Kapitel 90 – Der Herr des Hasses
Nur der Lichtschein um die Magierfäuste erhellt den Raum am Ende der Treppe, bis auf einen vagen Schimmer von rechts, aber der sollte gering genug sein. Mehrere Emotionen streiten sich in mir um Vorherrschaft: Die unangenehmen Erinnerungen von dem, was gerade passiert ist – der nagende Zweifel, wie es wirklich um den Meister bestellt ist; Angst, weil wir kurz davor sind, einem oder, mit einer Mischung aus Glück und Pech, drei Großen Übeln gegenüberzutreten; und, ständig darum kämpfend, mich zu übermannen, ein nagendes Inferno aus Wut auf nichts Bestimmtes, Zorn über die ganze Situation, in der wir uns befinden, kalter Hass auf Mephisto, den Zweiten, der in mir murmelt, und den Meister.
Letzterer Gedanke erschrickt mich kurz, dann stähle ich mich, sperre Mephisto aus meinem Kopf aus und ersetze alle Emotionen durch Entschlossenheit. Meine Schwerter fahren aus. Ich balle meine Fäuste und gönne mir das Aquivalent eines tiefen Durchatmens.
„Kann ich bitte kurz den ganzen Raum sehen?“
Das Licht geht aus.
Wir sind in einer rechteckigen, mittelgroßen Kammer, und ich bekomme kurz einen Schreck, weil es aussieht wie ein Raum ohne Ausgang, bis mir das Loch in der rechten Wand auffällt. Fast zeitgleich aber springt mir das halbe Dutzend Dunkler Fürsten ins Auge, die direkt gegenüber schweben...wartend.
Meine Hand schießt nach hinten, um den Meister daran zu hindern, das Licht wieder anzumachen.
„Zieh dich zurück...wir haben ein Empfangskomitee...ich denke, sie warten nur, bis du wieder sichtbar bist, bevor sie losschießen...“
Und sie sind sich sicher nicht zu schade, einfach ins Blaue zu feuern, wenn sie noch länger warten müssen. Der Meister flüstert zurück.
„Und du?“
„Ich greife an.“
Noch bevor das letzte Wort gesprochen ist, laufe ich los, das laute Geräusch meiner Stahlsohlen auf dem Stein hinnehmend. Die Fürsten brauchen nicht lange, um zu reagieren...ein Lichtkreis erscheint in meinem Pfad, und erste Feuerbälle beginnen zu fliegen. Meine Nachtsicht ist weg, aber ich weiß genau, wo sie standen. Ein schneller Richtungswechsel auf die Seite lässt mich dem fallenden Meteor ausweichen, der mich kurz ausleuchtet, aber ich bin schon weiter. Während der kurzen Momente, in denen ich die Fürsten wieder sehe, als sie feuern, merke ich mir, wohin sie sich bewegen; gleichzeitig stelle ich fest, dass sie blutrot sind. Scharlachfürsten?
Ich glaube, den Zweiten zu hören, wie er „Blutfürsten“ vor sich hinmurmelt. Ansonsten bleibt er unkooperativ, aber dass es ihm lieber wäre, wenn wir beide so bald als möglich stürben, hat er ja gerade klar gemacht.
Und ist da nicht ein Held dabei? Der sollte Hauptziel sein...aber jeder von denen ist gefährlich. Und womöglich hat er ekelhafte Nebeneffekte...egal. Ich bin angekommen, mitten unter den Gegnern, wie geplant. Wenn sie jetzt Meteore auf mich werfen wollen, brennen sie selbst. Gegen Feuer sind sie vielleicht immun, aber nicht gegen Steinschlag, schätze ich. Meine Schwerter finden ein erstes Opfer, das ich mit einem Schwung sofort wieder von der Klinge befreie, dabei fliegt er in einen weiteren Gegner. Ich ducke mich unter einem Feuerball durch, treffe auf den nächsten und teile seinen Hals in zwei Stücke. Seine Leiche segelt in Richtung des Helden, der aber schon längst weg ist; sie explodiert dennoch, was den Zauber eines weiteren unterbricht. Die beiden, die ich aufeinander geworfen habe, haben sich wieder erholt...die Stichwunde scheint dem einen von ihnen Nichts auszumachen. Das könnte jetzt nicht ganz so gut werden...
Die Skelette sind plötzlich unter ihnen und beginnen, ihre Arbeit zu tun. Feuerbälle zerplatzen an deren Rüstungen, und sogar ein direkter Kopftreffer macht einem unserer Krieger überhaupt Nichts aus. Der Meister hat gute Arbeit bei ihrer stetigen Verbesserung geleistet! Aber wo ist der Held? Es ist schon wieder so dunkel hier...
Da taucht er direkt vor dem Meister auf. Er kann teleportieren?
Ich renne auf die beiden zu, wohl wissend, dass die nächsten paar Sekunden schon viel zu lange sein können...da trifft ihn ein Magierbolzen mitten im Gesicht, und der Meister weicht nicht etwa zurück, sondern bohrt das Jade-Tan-Do in die Magengruppe seines Gegners. Er fällt zurück, fasst sich an den Bauch...packt dann seinen Stab und teleportiert sich weg, fauchend. Ich erreiche den Meister.
„Alles in Ordnung?“
„Natürlich – der muss schon früher aufstehen, wenn er meint, sowas könnte mich noch beeindrucken. Und wenn ich mich nicht schwer irre, kommt er auch nicht weit...“
Ein blauer Lichtschein dringt durch die Türöffnung, dann hören wir das charakteristische Zischen einer Frostnova von jenseits des Raumes. Ich nicke.
„Ich liebe es, wenn du Recht behältst.“
„Das war leicht. Ich werde jetzt mal ganz frech annehmen, dass es so nicht bleiben wird.“
„Nur eine Möglichkeit, das herauszufinden...“
Ungefragt trete ich durch das offene Tor in den nächsten Raum.
Und erstarre.
Ein gut und gerne drei Meter hohes, oben spitz zulaufendes Oval aus mit Spitzen besetztem Stein, nicht unähnlich dem Portalbogen, der in die Zuflucht führte, steht eine gewisse Distanz von mir entfernt. Es ist die Quelle des Schimmers, den ich vorher schon bemerkte – jetzt, wo es direkt vor mir ist, ist das Leuchten ganz deutlich. Es stammt aus zwei Quellen...einem flammenden Rand außen am Stein mit langsam züngelnden hellroten Flammen, nicht unähnlich dem Portal, das uns nach Tristram führte...aber die zweite Quelle ist weitaus beunruhigender. Im Inneren des Steinbogens nämlich bewegen sich silbrige Schemen in stetem, unendenden Strom von oben nach unten, von links nach rechts...oder umgekehrt...mein Kopf schmerzt, wenn ich zu sehr darüber nachdenke. Wovon ich mir aber sicher bin, ist, dass sich darin Gesichter formen...die Münder übernatürlich weit aufgerissen in unendlichem Schmerz, die Augen voll Pein...sie entstehen, um sofort wieder in der silbrigen Masse unterzugehen, nur, um sofort durch ein neues ersetzt zu werden. Unzählige neue Gesichter...und ist das wirklich ein Heulen und Stöhnen, ein Schreien aus einer Vielzahl von Kehlen, die sich ständig ändern, das ich höre?
„Wenn das nicht das Portal in die Hölle ist...“
„Genau mein Gedanke...“
Der Meister und ich sehen uns an. Er schließt kurz die Augen.
„Damit ist gesichert, dass uns Diablo und Baal entwischt sind...“
Er ballt die Fäuste und beißt die Zähne zusammen.
„Aber den, der dafür verantwortlich ist, kriegen wir noch!“
Damit deutet er auf den Boden seitlich vor uns. Ich trete einen Schritt näher...und halte wieder inne.
Ein See aus Blut umgibt das Portal, mit einem Stein...dock, das direkt vor uns darauf zuführt. Es scheint an einen unbestimmten Ort zu fließen...sicher schon länger vergossen, doch keine Zeichen von Gerinnung zeigend.
Die Wände sind hier, im Gegensatz zu den oberen Stockwerken, absolut makelloser Obsidian. Kein Tropfen wurde unnötig an sie verspritzt...ich fühle, wie neben den anderen in mir tobenden Gefühlen noch Ekel aufsteigt, den ich aber sofort in Richtung des Hasses verschiebe und gemeinsam mit diesem verschließe. Es wird aber schwerer.
„Komisch...ich hatte irgendwie erwartet, dass Mephisto jetzt hier stehen würde und lachen, weil wir zu spät sind.“
„Das war schon Duriels Aufgabe, ich denke...“
„Vielleicht nehmt Ihr ja mit uns Vorlieb, General.“
Plötzlich flackern im ganzen Raum an den Wänden Fackeln auf. Ein gleichmäßiges Licht beginnt, die makabere Szenerie vor uns zu erhellen. Das Portal hingegen scheint immer noch mit gleicher Intensität zu leuchten...da schiebt sich eine dunkle Gestalt davor. Eine bekannte Silhouette...ein mutiertes Mitglied des Hohen Rates der Zakarum!
Als das Licht volle Stärke erreicht, sieht man das ölige Grinsen des Sprechers. Ihn flankieren jeweils zwei weitere Ratsmitglieder auf beiden Seiten, die starr geradeaus starren, kniend.
Der Meister schiebt sich neben mich.
„So, der Hausherr gibt uns nicht einmal selbst die Ehre, sondern schickt seine wertlosen Sklaven? Ich bin beleidigt. Mit wem haben wir denn hier das zweifelhafte Vergnügen?“
Unser Gegenüber deutet eine spöttische Verbeugung an.
