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Die Protektoren

ich hasse cliff-hanger.

doch gerade das führ zu einer geradezu übermäßigen sehnsucht nach dem nächsten up.

ich freu mich drauf.

dieses war klasse und ich hoffe du kannst dieses niveau bis zum schluss durchhalten.

Gruß, Helldog
 
Ich hab mich jetzt länger davor gedrückt, die letzten Ups zu lesen, aber aus dem Wissen über die älteren Stories schon einen Zusammenhang mit dem Stein vermutet. Nachdem ich mir die letzten 3 Posts zu Gemüte geführt habe, sehe ich das endlich bestätigt, allerdings stehe ich trotzdem im Dunklen und weiß nicht was es mit dem Stein auf sich hat, bzw. was daran anders ist als am Ende der letzten Story. :)

Allmählich gesellt sich zum Wunsch nach Updates auch Angst, nämlich die Angst vor dem Ende der Story, weil's dann vermutlich wieder länger nichts von Dir gibt... :(
 
Danke für den Ansporn. :)
Es wird wahrscheinlich noch ein bis zwei Teile geben, die ich aber in einem Stück schreiben will, damit es keine Brüche gibt. Verraten möchte ich wie üblich nichts im voraus.
 
Das ist einer der übelsten Cliffhanger der letzten Zeit :motz:


Aber sehr schön geschrieben - wann hatte ich das letzte Up gelesen gehabt - es ist jedenfalls viel zu lange her gewesen.

Winziger Lapsus: Als Remison von seinem Heerlager berichtet ( vor der Ankunft) beschreibt er auf Nachfrage, dass er genug "vertrauensvolle" Leute dort hätte.
Ich nehme an, "vertrauenswürdig" hast Du schreiben wollen.


Freue mich auf eine Fortsetzung.
Warum zum Teufel verändert sich Remison so?
Haben meine Vermutungen doch ein Körnchen Wahrheit an sich?


Mal sehen :)


:hy:

DV
 
Was macht diese Story auf Seite 2 ?
Bei dem Cliffhänger war das Update doch schon zur Hälfte vorhanden, oder...
 
Stimmt, doch diese Hälfte wurde noch einmal neu geschrieben. :D
Jetzt gegen Ende der Geschichte muss ich aufpassen, dass keine Unstimmigkeiten entstehen. Deshalb musste ich zunächst ein detailliertes Konzept für den Rest entwerfen. Das ist noch nicht ganz fertig, doch dieser Teil ist jetzt fest:


Es ist Ende Mai in Al-Amaris. Die Rebellenbewegung, der sich auch Anna und ihre Freunde angeschlossen hatten, hoffte nach dem Tod des Protektors von Ra-Genion in dessem Feldherren Remison einen verhandlungsbereiten Nachfolger zu bekommen. Remison bestand aber auf die Begleitung Annas zu seinem neuen Amtssitz, um sie dort mit einem Orakel zu konfrontieren, welches sie als Gefahr bezichtigte.
Zu spät erkennen sie, dass Remison vom Orakel manipuliert wird, welches sich mehr und mehr als die eigentliche Kraft hinter der Tyrannei in Al-Amaris entpuppt. Sie geraten in Gefangenschaft, doch Remisons Sekretär verhilft ihnen zur Flucht. In der Orakelkammer begegnen sie Remison...


Die Protektoren (14)
Nebula

Namensliste und Bezeichnungen:
Anna: Eine Zauberin, die von den Barbaren abstammt
Salcia: Eine Assassine, mit Anna befreundet
Fiska: Eine Amazone, mit Anna befreundet
Largais: Ein Paladin in Annas Gruppe
Geldor: Paladin und ein Anführer der Nando
Batrast: Aufklären und Spionieren sind sein Handwerk
Remison: Der neue Protektor von Ra-Genion
Seanachan: Remisons Sekretär
Meri: Annas Freundin
Liskon: Fiskas Sohn

Die Nando: Der Eigenname der Rebellenbewegung

Golarmur: Der Name der Festung des Protektors in der Stadt Merotir.
Ra-Genion: Der Name von Remisons Protektorat
Al-Amaris: Das unbekannte Land, in das Anna, Salcia und Fiska verschlagen wurden.


Fiska zog sofort ihren Dolch aus dem Gürtel. Es war ihr in diesem Moment gleichgültig, wie überlegen der Gegner war, Remisons Worte waren eindeutig gewesen. Aus dem Stand sprang sie auf den Nächststehenden zu, doch der Mann wich ihr geschickt aus und schlug zugleich mit seiner Kampfkeule nach ihr. Er traf sie am Kopf. Fiska hörte den dumpfen Aufschlag, der Raum kippte zur Seite, er wackelte und kreiste um sie herum. Ehe sie ihre Orientierung wiedererlangen konnte, stieß etwas hart in ihren Rücken und ließ sie nach vorne gegen einen Körper taumeln. Ihr Gesicht drückte in etwas Weiches, und eine Wolke aus Schweiß, Alkohol und Tabak umfing sie. Grob wurde ihr Kopf an den Haaren weggerissen. Sie sah einen fremden Bauch und darüber ein grinsendes Gesicht. Sofort stach sie zu. Das Grinsen verwandelte sich in eine Fratze des Entsetzens und ein Schrei erklang. Fiska kam frei und stach erneut zu. Der Mann fiel nach vorne, dabei bekam er Fiskas linken Arm zu fassen und zog sie mit sich zu Boden. Etwas knackte vernehmlich, dann lag sie unter dem schweren Wächter eingeklemmt auf dem Rücken. Fiska blickte ihm direkt in seine Augen, sie erkannte Schmerz und Mordlust in ihnen. Von Angst und Verzweiflung getrieben stach sie wieder und wieder zu, irgendwo in seine Seite. Die fremden Augen weiteten sich, und ein unkontrolliertes Zucken durchlief den großen Körper auf ihr.

Angestrengt atmend fing Fiska an, sich unter dem Leib hervor zu wühlen. Seine erschlaffte Masse drückte schwer auf ihr, raube ihr den Atem. Mit einem Ruck gelang es ihr, ihren Oberkörper hervor zu ziehen, doch die heftige Bewegung löste auch eine Woge des Schmerzes aus, die durch ihr rechtes Bein rollte und dunkle Flecken vor ihre Augen trieb.
Verdammt!

Einer der Flecken wuchs an und wurde zu einem der Wächter. Er hatte ein Schwert und kannte kein Zögern. Er stach sofort zu. Fiska versuchte auszuweichen, doch es gelang nicht völlig, die Klinge bohrte sich unterhalb ihrer Schulter tief in den Leib. Ein lauter Ruf erklang, plötzlich spritzte Blut und eine weiche Masse in ihr Gesicht. Der Mann kippte zur Seite. Anna glitt durch ihr Gesichtsfeld, Schwert und Streitkolben in den Fäusten. Eine grimmige Begeisterung ergriff Fiska.
Damit habt ihr nicht gerechnet!

Sie zog ihr linkes Bein an und presste den Fuß gegen den auf ihr liegenden Körper. Mit geschlossenen Augen wappnete sie sich gegen das Kommende, spannte alle Muskeln an und schob den Leib mit einem kräftigen Tritt beiseite. Doch der aufbrandende Schmerz war so heftig, dass sie dennoch aufschrie und ihren Hinterkopf unkontrolliert mehrmals auf den Boden schlug. Als er nicht nachließ, zerrte sie in einem verzweifelten Aufbäumen ihr rechtes Bein unter der Last hervor. Endlich ebbte der Schmerz ab. Fiska schob ihre Unterlippe zwischen die Zähne, winkelte ihr unverletztes Bein an und stieß sich mit den Armen in eine Hocke, wobei das andere Bein, das sie sich nicht traute anzuschauen, gesteckt nach vorne gerichtet war. Der Schatten einer herabsausenden Keule ließ sie zur Seite sehen. Reflexartig riss sie ihren rechten Arm hoch, der krachende Aufschlag schleuderte sie hart zu Boden.

Fiska erwartete den tödlichen Treffer, doch er blieb aus. Schwer wälzte sie sich herum und entdeckte einen weiteren leblosen Körper neben sich, der in einer sich vergrößernden Blutlache lag. Erstaunt registrierte sie, dass sie keine Schmerzen mehr spürte, selbst beim Herumdrehen hatte sie nichts gespürt. Eine tiefe Angst packte ihr Herz und presste es mit kalten Fingern zusammen.
Liskon! Meri, bitte, kümmere dich um meinen Sohn!
Im selben Moment übermannte die Scham sie. Wie konnte sie das von Meri erhoffen, wenn ihr Versagen Annas Tod bedeutete? Ihre Scham verwandelte sich in Zorn, und sie suchte mit ihren Augen den Boden nach dem Dolch ab, den sie verloren haben musste. Sie entdeckte ihn direkt neben sich in einer zierlichen Hand. Fiska griff mit ihrem linken Arm danach, doch die fremde Hand wollte ihn nicht hergeben.
Gib schon her!
Wütend brach sie mit einem festen Ruck den Dolch heraus. Ihr Blick folgte der fremden Hand einem Arm hinauf, und sie erkannte die Wahrheit. Erstaunen und Schock weiteten ihre Augen, dann hörte sie einen dumpfen Schlag und es war nichts mehr.

*

Beim Betreten der Kammer waren Anna und Seanachan vorangegangen, dahinter waren Salcia, Fiska und Largais gefolgt. Als die Wächter und Remison hervortraten, waren Fiska ganz links und Salcia ganz rechts je einen halben Schritt hinter den beiden vorderen zum stehen gekommen, zwischen ihnen befand sich Largais.

Salcias Gedanken überschlugen sich während Remisons weniger Worte. Sie hatte viel über das Einschätzen von solchen Situationen gelernt, wenn auch nur wenig an praktischen Erfahrungen sammeln können. Gegenüber standen sechs Männer, und zweifellos würde ein so bedeutsames Objekt wie der Orakelstein von Elitesoldaten bewacht werden. Dennoch erschienen sie ihr unangemessen nachlässig.
Sie haben nicht mit unseren Waffen gerechnet.

Sie warf einen Blick auf Annas Rücken und wusste sofort, dass es zum Kampf kommen würde. Sie kannte ihre Freundin gut genug. So hob sie immer ihre Schultern an, wenn sie gleich losstürmen wollte, ob beim Diskutieren oder beim Kämpfen. Salcia unterdrückte sofort den Gedanken an ihre Freundschaft, hier und jetzt war sie nur eine Vertreterin ihres Volkes, die sich bemühte, die einst durch Sinsa verursachte Schmach und Schuld zu tilgen.

Doch es gelang nicht recht. Sie wollte sich nicht selbst verleugnen.

Fiskas Vorstoß erlöste Salcia von ihren Gedanken. Die Entscheidung war gefallen, Anna würde ihrer Freundin mit Sicherheit nacheilen. Salcia sah voraus, dass sich auf der linken Seite um Fiska herum gleich alles dicht ballen würde. Doch sie brauchte Platz zum Kämpfen, so entschied sie sich, nach rechts hin zwei der Wächter anzugreifen. Salcias rechte Hand schlüpfte wie von selbst in die Ledermanschette der Kralle und ihre Linke fuhr zum Dolch. Sie lief mit zwei Schritten vor und schien zu straucheln, stolpernd erreichte sie die beiden anvisierten Gegner. Doch anstatt sich zu fangen, ließ sie sich überraschend zwischen ihnen auf den Rücken fallen, und die Waffen der beiden verwirrten Wächter rauschten über ihr ins Leere. Salcia stach ihre Klingen in die Beine eines der Männer. Während sie den Dolch sofort wieder herauszog, verdrehte sie die tief im Fleisch sitzende Kralle und nutzte sie als Haltegriff. Salcia rollte sich in einen Schulterstrand, parierte einen Schwerthieb des anderen Gegners mit dem Dolch und trat gleichzeitig nach ihm. Er konnte zwar ausweichen, doch Salcia gewann Zeit, um ihre Rolle in den Stand zu vollenden. Sie riss die Kralle aus dem Bein und rammte den Dolch mit einem kräftigen Rückwärtsarmschwung bis zum Heft durch den Rücken in das Herz des vom Wundschock paralysierten Gegners.

Der tödlich Getroffene stürzte wie ein Baum zu Boden. Salcia konnte die Klinge nicht mehr rechtzeitig herausziehen, sie hatte sich vermutlich irgendwo in seiner Rückenpanzerung verklemmt. So stand sie ihrer zweiten Waffe beraubt dem verbliebenen Gegner gegenüber. Sie wusste, dass es jetzt schwieriger wurde, denn zuvor hatten sich die Beiden gegenseitig behindert und ihr sogar als Deckung gedient. Dennoch riskierte sie einen kurzen Blick auf die andere Seite und erkannte Anna und Largais, die zusammen gegen drei Gegner ankämpften.
Wo ist Fiska?
In dem Moment tauchte Remison auf.

Der ehemalige Feldherr schien fliehen zu wollen. Salcia wollte das verhindern und stellte sich gleichzeitig zu ihrem Kampf auch noch ihm in den Weg. Mit nur ihrer Kralle war sie jetzt in die Defensive gedrängt, so standen sich alle drei eine Zeit lang belauernd gegenüber.

Fiskas Schmerzensschrei lenkte alle Drei für einen Moment ab. Während ihre beiden Gegner immer wieder hinüberblickten und schließlich zusahen, wie einer der Wächter mit seiner Kriegskeule auf die am Boden hockende Gestalt einschlug, konnte Salcia das Schwert des getöteten Mannes aufheben. Diese Waffe war für sie zwar ungewohnt schwer, aber besser als nichts. So konnte sie weiterhin dem Druck ihrer beiden Gegner standhalten.

Endlich eilte Largais ihr zu Hilfe. Mit verkniffenem Gesicht und ohne dem Wächter eine Möglichkeit zur Aufgabe zu geben erschlug er ihn mit einem mächtigen Schwerthieb. Remison ließ seine Waffe fallen, doch erst Salcia konnte den Paladin stoppen.
„Nicht! Er ist es nicht wert.“
Er warf ihr einen Blick zu, dann drosch er seine Faust in Remisons Gesicht. Der ehemalige Feldherr ging benommen zu Boden. Salcia drückte an eine Stelle an seinem Hals, um ihn endgültig bewusstlos zu machen.

Sie sah Largais an, er schien ebenso wie sie selbst völlig unverletzt. Er schien ihre Gedanken zu erraten: „Fiska hat unsere Gegner auf sich gezogen. Sie lag die ganze Zeit über hinter ihnen und versuchte aufzustehen. Dreimal hatten sie geglaubt, sie würde ihnen in den Rücken fallen. Jedes Mal ist einer von ihnen zu ihr gegangen und hat sie angegriffen. Das hat jedem von ihnen das Leben gekostet, es hat uns gerettet, doch sie ...“
Er brach ab und packte die schreckstarre Salcia am Arm. Zusammen eilten sie zu der auf dem Boden liegenden Fiska, neben der Anna saß, die sie untersuchte.

Largais war als Nahkämpfer an schreckliche Anblicke gewöhnt, doch dieser hier berührte ihn tief. Es war nicht so sehr wegen Fiska, sondern wegen Anna. Er kannte seine Schutzbefohlene inzwischen gut genug, um ihr den Schmerz anmerken zu können, der für fremde Menschen unsichtbar war. Salcia hatte ihm bei der Nachricht über Darsis Tod erzählt, Anna wäre von einem Volk adoptiert worden, das ihre Gefühle offen zeige, weswegen auch sie ihre zeige und sich sogar ihrer Tränen nicht schäme. Doch es gab einen Punkt, ab dem sie ungewollt das Verhalten ihres Geburtsvolks übernähme, welches insbesondere Trauer und Schmerz zu verbergen gewohnt sei. Je größer ihr Schmerz, desto unbeteiligter wirke sie daher, dass hatte er lange nicht verstanden. Jetzt musste er diese Eigenheit zum zweiten Mal erleben. Anna wirkte ruhig, nur das leichte Zittern ihrer Hände, mit denen sie einen Einstich unterhalb Fiskas Schulter untersuchte, und ihr versteinertes Gesicht zeugten von ihren Gefühlen. Sie sah kurz auf:
„Sie lebt, aber ein Bein ist gebrochen, der Unterarm zertrümmert und der Schwertstich scheint mit tief zu sein.“
Stumm sah Largais ihr weiter zu, drückte dabei unbewusst Salcia an sich.

Endlich stand Anna auf. Sie wischte sich über das Gesicht, wodurch sie es noch mehr mit Blut verunstaltete.
„Ich kam zweimal einen Schritt zu spät.“
Der Paladin senkte schuldbewusst den Kopf. Auch er war einmal zu langsam gewesen. Er empfand es als Demütigung, selbst unverletzt geblieben zu sein.
„Wird sie sterben?“, fragte er matt.
„Ich weiß es nicht“, antwortete Anna.

