Kapitel 52 – Brandmale
Mit einiger Mühe finden die Skelette den Weg nach unten. Der Meister kann die Stufen nicht mehr alleine navigieren; der Zweite trägt ihn. Meines Erachtens viel zu unsanft...etwas wie ein Krampf schüttelt mich. Der verzweifelte Versuch, etwas zu tun, erneut kläglich scheiternd, wie die vielen, vielen Male zuvor. Meine imaginären Muskeln zittern, unbeansprucht, obwohl ich sie bewegen möchte, sie nutzen um meinen rebellischen Körper in eine andere Richtung zu treiben, wenn nötig mit Gewalt die grausame Seele, die ihn mir genommen hat herauszureißen, den Zweiten in die Tiefen der Hölle zu prügeln. Es ist...eng hier drin.
Ich darf mich nicht irre machen; zumindest sobald wir hier draußen sind, muss der Meister etwas merken. Der Ausgang wird...hässlich werden, aber ich werde frei sein aus diesem Gefängnis!
Aber bedeutet das nicht gleichzeitig, dass ich den Zweiten erneut dazu verdamme, in diesem Zustand zu verharren? Kann ich das verantworten? Ist es nicht völlig selbstsüchtig, meine eigene Freiheit über sein eigenes Recht dazu zu stellen...zumal er weitaus länger als ich, und noch dazu völlig stumm, in mir eingesperrt war?
Der Drang, hieraus zu entkommen, übersteigt fast die Vernunft...aber darf der die Moral auch noch besiegen?
Nein! Das darf nicht geschehen, so schlimm es hier drin auch ist. Trotzdem...ich habe keinen Mund und muss schreien. Warum hat uns das Schicksal in diesen Raum gesperrt, in dem schlicht kein Platz für zwei ist?
Ein Gang spaltet sich auf...der Zweite entscheidet sich erneut anders als ich, der nach links gegangen wäre. Nach kurzer Zeit biegt der Weg nach links; also verfallen wir in das Muster, das die Stockwerke über uns schon hatten, ein Eingangsraum, danach vier größere, verbunden durch Gänge untereinander, und einer von diesen Räumen hat den Abgang in das nächste Untergeschoß angeschlossen...gleich öffnet sich wieder eine der Hallen vor uns, wir müssen uns durch Unmengen von Schindern, Schlangen, untoten Puppen und womöglich auch noch Dunklen Gestalten kämpfen...bis wir die nächste Treppe finden...wann wird es enden?
Der Gang endet an einem Gitter. Dahinter sehen wir nur eine Wand; das Licht ist schwach genug, um Nachtsicht zu ermöglichen. Überrascht wie ich bleibt der Zweite stehen und versucht, um die Ecken zu lugen; aber die Stäbe sind zu eng und unser Körper zu flexibel...
„Sackgasse, General. Kommando zurück.“
„Das gefällt mir nicht...wenn wir jetzt von hinten angegriffen werden, sitzen wir ganz übel in der Fall. Beeil dich hierher!“
Unsanft schubst der Zweite Skelette zur Seite, die im Weg stehen. Perplex gehe ich das Muster im Kopf erneut durch; wenn ich es recht bedenke, war aus den Augenwinkeln im Treppenraum auch ein Gitter zu sehen, das den Blick auf einen Gang dahinter freigab. Wobei die kleinen Vorkammern bisher völlig zugemauert waren mit nur einem Ausgang. Könnte das tatsächlich bedeuten, dass...
„Ich hoffe, ihr verlauft euch jetzt nicht – das Buffet ist doch ganz in der Nähe! Leider hat das Geld nicht mehr für ein paar Hinweisschilder erreicht, also beeilt euch, sonst ist Nichts mehr für euch übrig!“
Der Hexendoktor spielt weiter mit uns...aber wenn er Recht hat, dann sind wir unserem Ziel in der Tat nah, denn hier unten sieht es dezidiert anders aus als weiter oben. Wobei ich bezweifle, dass das „Buffet“ uns groß zusagen wird. Seine Stimme kam von...hinter mir, ergo hat er uns von der anderen Seite des Gitters zugerufen, das den Zweiten zum Umkehren zwang. Klar, er hat keine Probleme damit, durch die Stäbe zu flitzen.
