Kapitel 56 – Ein offener Trialog
„Bitte was?“
Ich lasse den Kopf hängen.
„Das wird...eine längere Geschichte...“
Er verschränkt die Arme.
„Du hast meine volle Aufmerksamkeit. Ich bin ausgeruht, wir haben die ganze Nacht.“
Seine Augenbraue sieht mich fragend gehoben an. Ich nehme meinen ganzen Mut zusammen und konzentriere mich darauf, mich bloß nicht falsch auszudrücken, gebe mir noch ein paar Augenblicke, um mich zu sammeln, unterdrücke das flatternde Gefühl absoluter Panik in meinem Herzen und beginne.
„Schon kurz nach meiner Geburt musste ich feststellen, dass etwas sehr Komisches vorging mit mir, wann immer wir in Kämpfe gerieten. Eigentlich habe ich es schon immer gehasst, Gegner zu töten, warum genau – ich weiß es nicht. Aber sobald es wirklich hart auf hart kam und die ersten Klingen in meine Richtung zeigten, überkam mich eine seltsame...Kompetenz. Scheinbar instinktiv schien ich zu wissen, was zu tun war – dass es effektiver war, Kehlen zu zerquetschen als Arme zu brechen, dass in den meisten Brüsten an der gleichen Stelle ein Herz schlägt, das man anhalten kann, dass man mit geblendeten Augen nicht sehen kann. Was mir auch erst später aufgefallen ist: Allzu viel hast du mir damals nicht erklärt über die Welt an sich, aber Konzepte wie Wetter, Sprache, grundsätzliche Umgangsformen haben mich nie groß überraschen können. Das Wissen war irgendwie da...ich weiß immer noch nicht genau, wie viel davon ursprünglich begründet ist – dass ich automatisch verstehe, was du mir sagst, ist wohl inhärent – aber gerade das, was ich meine 'Kampfpersönlichkeit' nannte, war etwas ganz Anderes. Wie ich bald feststellen musste.
Als du mir das Schwert verschafft hast, meine erste Verbesserung, fing ein sehr beunruhigender Trend an, nämlich dass ich ständig Gedächtnislücken bekam. Damals konnte ich dir das schlecht mitteilen – ich weiß jedoch nicht, ob ich es getan hätte...na ja. Interessanterweise traten selbige meist dann auf, wenn gerade ein Kampf dabei war stattzufinden, und ich fand wieder zu mir, als ich von Leichen umgeben war. Keine sehr schöne Sache, war dir aber viel Lob wert. Absolut ungerechtfertigterweise; ich bin selten stolz auf Morde, kannst du mir glauben...na ja. Ich war sehr verwirrt davon, äußerst beunruhigt, aber was sollte ich dagegen tun, ohne es zu verstehen? Vielleicht, dachte ich mir, wäre das ja ganz normal. Bis mir aufgefallen ist, dass ich durch Konzentration verhindern konnte, dass ich die Kontrolle verlor...und ich während Kämpfen, die ich bewusst durchlebte, keine Unterstützung durch die mysteriöse Kompetenz meiner 'Kampfpersönlichkeit' hatte...“
Der Mund des Meisters klappt in Überraschung auf.
„Du willst mir ernsthaft sagen, dass du schon seit Ewigkeiten teilweise von einer unbekannten Macht kontrolliert wirst?“
Ich hebe die Hand.
„So ist es nicht...ganz. Wir sind noch am Anfang der Geschichte. Aber du wirst dich ja erinnern an gewisse...stürmische Episoden meiner. Etwas sehr Aggressives brach aus mir hervor, das nie zu mir passte, wenn es daran ging, gewisse Gegner zu vernichten.“
„Rakanishu? Der Schmied?“
Ich nicke.
„Und damit nicht genug...ich hatte schon seit Anfang an dich immer wieder in Frage gestellt, was du mir hoffentlich nicht übel nimmst, du weißt es ja auch. Nach einer Weile, als meine Zweifel an deiner absoluten Kompetenz – erneut, es tut mir Leid, aber du weißt selbst, dass du nicht perfekt bist – immer mehr wurden, kamen in mir auch immer mehr Zweifel an den Zweifeln hoch. Im Klartext: Wann immer ich es 'wagte', dich als nicht absolut idealen Führer zu sehen, korrigierte mich etwas wie eine innere Stimme. Wenn ich jetzt zurückdenke, war es furchtbar idiotisch von mir, aber ich benötigte ewig, um die Verbindung zu sehen – nämlich bis du mir Klauen gabst und er deutlicher hervorzutreten begann: Diese innere Stimme war nicht aus mir selbst geboren, es war eine komplett andere Persönlichkeit, und zwar die gleiche, die gerne einmal über die Stränge schlug und sich sinnlosem Morden hingab.“
Der Meister lehnt sich an sein Kissen und hält die Hand an die Stirn gepresst.
„Das ist eine Menge zu verdauen, Golem, das weißt du schon? Aber du bist noch lange nicht fertig, oder?“
Ich sehe auf meine Hände herab.
„Nein. Als ich endlich herausfand, dass dieser Jemand in mir mich kontrollieren konnte, wann immer er wollte, wurde mir ernsthaft Angst. Gleichzeitig konnte ich ihn endlich konfrontieren, da ich wusste, mit was ich es zu tun hatte. Und er begann tatsächlich, mit mir zu sprechen. Was ich herauslesen konnte: Fanatische Treue zu seinem Meister – und eine äußerst ungesunde Lust am Töten. Außerdem schien er überzeugt davon, dass ich ihm seinen Körper gestohlen hätte und er allein das Recht dazu hätte, ihn zu benutzen. Und da errang ich meinen ersten großen Sieg, als ich nämlich feststellte, warum er stärker geworden war: Da du meinen Körper verbessert hattest. Ich ließ die Klauen verschwinden...und seine Stimme verstummte in mir.“
Sein Finger hebt sich, als ihm ein Licht aufgeht.
