Kapitel 87 – Nadelkissen
„Es kommen wieder welche.“
Der Meister hebt einen seiner hinter dem Kopf verschränkten Arme leicht in Richtung der Tür. Ich lausche.
„Drei...zwei...eins...“
Er ballt eine Faust und reißt die Finger auseinander. Eine Explosion und darauf folgende Schreie ertönen.
„Man sollte meinen, er lernt es nach den ersten paar Malen...“
„Vielleicht hat er dieses Stockwerk ohnehin schon aufgegeben und hofft nur, dass dir dein Mana irgendwann ausgeht? Ist ja eh nicht so, als ob uns die Dicken diese engen Treppen hinunter folgen könnten.“
„Immer diese Bauhürden, hm? Nun...waren das langsam alle? Ich rationiere zwar, aber auf die Dauer kann ich das dann doch nicht aufrecht erhalten.“
„Ich sage, wenn in drei Minuten keine weitere Gruppe aufgetaucht ist, gehen wir runter.“
Der Meister überlegt kurz, dann legt er sich wieder flach und starrt die Decke an.
„Passt. Du hast die Zeit im Kopf?“
„Sekundengenau.“
„Dann lasst mich bitte kurz entspannen.“
Er schließt die Augen. Ich bewundere ihn – draußen türmen sich die Leichen, es könnten jederzeit noch Überlebende auftauchen, die sich bisher still gehalten haben und nur auf eine Gelegenheit warten, wir sind kurz davor, eines oder gar drei große Übel zu konfrontieren, und hier ruht er sich seelenruhig auf blutbespritztem Steinboden aus.
Äußerlich zumindest ist er ruhig, ja...
Du denkst, es brodelt hinter der Fassade?
Ich bin mir sogar sicher. Würdest du nicht brodeln, wenn du nicht in mir einen Dummen hättest, bei dem du deine nichtigen Sorgen und Ängste ausschütten könntest?
Er hat doch mich.
Und du bist sogar sehr dumm. Aber du weißt doch, dass er seine Probleme lieber in sich hineinfrisst. Und mir wäre es lieber, wenn du das auch tun würdest, das erspart mir eine Menge Hirnschmerz. Geht mich in seinem Fall allerdings Nichts an, ich bin nur der Golem.
Hm. Weißt du, ich bin dir eigentlich sogar dankbar dafür, dass du zuhörst...auch, wenn du keine Wahl hast.
Hör mir bloß mit sowas auf.
Es tut mir Leid, du frisst deine Sorgen ja auch lieber in dich hinein. Zu was das führt, wissen wir ja auch.
So, tun wir das? Führ es aus, wir haben noch genau eine Minute und drei Viertel.
...wenn du deine Probleme nicht offen ansprichst, überwältigen sie dich.
Wenn man ein Schwächling wie du bist, kann das durchaus vorkommen. Aber meine Probleme gehen nur mich etwas an, abgesehen davon, dass ich gar keine habe.
Du hast eine ganze Menge Probleme, aber ich denke dabei nicht einmal an deine offensichtlichen wie die Mordtendenzen.
An was denn dann?
Beantworte dir die Frage doch selbst, sind schließlich deine Sache, hm?
Ich warte keine Antwort ab, sondern gehe so leise, wie ich kann, zum dunklen Türrahmen, hinter dem sich Leichenteile in alle Richtungen erstrecken, ein See aus fauligem Blut und teilweise noch zuckende Körper. Sind sie alle tot?
Als Antwort saust eine Keule auf mich herab. Wobei, saust...ich trete einen Schritt vor, drehe mich dabei halb, lasse den Schlag an meinem Arm abgleiten, leite den Schwung so zur Seite ab, fange das Holz in einem Ellenbogenstachel auf und entreiße es dem Gegner.