Generell hat kein Schinder Probleme damit.
Himmel...sie könnten uns jederzeit in den Rücken fallen! Achtet der Zweite darauf? Sieh dich um, sieh dich öfter um! Aber die einzigen nicht nach vorne gerichteten Blicke fallen auf die Decke, die noch ein Stück niedriger hängt als weiter oben...und auch zur Seite schwenken sie öfter. Offenbar ist der Entführer meines Körpers ein wenig ratlos, was den Weg angeht.
Eine weitere Verzweigung. Links führt uns weiter weg vom Eingang, rechts dürfte, wenn ich die Entfernung richtig eingeschätzt habe – was der Fall ist, dessen bin ich mir sicher – der Gang sein, den ich schon durch das Sackgassengitter sah. Natürlich geht der Zweite nach rechts, was mir überhaupt nicht Recht ist...denn erstens erforschen wir nicht wirklich neues Terrain, zweitens war dort Endugu. Und wenn ich jetzt irgendwo sein will und, wichtiger, den Meister irgendwo sehen will, dann nicht in dessen Nähe.
„Golem, diese ganzen Abzweigungen machen mich komplett irre...wie sollen wir so vernünftig auf Angriffe von hinten achten? Ich...ich bekomme die Skelette nicht mehr genug koordiniert, dass sie komplexere Befehle befolgen. Wenn wir von hinten angegriffen werden, sind wir komplett hilflos.“
„Eine gute Idee, das laut auszusprechen, Meister. Wir müssen einfach weiter machen, wenn er uns nicht grundlos verhöhnt, sind wir bald am Ziel.“
Ein Seufzer, der zum Stöhnen wird, geht vom Meister aus.
„Kennst du dich wenigstens noch aus hier? Ich...kann nicht mehr auf den Weg achten. Bin froh, dass die Wände so erdrückend sind, sonst könnte ich nicht mehr geradeaus laufen.“
Der Zweite erstarrt. Ha. Wie ich vermutet hatte; er kennt sich nicht aus...
„Der Weg ist schon sehr verwirrend hier...“
Wir haben uns zum Meister umgedreht. Er runzelt die Stirn, etwas abwesend scheinend.
„In der Wurmgruft hast du dich doch auch nicht verlaufen...was ist hier anders?“
Meine Schultern zucken.
„Die war weniger verwinkelt, und das Licht hier unten verwirrt nicht. Ich gebe mein Bestes.“
Ein schwaches Nicken vom Meister, das ich schon gar nicht mehr mitbekomme. So schnell, dass der Meister uns kurz darauf zum langsamer Gehen mahnen muss, läuft der Zweite weiter ins Ungewisse.
Du hast hoffentlich aufgepasst, als ich dir das Kartenbilden gezeigt habe.
Für einen Moment bin ich erschrocken, als ich seine Stimme erneut in meinem Geist höre; aber ich fange mich schnell, da ich eigentlich nur auf diesen Moment gewartet habe.
Aha, in der Stunde der Not erkennst du doch, dass du alleine nicht weiter kommst. Wirst du mir von jetzt an generell zuhören?
Werd nicht überheblich da drinnen, dafür ist deine Position deutlich zu schlecht. Beantworte meine Frage, oder es geht dir schlecht.
Was könntest du mir tun? Ich antworte dir genau dann, wenn du bereit bist, wenigstens ein paar Worte mit mir zu wechseln.
Ich habe Besseres zu tun, als mir dein Geseier anzuhören. Das Stellen von Bedingungen ist nicht etwas, das du im Moment tun solltest. Du hörst von mir, hoffentlich hilft dir das hier, zur Vernunft zu kommen.
Was...
Plötzlich zerfließt das Bild vor meinen Augen, und ein anderes entsteht. Der Schinderdungeon wird nahtlos ersetzt durch eine komplett andere Umgebung.