„Deswegen trugst du sie nicht einfach ständig!“
„Genau...so konnte ich ihn kontrollieren. Wir begannen daraufhin, öfter zu reden. Er war teilweise durchaus für Vernunft erreichbar, aber wir hatten ein gewisses Problem in unserer Beziehung, namentlich dass er mich absolut hasste dafür, dass ich ihm, wie schon erwähnt, den Körper gestohlen hätte. Wir schafften es schließlich, einen Kompromiss zu schließen, und ab und an durfte er mich steuern. Ich muss gestehen, dass ich das Abkommen letztlich gebrochen habe, da er mir unheimlich wurde...“
Dass du das zugibst, hätte ich jetzt nicht erwartet.
Oh, eine Stimme von den billigen Plätzen? Hast du etwas mehr an Inhalt beizutragen?
...jetzt ist es eh zu spät, um noch etwas zu verhindern. Dann bleib mal deiner ach so hoch gehaltenen Wahrheit treu, wenn wir Glück haben, vernichtet er uns beide nicht sofort.
Ich gebe mir Mühe, keine Sorge.
Der Gesichtsausdruck des Meisters hat jede Emotion verloren.
„Und das ließ er so auf sich sitzen?“
„Nein. Mein Fehltritt hatte später üble Konsequenzen...zu denen wir sofort kommen. Als Andariel meinen Tonkörper vernichtete, wollte er mir noch etwas mitteilen, dass ich nicht hören wollte, ich zog es vor, allein zu 'sterben'...was sich letztlich als obsolet erwiesen hat, da du mich unabsichtlich als Blutgolem neu erschufst. Was ich nicht wusste: Er blieb genauso erhalten wie ich, nur war er komplett still und unbemerkbar. Aber trotzdem da. Mittlerweile weiß ich auch, was er mir sagen wollte: Nämlich, dass der Tod vor uns beide billig ist, da wir durch dich immer wieder verlustlos belebt werden können. Was du ja auch nicht wusstest. Woher wusste er es? Dazu kommen wir bald.
Ich war also allein in mir und hatte schwer zu tun damit, dir klar zu machen, dass ich immer noch der Gleiche war; nebenbei kamen ja auch noch...andere Dinge...dazwischen, und ich begann, ihn zu vergessen.
Bis du meinen Blutkörper das erste Mal verbessern wolltest...du erinnerst dich, dass ich mich dagegen wehrte, dass du mich weiter veränderst, und mir dafür die Beherrschung einfing? Das war der Grund. Ich hatte Angst, dass er wieder auftaucht.“
Seine Hand fährt ihm vor den Mund.
„Himmel, ich hatte ganz vergessen, dich nach dem Grund dafür zu fragen. Jetzt gibt gleich viel mehr einen Sinn...begann er denn, wieder aufzutauchen?“
„Nein...aber als wir beide am Boden waren nach Prathams Tod und du mir die Stimme gabst, um dich selbst zu geißeln...begann ich plötzlich, erneut geistige Aussetzer zu bekommen. Ich wusste, er war zurück. Versuchte, mit ihm zu reden, aber er konnte nicht antworten, wobei ich nach einer Weile herausfand, dass er mich in der Tat hörte. Und eines Nachts hatte ich einen Traum – ich sah ihn, seinen Körper, wie er ihn in Erinnerung hatte, ein grausiges Amalgam aus Stahl, Ton und Feuer. Sein Hass auf mich war noch gestiegen, da ich daran festgehalten hatte, ihn zu unterdrücken, und er die ganze Zeit, während wir Aranoch durchstreiften, zu absoluter Untätigkeit verdammt gewesen war, in mir eingesperrt. Meine Schuld überwältigte mich...und deswegen bat ich dich darum, meine Füße zu verändern, um sie seinem Modell anzupassen.
Es funktionierte. Wir konnten wieder miteinander reden. Meine kleine Geste war ihm natürlich nicht genug...aber es war ein Anfang gewisser Entspannung zwischen uns. So konnten wir in Tal Rashas Grab viel effizienter zusammenarbeiten als je zuvor, und es war wohl auch der Grund, weswegen wir letztlich über alle Hindernisse triumphierten.“
Ich werde kurz still, um mich auf den wichtigsten Teil meiner Erzählung vorzubereiten. Der Meister schüttelt den Kopf in Unglauben.
„Deine Geschichte...das ist Wahnsinn. Es scheint fast zu verrückt, um stimmen zu können. Und doch...es erklärt so Vieles. Und warum hast du mich nicht informiert, nachdem du reden konntest und ihn offenbar voll im Gedächtnis hattest?“
Ich breite die Arme aus.
„Angst. Schlicht und einfach Angst um unsere Beziehung – gerade erst hatten wir zu etwas Vertrauen zueinander gefunden, wie sollte das aufrecht erhalten werden, wenn du erfahren würdest, dass ich nicht alleine der bin, den du kanntest? Aber dieser Grund war eigentlich nur vorgeschoben, wenn ich es recht bedenke...ich wollte es dir nicht gestehen, weil ich nicht wusste, wie du reagieren würdest, und auch davor hatte ich Angst.“
„Und was hat dich jetzt doch dazu gebracht, es zuzugeben?“
„Ich bin noch nicht fertig...während unserer Reise nach Kurast konnte ich mich immer mehr an ihn gewöhnen, und die Situation schien fast normal zu werden. Dann wurdest du tödlich verletzt, ich bekam einen neuen Körper, und in dem Augenblick, als ich wieder zu Bewusstsein kam, griff er, den ich mittlerweile den 'Zweiten' getauft hatte, an. Ich schaffte es gerade so, in einer Art geistigem Duell seinen Versuch, die Kontrolle an sich zu reißen, abzuwehren, aber mir wurde klar, wie gefährlich er eigentlich war. Von nun an hielt ich ihn in mir gefangen, aber er war nicht daran gehindert, mit mir zu reden, und das tat er. Erbarmungsloser als je zuvor kritisierte er nahezu Alles, was ich tat, versuchte mich dazu zu erziehen, gewisse Prinzipien von mir aufzugeben...es war keine schöne Zeit, zumal ich genug andere Probleme hatten...deine Verletzung, der ungewohnte Körper, an den ich lange brauchte, mich zu gewöhnen...aber letztlich war er es eigentlich, der mir half, mit mir selbst klarzukommen, eine grausame, geißelnde Stimme, aber die kompromisslose Härte, dir mir entgegenschlug, hielt mich davon ab, völlig wahnsinnig zu werden. Dafür sollte ich wirklich dankbar sein, schätze ich...“
Er verzieht das Gesicht.