„Bremm Funkenfaust, sehr zu Undiensten.“
Der Meister gähnt, einmal nach links und rechts schauend. Das ist doch nicht nur Geschauspiele...er bezweckt etwas damit. Viel wichtiger aber, was stört mich an Bremms Vorstellung?
„Ich kann schon gleich sagen, die Dekoration beeindruckt mich nicht. Einer der schlechtesten Empfänge, die ich je hatte – ich denke, ich werde mich bei deinem Chef beschweren. Willst du mich nicht gleich ihm persönlich vorstellen?“
„Sehr unhöflich, hier so hereinzuplatzen...“
„Oh, ich kann noch schlimmer. Macht sie fertig!“
Die Skelette rennen an uns vorbei. Sofort springen die vier Diener auf und zaubern Hydren. Gerade will ich auch losrennen, da berührt mich der Meister an der Schulter.
„Unser Notfallplan liegt da links...der tote Fürstenheld. Merk dir das.“
Das hat er also gerade geprüft mit seinem Umsehen. Und mir ist eingefallen, was mich störte.
„Geleb hab noch zwei Namen erwähnt...Maffer und Wyand. Ich bezweifle, dass sie unter diesen Kriechern sind.“
Er überlegt eine halbe Sekunde.
„Gut. Dann bleib bei mir – sehen wir uns an, was die Skelette mit diesen Komikern anstellen.“
Ich halte alle meine Sinne gespannt, während die Schlacht vor uns tobt. Die Hydrenblitze sind völlig ineffektiv gegen die Skelette...sie erzeugen nur ein heilloses Chaos, und ich frage mich, wie die Ratsmitglieder es schaffen, sich nicht gegenseitig zu treffen. Immer wieder fliegt einer in unsere Richtung, aber der Meister ist schnell auf den Füßen und blockt im Zweifelsfall mit dem Schild. Ich packe einen der Magier am Rückgrat und nehme ihn für die gleiche Aufgabe. Ihr Sperrfeuer ist absolut nicht von dem zu unterscheiden, das die Hydren legen, weswegen gelegentliche Treffer die Ratsleute teilweise schwer überraschen. Ich verliere den Überblick über das Flammenmeer vor uns, die hin- und herzuckenden Angriffe...da dringen zuckende Kugelblitze aus dem Schlachtfeld, in zufälligen Flugbahnen schnell näher kommend, und schnell stelle ich mich vor den Meister, die Entladungen, die ihn sonst erreichen würden, bereitwillig auffangend. Es schmerzt extrem, aber hinterlässt keine bleibenden Schäden außer eingeschmolzenen Stellen, und auf meiner Brust sind mir die egal...ich habe auch schon schlimmeres durchgestanden.
Da plötzlich blüht eine grün leuchtende Aura um die Füße des einzigen Skeletts, das ich sehen kann, auf...was hat das zu...
Es zerplatzt, als eines der speziellen Blitzgeschosse, die ich bisher nur vom Rat gesehen habe, seinen Schädel trifft. Die Rüstung fällt leer zu Boden, nur ein Häuflein Staub bleibt übrig.
Und als mich ein weiterer Blitz trifft, werde ich einen vollen Schritt zurückgeworfen, fange mich gerade noch...und stelle fest, dass er ein tiefes Loch in meine Brust gerissen hat.
„Die Aura...sie senkt unseren Widerstand gegen Elementarattacken!“
„Ich merks mir! Bleib aus der Schusslinie, ich schaffe es schon, auszuweichen!“
Da ersterben die Hydrenflammen. Und...Bremm sowie drei seiner Diener stehen noch auf dem Steg, der zum Portal führt. Wie ich mit halbem Auge bemerke, stimmt meine letzte Feststellung gar nicht, denn eine etwa zwei Meter große Lücke, in der der Blutsee träge fließt, trennt das Portal vom Ende des Docks. Aber das ist das geringste unserer Probleme...
Bremm lacht.
„Ich fürchte, Ihr habt Euch etwas übernommen hier, General!“
Bei genauerer Betrachtung blutet er aus mehreren Wunden. Die Skelette müssen ihn ja auch getroffen haben, wo sollten sonst die Blitze hergekommen sein? Sie waren offensichtlich Mephistos „Geschenk“ an ihn, wie uns auch sein Titel verrät. Und einer der Diener hält sich nur noch halb aufrecht...einem fehlt ein Arm...
Der Meister grinst freudlos.
„Du denkst, der Verlust meiner Diener macht mir etwas aus?“
Plötzlich erblüht Verstärkter Schaden über den Ratsmitgliedern...und der eine Tote explodiert. Zwei seiner Kollegen erhalten eine volle Ladung Leichenschrappnel. Sie fallen zu Boden und stehen nicht mehr auf. Der dritte wird von den Füßen gefegt und landet im Blutsee...auch ihn sehe ich nicht mehr auftauchen.
„Wie steht es denn mit dem Verlust der deinen?“
Bremm, der weit genug hinten stand, um nur ein paar weitere Schnitte im Gesicht zu erhalten, aus denen Funken zucken, schneidet eine Grimasse...dann lacht er.
„Ihr enttäuscht mich doch nicht...vier potentielle Konkurrenten weniger! Ihr habt schon die drei anderen in Travincal ausgeschaltet...wirklich, Ihr seid hervorragend. Das wird den Sieg nur noch süßer machen.“
Und damit rennt er los. Der Meister dreht sich sofort um und rennt nach hinten.
„Von wegen, da kommt ihr nicht durch!“
Ich sehe mich schnell um – eine Wand aus Hydren ist im Tor zum Vorraum entstanden, was bedeutet, dass der Meister sicher nicht die dort liegenden Leichen verwerten werden kann. Bremm kommt direkt auf mich zu...ich stelle mich hin, bereit...da hebt er im Laufen den Arm, und ein Blitzgeschoss entsteht, dem ich einfach nicht ausweichen kann. Ich versuche es trotzdem, so trifft es nur meine Schulter, aber mein Arm wird glatt abgesprengt, ich lande in einem nutzlosen Haufen auf der Seite. Mühsam drehe ich mich so, dass ich sehen kann, was hinter mir passiert...nein!
Aber was mache ich mir Gedanken...der Meister lockt ihn ja zur Leiche des Fürstenhelden. Gleich erreicht Bremm sie...
Er bleibt plötzlich stehen. Damit hat der Meister nicht gerechnet, es ist zu spät für ihn, den Zauber zurückzunehmen...die Leiche explodiert, aber zu weit weg vom Ratsmitglied, der davon völlig unbeeindruckt ist. Ich kann sein Grinsen geradezu spüren, obwohl ich ihm nur hilflos auf den Hinterkopf starren kann.
„Tja, Totenbeschwörer...jetzt seid Ihr langsam aber doch ohne Optionen...“
Der Meister hebt Schild und Dolch.
„Komm mich doch holen, wenn du dich traust.“
„Wozu?“
Zwei Hydren erscheinen links und rechts neben dem Meister, jeder der sechs Schlangenköpfe aus reinem Feuer bleibt auf ihn gerichtet.
„Ihr seid lebend weitaus mehr wert als wenn ich Euch mühelos von dieser Welt entferne. Keine Bewegung, sonst werdet Ihr gegrillt – ich gehe davon aus, dass Euch der Effekt nicht entgangen ist, den meine hübsche Überzeugungsaura auf Euch ausübt? Die nette Rüstung, die Ihr tragt, wird Euch da nicht helfen.“
„Soll ich mich ergeben, oder was? Ich bezweifle, dass das ein guter Plan ist, wenn ich bedenke, was ihr Dämonen mit Gefangenen macht.“
Bremm streckt eine Hand aus.
„Nun...das ist letztlich Euere Wahl. Sicher wird Euer Weg von hier an nicht wirklich leicht, aber Ihr könnt ihn Euch unmöglich machen...oder eine Chance ergreifen, die Euch mein Meister bieten wird.“
Könnte ich es, würde ich scharf die Luft einsaugen. Mephisto will ihn auf die Seite des Bösen ziehen...ich habe mich nicht geirrt! Ich hatte absolut Recht damit, Marius zu retten...jetzt muss ich nur noch den Meister retten. So leise als möglich versuche ich mich, einarmig auf die Beine zu ziehen.
Der Meister lacht, leicht übertrieben laut, als er sieht, was ich vorhabe.
„Eine Chance von einem Großen Übel persönlich? Da nehme ich lieber einen schnellen Tod in Kauf! Vielleicht schaffe ich es sogar noch, dich mitzunehmen...wie fändest du das? Wenn du deine gerechte Strafe für deine Taten in der Hölle erhältst, nützt es dir gar Nichts, dass deine Konkurrenten um den Posten des Meisterspeichelleckers auch von mir auf die andere Seite befördert wurden...“
„Ihr seid nicht dumm genug, um so etwas zu versuchen...aber wer weiß, bei unerleuchteten Menschen, wie ich es einst war, gehen manchmal seltsame Dinge im Kopf vor...“
Eine der Hydren schießt dem Meister ins Bein. Er schreit auf und fällt zu Boden. Ich habe mit vorsichtigen Schritten Bremm fast erreicht...
„Also...diese Option ist schon mal gestorben für Euch. Und wenn Euer Golem noch einen Zentimeter weiter auf mich zugeht, sterben auch alle anderen.“
Verdammt! Wie hat er...