Ich bewege mich durch ein Dorf, auf einer gepflasterten Straße voranschreitend. Links und rechts von mir sind kleinere Häuser, nicht besonders schön, aber sauber gebaut und oft frisch gestrichen. Den Menschen, die hier wohnen, scheint es gut zu gehen. Manche von ihnen, mit einfacher, aber gleichfalls sauberer Kleidung, sind kurz sichtbar; sobald sie mich aber erblicken, verschwinden sie, oft erbleichend, in Seitengassen und Türen.
Wieder bin ich nur Beobachter, kann meine Bewegungen nicht beeinflussen. Was...was ist das? Wo bin ich? Das Wetter ist schlecht, ich spüre...auf sehr seltsame Art und Weise...einen schneidenden Wind, viele Pfützen zeugen von häufigem Regen. Der Horizont wird von einer Mauer abgeschottet – offenbar ist das hier nicht nur ein Dorf, sondern eine größere Stadt...ich möchte den Kopf wenden, mich umblicken, aber es geht nicht. Wer auch immer diesen Körper führt, ist auf ein Ziel fixiert und weicht davon keinen Meter ab. Mitten auf der Straße schreite ich voran...als eine große Pfütze im Weg ist, gehe ich einfach hindurch.
Dampf steigt um mich herum auf, und ich spüre, wie ein freudloses Lächeln auf...meinem Gesicht...erscheint? Wie? Ich kann doch nicht...was geschieht hier...
Da bemerke ich, dass sich in dem klaren Wasser, die Straße ist völlig schlammlos – ungewohnt – mein Körper spiegelt, wie ich gerade so sehen kann. Eine eiserne Faust packt mein imaginäres Herz.
Mein Kopf ist ein schwarzer Metallschädel, umgeben von gemächlich züngelnden Flammen, deren Färbung so strukturiert ist, dass sich weißglühende Augenbrauen und Lippen formen. So kann ich lächeln. Über den Knochen meiner Brust zieht sich schwarzer Ton, der – nutzloserweise – gewaltige Muskeln und breite Schultern formt. Meine Finger sind Klauen, um deren Spitzen sich ebenfalls kleine Feuerzungen winden, im Rhythmus des Windes flackernd.
Ich kenne diese Form, diesen Körper.
Die geistige Gestalt des Zweiten. Mein dunkles Spiegelbild. Das heißt...Himmel...ich sehe, was er einst erlebt hat. Er muss mir diese Erinnerung aufgezwungen haben...wozu wird sie führen? Eine schlimme Vorahnung erfüllt mich.
Vor einem bestimmten Haus hält der Zweite an, sich präzise auf der Hacke zu dessen Fassade umdrehend. Kurz wandert sein Blick nach oben, sicherstellend, dass er richtig ist; dieses Gebäude ist ein Stockwerk höher als die anderen und ein Stück schöner, mit Ornamenten über der Tür...ein wohlhabender Bürger wohnt hier.
Wir treten vor die Tür. Nein, geh da nicht rein...ich will nicht sehen, was darin passieren wird, da bin ich mir ganz sicher...aber wie in der wirklichen Welt kann ich nicht beeinflussen, was mein Körper tut, am allerwenigsten was dieser hier tut. Ich bin absolut machtlos, ein reiner Beobachter, und mit jeder Handlung des Zweiten steigt mein Terror mehr an.
Flammende Stachelknöchel klopfen laut an das Holz. Mein hervorragendes Hörvermögen trägt angsterfülltes Flüstern an mein Ohr; wir werden beobachtet. Wieder spüre ich das paradox kalte Grinsen in dem flammenden Gesicht; beobachtet zu werden ist Sinn und Zweck der Sache...
Die Tür geht auf, geschwärzt und gesplittert, wo Feuer und Dornen das Holz verunstalteten. Ein älterer Mann in simpler Robe öffnet; sein Blick erwartet einen etwas größeren Besucher, aber als seine Augen nach unten wandern, weicht sofort sämtliches Blut aus seinem Gesicht.
„Ich habe eine Nachricht vom Herrn des Hauses zu überbringen.“
Die bekannte Stimme, laut von meinem Körper ausgehend, jagt mir kalte Schauer über den Rücken; mit ungeahnter Kraft schlägt der weißhaarige Alte die Tür vor uns zu, sodass Putz von der Wand bröckelt.