„War es wirklich so schlimm? Du scheinst gar nicht so...“
Ich sehe auf meine imaginären Fingernägel.
„Er brauchte mir auch gut bei, mich zu verstellen. Etwas, auf das ich wirklich nicht stolz bin. Wobei wir uns näher kamen, nicht zuletzt durch Natalya. Du weißt mittlerweile ja, dass wir uns schon länger kennen; ich habe dir davon schon Alles erzählt, und es stimmte auch, nur eine Sache habe ich dir verschwiegen: Sie wusste von uns beiden. Du bist tatsächlich der Zweite, dem ich vom Zweiten erzähle.“
Das trifft ihn.
„Du hast ihr davon erzählt, aber mir nicht?“
„Natalya hatte etwas an sich, dass man ihr einfach vertrauen musste...sein Innerstes offenbar. Findest du nicht auch?“
Jetzt blüht Wut auf in seiner Miene.
„Sie hat das an sich, Golem!“
„Ja. Tut mir Leid. Auf jeden Fall...ich weiß nicht, warum, aber sogar der Zweite mochte sie sehr gerne, und sonst mag er eigentlich Niemand...“
Denk mich nicht so fragend an.
Ich dachte mir fast, dass du nicht darüber reden willst.
„...und als du endlich wieder gesund warst, schien Alles in Ordnung zu gehen. Der Zweite jagte mir immer noch ab und an gewaltige Schauer über den Rücken, aber unser Geheimnis schien sicher und ich hatte nie wirklich Lust, dir davon zu erzählen – je länger ich damit wartete, desto weniger, denn die Frage, warum ich jetzt erst damit herausrückte, musste immer brennender werden, nicht?“
Seine Augenbrauen ziehen sich gefährlich zusammen.
„Ist schon sehr heiß, ja.“
Ich seufze übertrieben, wie ich es anders nicht kann.
„Mehr als eine Entschuldigung dafür, dass ich schrecklich naiv war, kann ich nicht anbieten. Denn bald ging die Sache gehörig den Bach herunter, als klarer und klarer wurde, dass der Zweite es nicht ewig auf sich sitzen lassen würde, zweite Geige zu spielen. Sein Anspruch auf den Körper war so vorhanden wie eh und je – immer wieder musste ich ihn bekämpfen, um die Kontrolle über Teile von mir zurückzuerhalten – und doch wurde er immer wichtiger für mich, je schwieriger unserer Reise wurde. Du dachtest bisher, ich wäre komplett alleine gewesen, als ich das Große Moor durchschritt, während Natalya dich...ablenkte. Stimmt nicht, ich hatte ihn, und ohne wäre ich verloren gewesen.“
Mein Blick wendet sich von ihm ab, ich kann ihm nicht in die Augen sehen für den letzten Teil.
„Und dann stiegen wir in den Schinderdungeon.“
„Den was?“
„...er nennt ihn so. Ich weiß auch die Namen vieler Monster von ihm, er hat mich dazu gebracht, die Kreaturen des Geisterbeschwörers beständig als Gespenster zu bezeichnen, zum Beispiel...na ja. Als vor dir die Puppe explodiert ist, war ich völlig überfordert, aber der Zweite war es nicht. Er wusste, was zu tun war, woher auch immer, und er war es, der dich notdürftig versorgt hat und dir damit wohl das Leben gerettet hat. Nur...danach gab er die Kontrolle nicht mehr zurück. Und auf einmal war ich in ihm gefangen.
Es hat nicht allzu lange gedauert – warum, erfährst du gleich – aber es war die Hölle. Ich weiß nicht, wie er es so viele Wochen ausgehalten hat, seit wir zusammen erschaffen wurden, im Grunde. Eigentlich müsste ich komplettes Mitleid mit ihm haben, wenn nicht...“
Meine Stimme versagt kurz.
„Ich habe mehr über ihn erfahren. Um mich zur Zusammenarbeit zu zwingen, hat er mich in eine seiner Erinnerungen katapultiert, denn tatsächlich gibt es ihn schon viel länger als es mich gibt. Was ich darin gesehen habe...es hat jeglichen Respekt und jegliches Mitleid zerstört, das ich für ihn hegte. Wobei das auch nicht stimmt, ich kann es nicht über mich bringen, ihn absolut zu hassen, er hatte es auch nicht leicht, aber...diese Erinnerung...“
Der Meister wird hart.
„Golem, was hat er getan? Ich muss das jetzt wissen.“
Ich gebe ihm einen sehr kurzen Abriss. Nach kurzer Zeit wird er bleich, aber ich erspare ihm auch das Ende der Episode nicht.