„Lass es, Golem...du schaffst es nicht rechtzeitig zu ihm...“
„Das will ich meinen! Heißt das, Ihr möchtet vernünftig werden?“
„Ich überlege noch...“
„Ha! Ich kenne Eueren Typ. Selbst, wenn Ihr Euch sträubt gegen die Idee, auf unsere Seite zu wechseln...die pure Möglichkeit, noch irgendwie aus dieser Situation zu entkommen, existiert, und das wisst Ihr. Ergo werdet Ihr sicher nicht Euer Leben wegwerfen, sondern irgendwie versuchen, diese Möglichkeit zu finden. Gesteht Euch das ein, und wir können sofort zu meinem Meister gehen...wie zivilisierte Menschen.“
Der Meister grinst, und da bemerke ich eine Bewegung neben mir...ist das ein...?
„Menschen? Wie ich...und du? Ha! Wenn ich dich so ansehe, sind das ja rosige Aussichten für meine Zukunft...wobei, das mit der Möglichkeit, die du da erwähnst, klingt schon verlockend.“
Ich grinse innerlich, da ich weiß, was jetzt kommt, uns es wird mich mit tiefer Befriedigung erfüllen, was mir so gar kein schlechtes Gewissen verursacht.
Bremm legt die Fingerspitzen aneinander.
„Dann erlaube ich Euch hiermit, einen Heiltrank einzunehmen, und wir werden brav zu einem kleinen Gespräch gehen.“
Der Meister entkorkt mit größter Ruhe einen Trank.
„Das meinte ich gar nicht...ich dachte eher daran, die Möglichkeit, aus dieser Situation zu entkommen, sofort zu ergreifen.“
Er stürzt den Trank hinunter, während Bremm eine halbe Sekunde zu lange braucht, um darauf zu kommen, was der Meister damit meint.
Dann schnellt der Schwertarm eines Skeletts vor und schneidet seine Kehle durch. Der Meister, wieder völlig gesund, rollt sich schnell nach vorne, von den blind losfeuernden Hydren weg, und presst seinen Bauch gegen den Boden, als Blitze aus Bremm dringen. Das Attentäterskelett zerspringt, aber es hat seine Pflicht getan, denn die Aura geht fast sofort aus, als die Seele des korrumpierten Hohen Rates in die Hölle fährt.
„Hat was für sich, Skelette erschaffen zu können, ohne hinsehen zu müssen, hm? Selbst, wenn du das bemerkt hättest, denkst du, du hättest ruhig mit mir zu Mephisto wandern können?“
Fünf weitere Skelette treten um die Ecke; er hat alle Leichen der Blutfürsten, die er durch die Wand spüren konnte, zu Knochendienern gemacht, außerdem das weitere tote Ratsmitglied.
Die Armee ist ihm aber völlig egal, als er zu mir geht, eine Rüstung von einem weiteren Diener heranbringen lassend.
„Alles klar bei dir?“
„Was für eine Frage! Ist doch egal – du hast mir Sorgen gemacht.“
Er lacht.
„Ach geh...die Situation war doch die ganze Zeit unter Kontrolle.“
Als er meinen Arm wieder neu formt, hebe ich meine Augenbrauen auf volle Höhe.
„...na schön, etwas improvisieren musste ich schon...“
„Etwas.“
„Genau.“
Ich teste meine neuen Finger – so gut wie die alten. Erwartungsgemäß.
„Also...links oder rechts nun?“
Denn wie ich sehe, ist der Raum komplett symmetrisch; dieser Teil ist E-förmig, mit einem verlängerten mittleren Steg, dem Dock im Blutsee; die anderen beiden Arme führen zu Durchgängen, etwa halb so breit wie der große, der hier hinein führte.
Der Meister braucht kurz, um sich den Grundriss ebenfalls klar zu machen.
„Wir sind näher an der linken Tür, also nehmen wir sie einfach.“
„Passt.“
Mit einem bösen Grinsen auf dem Gesicht, das mir einen Stich der Sorge versetzt, erschafft der Meister aus Bremms Leiche ein Skelett. Die anderen haben derweil die Rüstungen ihrer toten Vorgänger angezogen. Wir gehen zur anderen Seite des Raumes. Wieder bin ich der erste, der sich durch das Tor wagt.
Dahinter ist es sehr dunkel – für mich, denn nur eine einzige Fackel erleuchtet den Raum. Er ist etwa so groß wie der Vorraum und hat eine fehlende Wand, stattdessen sind links Säulen, die die Decke tragen. Ich stutze kurz, dann hebe ich die Hand. Der Hauptraum ist nicht hell genug, um diesen hier zu erleuchten...wenn die Fackel ausginge...
„Warte bitte kurz.“
Ich gehe direkt auf die Fackel zu. Jetzt sehen wir doch mal...mit einer schnellen Bewegung werfe ich sie zu Boden und trete sie aus.
Meine Nachtsicht schaltet sich an...und ich sehe ein Ratsmitglied, das in einer Ecke kauert. Seine Augen öffnen sich in Überraschung, aber er ist klar blind durch meine Aktion. Wollte uns wohl überraschen, was?
„Lass das Licht aus, wir haben einen Oberschlauen hier!“
Hydren blühen auf, wo ich gerade noch stand, aber sobald ich ihn sah, bin ich losgelaufen – auf ihn zu. Das Licht der Feuerkreaturen macht meinen Ruf obsolet, aber vielleicht sieht er mich ja nur schemenhaft...
Meine Schwerter treffen auf Fleisch. Gleichzeitig trifft aber Fleisch in meine Seite, und ich werde zurück geschleudert, um schon wieder verbogen am Boden zu landen. Gah!
„Vorsicht, General, der Kerl ist stark...und schnell!“
Und verletzt...der Schlag hat ihm nicht gut getan. Meine Dornen haben ihm schwer zugesetzt. Er keucht, von seinem plötzlichen Schmerz überrascht. Da erscheint ein oranges Halo über ihm. Und ich stelle fest, dass ich doch wieder auf die Beine komme.
„Sieht so aus, als hättest du diesmal die Situation unter Kontrolle, Golem!“
Ich hebe den Daumen an meiner rechten Hand. Das Ratsmitglied presst sich gegen die Wand vor mir. Ich gehe langsam los.
„Wyand oder Maffer, nehme ich an?“
„Maffer Drachenhand für dich, seelenloser Diener!“
„Den Spruch hör ich öfter. Und jedes Mal regt er mich ziemlich auf. Ich glaube, ich lasse meinen Frust mal an dir aus, du scheinst mir ein gutes Ziel dafür zu sein.“
Er versucht, anzugreifen – das ist immerhin die beste Verteidigung. Nicht mich, sondern den Meister – weil er genau weiß, was passiert, wenn er mich schlägt. Aber weil der Meister rechts von mir im Eingang steht, ist es sehr unwahrscheinlich, dass Maffer an meiner linken Seite vorbeirennt...darum habe ich schon einen halben Schritt nach rechts getan, bevor er weit gekommen ist. Und so bin ich in Reichweite, als er, wirklich ziemlich schnell trotz seiner Verletzungen, vorbeihechten will.
Mein Schwert wirft ihn zu Boden, eine tiefe Wunde in seinem Rücken hinterlassend. Sofort springe ich auf ihn, mein Knie in eben jene Wunde drückend.
Er versucht, mich anzusehen, aber schafft es nicht.
„Bitte...lasst mich leben...ich kann Euch nützen!“
Mein rechtes Schwert fährt senkrecht von oben in seinen Handrücken. Er schreit auf.
„Wenn du nicht gerade einen Zauber versucht hättest, hätte ich fast darüber nachdenken können.“
Ich bin etwas erleichtert, als Nichts passiert, als ich seinen Kopf von den Schultern entferne. Der Meister klatscht langsam.
„Fein gemacht. Konnte sich wohl keine Diener leisten, der Arme!“
„So sieht es aus...“
Fast zeitgleich lassen wir das Gespräch fallen und sehen durch die Säulen in den hinteren Teil des Raumes, der dem Blutsee gegenüber liegt. Bis jetzt sieht man davon nur eine Wand.
Dann treffen sich unsere Blicke. Wir nicken. Der Meister erschafft mit einem abwesenden Winken noch ein Skelett aus Maffers Leiche; die Armee ist wieder komplett.
„Alles oder Nichts, Golem.“
Damit treten wir durch die Säulen.
Mit jedem Schritt, den ich mache, wächst der Knoten in meiner Kehle...dieses Konglomerat aus Wut, Zorn und, hauptsächlich, Hass. Mir ist, als müsste ich durch einen Morast aus negativen Gefühlen waten.
Wir stehen auf der anderen Seite des Blutsees. Leichte Wellen zeugen von der ständigen Bewegung des wie frisch vergossenen scheinenden Lebenssafts. Und, was man von der anderen Seite nicht sah, weil das Portal sie verdeckte...zu der Insel in der Mitte, auf dem der Weg in die Hölle steht, führt eine Brücke aus Knochen. Unzählige menschliche Skelette sind, wild durcheinandergewürfelt, zu einem Steg aufgeschichtet. Mit morbider Faszination starre ich die irrsinnige Szenerie an.
Jetzt kann ich ausgelöscht werden, da ich das sah...
Freut mich, dass dich das so beeindruckt. Kannst du jetzt bitte wieder verschwinden?
Der Meister tippt mir dezent auf die Schulter. Ich drehe mich um...und sehe, wie ein weißes Leuchten langsam auf uns zuschwebt. Nach dem Blutsee sind etwa zwei Meter ebener Boden, mit einem Kreis aus hellerem Grau, der an die Knochenbrücke grenzt in der Mitte, dann führt eine Treppe aus nur wenigen Stufen in einen etwas erhöhten Bereich, der durch Säulen geteilt ist. Zwischen diesen Säulen hindurch nähert sich das Leuchten.
Die Skelette stellen sich in einem Spalier auf. Die Magier bleiben neben dem Meister; er konnte nur zwei davon erschaffen, fällt mir auf. Ich stelle mich schützend vor ihn, aber er schiebt mich zur Seite, den Kopf schüttelnd; er will dem Wesen, das gleich vor uns erscheinen wird, in die Augen sehen können...wenn es Augen hat.