„Ts, ts...Manieren haben die Leute hier...“
Ein Rasiermesserhand wandert in mein Blickfeld und legt sich geradezu sanft auf die Metallplatte, aus der der Türknauf ragt. Plötzlich lodern um die Finger Feuer auf, graben sich in Sekundenschnelle in das Holz und lösen den Schließmechanismus mühelos aus seiner Befestigung. Mit einem Reißen aus dem Handgelenk schleudert der Zweite ihn zu Boden und drischt mit der anderen Hand gegen die Tür; sie kracht gegen die Wand und aus ihren Angeln. Vor uns rennt der alte Mann, noch nicht weit gekommen, weil stolpernd, aus voller Kehle brüllend.
„Der Golem...Herrin, er ist gekommen! Lauft! Lauft um euer Leb...“
Ein Tentakel um den Hals schneidet ihm das Wort ab. Ich spüre, wie seine Kehle unter zu großem Druck zerquetscht wird...der Zweite hat nur den Arm ausgestreckt, ein dünner Strom Tons ist nach vorn geschossen und hat in blendender Geschwindigkeit den Flüchtenden erreicht. Er wird von den Füßen gerissen, als der Zweite den Arm wie eine Angel nach hinten wirft, und hängt plötzlich mit dem Rücken zu uns direkt vor meinem Gesicht.
„Ich muss schon sagen, wie man hier empfangen wird...deine Herrin sollte dich herauswerfen. Gut, dass ich ihr die Arbeit abnehmen kann, nicht?“
Nein...
Mein rechter Arm schnellt vor, die Finger zur Klaue gekrümmt, und zerfetzt seinen Rücken, als wäre er aus Papier. Der Zweite fährt herum, zieht dabei den Tontentakel so schnell zurück, dass das Genick seines Opfers sauber bricht, und wirft die Leiche weit bis auf die Straße hinaus, wobei sie einen langen Blutstrom bis zur Türschwelle hinterlässt.
Ein kurzes Aufflammen von Feuer um die besudelte Hand brennt sie sauber. Absoluter Horror erfüllt mich. So...grausam...und Himmel, das war nur der Anfang...ich will hier raus! Ich will diese Erinnerungen nicht sehen, nein, bitte nicht...wie konnte er das nur tun...
Gnadenlos bleibt das Bild erhalten, so gnadenlos, wie der Zweite voranschreitet. Kurz bleibt er nur stehen, lauscht, wieder das eiskalte Grinsen, dann steigt er knarzende Treppenstufen nach oben. Unnötig lange lässt er sich dafür Zeit, wohl wissen, dass dies hier der einzige Weg nach unten ist...und wer auch immer oben auf uns wartet, genau hört, wie er näher kommt. Unaufhaltsam.
Die Tür zum Schlafzimmer ist geschlossen, dahinter steht ein schwerer Gegenstand, der uns Eintritt verwehrt. Hoffentlich konnten die Leute dahinter mittlerweile durch das Fenster fliehen! ...eine nutzlose Hoffnung, wie ich ganz genau weiß...der Zweite würde mir diese Erinnerung nicht zeigen, wenn er sich darin blamiert hätte...
Eine bläuliche, spitze, völlig bewegungslose Flamme erscheint über seinem rechten Zeigefinger. Er richtet ihn auf die Befestigung der oberen Türangel; das dünne Holz der Tür zerfällt nahezu sofort zu Asche. Langsam lässt er ihn um die Metallbefestigung wandern, genüsslich den Widerstand wegbrennend, sich seiner Sache absolut sicher; seine Opfer werden ihm nicht entkommen, und er lässt ihnen Zeit, viel Zeit, bis er ihr Ende herbeiführt.
Endlich ist die erste Angel durchtrennt. Die zweite beginnt, gelöst zu werden...die Flamme frisst sich vor. Durch das Zischen hindurch höre ich trotzdem, was im Raum dahinter vor sich geht...
Ein Kind schluchzt.
Nein! NEIN NEIN NEIN!
Die Tür fällt. Verkehrt herum öffnet der Zweite sie langsam; dahinter steht eine Kleidertruhe.