„...und damit war völlig klar, dass ich sein Joch abschütteln musste, er war nicht einfach nur störend, sondern brandgefährlich. Für uns beide. Was sich nur zu bald zeigte. Sein ehemaliger Meister war...etwas...härter als du bist. Was ihn schon immer ziemlich gestört hat. Und Mephistos Hass ließ den Zweiten schließlich komplett durchdrehen. Du erinnerst dich offenbar nicht daran, aber ich kann dir genau sagen, warum du gerade Angst hattest, mit mir im Dunkeln allein zu sein: Er hat versucht, dich zu töten.“
Unwillkürlich fährt des Meisters Hand an seine Kehle.
„Das...ist nicht dein Ernst.“
„Mein Körper war so kurz davor, dich zu erwürgen, General...ich schauere noch immer bei dem Gedanken. Geraden noch rechtzeitig konnte ich ihn überwinden...mit Hilfe einer äußerst verstörenden Methode. Ich zeigte ihm ein Bild seines eigenen Meisters, das ich ihn seinen Erinnerungen fand, um ihn daran zu erinnern, dass er gerade dabei war, seinen Meister zu töten – einen Menschen, dem gegenüber er immer fanatische Loyalität gezeigt hatte.
Es war sehr wirksam – da du aussiehst wie eine jüngere Version seines Herrn. Das ist es eigentlich, was mich am meisten verängstigt bei der ganzen Sache.“
Er ist bleich. Sehr bleich. Seine Stimme ist ein Krächzen.
„Lass mich alleine, Golem. Zehn Minuten. Dann komm zurück, und keine Sekunde früher oder später.“
Ich flüchte.
Am Flussufer starre ich in das Wasser, auf meine Reflektion im Mondlicht. Jetzt...ist es zu spät, noch zurück zu gehen.
Sehr unfair, deine Darstellung meiner. Du hast nicht einmal erwähnt, dass ich jetzt wieder normal bin.
Ha, normal! Du warst nie normal! Solange du kein Bisschen von dem bereust, was du getan hast, wirst du immer ein wahnsinniger Irrer bleiben!
Ha, dabei bist du es, der immer die Wichtigkeit betont, zu seinen Prinzipien zu stehen. Aber ich kann dir eines sagen: Ich bin äußerst erfreut, dass du jetzt deine eigene Suppe auslöffeln darfst. In...8 Minuten und siebenundfünfzig Sekunden möchte ich wirklich nicht in deiner Stahlhaut stecken. Zu blöd, dass ich es trotzdem tue, aber es ist immerhin ein Logenplatz, von dem aus ich deine persönliche Apokalypse beobachten kann.
Es wird eine der längsten Wartezeiten meines Lebens; man würde meinen, nach den vielen anderen dieser Art in den letzten paar Tagen müsste ich mich langsam daran gewöhnen, aber das Gefühl, kurz vor der Hinrichtung zu stehen, wird nicht besser...
Ich stehe eine geschlagene Minute vor der Tür zu unserer Hütte, da ich viel zu früh losgegangen bin, um ja nicht zu spät zu kommen. Hätte ich ein Herz, würde es wie wild klopfen...exakt zehn Minuten, nachdem der Meister seinen Befehl gegeben hat, ihn so lange alleine zu lassen, öffne ich die Tür und stürme geradezu hindurch.
Und stolpere. Aus irgendeinem Grund verliere ich meine Balance...
Du bist schwächer! Der Meister hat uns verflucht!
Das ist...plötzlich berührt mich etwas an der Schulter, dessen Berührung ich schon kenne. Etwas durchflutet mich...ein Kribbeln am ganzen Körper...die Berührung verschwindet.
Der Meister tritt in mein Sichtfeld, seinen Stab immer noch hochhaltend, kurz vor meinem Gesicht. Mit Erschrecken stelle ich fest, dass ich mich nicht mehr bewegen kann!
„Reine Vorsichtsmaßnahme, Golem, nicht? Ich denke, du wirst mich verstehen.“
Den Stab immer noch bereit, prüft er sorgfältig meine Knie und Hüften, widmet sich dann meinen Schultern, den Ellenbogen und dem Hals. Er hat sich angezogen, komplett mit Helm, alle Rüstungsteile, die noch intakt waren nach dem Spießrutenlauf des Dungeons. Wie ich festzustellen beginne, hat er meine Gelenke festgeschmolzen; deswegen bin ich völlig immobil. Nach seiner Überprüfung nickt er zufrieden, zieht einen Stuhl vor mich, senkt mit einer weiteren Stabberührung meinen Blick darauf hinab und lässt sich nieder, die Arme verschränkend.
„Du kannst noch reden?“
„...ja...“
„Schön, dann reden wir. Eins kann ich dir sagen: Ich bin stinksauer, dass du mir diese doch etwas relevanten Informationen wirklich viel zu spät zukommen lässt, aber abgesehen davon, dass du mich deinen Worten nach fast erwürgt hättest...“
„Nicht ich!“
„Scheiß drauf, Golem, es wäre deine Schuld gewesen! Abgesehen davon hast du mich offenbar aus diesen Höllenloch herausbefördert und mir damit den Hintern gerettet, deswegen bin ich bereit, auf einen womöglich für dich recht ekligen Wutausbruch zu verzichten und stattdessen nur ein hoffentlich ebenso ekelhaftes Kreuzverhör aufzuziehen, das du dir auf jeden Fall verdient hast. Fangen wir also an. Der Zweite hört mit, nehme ich an?“
Tue ich. Zu schade, dass es nicht ekelhafter wurde, aber was nicht ist, kann ja noch werden...
Sei still.
„Ja, tut er.“
„Fein, dann könnt ihr euch abwechseln, wenn ich etwas wissen will. Also. Was mir im Moment am meisten unter den Nägeln brennt: Hast du ihn sicher unter Kontrolle jetzt?“
So sicher wie eh und je. Also gar nicht.
