu sein.“
Stumm sah Largais ihr weiter zu, drückte dabei unbewusst Salcia an sich.
Endlich stand Anna auf. Sie wischte sich über das Gesicht, wodurch sie es noch mehr mit Blut verunstaltete.
„Ich kam zweimal einen Schritt zu spät.“
Der Paladin senkte schuldbewusst den Kopf. Auch er war einmal zu langsam gewesen. Er empfand es als Demütigung, selbst unverletzt geblieben zu sein.
„Wird sie sterben?“, fragte er matt.
„Ich weiß es nicht“, antwortete Anna.
„An unserem Ziel gibt es gute Heiler“, meldete sich Seanachan zu Wort. Der alte Sekretär hatte sich während des Kampfes im Hintergrund gehalten.
„Unserem Ziel?“, fragte Anna, ihre Stimme schwankte nun zwischen Trauer, Wut und Misstrauen. „Ihr seid doch nicht nur ein Sekretär, oder?“
„Ihr habt recht. Ich bin ein Roter Agent.“
Sie schritt auf ihn zu, den Streitkolben drohend erhoben.
„Ein Agent? Könnt ihr uns nicht in Ruhe lassen? Ich habe das so satt. Geht, lasst uns alleine!“
Er ergriff vorsichtig ihren Arm und sah sie ernst an.
„Ich bitte Euch. Der Großprotektor will euch alle hier herausbekommen. Er hat die Möglichkeiten, Fiska zu helfen. Glaubt Ihr, er würde einen seiner wertvollsten Agenten enttarnen, wenn es ihm nicht wirklich wichtig wäre?“
„Wer ist der Großprotektor? Interessiert ihn den Fiska überhaupt?“
„Ich kenne ihn nicht, er kontaktiert seine Agenten immer nur über Mittelsmänner. Aber meint Ihr nicht, wir sollten das besprechen, nachdem Fiska in kundigen Händen ist?“
Anna nickte schwach.
Largais und Anna hoben vorsichtig Fiska hoch und trugen sie zum Stein. Anschließend schleifte der Paladin den immer noch bewusstlosen Remison herbei, auf dessen Mitnahme Seanachan bestanden hatte. Dann bildeten sie einen Kreis und berührten sich gegenseitig.
„Erschreckt nicht über den plötzlichen Ortswechsel. Macht am besten die Augen zu und stellt euch vor, ihr würdet durch eine Tür in das Freie treten.“
*
Largais fand sich schlagartig inmitten eines kräftigen Regenschauers wieder. Das herabprasselnde Wasser, das von einem dunklen Himmel herab stürzte und ihn im Nu bis auf die Haut durchnässte, ließ ihn die Augen aufreißen. Er ließ die Hände von Salcia und Anna los.
Sie standen nach wie vor im Kreis, aber jetzt auf einer Wiese unter freiem Himmel. Es herrschte das Zwielicht der Dämmerung, ob abends oder morgens konnte Largais nicht sagen.
„Wir müssen weit gereist sein, wenn sich die Tageszeit so sehr verschoben hat“, sagte er verunsichert.
„Also ist die Erde doch eine Kugel?“, fragte Salcia zurück.
„Natürlich ist sie das“, antwortete Largais knapp, dann fiel sein Blick auf den Stein in ihrer Mitte. Er glich dem Orakelstein wie ein Ei dem anderen, wenn man von seiner hellgrauen Farbe absah, und bildete den Gipfel eines Hügels, der nach allen Seiten hin sanft abfiel. Largais ging einen Schritt auf ihn zu und sah ihn genauer an, doch auch hier fand er nicht die Schriftzeichen, von denen Anna erzählt hatte.
Largais sah er sich genauer um. Doch viel war nicht von der Umgebung zu erkennen, der dichte Regen verhinderte weite Blicke. Der Hügel war völlig baumlos, alles verlor sich in unbestimmbarer Entfernung in einem konturlosen nebeligem Grau.
Wie trostlos. Und wie passend für meine Leistung.
Dann bemerkte er doch noch ein Zeugnis menschlicher Präsenz an diesem Ort. Es war ein kleiner Aussichtsturm aus Holz, der nicht weit entfernt aufragte, doch sich kaum gegen den diesigen Hintergrund abzeichnete. Erst ein schwaches Licht, das sich auf ihm seitlich hin und her bewegte, zog Largais Ausmerksamkeit auf ihn. Seanachan schien schon länger in seine Richtung geschaut zu haben, er reagierte mit Gesten beider Arme, die den Paladin an Flaggensignale erinnerten. Das Licht antwortete mit einer komplizierten Serie von Abblendungen, dann verschwand es.