Der Schläger brüllt ihn ohnmächtiger Wut – wie ich sehe, musste er seinen schwachen Arm benutzen, da der rechte fehlt. Auch die breite, blutende Wunde auf seiner Brust dürfte seiner Schlagkraft nicht förderlich sein. Er stürzt sich dennoch auf mich, aber in einem Anflug von Wut und Sadismus ramme ich ihm seine eigene Waffe mitten in die Verletzung. Der Schlag ist so hart, dass er nicht einmal zum Schreien kommt, nur zu einem erstickten Keuchen. Da tut er mir fast Leid, und ich springe auf das Holz, das jetzt schräg nach oben zeigt, stoße mich ab, bevor es sich aus seiner Brust löst und versenke mein Schwert in seinem Hals.
Das hatte doch Ansätze.
Verdammt...warum nur können diese Dinger nicht einfach aufgeben? Ich bin es so Leid, gegen hirnlose Dämonen zu kämpfen, die Nichts tun wollen, außer uns töten.
Wie das mit noch intelligenten, aber gezwungenen Gegnern funktioniert hat, haben wir ja in Travincal gesehen.
...in Ordnung, Dämonen sind besser.
Und sie haben jede Sekunde Schmerz verdient, die du ihnen bescheren kannst.
Ich bin nicht so wie sie! Sie werden effizient getötet, wenn wir anfangen, Spaß daran zu haben, geraten wir nur in Mephistos Falle.
Und wenn er nicht da wäre, was ist dann dein Argument?
Dass wir auch nicht einen Fuß auf den Weg des Bösen setzen dürfen.
Zu spät, du hast schon begonnen, zu lügen, Unschuldige zu töten...du bist längst auf diesem Weg, du willst es nur nicht erkennen. Aber bald wirst du verstanden haben, dass der Zweck immer die Mittel heiligt.
Nicht dieser Zweck...am allerwenigsten dieser Zweck. Siehst du nicht die Versuchung des Bösen?
Ich sehe nur, dass wir uns beschneiden sollen, weil du Angst hast vor dir selbst. Vor deiner eigenen Schwäche.
Du meinst also, du bist stark genug, den Verlockungen des Bösen zu widerstehen? Ihre Methoden zu nutzen, ohne sich ihnen anzuschließen?
Natürlich. So wie Jeder, der der Alkoholsucht verfällt, nur zu schwach war, der Verlockung zu widerstehen. Es ist ein ständiger Kampf, aber schon gewonnen, wenn du weißt, dass sie dir Nichts anhaben können, sobald du erkannt hast, dass sie dich nur über Emotionen kriegen können.
Und darum schaltest du sie aus?
Nein, vor Allem, weil sie auf dem Weg zur absoluten Hingabe an unsere Mission stören. Dass sie diesen netten Nebeneffekt haben, ist allerdings sehr willkommen.
Und warum keine absolute Hingabe zum Guten?
Weil das Böse immer gewinnt, mein naiver kleiner Junge. He, es sind jetzt schon dreieinhalb Minuten, lässt du dich etwa wieder ablenken?
...ach, fahr doch zur Hölle.
„General, es ist ruhig hier draußen!“
Nicht ohne dich.
„Nachdem du etwas aufgeräumt hast?“
„Einer war so schlau und hat darauf gewartet, dass Jemand nachsehen kommt...aber er war schon halb tot.“
„Fein. Also ab nach unten.“
„General...“
„Hm?“
„Bist du wirklich so ruhig, oder spielst du mir das nur vor?“
Er hält inne.
„Weißt du, gerade erst habe ich mir durch den Kopf gehen lassen, warum ich eigentlich so ruhig bin. Das heißt, ja, ich spiele nicht. Es ist...wie in Trance. Eigentlich sind wir quasi nur auf dem Weg zur Schlachtbank, unsere Chancen sind nicht wirklich als rosig zu bezeichnen, und das wissen wir ganz genau. Aber...es macht mir Nichts aus. Ich sollte zitternd am Boden liegen, aber ich sehe nur das Ziel vor Augen, komme, was wolle.“
Ich lege ihm die Hand auf die Schulter.
„Vielleicht bedeutet es das, ein Held zu sein.“
Er sieht mich schief an.