„Klopf, Klopf...ich hoffe, ich überrasche Euch nicht in einer unangenehmen Situation, meine Dame...“
Zitternd sitzt eine junge, hübsche Frau auf einem Ehebett, zwei Kinder, ein Mädchen und ein älterer Junge eng umklammernd. Ihr Gesicht ist von Tränen überströmt.
„Bitte...bitte, nimm mich, aber tu meinen Kindern Nichts an...“
Der Raum hat nur ein Fenster; es ist sogar für die Kinder zu klein. Was der Zweite offenbar wusste. Oh Himmel, bitte...
Kopfschüttelnd steige ich über das Hindernis. Mein Zeigefinger hebt sich mahnend; die Stichflamme brennt immer noch daran.
„Also wirklich, dass immer das Schlimmste angenommen wird. Wisst Ihr, mein Meister hasst diese Vorurteile. Ständig heißt es, die bösen Nekromanten, die Brunnenvergifter, die Schwarzkünstler...was haben sie denn getan, um diesen Ruf zu verdienen?“
Sie schluchzt laut auf.
Der Zweite wandert langsam näher.
„Wirklich, ich verstehe das nicht. Der Meister will offensichtlich nur das Beste für Alle, würde er sich sonst derart aufopfern, um dafür zu sorgen, dass Recht und Ordnung eingehalten werden?“
Wir gehen an der Frau vorbei, die seit fast einer Minute keinen Atemzug mehr getan hat; die Kinder weinen hemmungslos. Der Zweite stellt sich an das Fenster und verschränkt die Arme hinter dem Rücken. Draußen liegt die Leiche des Dieners; das Lächeln ist diesmal überhaupt nicht kalt...
„Wisst Ihr, mir geht es doch nicht anders als Euch. Wir sind alle nur Diener eines höheren Herren, und sogar des gleichen. Der Unterschied ist nur: Ich bin mir dessen absolut bewusst und würde niemals – kann nicht – seine Autorität in Frage stellen. Und ich habe auch keinerlei Anreiz dazu; er hat mich ganz allein zu dem gemacht, der ich bin. Ich könnte ein willenloser Diener sein, aber er hat mir das Geschenk der Intelligenz gegeben...und ihre Bürde. Euch dagegen gibt er das Geschenk der Freiheit – in gewissen Grenzen – und was tut ihr damit?
Ich höre eindeutig, wie sich die Familie vom Bett erhoben hat; die Kinder schluchzen besonders laut, die Frau hofft offenbar, dass ihre Schritte so übertönt werden. Himmel, lass nur mich das hören, der Zweite ist zu beschäftigt mit seinem Monolog...
Ohne hinzusehen, hebt er den Arm nach hinten; ein gewaltiger Feuerstoß geht daraus hervor, wie ich geradezu instinktiv spüre, und setzt wohl den gesamten Türrahmen in Flammen. Vielstimmiges Kreischen ertönt.
„Dageblieben, wenn ich rede. Setzt Euch hin.“
Das Knistern des beginnenden Brandes untermalt von nun an Alles, dazu die erstickten Weinlaute vom Bett her.
„Also, wo war ich vor dieser rüden Unterbrechung? Genau, die Freiheit. Nichts weiter als Treue verlangt der Meister für die ganzen Vorzüge, die er euch bietet – eine einfach zu erfüllende Forderung – und dennoch, aus völlig unerfindlichen Gründen, hat Euer Mann beschlossen, zusammen mit ein paar Anderen ein Attentat zu planen. Den Meister. Ermorden. Könnt Ihr Euch so etwas vorstellen? Ich kann es nicht. Der Meister auch nicht. Was treibt einen Menschen dazu, etwas derart Wahnsinniges zu tun?“
Wir drehen uns zum Bett um. Dicker Rauch hängt in der Luft, das Feuer hat sich auf die Wände ausgebreitet. Die Frau hält den Kindern Laken vor die Gesichter; sie selbst hustet ständig, ihre Augen sind noch geröteter als zuvor.