„An unserem Ziel gibt es gute Heiler“, meldete sich Seanachan zu Wort. Der alte Sekretär hatte sich während des Kampfes im Hintergrund gehalten.
„Unserem Ziel?“, fragte Anna, ihre Stimme schwankte nun zwischen Trauer, Wut und Misstrauen. „Ihr seid doch nicht nur ein Sekretär, oder?“
„Ihr habt recht. Ich bin ein Roter Agent.“
Sie schritt auf ihn zu, den Streitkolben drohend erhoben.
„Ein Agent? Könnt ihr uns nicht in Ruhe lassen? Ich habe das so satt. Geht, lasst uns alleine!“
Er ergriff vorsichtig ihren Arm und sah sie ernst an.
„Ich bitte Euch. Der Großprotektor will euch alle hier herausbekommen. Er hat die Möglichkeiten, Fiska zu helfen. Glaubt Ihr, er würde einen seiner wertvollsten Agenten enttarnen, wenn es ihm nicht wirklich wichtig wäre?“
„Wer ist der Großprotektor? Interessiert ihn den Fiska überhaupt?“
„Ich kenne ihn nicht, er kontaktiert seine Agenten immer nur über Mittelsmänner. Aber meint Ihr nicht, wir sollten das besprechen, nachdem Fiska in kundigen Händen ist?“
Anna nickte schwach.

Largais und Anna hoben vorsichtig Fiska hoch und trugen sie zum Stein. Anschließend schleifte der Paladin den immer noch bewusstlosen Remison herbei, auf dessen Mitnahme Seanachan bestanden hatte. Dann bildeten sie einen Kreis und berührten sich gegenseitig.
„Erschreckt nicht über den plötzlichen Ortswechsel. Macht am besten die Augen zu und stellt euch vor, ihr würdet durch eine Tür in das Freie treten.“

*

Largais fand sich schlagartig inmitten eines kräftigen Regenschauers wieder. Das herabprasselnde Wasser, das von einem dunklen Himmel herab stürzte und ihn im Nu bis auf die Haut durchnässte, ließ ihn die Augen aufreißen. Er ließ die Hände von Salcia und Anna los.

Sie standen nach wie vor im Kreis, aber jetzt auf einer Wiese unter freiem Himmel. Es herrschte das Zwielicht der Dämmerung, ob abends oder morgens konnte Largais nicht sagen.
„Wir müssen weit gereist sein, wenn sich die Tageszeit so sehr verschoben hat“, sagte er verunsichert.
„Also ist die Erde doch eine Kugel?“, fragte Salcia zurück.
„Natürlich ist sie das“, antwortete Largais knapp, dann fiel sein Blick auf den Stein in ihrer Mitte. Er glich dem Orakelstein wie ein Ei dem anderen, wenn man von seiner hellgrauen Farbe absah, und bildete den Gipfel eines Hügels, der nach allen Seiten hin sanft abfiel. Largais ging einen Schritt auf ihn zu und sah ihn genauer an, doch auch hier fand er nicht die Schriftzeichen, von denen Anna erzählt hatte.

Largais sah er sich genauer um. Doch viel war nicht von der Umgebung zu erkennen, der dichte Regen verhinderte weite Blicke. Der Hügel war völlig baumlos, alles verlor sich in unbestimmbarer Entfernung in einem konturlosen nebeligem Grau.
Wie trostlos. Und wie passend für meine Leistung.
Dann bemerkte er doch noch ein Zeugnis menschlicher Präsenz an diesem Ort. Es war ein kleiner Aussichtsturm aus Holz, der nicht weit entfernt aufragte, doch sich kaum gegen den diesigen Hintergrund abzeichnete. Erst ein schwaches Licht, das sich auf ihm seitlich hin und her bewegte, zog Largais Ausmerksamkeit auf ihn. Seanachan schien schon länger in seine Richtung geschaut zu haben, er reagierte mit Gesten beider Arme, die den Paladin an Flaggensignale erinnerten. Das Licht antwortete mit einer komplizierten Serie von Abblendungen, dann verschwand es.

„Ich habe der Portalwache signalisiert, dass wir Hilfe brauchen. Sie wird es mit Lichtsignalen zum Dorf weiter melden. Das geht schnell, aber es wird dennoch etwas dauern, bis sie hier eintreffen“, erklärte Seanachan.
„Wo sind wir hier? Sind wir hier sicher, oder müssen wir uns verstecken?“, fragte ihn Largais.
„Wir befinden uns auf Nebula, einer Insel weit entfernt von allem. Hier sind wir in Sicherheit. Nur wer bereits auf Nebula war, kann die Portalsteine nutzen. Und man kann in Gedanken bestimmen, wen man mitnimmt und wen nicht.“
„Das erinnert mich an Geschichten, die Anna erzählt hat, über Zauberei und Dämonen.“
Seanachan lächelte leicht. „Das sind nur Märchen, es gibt keine Zauberer und keine Dämonen. Auch wenn uns die Steine übernatürlich erscheinen, so gibt es sicherlich eine logische Erklärung für ihre Funktion. Das habe ich schon bei ganz anderen Dingen erlebt.“
„Da mögt Ihr wohl recht haben.“

Sie gingen beide zu Fiska. Die Amazone lag in einer flachen Mulde, in der sich rot gefärbtes Wasser angesammelt hatte. Anna und Salcia standen neben ihr, ihnen war die Hilflosigkeit deutlich anzusehen. Der Regen hatte Fiska nicht nur sauber gewaschen, er hatte auch ihre Verletzungen unübersehbar gemacht.
„Wie geht es ihr?“, fragte Largais.
„Sie ist nach wie vor bewusstlos“, antwortete Salcia ihm. „Ich denke, das ist auch besser so, denn ihre Brüche sind schlimm. Deshalb wollen wir sie auch nicht bewegen.“
Largais wollte dem zustimmen, wollte sein Mitgefühl ausdrücken, doch ihm fielen keine passenden Worte ein. So blieb er stumm und wartete im Regen auf die versprochene Hilfe, während es zunehmend dunkler wurde.

*

Es schien ihm eine Ewigkeit vergangen zu sein, als endlich mehrere schwankende Lichter durch den Regen drangen. Es war die angekündigte Hilfe, die sich durch die inzwischen fortgeschrittene Dunkelheit mit Laternen in den Händen eilig näherte. Largais erkannte vier Männer und zwei Frauen, und sie wurden zu seiner Überraschung von Geldor angeführt.
„Seid Ihr auch ein Agent?“, rief er ihm entgegen.

Geldor machte erst noch einige Schritte, dann entgegnete er etwas atemlos: „Nein, Largais, ich bin kein Agent. Ich wurde vom Großprotektor eingeladen, um als Stellvertreter der Nando über eine neue Ordnung zu verhandeln. Doch es sieht so aus, als wenn wir alle uns zu früh gefreut hätten.“
„Ihr scheint mir aber diesen Trupp anzuführen.“
„Das stimmt. Wir haben euch erwartet, deshalb schickte man mich als Bekannten, um euch abzuholen.“
„Warum wart Ihr dann nicht da?“
„Sollen wir tagelang im Regen rumsitzen? Soll das ein Verhör werden?“, erwiderte Geldor ebenso gereizt.
„Könnt ihr das nicht später diskutieren?“, rief Anna ihm zu, „Fiska ist schwer verletzt! Wir brauchen eine Trage.“
Geldor ging mit zwei seiner Begleiter zu ihr. Während sie Fiska auf eine mitgebrachte Trage hoben, legte er einen Arm um Anna Schulter und drückte sie leicht.
„Wir werden für sie tun, was wir können.“

Sie brachen auf. Zurück blieben zwei Männer, die warten sollten, bis Remison erwachte, um ihn dann in Gewahrsam zu nehmen. Geldor hatte versichert, dass ihm nichts geschehen würde, er solle aber von einer Rückkehr zur Macht und dem Orakel abgehalten werden. Dann erzählte er, was in der Zwischenzeit geschehen war:
„Ich habe Remisons Marsch nach Merotir und seine Machtübernahme beobachten lassen. Kaum schien sie geglückt, als ein Bote bei uns auftauchte. Er gab sich als ein Roter Agent aus, der im Auftrag eines Großprotektors handeln würde. Von beiden Begriffen hatte ich früher bereits gehört, aber immer nur in Form von Gerüchten, deren Glaubwürdigkeit mir nicht allzu hoch erschienen war.“
Anna nahm nicht den Blick von der Trage, die zu ihrer Beruhigung aufmerksam und vorsichtig geführt wurde, während sie fragte: „Aber du hast ihm geglaubt?“
„Ja, denn es ist ein alter Bekannter. Er bot mir Verhandlungen mit dem Großprotektor über das weitere Vorgehen an, und da wir einen dieser Steine für die Reise verwenden wollten, hatte ich guten Grund anzunehmen, dass er tatsächlich eine mir unbekannte Partei vertrat. Und es stimmt, wie du siehst.“
„Es gibt noch mehr von den Steinen?“
„Unser lag in einer kleinen Höhle verborgen. Der Agent meinte sogar, es gäbe viele davon über ganz Al-Amaris verstreut.“
„Was und wer ist dieser Großprotektor? Das klingt nach einem Anführer, der alles zu verantworten hat“, fragte Anna weiter.
„Diese Frage kann ich dir leider nicht beantworten. Ich bin ihm noch nicht begegnet, wir redeten bisher nur über Mittelsmänner.“ Er bemerkte Annas skeptischen Blick. „Ich verdenke dir, nach allem, was geschehen ist, dein Misstrauen nicht. Doch es ist die Wahrheit.“
„Es ist nicht so sehr Misstrauen gegenüber dir. Du hast immer gesagt, ebenso wie ich Lücken in der Erinnerung zu haben.“
„Ja, auch ich erinnere mich nicht daran, wie ich nach Al-Amaris kam. Doch es ist etwas anders als bei dir: Meine Erinnerung verliert sich allmählich im Dunkel der Vergangenheit. Ich habe vergessen, wie ich hierher kam und wie ich zu einem Anführer wurde, selbst mein früheres Leben verblasst zunehmend.“
„Auch unsere Reise mit Meri?“
Geldors antwortete nicht sofort.
„Daran kann ich mich erinnern. Es ist ewig her, doch wie könnte ich das vergessen?“
„Es war vor einem Jahr.“
„Du scherzt. Es war vor mindestens zehn Jahren.“ Er sah ihren Seitenblick. „Schau nicht so, ich meine es ernst. Ich kann mich an mindestens zehn Sommer in Al-Amaris erinnern. Oder glaubst du, innerhalb eines Jahres könnte ich ein führender Nando werden?“
„Unsinn! Sehe ich etwa zehn Jahre älter aus? Oder Fiska und Salcia?“
„Nein, doch du bist eine Zauberin und es sind deine Freundinnen.“
„Wie meinst du das?“
„Bitte missverstehe mich nicht. Ich glaube nicht an das böse Gerede über Säuglingsopfer und Blut trinken, doch ihr Zauberer kennt vermutlich irgendwelche Kräuter, die eure Jugend länger zu bewahren helfen.“

Anna schüttelte nur ihren Kopf und konzentrierte sich mehr auf die Umgebung. Sie waren die ganze Zeit über einen gewundenen Pfad entlang den Hügel hinab gegangen und erreichten jetzt allmählich ebenes Gelände. Vereinzelte Lichter drangen durch den Regen zu ihnen, und nach einigen hundert Schritten erreichten sie die ersten Häuser.
„Hier wohnen die Roten Agenten mit ihren Familien“, erklärte Geldor. „Es ist ein kleines Dorf, bei Tag wirst du es besser erkennen können.“
„Ein ganzes Dorf bewohnt von Agenten?“, fragte Salcia, die bisher nur stumm zugehört hatte.
„Es gibt offensichtlich hunderte von diesen Agenten“, antwortete Geldor mit gesenkter Stimme, „Sie und das nur ihnen bekannte Transportnetz scheinen mir die eigentliche Machtbasis dieses Großprotektors zu bilden. Ich habe nie von einer militärischen Macht oder einem Reich gehört, überhaupt scheint er mir jemand zu sein, der im Hintergrund bleiben will. Er wird hier übrigens öfters ‚Konservator’ genannt.“
„Das gefällt mir nicht. Könnte es sein, dass wir alle nur nützliche Idioten sind?“
„Das ist auch meine Befürchtung. Wir handeln ohne die Hintergründe oder die Hintermänner zu kennen“, pflichtete Anna bei.
„Ich kann es nicht ausschließen“, meinte Geldor.

Sie erreichten ein größeres Gebäude. Einge Stufen führten zu einer offen stehender Tür hinauf, in der ein großer Mann stand. Er hob seine Laterne grüßend hoch und winkte ihnen mit der anderen Hand zu.
„Das ist doch Batrast!“, entfuhr es Anna.
„Das ist der Rote Agent, der mich abgeholt hat. Ich glaube du kennst ihn“, schmunzelte Geldor.
„Das erklärt, warum er immer so gut informiert war. Hoffentlich kann er jetzt Fiska ebensogut helfen.“

Anna konnte erkennen, wie Batrasts Blick suchend über sie schweifte. Ein dunkler Schatten schien über sein Gesicht zu ziehen, und er kam ihnen die Stufen hinab entgegen.
„Es ist Fiska?“, fragte er und blickte auf die Trage. Es zuckte in seinem Gesicht. „Kommt! Schnell!“
Von sichtbarer Ungeduld getrieben führte er den kleinen Zug durch einen schmalen Korridor bis zu einem sparsam eingerichteten Raum, in dem sie von einem Mann und einer Frau erwartet wurden.
„Dies sind unsere beiden besten Heiler. Sie werden sich jetzt um Fiska kümmern.“

Die beiden Heiler sahen die Verletzte kurz an.
„Legt sie auf den Tisch dort“, sagte der Mann, „und lasst uns dann alleine.“
„Ich möchte Fiska nicht alleine lassen. Wenn sie aufwacht, sollte jemand da sein, den sie kennt“, widersprach Anna.
„Ihr seid schmutzig und steht nur im Weg herum. Es wird länger dauern, bis sie aufwacht“, fuhr der Heiler sie an, dann wandte er sich Fiska zu.
„Wir werden Euch Bescheid sagen, sobald wir sie behandelt haben“, versprach die Frau mit einem entschuldigenden Blick und schob Anna aus dem Raum. Die Anderen folgen ihr mit auf den Gang.

„Er meint es nicht so“, sagte Batrast dort. „Er ist nur in Sorge um seine Patientin.“
„Das bin ich auch“, erwiderte Anna gereizt.
„Ihr wollt sicherlich lieber im Haus bleiben?“, bot Batrast beschwichtigend an.
„Wäre das möglich?“, nahm Anna sein Angebot an.
„Ja. Eigentlich solltet ihr in einem der Häuser wohnen, doch es ist auch noch ein einzelnes Zimmer frei. Das könnt ihr beide nehmen“, er nickte Anna und Salcia zu. „Für dich, Largais, könnte ich eine Matratze und Decken auf den Gang legen lassen.“
Er führte sie in das erste Stockwerk.
„Wartet hier, ich sage den Frauen Bescheid“, meinte er vor einer Tür und eilte davon.
Wenig später kamen zwei Frauen mit allerlei Decken und frischen Kleidern. Die ältere von ihnen deutete auf einen Waschzuber, der in einer Ecke stand.
„Die Heiler achten sehr auf Sauberkeit. Wer zu der Verletzten will, wird sich zuvor gründlich waschen müssen.“ Sie zog an einem Seil, und durch eine Holzrinne strömte Wasser in den Zuber. „Das ist Regenwasser von der Dachzisterne, davon gibt es auf Nebula mehr als genug.“
„Mach du nur zuerst“, sagte Salcia, die Annas bittenden Blick bemerkte.
„Ich werde mich auch beeilen“, versprach Anna dankbar.
„Largais kann bei mir zu Hause baden“, schlug Geldor vor. Zusammen mit Geldor ging er, während Anna sich bereits hastig auszog.

*

Nach etwa einer Stunde klopfte es an der Tür. Anna sprang von ihrem Stuhl auf und riss die Tür auf. Es war Batrast.
„Kann ich eintreten?“, fragte er mit ernstem Gesicht.
Anna nickte, sie alle hatten sich inzwischen gebadet und umgezogen. Batrast trat ein und setzte sich etwas umständlich an den Tisch.
„Ich habe eben mit der Heilerin gesprochen.“ Er machte eine entschuldigende Geste. „Sie sind noch nicht fertig und ich habe sie zufällig getroffen, als sie Kräuter holte.“
„Ist schon gut. Wie geht es Fiska?“
„Ihr rechter Unterarm ist zertrümmert, das rechte Schienbein gebrochen und sie hat einen Schwertstich in der Brust, dessen Schwere sie noch nicht völlig abschätzen können.“
„Wird sie überleben?“
„Sie wird diese Verletzungen übeleben“, meinte Batrast, doch ein leichtes Zögern lag in seiner Stimme. Anna wartete, bis er von sich aus weitersprach:
„Der Arm wird verkrüppelt bleiben und das Bein ... Es ist ein offener Bruch, er wird sich wahrscheinlich entzünden, und dann müssten sie amputieren.“
„Das kann nicht sein“, flüsterte Anna. „Das kann nicht sein!“, rief sie. „Diese verdammten Heiler werden doch noch einige gebrochene Knochen zusammensetzen können!“
Batrast ergriff ihre linke Hand, die sie zur Faust geballt hatte. „Wir alle wünschen das. Ich habe damals Fiska in Gom gefunden, ich fühle mich für sie verantwortlich.“ Er sah ihren tränenverschleierten Blick. „Es tut mir Leid.“ Er drückte ihre Faust mit beiden Händen, dann stand er auf und ging aus dem Zimmer.
 
sehr schönes up, gefälllt mir sehr gut.
einige rechtschreibfehler sind mir zwar aufgefallen aber die werden siecher andere leute nochma extra angeben;)
 
Fein, fein, es geht weiter! Und es beginnt gleich mit einer sehr schönen Kapfszene, die vor allem aus Fiskas Sicht überzeugt. Die übrigen Kampfhandlungen ziehen ein wenig außerhalb vorbei, aber der Hauptaugenmerk liegt ja auch auf der Armen.