„Nein. Ich bin noch vorsichtiger als je zuvor, aber das reicht nicht – ein Moment der Ablenkung könnte reichen, und ich bin wieder gefangen. Durch einen schweren Schock konnte ich ja auch entkommen.“
„Der Schock, dass sein Meister aussieht wie ich?“
Ich bleibe still. Er schneidet eine Grimasse.
„Ist ja wirklich hervorragend. Absolut hervorragend. Wenigstens diese Erkenntnis konnte dich dazu bringen, dein Schweigen endlich zu brechen, nehme ich an. Aber dazu kommen wir später noch, du hast nämlich noch eine Menge ungesagt gelassen, eines vor Allem: Wie zur Hölle kommt er überhaupt dazu, sich in meinem Golem breitzumachen?“
Jetzt wird es erst richtig interessant.
Ruhe auf den billigen Plätzen, verdammt!
Oh, ich genieße nur, wie deine dumme Entscheidung dir so viel Pein bringt. Also: Vergiss es.
„...du hast mich ja mit der Formel aus dem alten Buch beschworen, das du in dem Grab gefunden hast. Offenbar ist es die gleiche Formel, mit der auch der Zweite einst erschaffen wurde, weswegen er schlicht wiedergeboren wurde, wie ich es ja auch werde, wann immer du mich neu erschaffst – mit immer der gleichen Formel. Das bedeutet zunächst, dass der Autor des Buches, der alte General, der alte Meister des Zweiten ist; außerdem hinterlässt es in mir einen etwas bitteren Nachgeschmack, denn dass ich überhaupt entstanden bin und dass nicht nur der Zweite beschworen wurde liegt daran, haben wir uns zumindest bisher zusammengereimt, dass du eben nicht der alte General bist, sondern ein komplett neuer Meister; du benutzt die Formel auf leicht andere Weise als er es getan hat, zwangsweise, und nur durch diese leichten Abweichungen bin ich überhaupt entstanden, während der 'Wortlaut' der Beschwörung den Zweiten mitkommen hat lassen. Meine Existenz ist im Grunde nur...ein Unfall. Zufall.“
Ein freudloses Lachen entweicht dem Meister.
„Tja, in Zukunft sorge ich für ordentliche Empfängnisverhütung bei meinen Zaubersprüchen, schätze ich.“
„...was?“
Ha, ha, ha!
„Vergiss es. Das ist in der Tat eine sehr beunruhigende Theorie, die ihr beiden euch da zusammengeköchelt hat. Wie viel von dem, was ich tue, ist denn dann das Meine? Sind es auch seine Skelette? Von dem Bisschen, das ich über ihn weiß, war er nicht gerade ein Engel, hm?“
Ich komme nicht umhin, Zweifel in meine Antwort zu legen.
„Na ja, erst ist nun tot, nicht...? Du warst immerhin in seinem Grab?“
„Womöglich. Aber warum frage ich dich das eigentlich? Es gibt immerhin Jemanden, der da weit mehr Bescheid weiß als du.“
Oh nein.
Oh nein.
„Das halte ich für keine gute Idee...andererseits, er auch nicht, also ist es vermutlich eine?“
„Das überlässt du schön mir, ja? Raus mit dir, Zweiter. Wir haben uns zu unterhalten.“
Das wird nicht gut...das wird gar nicht gut...
Soll ich jetzt lachen, oder was?
„Euer unterwürfigster Diener, Meister. Welche Fragen darf ich Euch beantworten?“
Der Meister zuckt kurz zurück.
„Das ist aber eine...ungewöhnliche Stimme. Habe ich die schon einmal gehört? Ach, was solls! Du bist also der Kerl, der ungefragt meinen Golem belästigt?“
„Ich habe mir meine Situation nicht ausgesucht, Meister.“
„Spar dir das Gekrieche, wenn ich meinem Freund noch glauben kann, hast du vor nicht allzu langer Zeit noch versucht, mir das Licht auszuknipsen. Oder hast du eine andere Version dieser Geschichte?“
Scham erfüllt den Zweiten, eine Gefühl, das mich bei ihm immer noch sehr überrascht. Ihn womöglich auch.
„...nein. Ich wurde von Mephistos Einfluss verwirrt, Meister, aber das entschuldigt meine Übertretung nicht. Bitte bestraft mich, wie Ihr es für richtig haltet.“
Der Meister schlägt sich hart auf den Schenkel.
„Meine Herren, das ist ja nicht auszuhalten! Hat dein Meister dich etwa zu derartiger Arschkriecherei erzogen? Kein Wunder, dass du völlig krank im Kopf zu sein scheinst – und er auch, das hält ja kein normal denkender Mensch aus! Lass den Müll und rede normal mit mir. Du kriegst dein Fett schon noch weg, keine Sorge.“
„Wie Ihr wünscht.“
„Ja, ja, ist gut jetzt. Mein Golem hat also nicht übertrieben, was dich angeht? Du bringst gerne Leute um, hattest einen Irren als Meister und bist generell kein besonders netter Zeitgenosse?“
„Verzeiht mir, wenn ich es etwas anders ausdrücken würde...“
Der Meister hebt drohend den Finger.
„Verarsch mich nicht, Kamerad, ich bin gerade überhaupt nicht in der Stimmung. Hat er gelogen?“
Wehe, wenn...
Wäre das nicht der Meister, ich würde dich so fertig machen, du würdest dir wünschen, nie erschaffen worden zu sein...
Mich schmerzt eigentlich genug, dass der Meister mir nicht einfach vertraut...
„Nein. Zumindest, was seine Ansichten über mich angeht, die ich gerne in gewissen Punkten korrigieren möchte, wenn Ihr mir eine Chance dazu zu geben gewollt seid.“
„Na, dir kann ich da ja wenigstens vertrauen. Jetzt klär mich mal auf, wenn du schon meinem Golem gegenüber offenbar recht verschlossen warst: Wie war dein Meister denn so? Besser: Wer war er, was hat er getan in seinem Leben?“
Jetzt wird es interessant.