„Ich habe der Portalwache signalisiert, dass wir Hilfe brauchen. Sie wird es mit Lichtsignalen zum Dorf weiter melden. Das geht schnell, aber es wird dennoch etwas dauern, bis sie hier eintreffen“, erklärte Seanachan.
„Wo sind wir hier? Sind wir hier sicher, oder müssen wir uns verstecken?“, fragte ihn Largais.
„Wir befinden uns auf Nebula, einer Insel weit entfernt von allem. Hier sind wir in Sicherheit. Nur wer bereits auf Nebula war, kann die Portalsteine nutzen. Und man kann in Gedanken bestimmen, wen man mitnimmt und wen nicht.“
„Das erinnert mich an Geschichten, die Anna erzählt hat, über Zauberei und Dämonen.“
Seanachan lächelte leicht. „Das sind nur Märchen, es gibt keine Zauberer und keine Dämonen. Auch wenn uns die Steine übernatürlich erscheinen, so gibt es sicherlich eine logische Erklärung für ihre Funktion. Das habe ich schon bei ganz anderen Dingen erlebt.“
„Da mögt Ihr wohl recht haben.“
Sie gingen beide zu Fiska. Die Amazone lag in einer flachen Mulde, in der sich rot gefärbtes Wasser angesammelt hatte. Anna und Salcia standen neben ihr, ihnen war die Hilflosigkeit deutlich anzusehen. Der Regen hatte Fiska nicht nur sauber gewaschen, er hatte auch ihre Verletzungen unübersehbar gemacht.
„Wie geht es ihr?“, fragte Largais.
„Sie ist nach wie vor bewusstlos“, antwortete Salcia ihm. „Ich denke, das ist auch besser so, denn ihre Brüche sind schlimm. Deshalb wollen wir sie auch nicht bewegen.“
Largais wollte dem zustimmen, wollte sein Mitgefühl ausdrücken, doch ihm fielen keine passenden Worte ein. So blieb er stumm und wartete im Regen auf die versprochene Hilfe, während es zunehmend dunkler wurde.
*
Es schien ihm eine Ewigkeit vergangen zu sein, als endlich mehrere schwankende Lichter durch den Regen drangen. Es war die angekündigte Hilfe, die sich durch die inzwischen fortgeschrittene Dunkelheit mit Laternen in den Händen eilig näherte. Largais erkannte vier Männer und zwei Frauen, und sie wurden zu seiner Überraschung von Geldor angeführt.
„Seid Ihr auch ein Agent?“, rief er ihm entgegen.
Geldor machte erst noch einige Schritte, dann entgegnete er etwas atemlos: „Nein, Largais, ich bin kein Agent. Ich wurde vom Großprotektor eingeladen, um als Stellvertreter der Nando über eine neue Ordnung zu verhandeln. Doch es sieht so aus, als wenn wir alle uns zu früh gefreut hätten.“
„Ihr scheint mir aber diesen Trupp anzuführen.“
„Das stimmt. Wir haben euch erwartet, deshalb schickte man mich als Bekannten, um euch abzuholen.“
„Warum wart Ihr dann nicht da?“
„Sollen wir tagelang im Regen rumsitzen? Soll das ein Verhör werden?“, erwiderte Geldor ebenso gereizt.
„Könnt ihr das nicht später diskutieren?“, rief Anna ihm zu, „Fiska ist schwer verletzt! Wir brauchen eine Trage.“
Geldor ging mit zwei seiner Begleiter zu ihr. Während sie Fiska auf eine mitgebrachte Trage hoben, legte er einen Arm um Anna Schulter und drückte sie leicht.
„Wir werden für sie tun, was wir können.“
Sie brachen auf. Zurück blieben zwei Männer, die warten sollten, bis Remison erwachte, um ihn dann in Gewahrsam zu nehmen. Geldor hatte versichert, dass ihm nichts geschehen würde, er solle aber von einer Rückkehr zur Macht und dem Orakel abgehalten werden. Dann erzählte er, was in der Zwischenzeit geschehen war:
„Ich habe Remisons Marsch nach Merotir und seine Machtübernahme beobachten lassen. Kaum schien sie geglückt, als ein Bote bei uns auftauchte. Er gab sich als ein Roter Agent aus, der im Auftrag eines Großprotektors handeln würde. Von beiden Begriffen hatte ich früher bereits gehört, aber immer nur in Form von Gerüchten, deren Glaubwürdigkeit mir nicht allzu hoch erschienen war.“
Anna nahm nicht den Blick von der Trage, die zu ihrer Beruhigung aufmerksam und vorsichtig geführt wurde, während sie fragte: „Aber du hast ihm geglaubt?“
„Ja, denn es ist ein alter Bekannter. Er bot mir Verhandlungen mit dem Großprotektor über das weitere Vorgehen an, und da wir einen dieser Steine für die Reise verwenden wollten, hatte ich guten Grund anzunehmen, dass er tatsächlich eine mir unbekannte Partei vertrat. Und es stimmt, wie du siehst.“
„Es gibt noch mehr von den Steinen?“
„Unser lag in einer kleinen Höhle verborgen. Der Agent meinte sogar, es gäbe viele davon über ganz Al-Amaris verstreut.“
„Was und wer ist dieser Großprotektor? Das klingt nach einem Anführer, der alles zu verantworten hat“, fragte Anna weiter.