Salcia drückte an eine Stelle an seinem Hals, um ihn endgültig bewusstlos zu machen.
Der Satz klingt irgendwie nach Mr.Spocks Vulkaniergriff, oder nach einem kleinen roten Knopf, der die Bewusstlosigkeit auslöst. Wie wäre es mit: „Salcia drückte ihm die Halsschlagader ab, ...“ Verzeih das Mäkeln an dieser Kleinigkeit!

Die Begegnung mit Geldor fand ich wenig steif. Ich hätte eher geschrieben „Was macht Ihr denn hier?“ statt „Seid Ihr auch ein Agent?“ Und auch der folgende Dialog wirkt auf mich ein wenig unfertig.
Hast du den Beta gewechselt?

Dann muss ich schnell etwas anmerken zu dem Unterschied in der Zeit zwischen Al-Amaris und der Welt, in der Anna gewesen ist. Hatte ich eine Bemerkung oder Gedanken Annas verpasst? Ich kann mich nicht erinnern, dass sie bemerkt hat, dass Geldor wesentlich älter aussieht... Oder ist er nur einer Täuschung zum Opfer gefallen? Oder kommt die Erklärung noch? Wenn ja, dann ignorier mich einfach :D

Abgesehen von diesen winzigen Kleinigkeiten war es wieder sehr spannend!

Achja, wann geht’s weiter? ;-)

:hy: Insidias
 
Rechtschreibfehler sollten natürlich keine vorhanden sein, doch es fällt mir immer schwerer. Inzwischen gibt es drei Varianten. So verliere ich mein Sprachgefühl, und seit man inzwischen meint, sie im jährlichen Abstand ändern zu müssen, empfinde auch ich sie mehr und mahr als willkürlich.

Salcia Griff funktioniert genau so, wie du beschreibst, sie drückt kurz die Halsschlagader ab. Dein Vorschlag gefällt mir, ich werde ihn in die überarbeitete Version übernehmen.

Einen Betaleser gibt es bereits seit einiger Zeit nicht mehr. Prowler (in einem anderen Forum) ist völlig abgetaucht, auch seine Geschichte "Crowfeather" scheint leider unvollendet zu bleiben. Reeba liest ebenfalls nicht mehr beta.

Stilistisch sollte niemand mehr allzuviel erwarten. Ich habe stark an Motivation verloren und werde diese Episode im nächsten oder übernächsten Teil beenden, obwohl noch Stoff für ungezählte Teile da wäre. Durch die Inhaltsverdichtung wird es recht trocken werden, doch so, ohne jegliche Hintergründe, möchte ich sie nicht einfach abbrechen.

Geldor sieht keineswegs gealtert aus. Also erzählt er entweder Unsinn oder ... :D
Was steht auf dem Stein?
Warum steht es dort?
Wer hat es geschrieben?
Das meinte ich oben mit "Stoff für ungezählte Teile", in denen diese und weitere Fragen nach und nach beantwortet werden.
 
Schade, das mit Deiner Motivation ;(

Heißt das, Du wirst hier überhaupt keine Stories mehr schreiben, oder nur diese schnell beenden?
 
Geht's wieder mit den Nerven und der Kreativität ?
Die Story ist auf Seite 2 eigentlich fehlplaziert..
 
Danke der Nachfragen. :)
Es geht etwas besser. Aktuell grabe ich einen umfangreichen Rohentwurf um, von dem ich hoffentlich bald eine Fortsetzung abspalten kann.
 
Die Protektoren (15)
Das Angebot

Namensliste und Bezeichnungen:
Anna: Eine Zauberin, die von den Barbaren abstammt
Salcia: Eine Assassine, mit Anna befreundet
Fiska: Eine Amazone, mit Anna befreundet
Largais: Ein Paladin in Annas Gruppe
Batrast: Ein alter Bekannter
Geldor: Ein Vertreter der Rebellen
Seanachan: Ein Roter Agent als ehemaliger Sekretär von Remison
Remison: Der ehemalige Feldherr und neue Protektor von Ra-Genion
Aodhan: Der tote Protektor von Ra-Genion

Nando: Eigenname der Rebellenbewegung

Golarmur: Name der Festung des Protektors in der Stadt Merotir.
Ra-Genion: Der Name von Remisons Protektorat
Al-Amaris: Das unbekannte Land, in das Anna, Salcia und Fiska verschlagen wurden.


Ich schaue den Stein an und lese diesen rätselhaften Text auf ihm:
„Ich werde den Weg bereiten.
Den Weg, der nicht gegangen werden kann,
zum Ort, wo Zeit nicht existieren darf,
wo der Sterbende nicht sterben kann.“
Dann erkenne ich, wie der weitere Text erscheint. Er windet sich um den Stein herum, ist aber dennoch aus jeder Position vollständig lesbar, ein Paradoxon, das niemand versteht. Er ist in einer uralten und mir ungeläufigen Sprache verfasst, die Meri einst übersetzt hatte:
„Der Ort,
woraus du nicht weißt,
was du nicht weißt,
wie du nicht weißt,
womit niemand wissen kann.“
So sollen die Worte lauten, doch was bedeuten sie?


Anna öffnete verwirrt ihre Augen.
Welch ein merkwürdiger Traum, der einen vorhergehenden so nahtlos fortsetzt.
Sie richtete sich auf ihrem Bett auf, wo sie schlaflos den Rest der letzten Nacht verbracht hatte, und blickte zum Fenster, durch das Tageslicht hereinschien. Durchdrungen von einer tiefen Müdigkeit stand sie auf und ging zu ihm und sah hinaus. Es hatte aufgehört zu regnen, lediglich ein dünner Nebel lag noch über der Landschaft. Anna entdeckte einen weißgrauen Vogel. Sie heftete ihre Augen an ihn und sah ihm zu, wie er elegant durch die Luft segelte. Ein kühler Windstoß fegte herein, er trug frische Luft und einige seltsame Laute zu ihr.

„Das ist eine Seemöwe“, sagte plötzlich eine dunkle Stimme. „Nebula liegt inmitten eines großen Meeres.“
Anna drehte sich um und erkannte Geldor.
„Du hast auf sein Anklopfen nicht reagiert, da habe ich ihn hereingelassen“, erklärte Salcia, die neben ihm stand.
„Entschuldigt, ich war ganz in Gedanken versunken.“
Geldor machte eine verstehende Geste. „Du kannst jetzt Fiska besuchen. Sie ist bei Bewusstsein, doch die Heiler wollen sie schonen und nur eine Person zu ihr lassen“, er versuchte ein aufmunterndes Lächeln. „Du hast beim Losen gewonnen.“
Anna sah ihn und Salcia an.
„Danke“, flüsterte sie.

Zu Annas Verwunderung standen die beiden Heiler vor dem Krankenzimmer.
„Er ist eben hineingegangen und will mit ihr alleine sein“, erklärte die Frau, „doch Ihr könnt hinzukommen.“
„Batrast?“, fragte Anna.
Statt einer Antwort öffnete sie die Tür.
„Fiska kann Euch hören und verstehen, aber kaum sprechen. Das sollte sie wegen ihrer Stichwunde auch nicht. Bitte berührt ihre Verletzungen nicht.“

Im ersten Moment war Anna verärgert über Batrasts Vorgehen. Wie konnte er sich dermaßen vordrängeln und selbst alte Freunde wie Salcia verdrängen? Doch als sie ihn dann sah, wie er auf einem Hocker neben Fiska saß und ihre Hand hielt wie einen zerbrechlichen Gegenstand und mit diesem Ausdruck auf dem Gesicht, da verstand sie. Warum nur hatte sie es nie zuvor bemerkt? Sie nahm sich ebenfalls einen Hocker und setzte sich neben ihn. Zufrieden sah sie, wie sorgfältig ihre Freundin versorgt worden war. Körper und Haar waren gründlich gewaschen worden und ein schneeweißes Laken bedeckte ihren Rumpf. Die gebrochenen Glieder waren verbunden und aufwendig geschient, und ihre Stichverletzung war genäht worden. Alles war von makelloser Reinheit, nicht einmal Blut war irgendwo zu sehen. Doch die wächserne Blässe ihres Gesichts beseitigte schnell jegliche Illusion über ihre Aussichten.

„Hallo Fiska“, sagte Anna leise. „Schön, dass du wieder bei uns bist.“
Fiska winkte kurz mit der Hand und legte sie dann zurück in Batrasts.
„Du wirst bald wieder gesund sein“, sagte Batrast sanft. „Da bin ich mir sicher.“ Er streichelte mit der anderen Hand ihre Finger. „Ich erinnere mich noch genau daran, wie ich dich in Gom getroffen habe. Gom ist meine Heimatstadt, ich kenne dort jeden Winkel, auch wenn die Menschen dort mich nicht kennen. Du hast bei diesem fetten Wirt gearbeitet und mir etwas zu Essen gebracht. Das war das erste Mal, dass es mir dort geschmeckt hat.“ Er lächelte. „Es war von dir, richtig? Frau ohne Erinnerung, du hast mich immer so fasziniert. Und du hast mir vertraut, bist sogar mit mir zu den Nando gegangen. Du musst mir unbedingt erklären, was das alles bedeutet.“
Anna sah weiter zu, wie Batrast zart mit Fiskas Hand spielte, und wie sie allmählich mit ihren Fingern antwortete. Anna spürte, wie Tränen ihr Gesicht hinabliefen. Leise stand sie auf und schlich aus dem Zimmer.

Voller Unruhe ging Anna durch das Haus. So viel war in den letzten Tagen auf sie eingedrungen und fing an, sie zu erdrücken. Sie wollte heraus aus dem Gebäude, das Batrast ihnen als die Zentrale der Roten Agenten und den Sitz des Großprotektors vorgestellt hatte. Anna fand zwar, die bisher gesehenen Gänge und Räume hätten nur wenig Ähnlichkeit mit einem Regierungssitz, dennoch hielt sie es mit einem Mal nicht mehr in ihm aus, sie musste in das Freie und irgendwo Ruhe finden. Nur einige Minuten lang an nichts denken zu müssen! Ihre Schritte beschleunigten sich und schließlich rannte sie die Stufen hinab ins Freie. Vor dem Gebäude holte sie tief Luft und sah sich suchend um. Sie sah das Dorf mit seinen meist nur einstöckigen Häusern zum ersten Mal bei Tag, doch sie beachtete es kaum, zumal es wie ausgestorben wirkte. Die Möwe vom Morgen fiel ihr wieder ein, die so frei durch die Luft gesegelt war. Spontan wollte sie in die Richtung, in der sie den Seevogel gesehen hatte, nach Norden.

Ihr Weg führte um das große Haus herum. Hier waren keine weiteren Häuser, und in wenigen Schritten Entfernung schien die ganze Insel dort zu enden, wo ein Holzzaun zu sehen war. Anna ging zu dem Zaun und stieg über ihn, direkt dahinter befand sich eine Abbruchkante. Sie blickte an ihr hinab und sah eine senkrecht abfallende Felswand. Sie war kahl bis auf vereinzelte Gräser und Kräuter, die in winzigen Rissen dem hier hart emporfahrenden Wind trotzten. Dann hob sich ihr Blick, angezogen von einem leichten Brausen, und sie entdeckte das Meer.

Es dauerte einige Augenblicke, bis ihre Augen sich an die diesige Luft gewöhnt hatten und sie das Graublau des Wassers mit seinen unregelmäßigen weißen Linien bemerkte. Anna kannte nur Seen und Flüsse, ein richtiges Meer sah sie hier zum ersten Mal. Gebannt starrte sie hin, und als in diesem Moment die ersten Sonnenstrahlen des Tages durchbrachen und die Wellen plastisch werden ließen, als sie nun das ganze Schauspiel der Natur erkannte, da wurde aus Verwunderung Erstaunen.

Anna wollte näher an dieses Wunder der Natur gelangen. Sie suchte die Klippe ab und entdeckte in einigen Schritten Entfernung einen schmalen Holzsteg, der hinunter zum Strand führte. Sie lief hin und betrat ihn. Er knarrte und schwankte unter ihr, doch an der Felswand befand sich ein straff gespanntes Führungsseil, an dem sie sich festhalten konnte. Vorsichtig, einen Fuß vor den anderen setzend, ging Anna den Steg hinab zum Strand. Am Fuß der kleinen Klippe lagen viele große und kleine, von den Herbststürmen herausgebroche, Felsbrocken im Sand. Sie suchte sich einen Weg durch das Gewirr in Richtung zum Meer.

Die Felsbrocken wurden kleiner und seltener, und nach etwa fünfizig Schritten ging Anna über reinen und feinen Sand. Sie zog sich ihre Schuhe aus und grub ihre nackten Zehen in den weichen Sand. Einen Moment stand sie nur so da und genoss das Gefühl von Weichheit an ihren Füßen. Sie fühlte, wie der Wind hier kräftig mit ihren Haaren spielte. Anna warf sich in den trockenen Sand und zog ihre Finger durch ihn. Sie wälzte sich auf den Rücken und blickte in den Himmel, ohne ihn wahrzunehmen.

Nach einigen Minuten, in denen sie gedankenlos dalag, hörte Anna ein seltsam klingendes, rhythmisches Lachen. Sie öffnete ihre Augen, die sie irgendwann unbewusst geschlossen hatte, und lauschte. Sie vernahm deutlich ein donnerndes Geräusch aus der Richtung, in die sie das Meer wusste, ab und zu überlagert von jenem merkwürdigen Lachen. Anna stand auf und ging weiter. Der Strand war flach und sehr breit, Anna musste noch einige hundert Schritte bis zur Wasserlinie gehen.

Staunend sah Anna zu, wie die Wellen aus dem dunstigen Nichts heranrollten, einen weißen Kamm bildeten und sich donnernd überschlugen. Das Wasser schwappte in einem zuerst verwirrend anderem, langsameren Takt den Strand hinauf und trieb dabei eine Gruppe kleiner schwarzer Vögel vor sich her. Kaum floss das Wasser ab, trippelten sie mit hastigen Schritten zurück. Ein Spiel, das sich immerzu wiederholte. Anna musste unwillkürlich lächeln über die emsigen Tiere, die mit ihren langen Schnäbeln im Sand herumstocherten. Sie setzte sich in den hier festen und feuchten Sand und sah ihnen weiter zu, während über ihr einige Möwen kreisten, die das Treiben mit ihren lauten, an Lachen erinnerndes, Schreien zu kommentierten schienen.

*

Anna konnte nicht sagen, wie lange sie im Sand gesessen und zugesehen hatte, als sie plötzlich jemanden hinter sich bemerkte. Sie drehte ihren Kopf um.
„Batrast? Wie hast du mich gefunden?“
„Man sagte mir, du wärst zum Strand gelaufen. Es gibt nicht viele Strandabgänge, so konnte ich leicht deine Spuren finden und ihnen nachgehen.“ Er hielt ihr eine Weste hin. „Nimm! Der Wind hier unten ist kalt.“

Anna merkte erst jetzt, dass sie längst fror. Dankbar nahm die Weste aus dicker Wolle an. Batrast setzte sich neben sie.
„Fiska schläft wieder, und deinen Freunden habe ich Bescheid gegeben.“
Sie senkte schuldbewusst ihren Blick. „Daran hatte ich nicht gedacht, ich ...“
Batrast unterbrach sie mit einer Handbewegung. „Mache dir nur keine Gedanken darüber. Sie verstehen dich schon.“
„Dann verstehen sie mich besser als ich selbst.“

Anna hatte Gewissensbisse. Wie konnte sie hier sitzen und die Natur genießen, während das Schicksal ihre Freundin so ungewiss war? Sie blickte geradeaus auf das Meer und die hin und her trippelnden Vögel, doch ohne sie wirklich wahrzunehmen. Batrast folgte ihren Augen. Schließlich unterbrach er das Schweigen:
„Wir nennen sie Strandläufer. Ich gehe oft hier herunter und sehe ihnen zu. Hier bin ich ungestört. Die meisten Agenten mögen Nebula nicht, ihre Familien leben oft nicht auf der Insel, sondern irgendwo in Al-Amaris, deshalb ist das Dorf so leer. Doch ich finde es hier schön.“
„Ich bin auch gerne alleine, aber ich möchte nie einsam sein“, sagte Anna. „Ich denke, Nebula ist ein guter Ort dafür.“
„Vielleicht verstehst du mich etwas.“ Er lächelte leicht. „Das gelingt kaum jemandem.“ Er stand auf und krempelte sich die Hosenbeine hoch, dann hielt er ihr auffordernd seine Hand hin. „Komm! Ich zeige dir etwas, das dir bestimmt gefallen wird.“
Anna sah an ihm hoch. Sie ergriff die dargebotene Hand, und Batrast zog sie mit einem kraftvollen Zug hoch.