„Leider hat sich Euer Mann dazu entschieden, keine genaueren Hintergründe preis zu geben. Jammerschade. Offenbar ist ihm das Bewahren gewissen Geheimnisse wichtiger als das Wohlergehen seiner Familie. Noch ist natürlich Nichts völlig entschieden – dafür ist der Meister zu gütig – aber ein gewisses Exempel sollte dennoch statuiert werden, findet Ihr nicht?“
Die Frau lässt sich zu Boden fallen, auf die Knie, Hände ringend.
„Bitte...bitte, ich weiß, mein Mann hat falsch gehandelt, ich habe versucht, ihn davon abzuhalten, aber er wollte nicht hören...ich...ich bin auch schuld! Ja, ich nehme seine Schuld auch auf mich! Bestrafe mich dafür...aber bitte, bitte, die Kinder haben Nichts damit zu tun, sie wussten Nichts, verschone sie...“
Sie kriecht auf den Zweiten zu; er hebt eine Augenbraue. Ohne Rücksicht darauf, dass sein Bein brennt, umklammert sie es. Ihre Hände verschmoren.
„Bitte...bitte...nicht meine Kinder...“
Das Feuer um mein Bein geht aus. Meine Hand senkt sich nach unten. Packt den Kopf der Frau; die Klingenfinger schneiden in ihre Haut, sie schreit auf, als der Zweite sie nach oben zieht, in eine kauernde Stellung unter seinem Gesicht. Sie wäre gleich groß wie er, aber er blickt absichtlich auf sie herab.
„Beeindruckend...dumm. Denkt Ihr, Ihr würdet ein besseres Signal an Eueren Mann schicken, dass mein Meister es ernst meint, als Euere Tochter...oder Euer Sohn? Nein. denke ich zumindest nicht.“
Sie bringt keinen Ton heraus, ihr Gesicht verzerrt in eine Grimasse der Angst, Verzweiflung und...wilden Hoffnung?
„Aber eine durchaus bemerkenswerte Hingabe. Dafür bin ich zu einem Zugeständnis bereit. Ihr dürft entscheiden, welches Euerer Kinder eine Nachricht an den Meister senden darf.“
„Nein!“
Ihr Schrei ist nicht von dieser Welt. Ich wünschte, ich wäre es auch nicht. Das ist so unglaublich schrecklich...das kann er nicht ernst meinen...oh Himmel, das kann er nicht...
Langsam geht der Zweite auf das Bett zu, auf dem die beiden Kinder husten. Die Decke des Raumes brennt längst...ruhig setze ich mich zwischen die Geschwister.
„Na? Ich würde mich beeilen – so eine Rauchvergiftung kann schnell fatal werden...“
Sie kniet am Boden, ihr Gesicht eine Maske puren Terrors. In ihrem rußigen Gesicht hinterlassen Tränen unregelmäßige Spuren. Ihre Hände sind hilflos verkrümmt an ihrer Seite; leer wandert ihr Blick zwischen ihrer Kinder hin und her.
„...und wir wollen doch nicht, dass ein deutlicheres Signal gesendet wird, als unbedingt sein muss, oder?“
Ein unartikulierter Schrei verlässt den Mund der Mutter. Mit absolut überraschender Geschwindigkeit springt sie auf und rennt auf mich zu; auch der Zweite stutzt kurz. Ihre verbrannten Hände sind ähnliche Klauen wie seine; Mord steht in ihren Augen. Sie erreicht uns...
„Du Monster...!“
Mein Arm fängt ihren auf, als sie zuschlagen will. Ihre zweite Hand krallt sich in die linke Augenhöhle meines Schädels, den Blick „aus“ ihr behindernd. Sie brüllt auf, als ihr Fleisch weiter röstet.
„Also wirklich.“
Die freie Hand des Zweiten wischt unter ihrem Kinn hindurch; ich sehe nur noch das Ende der Bewegung.
Heißes Blut spritzt auf noch heißeres Feuer, kein Tropfen dringt zum Ton darunter durch, als der Lebenssaft ihre Kehle verlässt.