Und Mephisto ist vor uns.
Mit ähnlich morbider Faszination wie gerade für die Brücke aus Knochen, nur weitaus stärker, wandert mein Blick die gewaltige Gestalt hoch. Der Herr des Hasses hat keine Beine, er schwebt in einer nach unten dichter werdenden Wolke aus weißem Gas, das weiter oben zu leise züngelnden Flammen wird, die ihn komplett umgeben. Aus der Wolke ragt eine Wirbelsäule, die, viel länger als bei einer normal menschlichen, in einen Brustkorb mündet, der gerade noch so von Fleisch umgeben ist. Seine Arme haben die fahle Haut schon verloren, die sich noch wie aus reiner Sturheit an seinen Schädel und den Oberkörper klammert, sodass die blanken Muskeln darunter zum Vorschein kommen. Sein Gesicht weckt noch vage Erinnerung daran, wie es einmal auf Sankekurs menschlichem Körper ausgesehen haben könnte, aber die überspannte Haut und die großen gekurvten Hörner, die daraus nach hinten wachsen, lassen jeglichen Vergleich mit einem normalen Kopf lächerlich werden. Zusätzlich zu all dem hängen zwei tentakelartige Auswüchse aus seinem Rücken.
Das ganze Große Übel ist gut zweieinhalb Meter hoch.
Der Meister unterdrückt ein Schlucken, aber wird sind beide zu erstarrt, um zu reden. Das übernimmt Mephisto, und seine Stimme bohrt sich wie Nadeln in meine Ohren. Direkt vor ihm zu stehen ist etwas Anderes, als sie nur als Projektion über Travincal zu hören...
„Ihr habt also den Weg zu mir gefunden...eine bemerkenswerte Leistung für einen Menschen. Zu schade, dass Ihr gescheitert seid. Meine Brüder sind Euch entkommen...und Euere Reise endet hier.“
Der Meister fängt sich.
„Ich nehme an, du weißt, wie gerne ich dir Beschimpfungen entgegen schleudern würde, weil ich dich bis aufs Blut hasse, Mephisto – also spare ich mir das. Warum sparst du dir nicht überhaupt das ganze Gerede? Wir wissen ohnehin, wie es enden wird. In einer Schlacht – Mensch gegen Übel. Und ich werde dich vernichten, wie ich es mit Andariel und Duriel auch getan habe.“
Ein kehliges Lachen erfüllt den Raum, das von überall gleichzeitig zu kommen scheint.
„Ich könnte Euere so typisch menschliche Arroganz belächeln...aber ich werde es nicht tun, denn Ihr habt Euch das Recht zur Arroganz verdient. Euere bisherigen Taten herabzuwürdigen, wäre schlicht unehrlich...und ich bin der größte Advokat von Ehrlichkeit, den es gibt.“
„Erlaub mir ein Lachen, Mephisto. Du, der versucht hat, unsere Herzen mit deinem Hass zu täuschen, willst ein Paragon der Ehrlichkeit sein?“
Ein Lächeln spielt über die toten Lippen des Herrn des Hasses...was viel schlimmer ist als das Lachen von gerade.
„Ist es Täuschung? Es gibt nur zwei wirklich ehrliche Emotionen auf dieser Welt, General...die Liebe und den Hass. Alle anderen sind nur weniger starke Ausprägungen dieser beiden Extreme. Lügen, die euere kleinen menschlichen Hirne erfinden, um euere fragile sogenannte 'Zivilisation' aufrecht zu erhalten. Konzepte wie 'Ehre', 'Gerechtigkeit', 'Anstand'...'Moral'...künstliche Konstrukte, erschaffen, damit ihr euch nicht gegenseitig zerfleischt. Denn es ist ein ewiges Naturgesetz, dass es leichter ist zu hassen, als zu lieben...und Menschen sind eine faule Rasse. Nur in strikten Gesetzen findet ihr eine Lösung für dieses uralte Problem, aber diese sind immer nur temporär. Bisher ist jede Gesellschaft unweigerlich daran gescheitert, dass der Hass immer siegen wird...jegliche Behauptung des Gegenteils ist Selbstbetrug der schlimmsten Sorte.“
Der Meister verschränkt die Arme. Etwas...Seltsames regt sich in mir. Was ist es nur?
„Du wirst entschuldigen, wenn mir das Alles ziemlich egal ist. Aber vielleicht hast du ja einen bestimmten Grund, unser Aller Zeit mit diesem Gerede zu verschwenden?“
„Ha, ha, ha...General, Ihr seid wirklich zu köstlich. So mit mir zu reden...Ihr seid eine ganz besondere Sorte von Mensch. Eine extreme Sorte...meine Lieblingssorte. In der Tat gibt es etwas, worauf ich hinauswill. Seht Ihr, Helden nach Euerem Schlag gibt es nur sehr, sehr selten. Die meisten Menschen sind glücklich mit ihrem von den Autoritäten aufgezwungenem Selbstbetrug, selbst diese Autoritäten leben in einer Welt aus Lügen, die sie durch Macht und Geld aufrecht erhalten. Aber Ihr...Ihr habt eine Ahnung von dem, was hinter der Fassade steckt. Dass es Dinge gibt, die wichtiger sind als alles Weltliche. Eine Wahrheit, die man nur entdecken kann, wenn man sich von den falschen Gefühlen befreit, und den einzigen echten folgt. Es ist Euere Liebe zu dieser Welt, die Euch treibt, Euere scheinbar so irrsinnige Mission zu verfolgen...und Euer Hass auf uns Kreaturen der Hölle, der Euch immer weiter vorantreibt.“
Langsam wird klarer, was sich in mir regt...es ist der Zweite.
Voll Bewunderung.
Der Meister hingegen zeigt sich unbeeindruckt.
„Du könntest dabei sogar einen Punkt haben. Wobei ich mich doch für etwas vielschichtiger halte als das. Aber irgendwie amüsiert mich dein Gerede, also bitte, nur weiter.“
Mephisto streicht sich über das Kinn.
„Ich amüsiere also, soso. Nun denn, lasst mich zum Punkt kommen. Wie Ihr wahrscheinlich schon wisst, ist der ewige Krieg zwischen Himmel und Hölle seit Langem am Wüten, und das perfekte Schlachtfeld dafür ist seit dessen Erschaffung Sanktuario. Ihr Menschen seid die Personifizierung dieses Kriegs, denn Ihr wurdet erschaffen aus der Vereinigung beider Parteien...die Kinder des Erzengels Inarius und Liliths, meiner eigenen Tochter. Jeder von euch ist prinzipiell neutral...aber hat das Potential, sich für eine Seite zu entscheiden. Wir aus der Hölle glauben nicht wirklich daran, euch eine Wahl zu lassen, aber genauso sorgen Orden und Kirchen im Namen des Himmels dafür, dass sich viele eigentlich unwillige Menschen auf die Seite des Himmels schlagen, also ist das eigentlich nur gerecht.
Ihr hingegen seid ein spezieller Fall...der Mensch nämlich, der den Unterschied darstellen kann in unserem ewigen Kampf. Der ihn entscheiden kann. Ich möchte Euch nicht einmal als eine Art Auserwählten darstellen – denn immerhin habt Ihr Euch selbst auserwählt dafür, vor so langer Zeit.“
„Ich weiß ja nicht, wie ihr da unten die Zeit messt, aber ich bin erst siebzehn.“
„Ja...das ist das Alter dieses Körpers...aber versteht Ihr nicht? Ihr könnt diesen Krieg entscheiden. Wenn Ihr nicht scheitert. Es gibt nämlich drei Möglichkeiten...entweder, Ihr habt Erfolg mit Euerer Mission, tötet jetzt mich, findet meine Brüder und lasst ihnen das gleiche Schicksal angedeihen, und schickt uns alle in die Hölle zurück, bevor wir es schaffen, die Welt zu unterwerfen.
Oder Ihr scheitert an irgendeinem Punkt dieses Weges – was, nun ja, im Bereich des Möglichen liegt. Ihr seid Euch sicher der Erfolgschancen bewusst? Wenn Ihr Euch nicht für uns entscheidet...dann können wir sehr böse werden.“
Der Meister kichert.
„Und da dachte ich, das wärt ihr schon.“
„Geistreich. Aber es gibt ja die dritte Möglichkeit – die beste. Nämlich dass Ihr Euere wahre Bestimmung erkennt – nämlich, diesen Krieg für die Hölle zu gewinnen.“
„Das ist also des Pudels Kern – ein Angebot, das ich aus Kilometern Entfernung habe kommen sehen? Danke, kein Interesse, können wir jetzt zum Teil kommen, in dem ich dich töte?“
Mephisto hebt die Hand mit einem Lächeln, das wirkt, als würde er geduldig mit einem aufmüpfigem Kind reden.
„Ruhig. Ich glaube, Ihr habt mich nicht verstanden – ich unterbreite hier kein Angebot. Ich ermögliche Euch, die Wahrheit zu sehen – nämlich, dass Ihr schon seit Langem auf unserer Seite seid. Ihr wollt Euch das nur noch nicht eingestehen.
Ich sehe den Protest in Eueren Augen. Lasst mich erklären. Wie wir vor Kurzem festgestellt haben, sind es genau zwei Emotionen, die Euch treiben – Liebe zu dieser Welt und Hass auf uns Dämonen. Man könnte die Liebe und den Hass aber auch direkt den sich bekriegenden Fraktionen zuordnen – dem Himmel und der Hölle. Dabei ist es völlig irrelevant, worauf der Hass gerichtet ist, denn er ist und bleibt meine Domäne.