Er ging zum Wasser. Die Strandläufer wichen behende seinen Füßen aus ohne zu fliehen. Als die auslaufenden Wellen anfingen seine Knöchel zu umspülen drehte er sich um und winkte der zögernden Anna zu.
„Nun komm schon! Das Wasser ist wärmer als die Luft, und es beißt nicht.“

Sie folgte Batrast, bis die Wellen ihr knapp unter die Knie reichten. Er stand noch einen Schritt weiter im Wasser, das hochschwappende Wasser durchnässte seine Hosenbeine, doch es schien ihn nicht zu stören. Er sah auf die offene See hinaus und gab Anna einen Moment, um ihn unverhohlen anzustarren. Er wirkte hier viel lebendiger auf sie als bei ihrer ersten Begegnung in Gom, und doch schien eine imaginäre Last auf ihm zu liegen. Anna vermutete Fiska dahinter, ihre schweren Verwundungen hatte Batrast offensichtlich hart getroffen. Was mochte er nur mit diesem Ausflug bezwecken? Suchte er ebenso Ablenkung wie sie selbst? Als er sich ihr zuwandte ließ das Sonnenlicht sie die Falten der Sorge in seinem Gesicht deutlich erkennen. Ein leichtes Lächeln überzog sein Gesicht, als er Annas Anspannung bemerkte.
„Du bist sicherlich nicht am Meer aufgewachsen“, meinte Batrast. „Habe keine Furcht, hier gibt es keine gefährlichen Tiere. Der Boden ist ebenfalls ungefährlich, nur weicher Sand ohne Steine oder Felsen. Am besten, du konzentrierst dich auf deine Füße.“

Sie gingen los. Parallel zur Küste wateten beide durch das Wasser. Anna wusste zunächst nicht, was Batrast mit den Füssen meinte, doch dann bemerkte sie, wie die Strömung des brandenden Meeres um ihre Beine spielte, und wie ihre Füße bei jeder Welle ein winziges Stückchen einsank. Es war ein seltsames Gefühl, wenn der feine Sand unter der Fußsohle weggespült wurde. Ihre Sorgen verschwanden, und als eine größere Welle sie traf und ihre Kleidung bis zur Hüfte durchnässte, da lachte sie auf.
„Schön, dass es dir gefällt“, sagte Batrast. „Das hatte ich immer vermutet.“
„Nebula ist eine raue Insel, doch das mag ich.“
„Weil du gerne die Welt um dich spürst?“
Anna lächelte. „Ja, so kann man es nennen. Ich liebe es, im Wind zu stehen und zu fühlen, wie er an mir zerrt, denn er sagt mir, dass ich lebe und ein Teil von all diesem bin. Die Welle eben, sie hat es mir ebenfalls gesagt, sogar noch deutlicher.“
„Mir geht es genauso. Ich glaube, du würdest dich auf Nebula wohl fühlen.“
„Wie lange lebst du hier schon?“
„Schon sehr lange.“ Er wurde schlagartig ernst. „Würdest du hier leben wollen? Möchtest du ein Roter Agent werden?“

War das der Zweck seines Besuchs? Annas Zögern war weniger Überraschung als vielmehr die Erkenntnis, eine Entscheidung treffen zu müssen, deren Tragweite für sie unüberschaubar war.
„Soll das ein Angebot sein?“
„Ja, ich biete dir an, ein Roter Agent zu werden. Deine Freunde können es ebenfalls werden, wenn sie es wollen.“

Annas Schritte stockten. Batrast blieb ebenfalls stehen und drehte sich zu ihr um.
„Wenn ich annehme, wäre ich dann deinen Befehlen unterworfen?“, fragte sie.
„Du würdest dich an die Weisungen des Konservators binden.“
„Ist das ein Unterschied?“
„Nein“, Batrast grinste breit. „Seit wann weißt du es?“
„Ich ahne es seit gestern Abend. Ich spürte, dass es dein Haus war, in dem wir waren. Als ich dich dann vorhin bei Fiska sah, da wurde ich mir sicher: Du bist der Großprotektor.“
„Ich gebe es offen zu, auch wenn ich die Bezeichnung ‚Konservator’ passender finde.“

Anna war verunsichert. Batrast schien es geradezu darauf angelegt zu haben, ihr seine wahre Identität zu offenbaren. Aber was bezweckte er damit? Wollte er sie so indirekt zwingen, sich seiner Organisation anzuschließen, deren Ziele im Dunkeln lagen?

„Ich sage noch einmal, es ist ein Angebot“, unterbrach Batrast ihre Gedanken. „Ich sehe dir deine Zweifel an, doch ich will dich zu Nichts zwingen. Das würde auch gar nicht funktionieren.“
„Ich kenne jetzt dein Geheimnis. Wie könntest du mich ziehen lassen, wenn ich ablehne? Was ist mit Largais, Salcia und Fiska?“
„Es kennen mehr Menschen meine Identität als du vielleicht annimmst: Die beiden Frauen, die Heiler und einige der Roten Agenten“, sagte er ernst. „Nebula ist viel zu klein, um ein solches Geheimnis lange bewahren zu können. Ich bin auch schon mehrmals verraten worden, doch konnte man mich nie fangen.“ Er fing an leicht zu lächeln. „Abgesehen davon habe ich dich und deine Freunde lange genug beobachten können um mir sicher zu sein, dass ihr mich nicht verraten würdet.“
„Das soll ich glauben?“, fragte Anna skeptisch.
Batrast nickte. „Ja. Hätte ich euch aus Golarmur herausgeholt, wenn mir nichts an eurer Hilfe liegt?“

Anna spürte, wie seine Worte eine empfindliche Stelle berührten. In ihrem Inneren war sie überzeugt, es war Batrast einzig um Fiska gegangen, weil er sie liebte. Sie wusste, es war unlogisch und ungerecht gegenüber Beiden, dennoch empfand sie sich zurückgesetzt.
„Hättest du uns auch herausgeholt, wenn Fiska nicht dabei gewesen wäre?“, rutschte es Anna heraus. Kaum war es gesagt, da schämte sie sich über ihr Verhalten und senkte den Kopf.

Batrast ging auf Anna zu und legte ihr die Hand auf die Schulter. Er wirkte etwas niedergeschlagen, offensichtlich hatten ihn die Worte getroffen.
„Warum sagst du so etwas? Glaubst du wirklich, ich hätte dich und deine Freunde einfach ihrem Schicksal überlassen? Seanachans Enttarnung wiegt schwer, doch eure Freundschaft ist mir hundertmal wichtiger.“
Anna hob ihren Kopf und sie sahen sich in die Augen.
„Es tut mir Leid, ich wollte das nicht sagen.“
Batrasts nickte leicht abwesend. „Du brauchst dich nicht zu entschuldigen.“ Er nahm die Hand von ihrer Schulter. „Nein, wirklich nicht. Ich hätte wissen müssen, dass Remison dem Orakel verfallen wird“, flüsterte er leise. Dann straffte sich seine Gestalt und er sagte laut: „Wir müssen zurück, die Flut kommt.“

Geraume Zeit hingen beide ihren eigenen Gedanken nach. Anna sah immer wieder zu Batrast, der einige Schritte vor ihr durch das gut knietiefe Wasser schritt. War es seine Methode der Ablenkung, die ihn ausgerechnet jetzt dieses Angebot unterbreiten ließ? Obwohl sie nur seinen Rücken sehen konnte, waren ihm die Sorgen anzusehen, die ihn drückten. Auch Annas Gemüt verdüsterte sich wieder. Sie konnte immer noch nicht fassen, was geschehen war. Warum musste es ausgerechnet Fiska treffen? Zieht Leid weiteres Leid an?

Eine kleine Senke im Boden ließ Anna unvermittelt leicht straucheln. In ihrem düsteren Gedankenfluss unterbrochen, schoss unvermittelt eine Woge des Zorn über sich selbst durch ihren Kopf:
Ich schwelge in Schwermut uns Selbstmitleid! Salcia und Fiska verlassen sich auf mich, sie vertrauen mir.
Anna gab sich einen Ruck: „Warte!“, rief sie und wollte zu Batrast eilen, doch in dem Wasser konnte sie kaum rennen. „Was sind die Ziele von dir und deiner Organisation? Wollt ihr dasselbe, wie die Nando?“

Batrast hielt an und drehte sich um. Ein kurzes leises Schmunzeln überzog sein Gesicht, als er Annas wenig erfolgreiche Bemühungen sah, die sie mehr nass als schnell werden ließen, doch dann wurde es wieder von traurigem Ernst überschattet.
„Bisher verfolgten wir dasselbe Ziel, deshalb half ich“, sagte er als sie vor ihm stand. „Wir wollten jene Protektoren entmachten, die sich zu Tyrannen entwickelt hatten. Ihr wolltet das, um ihre grausame Unterdrückung zu beseitigen. Ich wollte das auch, doch wichtiger ist mir, die dahinter liegende Kraft zu stoppen.“
„Du meinst mit dieser Kraft das Orakel von Golarmur?“
„Genau das meine ich. Es gab zwar schon immer mehr oder weniger gute Protektoren, doch solche Tyrannen, wie Aodhan zuletzt einer war, gab es nie zuvor. Im Gegenteil, Aodhan war ursprünglich ein umgänglicher Herrscher. Anfangs war mir sein zwar langsamer, aber umso drastischerer Wandel ein Rätsel. Eine Zeit lang glaubte ich, sein Geheimdienst hätte sich verselbstständigt, zumal Aodhan sich immer mehr zurückzog, bis kaum noch jemand wusste, wie er aussah. Doch irgendwann ließ es sich nicht mehr leugnen, dass er diese Entwicklung nicht nur billigte, sondern sogar aktiv vorantrieb.“ Batrasts Gesicht verdüsterte sich. „Ich konnte doch nicht ahnen, dass Remison sich so schnell verändern würde! Aodhan brauchte viele Jahre dafür.“

Sie gingen weiter, und Batrast setzte seinen Bericht über Aodhans Wandel fort:
„Seanachan hat in Golarmur Aufzeichnungen entdeckt, die Aodhan selbst angefertigt hatte, so eine Art Tagebuch. Demnach hatte das Orakel bereits vor etwa zwanzig Jahren angefangen, Aodhan zu beeinflussen. Vor allem aber untergrub es mit falschen Einflüsterungen und Ratschlägen die beiden Nachbarprotektorate des Creagan und Maolmin, bis Aodhan sie nacheinander unbemerkt übernehmen konnte.“
„Du glaubst es gibt nur ein Orakel, und es hat Creagan, Maolmin und Aodhan mit dem heimlichen Ziel beraten, die Protektorate zu vereinigen?“, fragte Anna.
Batrast nicke bestätigend. „Diese Verschwörung geht aus den Aufzeichnungen klar hervor. Beim Orakel ist die Sache etwas komplizierter. Es waren lange Zeit acht getrennte Orakel, die irgendwann lernten, sich untereinander abzusprechen. Ihr Ziel ist es, zu einem einzigen Orakel zu verschmelzen. So wie acht nebeneinander fließende Bäche, die zu einem Fluss werden wollen.“
„Dazu beeinflussen sie die Bauern, damit sie ihre Bachbette zusammenleiten“, führte Anna das Bild fort.
„So ist es. Der Bauer mag einen Bach beherrschen können, aber der Fluss wird ihn beherrschen.“
„Du fürchtest, es will so seine Tyrannei auf ganz Al-Amaris ausdehnen? Willst du deshalb mit Geldor ein Bündnis eingehen?“
„Als ich ihn einlud wollte ich das noch nicht, doch jetzt müssen wir es. Das Orakel in Golarmur ist bereits zu stark geworden, als dass die Nando oder wir Rote Agenten alleine etwas erreichen könnten.“ Er sah sie eindringlich an. „Wir müssen das Orakel aufhalten, oder es gibt eine Katastrophe!“
„Jetzt verstehe ich“, meinte Anna.
„Das bezweifel ich“, erwiderte Batrast.
Anna sah ihn verwundert an. „Warum?“
„Weil du noch nicht alles weißt.“ Er machte eine beschwichtigende Geste. „Bitte gedulde dich noch einen Moment. In meiner Bibliothek kann ich dir ein Buch zeigen, in dem alles ausführlich beschrieben steht.“

*

Anna machte erst noch einen Umweg zu ihrem Zimmer, um sich trockene Kleider anzuziehen und kurz ihre Freunde zu treffen. Doch es war niemand da, sie fand lediglich einen Zettel mit Largais Handschrift auf dem Tisch:

Salcia ist bei Fiska. Der Armen geht es nicht gut, doch sie lehnt jegliches Mitleid ab. Es ist ihr ausdrücklicher Wunsch, dass du dich um die ganze Gruppe kümmerst und dich nicht mit ihr belastest. Das waren ihre Worte.
Ich muss jetzt nach Geldor. Er hat mich zu sich befohlen, um über unsere Erlebnisse mit Remison zu erfahren. Geldor ist mein Oberbefehlshaber, doch du brauchst dir darüber keine Sorgen zu machen.
Largais
P.S.: Salcia und ich wissen, wie schwer das alles dir fällt.


Es zuckte in Annas Gesicht, doch sie zwang sich, ihren Gefühlen nicht nachzugeben. War Fiskas Wunsch denn nicht vernünftig, deckte er sich nicht mit ihren eigenen Überlegungen? Mechanisch stand sie auf und wechselte die Kleidung Dabei wuchs in ihr der Druck immer weiter an, bis sie sich auf den Stuhl warf und ihr Gesicht in den Händen vergrub. Sie kämpfte mit sich, schlug schließlich mit aller Kraft die Faust auf den Tisch. Der körperliche Schmerz half ihr, sie schlug wieder zu und wieder. Eine Hand legte sich schwer auf ihre Schulter. Es war Batrast, der sie abholen wollte. Er wartete, bis sich Anna beruhigt hatte, dabei fiel sei Blick ungewollt auf den Zettel.
„Das ist es, was mich immer wieder hinaustreibt“, sagte er verständnisvoll.
Anna nickte zunächst, dann stand sie plötzlich auf. Sie wischte ihre Hand am Rock ab und sagte entschlossen: „Zeige mir das Buch.“

*

Batrasts Bibliothek war beeindruckend. Sie bestand aus einem etwa sechs zu acht Schritte messendem Hauptraum, an dessen Wänden und auch im Inneren sich gefüllte Regale bis zur Decke erstreckten.
„Das ist meine private Sammlung“, sagte Batrast mit etwas Stolz in der Stimme.
„Du hast die alle gelesen?“, fragte Anna skeptisch. Ihr war der Gefühlsausbruch von vorhin äußerlich kaum noch anzumerken.
„Nicht alle, aber das ist jetzt unwichtig“, erwiderte Batrast. Er führte Anna weiter zu einer abgeschlossenen Tür im Hintergrund, sperrte sie auf und schob Anna sanft in den dahinter liegenden Raum. „Jetzt will ich dir zeigen, was das Orakel ist.“

Der Nebenraum war vergleichsweise winzig, nur etwa drei Schritt breit und zwei tief. Ein schlichter und abgenutzt wirkender Schreibtisch füllte ihn zur Hälfte aus, dazu kam ein ebenfalls sehr alt wirkender Schrank.
„Ist das dein Arbeitszimmer?“, fragte Anna Batrast.
„Ja“, er öffnete den Schrank und zog ein abgegriffen wirkendes Buch heraus, „hierhin ziehe ich mich zurück, wenn ich absolute Ruhe brauche. Bücher sind angenehme Zeitgenossen.“ Er hielt es Anna hin.

Sie sah es kritisch an. Es war in dickes schwarzes Leder gebunden. Die Seiten bestanden aus seltsam rauem Papier, die mit großen handschriftlichen Buchstaben beschrieben waren.
„Damals war die Kunst der Papierherstellung noch nicht so weit. Heutzutage ist es glatter und man kann es mit entsprechend kleinerer Schrift beschreiben“, kommentierte Batrast. „Es ist etwa zweihundert Jahre alt und beinhaltet die Erkenntnisse des damaligen Konservators über die Steine und die Orakel.“
„Könnte es nicht eine Fälschung sein?“, fragte Anna.
„Ich kann es dir jetzt nicht beweisen, aber es ist mit Sicherheit authentisch“, erwiderte Batrast. „Schlage es dort auf, wo das gelbe Lesezeichen steckt, und lese ab dem zweiten Absatz.“


Diese Steine dienen unserer Organisation als Wegenetz, mit dessen Hilfe wir ohne Zeitverlust von Nebula aus nach jedem Ort innerhalb von Al-Amaris und zurück gelangen können. Da jeder Weg über Nebula führt, kontrolliert derjenige das ganze Netz, der diesen zentralen Wegpunkt beherrscht, weswegen wir ihn ständig überwachen. Außerdem kann man nur dann einen Ort erreichen, wenn man von jemandem begleitet wird, der bereits einmal dort war und der willens ist, einen dorthin mitzunehmen. Die einzige Ausnahme bildet der Konservator, er kann von Nebula aus überall hin.