„Diese Frage kann ich dir leider nicht beantworten. Ich bin ihm noch nicht begegnet, wir redeten bisher nur über Mittelsmänner.“ Er bemerkte Annas skeptischen Blick. „Ich verdenke dir, nach allem, was geschehen ist, dein Misstrauen nicht. Doch es ist die Wahrheit.“
„Es ist nicht so sehr Misstrauen gegenüber dir. Du hast immer gesagt, ebenso wie ich Lücken in der Erinnerung zu haben.“
„Ja, auch ich erinnere mich nicht daran, wie ich nach Al-Amaris kam. Doch es ist etwas anders als bei dir: Meine Erinnerung verliert sich allmählich im Dunkel der Vergangenheit. Ich habe vergessen, wie ich hierher kam und wie ich zu einem Anführer wurde, selbst mein früheres Leben verblasst zunehmend.“
„Auch unsere Reise mit Meri?“
Geldors antwortete nicht sofort.
„Daran kann ich mich erinnern. Es ist ewig her, doch wie könnte ich das vergessen?“
„Es war vor einem Jahr.“
„Du scherzt. Es war vor mindestens zehn Jahren.“ Er sah ihren Seitenblick. „Schau nicht so, ich meine es ernst. Ich kann mich an mindestens zehn Sommer in Al-Amaris erinnern. Oder glaubst du, innerhalb eines Jahres könnte ich ein führender Nando werden?“
„Unsinn! Sehe ich etwa zehn Jahre älter aus? Oder Fiska und Salcia?“
„Nein, doch du bist eine Zauberin und es sind deine Freundinnen.“
„Wie meinst du das?“
„Bitte missverstehe mich nicht. Ich glaube nicht an das böse Gerede über Säuglingsopfer und Blut trinken, doch ihr Zauberer kennt vermutlich irgendwelche Kräuter, die eure Jugend länger zu bewahren helfen.“
Anna schüttelte nur ihren Kopf und konzentrierte sich mehr auf die Umgebung. Sie waren die ganze Zeit über einen gewundenen Pfad entlang den Hügel hinab gegangen und erreichten jetzt allmählich ebenes Gelände. Vereinzelte Lichter drangen durch den Regen zu ihnen, und nach einigen hundert Schritten erreichten sie die ersten Häuser.
„Hier wohnen die Roten Agenten mit ihren Familien“, erklärte Geldor. „Es ist ein kleines Dorf, bei Tag wirst du es besser erkennen können.“
„Ein ganzes Dorf bewohnt von Agenten?“, fragte Salcia, die bisher nur stumm zugehört hatte.
„Es gibt offensichtlich hunderte von diesen Agenten“, antwortete Geldor mit gesenkter Stimme, „Sie und das nur ihnen bekannte Transportnetz scheinen mir die eigentliche Machtbasis dieses Großprotektors zu bilden. Ich habe nie von einer militärischen Macht oder einem Reich gehört, überhaupt scheint er mir jemand zu sein, der im Hintergrund bleiben will. Er wird hier übrigens öfters ‚Konservator’ genannt.“
„Das gefällt mir nicht. Könnte es sein, dass wir alle nur nützliche Idioten sind?“
„Das ist auch meine Befürchtung. Wir handeln ohne die Hintergründe oder die Hintermänner zu kennen“, pflichtete Anna bei.
„Ich kann es nicht ausschließen“, meinte Geldor.
Sie erreichten ein größeres Gebäude. Einge Stufen führten zu einer offen stehender Tür hinauf, in der ein großer Mann stand. Er hob seine Laterne grüßend hoch und winkte ihnen mit der anderen Hand zu.
„Das ist doch Batrast!“, entfuhr es Anna.
„Das ist der Rote Agent, der mich abgeholt hat. Ich glaube du kennst ihn“, schmunzelte Geldor.
„Das erklärt, warum er immer so gut informiert war. Hoffentlich kann er jetzt Fiska ebensogut helfen.“
Anna konnte erkennen, wie Batrasts Blick suchend über sie schweifte. Ein dunkler Schatten schien über sein Gesicht zu ziehen, und er kam ihnen die Stufen hinab entgegen.