Wenn für euch Interesse aus Langeweile geboren wird?
Du lenkst doch ab. Kann es sein, dass du die Frage nach deinem Meister am meisten von allen fürchtest?
Warum sollte ich?
Weil du einen kleinen Komplex hast, was ihn angeht?
„Was mein Meister vor meiner Erschaffung getan hat, weiß ich nicht; er hat nie darüber gesprochen, und es hat mich auch nicht besonders interessiert. Zu diesem Zeitpunkt aber war er einer der mächtigsten, wenn nicht der mächtigste Totenbeschwörer vermutlich aller Zeiten; immerhin hat er ganz allein die Formel zum Erschaffen von Golems entwickelt. Und einige andere Techniken, worüber Ihr aber sicher Bescheid wisst, immerhin habt Ihr sein Lebenswerk gelesen. Das bedeutet natürlich, dass ich nicht sein erster Golem war; klar sollte aber sein, dass ich sein letzter war, und ich kann Euch versichern, dass ich mir dieses Privileg verdient habe. Er hatte keinen treueren Diener als mich in keinem perfekteren Körper, das ließ er mich auch wissen, genauso wie er es mich wissen ließ, wenn ich etwas tat, das nicht perfekt genug war.“
Der Meister lehnt sich vor; der Zweite verstummt sofort, als er sieht, dass er etwas einwenden will.
„Wenn ich das richtig verstehe: Die ganzen Golems, die dein Meister vor dir erschaffen hat – sie sind alle...tot? Er hat sie nicht neu erschaffen?“
„Da Golems nicht leben, ist die Wortwahl vielleicht etwas gewagt von Euerer Seite.“
Eine Augenbraue hebt sich.
„Aus diesem Körper habe ich bisher aber keine andere Wortwahl gehört.“
„Das liegt schlicht daran, dass der andere Bewohner dieses Körpers teils völlig lächerliche Vorstellungen davon hat, was es bedeutet, ein Golem zu sein. Wir sind als Diener erschaffen, und mehr als das sollten wir nie erstreben zu sein; unsere Existenz liegt völlig in der Hand des Meisters, ja, ist auch völlig an seine gebunden, also haben wir keinen Gedanken an uns zu verschwenden; er ist es, was zählt, sonst Nichts.“
„Moment Mal, das ergibt doch überhaupt keinen Sinn. Wenn du keinen Grund hast, deine Existenz aufrecht zu erhalten, weil sie ohnehin unwichtig ist, welchen Grund gibt es dann, die des Meisters zu garantieren?“
„Ich verstehe nicht.“
„Nehmen wir einmal an, dein Meister ist ein gigantisches Arschloch und nervt dich seit Ewigkeiten. Eines Tages stolpert er und fällt in ein Loch; gerade so kann er sich noch halten. Er sieht zu dir hoch und befiehlt dir, ihn zu retten. Wenn dir egal ist, ob es noch Jemand gibt, der dich wieder erschafft, sobald dein Körper zerfällt – warum solltest du ihm helfen? Gib ihm noch einen Tritt mit und genieße die Ruhe.“
Das...ist allerdings ein Argument. Warum komme ich nicht auf solche? Jedoch, Schock durchzieht den Zweiten, und nicht, weil er durch die Logik geschlagen wäre, sondern weil der Gedanke an Blasphemie grenzt.
„Das wäre völlig unmöglich! Er ist der Meister, jegliche Art von Handeln seiner ist automatisch die richtige, und etwas zu tun oder zu unterlassen, das ihm schadet, ist...es geht nicht.“
„Aha. Und warum habe ich dann blaue Flecken am Hals?“
Eine erneute sehr gute Frage.
„Das...war eine Ausnahmesituation.“
„Nun mal langsam, so leicht kommst du mir nicht davon. Ich bin im Moment ganz eindeutig dein Meister, aber du scheinst nicht wirklich zufrieden zu sein mit dem, was ich tue, oder? Ich dachte, das wäre absolut unmöglich?“
„Das ist es nicht...mit Zufriedenheit hat das Nichts zu tun...“
„Jetzt erzähl mir keine Scheiße! Golem, mein Golem – wie war das da unten? Warum hat er es tun wollen?“
Hm, ich dachte, du würdest mich gerne hineinreiten? Jetzt darf ich das machen und muss dafür nicht einmal lügen.
Du verdammter...
„Seinen Worten nach hat es ihn angeekelt, wie sehr viel schwächer du seist als sein alter Meister, und dass er deiner ihn beleidigenden Existenz schon lange ein Ende hätte setzen sollen.“
„Aha? Ich glaube fast, mich an so etwas erinnern zu können. Danke, du kannst wieder in der zweiten Reihe Platz nehmen.“
Sein Gesicht wird steinhart. Ich ziehe mich gehorsam zurück.
„Also, Zweiter, bloß weil ich ach so viel schwächer bin als dein wertvoller Meister, brauchst du mir hier keinen Schwachsinn einzuschenken. Zwei Möglichkeiten also: Entweder, deine Meistertreue ist von vorne bis hinten ein Haufen Unfug, oder dein Gekrieche ist eine einzige Farce. Was soll ich also glauben?“
…
Du hast irgendwie Recht, einfach nur zuzusehen ist gewaltiger Spaß.
„...Ihr seid nicht mein Meister.“
Der Meister beißt die Zähne zusammen und knurrt seine Entgegnung.
„Da haben wirs. Also hör mir den Ehrentiteln auf und rede mit mir, wie du es gerne möchtest.“
„Na schön...General.“
Seltsamer Widerwille...
Es ist leicht ungewohnt, einen Menschen namens General zu duzen.