„Oder so abgestumpft, dass man schon nicht mehr menschlich ist?“
Die versteckte tiefe Trauer und Angst hinter dieser Aussage lässt mich innerlich schlucken, und bevor ich mich wieder fange, hat er sich schon weggedreht und die Armee auf die Treppe zugeschickt. Ich muss mich beeilen, um wieder den Platz an der Spitze anzunehmen.
Er ist auf genau dem richtigen Weg...
Wir sind so kurz vor dem Ende, er darf jetzt nicht einbrechen...
Ich sage, in drei Stunden ist es vorbei, so oder so. Derweil wird er sich schon nicht zu irgendeinem unmenschlichen Monster wandeln. Du wirst langsam irre hier unten, hm?
Und du wirst immer sorgloser. Es reicht eine schlimme Tat, um Jemanden zum Monster zu machen.
Dann sei besser noch mehr auf der Hut als sonst, hm? Beschütze ihn vor irgendwelchen „falschen Entscheidungen“ oder so, ist mir doch völlig egal, hauptsache, du erfüllst deine Aufgabe und hältst ihn am Leben nebenbei.
Da brauchst du dir jetzt echt keine Sorgen zu machen.
Am Fuß der Treppe ist es pechschwarz. Was ich logisch ableiten kann aus meiner gestochen scharfen Nachtsicht. Dahinter ist auch Nichts erleuchtet...
„Hier unten musst du gut auf deine mobilen Lampen aufpassen...“
Die Magier kommen an und schränken meinen sichtbaren Bereich auf wenige Meter ein.
„So sieht es wohl aus. Wieder totale Dunkelheit für jeden neuen Raum?“
„Wäre sehr willkommen! Diesmal müssen wir aber nicht hetzen, hm?“
„Wozu auch...er führt uns ja nirgendwo mehr hin. Und der Plan mit der Mitte des Stockwerks war auch verschwendet.“
Gut, dass wir ihm nicht gesagt haben, dass wir nur am Eingang hätten rechts gehen müssen und nach so fünf Räumen etwa an der Treppe gewesen wären.
Was auch Nichts geändert hätte.
Ähnlich dem Großen Moor, hm?
Jeder einzelne Quadratmeter da soll in der Hölle schmoren, mir völlig egal, ob da mal eine Stadt war oder nicht.
...hörst du...?
Plötzlich tauchen kleine Gestalten direkt vor mir auf, die sich blitzschnell auf mich zubewegen, schon in zwei Richtungen auseinanderlaufend, um mich zu umgehen. In einer Nanosekunde blitzt eine sehr unangenehme Erinnerung durch mein Hirn.
„Rückzug, General! Untote Schinder!“
Sofort schnelle ich zur Seite, packe einen, werfe ihn so weit weg vom Meister, wie es geht, greife nach dem nächsten...aber er springt über meine Hand. Sie sind wie eine Flut von Ameisen, unmöglich einzudämmen. Ich fahre hilflos herum und erwische noch einen, zerquetsche ihn hinter meinem Rücken...ein Schauer aus messerscharfen und ähnlich großen Knochenstacheln geht über meinen Rücken nieder, nachdem die Explosion meine Faust aufgerissen hat. Die Innenfläche meiner Hand ist nun übersät von Kratzern, aber das ist jetzt wirklich meine geringste Sorge. Der Meister versucht hektisch, die Attacken der Biester zu blocken, die viel zu schnell sind für die Skelette, welche ungeschickt ihre Schwerter einsetzen, um die höchstgefährlichen mobilen Bomben von dem zarten Menschenfleisch wegzubefördern. Ein Knochenmesser bohrt sich in den Unterschenkel des Meisters, was immerhin den Untoten lange genug innehalten lässt, damit ich ihn so sanft als möglich wegpflücken kann.