Folglich seid Ihr eigentlich immer in meinem Auftrag unterwegs, wenn Ihr eine Handlung von Euerem Hass motivieren lasst...muss ich Euch nun darauf hinweisen, dass Ihr seit Wochen fast nur von diesem Hass getrieben werdet?“
Der Meister lacht...aber ich sehe, dass es kein ehrliches ist. Und Mephistos Worte wecken in mir eine tiefe Angst, die ich spüre, seit ich das erste Mal gespürt habe, dass der Meister bereit ist, seine Prinzipien hintenanzustellen, um unseren Kampf gegen die Dämonen voranzutreiben...das ist exakt, wovor Deckard uns gewarnt hat!
Oh, er hat so Recht. Wenn ihr das nur erkennen würdet...es würde Alles so viel einfacher machen.
Ich lasse meinen Hass kurz hochkochen, weil der Zweite es wirklich verdient, aber bereue es im gleichen Moment wieder. Dennoch...willst du wirklich vorschlagen, dass der Meister sich ihm einfach unterwerfen soll?
Unfug – er sollte nur erkennen, dass Mephisto einen ganz gewaltigen Denkfehler in seiner Argumentation hat...wenn der Meister seinen Hass umarmt, und erkennt, dass euere falsche Moral nur ein künstliches Konstrukt ist, das ständig im Weg ist, kann er die Mission mit einem Ziel fortführen, das ihm nach einer solchen Erkenntnis zusteht – nämlich die Fürsten der Hölle zu vernichten, um zu beweisen, dass er, der Mensch, der stärkste von allen ist.
Er soll sich...über die Großen Übel stellen?
Er kann sie vernichten – ich glaube fest daran! Und von da an ist es nur ein kurzer Weg zum Himmel...
Du bist völlig größenwahnsinnig geworden! Er ist nur ein Mensch!
Größenwahn für Jemand, der nicht ich bin? Ha! Du bist so unglaublich uninformiert...hast du Mephisto nicht zugehört? Die Menschen sind das Resultat einer Vereinigung eines Erzengels und einer Dämonin.
Ihr wahres Potential übersteigt das ihrer Erschaffer. Ein Mensch wie der Meister, wenn er es nur erkennt, kann sich zum Herrscher über Hölle und Himmel aufschwingen! Diese Information verdient aber nur ein wahrhaft Erleuchteter...dafür muss er nur Mephisto Glauben schenken. Und den richtigen Schluss daraus ziehen.
Du weißt, dass ich nie zulassen werde, dass du ihm diese wahnsinnigen Gedanken einpflanzt.
Das ist das Schöne daran – ich kann dir davon erzählen, weil du es erst dann ausplaudern würdest, wenn du selbst daran glaubst, also zur Vernunft gekommen bist. Wenn er allerdings zur Vernunft kommt, wird er dich loswerden wie es gerade schon fast geschehen wäre, und ich kann es ihm selbst sagen.
Du...du...
Das ist das wahre Erbe meines Meisters.
Ich hasse dich.
Ich weiß, beruht völlig auf Gegenseitigkeit. Könnten wir uns jetzt bitte wieder auf das Geschehen vor uns konzentrieren?
Ich zittere innerlich...aber weiß genau, dass er Recht hat, und das macht es nur noch schlimmer. Seine Worte...sie könnten den Meister in der Tat auf falsche Gedanken bringen, die falschesten. Mich trifft es wie ein Stich ins Herz...aber ich kann ihm nicht vertrauen, dass er sie als kompletten Wahnsinn verlacht wie ich es tue...nicht nach dem, was in der Wegpunktskammer passiert ist. Vielleicht kann ich ihn auf den richtigen Weg führen, wenn Mephisto vernichtet ist...aber dafür muss er überhaupt erst einmal aus der Falle dessen Worte ausbrechen!
Mephisto wartet geduldig darauf, dass der Meister seinem Lachen eine Aussage folgen lässt. Der hat kurz gebraucht, um sich zu sammeln.
„Es gibt wohl einen Unterschied zwischen dem Hass, den du als allein von dir kommend beschreibst, und meinem Verlangen nach Gerechtigkeit. Es ist nicht nur Hass, der mich dich vernichten lassen will, sondern mein Wissen darum, was richtig ist. Das Alles -“
Er deutet mit großer Geste den Blutsee und das restliche Innere des Kerkers des Hasses an.
„- ist falsch.“
Mephisto lacht, diesmal aus voller Kehle, was die Wände vibrieren lässt.
„Oh, Ihr habt mir nicht richtig zugehört. Es gibt so etwas wie Gerechtigkeit nicht, wie Moral, und daraus folgend, was richtig und was falsch ist. All dies hat Euch nur Euere Erziehung eingeimpft – was Andere Euch gesagt haben. So etwas wie natürliche Moral, selbstverständliche Gerechtigkeit gibt es nicht. Es ist Alles von Menschenhand erschaffen, und damit immer nur ein vages und schwaches Konstrukt zwischen den zwei einzigen Extremen, die zählen – der Hölle und dem Himmel.
Nein, es ist definitiv der Hass, der Euch treibt – eine tiefe Verachtung für diese Welt, die in Euch verankert ist, seit ihr denken könnt. Dieser Hass hat Euch in der Wüste überleben lassen, der Hass auf die Menschen, die Euch Eueren Freund nahmen damals...die Liebe zu ihm wurde Euch brutal entrissen. Es schmerzt Nichts mehr als das Ende einer tiefen Freundschaft...außer vielleicht verweigerte Rache. Doch Ihr habt Euch diese Rache genommen, habt den Mörder Eueres Freundes getötet. War das Euerer Moral entsprechend?“
„Woher weißt du...“
„Und ich muss Euch sogar gestehen, ich dachte einmal sogar, Ihr wärt für unsere Sache auf ewig verloren, als diese Assassine Euere Liebe gewann. Eine wahrhaft starke Emotion...die einzige, die fähig ist, es mit dem Hass aufzunehmen. Logischerweise.
Doch die grausame Welt schlug zurück und entriss sie Euch...da Ihre Auftraggeber Angst davor hatten, dass Sie, die unglaublich talentierte Adeptin ihres geheimen Ordens ihre Macht gefährden könnte, schickten sie sie weg. Auf eine Mission, die gut ihren Tod bedeuten könnte...eine Entscheidung, die nur von Hass motiviert wurde. Denn was ist Egoismus als der Hass auf alle Anderen?“
Der Meister explodiert, seine bisherige spöttische Ruhe komplett wegwischend. Mein Kopf fährt zu ihm herum.
„Du lässt Natalya aus dem Spiel! Ich lasse nicht zu, dass du sie für deine Spielchen benutzt!“
„Oh, möchtet Ihr abstreiten, dass Ihr Nichts als Hass spürtet auf die Mächte, die sie von Euch rissen? Oder...dass meine Erwähnung dieses schmerzhaften Kapitels Eueres Lebens den kalten Hass in Euch hervorruft? Und nicht...Gerechtigkeit?“
Der Meister erstarrt, seine Muskeln verkrampfend. Er zittert. Ich halte diesen Anblick nicht aus.
„General...er lügt dich doch nur an! Du hast selbst gesagt, du warst traurig, verzweifelt...aber doch nicht hasserfüllt!“
Er starrt zu Boden. Mephisto grinst mich an.
„Ah, Golem, dich hätte ich fast vergessen. Du bist mir ja das größte Rätsel...das sich langsam aufzulösen scheint. Spüre ich es richtig, dass dieses so simpel erscheinende künstliche Bewusstsein deiner tief gespalten ist? Dieser Kern aus den richtigen Emotionen in dir...er ist so komplett von deiner äußeren Hülle abgespalten. Der Hass ist auch in dieser, aber...so seltsam schwach ausgeprägt...könnte es sein, dass du schlicht zu einfach gestrickt bist, um mehr als absolute Hingabe zu deinem Meister zu empfinden?“
Ich verschränke die Arme.
„Wenn du denkst, dass du mich mit Beleidigungen aus der Reserve locken kannst, denkst du verkehrt.“
„Ha, Golem, wenn du annimmst, dass meine Taktik so plump ist, bist du wirklich einfach gestrickt. Aber du interessierst mich auch gar nicht, ich habe schon mitbekommen, wie sehr du den Lügen dieser Welt verhaftet bist. Du glaubst wirklich an die bröckelnde Fassade der Ordnung, die die Menschen für sich aufgebaut haben – wie lachhaft! Da wirst du als völlig unvoreingenommenes Wesen erschaffen, dankenswerterweise frei von jeglicher falscher Erziehung, von den Lügen, die jedes Kind der Menschen von jungem Alter an eingetrichtert bekommt, und dennoch verfällst du ihnen...was für eine Verschwendung.
Aber der Zweite in dir...dieser fühlt sich richtig an. Ja! Was für Potential! Nur ein wenig zu zweifelnd erscheint er mir noch, aber ansonsten wäre er der perfekte Verbündete, seinen Meister von der Wahrheit zu überzeugen. Warum nur kommt er nicht hervor...?“
Der Zweite...zweifelnd?
Dein schwächliches Echo muss meine wahre Hingabe verfälschen!
„Vielleicht, weil dieser Meister erkennt, dass man giftigen Worten von deinem Kaliber nicht lauschen braucht?“
„Oder hat er nur noch Angst vor der Wahrheit? Sie schlummert immerhin tief in ihm...ich bin mittlerweile absolut davon überzeugt, dass hier Nichts ein Zufall ist. Wenn dem so wäre...dann bin ich beeindruckt. Wirklich beeindruckt. Denn dieses Muster...es kommt mir einfach unglaublich bekannt vor!“
Wovon redet er da?