„Zurück also zu deinem Meister, und nein, ich habe ihn nicht vergessen. Er war also auch 'der General', kanntest du sonst einen Namen von ihm?“
„Nein.“
„War dir egal, nehme ich an?“
„Ja.“
„Himmel, du hast diesen Kerl geliebt, oder? Neugierde war nie deine Stärke?“
Wenn er so fragt, wäre es meine auch nicht – immerhin weiß ich auch nicht, wie er genannt wurde, bevor er zum General wurde. Aber eigentlich interessiert es mich auch nicht...ich mag ihn ja auch. Oder ist es auch...Liebe? Was auch immer das ist...der Meister redet weiter.
„Also, was hat er so den lieben langen Tag getan, während du dabei warst? Irgendwelche Leute von dir umbringen lassen, offenbar. Aus Spaß an der Freude, oder was?“
„Nein. Er war der Herrscher über viele Menschen. Und ein guter, im Vergleich zu vielen anderen, die zu der Zeit geherrscht haben. Nicht, dass seine Untertanen es ihm gedankt hätten. Er hat ihnen viele Freiheiten gelassen, und stets zahlten sie das mit Missgunst zurück, obwohl er nur ihr Bestes im Sinne hatte. Ich weiß nicht, wie lange das schon so ging, aber als ich erschaffen wurde, war er bereits sehr verbittert darüber, dass ständig versucht wurde, seine Herrschaft auf drastische Weise abzuschütteln – obwohl er das Beste war, was den Menschen in dieser Region je passiert ist. Gelegentlich ließ er durchscheinen, dass er früher zu weniger drastischen Strafen greifen musste, um die Masse davon abzuhalten, etwas Dummes zu tun – aber wir tun schließlich Alle nur, was notwendig ist, nicht wahr? So regierte er mit harter Hand, aber er blieb immer fair. Einzig Gehorsam forderte er, und machte immer klar, dass den zu verweigern eine sehr schlechte Idee war.“
Es bleibt kurz still im Raum. Wir müssen das beide scheinbar erst einmal verdauen. Was soll ich davon jetzt halten? Natürlich ist die Perspektive des Zweiten auch sehr von seiner Hingabe gefärbt, aber wenn ein Kern von Wahrheit darin steckt...hat sein Meister seinen absoluten Pragmatismus vielleicht doch für gute Ziele eingesetzt? Einen ernsthaft guten Zweck die grausamen Mittel heiligen lassen?
Der Meister fängt sich vor mir.
„Sehr...interessant. Klingt nach einem äußerst kompromisslosen Menschen. Aber ob er vielleicht doch nur aus Machtlust seine Position an der Spitze so...drastisch...verteidigt hat, wirst du mir wohl auch nicht ehrlich beantworten können, hm? Zumal ich jetzt ja weiß, dass du mir im Grunde die ganze Zeit ein Märchen erzählen könntest, da du dich nicht im Mindesten an mich gebunden fühlst.“
„Nun...“
„Wie sehr teilst du eigentlich seine Prinzipien?“
„Absolut natürlich.“
„Klingt nicht sehr ansprechend, wenn ich bedenke, was der dich anstellen hat lassen. Keine Bedenken von deiner Seite da? Gar keine? Golem, du hast mir doch gesagt, dass du nie besondere Lust hattest, Monster zu töten, obwohl ich damit wenig Probleme hatte...“
Was alte Fragen erneut aufwirft.
„Stimmt. Aber ich habe nie absolute Hingabe dir gegenüber empfunden, was du hoffentlich verzeihst – und ironischerweise scheint es auch die Schuld des Zweiten zu sein, der mich schon immer unterbewusst beeinflusst haben muss. Wobei ich wirklich nicht weiß, warum ich sogar noch friedlicher bin als du.“
Sein Ausdruck wird sauer.
„Das können wir wann anders diskutieren. Zurück zu dir, Zweiter – wie stehst du also, mit eigenen Worten, zum Töten?“
„Es stört mich in keinster Weise.“
„Und dein Meister?“
„Er hat unterstützt, wenn ich...kreativ wurde dabei.“
„Himmel! Also schön, das soll vorerst genügen. Ich muss darüber eine ganze Weile nachdenken. Jetzt einmal eine ganz andere Sache: Wie soll das mit uns dreien weiter gehen? Golem, du bist dir bewusst, dass ich dir schlicht nicht mehr vertrauen kann nach dieser Sache – beziehungsweise deinem Körper?“
Das, was am meisten an dem ganzen Problem schmerzt.
„Ja...“
„Was dich wohl auch bisher mit davon abgehalten hat, dich mir zu öffnen, hm?“
Dieser so unglaublich verständnisvolle Satz von ihm öffnet etwas in mir, ich weiß nicht, was es ist, aber was ich weiß, ist, dass ich in diesem Augenblick wirklich Alles von ihm akzeptieren würde; selbst nach dem, was ich getan habe, kann er immer noch nachvollziehen, was ich getan habe. Er hasst mich nicht, so schwer es ihm zu fallen scheint...ich breche fast zusammen unter dem Schwall meiner Gefühle.
„Oh, General, es tut mir so Leid...“
Er steht auf und legt mir eine Hand auf die Schulter.
„Du hattest es nie leicht, und jetzt erfahre ich, dass es sogar noch schlimmer war als ich bisher angenommen hatte. Wie hast du es mit diesem Arschloch in dir ausgehalten? Das muss ja die reinste Folter gewesen sein.“
Ich schweige. Bringe keine Worte heraus. Es ist, als wäre meine Kehle zugeschnürt, was natürlich nicht möglich ist, aber...