Doch was befähigt die Steine dazu? Es scheint eine Art Geistesmacht zu sein, die in ihnen haust. Nur wenige Menschen sind in der Lage, mit ihr in Kontakt zu treten, doch ihre übereinstimmenden Berichte lassen keine Zweifel mehr übrig. Diese Macht scheint auf die zahllosen Steine verteilt zu sein, und sie ist es in einer merkwürdig zwiespältigen Weise: Einmal verhält sie sich wie nur ein Wesen, dann wieder wie viele verschiedene. Sie scheint auch weder ein Bewusstsein noch einen Willen zu haben, weswegen nur von Kontakten, nicht aber von Kommunikation, die Rede sein kann.

In jüngerer Zeit beobachten wir jedoch das Auftreten sogenannter Orakel. Diese Wesenheiten scheinen durch lokale Zusammenballungen der verteilten Geistesmacht zu entstehen. Bisher haben wir Kenntnis von sechs solchen Zusammenballungen, an zwei weiteren Orten gibt es erste Anzeichen dafür. Wir sehen diese Entwicklung mit großer Sorge, denn zum einen wird das Reisen von den restlichen Steinen dadurch schwerer, wenn auch nicht unmöglich, zum anderen aber scheinen die Orakel ihrer selbst bewusst zu werden und eigene Ziele zu verfolgen, die im Dunkeln liegen.

Bislang haben wir nur eine Möglichkeit entdeckt, diesen Vorgang zu stören: Durch die Benutzung des Transportnetzes. Einige Experimente haben eindeutig belegt, dass jede Reise den ursprünglichen Zustand festigt. Man könnte glauben, die Energie, welche das Zusammenballen bewirkt, ermöglicht das Reisen. Doch das ist bisher nur Spekulation. Leider ist dieser Effekt nur schwach und daher nicht wirklich nutzbar.

Manchmal frage ich mich, was von alldem gewollt passiert und was unbeabsichtigt. Doch bedeutet ‚Wollen’ nicht auch ein Ziel und vor allem ein ‚Wer’?


Anna ließ nachdenklich das Buch sinken.
„Diese Verschmelzung hat also bereits einen Schritt vollzogen und ist nun beim Zweiten?“, fragte sie.
„Ja, zuerst hat sie sich von zahllosen Steinen auf acht Orakelsteine zusammengezogen, und jetzt strebt sie eine einzige Entität an.“
„Was für Experimente habt ihr damals gemacht?“, fragte sie weiter.
„Nachdem das Auftauchen der Orakel das Reisen erschwerte fragten wir uns, ob es auch umgekehrt wirkt. Also schickten wir eine große Gruppe Agenten über eine möglichst weite Distanz. Danach konnte man leichter reisen, übrigens in ganz Al-Amaris, aber diese Wirkung hielt nie länger als einige Tage an.“ Er verzog das Gesicht. „Inzwischen haben die Orakel soviel zusammengezogen, dass das Reisen über die restlichen Steine nur noch einer Handvoll Agenten gelingt. Nun scheinen auch die acht Teile immer mehr zusammenzuwachsen, alles läuft auf ein einziges Orakel hinaus.“
„Dann würde euer Wegenetz zusammenbrechen und damit deine Organisation. So könnte das Orakel nicht nur alle Protektoren beeinflussen, sondern wäre gleichzeitig einen seiner größten Gegner los“, meinte Anna.
„Ja“, sagte Batrast bedächtig. „Bis vor wenigen Tagen glaubte ich auch, das würde passieren.“ Er sah Anna ernst an. „Doch Remisons Veränderung öffnete mir die Augen für die ganze Gefahr. Das Orakel muss eine holistische Macht darstellen.“
„Eine was?“
„Seine Teile sind vereinigt wesentlich mächtiger als ihre einfache Summe. Schau, wie stark schon diese drei Teile sind, die jetzt in Golarmur herrschen. Meine größere Befürchtung ist daher, ein vollständig vereintes Orakel könnte so mächtig werden, dass es nicht nur seine unmittelbare Umgebung, sondern weit mehr beeinflussen könnte, die Hauptstädte, vielleicht sogar das ganze Land. Aus den Bächen wird kein Fluss, sondern ein reißender Strom, der alles ertränkt.“

Anna erblasste als sie verstand. „Oh nein! Das Orakel sagte bei seinem Verhör zu mir es wolle ‚die acht Steine vereinigen um das Gefängnis zu zerstören’.“
„Wer weiß, was dieses Wesen wirklich ist. Im ersten Schritt entwickelte es ein Bewusstsein, was würde es beim nächsten Schritt werden? Kann es sich dann auch frei bewegen?“ Er nahm Anna das Buch aus der Hand. „Ich möchte es nie erfahren müssen. Wir müssen es aufhalten, dazu brauche ich deine Hilfe.“ Er sah sie eindringlich an. „Das Orakel fürchtet dich. Wenn wir herausbekommen, was der Grund dafür ist, finden wir vielleicht eine Möglichkeit um es zu stoppen.“
Anna machte ein resigniertes Gesicht. „Ich würde das gerne tun, doch ich habe mein Gedächtnis darüber verloren.“
„Ich glaube, du bist über das Transportnetz hierher gereist. Das Orakel hat dich dabei als besondere Gefahr erkannt und mit seinen Mitteln angegriffen. Dadurch hast du dein Wissen verloren“, sagte er nachdenklich, dann wurde seine Stimme entschlossen. „Doch das ist jetzt nebensächlich. Wir werden dein Gedächtnis wiederfinden!“
„Das wäre mir natürlich recht. Wir sollten zusammenarbeiten, um das zu erreichen. Danach können wir weitersehen.“, schlug Anna vor.

Batrast überlegte nur kurz. „Einverstanden. Es würde ohnehin wenig Sinn machen, darüber hinaus zu planen. Ich muss nur darauf bestehen, dass du und deine Freunde alles für euch behaltet, was ihr hier erfahrt.“
„Mein Wort hast du. Salcia ist die Tochter einer Assassinenvorsteherin und Largais ist ein ehrenhafter Paladin. Ihnen kannst du ebenfalls vertrauen, wenn sie mitmachen wollen.“
„Ich habe keine Einwende gegenüber deinen Freunden, doch Geldor darf es noch nicht erfahren. Es wäre zu früh.“
„Meinst du nicht, wir sind eher zu spät?“
Batrast schüttelte den Kopf. „So meinte ich das nicht. Meine Verhandlungen mit Geldor sind noch am Anfang. Wenn wir ihm jetzt alles erzählen, könnte er es als Trick, um ihn zu überrumpeln, falsch auffassen. Daher möchte ich abwarten, bis sich eine günstige Gelegenheit ergibt.“
„Meinetwegen kannst du entscheiden, wann Geldor eingeweiht wird“, stimmte Anna zu.
„Dann sind wir uns einig“, sagte Batrast und legte das Buch auf den Schreibtisch.

*

Anna wollte noch einmal bei Fiska vorbeisehen. Im Krankenzimmer fand sie Salcia. Sie nahm sich einen weiteren Hocker und setzte sich neben die Assassine an Fiskas Bett. Unwillkürlich drängte sich in Anna die Frage in den Vordergrund, was ihre Freundin mit ihrem Wunsch gemeint hatte, sie solle sich „nicht mit ihr belasten“.
„Wie geht es dir?“, fragte Anna.
Fiska sah sie mit klaren Augen an.
„Gut“, flüsterte sie mit ungewohnter Stimme. Offensichtlich behinderte sie ihre Brustverletzung beim Sprechen. „Mache dir um mir nur keine Sorgen.“
„Das möchte ich aber!“, entfuhr es Anna heftiger als gewollt.
Fiskas Gesicht verzog sich zu einem angestrengten Lächeln. „Ihr Zauberinnen seid immer so emotional. Bitte sei vernünftig. Hier kannst du nichts mehr tun. Belaste dich nicht.“

Das Sprechen schien sie sehr erschöpft zu haben. Ihre Worte waren immer schwächer geworden, und auf ihrer Stirn glänzten feine Schweißperlen. Anna wusste, sie konnte unmöglich mit ihrer Freundin streiten, doch es rutschte ihr dennoch heraus:
„Willst du mich wirklich wegschicken?“
Fiska hob ihren gesunden Arm und fasste Annas Arm.
„Natürlich nicht!“ Ihr Lächeln wurde entspannter, konnte aber ihre körperliche Anstrengung nicht verschleiern.
Anna nahm vorsichtig Fiskas Hand und legte sie zurück auf das Bett.
„Du bist mir doch keine Last, sondern Ansporn. Wir werden einen Weg finden, und dann kannst du deinen Sohn wieder in die Arme nehmen.“

Sie blieben noch einige Zeit, bis gleichmäßige Atemzüge verrieten, dass Fiska eingeschlafen war. Leise erhoben sich Anna und Salcia von ihren Hockern und gingen aus dem Raum. In ihrem Zimmer trafen sie auf den von Geldor zurückgekehrten Largais. Anna erzählte nun beiden von ihrem Treffen mit Batrast und von dem Buch.

„Das erinnert mich an diese Legenden über irgendwelche übermächtige Dämonen, die man nicht töten aber irgendwie fesseln konnte“, meinte Salcia. „Vielleicht ist das Orakel einst von irgend jemandem an diese Steine gebunden worden? Dein Auftrag könnte sein zu verhindern, dass es sich befreit. Es sprach von dir als Gegner und du erinnerst dich in deinen Träumen daran, eine Katastrophe verhindern zu sollen. Dabei helfe ich natürlich gerne.“
„Ich würde auch gerne helfen, doch wir müssen auch an Geldor denken“, sagte Largais und machte ein unglückliches Gesicht. „Eigentlich bin ich auch ihm gegenüber verpflichtet.“
„Dann habe ich dich jetzt in ein Dilemma gebracht?“, fragte Anna.
„Nicht wirklich“, Largais grinste etwas spitzbübisch. „Meine Entscheidung steht schon lange fest, sie war ebenso klar wie eindeutig: Ich würde euch nie verraten. Doch Geldor ist nicht dumm. Er wird es bald merken und dann wird es schwierig.“
„Dann sage ihm einfach, ich würde dir keine Geheimnisse mitteilen, weil ich dir nicht trauen würde“, schlug Anna vor, doch Largais sah wenig überzeugt aus.
„Das funktioniert nicht. Geldor würde das nicht glauben“, meinte Salcia.
„Largais schafft das schon.“
„Largais vielleicht, aber du nicht“, erwiderte Salcia.
„Ist das jetzt Lob oder Tadel?“, fragte Anna, winkte aber gleich ab. „Batrast wird hoffentlich bis dahin Geldor ebenfalls eingeweiht haben.“

„Hast du dich schon gefragt, weshalb das Orakel dich fürchtet?“, fragte Salcia. „Was könntest du tun, um seine Pläne zu gefährden?“ Sie sah Anna nachdenklich an. „Ich glaube, du bist mit Sicherheit die einzige Zauberin in ganz Al-Amaris. Man kennt hier doch nicht einmal die Magie. Es muss damit zusammenhängen.“
„Ich mag die einzige Zauberin hier sein“, erwiderte Anna, „doch Zauberei funktioniert hier nicht.“
„Nein, sie funktioniert hier, nur anders als gewohnt“, widersprach Salcia. „Du erinnerst dich doch an Gom?“
„Natürlich erinnere ich mich“, antwortete Anna sichtlich unbehaglich. „Glaubst du etwa, dieses schwarze Ding könnte das Orakel gefährden? So etwas Schreckliches kann doch nicht die Lösung sein. Es wäre auch das erste Mal, dass unsere Magie ein körperloses Wesen angreifen könnte.“
„Was kann sie denn?“, fragte Largais.
„Ich kann nur Lebewesen angreifen, indem ich sie entkräfte und Blitze oder Eissplitter aussende. Andere Zauberinnen können noch Feuerzauber, aber auch diese greifen stets den Leib und nicht den Geist an.“
„Zauberinnen können doch noch mehr, oder? Ich habe dich öfters teleportieren gesehen“, sagte Salcia.
„Ja, aber nur über geringe Entfernungen, keine einhundert Schritte weit.“
„Ihr habt doch unser ehemaliges Wegepunktnetz erbaut“, warf Salcia ungewohnt aufgeregt ein. „Batrast sagte dir, das Orakel würde hier durch ein ähnliches Netzwerk daran behindert werden sich zusammenzuziehen.“
„Du glaubst, Anna könnte das Transportnetz in seinen ursprünglichen Zustand versetzen und dadurch das Orakel wieder völlig zersplittern?“, fragte Largais.
„Das ist meine Schlussfolgerung. Was meinst du, Anna? Sollten wir mit Batrast darüber reden?“ Salcia sah ihre Freundin erwartungsvoll an.

„Was du sagst klingt zwar logisch“, sagte Anna bedauernd nach einer kurzen Denkpause, „doch ich kann es nicht tun. Die Wegpunkte wurden damals von unseren Männern erbaut. Wir Frauen können das nicht, denn wir beherrschen andere Zaubersprüche und sind auch die schwächeren Magier.“
„Du kannst keine Wegpunkte bauen?“, fragte Salcia.
Anna schüttelte den Kopf. „Es ist unmöglich, selbst Meri könnte es nicht.“
„Dann liege ich entweder falsch oder wir übersehen etwas“, meinte Salcia sichtlich enttäuscht.
Largais legte einen Arm um die Assassine. „Du liegst nicht falsch, das fühle ich“, meinte er tröstend zu ihr.
 
Batrast Großprotektor?
Das is ja mal ne interessante Wendung!

Sehr viele Informationen im Kapitel!:top:
 
joa is schon wieder nett das neu kapitel.
schön das du wieder zeitz hast um weiter zuschreiben:top:
ma gucken wielange das nächste dann dauert.
 
auch ich freue mich, dass du die zeit und lust gefunden hast weiterzuschreiben.

das kpitel gefällt mir sehr gut und bitte lass fiska keine dummheiten machen ;)

ich freu mich auf jeden fall schon wieder aufs nächste up !!

Gruß, Helldog
 
Hallo Stalker_Juist,

wie wär's denn mal wieder mit einem Up....
Nur so bei Gelegenheit...


Glaub bloß nich, daß ich diese Geschichte jenseits von Seite 1 unvollendet vergammeln lasse ! =!P
 
hm gefällt mir :)
hübsche geschichte aber so laaaaaaaaang :eek:



achja: du wollltest ja nen :top: ^^
 
Die Protektoren (16)
Das Zauberland

Namensliste und Bezeichnungen:
Anna: Eine Zauberin, die von den Barbaren abstammt
Salcia: Eine Assassine, mit Anna befreundet
Fiska: Eine Amazone, mit Anna befreundet
Largais: Ein Paladin in Annas Gruppe
Batrast: Der heimliche „Konservator“
Geldor: Anführer einer Rebellengruppe
Brita und Verline: Batrasts Haushälterinnen
Meri: Annas Freundin

Nando: Eigenname der Rebellenbewegung

Golarmur: Name der Festung des Protektorats Ra-Genion, gelegen in der Stadt Merotir.
Al-Amaris: Das Land, in das Anna, Salcia und Fiska verschlagen wurden.
Plamag: Eigenname einer Ebene und Heimat der Zauberer


Es war am frühen Abend, als es an der Tür klopfte. Anna legte ihr Schmalzbrot auf den Tisch und stand auf. Hastig leckte sie ihre Finger sauber, dann öffnete sie die Tür. Es war Batrast.
„Darf ich eintreten?“, fragte er.
„Wir sind gerade beim Essen. Setz dich doch zu uns und nimm etwas“, lud Anna ihn ein.

Sie setzten sich zu Salcia und Largais mit an den Tisch. Batrast griff in den Brotkorb und suchte sich eine kleine Scheibe von jenem grauen Gebäck heraus, das es nur auf Nebula zu geben schien. Salcia schob ihm den Schmalztopf hin. „Es ist wirklich hervorragend gemacht“, sagte sie dazu.
Batrast nickte etwas abwesend. „Ja, ich habe es meinen Frauen immer beigebracht, doch das wichtigste daran ist Pfeffer.“
Salcia sah ihn fragend an.
„Pfeffer ist ein Gewürz. Teuer, aber gut“, sagte er. Dann wechselte Batrast abrupt das Thema. „Ich komme direkt von den Heilern. Fiskas Lage ist unverändert.“ Er legte das Brot, das er nur einmal angebissen hatte, auf den Tisch und starrte es an. „Unverändert heißt, es wird nicht gut ausgehen“, murmelte er und sah wieder auf. „Doch ich bin gekommen zu fragen, ob ihr mir helfen wollt.“

Salcia überwand als Erste das betretene Schweigen.
„Anna hat uns alles erzählt. Ich und Largais werden ihr natürlich helfen, ihr Gedächtnis wiederzufinden. Ob wir jemals als Agenten in deiner Organisation mitmachen, können wir ebenso wenig versprechen wie sie.“
Batrast machte eine akzeptierende Geste mit der rechten Hand. „Das ist völlig in Ordnung. Ihr könnt ab jetzt meine Bibliothek verwenden. Die wichtigsten Bücher habe ich für euch auf den Schreibtisch gelegt.“
„Danke. Fehlendes Wissen ist unser größtes Problem, da sind Bücher genau richtig“, bedankte sich die Assassine.

