Chapter Nine
Nichts, aber auch gar nichts war aus Tyrael herauszuholen gewesen.
Er hatte den Beschwingten auf Knien angefleht, hatte geflucht und gezetert, geweint und gebrüllt. Doch mit stoischer Ruhe hatte Tyrael ihn dabei betrachtet, all sein Wirken auf ihn abprallen lassen.
Voll der Verzweifelung erprobte Iridor ein ums andere Mal den Engel zum reden zu bringen, dass er ihm die Wahrheit aufzeige, den wahren Hintergrund der Ebenen.
Und war ein mit jedem Versuch erneut gescheitert. Es schien als ob nichts dieses Himmelswesen dazu verleiten könne, sein Schweigen zu brechen, fast wie ein Schwur den es einzuhalten galt.
Und so war Iridor erneut in die Ebenen aufgebrochen um Izual zu suchen, alles Leben hatte sein Arm bereits hinweggefegt, so viele Seelen erlöst. Einzig den Einen galt es zu finden.
„Wo soll ich noch nach Dir suchen“ Laut verhallte seine Stimme, verlief sich in der Ebene, gebrochen und des Klanges beraubt an schwarzen Ruinen und rauchenden Stümpfen. „Zeige Dich endlich und bringe mir Antwort du dunkle Kreatur.“
In den Klang seiner Stimme hatte sich deutlich die ihm innewohnende Müdigkeit und Verzweifelung beigemischt. Verzweifelung deren Herkunft nicht zu benennen war. Fast wie aus Nichts geboren. Schwerer wurde die Klinge, schwerer sein Schritt.
Mit jedem zurückgelegtem Meter, mit jedem in die Runde gereichtem Blick, der Suche nach Izual, schien die innere Pein zu wachsen.
„Oh zeige Dich und kämpfe wie ein aufrechter Mann, Du, dessen Name Dunkel ist…“
Stunde um Stunde, suchend, wachsam, so durchwanderte Iridor die Ebenen der Verzweifelung. Es schien als ob sich all die Pein, all die Qualen welche jeder bisher gelebte Mensch erlitten, als ob all diese Mutlosigkeit sich hier in unsichtbarer Form gesammelt hatte.
Gesammelt und eingefunden um sich gierig auf neues Futter zu stürzen, sich an neuen Seelen zu laben und sich selbst daran zu ergötzen.
Und kurz vor der Abenddämmerung versagten Iridor die Beine, unnennbare Verzweifelung lähmte seinen Schritt und zwang ihn auf die Knie hernieder.
Und eben als Iridor dachte nichts könnte schlimmer sein als diese in ihm tosende Verzweifelung, traf ihn die erneute Welle tiefer als jedes Messer der Welten es je hätte vermocht.
Auf Knien, inmitten der Ebene, nur Tod und Verwüstung um ihn herum, traf Iridor ein unsichtbarer Sturm, packte ihn und wirbelte ihn herum, zerrte an seiner Statur und ließ seinen Oberkörper schwanken wie ein Ahornblatt im Tropensturm. Doch nichts körperliches traf den gequälten, nichts zog an seinen Haaren oder bauschte sein Wams.
Doch innerlich war ihm als wenn ein Vulkan sich in der Tiefe der Meere geöffnet, als ob ein Blitz sein Herz zum Ziel erkoren hätte.
Dunkelheit senkte sich von innen her über seine Lider, brachte sein Sehen völlig zum erliegen, nur noch Fühlen konnte Iridor.
Jemand, Etwas, näherte sich ihm in der wirklichen Welt, etwas grausames und dunkles, es schien selbst das Licht der Sterne und der Sonne zu verschlingen, wie sonst konnte es ihm so dunkel werden ? Mit jedem Schritte dieses Etwas, jeder ein leichtes Knirschen auf der verbrannten Erde, wütete der Strum heftiger in Iridor.
Trauer und Verzweifelung grub sich immer tiefer in des unglücklichen Herz.
Sein Vorhaben Leandra zu retten, Asram zu Ehren, seinem Freund den letzten aller Wünsche zu erfüllen…, was zählte das schon ? Nie würde ein so kleiner Wicht wie er, Iridor, der er der Sohn einer einfachen Weberin war, nie konnte so ein kleiner Wicht Heldentaten vollbringen, niemals die Strophe eines Barden Lieder füllen. So war er doch ein Niemand.
Die blicklosen Augen weitaufgerissen, wiegte sich Iridor in dem unsichtbaren Sturm, hin und hergewirbelt, innerlich zerbrechend.
Und die Schritte kamen näher.
In größter Not suchte Iridor an seinem Gürtel eine der magischen Rollen, welche ihn zurück in die Festung bringen würde. Mit einem letzten Anflug von Wut und Hoffnung warf er sich fort von den Schritten, die gefundene Spruchrolle in der Hand, bereit zum Wurf, bereit hindurchzugleiten und im Weine Vergessen zu finden.
„Nein“
Ein einziges Wort, mächtig durchdrang sein Nachhall des verzweifelten Sein. Eine übermächtige Pranke umklammerte seine ausgestreckte Hand, entwand Iridor´s Fingern das jetzt nutzlose Pergament.