„Jetzt muss ich mich doch selbst entscheiden...“
Die Kinder schreien auf, als ihre Mutter vor ihren Augen stirbt. Oh Himmel...wie konnte er nur...es wird immer schlimmer, ich will das nicht mehr sehen, ich will...aber es ist bereits geschehen, ich kann Nichts dagegen tun, diese Gräueltat hat sich genau so abgespielt und jede einzelne Sekunde davon wird mir gezeigt werden, bis der Zweite beschließt, dass ich genug gesehen habe.
„Hm...“
Ein Blutstropfen landet auf dem Kopf des Jungen, als der Zweite seine Klaue über seinen Kopf hält; er hat sie bewusst nicht durch Feuer gereinigt. Gleich darauf fällt ein zweiter auf die Stirn des Mädchens.
Der Rauch wird immer dichter. Die Hand der Zweiten wandert immer schneller hin und her; die Kinder sind stocksteif, der Schock hat sie fest im Griff, nicht einmal Tränen rinnen aus ihren Augen, sie können nur ihrem Tod folgen, der über ihnen schwebt.
Da senkt der Zweite langsam sein Fingerskalpell zu dem Mädchen herab...ich will das nicht sehen ich will nicht ich will nicht...
Der Finger hält inne.
„Ach, was solls. Vielleicht sendet sie ja doch ein ausreichendes Signal. Bleibt brav, ihr zwei – sonst kommt der schwarze Mann und holt euch auch...“
Als würde ich nach langer Zeit wieder atmen können, löst sich ein enges Band um meine Brust, das sie seit gefühlten Ewigkeiten zerquetscht hatte. Er hat es nicht getan...
„...erinnert euch immer daran, wenn ihr in den Spiegel seht.“
Er legt den regungslosen Kindern, die nur ganz leicht zurückzucken bei seiner Berührung, nacheinander trügerisch sanft die Hand an die Wange – und entzündet sie für einen kurzen, sehr heißen Augenblick. Entsetzen packt mich...diese Verbrennungen...sie werden ihr Leben lang Narben tragen...
Während der ganzen Zeit war mein Griff um den Arm der Frauenleiche gelegt, jetzt hebt der Zweite sie hoch, trägt sie wenige Zentimeter über dem Boden zum Fenster. Seine freie Hand ballt sich. Das Glas splittert. Der Rahmen landet auf der Straße. Die Öffnung ist deutlich größer als sie es gewesen wäre, wenn es nur aufgemacht worden wäre...
Geradezu sanft schlingt der Zweite zwei Tentakel um Hals und Beine der Mutter, bugsiert sie mit den Füßen voran aus dem Raum und bis hinunter auf die Straße; ganz reicht das Material nicht aus, also lässt er sie letztlich doch fallen. Sein nahezu blankes Skelett passt problemlos durch die Öffnung, er springt zu Boden, mit einem lauten Geräusch von Metall auf Stein landend. Ich spüre, dass eher der Stein nachgeben würde als das Material seiner Fußknochen. Der Ton sammelt sich wieder. Nachdem der Zweite die Leiche in seine Arme genommen hat, als wäre sie eine Braut, die er über die Schwelle tragen müsste, wendet er unseren Blick nach oben, zum Fenster. Es ist recht hoch...Himmel, werden die Kinder den Sprung herunter überleben?
Kümmert es den Zweiten? Er zögert. Dicke, schwarze Rauchwolken schlagen aus dem Eingang. Tiefste Trauer und unbändige Wut erfüllen mich; warum wendet er sich nicht ab? Warum beendet er nicht endlich diese grauenhafte Folter für meinen Geist?
Da windet sich ein Tontentakel von seinem Bein los. Er packt die Leiche des Dieners, die immer noch unberührt mitten auf der Straße liegt, am Knöchel, und schleift sie über den Boden...warum, warum das?
Als der Zweite sich wieder abwendet von dem brennenden Haus hinter ihm und mit seiner grausigen Trophäe in den Händen die Straße, die wir gekommen sind, wieder zurückgeht, verschwimmt das Bild vor meinen Augen...und wird wieder zum Interieur des Schinderdungeons.
Wir sind allenfalls drei Schritte gegangen, seit die Vision seiner Erinnerung begonnen hat.