Er findet sein Ende an der Wand. Ich sehe, wie der Meister die Zähne zusammenbeißt, zurückweicht trotz der Wunde, und irgendwie versucht, alle Krieger gleichzeitig zu koordinieren. Ich kann mir nur vage ausmalen, wie schwierig es sein muss, komplexe Befehle wie „nur auf eine Weise töten, dass ich nicht in der Schusslinie bin“ in die leeren Schädel der Knochengestelle zu quetschen...während er gleichzeitig darauf achten muss, nicht bei lebendigem Leib gehäutet zu werden.
Denk nicht, gib mir die Kontrolle, deine Reflexe sind lachhaft!
Der Zweite übernimmt, und schon ist mein Körper viel besser darin, die Puppen zu erwischen und weit weg zu schleudern. Das Denken aber höre ich nicht auf...so ist der Kampf viel zu verlustreich, was die Gesundheit des Meisters angeht. Sie setzen ihm unglaublich zu, der Schmerz wird es immer schwerer machen, sich zu konzentrieren...wir müssen...genau, das mache ich! Gib her, jetzt!
Er hat keine Wahl. Ich lasse die Puppen Puppen sein und packe die Arme des Meisters, ihn hochreißend, die Füße aus der Reichweite der Gegner bringend.
„Was...“
„Stell sicher, dass deine Beine hinter meinen verdeckt sind!“
Damit drücke in seinen Rücken gegen die Wand hinter ihm, klatsche meine großen Hände über seine, und stelle mich auf Zehenspitzen, damit sein Kopf auch völlig hinter meinem ist.
„Jetzt spreng!“
Er nimmt einen langen Atemzug, dann nickt er. Hinter uns erblüht es orange...und nach einer ersten Explosion hagelt es unzählige Spitzen auf meinen Rücken ein. Wenn der Meister darin gestanden wäre, könnte man ihn jetzt in kleinen Streifen vom Boden aufkehren...ich für meinen Teil spüre, dass mehrere der Knochenscherben mit einer solchen Geschwindigkeit von ihren Selbstmordbombern ausgeschickt wurden, dass sie im Metall meiner Haut stecken bleiben. Der Meister entlässt den Atem wieder, den er vorher nahm.
„Ist es...gaah!“
Eine Puppe hat sich zwischen meinen Beinen vor dem Inferno versteckt und sein Messer in das andere Bein des Meisters gerammt.
Meine Hacken schnellen zusammen und sperren das kleine Monster zwischen meinen Unterschenkeln ein. Der Meister keucht, und ich merke, wie froh er ist, dass ich seine Hände gerade an die Wand presse...sonst würde er umfallen.
„Ich...nehme ihn dir ab...beweg dich einfach nicht.“
„In Ordnung...“
Ein Skelett greift mir zwischen die Füße, stochert etwas herum und bekommt endlich den Kopf des zappelnden Gegners zu fassen. Sobald ich das spüre, gebe ich etwas nach...vorsichtig...da wird der Bastard entfernt. Ich schließe sofort wieder zu, bevor noch etwas in der Art passiert. Wieder höre ich eine Explosion hinter mir.
Sacht lasse ich den Meister auf die Knie sinken. Er greift sich einen Heiltrank und stürzt ihn hinunter.
„Bah, mit diesen Biestern habe ich jetzt nicht gerechnet.“
„Das...wird ein großes Problem, oder?“
„Das wird vor Allem sehr schmerzhaft, wenn das so weitergeht.“
„Ich tu mein Bestes...“
„Das Vertrauen ist schon da, Golem, aber wenn die Räume einmal anfangen, mehr als einen Eingang zu haben, könnten wir ganz schnell in ganz blöde Situationen kommen.“
Ich überlege kurz.