„Es ist Fiska?“, fragte er und blickte auf die Trage. Es zuckte in seinem Gesicht. „Kommt! Schnell!“
Von sichtbarer Ungeduld getrieben führte er den kleinen Zug durch einen schmalen Korridor bis zu einem sparsam eingerichteten Raum, in dem sie von einem Mann und einer Frau erwartet wurden.
„Dies sind unsere beiden besten Heiler. Sie werden sich jetzt um Fiska kümmern.“
Die beiden Heiler sahen die Verletzte kurz an.
„Legt sie auf den Tisch dort“, sagte der Mann, „und lasst uns dann alleine.“
„Ich möchte Fiska nicht alleine lassen. Wenn sie aufwacht, sollte jemand da sein, den sie kennt“, widersprach Anna.
„Ihr seid schmutzig und steht nur im Weg herum. Es wird länger dauern, bis sie aufwacht“, fuhr der Heiler sie an, dann wandte er sich Fiska zu.
„Wir werden Euch Bescheid sagen, sobald wir sie behandelt haben“, versprach die Frau mit einem entschuldigenden Blick und schob Anna aus dem Raum. Die Anderen folgen ihr mit auf den Gang.
„Er meint es nicht so“, sagte Batrast dort. „Er ist nur in Sorge um seine Patientin.“
„Das bin ich auch“, erwiderte Anna gereizt.
„Ihr wollt sicherlich lieber im Haus bleiben?“, bot Batrast beschwichtigend an.
„Wäre das möglich?“, nahm Anna sein Angebot an.
„Ja. Eigentlich solltet ihr in einem der Häuser wohnen, doch es ist auch noch ein einzelnes Zimmer frei. Das könnt ihr beide nehmen“, er nickte Anna und Salcia zu. „Für dich, Largais, könnte ich eine Matratze und Decken auf den Gang legen lassen.“
Er führte sie in das erste Stockwerk.
„Wartet hier, ich sage den Frauen Bescheid“, meinte er vor einer Tür und eilte davon.
Wenig später kamen zwei Frauen mit allerlei Decken und frischen Kleidern. Die ältere von ihnen deutete auf einen Waschzuber, der in einer Ecke stand.
„Die Heiler achten sehr auf Sauberkeit. Wer zu der Verletzten will, wird sich zuvor gründlich waschen müssen.“ Sie zog an einem Seil, und durch eine Holzrinne strömte Wasser in den Zuber. „Das ist Regenwasser von der Dachzisterne, davon gibt es auf Nebula mehr als genug.“
„Mach du nur zuerst“, sagte Salcia, die Annas bittenden Blick bemerkte.
„Ich werde mich auch beeilen“, versprach Anna dankbar.
„Largais kann bei mir zu Hause baden“, schlug Geldor vor. Zusammen mit Geldor ging er, während Anna sich bereits hastig auszog.
*
Nach etwa einer Stunde klopfte es an der Tür. Anna sprang von ihrem Stuhl auf und riss die Tür auf. Es war Batrast.
„Kann ich eintreten?“, fragte er mit ernstem Gesicht.
Anna nickte, sie alle hatten sich inzwischen gebadet und umgezogen. Batrast trat ein und setzte sich etwas umständlich an den Tisch.
„Ich habe eben mit der Heilerin gesprochen.“ Er machte eine entschuldigende Geste. „Sie sind noch nicht fertig und ich habe sie zufällig getroffen, als sie Kräuter holte.“
„Ist schon gut. Wie geht es Fiska?“
„Ihr rechter Unterarm ist zertrümmert, das rechte Schienbein gebrochen und sie hat einen Schwertstich in der Brust, dessen Schwere sie noch nicht völlig abschätzen können.“
„Wird sie überleben?“
„Sie wird diese Verletzungen übeleben“, meinte Batrast, doch ein leichtes Zögern lag in seiner Stimme. Anna wartete, bis er von sich aus weitersprach:
„Der Arm wird verkrüppelt bleiben und das Bein ... Es ist ein offener Bruch, er wird sich wahrscheinlich entzünden, und dann müssten sie amputieren.“
„Das kann nicht sein“, flüsterte Anna. „Das kann nicht sein!“, rief sie. „Diese verdammten Heiler werden doch noch einige gebrochene Knochen zusammensetzen können!“
Batrast ergriff ihre linke Hand, die sie zur Faust geballt hatte. „Wir alle wünschen das. Ich habe damals Fiska in Gom gefunden, ich fühle mich für sie verantwortlich.“ Er sah ihren tränenverschleierten Blick. „Es tut mir Leid.“ Er drückte ihre Faust mit beiden Händen, dann stand er auf und ging aus dem Zimmer.