Batrast wollte schon aufstehen, als Largais sich zu Wort meldete.
„Salcia hat einen Verdacht, wie Anna das Orakel aufhalten könnte“, sagte er.
Die Assassine stieß ihm unsanft ihren Ellbogen in die Seite. „Wir wollten das erst noch einmal überlegen!“, schimpfte sie.
„Welchen Verdacht?“, fragte Batrast neugierig.
„Es ist nur eine Idee“, antwortete Salcia abwehrend und sah den Paladin verärgert an.
„In unserer Lage ist jede Idee wichtig“, meinte Batrast.

Anna spürte den aufziehenden Streit zwischen ihren beiden Freunden. Wahrscheinlich glaubten beide, ihr einen Gefallen zu tun, doch so würden sie nur das Gegenteil erreichen. Sie überwand ihren inneren Widerstand und sagte: „Unser Volk hat in der Vergangenheit ein ähnliches Transportnetz gebaut wie hier.“
„Wie bitte? Ihr habt es gebaut?“, staunte Batrast.
„Nicht das hier.“ Sie erzählte ihm Salcias Überlegungen.

„Ich glaube ebenfalls, dass es mit dem Transportnetz zusammenhängt“, sagte Batrast. „Es ist die einzige uns bekannte Möglichkeit, das Orakel zu beeinflussen. Mit deinen Erklärungen über Zauberei kann ich leider nichts anfangen, doch du sagtest, euer Volk hätte einige Materilisationssteine zertrümmert, um die Wegpunkte zu bauen. Warum habt ihr nicht ganze Steine verwendet? Waren es zu wenige?“
„Die Zauberer haben die Steine zertrümmert und ihre Bruchstücke magisch aufgeladen, um die Pforten in andere Welten, in denen Dämonen existieren, ein für allemal zu zerstören. Die Wegpunkte waren nur ein Nebenprodukt, das eher zufällig als gewollt entstanden ist.“
„Du sagtest, keine Frau könnte das. Habt ihr es jemals mit einem intakten Steinen versucht?“
„Nein, dazu waren sie zu gefährlich.“
„Unser Stein hier auf Nebula ist völlig ungefährlich und er ist vollständig. Vielleicht kannst du mit ihm etwas anfangen.“
„Du meinst, ein vollständiger Stein könnte auch von einer Frau zu einem Wegepunkt gemacht werden?“
„Ich hoffe es. Wir wissen es nicht, also sollten wir es ausprobieren.“
Anna machte ein unglückliches Gesicht. „Ich kann in Al-Amaris nicht zaubern, du hast selbst erlebt, was passiert wenn ich es versuche.“
Batrast zuckte mit den Schultern. „Ich vermute, es ist das Orakel, das irgendwie deine Magie beeinflussen und gegen dich wenden kann. Doch Gom liegt mitten in Al-Amaris und Nebula ist weit entfernt. Hast du es hier einmal ausprobiert? Hier hat das Orakel keine Macht.“
„Nein“, Anna schüttelte ihren Kopf. „Seit Gom habe ich es nie wieder versucht.“
„Warum nicht? Ich möchte nicht aufdringlich wirken, doch es scheint wichtig zu sein.“
„Es war mir zu gefährlich.“ Sie dachte an Largais entsetzte Reaktion. „Es gibt Wichtigeres als Zaubersprüche“, meinte sie unbehaglich.
„Wir könnten morgen früh zusammen zum Stein gehen und ihn genauer untersuchen“, schlug Batrast vor. „Der Hügel ist unbewohnt und wir werden unter uns sein. Du könntest dort versuchen zu zaubern.“
Anna zögerte mit der Antwort. Der Gedanke gefiel ihr überhaupt nicht, doch Batrasts Argumente konnte sie nicht widerlegen. Schließlich gab sie nach: „Wir können hingehen. Alles andere muss ich mir noch in Ruhe überlegen.“
Batrast stand auf. „Dann bis Morgen“, verabschiedete er sich.
Anna seufzte auf, nachdem die Tür wieder zu war. „Der kann fragen wie ein Inquisitor.“

*

Nach dem Essen suchten sie zusammen die Bibliothek auf. Die Räume waren leer, und im Arbeitszimmer fanden sie auf dem Schreibtisch einen Stapel von einem knappen Dutzend Büchern.
„Sollen wir die jetzt alle lesen?“, fragte Largais.
„Erst mal sehen, was in denen drinsteht“, schlug Anna vor.
Largais nickte und nahm sich drei Bücher vom Stapel. Er fing an sie durchzublättern, unterbrach sich dann aber.
„Eigentlich seltsam, dass ihr unsere Schrift so gut lesen könnt. Auch sprecht ihr völlig akzentfrei unsere Sprache. Wo habt ihr das gelernt?“
Salcia sah ihn verblüfft an. „Jetzt, wo du es sagst, fällt es mir auch auf. Ich kann mich nicht erinnern, sie gelernt zu haben. Wie auch, wo mir ganz Al-Amaris unbekannt war.“
„Das ist auch mir rätselhaft“, stimmte Anna ihrer Freundin zu. „Möglicherweise haben wir nur vergessen, wie wir es lernten, doch so gut bin ich sonst nicht. Akzentfrei beherrsche ich nur meine beiden Muttersprachen.“ Sie suchte sich das Buch vom Nachmittag aus dem Stapel heraus. „Ich habe nicht einmal das Gefühl, eine Fremdsprache zu verwenden.“ Sie zuckte resigniert mit den Schultern. „Diese Unwissenheit macht mir Sorgen. Es gehört zu den Grundregeln meines Volkes, nichts zu tun, dessen Zweck und Auswirkung man nicht kennt.“
Salcia sah ihre Freundin seltsam an, sie kannte sie zu gut. „Du spielst damit auf morgen an?“
„Ja.“ Anna seufzte. „Wenn ich morgen versuche zu zaubern und vielleicht mit dem Stein experimentiere, dann kann alles mögliche passieren. Verstehst du, ich weiß es einfach nicht.“

Largais sah bei diesen gequält klingenden Worten von seinem Buch auf. „Wir wissen was passiert, wenn du nichts unternimmst. Dann wird Al-Amaris in mehr oder wenig totaler Form einem Wesen unterworfen werden, dessen Methoden für sich sprechen.“
Salcia nickte. „Largais hat Recht. Möglicherweise kann sich das Orakel irgendwann ganz befreien und dann sogar unsere Heimat bedrohen. Wenn du immer absolut sicher sein willst, dann wirst du nie etwas erreichen.“
„Hm“, Anna blätterte unsicher im Buch, „mag sein.“
„Egal was du entscheiden wirst, ich werde es mittragen“, sagte Salcia.
„Ich natürlich auch“, pflichtete Largais bei. „Oder hast du etwa gedacht, wir würden dich mit dieser Verantwortung alleine lassen?“
Anna wurde etwas rot und vergrub etwas Unbestimmtes murmelnd ihr Gesicht wieder in dem alten Buch.

*

Nach einiger Zeit legte Salcia ihr Buch auf den Tisch. Das lange Sitzen auf dem Schreibtisch hatte sie steif werden lassen, und das Buch hatte wenig Interessantes enthalten. Es war eine gedruckte Abhandlung über die Geografie Al-Amaris, in denen die acht Protektorate näher beschrieben wurden. Sie sah Largais an, der gebannt las. Auch Anna schien mit ihrer Wahl glücklich zu sein, jenem handschriftlichen Werk über die Steine und Orakel.

Salcia gähnte verhalten und schob sich vom Tisch. Sie ging in den Hauptraum der Bibliothek und streckte sich. Hier war die Luft viel besser als in dem überfüllten Arbeitszimmer. Ihr Blick schweifte über die vollen Bücherregale. Es drang spärlich Licht durch die offene Tür herein, so konnte sie nur wenig erkennen, doch die Anzahl der Bücher war beeindruckend. Sinnierend fuhren ihre Finger über sie. Plötzlich stutzte sie.

Das Buch sah zunächst aus wie alle anderen, erst auf den zweiten Blick wurde ihr bewusst, weshalb es ihre Aufmerksamkeit erregte: Sein Rücken war absolut frei von Staub, während die anderen Werke mehr oder wenig davon trugen. Da er auch unbeschriftet war zog sie es heraus, um den Titel zu lesen:
Erinnerungen an Al-Amaris
Etwas enttäuscht, vermutlich ein Buch mit langweiligem und sentimentalem Geschwätz in den Händen zu halten, schlug sie es auf. Es war wie so viele andere mit der Hand geschrieben worden, wenn auch mit einer ungewohnt schlecht lesbaren Schrift. Es war gerade diese Tatsache, die Salcias Interesse erneut weckte. Sie nahm es mit in den Nebenraum, um es etwas genauer anzusehen. Der Text fing ungewöhnlich an:

Ich merke, wie ich immer mehr die wichtigsten Fakten vergesse. Das ist mir unerklärlich, ich bin weder senil noch fühle ich mich krank. Vor allem aber scheint sich dieses Vergessen nur auf bestimmte Dinge zu erstrecken. Die Dinge, weswegen ich hier bin. Natürlich entfällt mir nach so langer Zeit auch so manch Anderes, aber das sind Dinge, die viel länger zurückliegen und unwichtig sind. Ich habe mich daher entschlossen, alles aufzuschreiben. Was wird es für ein Gefühl sein, die eigenen Worte zu erkennen ohne sich an sie zu erinnern? Das ist ein beunruhigender Gedanke.

Al-Amaris ist keine gewöhnlich Welt. Es ist vielmehr die Schöpfung eines großen Geistes. Ich hatte nie Kontakt mit diesem Wesen, ich kenne weder seine Beweggründe noch seine Möglichkeiten. Was meine ich mit „Schöpfung“ überhaupt, wenn ich dieses so mächtige Wort verwende? Ist es die Urbarmachung einer sonst lebensfeindlichen Umwelt? Ist es die Behütung seiner Einwohner vor ihnen grenzenlos überlegenen Feinden? Ist es mehr, vielleicht sogar so etwas wie ein Lebenshauch? Ich weiß es nicht. Ich möchte es auch nicht wissen, denn bereits dieses Wenige ist mir Last genug. Auf keinen Fall dürfen die Menschen hier erfahren, dass sie ihr Land, vielleicht sogar ihr Leben, einer unbekannten Wesenheit verdanken.

Was schreibe ich da nur? War und ist es nicht mein eigener tiefer Glaube, dass auch ich selbst meine Existenz einer übergeordneten Wesenheit verdanke? War es nicht immer meine schönste Pflicht, diesen Glauben zu verbreiten? Warum erfüllt mich dann mein Wissen um Al-Amaris mit solcher Angst? Ist es die Angst, aus meinem Glauben könnte ebenfalls Wissen werden?


Der Text endete mitten auf der halb beschriebenen Seite. Nachdenklich sah Salcia auf. Der Text klang zwar abstrus, doch er drückte auch echte Not aus. Hier war ein Mensch, der unter einer eigentümlichen Geisteskrankheit litt, die ihn allmählich sein Gedächtnis verlieren ließ. Er schien von seinen Worten überzeugt zu sein, so wirr sie auch klangen. Salcia fragte sich, ob ein wahrer Kern enthalten sein könnte. Sowohl ihr Gefühl als auch die Überlegung, dass Batrast kaum irgendwelchen Unsinn sammeln würde, sagen ihr das, doch wo die Tatsachen aufhörten und der Irrsinn anfing, konnte sie nicht abschätzen. Salcia blätterte um und las weiter:

Ich sollte mich öfters daran gemahnen, hier nicht zu fragen und zu spekulieren. Ich schreibe dieses nur, um mich in Zukunft selbst an die Tatsachen erinnern zu können, die ich wohl bald vergessen werde. Da muss ich das Sichere vom Spekulativen trennen.

Es gibt hier eine mächtige Wesenheit. Sie ist an diese Welt gefesselt, genauer gesagt ist sie in unzählige Teile zersplittert und an ebenso viele Steine gebunden. Sie ist nur schwach, doch sie konnte mit mir in Verbindung treten. Ihr Wunsch ist es, sich in einem einzigen Stein zu vereinigen, dafür wollte es meine Hilfe erkaufen. Als Gegenleistung bot sie mir dafür einen Teil seiner dann absoluten Macht an.

Als ob absolute Macht teilbar wäre.

Mein Volk hat Erfahrung im Erkennen von Bosheit und Verschlagenheit. Doch ich brauchte diese Erfahrung hier nicht einmal, denn die Falschheit strömte mir unübersehbar entgegen. Vielleicht wäre ich früher schwach geworden, doch heute erstrebe ich keine Macht mehr. Macht ist auch nur eine Form der Gewalt.

Außerdem ist mein Handel schon längst vereinbart. Ich weiß nicht mit wem, aber das Ziel ist das Gegenteil dessen jener gefesselten Macht. Ich soll sie fester binden, denn seine Ketten drohen zu zerbrechen. Dazu bin ich hier, und noch zu mehr. Ich kann es nicht alleine vollbringen, doch ich erwarte Hilfe. Dieses unheimliche Vergessen! Wie sollen wir unseren Auftrag erfüllen, ohne sich seiner zu erinnern?


Das stimmte teilweise nahezu perfekt mit Annas Bericht über das Orakel überein. Der unbekannte Autor war demnach mit Sicherheit nicht irgendein Verrückter, sondern ein Wissender. Gespannt blätterte Salcia weiter, doch der Text schien einen Sprung zu machen, er fing mitten in einem Satz an und beschrieb eines der Völker von Al-Amaris. Sie sah sich das Buch kritisch an und bemerkte, dass jemand mit großer Sorgfalt einige Seiten entfernt hatte.
„Verdammt!“, entwich ihr ein leiser Fluch.
Largais sah von seinem Buch auf.
„Stimmt etwas nicht?“, fragte er.

Salcia erschrak. Sie wollte Largais nicht unüberlegt mit diesem seltsamen Buch konfrontieren. Sie waren sich in den letzten Tagen nahe gekommen, und er hatte ihr sogar erzählt, welche Erlebnisse ihn, den loyalen Paladin, zum Überläufer hatten werden lassen. Dennoch waren ihr seine religiösen Ansichten unbekannt geblieben, möglicherweise würde ihr Fund sie voneinander entfremden. Die Warnung des Autors bestand sicherlich nicht zu unrecht. Sie wollte zuerst mit Anna über alles reden, aber dazu müssten sie alleine sein.

„Nein“, sie klappte das Buch zu und legte es scheinbar gelangweilt auf den Tisch. „Ich hoffte etwas brauchbares gefunden zu haben, doch es ist nur ein ödes Tagebuch irgendeines Agenten. Du hast bestimmt etwas besseres gefunden?“
Largais hob sein Buch etwas an. „Dies hier ist eine Chronologie über Nebula.“
„Wer hat sie verfasst?“, fragte Anna und sah von ihrem Text auf.
„Keine Ahnung“, er blickte zu ihr hinüber. Er hob die Augenbrauen an. „Zeig mal“, er zog Annas Buch etwas an sich heran. „Das ist ja merkwürdig. Die Handschrift in deinem Buch ist der von meinem sehr ähnlich“, meinte er und legte sein Buch aufgeschlagen auf den Tisch.
Anna stutzte nun ebenfalls und legte sie ihr Buch daneben.
„Stimmt“, sagte sie nur.
„Sieht aus wie von demselben Menschen geschrieben, jedoch mit einigen Jahrzehnten Abstand dazwischen“, meinte Salcia. „Wahrscheinlich war jener experimentierfreudige Protektor auch ein ebenso freudiger Schreiber.“
Anna blättert durch ihr Buch. „Das könnte stimmen“, meinte sie etwas abwesend. „Auch hier verändert sich manchmal die Schrift, ohne aber wirklich anders zu werden. Wie bei einem Autor, der mit größeren Unterbrechungen ein Leben lang daran schrieb... ah, hier ... Seht, diese Passage stimmt mit Largais Schrift überein.“
„Tatsächlich“, sagte Salcia bekräftigend. In Gedanken verglich sie die Handschrift mit der aus ihrem Buch, doch sie stammte eindeutig von einem anderen Menschen. „Wie lautet denn diese Chronologie?“, fragte sie.