Er hat...vorher mehr Sinn ergeben...
Das Muster...meint er damit, dass er dich erkennt – von woher?
Ich weiß doch nicht, was er meint!
Kommt es mir nur so vor, als müsste ich da weiter...
„Mephisto! Das tust du nicht!“
Der Meister stellt sich vor mich.
„Golem ist die reinste und beste Persönlichkeit, die ich je getroffen habe, du wirst nicht mal ansatzweise versuchen, ihn zu korrumpieren!“
„Warum? Würde es Euch dazu bringen, mich noch mehr zu hassen? Es scheint fast nicht mehr möglich...“
Der Meister wird plötzlich ganz still.
Dann beginnt er, zu lachen. Mir läuft ein kalter Schauer den Rücken herunter.
Hat er...die Wahrheit erkannt?
„Ach, Mephisto...ich muss gestehen, du hast nicht ganz Unrecht mit vielen deiner Aussagen.“
Er beginnt, auf- und abzugehen...er hält eine Rede! Und wie immer, wenn er das tut, überkommt ihn eine unglaubliche Ruhe...als hätte er sein Leben nichts Anderes getan, also große Ansprachen zu halten.
„Du hast zum Beispiel den Nagel auf den Kopf getroffen damit, dass ich der Einzige bin, der diesen Krieg wirklich entscheiden kann...denn wenn ich scheitere, ist zwar nicht automatisch Alles verloren für die Mächte des Guten, aber eine ihrer letzten großen Chancen ist dahin, denn noch habt ihr Übel nicht wirklich einen starken Halt. Ich habe als Einziger die vollen Informationen über eueren Aufstieg, und bis Deckard einen neuen Helden als meinen Nachfolger findet, könnte es zu spät sein. Das heißt, die Entscheidung, die ich heute treffe, ist extrem wichtig. Und sie ist auch eine zwischen Extremen. Denn in der Tat geht es hier um solche...gewinnt das absolut Gute? Gewinnt das absolut Böse? Liebe oder Hass? Ein Streit, der aber nicht nur makroskopisch stattfindet – sondern in jedem Einzelnen von uns. Was du auch richtig festgestellt hast – wir Menschen sind Zwischenwesen! Gefangen zwischen Licht und Dunkel, in ewigem Zwielicht. So auch ich. Ich mag einen tieferen Einblick in diese Dinge haben als die Meisten, aber auch in mir ist der ständige Konflikt vertreten...und ja, ich gebe zu, dass sich viel, viel Dunkel in mir befindet. Das ginge wohl den Meisten so, die aufgewachsen sind wie ich.
Aber ich weiß, dass es nicht nur Dunkel in mir gibt. Ich habe erkannt, dass es mehr gibt als mein persönliches Leiden. Es gibt Mitleid für all die Menschen, die unter euch leiden würden – schlimmer als ich es je erlebt habe, als ich es mir je vorstellen könnte. Und auch in meinem Leben gibt es die Liebe, zu einer wunderbaren Frau...und zu anderen, aber dazu kommen wir gleich. Ich möchte dich nämlich auf den großen, großen Denkfehler bei dir hinweisen...dadurch, dass wir Menschen Mischwesen sind, haben wir genauso die Wahl, eine Mischung zu bleiben. Ein wundervolles Chaos an unvorhersehbaren Emotionen...aus Liebe und Hass, aber auch aus reiner Freundschaft, aus Zorn, aus netter Bekanntschaft, aus vager Abneigung. Wir haben etwas, das weder der Hölle noch dem Himmel zur Verfügung steht – ein Spektrum an Emotionen. Ihr habt die Extreme, ja – aber wir haben diese und viel mehr. Das ist es, was du nie verstehen kannst, weil du nur den Hass kennst. Das Absolute. Aber das Leben der Menschen besteht nicht nur aus Absoluten, das ist ja, was es so lebenswert macht!
Das heißt nicht, dass die Absoluten schlecht sind. Sie haben ihren Platz. Und ich kann dir eines sagen – du liegst noch in einem anderen Punkt völlig falsch.
Die Liebe wird immer über den Hass triumphieren. Denn Hass kann sich selbst ausbrennen...das Objekt des Hasses kann verschwinden, und Alles, was bleibt ist Leere. Eine unbefriedigende, niemals zu füllende Leere, die entsteht, wenn man erkennt, dass der ganze Hass letztlich umsonst war. Du hast Kaelans Mord durch meine Hand angesprochen – ich habe ihn aus Hass begangen, ja. Und jetzt lebe ich mit der Leere. Es gibt keine Befriedigung durch Rache, das musste ich erkennen. Vielleicht habe ich zu sehr versucht, diese Leere mit etwas Anderem zu füllen, aber ich muss mir eingestehen, dass sie da ist. Sie wird immer bei mir bleiben, wie eine Narbe. Ganz allein meine Schuld.
Im Gegensatz dazu steht die Liebe...denn die Liebe hört niemals auf. Wenn das Objekt der Liebe entfernt wird...es schmerzt weitaus mehr als die Leere, die entsteht, wenn der Hass kein Ziel mehr findet. Der Schmerz kann einen wahnsinnig machen. Aber es ist ein guter Schmerz. Er ist erfüllt von den Erinnerungen an das Objekt der Liebe...von der Liebe selbst. Ein ewiges Denkmal an das Glück, das man einst spürte. Wo der Hass Leere hinterlässt, ist das Ende einer Liebe immer voll. Aber das erfüllendste Gefühl...das ist das der bestehenden Liebe. Keine Leere des Hasses kann je groß genug sein, um diese Fülle zu entfernen, denn es ist eine nie versiegende Quelle.“
Er legt mir den Arm um die Schultern.
Neeeeeeiiiiin...
„Ich muss dir eigentlich danken, Mephisto. Du hast es wieder und wieder versucht, und du hättest mich fast gehabt...ich wäre fast von der Leere verschlungen worden. Aber du bist gescheitert, weil dieser simple Golem mit den einfach gestrickten Gedanken mich liebt. Und ich ihn. Das hast du mir gezeigt – dass unser Band für immer bestehen wird und alle Widrigkeiten hinwegfegen, weil wir zu zweit unbesiegbar sind. Schon gar nicht vom Hass. Du hast verloren.“
Mephisto schweigt. Ich hebe meinen eigenen Arm und lege ihn um die Hüfte des Meisters.
„Das ist Euer letztes Wort?“
„Nein, das wird gleich 'fertig' sein.“
„Ihr...enttäuscht mich. Ihr hattet alle Chancen. Ich habe sie Euch zu Füßen gelegt. Aber Ihr verschmäht meine Wahrheit...und wollt wirklich den Pfad des Scheiterns beschreiten. Schön. Wie Ihr wollt. Eine Schande. Verschwendung. Aber es hilft Nichts. Lernt kennen, was purer Hass mit Euerer ach so starken Liebe anstellt!“
„Endlich ist das Gerede zuende! Also, meine letzten Worte: Macht! Ihn! Fertig!“
Sofort löse ich mich vom Meister und stürme auf das Große Übel vor mir zu, über dessen Kopf das orange Halo erscheint. Die Skelette brechen Formation und laufen ebenfalls los. Mephisto brüllt, was ich im Boden vibrieren spüre...und schießt einen Blitz nach vorne, der eine ganze Reihe von Skeletten sofort zu Asche zerfallen lässt. Ich weiß nicht, was ich erwartet habe von einem Wesen dieser Macht, aber dennoch versetzt es mich sofort in Panik...die sich sofort wieder legt. Ruhe. Ich muss ruhig sein...wir mögen hier vielleicht sterben. Aber wir werden unser verdammt noch mal Bestes geben, um diesen Bastard dahin zurückzuschicken, wo er hingehört. Mit einer guten Portion Hass dabei, ja...aber unsere Hauptmotivation ist die Liebe zu der Welt. Zu den ganzen verrückten Menschen darin, mit ihren Gefühlen, die nicht schwarz, nicht weiß, sondern grau sind. Eine Welt, in der Liebe immer über Hass siegen wird!
Ich springe hoch. Gleich wird Mephisto meine Klingen spüren.
Er hebt seine Arme in meine Richtung...und das Letzte, das ich sehe, ist eine Sphäre aus scheinbar purem Eis, die auf mich zufliegt.
Schwärze.
Und wieder Mephisto, einige Schritte vor mir, der gerade einen weiteren Blitz durch ein Skelett jagt, das sofort desintegriert...aber noch drei von ihnen laufen auf ihn zu, weil der Meister sie auseinandergezogen hat.
„Los!“
Der wahre Grund, warum er jedem Skelett eine Rüstung gegeben hat, wird mir langsam klar – damit er einen großen Vorrat an Rohlingen für mich hat. Hier muss – oder kann – er kein Mana in Kadaverexplosionen stecken, also hat er genügend, um mich immer wieder zu beschwören...
Ich laufe schon, während ich diese Überlegungen treffe. Gerade kann ich einem weiteren Blitz ausweichen, der eines der letzten drei Skelette zerlegt. Die beiden Magier sind immer noch am Feuern, aber ihre Geschosse scheinen kaum Effekt zu zeigen...einer unserer Krieger erreicht Mephisto und hackt sein Schwert in dessen Brustkorb. Es scheint von einer Rippe abzuprallen...aber es ist ein Riss in seiner fahlen Haut. Kein Blut dringt hindurch, aber er spürt das! Mit einer Geste, als würde er eine Fliege abschütteln, packt er das Skelett und wirft es so stark gegen eine Wand, dass es zerbröselt. Aber...jetzt bin ich da. Ich packe die Wirbelsäule, die aus der Wolke erwächst, in der Mephisto schwebt, mit einer Hand. Gerade will ich mit der zweiten dazu greifen, da senkt er seine Arme...und unzählige Blitze in einem engen Schirm sinken zwischen ihnen herab.