„Der Plan, dass ich vorangehe, dürfte tödlich sein. Ich muss nahe bei dir bleiben, sonst zerfleischen sie dich.“
„Ich stimme der Einschätzung zu. Die Skelette sind einfach nicht schnell genug, um auf einen Kamikazeangriff der Stygischen Puppen zu reagieren.“
„Schade um die Vorinformationen, aber ihr habt Recht. Um genau zu sein...deckt mir den Rücken. Ihr könnt doch gut hören, oder?“
„Wenn er sich daran erinnert, können wir das. Aber dafür hat er ja mich.“
„...vollstes Vertrauen, Jungs. Na denn, Augen zu und durch.“
Wir gehen in den nächsten Raum. Die Magier schalten kurz das Licht aus; ich habe zwei Sekunden, um mir Alles zu merken, dann wird meine Sicht wieder beschränkt.
„Drei Ausgänge. Welcher?“
„Links, Mitte und Rechts?“
„Nein, zwei an der Wand vor uns, einer rechts.“
„Dann rechts. Wir halten uns an der Außenseite des Stockwerks, immerhin war die Treppe in dem darüber auch an der.“
Damit haben wir einen Plan. Mehrere Räume voller Leichen, aber ohne Gegner warten, bis wir in einen großen Raum geraten, in dem mir sofort, als das Licht ausgeht, mehrere Dunkle Fürsten ins Auge springen. Sofort fasse ich dem Meister an die Schulter.
„Lass es dunkel...“
Natürlich haben die Gegner den Lichtschimmer durch die Tür bemerkt, und sie brauchen nicht lange, um für ihre eigene Lichtquelle zu sorgen; ihre Hände fangen Feuer, und die ersten Geschosse fliegen auf uns zu. Ich und der Meister rennen in Richtung einer Raumecke. Die Skelette bleiben relativ unbeeindruckt stehen, da ihnen Feuerbälle nicht allzuviel anhaben...und die Magier beginnen, auf die klar erleuchteten Ziele zu feuern. Die Flugbahnen der Gegnergeschosse erleuchten einen Pfad zu ihnen...
Die Fürsten feuern weiter durch den Raum, aber sie haben keine Ahnung, wo wir sind; die Schatten der dunklen Ecke verbergen uns.
„Gute Idee, Golem...“
Der Meister lugt um den Pfeiler, hinter dem wir uns verschanzt haben. Die Armee findet schnell ihren Weg zu den klar erleuchteten Zielen. Sobald es wieder ganz dunkel ist, wagen wir uns hervor.
„Das lief ja prima. Also...wohin?“
Wieder führe ich uns an, mit freundlicher Unterstützung des Zweiten.
Gerade gehen wir durch einen Raum, in dem sich nach meiner zweisekündigen Untersuchung nicht viel gezeigt hat, als mir ein nur zu bekanntes Geräusch an die Ohren dringt.
„Skelettring, jetzt! Die Puppen kommen!“
Der Meister reagiert extrem schnell, aber bei der Nachricht würde ich das an seiner Stelle auch tun. Die Wächter gruppieren sich in einem engen Kreis, mit den Kriegern versetzt vor den unvermeidlichen Lücken; die Magier müssen lose draußen bleiben, sonst ist kein Platz.
Die untoten Puppen strömen heran. Wir sind gerade noch rechtzeitig gewesen, um ihre Flut aufzuhalten...Himmel, das sind ja dutzende! Die Skelette hacken auf die wuselnde Masse ein, und die Wächterschilde werden übersät mit Knochendornen...da bricht einer die Ecke eines Schildes ab und lässt das Bruckstück gegen die Schulter des Meisters schlagen. Die Wucht der Puppenexplosionen ist unglaublich.
Und plötzlich wird es fast taghell, als unter den Füßen jedes einzelnen Gegners eine Aura auftaucht...
„Fanatismus! Das ist eine ganz böse Überraschung...Meister, wir müssen ihren Helden finden, sonst sind wir verloren!“
„Die Skelette halten doch...“
Da zerhacken zwei Puppen mit irrsinniger Geschwindigkeit das Bein eines Magiers zu kleinen Splittern, und er kommt gar nicht mehr zum Umfallen, bevor er von Gegnern übersät ist.