„Schon gut, Golem. Mir tut es auch Leid, dass das jetzt so ist. Und jetzt haben wir ein großes Problem...was soll ich denn jetzt tun? Wer garantiert mir, dass du immer der bist, mit dem ich spreche? Die Stimme sicher nicht, oder?“
„N...nein.“
„Dachte ich mir. Wer garantiert mir, dass dein Schwert nicht auf einmal zwischen meinen Schultern steckt? Ich kann dich nicht ständig im Auge behalten, es geht einfach nicht. Der Zweite ist eine Gefahr für Alles und Jeden, weil er völlig unberechenbar ist. Hast du irgendeine Idee, was wir tun können, um ihn zu kontrollieren?“
Meine Gedanken rasen, aber etwas wirbelt sie immer wieder davon. Was nur, was nur könnten wir machen? Wenn der Zweite ihn wirklich nicht als seinen Meister sieht, dann ist er einfach nicht unter Kontrolle zu halten...
Aber halt. Ich sehe ihn definitiv als meinen Meister. Und ich bin unter Kontrolle zu halten.
„General...was ist mit der Beherrschung? Sie garantiert doch, dass ich deinen Befehlen absolut folge. Sollte sie nicht auf ihn auch wirken?“
Seine Augen weiten sich.
„Du hast Recht! Das wäre eine Lösung!“
Oh Himmel...
„...die ihm nicht gefällt.“
„Zweiter, übernimm die Kontrolle!“
Nein!
„Er weigert sich!“
Der Meister packt meinen Kopf und sieht mir tief in die Augen. Besser: Dem Zweiten tief in die Augen.
„Jetzt hör mir mal zu, du Komiker. Wenn ich das richtig mitbekommen habe, wirst du überhaupt keine Lust haben, ständig eingesperrt zu sein. Das klingt nämlich nicht wirklich spannend, untätig in einer dunklen Ecke in einem Gehirn zu sitzen. Ich seh es gerade nicht passieren, aber vielleicht, nur vielleicht, lasse ich dir in Bälde ein wenig Auslauf. Ich bin mir sicher, mein Golem hätte da auch Nichts dagegen, hm?“
„Ein Kompromiss?“
„Genau daran denke ich.“
„...es hätte schon einmal funktionieren können...“
„Wenn du dein Versprechen nicht gebrochen hättest.“
„Ich sorge dafür, dass er es nicht tut, Zweiter. Wenn du jetzt kooperierst, hast du eine Chance, ab und an diesen Körper kontrollieren zu dürfen. Wenn du dich weigerst, darf das Keiner von euch. Also, höre ich ein 'jawohl, Meister'?“
…
Tu es.
„...jawohl, Meister.“
„Dann bleib so.“
Er hält den Stab über meinen Kopf.
„HelKoThulEthFal, Zweiter!“
Ich spüre, wie sich die unsichtbaren Fesseln um mich legen...Moment, warum spüre ich das?
„Also, Golem? Denkst du, es hat funktioniert?“
„Es...fühlt sich nicht anders an, General. Kann es sein, dass er von vorneherein durch die Beherrschung gehalten wurde?“
„Oh? Zweiter, sag die Wahrheit – ist das so?“
„...ja.“
Er grinst mich an.
„Das ist eine gute Nachricht! Dann ist jetzt Alles in Ordnung...?“
Da fällt mir siedend heiß etwas ein.
„...nein. Es ist nicht perfekt, Meister. Die Beherrschung ist nämlich fehlerhaft.“
Bist du wahnsinnig?
„Was?“
„Wenn ich einem Befehl nicht gehorche, fügt mir das gewaltige Schmerzen zu – aber falls ich sie aushalte, dann kann ich ihm zuwiderhandeln. Das heißt, der Zweite könnte für den Moment, den es braucht, Unsinn anzustellen, das immer noch tun.“
Er streicht über sein Kinn.
„Das ist...schlecht.“
Der Vorschlag wird nicht einfach...aber ich habe, wie so oft, keine Wahl.
„Kannst du nicht...die Beherrschung verstärken? Versuchen, sie absolut zu machen?“
Er sieht mich groß an.
Das ist nicht dein Ernst.
„Golem, ich dachte, du hasst die Beherrschung?“
„Tue ich.“
Wir sehen uns eine Weile an.
„Das ist ein großes Opfer...“
„Und eine Gefahr. Was ist, wenn du mir Unsinn befiehlst? Aber ich sehe keine andere Möglichkeit...“
Seine Mundwinkel senken sich.
Dann umarmt er meinen steifen Körper. Ich spüre schon wieder dieses seltsame Gefühl, das mich so verwirrt. Aber es ist irgendwie schön.
„Es tut mir Leid...“
Dann wiederholt er das Beherrschungsritual. Ich fühle die unsichtbaren Fesseln sich einengen, bis ich fast nicht mehr atmen kann. Gleichzeitig lösen sich meine Gelenke, aber das bedeutet Nichts. Trauer erfüllt mich...
„Hat es funktioniert? Du solltest dich jetzt wieder bewegen können. Lauf im Kreis! Du weißt, was du zu tun hast.“
Ich beginne, mich zu bewegen. Und versuche, anzuhalten.
Ohne Erfolg.
Im Laufen gebe ich meinen Bericht.
„Es wirkt...“
Du hast uns beide verdammt.
„In...Ordnung. Zweiter! Du wirst nie etwas unternehmen, was mir schadet – tu so, als wäre ich dein alter Meister.“
„Jawohl, General.“
„Und du wirst dem...'Ersten'...stets gehorchen, als wäre er dein alter Meister.“
Nein!
So gesehen sieht es aus, als wärst nur du verdammt.
„...jawohl, General.“
„Dann ist wirklich Alles in Ordnung...so sehr, wie es eben geht.“
Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll. Alles, wirklich Alles hat sich verändert...aber es ist besser so, viel besser. Ich spüre, wie die gewaltige Last meines bisherigen Schweigens von mir gefallen ist...hoffentlich kann das die Bürde der Beherrschung ausgleichen...