„’Zauberland Nebula’ heißt das Buch“, antwortete Largais.
„Zauberland?“, unterbrach ihn Salcia, „dass ist aber ein merkwürdiger Begriff.“
Largais nickte. „Das fand ich zunächst auch, doch Nebula scheint tatsächlich keine gewöhnliche Insel zu sein. Sie soll dermaßen abgelegen sein, dass niemand seine geografische Lage kennt. Zwar haben immer wieder einige Einwohner versucht, von ihr aus mit Booten das Festland zu erreichen, doch sie sind alle spurlos verschollen.“ Er zuckte mit den Schultern. „Das könnte natürlich auch ganz einfache Ursachen haben, wie Riffe und Stürme. Doch auch alle Versuche scheiterten, mittels Navigation den Standort herauszufinden.“
„Navigation?“, fragten Anna und Salcia fast gleichzeitig,. „Was ist das?“
„Sagen euch ‚Sextant’ und ‚Chronometer’ etwas? Oder kennt ihr euch mit Sternenpositionen und Lichteinfallmessungen in Brunnen aus?“
Beide schüttelten ihren Kopf. Largais grinste.
„Endlich wisst ihr einmal etwas nicht. Ich kann es euch gerne erklären, doch das dauert etwas. Kurz gesagt, es ist mit diesen Mitteln möglich, seinen Standort auf wenige tausend Schritte genau zu bestimmen. Doch mit Nebula funktioniert es nicht, angeblich bekommt man kein Ergebnis, weil der Sternenhimmel nicht stimmt.“
„Wie meinst du das?“, fragte Anna.
„Das Buch behauptet, die Sternkonstellationen auf Nebula würden überhaupt nicht passen, zu keiner einzigen Position.“
„Das klingt wirklich seltsam“, meinte Anna.
Largais zuckte mit den Schultern. „Dazu kann ich nicht viel mehr sagen, denn ich habe bei dem dichten Nebel hier noch nie Sterne sehen können.“

„Der unbekannte Autor scheint gerne zu schreiben. Es liest sich nicht wie ein trockenes Geschichtsbuch, sondern wie das Tagebuch eines einzelnen Menschen. Aber da es sich über mehrere Jahrhunderte erstreckt, muss das ein Stilmittel sein.“
„Wie viele Jahrhunderte sind es denn?“, fragte Anna.
„Schwer zu sagen. Ich habe bisher nur Weniges genau und das Meiste nur quer gelesen. Durch den eigenwilligen Stil sind Zeitangaben schwer zu finden und oft auch nicht vorhanden. Grob geschätzt, würde ich etwa vier Jahrhunderte annehmen.“
„Einen Augenblick mal“, unterbrach Salcia. „Wenn diese Insel sozusagen nirgends liegt, wie konnte sie dann jemals besiedelt werden?“
Largais lächelte. „Sehr scharfsinnig! Damit fängt auch das Buch an. Ich lese es am besten vor:

Ich erwachte wie aus einem tiefen Schlaf. Mit einer Bewegung, die nicht ahnen ließ, dass sie meine erste war, stand ich auf und sah mich um.

Mein Blick schweife über die Insel. Ich wusste, sie lag oft in einem dünnen Nebel, doch jetzt lag sie in aller Klarheit vor mir. Ich stand auf ihrem höchsten Punkt, einem großen Hügel, und nur wenige Schritte von jenem grauen Stein entfernt, der mein Tor nach Al-Amaris sein würde. Über ihn wollte ich die Menschen holen, die mir bei meiner Aufgabe helfen sollten.


Largais klappte sein Buch zu. „Ihr seht, es ist kein nüchtern geschriebenes Sachbuch, und der Anfang der Besiedlung gründet ebenso auf der Legende eines rätselhaften Gründers, wie so viele andere Stadtgründungen auch.“ Er gähnte unterdrückt.
„Lasst uns morgen, nachdem wir beim Stein waren, weiterlesen“, schlug Anna vor.
Largais nickte, doch Salcia meinte: „Das Ende von der Chronologie würde mich noch interessieren.“
Statt einer Antwort packte er Salcia um die Hüfte und hob sie von der Schreibtischplatte. Sie schien in seinen großen Händen jegliches Gewicht zu verlieren, um dann sanft durch die sich öffnenden Finger zu gleiten. Sich elegant mit den Zehen abfedernd kam sie nur eine Handbreit vor Largais zum Stand.

Während die Beiden einen Moment so verharrten, erkannte Anna, dass sie sich mehr als nur verstanden. Sicherlich, Salcia war ein lebenslustiger Mensch und Largais war es in seinem Kern ebenfalls, doch hier lag mehr als nur ein flüchtiges Abenteuer in der Luft. Die schmerzliche Frage, wann sie zum letzten Mal in dieser Weise berührt worden war, schnitt sich in Annas Gedankengang, doch ehe sie in diese Richtung weiterdenken konnte, ging Largais einen halben Schritt zur Seite und sah Anna an. Sein Blick wirkte ein wenig verlegen. Dann atmete er tief ein und sagte: „Das Buch endet mit dem Bau des Haupthauses auf Nebula. Zu dem Zeitpunkt ist das Dorf längst fertig und bewohnt. Es scheint übrigens normal zu sein, dass es wie ausgestorben wirkt, die meisten Bewohner zieht es nach Al-Amaris. Auf Nebula sind sie nur zu Versammlungen oder bei Gefahr.“
Anna nickte. „Batrast meinte auch so etwas. Die meisten Menschen kommen mit dem Nebel und der Abgeschiedenheit nicht zurecht. Für sie ist Nebula nicht nur der sicherste, sondern auch der einsamste Ort.“

*

Der Morgen des nächsten Tages war für diese Insel so typisch. Kaum war die Sonne über dem Horizont erschienen, da lichtete sich allmählich der Nebel, und die durchkommenden Sonnenstrahlen ließen die Nässe des nächtlichen Regens aufschimmern. Das eigentümliche Lachen der Möwen erklang über dem Zwitschern der Spatzen und der Wind frischte leicht auf.

Anna hob die Hand vor die Augen, um gegen das glitzernde Gefunkel der nassen Landschaft die vorweg gehenden Salcia und Largais besser sehen zu können. Wie schon den ganzen Tag schienen sich die beiden prächtig zu unterhalten. Sie konnte die Worte aus der Entfernung nicht verstehen und wollte es auch nicht. Etwas Wehmut und ein Hauch von Neid, aber nicht Missgunst, streifte sie, und ihre Gedanken gingen zurück an Barghan, jenen Gesellen des Schmiedes, den sie bewundert hatte. Was war wohl aus ihm geworden?

„Anna, kann ich dich etwas fragen?“, fragte Batrast leise.
In ihren Gedanken unterbrochen sah sie ihn an. Batrast machte seit dem frühen Morgen einen müden Eindruck auf sie.
„Natürlich, um was geht es denn?“
„Um Fiska ... und um mich.“
„Was ist mit Fiska?“
Er verlangsamte seinen Schritt, bis sie beide etwa ein Dutzend Schritte zurückgefallen waren, dann sprach er weiter.
„Ich weiß, dass euch die Heiler nur selten zu ihr lassen, denn sie braucht Ruhe. Es steht unverändert ernst um sie.“
Anna blieb stehen.
„Sollte ich nicht bei ihr sein?“
Batrast packte ihren Arm und zog sie weiter.
„Fiska hat mir erzählt, was sie zu dir gesagt hat. Die drei Protektorate sind zur Zeit ohne Führung, da kann es auf jeden Tag ankommen, ob das Orakel sich weiter zusammenziehen kann oder nicht.“
Sie ging zögernd weiter. Ihr lagen einige verletzende Erwiderungen auf der Zunge, doch letztlich würden sie zu nichts außer sinnlosem Streit führen.
Ich mache das hier jetzt, doch danach werde ich mich um sie kümmern. Und wenn die Welt untergeht, sie ist mir wichtiger.
„Frage nur“, sagte sie.

Batrast zögerte, ihm war deutlich die Hemmung anzusehen, seine Frage auszusprechen. Dann, mit einer geradezu gewaltsamen Selbstüberwindung, sprach er sie aus:
„Was ist an Fiska so ... faszinierend?“
„Was meinst du mit ‚faszinierend’?“, fragte Anna verwirrt zurück. Ihr eigener innerer Konflikt beschäftigte sie immer noch und ließen ihre Gedanken schwer werden.
„Genau das kann ich nicht sagen, deshalb frage ich dich. Ich habe schon vielen Amazonen beim Schießen zugesehen und ihre Eleganz bewundert, doch bei Fiska ist es viel mehr als das, da bin ich wie gebannt. Oder wenn sie spricht, dann höre ich nichts anderes mehr. Ich möchte ihr kameradschaftlich auf die Schulter klopfen und wage es kaum. Und als ich ihre Hand hielt um sie zu trösten, da konnte ich sie kaum wieder loslassen.“

Anna wurde erst jetzt bewusst, was Batrast fragte. Sie war es gewohnt, mit ihren Freundinnen über Männer zu reden, und sicherlich redeten die ebenfalls über Frauen, doch noch nie hatte ein Mann ihr eine solche Frage gestellt. Wieso stellte ausgerechnet Batrast, der sonst so viel wusste, eine solche Frage und warum ausgerechnet an sie?
„Du hast dich in sie verliebt, das ist nichts ungewöhnliches.“ Anna versuchte, ihren eigenen Schmerz nicht durchklingen zu lassen.
„Verliebt? ... So also fühlt sich Liebe an?“ Er schien in sich zu horchen. „Jetzt verstehe ich, weshalb man das nicht erklären kann. Macht es dir etwas aus, weiter mit mir über Fiska zu reden?“
„Es wäre besser, wenn du direkt mit ihr reden würdest“, erwiderte Anna unbehaglich.
„Seit ich sie kenne wirkt sie manchmal so traurig, und ich weiß nicht warum. Sie sagt es mir nicht. Ihr seid doch Freunde, kannst du mir sagen, was sie so bedrückt?“

Im ersten Moment wollte Anna ihn schroff zurückweisen, doch dann besann sie sich. Batrast wirkte sicherlich taktlos, vielleicht hatte ihn sein einsames Leben auf Nebula so werden lassen, doch er schien es ernst und ehrlich mit seiner Frage zu meinen.
„Solche Dinge kannst du nur sie selbst fragen. Wenn sie dir vertraut, dann wird sie es dir irgendwann erzählen.“ Annas Stimme klang entgegen ihrem Willen tadelnd.
„Ich wollte dich nicht ausfragen“, sagte Batrast entschuldigend. „Ich will nur nichts falsch machen.“
„Dann frage mich nicht über sie, sondern sei für sie da und helfe ihr, so gut du kannst“, erwiderte Anna ungewollt heftig. Versöhnlicher fügte sie hinzu: „Ich helfe euch beiden gerne, nur hier ist es besser nicht zu helfen.“
„Schon gut“, er hob beschwichtigend seinen rechten Arm an, „ich verstehe dich. Auf jeden Fall werde ich Fiska helfen, wieder gesund zu werden.“
„Das wäre schön“, seufzte Anna.

Batrast sah sie nachdenklich an.
„Als Fiska und ich damals Remisons Belagerung von Majan beobachteten und dabei Cein aufgriffen, da erzählte sie ihm zum Zeitvertreib Sagen über ihr Volk.“ Ein feines Lächeln umspielte seine so ernsten Gesichtszüge. „Vielleicht erzählte sie sie auch mir, denn es waren meistens traurige und ernste Geschichten über Amazonen, die sich für ihr Volk oder für ihre Ideale opferten. Am meisten ist mir die Sage der Scavola in Erinnerung geblieben.“
„Das Mädchen, das ihre eigene Hand verbrannte?“
„Du kennst diese Geschichte?“
„Aber ja doch“, Anna lächelte. „Auch mir wurde sie von einer Amazone erzählt, als ich noch ein kleines Kind war. Scavola war eine junge Kriegerin, deren Heimatdorf von einem Barbarenstamm belagert wurde. Sie schlich sich eines Nachts zu ihnen, um ihren Anführer zu töten. Doch ihr Vorhaben scheiterte, sie wurde gefangen genommen und vor den Häuptling gezerrt. Der zeigte ihr das für ihre Bestrafung vorbereitete Kohlebecken. Aber statt sie zu brandmarken lachte er sie aus und meinte, wenn ihr Volk nicht mehr als ungezogene Mädchen aufbieten könne, dann würden sie bald besiegt sein. Sie könne daher unversehrt nach Hause zurückkehren, wenn sie schwöre, über seine Großzügigkeit dort zu berichten. Scavola jedoch lehnte ab. Sie stieß ihre rechte Hand in die glühenden Kohlen und erwiderte mit fester Stimme, dass sie niemals einen Schwur leisten würde, der ihrer Heimat schaden könnte.“

Anna betrachte ihre rechte Hand. Damals, als Kind, hatte Scavolas Tat sie enorm beeindruckt. Diese Willenskraft und Tapferkeit hatte sie immer erreichen wollen, auch wenn ihrer Mutter Asalia solche Gedanken nicht gefielen.
„Der Häuptling schloss daraufhin Frieden mit den Amazonen. Die Einen sagen aus Angst, die Anderen aus Respekt. Wie auch immer, die beide Stämme schlossen sich wenig später sogar zusammen.“

Batrast nickte. „Dieser Stamm soll noch heute existieren. Alle Erwachsenen. Frauen und Männer, tragen ein Zeichen, das Familiensymbol Scavolas, auf dem rechten Handrücken eingebrannt“, sagte er. „Doch kennst du auch das Ende der Geschichte?“
„Natürlich kenne ich es. Obwohl sie Frieden und Zukunft Scavola verdankten, schlossen die Amazonen sie wegen ihrer verkrüppelten Hand aus. Eine Frau, die keinen Bogen mehr spannen könne, dürfe sich nicht mehr Kriegerin nennen. Also tat sie, was sie tun musste und beging vor den Augen ihres Stammes den Toltar. Dem Häuptling schenkte sie die Ehre der Assistenz. Man erzählt, er weinte, als er ihr den Kopf abschlug.“
„Sie rettete ihr Dorf, doch sie verstießen sie. Findest du das nicht auch traurig und ungerecht?“
„Ja, ich finde das traurig. Doch Isilde, die Amazone, die mir diese Geschichte erzählt hatte, dachte anders darüber. Amazonen sind ein starkes und stolzes Volk. Eine Frau, die nicht mehr kämpfen kann, ist bei ihnen nichts Wert. Amazonen sind einfach so“, meinte Anna.
„Genau das glaube ich auch“, sagte Batrast gedehnt. Er sah, wie sich Annas Gesicht verdüsterte, als sie verstand. „Ich verspreche dir, ich werde alles für Fiska tun. Sie soll kein Krüppel werden. Hilfst du mir dabei?“
„Natürlich!“, antwortete Anna.

Sie gingen schweigend weiter, bis sie die Hügelkuppe erreichten. Der Nebel hatte sich inzwischen nahezu vollständig verzogen, und sie konnten die gesamte Insel von hier oben überblicken. Sie hatte eine schmale und lange, von Nord nach Süd verlaufende, Form und bestand aus lauter grünen Hügeln, die mit Wiesen und Büschen, aber kaum Bäumen, bedeckt waren. Am meisten sprang Anna jedoch das Dorf in das Auge, deren rote Ziegeldächer unübersehbar waren.
„Woher habt ihr die Ziegel?“, hörte sie Largais fragen und dann Batrasts Antwort. Kurz wunderte sie sich darüber, warum Paladine immer solch unwichtige Dinge fragen mussten, dann suchte sie mit den Augen Batrasts Haus, das durch seine Größe leicht an der Nordkante der Insel zu erkennen war. Von dort folgte sie weiter dem Weg, den sie am Vortag zusammen mit Batrast gegangen war.

„Ich habe den Posten und alle Bewohner aus dem Dorf nach Al-Amaris weggeschickt“, unterbrach Batrasts Stimme Annas Erinnerung. „Wir können jetzt ungestört und ohne Andere zu gefährden den Stein untersuchen.“ Er deutete auf den einige Dutzend Schritte entfernten hellgrauen Kegel. „Kommt, lasst uns anfangen.“

„Du bist ungeduldig“, meinte Anna und ging weiter bis zum Stein. Um ihn besser betrachten zu können ging sie vor ihm in die Hocke. Ihre Augen wurden von seiner perfekten Ebenmäßigkeit angezogen und abgestoßen zugleich, wenigstens ließ das helle Grau ihn natürlicher erscheinen als seine schwarzen Brüder, die dem Betrachter manchmal die Frage aufzwangen, ob er tatsächlich etwas ansah oder ob dort nur ein Nichts war.

„Er ist völlig blank, es gibt keine Inschrift, keine Zeichen, auch bemerke ich nichts von irgendeiner geistigen Präsenz.“ Sie blickte zu Batrast auf. „Hast du jemals irgend etwas außergewöhnliches bemerkt?“
„Nein“, antwortete er. „Ich habe ihn in der Vergangenheit öfters gründlich untersucht und nie etwas entdeckt. Für mich ist es nur ein perfekter Stein mit der Fähigkeit des Transports, mehr nicht.“ Er fasste den Stein an und grinste leicht. „Siehst du? Es passiert mir nichts. Das gilt auch für meine Agenten, deshalb brauchen wir hier keinen Zaun.“

Anna sah sich noch einmal den Stein von allen Seiten aus genau an. Dann streckte sie langsam ihre Hand aus. Doch sie zögerte, als sie sich an jenen Kontakt in Golarmur erinnerte. Es war die Angst vor jener schrecklichen Verlorenheit, die sie erlebt hatte, und vor jenem Blick in ihr Innerstes, das sie um keinen Preis offenbaren wollte. Doch als sie sich ihres Zögerns und ihrer Gründe bewusst wurde, da ärgerte sie sich darüber.
Was soll das? Entweder du wagst es oder du lässt es bleiben!
Fast trotzig legte sie die Hand an den Stein.