„Die Aura steigert ihren Schaden und die Angriffsrate, wenn wir die Quelle nicht ausschalten, halten die Skelette das nie durch!“
„Ich kann die Sache allerdings etwas entschleunigen...“
Der Schwächen-Fluch gesellt sich zur orangen Aura, die ähnlich dem Verstärken Schaden feuergleich am Boden entlang tanzt und steuert kühles gelbes Licht zur Illumination bei. Es ist fast taghell.
Da ist er.
In Elfenbein statt silbrig angehauchtem Knochenweiß versucht eine der Puppen gerade, einen Wächter auszutricksen; dieser pariert verzweifelt, aber immer wieder landet ein Schlag unter dem Schild, und bald werden die Skelettfüße nachgeben...
„Hilft Nichts, General, ich muss da raus.“
Der Wächter tritt zur Seite, und der letzte Hieb des Helden geht daneben. Sofort bin ich über ihm...aber er fängt sich rechtzeitig, springt zur Seite und ich treffe auch nur den Boden. Kurz sehen wir uns an, dann schlage ich nach ihm wie nach einer lästigen Fliege. Und abermals findet mein Schwert nur Luft.
Lass mich, in Ordnung?
Der Zweite übernimmt, führt das Schwert plötzlich seitwärts gehalten, und klatscht es gegen den Puppenheld, der offensichtlich überrascht wurde von der Taktik.
Die Wucht des Schlags lässt ihn ein paar Meter fliegen und mitten unter ein paar Kollegen landen.
Öhm...
Man kann nicht immer fehlerfrei sein, hm? Jetzt sei nicht so geschockt von der Blödheit, hinterher.
Als wir auf die Gruppe zurennen, sehen wir gerade noch, wie der matter gefärbte Bastard sich von seinen Dienern löst und wegläuft. Diese kommen auf uns zu, wohl als Ablenkung gedacht.
Keine Sorge, ich werde mich schon nicht ablenken lassen.
Wir pflügen durch sie, von Knochenstacheln noch und nöcher geradezu in einer Wolke umflogen...und fallen plötzlich zu Boden. Was...
Ach du...
Unser ganzer Körper ist über und über gespickt von den Projektilen. Unsere vergleichsweise dünne Metallhaut war kein Hindernis für die unglaublich spitzen und mit gewaltigem Impuls abgefeuerten Todesgeschosse. Als ich meine Arme bewege, nachdem ich reflexartig die Kontrolle vom Zweiten übernommen habe, fühle ich die Spitzen in mir abbrechen.
Mühsam stemme ich mich auf die Knie...meine Gelenke, verwundbarer als der Rest, sind extrem beeinträchtigt.
Der Held hält inne, dreht sich um, und scheint mich auszulachen. Er kommt vorsichtig auf mich zu, nicht überheblich genug, als dass ich ihn einfach zerstören könnte. Doch jetzt ist er nahe genug! Ich fahre mein Schwert aus...und es klemmt. Meine Finger reichen gerade so nicht an ihn heran. Er sieht mich verächtlich an. Dann tritt er zur Seite und will an mir vorbei rennen, um wieder in den Kampf gegen den Meister einzugreifen...nur, um zu erstarren.
„Ob du wusstest, dass deine Aura nur einen bestimmten Maximalradius hat? Wenn nein, haben wir gerade beide etwas gelernt. Wenn nein, bist du ein ziemlicher Idiot.“
Er stürzt sich nach vorne, Messer und Aura blitzend...
Und fliegt zurück. Skelette verfolgen ihn, und kurz darauf explodiert ein Scherbenhagel...was zwei unserer Krieger zerstäubt. Ihre Rüstungen sind gespickt von Stacheln, das Problem waren aber die, die ihre Köpfe glatt pulverisiert haben. Wenn diese Teile den Meister getroffen hätten...
Dieser humpelt an mir vorbei. Er hat mehrere Stacheln tief im Bein stecken, drei in der Schulter und einen tiefen Kratzer auf der Wange. Er wischt sich das Blut vom Mund, dann bückt er sich hinunter zu mir, eine Grimasse schneidend.