Für einen kurzen Moment spüre ich die Agonie aus ihnen, dann vergehe ich.
Um sofort wieder den Herrn des Hasses im Blick zu haben.
„Es tut mir Leid, dich immer in den Tod zu schicken...“
„Keine Zeit für Entschuldigungen!“
Ich laufe wieder. Das letzte Skelett ist schon Geschichte. Mephisto sieht mich, hebt wieder die Hände...in einem Muster, das ich kenne! Ich springe im letzten Moment zur Seite, und die Eiskugel fegt an mir vorbei. Bevor er zu einem weiteren Zauber kommt, ziehe ich mich diesmal mit nur einer Hand an der Knochenstange hoch, auf der sein Körper ruht, und schaffe es, sein Handgelenk mit der anderen zu packen.
Er reißt mich mit ihr hoch...und ich gebe gerne meinen Griff an der Wirbelsäule auf, stoße mein Schwert nach vorne...
Mit seiner freien Hand blockt er den Streich. Ich stoße auf Knochen unter der Muskeldecke, gleite nach oben...er zischt, packt meinen Arm und zieht. Ich spüre gewaltige Belastung an meinen Schultern, trete um mich...aber er reißt mir nahezu mühelos den Arm aus.
Was ihm einen Stich in den eigenen versetzt. Niemand rechnet mit Dornen! Er lässt mich fallen...und ich habe noch einen freien Arm, den ich ihm von unten in den Brustkorb rammen kann.
Er kreischt, als sich der Blitzvorhang erneut auf mich senkt. Mein letzter Gedanke vor der Schwärze ist gut – mit nur einer Hand komme ich nicht weit.
Wieder erschafft mich der Meister, wieder laufe ich auf den Herrn des Hasses zu...er täuscht an, aber ich kenne längst alle Tricks, durch unzählige Kämpfe mit Monstern. Er hingegen, so mächtig wie er ist, hat keine wirkliche Erfahrung – schon gar nicht in diesem Körper, der bestenfalls ein paar Monate alt ist. Und offenbar noch nicht einmal völlig so, wie er ihn haben will. Wieder zischt die Eiskugel an mir vorbei. Diesmal schlittere ich unter ihm durch, erleichtert, dass er wirklich schwebt und die Wirbelsäule nicht dicht über dem Boden in der Wolke verborgen ist, und der Blitzvorhang geht harmlos hinter mir nieder. Jetzt habe ich Zeit, mich an seinem Rücken hochzuziehen, ich nutze die Wirbel geradezu als Treppe...packe seinen Hals...
Er pflückt mich hinunter. Gah! Gerade kann ich noch einen Schnitt setzen, auf seiner Schläfe, als er mich über seinen Kopf wirft und zu Boden donnert. Ich verbiege mich stark...aber ein wenig mehr als ein Skelett halte ich schon aus. Etwas holprig rolle ich mich davon, und ein paar Blitze treffen mich...es schmerzt, aber ich schüttle es ab. Springe auf...und eine Faust, die nach nicht viel aussieht, aber einen gewaltigen Schlag dahinter hat, trifft mich an der Seite des Kopfes. Ich breche zusammen, noch funktionsfähig, aber nur gerade so...
Schwärze.
Der Meister hat mich neu erschaffen – sehr gut. Wieder renne ich auf Mephisto zu, der damit zu kämpfen hat, dass die Dornen ihm wieder Schaden zugefügt haben...
„Lenk ihn ab, ich ziehe mich zurück!“
Vielleicht solltest du ihm das nicht sagen...aber was soll er sonst tun, außer schreien?
„Das wirst du...“
„Versuch doch, an mir vorbeizukommen, Großer!“
Er versucht, mich einfach über den Haufen zu schweben, aber ich packe ihn wieder an seinem verlängerten Rückgrat, und er hat keine Wahl, außer mich abzuschütteln. Diesmal mache ich mir gar nicht die Mühe, mich hochzuziehen, sondern nehme den Knochen in beide Hände, und wende einmal meine eigene Stärke an.
Der dritte Wirbel von unten bricht mit lautem Knacken, der durch den Fluch geschwächte Knochen kann mir nicht standhalten. Das sollte dir zu denken geben! Am Rande stelle ich fest, dass der Meister aus gutem Grund losgelaufen ist...es gibt keine Rüstungen mehr hier. Dann sollte ich diesen Körper lieber...
Mephisto hat mich. Wenn er mich wieder zerquetscht oder schlägt, geht es ihm nicht gut...
Er wirft mich in den Blutsee. Nein! Als ich sinke wie ein Stein, werde ich dennoch hin- und hergeworfen von den seltsamen Strömungen...mir ist, als würde ich das Stöhnen, die Schreie und das Weinen des Portals unendlich verstärkt hören. Nein...der See ist die wahre Quelle! Die Seelen der Ermordeten...sie sind hier gefangen, und sie flüstern mir zu...
Ich bin wieder weg. Der Meister steht vor mir.
„Wusste doch, dass ich hier einen Rüstungsständer gesehen habe. Ich sehe, du hast ihm schwer zugesetzt...er traut sich nicht, uns direkt zu folgen! Wenn wir ihn überraschen...vielleicht mit Schwächen statt Schaden – gehört er uns! Wir haben nur eine Chance...aber sie ist gut...“
Ich nicke...da fährt mein Blick nach hinten, wo gerade...nein!
„Hinter dir!“
Der Meister fährt herum. Er hat hervorragende Reflexe entwickelt.
Aber sie sind nicht gut genug.
Die Klaue eines Ratsmitglieds reißt seine Schulter auf. Er zuckt zurück, gegen mich, ich kann mich nicht rechtzeitig lösen...ein weiterer Schlag trifft den Meister in der Seite, dann packt ihn eine Krallenhand an der Kehle, die andere lässt einen Zauber los, der mich am Kopf trifft, die Hälfte meines Gesichts wegschmilzt und mich durch das Tor zurück in den Hauptraum zu Mephisto wirft...
Himmel...das muss Wyand sein...das letzte Mitglied des Hohen Rates. Wie konnten wir den nur vergessen?
Er trägt den Meister an mir vorbei. Ich versuche, mich aufzurichten, Irgendetwas zu tun, aber eine weitere Geste von Wyand, und der Arm, auf dem ich mich hochgestemmt habe, verschwindet unter mir. Ich lande auf der Seite, und kann nur zusehen bei dem, was passiert.
Das Ratsmitglied wirft den Meister auf den grauen Kreis in der Mitte des Areals vor dem Blutsee. Mephisto baut sich vor ihm auf. Er schwebt etwas schief.
„Sehr gut gemacht, Wyand.“
Der Hohe Rat wirft sich dem Herrn des Hasses zu Füßen.
„Stets Euer ergebener Diener, Meister.“
„Ja...darum hast du gerade auch zugesehen, wie sich der Kampf entwickelt, ob ich nicht doch von diesen beiden besiegt werde und du daraus einen Vorteil schlagen kannst.“
„Ich...nein...“
„Wirklich, sehr gut gemacht. Es war eine gute Idee, nur leider bist du im Vergleich zu ihm hier in etwa so viel wert wie ein nutzloser Wurm.“
Wyand versucht, aufzuspringen...aber Mephistos Gaswolke färbt sich plötzlich grün. Der Hohe Rat hustet, greift sich an die Kehle...spuckt Blut...und stirbt.
Ich verspanne mich. Jetzt eine Kadaverexplosion...!
Aber der Meister tut Nichts...
„Wenn der Kerl...nicht mein Mana verbrannt hätte...wärst du jetzt Asche...das weißt du, oder?“
„Natürlich. Aber auf meine Geschenke an meine Untertanen kann ich mich verlassen, wenn schon nicht auf diese selbst.“
Mephisto schüttelt den Kopf, als er sich dem Meister zuwendet.
„So endet also dieses Kapitel. Ich sagte ja bereits, Ihr hattet keine Hoffnung auf Erfolg mit Euerem wahnsinnigen Unterfangen, uns Große Übel zu bezwingen. Ihr habt extrem hoch gespielt und verloren. Das ist aber eigentlich auch eine Euerer Hauptqualitäten...ich werde Euch nun etwas verraten. Eigentlich ist es völlig egal, dass Ihr Euch gegen mein Angebot entschieden habt. In wenigen Minuten werdet Ihr in die Hölle fahren...und so oder so zu unserem treuen Diener werden. Es wäre nur so schön gewesen, wenn Ihr das aus freiem Willen getan hättet.“
Der Meister wirft einen Blick hinter sich.
„Ich nehme an...zuerst darf ich ein paar Jahrhunderte oder so leiden...wie diese armen Seelen dafür...dass ich so stur war...hm?“
„Sehr Ihr, diese Art von Intelligenz wird Euch noch weit bringen – auch nach Euerer Strafe noch. Euere Zukunft ist gesichert!“
„Zu gütig, mein...'Lieber'. Weißt du was? Bremm...hat vorher etwas sehr Intelligentes gesagt. Wir Menschen versuchen immer noch...auch die wildesten Hoffnungen...aufrecht zu erhalten, weil Dinge könnten ja funktionieren. Darum...habe ich auch jetzt nicht vor, aufzugeben. Es schmerzt mich nur...dass dafür wieder mein Freund herhalten muss.“
Was...hat er denn jetzt schon wieder vor?
Mephisto sieht mich an.