Zunächst schien nichts zu geschehen. Abgesehen von einem leichten Kribbeln in den Fingern, das Anna ihrer Nervosität zuschrieb, fühlte sich der Stein völlig gewöhnlich an und löste keinerlei Reaktion in ihrem Geist aus. Sie wollte schon loslassen, als sie eine Veränderung an ihm bemerkte.
„Oh ... Da erscheinen Schriftzeichen. Seht ihr das auch?“
„Ich kann nichts entdecken“, erwiderte Batrast verwundert.
„Es sind eindeutig Worte“, erwiderte Anna etwas abwesend.
„Ich glaube dir schon. Was besagt denn die Schrift?“
„Moment ... jetzt kann ich es lesen. Es ist der gleiche Text, wie auf Geldors Stein:
’Ich werde den Weg bereiten.
Den Weg, der nicht gegangen werden kann,
vom Ort, wo Zeit nicht existieren darf,
wo der Sterbende nicht sterben kann’
“,
las Anna leise vor, dann stutzte sie:
„Der Text stimmt nicht ganz. Da steht ‚vom’, es muss aber ‚zum’ heißen. Was bedeutet das?“
„Das ist eine gute Frage“, meinte Salcia. „Übrigens kann auch ich nichts erkennen, für mich ist der Stein nach wie vor absolut glatt.“
„Ich kann leider ebenfalls nichts sehen“, bestätigte Largais.

Anna wartete noch etwas ab, doch als nichts weiter geschah nahm sie ihre Hand weg und stand auf.
„Ansonsten kann ich gar nichts feststellen. Keine Spur von Belial oder einem Orakel, der Stein ist absolut tot.“ Sie wischte sich den Schweiß von der Stirn, der sich trotz des kühlen Wetters angesammelt hatte. „Was haltet ihr davon?“
„Ich denke, das beweist unsere Vermutung, dass du ... wie soll ich sagen ... ein spezielles Verhältnis zu den Steinen und damit zum Transportnetz hast“, meinte Batrast. „Ich und deine Freunde konnten nichts lesen, du aber konntest es. Du solltest es jetzt mit Magie versuchen. Was auch immer das bedeutet.“
Anna schüttelte ihren Kopf. „Ich halte das für zu gefährlich. Wir wären in Gom beinahe daran gestorben.“
„Hier oben ist außer uns niemand, außerdem kennen wir die Gefahr und wären vorbereitet. Doch vor allem glaube ich nicht, dass es sich wiederholt. Nebula ist weit weg von Al-Amaris und vom Orakel, ich erklärte es dir bereits. Du kannst es ohne Risiko versuchen“, erwiderte Batrast fordernd. Seine Stimme war deutlich von Ungeduld gefärbt.
„Ohne Risiko? Ihr Drei seid hier.“
„Mache dir um uns nur keine Sorgen, wir passen schon auf uns auf“, sagte Salcia.
„Wir müssen es versuchen, oder das Orakel gewinnt“, meinte Largais. „Ich bitte dich darum.“
Anna nickte schließlich. „Also gut, ich versuche es. Aber geht wenigstens einige Schritte weg.“

Anna wartete, bis die Anderen sich entfernt hatten. Als sie ihre erwartungsvollen Blicke auf sich lasten fühlte, schloss sie ihre Augen und versuchte sich zu konzentrierten. Sie wollte jene negative Ausstrahlung, die sie in Gom verspürt hatte, möglichst im Ansatz bemerken, um sofort abzubrechen zu können, doch sie war zu nervös. Vor Ärger über ihre Schwäche biss sie sich auf die Unterlippe, dann stieß sie ihre Arme nach vorne und klatschte in die Hände. Krachend entlud sich ein Kettenblitz, der zuckend in den Himmel verschwand.
„Donnerwetter!“, entfuhr es Batrast.
Anna lächelte befreit. Welch eine Last war von ihr genommen worden!
„Danke für die Anerkennung“, sagte sie. „Auf Nebula scheinen meine Kräfte tatsächlich normal zu wirken.“
„Jetzt bist du wieder eine echte Zauberin“, bestätigte Salcia. Sie lief zu ihrer Freundin und umarmte sie. Sie war die einzige im Kreis, die Annas Freude über ihre wiedergewonnene Zauberkraft wirklich verstand. Sie war für Anna nicht Waffe, sondern die Verbindung zu dem Volk, bei dem sie lebte. „Ich freue mich für dich“, sagte sie und ließ Anna los. Ihre Freundin stand etwas verlegen da, wusste nicht, was sie antworten sollte.

„Der Stein hat bei dem Blitz reagiert“, sagte Largais in die Stille hinein. „Es sah wie ein leichtes Pulsieren aus.“
„Ja, ich habe das auch gesehen“, bestätigte Salcia. „Ich glaube jetzt noch fester als zuvor, dass deine Magie die Lösung ist. Deswegen bist du gekommen, deswegen wollte Meri mitkommen. Sie ist die stärkste Zauberin, und diese Kraft fürchtet das Orakel. Ich glaube wir wussten das vor unserer Anreise. Meri konnte nicht mitkommen, weil das Orakel eine Abwehr gegen Zauberinnen aufgebaut hat, die sie getötet hätte. Dich dagegen hat das Orakel nicht als Zauberin erkannt, weil du eine gebürtige Barbarin bist. Es spürte zwar deine Gefährlichkeit, aber ohne den Grund zu verstehen.“
„Das würde wirklich vieles erklären“, stimmte Anna ihr zu.

„Wie dem auch sei, ich werde jetzt das Transportnetz ausprobieren“, sagte Batrast etwas nüchtern. „Danach wissen wir, welche Auswirkungen Annas Zauber und das Aufleuchten haben. Wenn alles normal verläuft bin ich in wenigen Minuten wieder zurück.“
Er wartete keine Antwort ab, sondern berührte den Stein und verschwand im selben Moment.

Sie warteten in gespannter Stille, jeder mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt. Largais fragte sich, ob Batrast nicht ein zu hohes Risiko einging, sich dem Stein anzuvertrauen, der eben noch ungewöhnlich reagiert hatte. Eigentlich war sein Vorgehen untypisch für ihn, denn er mischte sich zwar gerne persönlich in die Dinge ein, ging aber größeren Risiken stets aus dem Weg.

Salcia grübelte über ihre Spekulation hinsichtlich Meri nach und ob jene schwarze Erscheinung in Gom der Abwehrmechanismus sein könnte, der sie sofort vernichtet hätte.
Es passt wirklich gut zusammen, doch woher wussten wir davon? Wer könnte es uns gesagt haben? Es kann kein Bote aus Al-Amaris gewesen sein, denn Zauberei kennt man hier nicht.

Anna fragte sich, was der Text auf dem Stein bedeuten könnte, und warum er in einem Wort von Geldors Stein abwich.
Könnte jener ‚Ort’ Nebula sein? Ich glaube, wir sind damals von Geldors Stein aus aufgebrochen und wollten eigentlich nach Nebula. Doch das Orakel hat uns dabei irgendwie abgefangen und nach Al-Amaris gelenkt, um uns dort zu fangen. Da es mit dem Netz verbunden ist, wäre das denkbar. Vielleicht hatte es uns auch eine Zeit lang im Transportnetz festgehalten, Fiska am kürzesten, mich am längsten.

Die übergangslose Rückkehr Batrasts beendete all diese Gedankengänge. Er blinzelte kurz desorientiert, dann grinste er etwas übermütig.
„Es ist erstaunlich, wie leicht es war! Ich bin zu einem kleinen Stein in einer Höhle nahe bei Merotir gesprungen, den seit einigen Jahren nur noch ich verwenden kann. Doch dieses Mal ist es geradezu leicht gewesen.“
„Du meinst also, mein Zauberspruch hätte so gewirkt, wie wir hoffen?“, fragte Anna.
„Ja, das glaube ich“, bestätigte Batrast. „Ich meine sogar, das Orakel wurde davon getroffen. Normalerweise kann ich von jener Höhle aus seine Anballung in Golarmur spüren, doch jetzt war nichts davon zu bemerken.“ Er machte eine abschwächende Geste. „Allerdings war ich nur kurz dort gewesen.“
„Du kannst das Orakel aus größerer Entfernung wahrnehmen?“, wunderte sich Anna. „Ich konnte es erst, als ich fast vor ihm stand.“
„Es ist so“, er nickte. „Ich hatte schon immer ein besonderes Verhältnis zu ihm, das scheint eine Eigenart des Konservators zu sein. Ich kann auch das Transportnetz besonders leicht benutzen.“
„Ich erinnere mich, das stand in deinem Buch. Aber warum ist das so?“
„Das kann ich dir nicht sagen, doch das ist schon immer so gewesen.“ Er zuckte mit den Schultern. „Feinde haben manchmal ein besonders enges Verhältnis zueinander.“

Ein Glitzern im Augenwinkel lenkte Anna ab. Sie blickte zum Stein, es schien von ihm auszugehen. Doch je genauer sie hinsah, desto mehr verschwand es wieder. Neugierig geworden ging sie näher zu ihm hin, begleitet von den fragenden Mienen ihrer Freunde.

„Er hat sich irgendwie verändert, als wenn er glitzern würde. Doch wenn ich einen der Funken genauer ansehen möchte, dann scheint er zu verschwinden.“ Sie legte ihre linke Hand auf ihn. „Das Kribbeln ist stärker geworden ... Oh, da erscheint ein neuer Text. Es ist diese merkwürdige Schrift, die sich um den Stein windet, aber dennoch aus jeder Perspektive lesbar ist ... Ich kann die Sprache sogar verstehen, obwohl sie mir so fremd erscheint:
’Wer träumt, erkennt nicht die Wirklichkeit,
bis geschieht, was nicht geschehn kann,
was nicht hier sein kann.’

Anna wartete noch etwas ab, dann nahm sie ihre Hand vom Stein.
„Das stimmt mit Meris Übersetzung des ersten Textes überhaupt nicht überein. Was soll das alles bedeuten?“
„Für mich ist der Stein nach wie vor nur grau“, sagte Batrast. „Doch das alles bringt uns nicht weiter. Ich meine, wir sollten den eingeschlagenen Weg weitergehen, indem du das Wegenetz weiter stärkt. Wenn wir zu lange zögern könnte das Orakel sich möglicherweise erholen und Gegenmaßnahmen treffen. Danach, wenn wir endlich mehr Zeit haben, können wir gerne allen Rätseln nachgehen.“
„Du meinst, ich sollte noch etwas mehr zaubern?“, fragte Anna. Ihrer Stimme war keine klare Meinung zu entnehmen.
Batrast machte eine zustimmende Geste. „Vielleicht war ich vorhin etwas zu euphorisch. Dein Zauberspruch hatte zwar eine merkliche Auswirkung auf das Orakel, doch es ist noch ein weiter Weg bis zum ursprünglichen Zustand. Kannst du wirklich nicht einen Wegepunkt erschaffen?“
„Nein“, Anna schüttelte ihren Kopf, „das ist unmöglich. Keine Frau beherrscht den dafür nötigen Zauber.“
„Was käme ihm denn am nächsten?“, fragte Largais.

Anna dachte nach, dann sagte sie: „Ein Wegepunkt wird aufgeladen, indem ein Zauberer eine magische Kugel in ihn einsickern lässt.“ Sie machte ein entschuldigendes Gesicht. „Das ist natürlich nicht ganz wörtlich gemeint. Wenn überhaupt, dann käme mein Energieschild dem am nächsten. Das ist ein Zauber, der ebenfalls eine Kugel aus magischer Energie erzeugt, die länger anhält.“
„Dann versuche es damit!“, forderte Batrast sie auf.

Salcia sah Largais bestätigend nicken, dann spürte sie Annas fragenden Blick auf sich ruhen. Sie wusste am besten von allen, dass Anna sich einmal mehr in genau der Situation befand, die sie nie suchte aber immer fand.
Was so viele Menschen mit befriedigendem Stolz erfüllt, ist für dich eine Last. Ich wäre keine Freundin und keine würdige Vertreterin meines Volkes, würde ich mich nun davonstehlen.
„Könnte ich zaubern, ich würde es tun, Anna.“

Anna schloss ihre Augen und verschränkte die Finger beider Hände ineinander, um den Spruch einzuleiten, doch dann zögerte sie. Jeder sah ihr an, wie sie mit sich kämpfte. Da trat Largais heran und nahm ihre Hände. Er fühlte, wie ihre kalten Finger zitterten. Er drückte sie vorsichtig mit seinen großen Händen.
„Ich bitte dich, mache es. Was auch geschehen mag, ich trage es mit.“
Anna öffnete ihre Augen. Ein scheues Lächeln huschte über ihr verkrampftes Gesicht, dann schwang sie ihre Arme nach oben, um über dem Kopf die Finger auseinander zu ziehen. Mit dem typischen leichten Ploppen verdrängter Luft erschien eine schwach goldfarben schimmernde Kugel über ihr.

Largais Augen folgten Annas Händen. Er wusste durch die gemeinsamen Kämpfe von ihrer Körperbeherrschung, doch diese Geste drückte eine feminine Eleganz aus, die er ihr nicht zugetraut hätte. Wie konnte eine Frau einerseits einen Streitkolben schwingen und dann eine solche Geste vollführen? Dann sah er die sanft summende Kugel, die schwerelos über ihrem Kopf schwebte.
Salcia hatte Recht, als sie mir in Gom sagte, Annas Zauber wären schön.

Anna verspürte einen leichten Sog, der sie zum Stein zu ziehen schien. Sie blickte nach oben und sah, wie die Energiekugel zu ihm hindriftete.
„Der Stein zieht die Kugel an. Spürst du etwas?“, fragte Salcia.
„Einen leichten Sog vom Stein, doch er wird schwächer“, antwortete Anna mit unsicherer Stimme.

Batrast beobachtete gebannt, wie Annas Kugel allmählich über den Stein schwebte, wo sie in der ursprünglichen Höhe verharrte. Plötzlich sprang ein dünnes Lichtband von ihr zum Stein.
„Ich glaube, der Stein nimmt jetzt die Energie auf. Wir sollten besser weiter weggehen“, meinte Batrast und packte die wie erstarrt wirkende Anna am Arm und zog sie fort.

Aus etwa zwanzig Schritten Entfernung verfolgten sie den Vorgang weiter. Annas Energiekugel begann mit wachsender Geschwindigkeit wie eine Perle an einem Faden aus Licht herabzusinken. Als die Kugel die Spitze des Steins berührte, leuchtete er kurz glühend hell auf, dann war übergangslos alles wieder normal. Die Kugel war verschwunden und der hellgraue Stein stand da, als sei nichts geschehen.

„Es hat aufgehört!“, rief Largais hörbar erleichtert aus, der als erster seine Starre überwand.
„Das muss das Orakel wirklich getroffen haben“, meinte Batrast und ging zurück zum Stein. Die Anderen folgten ihm. „Kannst du irgend etwas Besonderes feststellen?“, fragte er Anna.

Anna streckte vorsichtig, doch entschlossen ihre Hand aus. „Er fühlt sich warm an ... jetzt kommt wieder die Schrift zum Vorschein ... Oh! Der Text hat sich geändert:
’Das Undenkbare zerstört das Denkbare.’
Sie ließ den Stein los und schüttelte ihren Kopf. „Ich kann damit nichts anfangen.“
Batrast verzog sein Gesicht. „Was auch immer, Hauptsache ist, das Orakel wird zurückgedrängt und das Transportnetz restauriert. Ich werde es am besten wieder ausprobieren.“
Wie zuvor wartete er keine Antwort ab sondern verschwand einfach.

„Das sollte er sich abgewöhnen“, meinte Largais. „Irgendwann wird ihn sein unüberlegtes Handeln umbringen.“
„Wieso unüberlegt?“, widersprach ihm Salcia.
„Ich hätte abgewartet, hätte Anna gebeten, genauer und länger den Stein zu untersuchen. Wer weiß, wie das Netz jetzt arbeitet?“
Salcia schüttelte ihren Kopf. „So meinte ich das nicht. Batrast ...“
Doch Batrast Rückkehr schnitt ihr das Wort ab.

„Stimmt etwas nicht?“, fragte Anna ob seines ernsten Gesichtsausdrucks.
„Im Gegenteil, es ist fast wie früher“, erwiderte er. „Ich bin nur reichlich angespannt. Du hast etwas erreicht, das schon immer erreicht werden sollte.“
„Wirklich?“
Er seufzte. „Entschuldige, wenn ich nicht heiter wirke. Wenn man ein Ziel erreicht, auf das lange hingearbeitet wurde, dann glauben die meisten Menschen man müsste fröhlich werden. Doch das ist nicht der Fall, denn von einem Augenblick auf den anderen steht man nicht mehr vor einer Aufgabe, sondern vor dem Nichts.“ Er bemerkte die fragenden Gesichter der Umstehenden. „Das ist schwer zu verstehen, solange man es nicht selbst erlebt hat.“ Er zwang sich zu einem zuversichtlichen Lächeln. „Ich schlage vor, wir gehen zurück. In meinem Haus könnten wir die nächsten Tage abwarten und dann weitersehen. Für heute sollte es genug gewesen sein.“
 
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