Also? Vorerst genug gesehen? Ich habe deutlich gemerkt, dass dir das nicht gefallen hat. Zeig mir, was du über den Grundriss dieses Stockwerks hier unten schon weißt, oder du siehst mehr. Wo das herkam, ist noch viel mehr.
Du Monster! Du verdammter Bastard! Wie konntest du das tun...
Sei still, du Schwächling. Gib mir, was ich will, oder leide weiter.
Mein Geist verkrampft sich geradezu in hilflosem, glühenden Zorn. Dieser...dieser...ich darf ihm nicht helfen, ich muss dem Meister die Augen öffnen, was hier vor sich geht!
Vergiss das sofort wieder. Wenn du dich stur zeigst, kannst du noch ein paar Stunden lustige Szenen aus meiner Vergangenheit genießen – und wir werden ein paar Male im Kreis rennen derweil. Der Meister ist viel zu weggetreten im Moment, um etwas zu merken...und während wir unsere Zeit verschwenden, weil du unkooperativ bist, kann Endugu in aller Ruhe für uns vorbereiten, was er will. Dann ist deine Starrköpfigkeit daran schuld, dass wir alle verrecken.
Wie diese Frau? Wie der alte Mann? Dessen Leiche du auch noch geschändet hat am Schluss...?
Moment...
Warum hat er das getan? Dass der Tote anfangs mitten auf der Straße lag, eine wunderbar gerade Blutspur hinterlassend, war offenbar genau geplant. Warum hat der Zweite sein grauenvolles Kunstwerk zerstört? Mit äußerster Anstrengung verberge ich meine rasenden Gedanken vor ihm, als auf einmal Dinge Sinn ergeben zu beginnen.
Er hat die Leiche unter das Fenster gelegt.
Wenn die Kinder heraussprängen, würden sie genau darauf landen. Grauenhaft, abscheulich – aber...weich.
Er hat sie mehr als nur bewusst verschont. Er hat ihr Leben gerettet...natürlich hat er sie auch selbst in Todesgefahr gebracht, aber er hat so subtil wie möglich dafür gesorgt, dass sie überleben.
Es ist eine Winzigkeit, eine lächerliche Geste im Vergleich zu dem, was er getan hat...aber sie schafft es, eine winzige Bresche in die Wand aus absolutem Hass zu schlagen, die mich im Moment vom Zweiten trennt. Und durch diese Bresche dringt ein Windhauch von Vernunft.
Der Zweite, so Leid mir das tut, und so sehr es schmerzt, hat Recht. Es bringt Nichts, wenn ich mich hier sperre, ich muss mich fügen, sonst fällt Alles auf den Meister zurück. Es ist in seinem Interesse, wenn ich ihnen beiden helfe...
Ich gebe die Karte, die ich mir im Geiste gezeichnet habe, frei.
Geht doch. Jetzt zurück in deine...
Du redest ab sofort mit mir. Im Interesse des Meisters!
Ich überflute ihn, zusammen mit dem Bild der Umgebung, mit Erinnerungsfetzen, die zeigen, wie ich ihm hätte sagen können, wo Endugu war, dass die Geister angriffen und die ganzen anderen kleinen Situationen, in den er meine Hilfe und meinen Rat wirklich hätte brauchen können.
Hm...
Das gleiche „Hm...“, das er benutzt hat, bevor er die Kinder entstellte...und sie verschonte.
Wenn ich auch nur einen Versuch bemerke, die Kontrolle zu übernehmen, dann tauchst du nie wieder aus meinen Erinnerungen auf. Eine Warnung.
Der letzte Gedanke in dieser Angelegenheit ist nicht gedacht...
Hast. Du. Mich. Verstanden.
...ja.
Fein, dann versorg mich mit deinen guten Ratschlägen. Und Nichts mehr.
Ich bin ihm gegenüber still, aber in mir brodelt es. Er wird dafür zahlen, was er getan hat. Das Gefängnis in mir ist noch zu gut für ihn, er sollte auf ewig in den Feuern der Hölle schmoren...oh, meine Zeit wird kommen, wie seine kam, und er wird es bereuen, mir diese Bilder gezeigt zu haben...