„Dieser Haufen Schlacke? Er wird verschwinden mit Euerem Tod.“
„Nein, nicht genau dieser Haufen Schlacke...also, Golem...der Rest gebührt dir...wenn das nichts funktioniert...es war schön mit dir. Bleibt dir eine Menge erspart.“
Er fasst sich in die Wunde an der Seite, frisches Blut auf seine Finger ziehend. Er streckt seine Hand nach hinten...über die Kante zum Blutsee...und ein Tropfen löst sich von seiner Fingerspitze. Ein Tropfen, der sich viel zu lange dehnt...für die Menge Blut, die in ihm sein sollte...
Da spüre ich, wie mein Körper sich auflöst. Er wird doch nicht...
Plötzlich sind die Stimmen wieder um mich. Nein...in mir. Ein Chor gequälter Seelen erfüllt mich, singt in mir, ein ewiges Lied des Jammerns, des unendlichen, niemals endenden Leids. Ich spüre die Pein all jener Ermordeten, sehe ihre letzten Momente vor mir, all die Erinnerungen gleichzeitig...es übermannt mich, ich sinke ein in die Fluten der Agonie. Ich spüre, wie ich mich selbst verliere...
Da hält mich etwas fest. Ein distinkter Schmerz. Ein dringender Auftrag.
Die Stimmen sind noch da. Aber eine nach der anderen verstummt, als sie mitbekommen, was der Auftrag ist.
Ein Bild entsteht.
Ein Mensch, blutend, fast tot, liegt auf einer grauen Steinscheibe.
Vor ihm schwebt ein Monster, ebenfalls verletzt, aber sicher nicht kurz vor dem Sterben. Eine Leiche liegt unter ihm, aber die ist unwichtig.
Das Monster, das ist wichtig.
Denn mein letzter direkter Befehl ist klar.
Mach ihn fertig.
„MEPHISTO.“
Er starrt ungläubig nach oben – denn das Bild, das entstand, ist unter mir. Ich stehe gebückt, da die Decke zu niedrig ist für mich.
Da fängt er sich, sein Blick schießt nach unten, seine Arme formen eine mir nun schon bekannte Geste...
Eine gigantische Hand fängt seine Eiskugel auf, bevor sie den Meister tötet. Sie hinterlässt einen leichten Schmerz, aber der ist insignifikant gegenüber den, der in mir herrscht...die Seelen spüren immer noch ihre Qual. Und die Wunde in meiner Seite schmerzt auch, ja...doch all das ist egal. Ich habe einen Befehl zu erfüllen. Und die Stimmen in mir unterstützen mich...sie sind definitiv vom Hass getrieben, aber sie spüren auch, dass diese Art der Rache...Gerechtigkeit beinhaltet. Die Möglichkeit für...Frieden.
Meine Hand streckt sich weiter aus, und packt das winzige Monster in ihrem Griff aus zu Fleisch geformten Blut.
„DU WIRST FÜR DEINE SÜNDEN BEZAHLEN. SIE SIND FLEISCH GEWORDEN, UM DICH ZU VERNICHTEN.“
„Nein!“
„FÜR DIE LIEBE.“
Ich zerquetsche den Herrn des Hasses in meiner gewaltigen Hass, der Blutgolemhand, geformt aus dem niemals gerinnenden See aus Blut all jener, die Mephisto ermordete.
Die Seelen jubeln in mir. Ich erlaube meinem augenlosen Alptraumgesicht ein tief zufriedenes Grinsen.
Da sehe ich, wie ein blauer Funke auf der Stirn des zerbrochenen Großen Übels in meiner Hand aufleuchtet. Er...zieht mich an. Ein Strom aus weißer Substanz geht von meiner Hand aus, in den Funken hinein. Nein! Die Seelen in mir schreien auf in Terror...ich halte mich fest an mir selbst, so fest ich kann...und als die Seelen um mich herum in einem gewaltigen Sog in dem blauen Punkt verschwinden, mein magisch vergrößerter Körper schrumpft und schrumpft, bin ich im Auge des Sturms...der endlich, endlich versiegt.
Und ich stelle überrascht fest, dass ich mich nicht an mir selbst festgehalten habe...sondern am Zweiten.
Und er an mir.
Irgendwie haben wir Probleme, unsere Bewusstseine voneinander zu lösen. Im Sturm der Seelen gerade habe ich ihn überhaupt nicht gespürt...wo war er?
Kein Gedanke von ihm dazu – wir...haben beide Angst, weiter darüber nachzudenken.
Ich spüre, wie meine Wunden heilen, aber der verschwindende Schmerz ist ganz fern. Ein Gedankenchaos erfüllt mich...die ganzen Seelen, die gerade noch in mir waren...das war wohl einer der aufwühlendsten Erfahrungen in meinem kurzen Leben bisher...aber das ist eigentlich Alles egal.
Ich habe gerade ein Großes Übel vernichtet. Mephisto – tot durch meine Hand.
„Golem?“
Ich sehe nach oben – ich stehe auf dem Grund des jetzt leeren Blutsees. Der Meister sieht zu mir hinunter.
„Ist...Alles in Ordnung bei dir?“
Das ist eine gute Frage. Ich höre etwas in mich hinein. Der Zweite ist völlig still...aber etwas ist anders. Etwas, auch aus seiner Richtung, ist verschwunden.
Dann merke ich es.
Es ist der Hass.
Ich grinse erneut.
„Es ging mir selten besser!“
Der Meister grinst zurück und setzt die leere Heiltrankflasche ab, die er gerade getrunken hat, um uns beide zu heilen.
„Himmel, Golem...was war das gerade...es...ich hätte gar nicht gedacht, dass das so funktionieren könnte!“
Hm...natürlich muss ich meine Einschätzung von gerade korrigieren. Selbstverständlich habe ich Mephisto nicht alleine besiegt. Wir beide haben über den Hass triumphiert.
Hat sich dennoch sehr gut angefühlt, den Bastard zu zerbrechen wie eine hässliche Puppe.
„Geht doch Nichts über Improvisation, General...“
„Ha! Kannst du laut sagen. Äh, kommst du hoch?“
Es ist nicht tief hier drin, also kann ich mithilfe seiner ausgestreckten Hand mühelos zu ihm klettern. Er bleibt noch eine Weile liegen. Dann sieht er mich an.
„Ich habe die Seelen auch gespürt, weißt du...“
Mehr als ein „oh“ fällt mir dazu nicht ein. Er dreht sich auf den Rücken und seufzt.
„Und obwohl wir ihren Mörder getötet haben, sind sie doch nicht frei...noch lacht er zuletzt. Sieh dir das an.“
Er deutet nach vorne. Ich setze mich auf...und halte mir vor Schreck die Hand vor den Mund.
Auf dem Boden, vor einer ruinierten menschlichen Leiche – Sankekur, nehme ich an – liegt ein blauer, etwa fünfzehn Zentimeter langer Edelstein.
Mephistos Seelenstein.
„Er hat die Seelen zusammen mit seiner eingesperrt...“
Der Meister steht auf.
„Das verzögert ihre Freilassung nur. Wir wissen, was zu tun ist.“
Ich nicke, sage aber Nichts – er spricht es aus.
„Wir gehen in die Hölle und zerschmettern ihn auf dem Amboss der Höllenschmiede – wie Marius es mit Baals tun sollte.“
Ich werfe einen Blick auf das Höllenportal.
„Tyrael hat Marius dazu angewiesen, ja...aber ich vertraue ihm einfach nicht. Was motiviert ihn, das zu tun...den Menschen immer nur eine Richtung anzudeuten, ihnen die schwersten Aufgaben aufzubürden, aber selbst fast keinen Finger zu rühren? Was bringt das denn?“
„Man müsste ihn fast fragen, was? Aber eigentlich ist mir das ziemlich egal. Er kann mich schlicht kreuzweise. Wir wissen, was zu tun ist – ja, auch durch ihn. Meinetwegen soll er aber keinen Finger rühren. Wir ziehen das durch! Ein Drittel unserer Aufgabe ist schon geschafft. Golem! Wir haben Mephisto besiegt!“
„Ja!“
Er greift nach dem Seelenstein. Kurz hält er inne...dann packt er ihn in festem Griff.
„Also...Augen zu und durch.“
„Kopfüber in die Hölle?“
„Und zurück, wenns nach mir geht!“
Einem Impuls folgend, strecke ich die Hand aus. Der Meister schlägt ein.
Dann gehe ich auf die Knochenbrücke. Sie hält. Ich stelle fest, dass manche der Knochen gebrochen sind...als wäre etwas sehr Schweres hier hinüber gegangen. Viel schwerer als ein Mensch. Hm...Marius redete ja schon von einer Verwandlung seines Wandererfreundes...
Das Portal ragt vor mir auf. Die silbrige Oberfläche ist nun spiegelglatt – die Seelen sind alle im Stein gefangen. Nichts regt sich mehr.
Rechts unter mir liegt das namenlose Ratsmitglied, das noch lebend in den See gestürzt ist. Ist seine Seele auch im Stein? Wenn ja, wird sie ihren Weg schon finden, sobald wir ihn zerstören.
„Alles in Ordnung, Golem?“
Ich drehe mich lächelnd zum Meister um, der direkt hinter mir steht.
„Bin ich zu langsam?“
„Nun...ich verstehe deine Zurückhaltung...“
„Oh, Angst habe ich nicht mal.“
Und das stimmt sogar.
„...ich hatte nur gerade noch einen sinnlosen Gedanken. Tut mir Leid.“
„Soll ich...vorangehen?“
„Also bitte!“
Ich lege meine Hand auf seine Schulter.
„Voran ins Unbekannte – das ist doch seit jeher meine Aufgabe, General!“
Und damit drehe ich mich um und durchschreite das Portal in die Hölle.