„Nein“ Wieder dieser unmenschliche Klang, bei dessen Widerhall sich auch die letzte Spur von Hoffnung und Freude aus Iridor´s Herz zurückzog, sich versteckte in den hintersten Winkeln seiner Selbst.
„Zulange habe ich gewartet einen wie Dich zu sehen.“ Die Stimme schien von überall her zu kommen, aus jeder nur denkbaren Richtung. „So lange, Äonen hindurch habe ich Seelen getrunken, nur um eine wie Dich zu finden. Eine Seele auf der Suche, durch Liebe getrieben, durch Hoffnung geführt. Hoffnung welche selbst hier, hier in meinem Reich so lange erhalten blieb.“ Die Stimmer erhob sich noch lauter jetzt, noch irrsinniger als zuvor. „Ich will diese Hoffnung in mir haben, mag mich an ihr laben, meinen Fieden in ihr finden. Sie gehört mir.“
Nicht Rache durchdrang jedes dieser Worte, nicht Wut, nicht ketzerischer Kampf, einzig verzweifeltes Sehnen durchdrang alles was war, alles was zu fühlen Iridor noch fähig war.
Jedes einzelne dieser Worte durchschlug sein Herz, sein Denken, wie feurige Pfeile, in Säure getunkt um den getroffenen langsam zu zersetzen. Einzig durch des Bösen Präsenz gebannt, ohne das dieses ihn berührt gar hätte, lag Iridor darnieder, keiner Regung mehr fähig. Einzig seine Finger krampfhaft das Heft seines Schwertes umklammernd, wie ein Ertrinkender sich an eine geborstene Planke krallen mochte um der See zu entgehen.
Und genau von diesem Heft aus, sich die Veränderung langsam auszubreiten begann. Zuerst so unsagbar zögerlich. Während um Iridor herum die Verzweifelung allen Sein´s die Klippen der Zeit zu überschreiten schienen, er selbst in Willenlosigkeit abzusinken drohte, baute sich der Gegensatz auf. Und sein Schwertarm schien der Anfangspunkt zu sein.
Sein Griff um das Schwert kam Iridor mit einem Mal klarer vor. Er konnte jede Linie des umschlingenden Leder fühlen, seine Fingerspitzen fanden die kleine Scharte oberhalb der Parierstange.
Sein Arm fühlte sich leicht und berstend vor Kraft an. Pulsierte vor Kraft welche nicht Iridor selbst gehörte, doch zu seiner eigenen zu werden schien. Langsam, unendlich langsam breitet sich dieses Pulsieren weiter in ihm aus. Ergriff Besitz von seinem Oberkörper, vertrieb die Qualen der Beine, brachte Kraft zurück in abgeschlaffte und mutlose Muskeln. Und mit einem Mal, wie von einem Schleier befreit, konnte Iridor wieder klar denken. Einzig sein Augenlich wollte nicht zurückkehren. Und doch, ein Art von Sehen bildetet sich für Iridor. Eine Art, ja, wie Licht, Licht in vielen Abstufungen aus welchen sich seine Umgebung neu zu formen begann.
Fast hätte Iridor sein Schwert fallen gelassen. Die Quelle des unirdischen Lichtschein war seine eigene Klinge. Wie ein Lichtschweif gloste aus ihr heraus diese Helligkeit, vertrieb die bösen Geister aus Iridor´s Herz, brachte seinen Augen das Sehen zurück.
Und in der Tiefe dieses Lichtes war es Iridor als ob er zwei sich windende Schlangen sehen konnte. Zwei Schlangen welche umherwirbelten und mit ihrer Bewegung, fast tänzerisch wirkend, dieses Licht aus sich herauszuschleudern schienen. Doch verspürte der nun wieder sehende keinerlei Furcht bei ihrem Anblick.
So konnte er endlich einen Blick auf Izual werfen. Übermannshoch ragte dieser vor ihm auf. Flammend der gesamte Anblick. Zwei riesige Schwingen breiteten sich weit zu beiden Seiten aus, wirkten so fehl an dieser armen Kreatur, welche so verzweifelt war, so viel Leid bringen konnte.
Fließend, erfüllt mit neuer Kraft, mit neuer Hoffnung, richtete sich Iridor auf und richtete die brennende Klinge auf Izual.
Brüllen war die Antwort. „Neeeeeeeeeeeeeiiiiinnnnnnnnnnnn…, das kann nicht sein“ Langgezogen schmetterte dieser Satz durch die Ebene, verzweifelt wie zuvor, doch diese glitt an Iridor´s Herz herab.
„Das kann nicht sein…, darf nicht.“ Weit warf die Kreatur ihre Arme von sich, in einer alles umarmenden Geste. „Du hast es mir versprochen Vater. Wenn ich Hoffnung wieder finden kann, wenn Güte ich mir wiedererlangen kann, dann darf ich zu Dir heimkehren. DU HAST ES MIT VERSPROCHEN…, VATER“
Irritiert vernahm Iridor die Worte, Worte voller Qual.
„Wenn ich dies finde dann darf ich nach Hause, das hast Du gesagt. Er gehört MIR“
Und mit diesem letzten Satz begann Iridors größter Kampf.