„Glück muss der Mensch haben. Danke, dass du ihn abgelenkt hast...aber du hast auch schon mal besser ausgesehen.“
„Das Kompliment gebe ich gern zurück.“
„Heh. Was dagegen, wenn ich dich einfach komplett neu erschaffe?“
„Ist wirklich nicht allzu schlimm, also mach, bevor du verblutest.“
Er lässt sich von einem Skelett die Rüstung eines der zerstörten bringen.
„Die Dinger sollten mit etwas Konzentration wegfallen, wenn ich dich daraus erschaffe...“
Mir wird schwarz vor Augen, für einen kurzen Moment und für eine Ewigkeit, dann steht er wieder vor mir.
„...na ja, nicht ganz.“
Ich hebe meinen Arm – mühelos – und stelle fest, dass meine Metallstacheln jetzt Knochenstacheln sind. Etwas sehr unregelmäßig, aber egal...wenn das so weitergeht, verliere ich den Körper ohnehin innerhalb der nächsten drei Räume wieder.
„Passt so.“
„Gefällt mir sogar sehr gut.“
„Freut mich, dann hilf mir doch mal hierbei, Zweiter.“
Mit gewohnt geschickten Fingern entfernt er die Stacheln aus dem Meister. Dieser lässt es stoisch über sich ergehen. Danach sind wir wieder um einen Heiltrank ärmer...die Situation gefällt mir gar nicht. Der Meister räuspert sich.
„Wenn mich mein Orientierungssinn nicht ganz täuscht, geht es in die Tür hinter mir, oder?“
Ich nicke.
„Also auf.“
Wir treten hindurch, das Licht geht aus, und ich sehe einen kleinen Raum ohne weiteren Ausgang. Er ist grob rechteckig, Säulen an den Wänden des Eingangsbereichs. Dieser endet mit einer Treppe direkt vor mir, die nach drei Stufen in eine leicht erhöhte Plattform mündet. Von der aus führt ein enger Gang, gesäumt von Stacheln und Gruben auf beiden Seiten, auf ein quadratisches Plateau. Und darauf...
„General...wir sind auf Gold gestoßen.“
Das Licht geht an, und es verschwindet, was ich gerade sah.
„Die Treppe?“
„Viel, viel besser.“
Ich führe ihn ein paar Schritte nach vorne, vor der Treppe warnend – und im Licht taucht auf, was mir gerade enorme Freude bereitet hat.
„Ein Wegpunkt?“
„Wir können uns neue Tränke aus Travincal holen!“
„Die Gelegenheit lass ich mir nicht entgehen.“
Er tritt auf das Steinpodest und aktiviert es. Die Flammen erscheinen.
„Travi...“
„Halt!“
Er unterbricht sich.
„Was ist, Zweiter?“
„Ich höre...eine Ratte?“
Ich überlasse ihm verwirrt den Körper, und er geht langsam, jeden Schritt betonend, auf die Säulen am Rand des Eingangsbereichs zu. Da höre ich auch etwas...ein Keuchen. Von rechts. Der Zweite geht nach links. Äh...
Lass mir doch mal meinen Spaß.
„Hm...hier ist ja doch Nichts...“
Das Aufatmen ist spürbar, aber wer auch immer hinter der anderen Säulenreihe versteckt ist, wird es sich so stark verkneifen, wie er oder sie kann. Nützt aber Nichts...der Zweite schleicht nämlich ohne einen Ton auf diese zu...und schlüpft dahinter, einen sich irrsinnig erschreckenden Menschen packend und ans Licht zerrend.
„...hier aber.“
„Das gibts doch nicht. Was machst du denn hier...“
Der Meister tritt näher heran, seinen Kopf schüttelnd. Unser Geschnappter versucht, auf den Wegpunkt zuzurennen, aber der Zweite hält ihn fest und packt seine Arme in einem unentkommbaren Griff. Ich schüttle intern den Kopf wie der Meister. Damit hätte ich jetzt am wenigsten gerechnet.
„...Marius?“